Eisprinzessin von Daelis (Ein Adventskalendermärchen) ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Der Dorfälteste führte ihn zum Rand des Dorfes, schweigend, bis sie die alte Erle erreichten, die das Grab des Dorfbegründers markierte. Erst dort räusperte er sich und begann leise zu sprechen. „Sag mal, Nistrim, wie geht es deiner Familie so?“ „Gut.“ „Schön. Und den Kleinen? Immer noch so wild?“ „Ja“ „Hm.“ Der Alte zögerte. „Du hast wohl nicht zufällig in letzter Zeit seltsame... Träume, oder?“ „Träume?“ „Mh... eher Alpträume? Schnee und Wälder?“ Nistrim schluckte und nickte. Das kam seinen Träumen doch ziemlich nahe. Der Alte nickte nur wieder. „Verstehe.“ Er klang nicht überrascht. Anders als Nistrim, als dieser nachfragte „Woher wisst Ihr davon?“ Es dauerte eine Weile, bevor der Alte stockend zur Antwort ansetzte. „Nistrim, du kennst doch die alte Legende von der Schneeprinzessin Kaguya, oder?“ Nun war es an Nistrim zu stocken. „J-ja, das schon, aber...“ „Aber du glaubst natürlich nicht mehr an solche Geschichten.“, vollendete der Alte den Satz und ein mattes Lächeln huschte über seine Züge. „Nur fürchte ich, dass in jeder Geschichte, jedem Märchen, jeder Legende, jeder Fabel, ein kleines Stückchen Wahrheit steckt. Weißt du, als ich noch klein war, da wurde dieses Märchen anders erzählt als heute. Ich weiß auch nicht, wieso es sich änderte, aber entscheidend ist, dass diese Geschichte sich nun wiederholt. Dass sie sich immer wiederholte.“ Sie gingen schweigend zurück ins Dorf. Außer den knappen Rat, gut auf sich achtzugeben, hatte der Alte nichts mehr gesagt, sodass Nistrim völlig verwirrt neben ihm durch den Schnee stapfte. Der Alte wandte sich mit einem Kopfnicken gen Dorfmitte, wo er wohnte und auch Nistrim wandte sich gen heimatlichen Herd. Sein Bruder war bereits zuhause, hatte seine Frühschicht beendet und fütterte gerade hingebungsvoll seinen jüngsten Spross, wobei Nistrim hätte wetten mögen, dass ohnehin die Hälfte auf dem Wams seines Bruders landete. Still setzt sich Nistrim dazu und wurde prompt mit einem Lächeln und einem munteren „Hallo Nis.“ begrüßt.“Hast du wieder schlecht geschlafen?“ So harmlos die Frage auch klang, war Nistrim doch klar, dass er sich sehr sorgte, denn sein Bruder sprach selten über unwichtige Dinge. Sie hatten schon oft darüber gesprochen, warum Nistrim nachts schrie, schluchzte, aufwachte. Als Nistrim nicht antwortete, nickte Korentan nur. „Verstehe, immer noch der gleiche Traum?“ Ich habe das Gefühl er kommt immer häufiger.“ Er hatte nur ausgesprochen, was Nistrim längst wusste, dennoch durchfuhr es ihn kalt, als er beklommen nickte. Korentan schwieg und blickte bedrückt und besorgt zu seinem Bruder. Er wusste, dass er gegen Träume nichts unternehmen konnte. „Und wenn du mal...?“ „Da war ich vorgestern.“ „Und? Was sagt sie?“ Nistrim zuckte mit den Schultern. Die alte Kräuterheilerin hatte auch nicht mehr gesagt als „Es sind nur Träume, vergiss sie.“, so untypisch dies auch für sie war, denn sonst sah sie in ungewöhnlichen Dingen stets die Zeichen der Zukunft und Träume gehörten da stets zu ihren Lieblingen. Doch dieses Mal deutete sie den Traum nicht, gab keinen weisen Rat. Korentan blickte entgeistert. „Nichts?“ Nistrim blickte fest auf die Tischplatte. Es tat ihm weh zu sehen, wie besorgt sein Bruder seinetwegen war. „Der Dorfälteste hat eben mit mir gesprochen. Er... Er sprach auch die Träume an.“ Korentans Miene hellte sich auf. „Was sagt er?“ Nistrim schüttelte den Kopf. „Nur, dass ich achtgeben solle und etwas wie dass sich das Schneekönigin-Märchen wiederhole. Klang wirr.“ „Das Märchen von der Schneekönigin?“ Nun wirkte auch Korentan ziemlich verwundert. Er stand auf, trat an das schmale Regal heran, dass neben dem Kamin stand und nahm ein altes Märchenbuch heraus. Er konnte zwar genausowenig Lesen wie Nistrim, doch Nistrim war sich sicher, dass sich sein Bruder beim Anblick der bebilderten Seiten genauso gut wie er an ihren Vater und die Stunden, in denen er aus diesem Buch vorlas, erinnerte. Korentan setzte sich wieder, nahm seinen Jüngsten auf den Schoß und sah ihn an. „Soll Papa dir ein Märchen erzählen?“ Der Kleine klatsche begeistert in die Hände und brüllte „Ja, ja, Märchen!“ Nistrim und Korentan mussten beide lachen, so sehr erinnerte sie dies an sie selbst, als sie noch klein waren. Mit ruhiger Stimme begann Korentan zu erzählen, während er die Seiten des Buches umschlug. „Es war einmal vor sehr sehr langer Zeit, als die Menschen gerade erst hier in den Norden gezogen waren und der Winter viel gefährlicher war, als er es heute ist. Damals fürchteten die Menschen die Kälte und den Schnee, denn sie glaubten in der kältesten Nacht des Jahres jemanden des Nachts durch den Schnee gehen zu hören und tatsächlich berichteten die Wenigen, die einen Blick aus dem Fenster wagten, dass diese Schritte nicht nur von dem leisen Geklingel von Glöckchen begleitet wurde, sondern dass sie sogar von einem jungen Mädchen stammten, oder vielmehr von einem Geist, denn das Mädchen hatte schneeweiße Haut und ebenso weißes Haar. Doch ihre Augen, so erzählten sie, seien blutrot und nur darum im Dunkel der Nacht zu erkennen gewesen. Die Dorfbewohner fürchteten sich und gründeten die Nachtwache. Sie sollte die Bewohner nicht nur vor Wölfen schützen, sondern auch vor diesem eisigen Besucher. Unter ihnen war ein besonders mutiger, junger Mann. Als er des Winternachts die Glöckchen klingen hörte und alle sich um den Kamin sammelten, zitternd und ängstlich, trat er an das Fenster, durch das man draußen den weißen Schemen des jungen Mädchens sah. Nachdem er ihren Schritten eine Weile mit Aug' und Ohr gefolgt war, nahm er allen Mut zusammen, griff seinen Dolch und trat in die Nacht hinaus. Schnee fiel auf seine Schultern und der Wind zerrte an seinem Mantel, als er die weiße Gestalt nahe dem Dorfplatz stellte. Das Mädchen zeigte keine Furcht und wich nicht zurück, doch das Herz des mutigen Jünglings ergriff Eiseskälte und Furcht. Doch noch bevor er sich umwenden konnte, war sein Blick gefangen von ihrem Antlitz und ihrer Schönheit. Unfähig sich abzuwenden, folgte er dem Mädchen aus dem Dorf heraus tief in die Nacht und den Wald hinein und ward nie mehr gesehen.“ Korentan macht eine Grusel-Geste in Richtung seines Jüngsten, der gebannt auf seinem Schoß saß und nun erschrocken quietschte. Nistrim konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen. „In den kommenden Jahren sah man die Schneeprinzessin nicht mehr, sondern fand nur ihre Fußspuren, die jedoch nicht mehr ins Dorf reichten. Dafür jedoch folgten ihren Spuren nun die eines Mannes und man erzählt sich, es seien die Spuren des tapferen Jünglings, der sein Herz an die Prinzessin verloren habe, deren eigenes Herz so vor Eis erstarrt war, dass all sein Werben vergebens war, denn nach Ablauf eines Menschenalters ward die weiße Wanderin wieder im Dorfe gesehen und noch heute berichten die Ältesten, dass sie solang wiederkam, bis ein Sterblicher sich unsterblich in sie verliebte und mit ihr ging, in der Hoffnung ihr Herz erwärmen zu können. Auch sagt man, sie sei verflucht und erst, wenn ein Jüngling ihr Herz erwärme, breche er und der Jüngling würde König des Nordens.“, endete Korentan die Geschichte. Als Nistrim sich an diesem Abend in seine Decke rollte, fühlte er sich viel erschöpfter, als er es nach einem solchen Tag hätte sein dürfen. Er hatte am frühen Abend noch geholfen ein Stalldach zu reparieren und war danach in die warme Stube heimgekehrt, wo er gemeinsam mit seinem Bruder und dessen Familie zu Abend gegessen hatte. Doch nun wühlte er müde auf seiner Matratze hin und her. Trotz seiner Erschöpfung fand er keine Ruhe. Korentans Geschichte von der Schneeprinzessin ging ihm nicht aus dem Sinn. Gab es dieses verfluchte Geistermädchen wirklich? Lief da draußen durch den Schnee tatsächlich eine Prinzessin herum, die einen Mann suchte? Unwillkürlich schauderte ihm. Unfug. So etwas gab es nicht. Nur ein Märchen. Mehr nicht. Jedoch wagte er es dennoch nicht, einen Blick nach draußen zu werfen, als er einen hellen Schemen durch das Fenster gewährte. Erst spät schlief er endlich ein und im Traum verfolgte ihn ein Schemen aus weißem Nebel, lief ihm nach durch das ganze schneebedeckte Dorf und bei jedem Schritt, den der Nebel näher kam, glaubte Nistrim den leisen Klang von Glöckchen oder Schellen zu hören. Mit unnötig lautem Getöse krähte der Hahn noch vor dem ersten Sonnenstrahl und Nistrim erwachte schweißgebadet und war zum ersten Mal froh über das überpünktliche Tier. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass es nicht mehr schneite und es wohl ein klarer, sonniger Wintertag werden würde. Wohl wissend, dass er ohnehin nicht wieder einschlafen würde, stand Nistrim auf, zog sich an und trat schon wenige Minuten später aus dem Hause in den jungfräulichen Schnee. Hier und da konnte er die Spuren von Vögeln ausmachen, die bereits herumhüpften und nach Beute suchten. Als er das Haus umrundete, fand er, was er nicht zu finden gehofft hatte. Fußspuren, die zu seinem Fenster hin und dann wieder zurück in den Wald führten. Sie waren klein, entweder von einem Kind oder einer Frau und wenn er sich nicht völlig täuschte, war der Verursacher barfuß hergekommen. Er konnte spüren, wie sich seine Nackenhaare aufstellten, als er den Abdruck mit den Fingerspitzen berührte, als müsse er ihn anfassen, um zu glauben, dass er echt war. Das musste ein makabrer Scherz sein. Es musste. Es gab schließlich keine Geister, keine Eisprinzessin und er hätte damit ja ohnehin rein gar nichts zu tun! Er atmete einige Male tief durch, um sich zu beruhigen. Vielleicht erlaubten sich auch nur Korentan und Maleika mit ihren Kleinen einen Scherz auf seine Kosten und waren schon hier spazieren gegangen. Selbst in Nistrims Gedanken klang diese Version schon wenig überzeugend. Unschlüssig starrte er auf die Fußspuren und folgte ihnen mit dem Blick zum Wald. Noch bevor er sich überhaupt dazu entschieden hatte, war er ihnen bereits zum Waldrand gefolgt. Der dichte Eichenwald sah aus wie immer. Es wehte ein leichter Wind, Schnee bedeckte den Boden und die Spuren der vielen verschiedenen Waldbewohner waren gut darin zu sehen und genau zwischen ihnen führte auch die Spur entlang, die ihn hergeführt hatte. Er trat ein paar Schritte ins Geäst hinein und es fühlte sich beinahe an, als verließe er nicht nur sein Dorf, sondern als schließe sich der Wald wie eine Tür hinter ihm. Ein prüfender Blick über die Schulter, für den er sich augenblicklich schämte, verriet ihm, das dem nicht so war. Natürlich nicht, schalt er sich selber, wieso sollte sich auch etwas verändern? Der Wald war der gleiche wie stets. Nistrim wandte den Blick wieder auf die Spur, als die ersten Sonnenstrahlen durch die Äste der kahlen Bäume fielen und den Schnee weiß glitzern ließen. Und dann, direkt vor seinen Augen, verschwand die Spur, schmolz im Sonnenlicht dahin und war binnen einiger Augenblicke auch schon verschwunden, als wäre sie nie da gewesen. Verwirrt und beunruhigt kehrte er ins Dorf zurück, das langsam zum Leben erwachte. Die ersten Frühaufsteher grüßten ihn, doch es erschien ihm distanzierter als sonst, nicht so herzlich, wie es sonst die Art Aller hier im Dorf war. Er hatte gerade die Kleinen verköstigt, als seine Schwägerin Maleika sich zu ihm an den Frühstückstisch setzte. „Morgen Nis.“ Sie klang ernst, das machte Nistrim Sorgen, denn ernst wurde sie nur bei schlechten Neuigkeiten. „Hör zu... Es geht um die Geräusche von letzter Nacht.“ Also hatte nicht nur er die Glöckchen gehört! „Die Fußspuren und die Glocken und auch der weiße Schemen.“, fuhr sie fort. „Das ist schon seit Tagen, nein seit Wochen so!“ Es sprudelte förmlich aus ihr heraus, das sah man ihr an. „Korentan wollte eigentlich nicht, dass du das erfährst. Er meint, das würde dich nur ängstigen, aber ich finde, du solltest das wissen. Alles wissen.“ Nistrims Neugier war geweckt. Maleika wusste also mehr und war bereit ihr Wissen mit ihm zu teilen. „Es kommt mit deinen Träumen, Nis, und du bist ihr Ziel!“ Nistrim wollte eigentlich lachen, doch angesichts der Spuren im Schnee und Maleikas ernstem Gesicht blieb es ihm im Halse stecken. Es war ihr bitterernst damit. „Nis, ich habe sie gesehen, als Kind. Am Dorfrand. Und nun ist sie es wieder, ich bin ganz sicher. Geh auf keinen Fall nach Einbruch der Dunkelheit mehr nach draußen, hörst du!?“, fuhr sie nun noch energischer fort. „Bleib drinnen, da bist du sicher. Sie kann nicht hinein. Wir stehen dir bei.“ Er nickte nur wie benommen und erst nach einer ganzen Weile wagte er zu fragen: „Du hast sie gesehen, Maleika?“ Die junge Frau nickte. „Ja, als ich 7 Jahre alt war.“ Nistrim schluckte und wartete, dass sie weitersprach, doch sie schwieg. „Und?“, fragte er schließlich. „Sie ist weiß, wie Schnee. Von Kopf bis Fuß. Noch fast ein Kind. Sie... sie sieht nicht gefährlich oder böse aus, aber sie ist es! Also tu nichts Dummes, sonst verdirbt sie dich und du wirst nach langem Leiden in Eis und Schnee sterben, genau wie Ian damals!“ Ian war ihr älterer Bruder gewesen, der gestorben war, als Maleika noch sehr jung gewesen war. Sie sprach sonst nie von ihm. Sein offen erstaunter Blick musste Bände sprechen, denn sie fuhr fort. „Er hatte auch Träume und dann, dann verschwand er und die Glöckchen und der Schemen auch. Damals sagten alle nur, er sei tot, sonst nichts. Nichts!“ Se kämpfte die Tränen nieder, die ihr bereits in den Augen standen. Nistrim war sich sicher, dass sie das alles noch nie jemandem erzählt hatte und er sah ihr an, wie schwer es ihr nun fiel. „Seinen Mantel haben sie gefunden, im Wald. Er wäre nie ohne diesen Mantel irgendwohin gegangen, er hatte ihn von unserer Mutter und liebte ihn sehr.“ Ihre Stimme überschlug sich beinahe vor Aufregung. Er drückte behutsam ihren Arm, um ihr Trost zu spenden und sie zwang sich zu einem matten Lächeln. Nistrim erwiderte das Lächeln dankbar. Sie war als Einzige im Dorf ehrlich zu ihm gewesen anstatt zu schweigen und zuzusehen, was geschehen würde. „Ich werde vorsichtig sein und tun, was du rätst. Danke, Maleika.“ Sie nickte und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Die nächste Tage krochen nur so dahin und jede Nacht hörte er das Geklingel der Glocken und manchmal glaubte er sogar jemanden an sein Fenster klopfen zu hören. Am Mittag des Jahreswechsels tobte bereits ein Schneesturm, der über die Nacht schlimmer zu werden versprach. Alle Dorfbewohner hatten sich bereits im Großen Saal versammelt und die Männer brachten noch Vorräte, Decken und Kleidung, damit alle auch über mehrere Tage versorgt werden konnten, wenn es nötig war. Nistrim war gerade an den Lagerschuppen herangetreten, in dem der Fleischer seine Waren räucherte, als er neben dem Schuppen eine junge Frau mit weißer Haut und ebenso weißem Haar sah. Sie stand still dort, barfuß im Schnee und nur mit einem dünnen weißen Leinengewand angetan. Als sie den Mund öffnete und der Wind ihr die Worte von den Lippen riss, glaubte er dennoch seinen Namen zu hören. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)