Shoot my Heart von Hoellenhund ([Secret Love]) ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Kou war die ganze Nacht über ziellos durch die Stadt gestreift. Er hatte so viele Jahre lang versucht, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen – doch nun schien sie ihn plötzlich mit weiten Sätzen einzuholen. Beinahe so wie ein hinterlistiger Fuchs, der seinem Opfer geduldig auflauerte, um dann unerwartet aus seinem Versteck hervorzuspringen und es zu erlegen. So war es bereits später Vormittag, als Kou schließlich, noch immer zermürbt, in das Anwesen am Stadtrand zurückkehrte. Die Zeitung, die er von Haruki mitgenommen hatte, lag noch immer zusammengerollt in seiner rechten Hand. Was sollte er tun? Er konnte Asano unmöglich nach einem Zusammenhang zwischen den letzten beiden Zielpersonen fragen. Und das nicht nur, weil ihn die näheren Umstände seiner Aufträge absolut nichts angingen. Er hätte damit auch Harukis Leben in Gefahr gebracht. Doch wie lange würde er es noch schützen können? Asano musste früher oder später herausfinden, dass er seinen letzten Auftrag nicht ausgeführt hatte. Und dann… Das Geräusch von Schritten auf der Treppe zur Galerie erweckte jäh Kous Aufmerksamkeit. Als er den Kopf hob, sah er Midori auf sich zukommen, die eher die Stufen hinab flog, als dass sie rannte. „Herr Kou, da sind Sie ja!“, brachte sie völlig außer Atem hervor, nachdem sie mit einer Verbeugung vor ihm zum Stehen gekommen war. „Herr Asano erwartet Sie in seinem Arbeitszimmer.“ Kou erstarrte: „Er ist hier?“ „Ja und er wartet schon seit einer ganzen Weile. Und Sie wissen, dass er nicht gerne wartet.“ Kous Herz trommelte einen nervösen Rhythmus gegen seine Rippen. Asano war in der letzten Zeit so selten hier gewesen – wieso ausgerechnet jetzt? Und wieso wollte er ihn sprechen? Er konnte unmöglich wissen, dass er sich mit Haruki getroffen hatte. Plötzlich kam ihm sein letzter Auftrag wieder in den Sinn. Asanos dunkle Augen, die zu ihm aufs Dach gestarrt hatten; dieser kalte, durchdringende Blick: ‚Schieß endlich!‘ Kou erschauderte. Doch dann riss Midoris drängende Stimme ihn aus seinen Gedanken: „Sie sollten jetzt wirklich gehen.“ Sie hatte Recht. Niemand ließ Asano warten, niemals. Also nickte er ihr noch einmal zu, bevor er die Treppe in die erste Etage hinauf stieg. Vor der Tür des Arbeitszimmers zögerte er kurz, die Hand bereits zum Klopfen erhoben. „Komm rein!“ Asanos herrische Stimme drang nur gedämpft durch das massive Holz, doch Kou trafen die Worte so schneidend, als hätte er direkt neben ihm gestanden. Sofort drückte er die Klinke hinunter, trat in den Raum und verbeugte sich, ehe er die Tür hinter sich zu zog. „Wenn du dich so verbeugst, wird dir irgendwann noch jemand den Kopf abschlagen.“ Asano saß in seinen schwarzen Ledersessel zurückgelehnt hinter dem blank polierten Schreibtisch aus dunklem Holz, der den Raum dominierte; die Beine überschlagen. Von seiner Haltung war keinerlei emotionale Regung abzulesen, doch er strahlte zweifelsfrei Autorität aus. Kou neigte noch einmal den Kopf, um sich für seine Unachtsamkeit zu entschuldigen. Doch dieses Mal ließ er Asano dabei nicht aus den Augen. „Es geht doch. Hör zu, Kou: Ich will, dass du mich heute Abend auf eine Cocktail-Party begleitest. Als Geleitschutz.“ In Kous Kopf sprang ein Schalter um. Asano steckte in Schwierigkeiten, er hatte es von Anfang an gespürt. Unwillkürlich verengten sich seine Augen: „Mit wem hast du dich angelegt?“ „Mit niemand bestimmten“, gab Asano leichthin zurück und machte Anstalten, sich eine Zigarette anzuzünden, brach dann jedoch mitten in der Bewegung ab und schob Feuerzeug und Schachtel in die Schublade seines Schreibtischs zurück. Wie konnte er die Sache nur so auf die leichte Schulter nehmen? Innerhalb der Yakuza konnte schon die kleinste Meinungsverschiedenheit in einer blutigen Auseinandersetzung enden. Und wenn Asano ihn bereits um Hilfe bat, musste es schon weitaus mehr sein als das. Er war schließlich selbst ein geschickter Kämpfer und Schütze. Alles, was Kou wusste, hatte schließlich er ihm beigebracht. „War das ein ja?“, bluffte Asano ihn an, als er nicht antwortete. Kous Augen blitzten: „Wieso? War das eine Frage?“ „Nein.“ „Das habe ich mir gedacht.“ Ein kaltes Lächeln blitzte auf Kous Gesicht auf, bevor er sich zum Gehen wandte. Er würde mit Freude jeden aus dem Weg räumen, der es wagte, Asano in die Quere zu kommen. Jeden. Bis auf… Seine Hand klammerte sich fester um die Zeitung, die er noch immer bei sich trug. Mit einem Mal fühlte er sich merkwürdig zerrissen. Jeden bis auf… Er hatte die Hand bereits auf die Türklinke gelegt, als er spürte, wie Asano hinter ihn trat. „Warte noch.“ Seine Stimme war gedämpft, nahe bei Kous linken Ohr. Ein kleiner Schauder durchlief ihn vom Scheitel bis zu den Zehen. Völlig unbewusst hielt er die Luft an. Asano war ihm so nahe, dass Kou glaubte, seinen Atem im Nacken spüren zu können. Dort, wo seine Fingerspitzen ihn berührten, bekam er eine Gänsehaut. Was war das nur für ein Gefühl? Plötzlich kam die Erinnerung an den Tag, als Asano ihn im Onsen überrascht hatte, wieder in ihm auf. Die Erinnerung daran, wie er sein Hemd aufknöpfte. An seine breiten, muskulösen Schultern. Doch dann trat Asano von ihm zurück und das Bild vor Kous innerem Auge verschwamm. Langsam senkte er den Kopf und warf einen Blick auf die feingliedrige Silberkette, die Asano ihm umgelegt hatte. An ihr lastete ein flaches, ebenfalls silberfarbenes Amulett. Ein Tiger war darauf eingraviert – das Wappentier des Asano-Clans. Überrascht wandte sich Kou Asano zu, doch dieser hatte ihm, bereits den Rücken zugekehrt und starrte durch das Fenster hinter dem Schreibtisch auf den Garten des Anwesens hinab. „Trag sie immer bei dir.“ Obwohl Asanos Stimme genau denselben barschen Tonfall wie immer anschlug, konnte Kou sein rasendes Herz nicht beruhigen. Auch wenn Asano ihn nicht ansah, verbeugte er sich zum Dank. Und während er dabei den Blick nach vorn gerichtet hielt, meinte er für einen kurzen Augenblick in der Spiegelung des Fensters so etwas wie den Anflug eines Lächelns auf Asanos Gesicht aufblitzen zu sehen. *** Die Cocktailparty fand in der obersten Etage des Takaeda-Hotels in Roppongi statt. Marmorböden, gläserne Aufzüge, Designermöbel. Schlicht und elegant und kalt. Es hätte keinen passenderen Ort gegeben. Kou fühlte sich in dem Anzug, den Asano für ihn hatte anfertigen lassen, mehr als unwohl. Nur die beiden 38er, die er unter dem Jackett verborgen trug, gaben ihm Sicherheit. Immer wieder ließ er argwöhnische Blicke über die versammelten Gäste schweifen. Verschlagen wirkende Männer in Anzügen, die ganz sicher nicht von der Stange stammten, die ihre Arme um die Taillen schöner Frauen in nicht minder teuren Kleidern schlangen. Widerlich. Wer von ihnen mochte es auf Asano abgesehen haben? „Entspann dich. Er ist nicht hier.“ Obwohl Asanos Stimme gesenkt war, musste Kou sich zwingen, nicht vor Schreck zusammenzuzucken. Manchmal schien es ihm, als könnte Asano seine Gedanken lesen. „Was denkst du? Welcher von denen ist das schwärzeste Schaf?“ Kou ließ seinen Blick noch einmal über die Gäste schweifen. „Vermutlich du.“ Asano schnaubte und Kou meinte, ein verhaltenes Lachen darin zu erkennen. Beinahe so, als habe er seine Bemerkung als Kompliment aufgefasst. Noch während Kou das dachte, kam ein älterer Herr in grauem Nadelstreifenanzug auf sie zu. Die Zeit hatte tiefe Furchen in seine Züge gegraben, doch er wirkte ganz und gar nicht senil. Im Gegenteil: Seine Augen funkelten wacher als die der meisten anderen Männer in diesem Raum. Kou fühlte sich von ihnen unangenehm durchleuchtet. „Asano!“ Die Stimme des Mannes klang rustig, doch sein Händedruck war voller Kraft. „Kagami. Wie laufen die Geschäfte?“ „Oh gut, gut. Das neue Kasino wirft ordentlich Gewinn ab“, Kagami lachte rau, ehe sich seine lebendigen Augen wieder Kou zuwandten. „Und wer ist dieser junge Mann hier? Ein neuer Tiger?“ „Das ist Kou. Er kümmert sich um die Bilanzen“, gab Asano ohne das geringste Zögern zurück. Offensichtlich hatte er sich diese Lüge bereits lange vorher zurechtgelegt. Kou verbeugte sich vor Kagami, sagte jedoch nichts. Dass die beiden Yakuza über ihn sprachen, bedeutete noch lange nicht, dass er auch als Teilnehmer dieser Unterhaltung zugelassen war. Und er sollte Recht behalten: Kagamis Augen flackerten ohne Umschweife von ihm zu Asano zurück: „Bei deinen Geschäften wundert es mich, dass du mit einem auskommst. Vielleicht sollte ich auch in die Kreditwirtschaft einsteigen.“ Noch einmal lachte er kurz und rau auf, ehe er sich verabschiedete und erneut in der Menge verschwand. Und so ging es den ganzen Abend weiter. Irgendwann gab Kou es auf, sich die vielen Namen und Gesichter einprägen zu wollen und konzentrierte sich einzig und allein darauf, etwaige Auffälligkeiten im Verhalten der Gäste auszumachen. Auch wenn Asano Entwarnung gegeben hatte, war er schließlich immer noch zu seinem Schutz abgestellt. Zu seinem Glück nahmen die meisten Yakuza keinerlei Notiz von ihm, sodass er sich voll und ganz auf seine Arbeit konzentrieren konnte. Als Begleiter Asanos wurde seine Anwesenheit auf dieser Party zwar geduldet, doch es reichte nicht darüber hinaus. Und so konnte es von ihm aus auch bleiben. Kou fiel auf, dass Asano den ganzen Abend über nicht einen Schluck Alkohol trank. Er nahm zwar immer wieder ein Glas von einem der Tabletts und hob es zum Mund, stellte es dann aber unauffällig wieder irgendwo ab, ohne daraus getrunken zu haben. Beinahe so als würde er auf etwas warten, wofür er sich einen klaren Kopf bewahren wollte. Doch die Stunden vergingen, ohne dass etwas Ungewöhnliches geschah. Es war bereits halb drei Uhr morgens, als Asano endlich sein Handy aus der Brusttasche seines Jacketts zog und eine Kurzwahl anrief: „Ich bins. Wir sind hier fertig. Ja. Ja.“ Dann nickte er Kou zu und führte ihn in Richtung des Ausgangs. Im Gehen verabschiedete er sich von Kagami, woraus Kou schloss, dass er wohl der Gastgeber der Veranstaltung sein musste, ehe sie in einen der gläsernen Aufzüge traten und in die Hotellobby hinunter fuhren. Von den zahlreichen Empfangsschaltern war nur noch ein einziger besetzt. Die junge Frau, die dort Dienst schob, hatte Kopfhörer aufgesetzt und die Nase tief in einem dicken Buch vergraben, sodass sie Kou und Asano nicht einmal bemerkte. Draußen vor dem Eingang wartete bereits eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben auf sie. Kou konnte es kaum erwarten, endlich nach Hause zu kommen. Immerhin war er schon seit mehr als 30 Stunden auf den Beinen – das kurze Nickerchen, dass er gehalten hatte, kurz nachdem Asano ihn am Mittag in sein Arbeitszimmer gebeten hatte, nicht mitgezählt. Er seufzte leicht, als er plötzlich im Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Kou und Asano stoben auseinander. Eine Kugel schlug in eine der hinteren Fensterscheiben der Limousine ein und hinterließ spinnwebenförmige Risse im kugelsicheren Glas. Völlig synchron rissen Asano und Kou ihre Pistolen aus den Jacketts und eröffneten ebenfalls das Feuer. Keine ihrer Kugeln traf ihr Ziel. Ein Schatten bog in eine nahe Seitengasse ein. Kous Müdigkeit war wie ausgelöscht. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern nahm er die Verfolgung auf. Er konnte seinen Gegner nicht sehen, doch seine Schritte hallten verräterisch durch die stillen Hinterhöfe. Rechts, links, dann wieder links. Dann nichts mehr. Außer Atem verlangsamte Kou seinen Schritt. Eine Sackgasse. Wie war das möglich? Aufmerksam suchte sein Blick die Umgebung ab. Zum Bersten gefüllte Container standen an grauen Betonwänden aufgereiht. Der Müll hatte sich bis auf die schmale Gasse ausgebreitet. Irgendwie kam ihm das alles merkwürdig vertraut vor. Er kannte diesen Ort... Plötzlich vernahm er hinter sich ein Geräusch. Auf der Suche nach Deckung hechtete er auf einen der Container zu, doch es war zu spät. Die Kugel riss eine tiefe Furche in seine Schulter. Für einen kurzen Augenblick machte der stechende Schmerz ihn blind. Reflexartig presste er die Hand auf seine Schulter. Blut sickerte darunter hervor. Seine Knie gaben nach. Wieder ein Geräusch. Ohne zu zögern riss Kou seine Waffe hoch – und erstarrte. „Asano...!“ Langsam ließ er den Arm sinken. Der Angreifer war vermutlich längst über alle Berge. „Was machst du?“, fuhr Asano ihn an, packte ihn unter dem unverletzten Arm und zog ihn zurück auf die Füße. „Er ist mir entkommen.“ Die Erkenntnis übermannte ihn. In diesem Augenblick war sein Selbsthass so groß, dass er den Schmerz in seiner Schulter kaum noch spürte. Er hatte versagt. Er hatte Asano Geleitschutz bieten sollen und er hatte versagt. Er konnte spüren, wie seine Augen feucht wurden und ballte die Hände zu Fäusten. Verdammt. Er war so nutzlos... „Der Anzug ist hin“, stellte Asano fest, als sei das seine einzige Sorge. „Los, gehen wir.“ Damit kehrte er Kou den Rücken zu und führte ihn ohne ein weiteres Wort durch die verschlungenen Gassen zum Hotel zurück, wo die schwarze Limousine noch immer auf sie wartete. Kaum hatten sie beide auf dem Rücksitz Platz genommen, fuhr der Wagen los. Kou hatte das zerschlissene Jackett ausgezogen und drückte es auf seine Wunde, um die Blutung zu stillen, während er frustriert aus dem Fenster starrte. Er hatte noch nie einen Auftrag vermasselt. Warum gerade heute? Ausgerechnet heute. Seine Sicht verschwamm. Reklamen und Straßenlaternen flogen an ihnen vorbei und plötzlich zuckte Kous Kopf zu Asano herum: „Das ist nicht der Weg zum Anwesen.“ „Wir fahren zu meinem Penthouse. Das ist sicherer.“ „Ah...“ Kou hatte noch nie einen von Asanos privaten Unterschlüpfen betreten. Aus irgendeinem Grund machte ihn der Gedanke daran nervös. Doch in diesem Augenblick hatte er weder den Mut noch die Kraft, Asano zu widersprechen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)