REM-SLEEP Disorder von Nagakami (So lange bis er aufhört zu existieren) ================================================================================ Prolog: Memoriam ---------------- „Sir? Darf ich Ihnen eine Frage stellen?“ Unzählige Minuten der Überwindung hatte es ihn gekostet diese Bitte auszusprechen. Zuvor hatten sich lediglich seine Fingernägel tiefer in die Handflächen gebohrt, je größer seine innere Anspannung wuchs. Zitternd ruhten die geballten Fäuste auf seinen Oberschenkeln. Er konnte spüren, dass die halbmondförmigen Abdrücke, die sich in seine Haut gegraben hatten, Spuren hinterlassen würden. Mit einer gehobenen Augenbraue löste der Mann, der ihm gegenüber hinter einem wuchtigen Schreibtisch saß, seine Augen vom Monitor und richtete sie auf ihn. Mit einer kleinen Bewegung schob der alte Mann seine Brille zurück, die ihm beim Lesen etwas vom Nasenrücken gerutscht war. „Nur zu, mein Junge“, antwortete er, ohne den Hauch des Interesses in seiner Stimme. Eren konnte nicht anders, als seine Krawatte ein Stück zu lockern, die ihm im Augenblick die Kehle zu schnürte. Ein Teil in ihm wehrte sich mit gewaltiger Inbrunst diese Frage zu stellen, doch der andere Teil glaubte ohne eine Antwort nie wieder auch nur Nacht in Frieden schlafen zu können. „Haben Sie es damals gewusst?“ Unweigerlich nachdem Eren dies aussprach hielt er inne. Er musste sich korrigieren. „Hat es Sibyl gewusst?“ Dem Alten perlte ein nachdenklicher Laut von den Lippen, als er sich in seinem Drehstuhl zurücklehnte und mit der Hand über den längst ergrauten Bart fuhr. „Sibyl ist nicht allmächtig, aber unfehlbar. Wir können seinen Verlust nur betrauern.“ Eren bedankte sich leise für die Antwort – Auch wenn es genau das war, was er nicht hören wollte. Die ganzen letzten Nächte hatte er schlaflos in seinem Bett gelegen oder mit leerem Blick vor seinem Schreibtisch gesessen und die Tastatur seines Computers angestarrt. Sein Kopf konnte nicht begreifen, dass die Zeit nach der „Stunde 0“ einfach weiter tickte. Der Mann ihm gegenüber schnalzte mit der Zunge, riss Eren somit aus seinen Gedanken. „Um auf deinen Bericht zurück zu kommen“, waren die letzten Worte des Alten, bevor das Rauschen in Erens Ohren lauter wurde. In seinen Gehörgängen dröhnten nur die Fressgeräusche der Erinnerungen, die an seinem Verstand nagten. Wie viel konnte ein Mensch ertragen bis er vollends gebrochen war? Wie lange konnte man eine Seele schinden und schlechten bis kein Funke der eigentlichen Menschlichkeit mehr übrig war? Wie lange dauerte es bis ein Monster geschaffen war? Eren hatte sich einen Mentor gewünscht, der ihm all diese Fragen beantwortete. Stattdessen war er selbst auf die Antworten gestoßen und verfluchte sich nun für seine Neugierde. Er war einem Mann begegnet, der auf nackten Füßen durch die Hölle gegangen war. Und dieser Mann war verantwortlich dafür, dass er seinen Glauben an das Sibyl-System verlor. Man konnte Kriminelle nicht von gutbürgerlichen Menschen unterscheiden. Man konnte sie einfach nicht anhand einer Zahl beurteilen oder verurteilen. Er hatte alles dafür getan, um einen Platz beim Ministry of Welfare's Public Safety Bureau zu bekommen. Denn die Bösen zu jagen, war für ihn eine Art Bestimmung gewesen. Nun wusste er allerdings, dass das Böse keine Zahl war. Das Böse war der Abgrund, in welchem sich jeder Mensch verlieren konnte. Als der Alte sich räusperte, stieß Eren ein leises Seufzen aus. Vorsichtig blickte er von seinen Händen auf und schaute in die kalten, grauen Augen, welche ihn wieder forschend betrachteten. „Du bist noch sehr jung, Eren, aber du hast ein bemerkenswertes Potential. Ich dachte, dass ich vor sechs Jahren die erste und einzige Ausnahme gemacht hätte, als ich die Devision 1 in die Hände zweier Frischlinge legte. Sie waren damals in deinem Alter. Wusstest du das?“ Eren presste seine Kiefer so hart aufeinander, dass er für einen Moment glaubte seine Zähne würden unter dem Druck zerspringen. Ohne ein Wort zu sagen, rang er sich ein Nicken ab. „Man hat mir davon erzählt, Sir.“ Und nun war er Senior Inspector der Devision 1. Als könnte man die Dinge ungeschehen machen, indem man sie einfach ersetzte. „Morgen wirst du deinen neuen Partner in Empfang nehmen. Zusammen begebt ihr euch zur Isolation Facility und holt die neuen Enforcer ab, die Sibyl für euch ausgesucht hat.“ Kaum hörte er das Wort „Enforcer“ sprang Eren vom Stuhl auf. Sein Gesicht hatte binnen weniger Sekunden jegliche Farbe verloren. „Sir! Ich weiß, dass ist eine ungewöhnliche Bitte, aber gäbe es die Möglichkeit, dass wir-“ „Unter keinen Umständen. Er wird nicht noch einmal eingesetzt.“ Die Worte waren unmissverständlich. Dann senkte Zackly jedoch seine Stimme. „Glaub mir, es ist besser, wenn er niemals mehr das Tageslicht erblickt.“ Auch die letzte Hoffnung war somit im Keim erstickt worden. Es machte keinen Sinn noch länger zu versuchen oder darauf zu beharren. Eren mussten es einsehen: Sie würden ihn nie wiedersehen. Eren verbeugte sich angemessen, eh er seine ausgestreckte Hand zu einem kurzen, aber ehrfürchtigen Salut an die Schläfe hielt. „Verstanden!“ Leise zog er hinter sich die Bürotür ins Schloss, als er dieses verlassen hatte. Auf einem Stuhl, der neben mehreren anderen an der Wand stand, saß Jean. Vorgebeugt, die Unterarme auf seine Knie gestützt und das Gesicht zum Boden gewandt. Eren war nicht überrascht, den Enforcer hier zu sehen. Die ganze Zeit hatte er die Vorahnung im Nacken gespürt, dass Jean vor der Tür warten und ihn abfangen würde. „Was hat Zackly gesagt?!“ Jeans Stimme war rau und kalt. Eren hatte mit ansehen müssen, wie auch aus diesem Mann das letzte Quäntchen einer menschlichen Emotion gewichen war. „Er hat gesagt-“ Eren konnte es nicht aussprechen. Wenn er in das ausgezehrte, zermürbte Gesicht des Enforcers blickte, wollte sich sein Magen herum drehen. „Er sagte, wir können nichts anderes machen als seinen Verlust zu betrauern. Es tut mir leid, Jean.“ „Ausgerechnet dir tut es leid? Du warst der Einzige, der ihn hätte aufhalten können, als es noch nicht zu spät war! Verdammte scheiße, du hättest alles verhindern können!“ Jean schaute mit einmal auf. „Ich mach dich kalt“, fügte er leise hinzu. Eren hatte kaum die Kraft standzuhalten, als sich das Gesicht des Anderen zu einem Grinsen verzog, das er schon einmal gesehen hatte. Als Eren an seinem ersten Arbeitstag zum ersten Mal einen Dominator in seinen Händen gehalten hatte, wusste er nicht was ihn erwarten würde. Doch jetzt wurde ihm bewusst, es wäre besser gewesen wenn er es nie herausgefunden hätte. 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