Shoot my Heart von Hoellenhund ([Secret Love]) ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Die Limousine hielt in einer Seitenstraße. Von dort aus erreichten Kou und Asano in wenigen Gehminuten einen privaten Aufzug, der direkt in Asanos Penthouse hinauf fuhr. Als sich die Türen des Aufzugs öffneten, war Kou wenig überrascht, sich in einer mit schlichter Eleganz eingerichteten Wohnung wiederzufinden. Die Möbel waren einfach und funktional und standen mit ihrer schwarzen Farbe im Kontrast zu den weiß getünchten Wänden und dem hellen Holzfußboden. Es gab keine Pflanzen, keine Bilder, keine Dekorationen. Nichts, was von der Funktionalität der Wohnung abgelenkt hätte. Kou spürte eine seltsame Verbundenheit zu diesem Ort. Über die Schwelle zu treten war beinahe so, wie in Asanos Seele zu blicken. Während er noch im Wohnzimmer stand und sich umsah, verschwand Asano in einem der angrenzenden Räume. Nur wenige Augenblicke später kehrte er mit einem Verbandskasten zurück, den er auf dem niedrigen Couchtisch abstellte. Er machte Anstalten, den Kasten zu öffnen, doch Kou hielt ihn zurück: „Ich mach das selbst.“ Der Gedanke, von Asano verbunden zu werden, schnürte ihm die Kehle zu. Er wollte nicht hilflos, nicht nutzlos sein. Nie wieder. In gespielter Beschwichtigung hob Asano die Hände und ließ sich auf der Lehne des ebenfalls schwarzen Ledersofas nieder. Kou konnte den durchdringenden Blick seiner dunklen Augen im Nacken spüren, während er den Verbandskasten öffnete und sich das blutgetränkte Hemd von den Schultern streifte. Sein Herz hämmerte in seiner Brust, als rannte er noch immer durch die verlassenen Hinterhöfe Roppongis. Sieh nicht hin, flehte eine leise Stimme in seinem Kopf, doch sie wurde nicht erhört. Mit zittrigen Händen drückte Kou eine Kompresse auf die Wunde an seiner Schulter. Nur ein Streifschuss, nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste. „Hast du meinen letzten Auftrag schon erledigt?“ Kous Herz setzte einen Schlag lang aus. Dann griff er nach einer Mullbinde und begann, sie fahrig über die Kompresse zu wickeln. „Ich habe die Zielperson noch nicht ausfindig machen können. Es ist niemand mit diesem Namen in Tokyo gemeldet.“ Kous Stimme war völlig ruhig. Er hielt den Blick noch immer auf seine Schulter gesenkt, versuchte das Zittern seiner Hände zu verbergen. Asano würde seine Lüge durchschauen, er war ein zu guter Beobachter, kannte ihn zu genau. Doch er sagte nichts. Die Stille im Raum drückte auf Kous Ohren. Eine bedrohliche Stille. „Das hat doch nichts mit der Sache heute Abend zu tun, oder?“ Wieder Stille. Kous Hände zitterten nun so erbärmlich, dass er die Mullbinde kaum noch halten konnte. Haruki konnte unmöglich mit dem Anschlag auf Asano in Verbindung stehen, niemals. „Wieso willst du das wissen?“ In Asanos Stimme schwang kein Argwohn, doch die Frage traf Kou wie der präzise Schnitt eines Skalpells. Er hatte sich nie für die Umstände seiner Aufträge interessiert, das war immer seine Stärke gewesen. Wieso also diese Frage? Wieso jetzt? Das musste Asano stutzig machen. Während Kou noch verzweifelt nach einer passenden Antwort suchte, war Asano plötzlich neben ihn. „Du machst das nicht richtig“, fuhr er ihn mit resoluter Stimme an. In einer beiläufigen Bewegung entwand er die Mullbinde Kous zitternden Fingern und begann, den halben Verband wieder abzuwickeln. Seine Hände streiften Kous Arm, als er die Kompresse fest drückte und den Verband neu anlegte. Kou wagte es kaum zu atmen. Bei jeder Berührung schien ihm das Herz aus der Brust springen zu wollen. Er konnte nichts weiter tun, als auf diese kräftigen Hände hinabzustarren, die sich geschickt um seinen Arm herum bewegten. Sie waren so unglaublich schön... Doch schon wenige Herzschläge später war der Moment vorüber. Asano steckte das Ende der Mullbinde fest, trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust - beinahe so, als bewunderte er ein von ihm geschaffenes Kunstwerk. Peinlich berührt wollte Kou nach dem Hemd greifen, das er neben sich auf den Couchtisch gelegt hatte, doch Asano war schneller. In einer lässigen Bewegung trat er damit in die angrenzende offene Küche hinüber und ließ es in einen der Mülleimer fallen. Einen Augenblick lang konnte Kou nicht glauben, was er sah: „Was soll ich denn jetzt anziehen?“ Asano wandte sich nicht einmal zu ihm um: „Kannst eins von meinen haben.“ Er trat in einen angrenzenden Raum und löschte im Wohnzimmer das Licht. Da Kou nun im Dunkeln stand, verstand er es als eine Aufforderung, Asano zu folgen. Unsicher watete er auf den Lichtschein zu, der durch den Türspalt, den Asano offen gelassen hatte, in den Raum fiel. Nur gut, dass es im Penthouse keine überflüssigen Möbel gab. Vorsichtig drückte Kou die Tür auf und fand sich im Schlafzimmer wieder. Es war genauso schlicht eingerichtet wie der Rest der Wohnung und wurde von einem großen Bett in der Mitte dominiert. An der gegenüberliegenden Wand stand ein dunkler Kleiderschrank, aus dem Asano gerade ein frisches Hemd hervorzog. Er musste gehört haben, dass Kou ihm gefolgt war, denn noch während er sich zu ihm herum drehte, warf er ihm das Hemd zu: „Hier.“ Der Stoff fühlte sich weich und fließend an. Ganz anders als die schwarzen Shirts, die Kou normalerweise trug. Es musste wahnsinnig teuer gewesen sein. Und es würde ihm niemals passen. Aber er war nicht in er Position, wählerisch zu sein. Noch einmal ließ er die Finger über den seidigen Stoff gleiten, bevor er sich das Hemd schließlich überstreifte. Wie er erwartet hatte, war es ihm zwei Nummern zu groß. Mit Asanos breiten Schultern konnte er nicht mithalten. Doch was half das schon. Als Kou den letzten Knopf geschlossen hatte, bemerkte er, dass Asano ihn mit genau demselben merkwürdigen Blick bedachte, wie schon eben, als er ihm den Verband angelegt hatte. „Niedlich“, urteilte er schließlich und Kou schnaubte. 'Niedlich' war wohl kaum das passende Attribut für einen Auftragskiller. Und doch – wenn Asano es sagte, fühlte es sich merkwürdig richtig an. Über seine eigenen Gedanken beschämt, senkte Kou den Blick. Er konnte hören, wie Asano sich auf der Bettkante niederließ: „Mach das Licht aus.“ Kou zögerte. Asano hatte ihm das Hemd doch kaum zum Schlafen gegeben. Oder doch? Er war es schließlich gewesen, der unbedingt etwas zum Anziehen hatte haben wollen. Oh Gott, so ein teures Hemd. „Steh da nicht rum.“ Asanos forsche Stimme riss Kou aus seinen Gedanken. Rasch legte er den Schalter neben der Tür um. Dunkelheit hüllte sie ein. Dunkelheit und Stille. „Kou..!“ Unsicher trat er auf das Bett zu. Auf dem Sofa zu schlafen stand offenbar nicht zur Diskussion. „Leg dich endlich hin, sonst knall ich dich ab.“ Kou seufzte leicht. „Das hab ich gehört.“ „Ist mir klar.“ Damit ließ Kou sich auf die Bettkante sinken. Die Matratze war härter als er es erwartet hatte und federte unter seinem Gewicht. Es fühlte sich an, als würde dieses Bett nicht häufig genutzt. Und es war breit genug, als dass sie bequem nebeneinander liegen konnten, ohne sich zu berühren. Asano hatte Recht, es gab keinen Grund, zu zögern. Aber wieso schlug sein Herz dann so schnell? Eine ganze Weile starrte Kou in die Dunkelheit, bis sich schließlich die ersten Konturen aus ihr herauszuschälen begannen. Er konnte die Umrisse des Fensters erkennen, des Schranks, Asanos, der mehr als eine Armlänge entfernt neben ihm lag und ihm den Rücken zugekehrt hatte. Ob er schon schlief? „Was sind das für Typen, die hinter dir her sind?“, fragte er so leise, dass er die Worte selbst kaum noch verstand. Asano antwortete nicht. Wahrscheinlich war er tatsächlich eingeschlafen. Doch dann durchdrang seine Stimme die Dunkelheit; gedämpft, eine Nuance tiefer als sonst: „Mach einfach deinen Job und lass dich wenn möglich dabei nicht umlegen. Das ist alles, was du wissen musst.“ Kou wusste, dass er Recht hatte. Aber das war leichter gesagt als getan. Bevor er in den Schlaf hinüber glitt, war das letzte, was er sah, ein Bild von Harukis Gesicht. *** Er hatte sich in sich selbst zurückgezogen. Er besaß nichts, er empfand nichts, er war – nichts. Doch irgendetwas war immer noch da, irgendwo tief in ihm verborgen. Manchmal kamen ihm Bilder in den Sinn, Erinnerungen. Der Himmel, die Sonne, der Mond, der Geruch von frisch gemähtem Gras, so etwas wie Musik – ja, Musik. Und in diesen Momenten konnte er spüren, dass er tief am Grunde seines Herzens die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben hatte. Die Hoffnung auf Freiheit. In der Ferne schlug eine schwere Eisentür zu. Es war wieder soweit. Schritte näherten sich draußen auf dem von kalten Neonröhren erleuchteten Gang. Die Tür seiner Zelle wurde aufgestoßen. Hände packten ihn, zerrten ihn auf die Füße, rissen ihn fort. Er stieß mit der Schulter gegen die karge Betonwand des Ganges, doch er spürte es kaum. Er wusste, wo sie ihn hinbrachten. Er wurde in einen weiß gekachelten Raum gestoßen. Er kannte alles an ihm in und auswendig, jede Fuge. Er hatte den Strahl eiskalten Wassers erwartet, trotzdem konnte er einen kurzen Aufschrei nicht unterdrücken, als er ihn traf. Doch er versuchte nicht, ihm auszuweichen, nicht mehr. Erst als das Wasser abgestellt war und man ihn fahrig mit einem rauen Handtuch trockenrieb, konnte er seine Füße wieder bewegen. Nächste Station. Zwei Frauen tänzelten um ihn herum, sie hatten keine Gesichter. Eilig kämmten sie sein Haar und kleideten ihn in einen geblümten Kimono aus feiner Seide. Gleich war es soweit. „Für jeden Fehler ein Hieb mit der Peitsche“, raunte ihm jemand ins Ohr. Er wurde so heftig in den nächsten Raum gestoßen, dass er stürzte. Hinter ihm schlug die Tür zu und ein Schlüssel drehte sich zwei Mal im Schloss herum. Kein Entkommen. Mühsam rappelte er sich auf. Ein Hieb für jeden Fehler. Er würde gut sein, er würde sich keinen Fehler erlauben. Heute nicht. Langsam hob er den Kopf. Er kannte dieses Zimmer, er war schon oft hier gewesen. Wie seine Zelle hatte es keine Fenster, doch das war auch schon alles, was die beiden Räume miteinander verband. Das Zimmer war opulent in Rot- und Goldtönen ausgeschmückt und das große Himmelbett in seiner Mitte zierten schwere Brokatvorhänge. Und genau dort saß sein Kunde, ein Mittdreißiger mit kalten Augen und scharfen Gesichtszügen. Sobald er ihn sah, stand er von der Matratze auf und kam auf ihn zu. Langsam ging er vor ihm in die Knie, legte die Hand an sein Kinn und hob es ein wenig an. Er hasste es, von ihm berührt zu werden, er hasste es so sehr. Doch er würde nicht zurückweichen. Für jeden Fehler… Plötzlich veränderte sich das Gesicht seines Gegenübers. Die Augen wurden dunkler, die Stirn höher. Er kannte dieses Gesicht. Asano. Kazuo Asano. Etwas verschob sich. Das Zimmer verschwamm, Rot und Gold lösten sich auf. Asanos Augen nahmen ihn gefangen, sogen ihn in sich auf, in ihre endlose Tiefe hinein. Asanos Hände griffen nach seinen Schultern, zogen ihn an sich, drückten ihn an seine Brust. Der feinwürzige Geruch von Kardamon und Tabak hüllte ihn ein, brachte sein Herz zum Rasen. Was war das für ein Gefühl? Wenn er nur in seinen Armen lag, konnte die Welt um sie her ihn nicht mehr berühren. Lass nicht los. Bitte, lass nicht los… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)