Der letzte Raubzug 2 von Cookie-Hunter (Die Suche) ================================================================================ Kapitel 3: Schatten der Seele ----------------------------- Klaviermusik war im ganzen Anwesen zu hören. Traurige, schwere Noten der Einsamkeit, die jedem, der sie hörte, das Herz schwer werden ließ. Von den vielen neuen Instrumenten, die Camui in den letzten Monaten erlernt hatte, war ihm dieses eines der Liebsten. So schwermütig wie sein Gemüt wanderten seine Finger über die Tasten, schlugen die tiefen, dunklen Töne an. Auf sein Geheiß hin, hatte sein Fuchs ihm Kompositionen der Menschen gebracht, aber es waren vor allem fröhliche Stücke, nach denen ihn so gar nicht zumute war. Auch die Arbeit lenkte ihn nicht sonderlich ab. Im Gegenteil: Sie schmerzte ihn. Die, die ihren eigenen Schmerz nutzten, um zu schaffen, brauchten seine Hilfe nicht. Und die, die Freude und Glück als leitendes Motiv haben wollten, denen konnte er nur unter Aufbringung all seiner Kraft weiter helfen. Nur noch ein paar einzelne Töne, dann verklang sein Spiel. War er es eigentlich noch würdig, ein Gott zu sein? Richtig helfen konnte er nicht mehr, lieferte nur drittklassige Arbeit ab, die jeder seiner Diener besser verrichten könnte. „Ach Hideto“, seufzte der Schwarzhaarige. „Bist du dir eigentlich bewusst, was du mir angetan hast?“ Müde stand er von dem Klavier auf. Es war keine körperliche, vielmehr eine seelische Müdigkeit. Trotzdem zog es ihn in seine Gemächer, wo ihn zwar auch nur Leere erwartete, aber er wollte die Augen schließen. Auf diese Weise die Zeit dazu bringen schneller zu vergehen. Bis sie ihn fanden. „Herr?“ Sein Schatten. Der immer wusste, was in ihm vorging, aber dennoch fragte. Und ihm in letzter Zeit oftmals auf die Nerven viel mit seinen Versuchen ihn aufzuheitern. Seufzend blieb er stehen, sah abwartend zu dem Anderen, welcher ein Klemmbrett hoch hielt. Sein Lieblingsgegenstand, seit er ihn auf der Erde erstanden hatte. „Arbeit?“, fragte der Gott gelangweilt. „Ja. So wie Ihr es wolltet, bin ich stets auf der Suche nach Menschen, die eurer Hilfe bedürfen.“ Er hatte es angeordnet. Das war wahr. Aber es ermüdete ihn auch. Nachdenklich sah er den Gang hinunter, wo es weiter zu seinem Schlafgemach ging. Die Vorstellung sich dorthin zurück zu ziehen, war wirklich verlockend. Langsam drehte er sich wieder zu dem Fuchs und sah auf den Gegenstand in dessen Hand. Abermals seufzend nahm er das Klemmbrett an sich und warf einen Blick auf das beschriebene Papier. Wieder einmal quer durchs Land, selbst auf ein paar sehr entfernte Inseln. Camui reichte die Zettel wieder zurück. „Die Kutsche steht bereit, nehme ich an?“ Ein Nicken. „Dann lass uns aufbrechen.“ Seufzend saß der Fuchs seinem Herren gegenüber, während die Kirin die Kutsche zu ihrem nächsten Ziel zu brachten. „Das war jetzt der zehnte innerhalb der letzten zwei Stunden. Was passt dir nicht?“ Ein wenig bockig verschränkte der Gott seine Arme. Wollte sein Diener wirklich die Arbeit kritisieren, die er eben gemacht hatte. Ein ganze Melodie. Praktisch aus dem nichts, hatte er sie dem jungen Künstler geschenkt. „Er wollte ein Liebeslied, um der Frau, der er sein Herz schenken will, seine Gefühle zu offenbaren. Musste es da so eine traurige Melodie sein?“ Verstimmt funkelte er den Diener an. „Er wird ihr mit diesem Lied zu verstehen geben, dass er ohne sie nicht leben kann. So ist es nun einmal, wenn man liebt.“ Der Andere tat ja geradewegs so, als hätte er eine Ahnung, wovon er sprach. Leicht schüttelnd senkte sein Gegenüber den Kopf, seufzte erneut: „Ich denke nicht, dass Hideto-sama sich gewünscht hat-“ „Dann hätte er nicht gehen dürfen!“, polterte Camui. Die ganze Kutsche wackelte ein wenig, verschreckte die Kirin. Schnaubend beschwerten sie sich über den Vorfall, setzten ihren Weg jedoch gleich darauf fort. Um Fassung ringend setzte er sich wieder hin, starrte Zähne knirschend aus dem Fenster. „Dann hätte er nicht gehen dürfen“, wiederholte er leise, spürte bereits, wie ihn die Trauer abermals überwältigen wollte. Die Zeit verging schweigend und sie näherten sich ihrem Zielort. Langsam und in einer großen Spirale gingen die beiden Drachen tiefer, landeten weich auf dem Boden. „Der letzte Termin für heute“, informierte der Fuchs den Gott, welcher, ohne den Anderen auch nur noch einmal anzusehen, aus der Kutsche stieg. Weil sie sich noch immer in der Dimension der Götter befanden, war es für ihn ein leichtes direkt durch die Tür und somit ins Innere des Hauses zu kommen. Halb interessiert sah er sich um. Ein schlichtes, kleines Heim, mit ein wenig Chaos darin. In der Küche stapelte sich das Geschirr, der Mülleimer wollte geleert werden. Wer oder was ihn wohl sonst noch erwartete. Unterdrücktes Fluchen drang an sein Ohr. Zigarettenrauch in seine Nase. Camui folgte beidem in das Wohnzimmer, wo er einen Mann an einem niedrigen Tisch sitzend fand. Eine kleine, schwache Lampe unter der Decke, versuchte ihr möglichstes, um ein wenig Licht in den Raum zu bringen. Überall lag Papier herum, gemischt mit Zigarettenschachteln. Auf dem Tisch stand ein Aschenbecher, zum bersten gefüllt. Auf dem Boden lag ein Mann, zusammengerollt und mit leerem Blick. Langsam trat Camui näher. Der Mann konnte ihn zwar unmöglich sehen, aber er hielt es für angebracht. Vorsichtig kniete er sich neben die traurige Gestalt. „Nun verrate mir, warum du mich gerufen hast“, flüsterte er und streckt die Hand aus, berührte die Stirn des Menschen. Er sah Leid, Trauer und wie der Mensch durch einen Autounfall die Frau verloren hatte, die er so sehr liebte. „Ich kann dich sehr gut verstehen.“ Der Mann war Musiker, wenig erfolgreich und stand kurz davor dieses Haus zu verlieren. Camui wandte sich den Zetteln auf dem Tisch zu, betrachtete die Noten und den Text. Offensichtlich war das Ereignis noch zu frisch, als dass der Mensch sich konzentrieren konnte, doch er wollte seinen Schmerz zu Papier bringen. „Ich werde dir helfen.“ Sacht strichen seine Finger über das Papier, woraufhin ein paar der aufgemalten Zeichen verschwammen und sich an anderen Stellen neu manifestierten. Fehlten nur noch die Worte. Seine Fingerspitzen legten sich auf die Brust des Mannes, gaben dem schmerzenden Herzen einen kleinen Impuls. Nun sollte nicht mehr der Verstand die Feder führen. Leicht erschrocken riss der Mann die Augen und setzte sich senkrecht hin. Sofort stürzte er an den Tisch, suchte nach einem Stift und einem noch unbeschriebenen Blatt. Eifrig kratzte die Mine des Bleistiftes über die weiße Leere, füllte sie mit den Empfindungen des Mannes. Von hier an, würde er allein zurecht kommen müssen. Statt wie sonst sofort zurück zur Kutsche zu gehen und damit den Heimweg anzutreten, sah er dem Mann noch ein wenig zu, betrachtete dessen Gestalt und die Umgebung. Erst jetzt fiel ihm der kleine Altar auf, bei dem Räucherstäbchen herunter gebrannt waren und in dessen Mitte ein Bilderrahmen stand. Eine Frau, eher schlicht. Nicht hässlich, aber unscheinbar. Mit warmem Blick. Jener erinnerte ihn an seinen Hideto und dessen funkelnden Blick. Sein eigener wanderte noch mal über die Unordnung hier, er erinnerte sich an das Chaos in der Küche, wo er vorhin einen Blick hatte hinein werfen können vom Flur aus. Und der Mensch selbst... In seiner Trauer hatte dieser neben dem Haus auch sich selbst vernachlässigt. Erinnerungen blitzten auf. Von dem Tempel, der in seinem letzten Menschenleben sein Heim gewesen war. Ein abgedunkelter Innenraum und ein von Trauer zerfressener Hideto, der vor dem Heiligtum kniete. „Stimmt ja“; hauchte er. Für ein paar Tage war auch er für seinen Liebsten 'gestorben'. Damals musste er sich ähnlich gefühlt haben, wie der Gott seit einigen Monaten. Aber dann das Funkeln und wie die Lebensfreude wieder in ihn zurück gekehrt war. Ein so schöner Anblick. Wenn sie sich nun wieder sahen, wie würde es dann wohl sein? Wäre nur er selbst derjenige, der wieder aufblühen würde? Damit es ihnen beiden so erging musste Hideto sich schließlich erinnern. Seufzend hielt er sich eine Hand an die Stirn. „Dieses Mal werden die Rollen wohl vertauscht sein.“ Draußen hörte er die Kirin gähnen und wie sie mit ihren Krallen scharrten, um ich die Zeit zu vertreiben. Vom vielen Reisen heute waren sie sicherlich erschöpft. Zeit, den Heimweg anzutreten. Ein letztes Mal sah er den Menschen an, dann wandte er sich ab und verließ das Haus. Vor dem Gefährt wartete sein Begleiter. Dieses Mal keine Kommentare zu seiner Arbeit, keine Bemerkung über seine Gefühlslage. Er öffnete seinem Herrn einfach nur die Tür, folgte ihm hinein. An den Rand seiner heißen Quelle gelehnt, starrte er in den Sternenhimmel. Irgendwie wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen, woran er sich bei dem letzten Menschen, den er heute besucht hatte, erinnerte. Der traurige Hideto, der ihm so sehr hinterher getrauert hat. Gefolgt von Freude, Ohnmacht und schließlich hatte er mit ansehen müssen, wie er erneut zerbrach, nachdem Camui ihm erzählt hatte, dass er sich nicht erinnern könne. „Und das alles steht nun mir bevor?“ Fühlen wollte er es nicht. Eine gerechte Strafe wäre es allerdings. Aber erst mussten sie ihn immer noch finden. Bis zur Geburt würde es noch dauern, wenn er richtig lag. Trocken lachte er auf. Früher dauerten Jahre nur wenige Wochen, ein Jahrzehnt war wie ein paar Monate. Und nun war ihm als würde die Zeit ein paar Gänge runter schalten. Ihn quälen wollen mit ihren unendlichen Tagen und Nächten. So war die Zeit des Wartens einfach nur eine Qual. Grummelnd tauchte er unter. Existieren wollte er ja. Aber nicht leiden. Er tauchte unter, stieß sich etwas vom Rand ab und schwamm einmal bis zum anderen Ende, wo er wieder auftauchte. Vielleicht war er durch dieses Leiden und das Wissen um die Liebe der menschlichste unter seinen Schwestern und Brüdern. Half ihm aber auch nicht dabei sich besser zu fühlen. Der Mensch, den er am Abend besucht hatte: Wie würde er sich in ein paar Tagen oder Wochen fühlen? Würde er es schaffen sich wieder besser zu fühlen? Camui würde seinen Fuchs damit beauftragen regelmäßige Besuche bei jenem einzuplanen. Wenn ein Mensch das schaffte, war er als Gott doch erst recht in der Lage. Und... Und er sollte Aizen-Myoo besuchen und ihn über sein Wissen ausfragen. Den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen und die leeren Arme weit ausgebreitet stand er da. Wie gerne würde er seinen Liebsten halten? „Ich werde dich finden. Und dich hier unter dem Sternenhimmel wieder in den Armen halten können“, versprach er dem Wind und ließ sich nach hinten ins Wasser fallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)