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Frieden finden

von

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Leslie stand vor Ruvik, Detective Castellanos einige Meter hinter ihm und vor den dreien ragte dieses riesige Gehirn, umspannt und verbunden mit Schläuchen und Kabeln in den trüben Himmel von Ruviks düsterer Gedankenwelt, in der sie sich schon seit Tagen befanden.

Der Ausweg schien nah, doch wie sollten sie es schaffen? Sebastian und die anderen Detectives waren alle der selbstverständlichen Überzeugung, dass Ruvik –oder das, was von ihm übrig geblieben war- eliminiert werden musste, damit alle fliehen konnten. Doch das war nicht sicher. Sie waren schließlich alle über die STEM-Maschine miteinander verbunden, also was passierte mit den Detectives und mit Leslie, wenn der Ursprung dieser Welt einfach verschwand? Was, wenn sie dadurch auch Schaden nehmen würden?
 

Leslie sprach nicht viel, und wenn, dann meistens nur wenig oder Unverständliches. Doch er war nicht dumm, auch er hatte sich viele Gedanken gemacht. Ruvik war hinter ihm her, um seinen Geist in seinen Körper zu pflanzen und so in die reale Welt zurück zu gelangen, in der er selbst keine physische Existenz mehr besaß und deshalb gezwungen war, in dieser mentalen Form über die STEM-Maschine zu existieren.
 

Diese von ihm erschaffene Welt spiegelte nicht nur die Schrecken wieder, die Ruvik selbst erschaffen hatte, sondern auch die, die er sein Leben lang selbst erleiden musste.
 

Durch die Verbindung aller Beteiligten auf Gedanken- und Gefühlsebene war besonders Leslie sehr empfänglich für dessen Gefühle und Gedanken. Er spürte den Hass, die Wut, den Wunsch nach Rache, doch er spürte auch Verzweiflung, Schmerz, Trauer und Einsamkeit. Und vielleicht war er der einzige, der dies so genau wahrnahm, denn die Detectives waren der klaren Überzeugung, dass Ruvik ein böses Wesen war, das ausgelöscht werden musste. Vielleicht sahen sie nicht, dass sich hinter all dem Hass eine arme Seele befand, die zu viel Schmerz erlitten hatte, einen geliebten –den vielleicht einzigen geliebten Menschen in seinem Leben- verloren hatte und verstoßen, ausgegrenzt und betrogen wurde; von seinem eigenen Vater und von anderen Personen, denen er anfing zu vertrauen, wie Dr. Jimenez.
 

Leslie konnte Ruvik verstehen, denn auch er hatte seine Familie verloren und hoffte noch heute, eines Tages mit ihnen wieder vereint zu werden. Er war völlig allein in seinem Leben und wurde von den Menschen um ihn herum schlecht behandelt, vernachlässigt und für den Fortschritt missbraucht. Nie hatte sich jemand mit dem Menschen Leslie beschäftigt, immer nur war er ein Versuchsobjekt gewesen. Auch er hatte irgendwann angefangen, sich in eine Gedankenwelt zurückzuziehen und sich vor der wahren Welt mit all ihren Schrecken und Schmerzen zu verschließen in dem Versuch, sich zu schützen.

Er wollte Ruvik nicht auslöschen, denn er sah durch die grauen, scharfen Augen hindurch die einsame und verletzte Seele von Ruben Victoriano.
 

Während Sebastian hinter Leslie stehen blieb, versuchte der Detective, ihn mit Worten am Weitergehen zu hindern, doch Leslie ging weiter auf Ruvik zu, der ohne seinen zerfledderten Mantel, nur mit den abgebrannten Hosen bekleidet dort stand und mit dem bekannten, scharfen Blick darauf wartete, dass Leslie zu ihm kam. Nun konnte man zum ersten Mal die Verbrennungen an seinem gesamten Körper erkennen, die noch um einiges schlimmer waren als es der sonst immer offen getragene Mantel zu erahnen ließ.

Leslie blieb vor Ruvik stehen und hob den zuvor noch gesenkten Kopf, um zu dem gebranntmarkten Mann aufzusehen.

Eigentlich waren sie beide annähernd gleich groß, doch Leslie ging selten aufrecht, sondern immer in einer geduckten, ängstlichen Haltung und so schien er um einiges kleiner als Ruvik zu sein.
 

Ruvik streckte die Hände nach Leslies Kopf aus und legte sie seitlich auf seine Haare und Ohren. Leslie konnte die Hitze spüren, die von Ruvik ausging, auch als er nur vor ihm gestanden hatte. Jetzt, wo ihn die Hände berührten, schien sein Kopf in Flammen zu stehen, so heiß fühlte es sich an. Es fühlte sich an, als würde Ruvik noch immer brennen und das Feuer wäre auf Leslie übergegangen.
 

Leslie sah Ruvik vorsichtig in die kalten Augen. Er wusste, was nun kommen sollte und er hatte große Angst davor. Doch er wollte nicht, dass es so endete. Er wollte wissen, ob es auch ein anderes Ende gab. Er wollte, dass Ruvik wenigstens etwas Frieden finden konnte.

Und so hob der Albino seine eigenen, kalten, bleichen und schmutzigen Hände und legte sie auf Ruviks verbrannte und glühende Finger, die noch immer an beiden Seiten von Leslies Kopf ruhten.

„Ruben..“, sagte er leise zu dem Mann vor ihm und dessen Augen schienen sich vor Überraschung etwas zu weiten.
 

Selbstverständlich wussten alle über Ruviks Vergangenheit Bescheid, so wie er über die Vergangenheit von allen anderen Bescheid wusste, die in der STEM-Maschine vereint waren. Doch Ruben hatte ihn bisher noch niemand genannt.

Leslie hatte die Hoffnung, dass sein alter Name, den er als Kind getragen hatte, bevor er anfing mit Dr. Jimenez zusammen zu arbeiten, etwas in Ruvik auslösen würde und er hatte Recht damit.

Nachdem sich die beiden einige Sekunden lang in die angesehen hatten und einfach nur dort standen, begann die Welt um sie, sich plötzlich zu verzerren und zu zerbrechen. Leslie klammerte sich instinktiv an die Hände, die unter seinen lagen und kniff wimmernd die Augen zusammen. Es war plötzlich sehr laut, alles verzog sich und brach in sich zusammen, eine heftige Feuersbrunst brach um sie herum aus und Sebastian verschwand schreiend im Boden als alles in sich zusammenfiel.
 

Dann war wieder alles still. Leslie fühlte immer noch die fremden Hände an seinem Kopf, doch es war ruhig, es war kühl und auch Ruviks Hände waren kühl. Vorsichtig öffnete der Albino die Augen und sah langsam zu dem Mann ihm gegenüber auf.

Er sah ganz anders aus: Da stand ein stattlicher junger Mann mit ordentlicher blonder Frisur, sauberem, glatt gebügeltem, weißem Hemd, ebenso sauberer und mit Bügelfalte versehener, grauer Anzughose und edlen, braunen Schuhen. Dann sah Leslie sich langsam in der Umgebung um und begann sich zu erinnern, dass sie sich in Ruviks früherem Familienanwesen befinden mussten.
 

Es war ein großes, edel eingerichtetes Herrenhaus auf dem Land mit weitläufigen Ländereien gewesen. Viel Personal musste sich um die Reinhaltung der Räume, um die Zubereitung des Essens und der Betreuung der Kinder gekümmert haben. Heute, da sein einziger Besitzer, Ruben Victoriano, nicht mehr darin lebt, war es entweder verkauft worden oder aber es stand verlassen da und keiner kümmerte sich mehr um das Anwesen, was naheliegender war bei der grausigen Vergangenheit, die das Gebäude zu erzählen hatte. Ruviks Eltern, Ernesto und Beatriz Victoriano hegten schon zu Lebzeiten keinen besonders guten Ruf in der Umgebung. Als sich dann die Vorfälle häuften – Lauras Feuertod, der Tod der Eltern, Ruviks Wahnsinn, die Ermordung seiner Eltern und die Tätigkeit im für das breite Volk geschmacklosen Feld der menschlichen Psyche – wollte niemand mehr etwas mit den Victorianos oder ihrer Geschichte wissen.
 

Langsam glitt sein Blick wieder zu dem Mann, der ihn immer noch festhielt, oder besser: Leslie hielt ihn and den Händen fest. Leslie nahm seine Hände zu sich und wieder vor den Körper, wie er es meistens tat, und Ruvik ließ seine Arme in seine Hosentaschen gleiten.

„Wo sind wir..?“, fragte Leslie.
 

„Wir sind in meinem Elternhaus.“, erklärte Ruvik in sachlicher Tonlage. „Du willst also wirklich wissen, warum ich so geworden bin? Dann sollst du es erfahren.“
 

Plötzlich flitzte ein Junge an ihnen vorbei, gefolgt von einem Mädchen. Sie schienen etwa 9 und 12 zu sein und rannten zur Vordertür hinaus. Beide lachten und spielten fangen.

Leslie hatte sich erschreckt, doch als er sich kurz darauf wieder gefangen hatte erkannte er, dass der Junge Ruben Victoriano sein musste und das Mädchen seine Schwester Laura.
 

Er sah kurz zu Ruvik, dann ging er zaghaft los und verließ das Haus durch die selbe Tür wie es die Kinder zuvor getan hatten. Ruvik folgte dem Weißhaarigen in kurzem Abstand.
 

Sie konnten beobachten wie die Kinder über die weiten Wiesen tobten und bald mussten sie ihren Gang beschleunigen, um die beiden einholen zu können. Als Leslie erkannte, dass die Kinder auf eine Scheune weit abseits des Hauses zusteuerten, blieb er erschrocken stehen und sah zu Ruvik, der neben ihm stand und die Szene mit kaltem Blick beobachtete.
 

Beide wussten bereits, was nun geschehen würde: Kurz nachdem die Kinder in der Holzhütte verschwunden waren, kamen eine Hand voll Männer zur Szene hinzu, verschlossen die Scheune von außen und setzen sie mit Fackeln in Flammen. Bald stand das kleine Holzhäuschen lichterloh in Flammen und man hörte die Kinder panisch schreien.

Leslie sah entsetzt dabei zu, wie Laura es nach unendlich scheinenden Sekunden in den Flammen schaffen konnte, den kleinen Ruben aus einem Fenster und aus den Flammen zu retten, während sie in dem Flammenmeer verblieb und ihre Stimme bald verstummte. Wieder sah Leslie kurz zu Ruvik neben sich auf, der aber seinen Blick von dem grausamen Szenario abgewendet hatte.
 

„Du wolltest alles sehen.“, sagte er kühl zu Leslie, der ihn noch kurz ansah, dann seine Aufmerksamkeit wieder dem jungen Ruben zuwand.

Fast all seine Kleidung war verbrannt, seine Haut fast ebenso und sein Haar war sicher binnen Sekunden verbrannt, ehe die Flammen auf die Kopfhaut des Jungen einbrannten. Er lag verkrampft da und schien kurz vor der Bewusstlosigkeit zu stehen. Als Leslie ansetzte, zu ihm zu eilen, hielt Ruvik ihn mit einer Hand an seiner Schulter auf, wodurch sich der Weißhaarige zu ihm umdrehte und dem Blonden mit panischem Blick in die Augen sah.

„Es ist eine Erinnerung. Du kannst nichts tun.“, klärte er ihn auf und schon sah Leslie den Vater, der mit ein paar anderen Männern zur Scheune geeilt kam, den mittlerweile ohnmächtigen Ruben in eine Decke wickelte und mit sich nahm.

„Aber ich weiß das doch! Du musst es mir nicht zeigen.“, sagte Leslie nachdem er sich wieder zu Ruvik umgedreht hatte.

„Ich weiß auch, was dein Vater dir angetan hat und was Dr. Jimenez dir angetan hat. Ich will, dass du Frieden findest. Warum quälst du dich in dieser Welt? Warum willst du hier bleiben, obwohl es hier so schrecklich ist?“, fragte Leslie Ruvik aufgewühlt und hatte Tränen in den Augen. Er fühlte sehr stark den Schmerz, den auch Ruvik spüren musste und auch das, was gerade vor ihren Augen geschehen war, hatte ihn sehr mitgenommen.
 

„Ich will, dass ihr es spürt!“, sagte Ruvik kalt, aber dennoch voller Hass in der Stimme. „Nie hat sich jemand für mich interessiert! Ich will, dass ihr alle den selben Schmerz spüren müsst, den ich ertragen musste!“
 

Ruvik strahlte wieder die Hitze aus, die er zuvor ausgestrahlt hatte und seine Kleidung, sein Haar und die Haut fingen zu schwelen an, als würde sein ganzer Körper von innen heraus glühen.
 

„Hör auf!!“, schrie Leslie und erntete einen verblüfften Blick von Ruvik, der solche Impulsivität von Leslie nicht gewohnt war.

„Wir können doch gar nichts dafür! Du bist nicht besser als dein Vater, wenn du weitermachst! Was können denn die Detectives dafür? Sie wurden gerufen, weil du diese ganzen Menschen getötet hast. Viele dieser Menschen haben dich gequält, das weiß ich. Und ich verstehe, dass du sie hasst. Aber hör auf, Unschuldige zu bestrafen! Lass sie gehen!“, verlangte Leslie mit ungewohntem Nachdruck in seiner Stimme.

„Und was ist mit dir?“, fragte Ruvik ruhig und sah Leslie an.
 

Leslie stutze kurz und sah Ruvik nicht mehr so selbstsicher an.

„Du kannst genauso wenig dafür, oder?“, fragte Ruvik weiter. Ruhig, aber durchbohrend. Und Leslie schrumpfte langsam wieder zu dem eingeschüchterten jungen Mann zusammen, der er vorher auch immer gewesen war.

„Ja…“, sagte er nur leise.

„Also? Soll ich dich auch gehen lassen?“, fragte Ruvik kühl und in sachlichem Ton. Kurze Zeit kam keine Antwort und keine Reaktion von Leslie, doch dann schüttelte er den Kopf.

„Nein? Warum nicht?“, fragte Ruvik und schien durch seine kühle Abgeklärtheit hindurch doch etwas verwundert zu sein.

„Ich will nicht in diese Welt zurück. Sie ist schrecklich. Sie ist voller Krach und Schmerzen und wütenden Menschen, die ich nicht verstehen kann…“, sagte Leslie, ohne Ruvik anzusehen und hob dann nach einer kurzen Sprechpause den Kopf.

„Wenn du hier bleibst… Dann bist du allein, oder?“, fragte er Ruvik dann.

Dieser wendete kurz den Blick ab, sah zu der Scheune hinter Leslie, dann zu seinem Vater und den anderen Männer, die sich im Weggehen langsam auflösten und dann verschwanden, ebenso wie sein Elternhaus und die Scheune – oder das was davon übrig war. Dann nickte er.

„Ja.“, sagte er knapp und sah Leslie wieder an.
 

Nun standen sie nur noch auf einer weitläufigen Wiese, der Himmel war wolkenverhangen und die nahen Bäumen rauschten im Wind. Es war kalt.
 

„Dann will ich mit dir hier bleiben.“, sagte Leslie und sah Ruvik in die vor Überraschung geweiteten Augen.

„Vielleicht können wir hier zusammen Frieden finden, Ruben.“
 

Langsam richtete sich Leslie wieder etwas mehr auf und ein leichtes Lächeln bildete sich auf seinen Lippen während er nach Ruviks Hand griff und sie leicht festhielt. Sie fühlte sich kühl an und die Hitze aus seinem Innern war gewichen.
 

-Ende-



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