Der Prinz . . . und die Diebin von irish_shamrock (Es war einmal . . . [Nami & Sanji]) ================================================================================ Kapitel 1: I ------------ Der Prinz und die Diebin ────────────────── Es war einmal . . . I Geräuschvoll entließ der junge Mann die angehaltene Luft aus seinen Lungen. Das Kinn auf die Arme gestützt, flegelte er sich in den pompösen Stuhl, der ein wenig abseits des eigentlichen Thrones positioniert stand. Der Vater des Jungen war auf Reisen, in ein benachbartes Königreich, und würde bis zu Beginn des nächsten Monats dem Hofe fernbleiben. Doch oblag die Bestimmungsgewalt über jenes, prunkvolle Land nicht etwa bei dem Prinzen. Während der väterlichen Abwesenheit hatten Berater, vertrauenswürdige Konsulanten, das verwaltende Amt inne, denn er, der junge Thronfolger, würde bis auf die Abdankung des Vaters warten müssen, um einmal über das Reich zu gebieten. Dennoch, ihm graute davor, einmal Herrscher dieses Landes zu sein. Zu viele Pflichten, zu viel Arbeit ... »Junger Herr?« Jemand riss ihn aus seinen Gedanken. Murrend warf der Königssohn einen bösen Blick auf jene Gestalt, die ihn störte. »Duval«, zischte er und beäugte seinen Diener mit Missbilligung im Blick. »Junger Herr«, begann dieser von Neuem, »bis zu eurem Ehrentage sind es nur noch wenige Wochen. Auch wenn Euer Vater bedauert, auch in diesem Jahr abkömmlich zu sein, lässt er Euch seine besten Wünsche übermitteln.« »Was soll's«, murmelte der junge Prinz, seufzte abermals hörbar und zwang sich in eine angemessene, würdevolle Haltung. Ungeachtet der Wachen im Thronsaal oder der Diener, die geschäftig taten, schweifte sein Blick zu dem Königsstuhl, der leer blieb. »Großartig, ganz vorzüglich, junger Herr!« Überschwänglich wurde die Auswahl der erlesensten Speisen gelobt, die der Königssohn für jene Feierlichkeit zu Ehren seiner selbst auserkoren hatte, doch Sanji rollte nur die Augen und bediente sich eines kurzen Schüttelns des flachsblonden Hauptes. Dass er sich, bei seinem kleinen Ausflug in die Palastküche, selbst vom Festessen überzeugt hatte, würde ein Geheimnis zwischen ihm und der Köchin Grisella bleiben. Und doch ... Wieder regte sich dieses Gefühl der Sehnsucht in ihm. Was wolle er mit einem ganzen Land, wenn er sein Herz bereits an der kulinarischen Vielfältigkeit verloren hatte? Statt eines Zepters, zöge er es vor, einen Kochlöffel zu schwingen, und statt einer Krone käme ihm eine Toque gerade recht. Doch es schickte sich nicht, als Prinz eine niedere Position zu bevorzugen. Prinzen wurden geboren, und hatten sich zu fügen. Tief sog er die kühle Nachtluft in die Lungen. Den ganzen Tag bereits war er damit beschäftigt, Gäste zu empfangen, zu lächeln, und darum bemüht, die bedrückende Stimmung, die ihm innewohnte, nicht hervortreten zu lassen. Langsam trat er einen Schritt vor den anderen, bis er vor dem Geländer hielt. Seine Hände fuhren über das Gestein. Fest und massiv, Mauern, die ihn gefangen nahmen. Und selbst der Schlosspark, groß und weitläufig, bot ihm nicht jene Freiheit, die er sich ersehnte. Ein raschelnder Laut erregte seine Aufmerksamkeit. Dort, im Gebüsch, unweit der Treppe die zum Hofgarten führte, huschte eine dunkle Gestalt zwischen den Ästen hindurch. »Wer da?«, rief er, doch die geforderte Antwort blieb ihm verwehrt. »Antwortet! Antwortet dem Prinzen!« Noch ehe er sich selbst gewahr wurde, was er tat, hatten sich seine Beine über das Geländer geschwungen. Galant und würdevoll landete Sanji auf den Marmorstufen und hastete dem schweigsamen Eindringling entgegen. Erneut bemerkte er jene hastigen Bewegungen, die einen raschelnden Laut erklingen ließen. »Halt!«, rief er, griff nach dem Degen, der zuvor in einer Stahlscheide steckenblieb und mit einer Koppel um seine Hüfte geschlungen war, und zog diesen mit flinken Fingern. »Umdrehen!« Er hatte jenes Wesen erspäht, das beim metallenen Klang der Waffe bewegungslos verharrte. Die kauernde Kreatur erhob sich, wandte sich zu ihm um. Nur wage vermochte der junge Herr etwas zu erkennen, doch das, was er sah, schien dennoch recht langsam bis zu seinem Verstand vorzudringen. Die Hände erhoben, trat ein Mädchen aus den Schatten hervor. Der dunkle Stoff, der ihren Körper verhüllte, erschien wie eine perfekte Tarnung, um sich in der finsteren Nacht herumzudrücken. Ergeben ließ das Fräulein den Kopf sinken, doch nicht im mindesten darauf bedacht, ihrem Fänger in die Augen zu sehen. »Sprecht!«, forderte Sanji und zielte mit der metallenen Spitze der Waffe auf das Antlitz des Eindringlings. »Wer seid Ihr? Was wollt Ihr?« Sekunden vergingen. Langsam und ruhig hob das Geschöpf den Blick. Bedächtig strich sich die Maid die nachtblaue Kapuze aus der Stirn. Schwer schluckte der Prinz, als er das Gesicht vor sich ausmachte. »Ein Mädchen?«, fragte er, zog die Augenbrauen zusammen, lockerte die Anspannung in seiner steifen, kampfbereiten Haltung, eh ein erstickter Laut seinen Lungen entwich. »Haltet sie fest!«, echote es in seinem Kopf. Sein Schädel dröhnte, so, als habe man ihm einen bitteren Trank oder gar zu viel Wein eingeflößt. »Junger Herr«, vernahm er Duvals besorgte Stimme. »Junger Herr!« Mühsam gelang es ihm, die Lider zu heben. Vereinzelt blinzelte er gegen das Licht an, das in sein Sichtfeld rückte. »Was ist passiert?«, verlangte der junge Prinz zu wissen und machte Anstalten, sich erheben zu wollen. »Junger Herr«, seufzte Duval, und Erleichterung schwang in den Worten des Dieners mit, während dieser seinem Gebieter beim Aufsetzen half. »Es geht Euch gut.« Ein schnaubender, abfälliger Laut entrann sich Sanjis Kehle. Gut? Es ging ihm ganz und gar nicht gut. »Nehmt sie in Gewahrsam!«, befahl Oberst Tetsu* und lenkte so den Fokus des Prinzen auf sich und seine Mannen, die, im Kreise stehend, mit gezückten Degen etwas offenbar Widerwärtiges taxierten. »Dieses Subjekt hat den Prinzen angegriffen!«, schnarrte Leutnant Shinobu* in nicht minder erbostem, zornigem Ton, der dem des Oberst gleichkam. Jenes Subjekt verharrte beinahe reglos und ließ jene Worte ohne eine Reaktion über sich ergehen. Die Leibgarde des Königs versperrte dem Herrschersohn noch immer die Sicht. Mühsam, und unter ächzenden Lauten, ließ sich Sanji auf die Beine helfen, trat zwischen den Männern der Leibwache in den Kreis und fixierte das ergriffene Bündel. Sobald der Prinz vor ihr zum Stehen kam, hob das Mädchen den Kopf. »In den Kerker mit ihr! Dreckiges Gesindel!«, hallte es hinter ihm wider. Kaum, dass Oberst Tetsu jene Worte sprach, griffen vier Arme nach dem Kind. Ein erstickter Laut entwich ihrer Kehle, als sie die Hände der Wachen auf sich spürte. Wie ein gequältes Tier wand sich das Fräulein unter den Attacken der Männer, die sie zu bändigen versuchten. Ein letztes Aufbäumen, ehe die vermeintliche Kriminelle in sich zusammenfiel. Leutnant Shinobu trat auf sie zu, griff mit groben Fingern nach ihrem Kinn, ehe er die Diebin seinem König vorführte. »Dreckige Langfinger kommen die Hölle«, zischte er, während ihr sein schlechter Atmen ins Gesicht schlug. Angewidert versuchte die Maid den Kopf zu drehen, doch der Hüne wusste sie an ihrem Vorhaben zu hindern. »Nein!«, herrschte der Prinz und brachte seinen Leutnant somit in eine peinliche Situation. »Aber, junger Herr ...«, bemerkte Duval, der neben seinem Gebieter nicht minder verachtend auf das Mädchen blickte. »Nein, stellt sie unter Arrest!«, befahl Sanji und verschränkte die Arme vor der Brust, um seinen Einfluss als blaublütiger Nachkomme geltend zu machen. »Aber ...«, protestierte Oberst Testu, »mein Prinz, Euer Vater ...« »Ist nicht hier. Ich befehle es!«, zischte der Königssohn abermals und wandte sich zum Gehen. »Also dann, Schätzchen, in die Kerker kommst du trotzdem!« Die wulstigen Lippen des Oberst verzogen sich zu einem Grinsen, welches Genugtuung offenbarte und nicht weniger die gelben, schiefen Zähne des Befehlshabers entblößte. *hierbei habe ich mir die Köche des Baratié vorgeknöpft, der Name des Oberst ist an den Nachnamen des Seiyū Inada Tetsu angelehnt, der dem Koch Patty seine Stimme leiht, dasselbe gilt für Leutnant Shinobu (Satouchi Shinobu), der dem 2. Part des Mafiosi-Duos, Carne, beim Vertonen behilflich ist Kapitel 2: II ------------- Der Prinz und die Diebin ────────────────── Es war einmal . . . II Schweigend, und mit vor der Brust verschränkten Armen, verharrte der Königssohn vor dem Gitter, welches ihn vor dem Eindringling schützte. Hier, in den Kerkern des Palastes, war die Luft feucht, klamm und moderig. Selten hielt er sich hier auf. Warum sollte er? Er war der Nachkomme großer Herrscher und hatte nichts mit diebischem Gesindel zu schaffen, mit Mördern oder Verbrechern dieser Art. »Wer bist du?«, hallte seine Stimme von den Wänden wider, doch das Mädchen wandte den Blick ab. Offenbar begriff sie nicht, wen sie vor sich hatte. »Wenn es dein Begehr ist, von hier zu verschwinden, dann solltest du deine Zunge etwas lockern!«, meinte der junge Prinz, jedoch noch immer von einer erstaunlichen Ruhe erfasst. Gemächlich schlenderte er vor der Zelle auf und ab, während das Fräulein, mit den Handgelenken an die kahlen, kalten Mauern des Verlieses geschlagen, nicht einen Ton von sich gab. »Was wolltest du im Schloss?« Wieder eine Frage, und wieder wurde ihm Antwort verweigert. Dann ein kurzes Zucken, ein Klirren der Kettenglieder. Ihr Blick traf ihn unvorbereitet. Trotzig, giftig, die Nerven bis zum Reißen gespannt. Sie erinnerte ihn an eine Katze. Schlau, gerissen und auf leisen Sohlen. Schnell, schleichend, kaum bemerkt und doch ... »Dachtest du allen Ernstes, dass man dich nicht erwischt?« Seine Mundwinkel hoben sich gen Norden. »Lächerlich, Mädchen. In einen Palast einzubrechen, erscheint mir recht unvorsichtig, dümmlich gar.« »Nennt mich nicht dümmlich«, keifte sie, ehe sie sich auf die Lippen biss und auf einen losen Punkt vor sich starrte, den er nicht erfassen mochte. »Überall Wachposten und Hunde, abgerichtet für die Jagd, die nicht nur Gefallen an Kaninchen finden.« Leise, und allmählich drohend, wichen die Worte von seinen Lippen. »Du kannst von Glück reden, Mädchen, dass dich jene Monströsitäten nicht als Erste erwischten, denn dann wäre von dir nicht mehr viel übrig.« »Ihr droht mir? Ich bin doch schon gefangen und an die kalten Wände gekettet, Prinz.« Ein bitteres Lachen schwebte in ihren Worten mit, ein Spott und Witz, der ihm nicht entging. »Du verhöhnst deinen Prinzen?«, zischte Sanji, und von jener Güte und Ruhe war alsbald nichts mehr zu finden. »Ihr seid nicht mein Prinz. Ihr seid nur ein verwöhnter Bengel, der sich langweilt«, fauchte sie und verzog die Lippen zu einem amüsierten Grinsen, welches im Schein der Fackeln wirkte, als wäre sie sich ihrem Ende bewusst und nichts, was sie tat oder sprach, würde Milde und Linderung versprechen. Mit erhobenem Haupt trat der junge Herrschersohn vor, reckte das Kinn und fixierte die diebische Maid mit kalten Augen. »Für deine frechen Worte sollte man dir Zunge herausreißen, Diebin!«, knurrte er. »Ich habe nichts gestohlen!«, beharrte das Mädchen und wieder traf ihn ein Blick des Trotzes. »Nicht? Nun denn, wertes Fräulein, verratet mir doch, was Ihr im Schlossgarten zu suchen hattet! Hättest du mich nicht niedergestreckt, wärest du einem Aufenthalt in den Kerkern womöglich entgangen, doch nun, sieh dich um ... all das ist deines.« Mit ausschweifender Gestik untermauerte Sanji seine Worte. Ein Schnauben, dann schüttelte sie ihr Haupt, während die Kettenglieder leise klirrten. Träge, aber dennoch mit einem Gefühl, das ihn selten überkam, schritt der Prinz die Stufen zu den oberen Gefilden empor. Wut schäumte in ihm auf. Wie eine Welle war sie über ihn gekommen, als er den aufblitzenden Spott in ihrem Blick bemerkte. Widerborstig war das Mädchen, stolz und raffiniert, aber dennoch so töricht, in ein Schloss einzudringen , welches, einer Festlichkeit zum Trotze, von Wachen umringt war. Wie unklug, Sanji schüttelte den Kopf und erklomm den letzten Absatz, der ihn zu seinen Privatgemächern führte. Sein Magen rumorte, doch Hunger verspürte er keinen. Erneut wallte jene Empfindung in ihm auf. Leise fiel die Tür ins Schloss. Der junge Prinz hob den Blick und spähte in jenen Räumlichkeiten umher, die er sein Eigen nannte. All der Prunk und Glanz, Gold und Platin, die edelsten Stoffe und Gewänder ... Neid und Gier trieb manche Menschen in gefährliche Situationen. Ein falscher Schritt, ein falsches, unbedachtes Wort ... und man fand sich in der Kerkern wieder oder manchmal sogar den Tod. Doch dieses Kind schien keinerlei Bedenken zu verspüren. Keine Angst, keine Wut. Sie nahm, um zu überleben, stahl um zu essen, während ihm all das von Kindesbeinen an auf einem silbernen Tablett offeriert worden war. Was auch immer ihr widerfahren sein mochte und sie in jenen Abgrund hatte fallen lassen, ihr Wille schien ungebrochen, auch wenn ihr Ende bereits besiegelt schien. Ruhe fand er nicht. Der junge Prinz glitt in einen rauen, traumlosen Schlaf. Viel zu sehr verharrten seine Gedanken bei dem Mädchen. Ungewollt schien er in den kalten, düsteren Gängen umherzustreifen. Grisella, die rundliche Köchin, sah auf, als sie leise Schritte vernahm. Gemächlich rührte sie in einem Topf herum, dessen Inhalt langsam zu blubbern begann. Ein süßlicher Duft schwebte durch die große Küche und beinahe schien es, als habe jenes Aroma den jungen Mann aus seinem Bett gelockt. »Mein Prinz«, sagte Grisella und wandte sich zu ihm um. »Konntet Ihr wieder keinen Schlaf finden?« Ein wissendes Lächeln legte sich um den Mund der alten Dame, ehe sie das Feuer des Herdes löschte und das dickflüssige, gelbliche Gemisch in kleine Schälchen füllte. »Was machst du da?«, verlangte der junge Herr zu wissen, trat näher an die Köchin heran und spähte an ihr vorbei. »Dessert«, sprach Grisella und hielt ihm den leeren Topf entgegen. »Immer, wenn auch ich nicht schlafen kann, bereite ich mir einen kleinen Bissen zu. Probiert, wenn Ihr mögt.« Eiligst griff der Prinz nach einem Löffel und bediente sich an Resten des Puddings. Die Augen des Jungen begannen zu leuchten und wieder stahl sich ein zufriedenes Lächeln auf das Gesicht der Frau. »Sie hat mich angefallen«, sprudelte es verteidigend aus ihm heraus, als sich Sanji an dem langen Tisch niederließ, während Grisella ihm gegenüber Platz genommen hatte. »Ihr müsst Euch für Eure Entscheidungen nicht rechtfertigen, mein Prinz. Und dennoch halte ich Eure Reaktion für ein wenig übereilt.« Mit ruhiger Stimme versuchte die Köchin auf den jungen Mann einzuwirken. »Vielleicht habt Ihr ihr Angst gemacht.« Stur löffelte Sanji den süßen Nachtisch, während sein Blick über das Gesicht der alten Dame glitt. Grisella genoss seit jeher sein Vertrauten, beinahe schien sie ihm wie eine Mutter, dennoch ließ sie Strenge und Ordnung walten, hatte in der Küche die Oberhand und wurde dennoch von allen geschätzt und geliebt. Das sanfte Blau ihrer Augen wirkte beruhigend, die Falten auf Stirn und um den Mund zeugten nicht nur von Alter, sondern auch von Erfahrung und Weisheit. »Sie wollte mich bestehlen. Sie wollte in den Palast«, entfuhr es ihm trotzig. »Mein kleiner Prinz«, mahnte Grisella, erhob sich von der Bank und beugte sich über den Tisch, ehe sie nach dem Gesicht des Jungen haschte und ihm einen Kuss auf die Stirn drückte. »Ihr habt so viel und doch seid Ihr so einsam.« Mit jenen Worten ließ die Köchin von ihm ab und ihn allein zurück. Kapitel 3: III -------------- Der Prinz und die Diebin ────────────────── Es war einmal . . . III Laut hallten seine Schritte von den Wänden des Kerkers wider. Ein letztes Mal noch würde er dem Mädchen jene Gnade zuteil werden lassen, sich zu erklären, denn schon bei Sonnenaufgang wäre es um sie geschehen. Grisellas Worte hatten den jungen Prinzen zum Nachdenken gebracht, doch genügten sie kaum, um auch Einsicht zu schenken. Ein Teil in ihm, so winzig er auch sein mochte, gab dem Gesagten der Oberköchin seine Zustimmung. Dennoch überragten Eitelkeit und Egoismus jenen kleinen Funken an Mitgefühl und Verständnis. Niemand vermochte die Qualen des Jungen zu verstehen oder verspürte jene Einsamkeit, wie es ihm zu eigen war. Sanji schritt die letzte Stufe hinab und erblickte die Wache. Stur, und wie befohlen schweigsam, blickte der Diener an die steinerne Mauer vor sich, während hinter ihm, in Gewahrsam genommen, das Mädchen saß, angekettet und dem Mut den Rücken gekehrt. »Verlasst Euren Posten!«, befahl der Prinz und sah, wie der Aufseher, beim Klang seiner Stimme, zusammenfuhr. Eiligst wandte der Mann seinen Fokus auf den Jungen, der nur noch wenige Schritte von ihm entfernt aus dem Dunkel in das schummerige Licht der Fackeln trat. »Aber ... aber mein Prinz ...«, hob die Wache verdutzt und stotternd an, doch Sanji gab nichts auf die Müdigkeit in den Augen des Kerkerdiensers, die ihm nicht verborgen blieb. »Sofort!«, bellte er, ehe sein Blick dem Gardisten nach hing, der sich verwirrt und verwundert trollte. Sowie Stille das Verlies einhüllte, richtete der junge Mann seinen Blick auf das Mädchen. Die Dunkelheit hatte sie beinahe verschlungen, dennoch schienen die Kettenglieder ihrer Fesseln im Schein der Fackeln gefährlich zu schimmern. »Hey!«, donnerte der Prinz und fixierte die Gaunerin mit schmalen Augen. »Wach auf!« Als er keinerlei Regung vernahm, erhob Sanji erneut die Stimme und trat näher an die Stäbe des Gitters heran. Noch immer wagte die diebische Elster nicht, auch nur einen Laut von sich zu geben. Zorn wallte in dem jungen Prinzen auf. Ob sie ihn abermals zum Narren hielt? Doch bemerkte er das Klirren, welches sacht an seine Ohren drang. Wieder taxierte er ihre Gestalt und erschrak kaum merklich, als er sich ihrem Blick gewahr wurde. Ihre stumme Drohung kam dem beängstigden, schummerigen Licht der Leuchter nahe. Tapfer schluckte der Königssohn an dem Kloß in seinem Halse. Kein Unbill würde über ihn kommen, solang das Mädchen an die Mauern gekettet hinter Gittern bliebe. Schweigend betrachtete er die Maid. Einzig ihre Augen folgten seinen Bewegungen, während sie starr verharrte. Wie lang er wortlos blieb, vermochte nur der Mond wissen, der vor Stunden aufgezogen war und nun langsam und stetig seine Bahn zog. Doch ob der Tag bereits graute, war ihm fern. Denn hier, in den Kerkern, gab es keine Fenster, die Möglichkeiten zur Flucht boten, oder den Gefangenen zeigten, wie lang ihnen noch bis zum Tode blieb. Hier war es kalt und nass und der moderige Duft allgegenwärtig. Was den jungen Prinzen dazu bewog, Atem an das Mädchen zu verschwenden, wollte ihm nicht in den Sinn, doch etwas, das er nicht zu beschreiben im Stande war, ließ ihn seine Stimme erheben. »Ich wäre gern genauso frei wie du«, murmelte er und hoffte, das Mädchen habe seine letzten Worte nicht bemerkt. Doch er irrte sich. Die Gefangene schnaubte verächtlich, während sie ihren Blick von ihm nahm und von ihm abließ. »Ich bin nicht frei, wie Ihr seht, Prinz!« Wieder war es ihr gelungen, ihn zu verspotten, doch Sanjis Mundwinkel hoben sich zu einem bedauernswerten Lächeln. »Offenbar sind wir beide gefangen«, meinte er und überbrückte die letzte Distanz zwischen sich und der eisernen Barriere, die beide von einander trennte. »Du hinter kalten, harten Gitterstäben und ich in einem goldenen Käfig.« »Ein nicht sehr treffender Vergleich, findet Ihr nicht?« Ein schiefes Grinsen zeigte sich auf ihren Lippen. »Oh, ich halte ihn für sehr vortrefflich, passend gar«, entgegnete der Prinz und begann, sich in Bewegung zu setzen. Still ging er vor der Kerkerzelle auf und ab. »Nun denn, was bedrückt Euch, Prinz?« Dass sie es wagte, das Wort an ihn zurichten, doch Sanji tat jenen kurzen und dummen Gefühlsausbruch mit dem Gedanken ab, dass das Ende für sie bereits gekommen war. Der junge Thronerbe hielt inne, doch blieb ihm das flüchtige Grinsen auf ihren Lippen verborgen, denn die Schatten vermochten es, Dinge zu verstecken. Wieder trat Schweigen an die Seite des Prinzen, abermals taxierte er ihr im Halbdunkel liegendes Gesicht, doch etwas, das ihn erneut erstarren ließ, schlug ihn in seinen Bann. Ihre Augen. Augen so voller Leid, Schmerz, doch auch voller Leben, Neugierde und Willen. »In wenigen Stunden steht dein Ende bevor«, setzte Sanji an und ohne, dass es ihm zu willen war, holperten ihm die Worte über die Lippen. Doch die Silben waren gesprochen. Er sah das Aufblitzen in ihren Augen. Schmerzlich, erniedrigend, dennoch konnte sich der junge Prinz dem Gesagten nicht mehr entziehen. »Steht dir der Sinn nach einer Henkersmahlzeit? Ich wäre geneigt, dir gnädig und gütig ...« »Henkersmahlzeit?« Das Mädchen schnappte nach Luft, doch ihr Spott löste eine bittere Regung in ihm aus. »Eine Henkersmahlzeit? Das nennt Ihr gnädig und gütig?« »Gut«, fauchte er störrisch. »Oder ziehst du es vor, langsam zu verhungern?« »Verhungern ist der Tod, langsam und schleichend. Wisst Ihr, wie es ist, Hunger zu leiden? Erliegt Ihr manches Mal dem Glauben, wie es sei, ständig um das eigene Leben zu bangen, wenn der Magen rebelliert? Und glaubt Ihr dann, etwas Brot würde den Schmerz lindern und Euch zu Kräften kommen lassen?« Die Stimme des Mädchens, erst in leisen Tönen, schwoll mit der Flut an Worten zu einem lauten Gebrüll an. Verzweiflung ließ sie den Kopf niedersinken. Leises Klirren der Fesseln, der schwere Atem, den sie zu schöpfen versuchte. Als das Mädchen wieder sprach, bemerkte der Prinz keine Spur mehr in ihren Worten, die Wut mit sich zog. »Vielleicht stand mir der Sinn, mich an euren Gütern gütlich zu tun, doch es war mir nicht vergönnt. Vielleicht wäre es mir gelungen, mich einzuschleichen und nach etwas Essbarem zu spähen, doch Ihr, mein Prinz, ward mir zuvorgekommen. Euer Glück ist nun mein Leid. Und doch wird Euer Gewissen bezahlen für die Schmach, die Ihr erleiden werdet, wenn Ihr eine Unschuldige in den Tod schickt. Doch ob ich nun an einem Strick baumele oder qualvoll auf den Straßen Eurer Stadt verende, Ihr werdet nichts dergleichen bemerken ...« Ihre Kraft schien versiegt. Kein Funken an Hoffnung mehr, der ein letztes Aufbäumen zustande brächte. Der Morgen streckte bereits seine Fühler über die Ländereien. Nebel wog über Hügel und Felder, während der junge Prinz keinen Schlaf fand. Der trotzige Glanz, der Lebenswillen zeigte, schien erloschen. Die Augen des Mädchens glichen trüben Teichen, einem Meer aus Schlick und Schlacke, dem jegliches Licht abhanden gekommen war. Was hatte sie getan? – Nichts, nichts hatte sie getan. Sie war nur ein dummes Kind, das darauf aus schien, etwas Nahrung zu erbeuten. Doch ihre Tat ward vereitelt. Hatte sie es auf den Prinzen abgesehen? – Wohl kaum, doch auch wenn dies ihr Begehr gewesen sein mochte, so war ihr auch dies nicht gelungen. Und ihr Anschlag wäre bei weitem nicht von einem solchen Erfolg gekrönt. Da hatte sein Vater weitaus niederträchtigere Versuche, nach seinem Leben trachtend, über sich ergehen lassen. Wie man es drehte und wendete, womöglich ward sie nur zum falschen Zeitpunkt im Schlossgarten umhergestreunt. Doch das Glück musste unweigerlich mit ihr gewesen sein, denn er hatte sie bemerkt. Wäre ihr jenes Schicksal mit seiner Leibgarde widerfahren, dann säße sie nicht länger im Verlies. Nein, ihr wäre sofort der Kopf von den Schultern geschlagen worden! In den Angeln jammernd, wurde das eiserne Tor zu den Kerkern geöffnet. Das Mädchen, schlaff in den Ketten hängend, hob den Kopf und wappnete sich für die bevorstehende Hinrichtung. Sie vermochte nicht einmal an dem Kloß in ihrer Kehle zu schlucken, die vor Angst zu pochen begann. Eine Gestalt, eingehüllt in einer langen, dunklen Kutte, deren Kapuze über Haupt und bis über die Augen gezogen war, verharrte vor dem Gitter. Flink pirschte sich der Fremde an sie heran. Die Diebin, kaum begreifend was dort vor sich ging, fiel dem steinernen Boden entgegen, als man ihre Hände von den Fesseln löste. Hart schlugen ihre Knie auf den feuchten und unbarmherzig kalten Grund, während es ihr wohl all ihre noch verbliebene Kraft abverlangte, den Kopf zu heben. Noch ehe sie das Wort an ihren Retter zu richten vermochte, packte dieser sie grob am Arm. Abermals überkam sie jenes Gefühl, das ihr Ende beschrieb. Eiligst raufte sie sich, so gut es ihr gelang, zusammen. Sammelte die letzten Funken auf, stieß den Fremdling beiseite und hastete mit schnellen Schritten aus dem Verlies. An der Treppe angelangt und die Stufen empor hastend, stieß sie mit einer ebenso vermummten Erscheinung zusammen und erschrak. »Lauf! Flieh, Mädchen! Ich bringe dich aus dem Schloss«, flüsternd gelangten jene Worte an ihre Ohren. Schweigend und mit Angst und Schrecken in den Augen, nickte die Maid und ließ sich durch die Küchen in die Freiheit führen. »Hier herunter!«, wisperte die Stimme und deutete auf einen langen Gang, der finster vor ihnen lag. »Nimm die Fackel. Der Tunnel führt zu einem Ort, weitab des Schlosses. Und nun geh. Eile!« Mit einem erneuten Nicken, das knapp und verstörend zu gleich erschien, machte sich die junge Frau auf den Weg. Hastig stolperte sie durch das Dunkel und vernahm alsbald das Plätschern eines Baches, der sie empfing. Kapitel 4: IV ------------- Der Prinz und die Diebin ────────────────── Es war einmal . . . IV Hoffnungsfroh und munter begannen die ersten Vögel ihre zarten Stimmen zu heben. Sie begrüßten den Morgen, der langsam und stetig über das Land wanderte, in seinem Schlepptau leichte Nebelschwaden, die ihm sanft nachfolgten. Ein Ächzen ertönte, während das Mädchen, von dessen Lippen jene Laute gekommen waren, mit hastigen Schritten versuchte, den beschwerlichen Weg auf sich zu nehmen. Die rutschige und mit leichtem Schnee bedeckte Böschung hatte sie erklommen, als ihr Blick gen Himmel ging. Hell und leuchtend schickte die Sonne ihre ersten Strahlen und ließ jene weißen Flecken glitzern. Kalt war es, eisig gar, doch das junge Fräulein zwang sich voran. Befreit war sie von den Ketten, erlöst von der kargen, nackten Mauer in ihrem Rücken. Noch immer schmerzten Hände und Füße. Sie war frei, sie lebte, doch wie hoch war der Preis, den sie und andere zu zahlen hatten? Eiligst scheuchte sie sich weiter, verdrängte jene Gestalten, die ihr zur Flucht verholfen hatten. Und wer auch immer die Fremden waren, sie würden hängen für ihre Taten. »Mein Prinz.« Den drängenden Worten Duvals wusste der junge Königssohn nur zu entgehen, in dem er sich das volle, weiche Kissen auf die Ohren drückte. Viel zu lang war er auf den Beinen gewesen, zu viel hatte er gehört und zu viel erlebt in den letzten Stunden. Ruhe und Stille waren die einzigen Freuden, nach denen er sich ehnte. Murrend, und mit den Zähnen knirschend, riss er das mit Daunen gefüllte Polster von sich, warf es durch sein Gemach und setzte sich, die Hände hinter sich auf das Laken stützend, auf. Den Blick verhangen, die Strähnen seines blonden Haares hingen ihm wirr ins knabenhafte Gesicht. Ein lautes, unfeines Gähnen erfüllte die Kammer, ehe Sanji seine Aufmerksamkeit dem Diener zukommen ließ. Dieser wirkte sichtlich nervös, gar angespannt. Die Augen Duvals huschten eilig über das Antlitz des Jungen. Betreten senkte der Bedienstete das Haupt. »Mein Prinz«, murmelte er, »es ist ... jemand hat ... die Gefangene.« Skeptisch wanderte eine Braue zum hellen Haaransatz. Müde rieb sich der Prinz die Augen und versuchte aus den holperigen Silben seines Kammerdieners etwas Nützliches herauszuhören. Tiefe Falten rutschten ihm in die Stirn und verliehen seinem Argwohn Ausdruck. Duval lechzte nach Luft. Seine Stimme drohte sich zu überschlagen, während das Gemüt des jungen Prinzen mit jedem weiteren Wort mehr ins Wanken geriet. Stumm lauschte Sanji den Ausführungen seines Dieners, doch blieb ihm der Kern des Ganzen versagt. Mehr als einmal musste sich der Herr erklären. Ein schnaubender Laut entkam seinen Lippen, ehe sich der Prinz aus den Laken wühlte und Anstalten machte, sich aus dem Bett zu erheben. Eiligst rückte Duval von ihm ab, gab dem Thronfolger den nötigen Raum um sich zu strecken. Knurrend schnippte der junge Mann nach seinen Zofen, um ihm beim Ankleiden behilflich zu sein. Der Stoff seines langen Hemds wurde empor geschoben, als ershrocken Duval nach Luft gierte. »Mein Prinz«, hob sein Bediensteter an, »verzeiht mir, doch was ist mit Euch geschehen?« Verdutzt kniff Sanji die Augen zusammen. Duval deutete auf seinen Leib. Endlich hatte ihn die alte Dame von dem lästigen Kleid befreit, doch diese rang, ebenso wie der Diener nur wenige Wimpernschläge zuvor, hastig nach Atem. »Was habt ihr?«, fauchte Sanji allmählich von Wut gepackt und blickte an sich herab. Bläuliche Flecken zierten die linke Flanke seines Körpers und weitere verweilten in Brustmitte. Je näher er sich jene wunden Stellen besah, desto mehr bemerkte er ein Kribbeln, das sich pochend auszubreiten schien. Sie hatte ihm in die Rippen gestoßen, bereits zum zweiten Male, der Gedanke kam ihm schnell und unbarmherzig in den Sinn, als Zofen und Diener in Hast ausbrachen. Atemwolken entwichen ihrer Kehle, während sich das Mädchen weiter zwang. Vielleicht hätte sie sich dem Reich nicht nähern dürfen, hätte fortgehen und nie mehr einen Blick riskieren sollen. Doch etwas trieb sie wieder zurück in die Stadt. Zurück zu jenem Ort, der ihr Heimat und Zuhause war. Im Schatten der Stadtmauern huschte sie durch Gassen und Straßen. Die patrouillierenden Stadtwächter erschienen ihr noch verschlafen, als dass sie jene Gestalt bemerkten, die sich katzengleich vor ihnen verbarg. Die letzten Kräfte zusammennehmend, schleppte sich die junge Frau bis zur Pforte jenes Gebäudes, das sie als ihr Heim beschrieb. Leise schlugen ihr die Finger gegen das Holz, ehe sie Geräusche hinter der Tür vernahm. Langsam wurde die Pforte geöffnet, ehe man ihr gänzlich Eintritt gewährte. »Nami?« Die Verwunderung in der zarten Stimme vermochte das Mädchen gut zu kennen. »Es tut mir leid, Nojiko«, sprach sie und atmete vor Erleichterung auf, als die Tür ins Schloss fiel. »Aber ...« »Wo warst du?« Mit verschränkten Armen verlangte die junge Frau nach Erklärung. Das Haupt gesenkt, trottete die Diebin auf den kleinen Tisch zu, der vor der Feuerstelle verweilte, und ließ sich auf einen der beiden Stühle sinken. »Die Soldaten ...«, begann das Mädchen und vernahm, wie ihre Schwester schwer nach Luft rang. »Bitte verzeih mir, aber ...« »Nein!« Das Fräulein erhob die Hände. »Ich verstehe.« »Aber ...«, versuchte die Maid ihr Abenteuer darzubringen und blickte von dem schäbigen Holz des Tisches zu der Frau auf. »Nein«, sprach die Schwester und wandte ihr Haupt von einer Seite zur anderen, »ich wusste, dass es irgendwann geschehen würde. Ich habe dir immer schon gesagt, dass du nicht zu stehlen brauchst!« »Ich weiß, und doch ...« Noch immer war es an dem Mädchen, sich zu erklären, doch die Verwandte schenkte ihr nur ein trauriges Lächeln. »Nami«, meinte diese und griff nach den klammen, kalten Händen der jüngeren Frau. Jedes weitere Wort verlor sich in der Stille. »Nojiko, hör mich an, bitte!«, verlangte das Fräulein beharrlich und begann von den Geschehnissen zu berichten. »Sie haben dich frei gelassen?« Die Stimme der Älteren war leise, schien beinahe nur ein Flüstern. »Du brauchst das nicht zu tun, Nami. Sie wollten dich hängen!« »Ja, aber sie haben ihre Chance vertan.« Zu mutig sprangen ihr plötzlich die Silben von den Lippen. »Nami.« Ein seufzender Laut entstieg ihrer Kehle, ehe die Älteste erneut das Wort ergriff: »Hör mir zu!« Trotz zeigte sich auf dem Gesicht des Mädchens. Offenbar war ihr der Wert ihres Lebens durch all das Durcheinander abhanden gekommen. Zu Euphorisch erschien sie ihrer Schwester, zu aufsässig. »Beim nächsten Mal, Nami, wirst du gehängt. Dass du entkommen bist, hast du nur der Hilfe jener Leute zu verdanken. Bitte Nami ...« Bei den Worten Nojikos schüttelte das Kind nur den Kopf. »Kein Stehlen mehr. Ich will dich nicht auch noch verlieren.« Nami hob den Blick. Das Gesagte zeigte Wirkung. Schmerzlich hatte Nojiko sie an den Mord an ihrer Mutter zu erinnern gewusst. Betrübt ließ die junge Frau ihr Haupt sinken. Jenes Haupt, das ihr zur Mittagsstunde vom Halse geschlagen werden sollte. »Sei es drum. Dich zu belehren ist seit jeher ein erfolgloses Unterfangen. Und nun komm«, erhob ihre Schwester abermals, »wir müssen in ein paar Stunden auf dem Markt sein. Unser Obst verkauft sich nicht von allein.« Lang hatte das Mädchen noch auf dem Stuhl verharrt und in die glimmende Glut geblickt. Sie war den Fängen dieser todbringenden Männer entkommen. Ihr Hals hatte sich beinahe schon der Schlinge gefügt, die man für sie bereithielt. Ein Schauer troff ihr über den Rücken, als die Gedanken zu dem Galgen schweiften, der innerhalb der Stadtmitte als Mal für Untaten errichtet worden war. Neben diesem fristete der Pranger ein eher armseliges Dasein. Dass man sie nicht erst an diesen zu stellen versuchte, hatte die junge Diebin nicht minder schockiert. Doch auf Diebstahl stand der Tod, so war es seit je her, auch wenn ihre Finger tatenlos geblieben waren. Kapitel 5: V ------------ Der Prinz und die Diebin ────────────────── Es war einmal . . . V Stimmen hallten über den belebten Markt. Sowie die Sonne über die Spitze des Glockenturmes im Osten des kleinen Städtchens schlich, boten Bürger und Bauern tagtäglich ihre Waren feil. Der Duft von frischem Brot erfüllte die Luft und das Aroma der frischen Früchte lockte, fein säuberlich in Körben aufgereiht, den Betrachter zum Kaufe. Viel gab es nicht, an jenem Ort, doch die Dorfbewohner begnügten sich mit jenen Gütern, die ihnen verfügbar waren. Nur wenig war dem jungen Prinzen über das allmorgendliche Treiben innerhalb seines Reiches bekannt. Umso mehr hatte ihn die Neugierde gepackt, ungeachtet dessen, dass es seinem engsten Berater nicht behagte, den Wunsch nach Neuem zu erhören. »Junger Herr«, leise, und beinahe von Angst durchwoben, drang die Stimme Duvals an seine Ohren. Noch immer vermochte der Diener nicht den Sinneswandel des jungen Mannes zu verstehen, als dieser ihm gebot, am frühen Morgen, nach dem Ankleiden und Speisen, in den Kern der Stadt zu gelangen. »Wenn man Euch erspäht, mein Herr.« Doch Sanji begegnete den Worten seines Begleiters nur eines eisigen Blickes. Sein Begehr, hinunter auf den Markt zu gehen und die schützenden Mauern des Schlosses zu verlassen, erschien seinem Lakaien bedenklich. Gab womöglich die entflohene Maid jenen Anstoß für den plötzlichen Aufbruch des Königssohns? War sie gar eine Hexe, der es auf magische, finstere Art gelang, sich nicht nur den schweren Ketten des Kerkers zu entwinden, sondern auch dem Stricke des Galgen? Besaß dieses Kind solch dunkle Kraft, dass es den Verstand des Jungen zu verdrehen wusste? »Lasst mich!«, zischte dieser und entwand sich den greifenden Händen des älteren Herren. »Wir gehen zum Markt!« Worte, die sein Vorhaben in Stein zu schmettern vermochten und keiner weiteren Silben bedurften. »Aber ...« Dennoch erlaubte es sich Duval, weitere Laute aus seiner Kehle empor dringen zu lassen: »Mein Prinz, zu Eurer Sicherheit. Bitte, lasst uns von den Wachen begleiten.« Mit der Zunge vernehmlich schnalzend, rollte der blonde Jüngling die Augen und gebot seinem Oberst mit einem ausladenden Handschwenk an seine Seite zu treten. Doch auch der Befehlshaber seiner Leibgarde begegnete dem Vorhaben des Schützlings mit Argwohn. Erleichtert entließ Duval die angehaltene Luft aus seinen Lungen, während der Oberst dem Prinzen begreiflich zu machen versuchte, dass er mit einem Heer in seinem Rücken mehr Aufmerksamkeit errege. Skeptisch hatte Sanji den Worten gelauscht. Nun, etwas in ihm riet sogar dazu, sich seinem Volke zu zeigen. Doch das energische Drängen seiner Garde ließ ihn sich besinnen. »So unauffällig wie möglich, mein Herr«, ereiferte sich Duval und wirkte sichtlich angetan von den Gewändern, die man seinem Prinzen bereitlegte. »Vortrefflich.« In flüsterndem Ton drang die Schmeichelei an seine Ohren, doch Sanji hielt den Blick nach vorn gerichtet. Noch immer schien es Deval nicht recht, sich in die Öffentlichkeit zu wagen, den Tarnkleidern zum Trotze, die dem Jungen das Aussehen eines Bürgers verliehen. Auf Befehl des Königssohnes hin, hatten sich Oberst Tetsu und Leutnant Shinobu unauffällig zu kleiden, da man diese als Begleitpersonen wählte. Beide marschierten sie hinter dem Prinzen und dessen Diener her, jedoch Blicke wechselnd, die keinerlei Zustimmung für das Handeln des Kindes gaben. »Sollten wir uns nicht um das flüchtige Mädchen kümmern?«, murmelte Shinobu an seinen Oberst gewandt. »Wozu?«, hakte dieser mit fester, energischer Stimme nach. »Vermutlich hat sie längst die Stadt, wenn nicht so gar das Land verlassen. Es wäre zu ihrem Besten. Es wäre zu unser aller Besten. Dieser dumme Junge, warum er gerade jetzt in Stadt gehen will, ist mir unbegreiflich. Nie hat er auch nur einen Fuß aus den Palast gesetzt und nun schau ihn dir an!« Ein schnaubender Laut entfloh dem Oberst, dann schüttelte er den Kopf und hielt seinen Untergebenen am Ärmel seines Hemds zurück. »Nun kein Wort mehr! Sollte sie noch hier sein, irgendwo, werden wir sie fangen. Und dann wartet der Strick am Galgen auf sie. Bis dahin leisten wir den Befehlen dieses Bengels folge.« Sowie sich das hohe, schmiedeeiserne Tor hinter ihnen schloss, sah sich der junge Prinz um. Wohl wahr, diese Umgebung erschien ihm fremd und er vermochte sich kaum noch daran erinnern, ob und wann er jemals den schützenden Mauern entkommen war. Vögel stießen in die Luft, verließen ebenso ihr Heim, um sich in den Morgen zu begeben. Er würde es ihnen gleichtun. Würde sich erheben und mit freudigem Blick dem Tage entgegengehen. »Nami«, hallte die Stimme des Fräuleins durch das Zimmer. Murrend wand sich die junge Diebin unter dem Laken, das ihr und ihrer Schwester als Schutz vor der nächtlichen, winterlichen Kälte diente. Wie immer schien Nojiko stets bestem Gemüts zu sein, ein Lächeln auf den Lippen und Lachen im Herzen. Doch Nami wusste um die Bürde, die sie mit sich trug. Als Älteste von ihnen oblag ihr die Verantwortung. Verantwortung für das Funktionieren des Haushaltes, das Florieren des Obsthandels und natürlich für das Kind, das früh schon ein Talent für das Stehlen zeigte. »Ehrliche Arbeit«, hatte sie fortan, und nach dem Tode der Mutter, gemeint, »ist der beste Weg, sich durch dieses Leben zu schlagen.« Nami jedoch hatte meist nur die Schultern gezuckt und beharrt, das nichts Verwerfliches daran sei, von den Reichen zu nehmen und diese um ein paar Münzen, Schmuck oder andere wertvolle Dinge zu erleichtern. Viel zu oft schon glaubte Nojiko, dass man ihre jüngste Schwester ergriffen habe, denn der Aufruhr an manchen Morgen und das Flüstern, welches den Lippen der Bürger entwich, hatte ihr Herz in Furcht, Angst und Besorgnis flattern lassen. Doch das Kind entwischte jenen Schwierigkeiten mit Leichtigkeit. Katzengleich und elsternschlau hatte sie sich den Fängen des Gesetzes entwunden, dennoch hatte man sich ihrer vor nicht weniger als zwei Tagen bemächtigt, hatte sie in die Kerker des Schlosses gesperrt, Säbel geschärft und Seile geknüpft. Die Ketten, schwer und unnachgiebig, die Fesseln kalt, hatten Spuren hinterlassen. Noch immer wanden sich rote Striemen um ihre Handgelenke, leuchtend wie Mahnmale und brennenden Warnungen gleich. »Du hättest sterben können. Sie hätten dich gefoltert!« Wieder und wieder spukten die Worte der Frau in ihrem Kopf umher. Trieben sie dazu, die Augen zu öffnen und zu erkennen, dass sie ohne Hilfe nie diesem Gefängnis, dem Galgen entkommen wäre. Sie war dem Tode entflohen. Hatte ihren bleichen Hals den Schlingen entwunden. »Bedecke deine Arme!«, ordnete das Fräulein an und reichte ihrer Schwester ein helles, langärmeliges Hemd. »Mach dir keine Gedanken, Nojiko.« Leise waren ihre Worte und ein zuversichtliches Lächeln zeigte sich auf ihrem blassen Gesicht, während der Stoff seinen Weg über Kopf und Schultern fand. »Nie wieder, nie wieder, hörst du? Bitte!« Die Diebin wich dem besorgten, drängenden Blick aus, der ihr entgegen eilte. »Ich habe doch nur noch dich und wir beide nur noch einander.« Nami hielt inne, wandte das Haupt und zwang sich dennoch, sich den gefallenen Worten zu stellen. Ihr Gegenüber weinte nicht, nicht mehr, seit dem man sie allein und sich selbst überließ, doch nun wirkten ihre Augen unruhig, flackernd und glitzerten im fahlen Licht des Morgens. »Rede mir kein schlechtes Gewissen ein«, fauchte Nami jedoch. »Ich will doch nur, dass es uns besser geht. Schau doch nur, wie viel ich bereits erreicht habe!« Nojiko folgte dem Fingerzeig der Jüngeren. Ihr Deuten verwies auf die Dielenbretter des Bodens, wo in einer Vertiefung jene Schätze verborgen lagen, die das Mädchen seit Jahren erbeutete. Doch kein freudiger Glanz trat in Nojikos Augen. Nami fuhr zusammen, als sie die kalten Finger ihrer Schwester bemerkte, die sich um ihre Arme legten. »Genug. Wir haben genug!«, sagte sie, doch das Mädchen wich ihrem Blick aus. »Ein Mal noch«, meinte Nami und blickte ihrer Schwester entgegen. »Nein, Nami!«, spie diese aus. »Nicht noch einmal. Nie wieder!« »Aber ...« Doch der Protest der jungen Diebin wurde jäh zum Schweigen gebracht. »Lass uns aufbrechen!«, forderte Nojiko und ließ von ihr ab. Noch immer verspürte sie die kalten Glieder auf ihrer Haut, als hätten sie sich durch den Stoff des Hemds gebrannt. Doch in dem Mädchen war bereits der glimmende Funken zu einem Feuer entfacht. Ein Mal noch, käme, was wolle. Arrest, Pranger, Galgen oder Tod auf anderen Wegen. Kapitel 6: VI ------------- Der Prinz und die Diebin ────────────────── Es war einmal . . . VI Sorgfältig wurden die duftenden Früchte arrangiert. Ihr Leuchten erinnerte an die aufgehende Sonne selbst, die bereits über die Stadtmauern zog und die Nebel des kühlen Morgens verbannte. Dass es, um diese Jahreszeit, eher einem schwierigen Unterfangen glich, solch prächtiges Obst behütet aufzuziehen, schien wahrlich einem Wunder, doch den Mädchen, die jene vitaminreichen Orangen aufboten, gelang es auf märchenhafte Weise. Welch Mühe die Kinder auf sich nahmen, wurde nur hinter vorgehaltenen Händen gemurmelt, denn den Bürgern war durchaus bekannt, welch hartes und herbes Los die beiden, jungen Frauen zutragen hatten. Nicht immer waren die Jahre geprägt von Glückseligkeit, gar Freude. Der Verkauf der Orangen oblag der Obhut ihrer Mutter, die jedoch auf schlimmste und schrecklichste Art ihr Ende fand und ihre Mädchen so sich selbst überlassen musste. Und obschon Neid, dann und wann, zu ihnen herüberwehte, schalten die Bürger, die jene Anwandlungen bemerkten, einander, denn wohl niemand von ihnen wäre gern an ihrer Stelle. Die Kapuze des Mantels barg ihr das Gesicht, ehe das Mädchen nach den wenigen Früchten langte, die es zu drapieren galt. Der Morgen war frisch, frostig und kalt gar, und das Glitzern des Taues konnte diesen Umstand nicht mildern. Träge waren die Stunden dahingekrochen. Stolperten wie das schwache Schlagen eines Herzens und riefen nach ihr. Den Blick noch immer vor den anderen Menschen verbergend, versuchte die Diebin dennoch zielgerichtet die täglichen Arbeiten zu erfüllen. Dass man ihre langen Finger nicht gern sah, doch die kleinen Räubereien dennoch zu dulden schien, erleichterte zwar das Leben der Mädchen, dennoch blieben es Taten, die unter Strafe standen. Dass Angst allmählich in ihr Bewusstsein drang, konnte der Älteren nur recht sein. Hier, an diesem öffentlichen Platze, waren die kühlen Glieder der Ketten allgegenwärtig. Vorsicht war geboten. Und doch hatte sie versprechen müssen, nicht mehr zu stehlen. »Nami?« Sowie ihr Name fiel, zuckte sie zusammen und wandte sich zu der Stimme um. Ihre Schwester schien zufrieden mit dem, was sie sah und das stumme Nicken, das ihr gezollt wurde, zeugte von Zuversicht. Viel war es nicht, das sie anbieten konnten. Doch neben den schmackhaften Orangen, waren dort noch andere Köstlichkeiten, die eine Auswahl dennoch erschwerten. Aus dem Obst gefertigte Speisen, wie Kuchen oder Liköre, bis hin zu wohlduftenden Aromen und Öle. Das leise Klirren der einzelnen Flaschen zog sich wie ein Schauer über ihren Rücken. Mit gerecktem Kinn flanierte der Prinz in ansehnlichem Tempo die gewundene Straße entlang. Ihm folgten die Mannen, wenngleich Duval dem Versuch erlag, so wenig Abstand wie möglich zwischen sich und dem Königssohn aufkommen zu lassen. Noch immer schien seine Angst wie eine schwere Wolke über dem naiven Vorhaben des Jungen zu schweben, der jedoch zielgerichtet auf das hohe Tor zum Markt schritt. Duval vermochte die Euphorie des Kindes nicht zu teilen, denn Vorsicht war geboten. Wenn man heraus fand, dass der Prinz nicht länger im Schloss weilte, dann wäre nicht nur der Thronerbe in Gefahr, nein, gar das ganze Land. Ohne die Hände des Königs, die auf den Lehnen des Hoheitsstuhles ruhten und dessen Blick Strenge und Autorität, Tatkraft und Kampfbereitschaft zeigte, wirkte das Königreich zerbrechlich wie Glas. Sollte diesem Jungen Böses widerfahren, so wäre sein Kopf der Nächste in der Schlinge, die am Galgen hing und darauf zu warten schien, einem Leben den letzten Odem zunehmen. Hart schluckte der Diener, denn auch wenn er als Berater und Beschützer des Kindes galt, das sich von kleinauf in seiner Obhut befand, blieb er trotz allem nur ein armer Mann, der den Genüssen des Hofes erlegen war. Und sowie er neben seinem Schützling durch den Torbogen marschierte, tat sich vor ihren Augen eine Welt auf, die der Prinz nie zu glauben gewagt hatte. Keine vor Freude strahlenden Gesichter, kein Lachen, kein Gesang. Es schien beinahe, als wäre alles außerhalb des Palastes wie aus einer anderen Zeit. Die Menschen, die geschäftig an ihnen vorüberzogen, würdigten sie keines Blickes, nahmen die Gestalten nur am Rande ihres kümmerlichen Bewusstseins wahr, taten, als wäre ihnen die Präsenz des Königssohnes einerlei, als wüssten sie nicht, welche Ehre ihnen zuteil wurde, an jenem Morgen, in jenen Stunden. »Mein Prinz«, zischte Duval leise an trat neben ihn. »Verzeiht mir, doch man erkennt Euch nicht.« Erst, nachdem die Worte seines Bediensteten an seine Ohren gedrungen waren, schien die Erinnerung zu ihm zurückzukehren. Wohl wahr, erst vor wenigen Minuten hatte man den jungen Mann, samt den drei anderen, in Stoffe gehüllt, die wenig königlich waren. Das schlammige Braun der Hose, sowie der Jacke hatten nichts von dem herrschaftlichen Blau, das er bevorzugte. Auch war diese klobige Kopfbedeckung weit weniger zumutbar, als es die Krone war, die er zu besonderen Anlässen tragen durfte. Das, was seine Angestellten Hut nannten, war dem Prinzen jedoch alles andere als genehm. Räuspernde, hustende und krächzende Laute erfüllten die Luft. Alte, Schwache und Kranke schleppten sich über den harten, gefrorenen Boden. Nur Wenige wirkten jung und vital. Keine Kinder, die um die Beine der Leute rannten, keine hübschen Mädchen, die Lieder trällerten und Lobeshymnen auf den König und Prinzen sagen. War dies wirklich sein Königreich? Oder schien einzig der Winter nur so unbarmherzig und grausam zu seinen Untertanen? Langsam schritt der Prinz über den Platz, erspähte Pranger und Galgen. Beide Instrumente wirkten verwittert, schienen seit langem nicht mehr ihren Arbeiten nachzukommen. Sanji nahm den Blick von dem morschen Holz. Sein Interesse nicht mildernd, schlenderte der junge Herr mit seinen Begleitern durch die Reihen. Der Markt, trotz seiner Kargheit, war angefüllt mit Menschen, die ihre Ware anpriesen, mit lauten, schelmischen und nicht minder saloppen Worten. Stoffe, und Lederwaren. Schmiede, die Hufe von Pferden beschlugen, und andere, die ihre Kunst in der Schwertarbeit bewiesen. Bauern, die ihren Käse und andere Molkereiprodukte lobten, Obst- und Gemüsehändler, die jedoch in Stille und mit geneigten Köpfen verharrten. Der Duft von frischem Brot stieg ihm in die Nase, während der junge Mann seinen Blick abermals schweifen ließ. Ein bizarres Bild bot sich ihm. Die laut krakeelenden Marktschreier auf der einen Seite, die Armut und Lebensunlust auf der anderen. »Sagt, Duval«, erhob der Prinz das Wort, »entspricht dies der Wirklichkeit?« Duval schien offenkundig verwirrt über die Worte des Jungen. Sanji sah prüfend zu ihm, ehe er sich zum Oberst und dem Leutnant umwandte, diese jedoch schienen nichts von seiner Frage bemerkt zu haben. »Mein Prinz?«, fragte der Diener besorgt. »Wie meinen?« »Nun, ich möchte wissen, ob dieses Elend hier tagein-tagaus das Bild meines Königreichs verschandelt«, spie er aus und verzog das bubenhafte Gesicht zu einer angewiderten Grimasse. »Ich ...«, haspelte Duval, »ich weiß es nicht, Herr.« Ohne eine weitere Silbe zu verschwenden, setzte sich der jungen Mann wieder in Gang. Allmählich kroch ihm die Kälte durch die Kleidung, die jedoch bei weitem dicker und wärmer erschien, als es die dünnen Stoffe der Landeskinder tat. Klamm und nass legte sich der Märzmorgen über sie. Kopfschütteln schritt der Sanji die Stände ab, versuchte sich, trotz Widerwillens, an einem Lächeln. Niemand erkannte ihn, keiner dieser einfachen Leute schien zu bemerken, wem sie ihre Ware anboten. Dennoch kam er nicht umhin zu bemerken, wie einige andere seine Begleiter zu mustern schienen. Nun, der Oberst hatte eine unverwechselbare Statur. Und die Stimme des Leutnants war unverkennbar, auch wenn sich beide einem Flüsterton bedienten. Doch die Pflicht der Wachen war es nicht nur, den König zu beschützen. Es galt ebenso für Friede im Land zu sorgen. Vielleicht erkannten die Bürger seine Leibgarde aus diesem Grund, der Verkleidung zum Trotze, und begannen zu tuscheln oder gar mit großen, ungläubigen Augen zu ihnen herüberzusehen. Eiligst schritt der Prinz voran, Duval war ihm stets auf den Fersen. Als er an einen der kleineren Stände gelangte, an dem, für diese Jahreszeit eher ungewöhnlich, frische Orangen sein Interesse weckten, bemerkte er die junge Frau, die ihm ein warmes Lächeln schenkte. Sein Blick jedoch war noch immer an einer Frucht hängengeblieben. Leuchtend, frisch ... eine Farbe, die ihm merkwürdig vertraut erschien. Kapitel 7: VII -------------- Der Prinz und die Diebin ────────────────── Es war einmal . . . VII Zwitschernd flogen die morgendlichen Boten in den kalten Märztag hinaus. Eisig pfiff der Wind, als die Bürger der Stadt hinter ihm vorüberzogen. Den Blick auf das Obst geheftet, war es das zarte Räuspern einer jungen Frau, das ihn sich wieder besinnen ließ. Der Prinz hob den Blick. Augen, so blau wie der Himmel an einem herrlichen Sommertage, Lippen so rot und wie zum Küssen gemacht, Wangen so rosig, als pulsiere alles Leben darin. »Kann ich die Herren für ein paar Orangen begeistern?« Erneut verbog sich der geschwungene Mund des Fräuleins zu einem einladenden Lächeln. »Wir bieten auch andere Köstlichkeiten, die Euch munden werden. Marmeladen, Säfte ... was immer die Herren wünschen.« Duval räusperte sich vernehmlich und verneinte das zuvorkommende Angebot, sein Prinz jedoch schien von der Freundlichkeit des Mädchen gar verzückt. »Habt Dank«, meinte der Diener und zog den jungen Mann am Hemdsärmel fort. »So schön«, murmelte der Königssohn. »Sagt Duval, sind alle Frauen in meinem Reich so bezaubernd?« »Junger Herr«, beschwor ihn Duval eindringlichst. »Habt Ihr vergessen, was Euch widerfahren ist?« Sanji hielt inne und stemmte die Hände in die schmalen Hüften. Er hatte nicht vergessen, was vor wenigen Tagen geschehen war, und doch ... »Kommt weiter!«, legte ihm sein Gefährte nahe. Schweigend besah sich der Prinz die nächsten Stände, begutachtete die Waren und entschied, dass es dem Volke an nichts mangelte. Es hatte Essen, Trinken, Vieh ... man gerbte Leder, schmiedete Schwerter und fertigte Rüstungen. »Euer Volk ist demütig, mein Prinz«, bemerkte Oberst Tetsu. »Es ist arm, aber nicht hilflos.« »Oberst«, drohte Duval, doch der Prinz ließ ihn mit einer Geste verstummen. »Ich sehe es«, gebot er dem Führer seiner Garde. Sein Blick schweifte abermals über den Markt. Ein Duft, so herrlich, dass es ihm das Wasser im Munde zusammentrieb, erfüllte seine Nase. Zielstrebig hastete Sanji an den Männern vorbei. Vor seinen Augen tat sich ein großer, steinerner Backofen auf, aus dem soeben Laibe von köstlichstem Brot ihren Weg auf Holzdielen fanden. Das Ratschen der Schaufel erstarb, als der Bäcker die letzten Laibe aus der sengenden Hitze befreite. Der Prinz besah sich das magere Angebot, dennoch fand er, wonach er suchte. Die Leibspeise des Jungen war frisches, lockeres Sauerteigbrot mit etwas Butter. Grisella verstand es, wie keine andere, stets einen Teller bereitzustellen, wenn es ihm danach verlangte. »Hey, Bursche. Möchtest du diesen Laib Brot kaufen?«, eine raue, kratzige Stimme holte den Prinzen aus seinen Träumen. Der Bäckermeister ragte vor ihm auf. Groß, und so rund wie die Brote, die er aus dem Feuer zog. Mehl klebte ihm an den Pranken und im Gesicht. Die Kleidung war schmutzig vom Ruß und dem feinen, weißen Staub, der in Luft umher wirbelte. Duval trat an die Seite seines Schützlings und schnappte beim Gehörten empört nach Luft. Sanji jedoch gebot ihm, über den Fehler des Mannes Schweigen zu verhängen. Der junge Mann schüttelte den Kopf. Kaufen? Er war der Prinz dieses Landes. Er kaufte nicht, er nahm. Ohne einen weiteren Gedanken zu vergeuden, haschte der Prinz nach dem Brot, nickte dankend und wandte sich bereits zum Gehen. »Hey, bezahle, was du dir nimmst!«, herrschte der Bäcker und das Gemurmel der geschäftigen Bürger verstummte jäh. Schneller, als er erblicken konnte, wollte ihn die grobe Hand des Mannes packen. »DIEBE!«, brüllte dieser auf. Durch den plötzlichen Tumult aufgescheucht, riefen die besorgten und entrüsteten Bürger durcheinander. Kreisten den Prinzen und seinen Diener ein, nicht wissend, wer dort vor ihnen stand. Das Wirrwarr für sich nutzend, entging dem Bäckermeister, dass flinke Finger nach seinem Tagewerk trachteten und dieses in Mengen eiligst in Taschen und Tüchern bugsiert wurde. Panisch schwankte der Blick des Prinzen, für die armen Städter nicht als dieser erkennbar, zwischen den Leuten her. Ein leuchtender Schopf war es, der ihn verharren ließ. Schreie erhoben sich, als Bürger beiseite gestoßen wurden und leise Hoffnung flackerte kurz in dem jungen Herren auf. Doch als Duval ebenso rüde gestoßen wurde, schwante ihm Übles. Seine Wachen vermochte er nirgends zu erblicken und würde er das Wort erheben, wäre der Aufruhr groß. Warme Finger schlossen sich um sein Handgelenk, ehe jemand den Prinzen unbarmherzig mit sich riss. Eine Schar Bauern ließe sich allenfalls noch besänftigen, mit Worten womöglich, doch ein gar zorniger Pöbel hingegen, der mit Forken Jagd machte und zum Aufstand rief, war alles andere als dummes Kleinvieh. Eiligst folgte er seinem Retter und entschlüpfte der wütenden Meute. Ein letztes Mal noch schweifte sein Blick zu seinem Diener, den er nicht erspähen konnte. Der Mob, fluchend und einem brodelnden Kessel gleich, setzte ihnen nach. Durch Gassen zog man ihn, scheuchte ihn durch Türen leerer Häuser, über Treppen hinweg. Dann verschwand das Licht des Tages vor seinen Augen. Kapitel 8: VIII --------------- Der Prinz und die Diebin ────────────────── Es war einmal . . . VIII Hastig ging ihm der Atem, wild schlug ihm das Herz in der Brust. Ein Kribbeln wallte in seiner Kehle auf. Brennend schien das Blut durch seinen Körper zu jagen. Angst klammerte sich an seinen Leib, Panik bedeckte ihm die Augen. Krächzend verlangte er nach Luft, während ihm ein muffiger Geruch in die Nase kroch. »Wer seid Ihr? Sprecht!« Es gelang dem Königssohn recht schnell, die Stimme zu erheben. Zu schnell, für seinen vermeintlichen Retter. »Schweig!« Die Laute, irgendwo im Dunkeln lauernd, ließen einen Schauer über seinen Rücken ergehen. Wie ein Peitschenhieb sauste der Befehl auf ihn hinab. Der junge Prinz vernahm nur den rasselnden Atmen, doch bemerkte er nicht, das ihm jener entfloh. »Was erlaubt Ihr Euch?« Abermals verlangte er nach Erklärung. Das Flackern einer Flamme erregte seine Aufmerksamkeit. Es war seinem Begleiter gelungen, ein Streichholz zu entzünden. »Du?« Wut wallte in ihm auf. Der Schein des Feuerspahns genügte, ihm das Antlitz des Helfers zu offenbaren. »Wusste ich doch, dass mir deine Stimme bekannt war.« Argwöhnisch kroch eine Augenbraue empor und stärke so den gleichgültigen Ausdruck auf dem Gesicht des Mädchens. »Ohne mich, wärst du längst im Kerker«, pfeilschnell schossen die Silben aus ihrem Mund hervor. Sein empörtes Schnappen nach Luft ließ sie die Mundwinkel heben. »Du wolltest doch keinen Aufstand riskieren?«, verlangte sie zu wissen und zischte wütend, da das Zündstäbchen bis zu ihren Fingerspitzen abgebrannt war. »Welch ein Skandal!«, sinnierte sie großzügig betonend und zeigte sich provozierend kämpferisch. »Der junge Thronerbe stiehlt gewöhnliches Brot von einem gewöhnlichen Bäcker. Streicht auf dem Marktplatz umher, verkleidet als gewöhnlicher Bürger.« Das Holz unter ihren Füßen knarrte, als sie einen Schritt tat und an ihm vorbeizog. Der Prinz spürte nur den leichten Hauch, der ihr folgte und vernahm den Duft nach Orangen, der nun intensiver schien und ihr anhaftete wie ein Klettengewächs. Ein kleiner Lichtstrahl kroch in das dunkle Zimmer, als das Mädchen die Fensterläden einen spaltbreit öffnete. Einige Bürger suchten noch immer nach dem diebischen Aufrührer. Ein schwerer Seufzer verließ ihre Lippen, als die Maid den Raum erneut in Finsternis hüllte. Wieder wurde ein Feuerhölzchen entflammt. »Komm!«, forderte sie, doch der Prinz stand an seinem Platz und rührte sich nicht. »Du willst nicht? Dann bleib zurück und lass dich von deiner Leibgarde festnehmen.« Sie ließ ein Zucken der Schultern erkennen. Im flüchtigen Schein des Streichholzes schimmerte ihr Gesicht. Zeigte hohe Wangenknochen, eine feine Nase und ebenso schön geschwungene Lippen. Was den Königssohn jedoch ganz und gar zu fesseln schien, war das warme, schmeichelnde Braun ihrer Augen. »Nun auf, komm schon!«, knurrte sie und griff nach dem Ärmel seiner Robe. Mit Vorsicht öffnete sie die Tür, spähte erst nach Links und dann in die andere Richtung. »Es ist bald Mittag«, ließ die Diebin flüsternd verlauten, als ob dies dem Prinzen entgangen sei. Sein Magen verlangte bereits laut knurrend nach einem ausgiebigen Mahl. Verächtlich blickend wandte sich das Mädchen zu ihm um. Atemwölkchen entstiegen ihren Lippen, als sie einen frustrierten, leisen Seufzer ausstieß. Wortlos zerrte sie ihn in den Tag hinaus. »Bring mich zum Palast!«, forderte der Königssohn und holperte hinter ihr her. »Nein«, sagte sie entschieden und hastete durch eine schmale Gasse. »Ich verlange ...«, setzte der Prinz an, doch hielt ihn ihr zorniger Blick im Zaum. »Du verlangst?«, knurrte sie spöttisch. »Du hast hier nichts zu verlangen! Und jetzt sei still!« »Was erlaubst du dir?!«, protestierte Sanji abermals. »Pssst!« Einen Finger an die Lippen legend, bedeutete sie dem Prinzen endgültig zu schweigen und endlich ruhig zu verharren. Ihr Gesicht zierte ein merkwürdiger Ausdruck. Die zusammengeschobenen Brauen bildeten eine Falte, ihre Augen waren zu Schlitzen verengt, während sich ihr Körper in Lauerstellung verbog. Stimmen, von irgendwo her, gelangten nun auch an die königlichen Ohren, sodass Sanji dem Beispiel des Mädchens folgte, und ebenso in eine unangenehm krumme Position rutschte. Eiligst traf ihn der ernste Blick der Diebin. Seine Hand, noch vor wenigen Augenblicken die kalte, unnachgiebige Mauer hinter sich berührend, lag nun auf ihrem zierlichen Rücken. »Verzeih«, murmelte er und eine verlegene Röte kroch ihm in die blutleeren Wangen. Das Mädchen schüttelte den Kopf und lauschte abermals, ob jene Stimmen näherrückten. Als sie entschied, das keinerlei Gefahr zu drohen schien, haschten ihre langen Finger nach seinem Handgelenk. Warm schlangen sich die Glieder um seine kühle Haut. »Weiter!«, forderte sie und der Prinz folgte. Hoch oben, über ihnen, zeigte sich die Sonne strahlend und hell. Sie vertrieb die grauen Schneewolken und thronte am Himmel, als herrsche nur sie allein über den Tag. Das Läuten der Glocke im alten Kirchturm bekräftige die Diebin in ihrer Vermutung, als jene zwölf Schläge erklingen ließ. Sanji hielt inne, blickte auf und lauschte. Die Strahlen des Tagesgestirns reichten nicht, um auf den frostig harten Boden der kleinen, schmalen Gasse zu gelangen, da die Häuser jenen Gang in Schatten hüllten. Der Klang der Glocke genügte, um die Erde unter seinen Füßen erbeben zu lassen. Das Zittern seiner Beine erschreckte ihn. Doch es war nicht das tiefe Grollen der hiesigen Kirchenglocke, das ihn erfasste. Es war Angst, die ihn schier schlottern ließ. Das Herz schien ihm klamm, denn dies war kein Ort, der ihm behagte. Abrupt zuckte er zusammen. Noch immer verweilten die Finger der Diebin auf ihm. Ihr Blick erschien ihm unergründlich, kein Ton entwich ihren Lippen. Schweigend sah sie zu ihm und beutete ihm mit einem kaum auffallenden Nicken, dass Eile geboten war. »Wenn die Soldaten dich hier finden, werden sie nicht gnädig mit dir sein. Ungeachtet dessen, dass du der Prinz bist.« Ihre Worte ließen ihn sich besinnen. »Der Markt ist bald menschenleer. Allerdings wäre es töricht, dich dann zurückzubringen, da die Wachen stets patrouillieren. Und nun womöglich noch sehr viel mehr. Wir werden erst einmal einen Unterschlupf suchen, bevor du wieder ins Schloss zurückkehren kannst.« Sanji nickte, wenngleich auch eine dumpfe Taubheit ihre Arme um ihn schlang. »Du ...«, setzte er an. »Du bringst mich also zurück?« Das Mädchen haderte mit sich, stimmte seiner Frage dann jedoch zu. Schwach neigte er den Kopf. »Nach allem, was ich dir antat?« »Habt Ihr Schuldgefühle, Prinz?«, neckte sie spöttisch. Betreten blickte Sanji drein, als wage er nicht, die Wahrheit in ihren Augen zu finden. »Für die Striemen an meinen Armen wirst du aufkommen müssen! Ebenso für die wahrscheinlich auftretende Lungenentzündung, die ich mir in deinem kalten Kerker zuzog«, diktierte sie und wich einer gefrorenen Pfütze aus, indem sie einen großen, hüpfenden Schritt machte. »Alles hat seinen Preis und ich verhandle nicht!« Wieder zog ihn das Mädchen durch die alte Stadt. Zeigte ihm so, ungewollt, wie sehr es seinem Volk doch schlecht erging. All der Prunk im Schlosse wirkte nun, mit einem Male, befremdlich, gar übertrieben pompös. Ganz in seine Gedanken gewoben, bemerkte der Prinz nicht, dass das Mädchen innehielt. Unabsichtlich stieß er gegen ihren Rücken, bevor sie jedoch ins Straucheln geriet, haschte er nach ihr und hielt die Diebin zurück. Erneut traf ihn ihr kalter Blick, doch ein zartes, schwaches Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie das Haupt von einer Seite zur anderen wandte. Die Maid schwieg und dachte allem Anschein nach nicht daran, sich für die mutige Tat des Jungen zu bedanken. »Ist dies ... besagter Unterschlupf?«, pikiert blickte der Prinz an ihr vorbei. Vor ihm ragte eine alte, verwitterte, hölzerne Pforte auf. Kurz reckte er den Hals und erkannte ein kleines Häuschen. Gar winzig erschien es ihm, als habe es sich zwischen den anderen, größeren Bauten eingeschoben, die sich zu beiden Seiten auftürmten. »Du kannst auch gern die Nacht hier draußen verbringen«, zischte die Diebin und ließ keinerlei Zweifel an ihren drohenden Worten. »Und so, wie dein Magen knurrt, denke ich, dass du nicht wählerisch sein solltest.« Dieser Umstand machte ihn sprachlos. Er verbiss sich weitere Laute und es gelang ihm so, das leise Gemurmel des Mädchens zu vernehmen. Zwar bediente sie sich einem flüsternden Ton, dennoch hörte er deutlich, wie sie, recht despektierlich, »ein Prinz der hungert« ausspie. Sie ließ von ihm ab, eh ihre Finger den Riegel anhoben, der jene Tür verschloss. Ächzend schabte die Pforte über den Boden und ein Lichtschein gelangte von Innen ins Freie. Flink schnappte die Diebin nach seinem Kragen und zerrte ihn über die Schwelle ins Haus. Der Prinz, sogleich zu einem erneuten Ausruf des Protestes ansetzend, verstummte jäh. Vor seinen Augen erhob sich das nette Fräulein vom Morgen. Doch ihr hübsches, anmutiges Antlitz glich einer steinernen Maske. Tiefe Furchen zogen sich über das filigrane Gesicht. Ihr Blick war zornig, dennoch galt ihre Wut nicht ihm, sondern dem Mädchen, das hinter dem Prinzen stand und die Tür ins Schloss fallen ließ. Kapitel 9: IX ------------- Der Prinz und die Diebin ────────────────── Es war einmal . . . IX Schweigen legte sich über sie, wie eine schwere, wollene Decke. Doch Wärme war nirgendwo zu finden, stattdessen schien eine eisige Kälte durch die dürftig eingerichtete Behausung zu wehen. Der Prinz, zwischen den beiden Mädchen stehend, kam nicht umhin, den Zorn der hübschen Maid zu bemerken, da ihr Blick keinerlei Freude erkennen ließ. Wut hatte die blassen Wangen des Fräuleins zum Leuchten gebracht, während die fahle Haut der Diebin noch vom frostigen Tage gezeichnet war. Pardonierend und mit hängenden Schultern schob sich das gaunernde Kind an ihm vorbei. »Hallo Nojiko«, spie die Elster aus. Erschöpfung war in ihren wenigen Worten auszumachen. Eine Kraftlosigkeit, Ergebenheit, die den Königssohn verdutzte. »Wo warst du?« Jedes Wort schien vor Zorn gesprochen. »Ich war ...«, hob die Diebin an, doch sie verstummte jäh und dem Prinzen war, als habe sich etwas Unsichtbares, Finsteres um die schnelle Zunge des Mädchens geschlungen. Der Ausdruck auf dem Gesicht des hübschen, adretten Marktfräuleins glich, wenn dem denn möglich war, mehr denn je einer Fratze, die Wut zeigte, Enttäuschung preisgab und Angst zur Schau trug. »Aber ...« Die vermeintliche Retterin des Prinzen wand sich qualvoll in Erklärungsnot. »Nein! Sprich nicht weiter!« Die hübsche Maid unterband den kommenden Schwall weiterer Silben. »Weißt du, was heute Morgen auf dem Markt vorgefallen ist?« Achtlos zuckte die Diebin mit den Schultern. Dass sie den Fremden zu ignorieren schienen, schmeichelte ihm nicht, dennoch hielt der Prinz es für weise, sich mit Nichten in den Vordergrund zu drängen. »Das Silber hüpft nicht von allein in unsere Taschen«, hob das Fräulein an und just in jenem, so fatalen Moment, entkam dem Fremdling ein belustigt klingender Laut, der ihm jedoch sogleich im Halse stecken blieb. Der Blick des Fräuleins wanderte über sein edles Antlitz. »Wer ist das?«, fragte das Mädchen brüsk. »Wen hast du uns hier angeschleppt? Weitere Mäuler, die es zu füttern galt?« Der Prinz rang empört nach Luft. Nie hatte man ihm eine derartige Behandlung zukommen lassen. Er war von adligem Geblüt, herrschaftlich anzusehen, Sohn des Königs dieses Landes! »Niemand«, spie die Diebin aus und ließ sich auf einen der Stühle sinken. »Niemand, so so ... nun, für einen Niemand hat er aber für recht viel Aufregung gesorgt.« Erneut ließ die Maid ihre Augen über den fremden Jüngling schweifen. Die Lumpen, die man ihm angedieh, das Haar zerzaust, als habe eine Schar Vögel darin genistet, Schmutz und Schweiß auf Händen, Knien und Wangen, nichts war mehr zu sehen, von Reichtum und Noblesse. »Sagt, Maid, was ist dies für ein Bau?« Dem ungebührlichen Benehmen der Frauen zum Trotze, hob der Prinz das Wort. Das Kinn empor reckend, trat er an dem Fräulein vorbei und nahm sich das Recht heraus, sich auf den anderen, freien Platz zu begeben. »Bau?« Die Augenbraue der Marktmaid schoss gen Norden. »Meinst du etwa, wir hausen in Höhlen?« »Was erlaubt Ihr euch?«, entfuhr es dem Jungen sogleich. »Nie hat man mich derart ungebührlich behandelt. Kniet nieder! Kniet nieder, Weib!« Nun war es an dem Fräulein, erzürnt nach Luft zu ringen. Die Diebin, womöglich um dem Folgenden wissend, erlag dem Versuch, einem weiteren Wortgefecht zu entgehen. »Nojiko«, bremste sie und hob flink die Hände empor. »Das ist der Prinz.« Dieser erhob sich in übertriebener Gestik und ebenso schwungvoll von seinem Platze, schob stolz, hochmütig gar, das Kinn vor und bediente sich eines abschätzigen Blickes. Gelächter, selten in jenen Tagen und rar in jenem Hause, erklang. Der Prinz, edel und anmutig, schien verdutzt und in aller Eitelkeit gekränkt. »Wollt Ihr nicht hören?«, drohte er, die Maid jedoch schenkte ihm kaum Beachtung. Selbst, als sein Blick zur Diebin huschte, erkannte er, dass sich die Mundwinkel des Kindes auf ergötzende Art verbogen. Man verspottete ihn! »Schweigt!« Den knurrenden Lauten, die seiner Kehle entronnen, begegneten die Mädchen mit höhnendem Geschrei. »Weibsbilder! Ich sagte, schweigt!« Abrupt, und zu seiner Verblüffung, zügelten sich die Frauen in ihrer boshaften Heiterkeit. »Verzeiht, mein Prinz.« Noch immer zeigte sich eine feine Spur der Häme im Gesicht des Marktfräuleins. »Spottet nicht über mich, oder ich lasse Euch hängen! Sofort und auf der Stelle«, schoss es pfeilgeschwind aus dem Munde des jungen Mannes hervor. »Haltet ein, edler Prinz!« Mit Genugtuung vernahm er die bittenden Worte der Maid. »Wir wollen nichts tun, das uns zum Schaden wäre.« Es schien ihm, als habe seine Warnung die gackernde Schar zur Vernunft gebracht. Zufrieden, wenngleich noch immer pikiert, beleidigt gar, ließ sich Sanji auf den Stuhl zurückfallen. »Selten sah man Euch in der Öffentlichkeit«, ließ die Maid nach einer Weile des Schweigens verlauten. »Seid Ihr ohne Zweifel?« »Nojiko«, avertierte das elsterhafte, junge Fräulein und mahnte zur Vorsicht. »Was maßt Ihr euch an? Ist dies der Dank?«, fauchte der Königssohn und verbarg sein Missfallen nicht. »Der Dank, dass ich Euch aus dem Kerker holte?« Sein Augenmerk ruhte auf der Diebin, die ihm mit zorniger Miene entgegenblickte. »Wie ich bei unserer Absprache bemerkte, wäre es mir eine Freude, Euch wieder in den wohlig warmen Schoß Eures edlen Thrones zurückzubringen«, erklärte die Gaunerin, erhob sich von dem alten, gebrechlichen Gestühl und trat vor den eitlen Jungen. »Doch hatte ich Euch auch um Geduld gebeten und versucht, Euch begreiflich zumachen, dass jenes Unterfangen, zu Eurem besten, erst in wenigen Stunden ermöglicht werden soll. Sollte Euch, edler Prinz, jenes Gespräch beim Anblick meiner Schwester jedoch entfallen sein, so bin ich gern bereit, Euch dies nochmals zu berichten, und sollte Eure Auffassungsgabe dann noch immer nicht genügen, bediene ich mich gern anderer Methoden!« »Nami.« Ein flüchtiges Lächeln zierte die Lippen der Maid. »Wir wissen doch kaum, wohin mit ihm.« »Zurecht«, schnappte der Prinz entrüstet nach Luft und wähnte sich in sicheren Gefilden. »Sie meint Euren Leichnam, Prinz«, spottete die Diebin und ihr Blick verriet ihm, dass mit jenem, vermeintlich kindlichem Scherze bitterer Ernst einherging. »So denn«, sprach der Prinz. »Solltet ihr mich morden, so sei euch der Galgen gewiss.« Helles Lachen erklang von Neuem. Die Maid wandte ihr hübsches Haupt und schien den Tränen nahe. Der Prinz erschrak, als ihm die Diebin näher kam. Der Duft von Schweiß und Schmutz haftete ihr an. Nuancen von Sonnenstrahlen, dem kühlen, frostigen Wind des kalten Märztages und süßen Früchten raubten ihm die Sinne, doch er mahnte sich, auf der Hut zu sein. »Übt Euch in Geduld, Prinz«, forderte die Diebin und ließ von ihm ab. Sowie ihr Interesse an ihm erlosch, durchzuckte ihn dennoch der Schrecken, als ein markerschütternder Schrei ihrer Kehle entfuhr. »Was?« Hastig trat das Fräulein an das Mädchen heran. »Das Brot.« Eiligst wandte sich die Diebin zum Gehen. Und noch eh die Maid Worte der Erwiderung fand, war das Kind ihren greifenden Fängen entschlüpft. »Ich habe dir ...« Die mahnenden Laute verklangen. Still betrachtete der Prinz das Treiben. Nie hatte er Geschwister sein Eigen genannt, andere Verwandte als den König waren ihm nicht geblieben. Nur Diener, nur Gefolge. Der Umgang mit anderen, vor allem jene, die nicht seines Standes waren, war ihm fremd. Andere Prinzen, aus anderen Reichen waren ihm bekannt, doch mit ihnen freundschaftlich verkehren, unterband der König. Die holden Prinzessinnen, die man ihm präsentierte, waren ihm suspekt, schienen ihm gar ein Rätsel, denn keine vermochte seine Leidenschaft für das einfache Leben verstehen. Ein seufzender Laut entkam ihm, doch der Prinz scherte sich nicht um den fragenden Ausdruck auf dem Gesicht der Herrin dieser armen, einfachen Behausung. »Habt Ihr Hunger?« Die zarte Stimme riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Ein scheuer Blick seinerseits zeigte das Misstrauen und die Vorsicht, mit der er jener Frau begegnen musste. »Habt keine Furcht, Prinz. Es liegt mir fern, Euch zu vergiften.« »So?« Sein Argwohn jedoch sollte das Fräulein nicht kümmern. »Mit Sicherheit«, gebot ihm die Maid. »Auch wenn Ihr, auf Eurem Schloss, umringt sein möget von Bediensteten, die jedem Eurer Wünsche gerecht werden, so ist es an mir, dass niemand in diesem Hause Hunger leide.« »Und ist sie derselben Ansicht?«, fragte er forsch. »Nami?«, lachte die Maid und erntete nur ein zustimmendes Nicken seitens des Prinzen. »Niemand sonst würde sein Leben riskieren, so wie sie es tut. Bitte, Ihr müsst verstehen, dass es uns kein Leichtes war, all dies aufzubauen.« Der Prinz ließ das Mädchen reden, ließ sich berichten, wie schwer die Welt den beiden Kindern zusetzte, nachdem man ihnen die Mutter nahm. Etwas, eine Regung, die ihm nicht behagte, schlich leise durch seinen Kopf bis ins Herz hinein. Bedauern ...? »Sie stiehlt nicht des Geldes oder Reichtums wegen, mein Prinz. Nun, nicht gänzlich«, fuhr die Maid fort. »Sie nimmt, um zu überleben. Sie ist hartnäckig und zäh.« Ein schnaubender Laut ließ das Fräulein verstummen. »Ihr meint unvorsichtig. Immerhin war es meinen Wachen gelungen, sie zu fassen«, spottete er. »Und doch ist sie entkommen.« Stolz reckte das Fräulein ihr Haupt in die Höh'. »Durchs Zutun meiner Hilfe«, erlaubte sich der junge Herr anzubringen. »Nun, mein Prinz, dann gilt Euch mein Dank für die Befreiung und Rettung meiner Schwester.« Etwas, das er nicht zu benennen im Stande war, klang in den gefallenen Silben des Mädchens nach. Wut? Trauer? Hohn? Oder gar Angst? »Sie ist alles, was ich habe«, spie das Fräulein aus, trat an die Feuerstelle und griff nach dem alten, rostigen Haken, um die Glut darin zu schüren. »Seid ein gütiger Prinz und lasst sie ziehen.« »Sprecht Ihr von einer Bitte?« Eiligen Schrittes stand die Maid vor ihm, den Schürhaken noch immer mit den Fingern umklammert. »Ich will ihr nichts Böses«, fuhr der Prinz fort. »Sie versprach, mich heimzubringen.« Die freundliche Maid vermochte es, ihm mit Blicken und jenem Werkzeug einen Schauer über den Rücken zu jagen. Schwer schluckte der Prinz. »Dann ist es an ihr, dies zu tun.« Das Fräulein wandte sich ab und machte sich daran, in einer kleinen Kammer nach etwas, das sich als Mahl erweisen könne, umherzustöbern. Kapitel 10: X ------------- Der Prinz und die Diebin ────────────────── Es war einmal . . . X Flink war sie und rasch ihr die Schritte. Eiligst wich sie den Strahlen der Mittagssonne aus, duckte sich vor den prüfenden Blicken der königlichen Wachen. Wenn jene wüssten, dass ihr Herrscher und Gebieter in ihrem Hause beherbergt war, würden sie untätig bleiben, nicht einen Finger krümmen. Doch da den Mannen dies Geheimnis verborgen blieb, mahnte sich die Diebin zur Vorsicht. Die kleine Hütte, wo sie einst Zuflucht fanden, war erspäht, und niemand von der Garde des Prinzen in Sicht. Leis' wie eine Katz machte sich das Mädchen ans Werk, schlich die Stufen zu dem alten Gemäuer empor, drückte lautlos an der morschen Türe. Wieder wurde ihr Einlass gewährt. Ohne Mühe, ohne Furcht fand sie sich in jener verlassenen Behausung wieder. Die Fensterläden waren noch immer geschlossen, ließen keine Sonne hinein, doch der Staub kitzelte ihr in der Nase. Die Diebin besah sich jenen Raum, fand, wonach sie suchte und trat den Rückweg an. Schweigend beäugte der junge Herr das Tun des Mädchens. Gekonnt waren ihr die Handgriffe, fließend, scheinbar oft geübt. »Euch muss langweilig sein, Prinz?« Vernahm er die Stimme des älteren Fräuleins. »So, wie Ihr dort sitzt.« Der Spott in ihren Worten ließ ihn just eine andere Haltung einnehmen. Straff waren ihm nun die Schultern, der Rücken gerade. Doch die Maid schenkte ihm nicht den Hauch des Beifalls. »Habt Ihr schon einmal Gemüse geputzt?« Forsch wich die Frage von ihren Lippen, doch das Mädchen wandte sogleich den Kopf. »Natürlich habt Ihr das nicht.« Wut wallte in dem Jungen auf. Was erlaubte sich dieses Kind, ihm Derartiges zu unterstellen. Von der gar anmutigen Pose, wart nun nichts mehr zu erblicken. Dem Prinzen schien eine ungebührliche Art zu eigen. Erhaben betrachtete er die Frau, die sich einer solchen Vermutung anmaß. »Nun denn, Marktfräulein«, erhob er das Wort. »Vielleicht wünscht Ihr eine Kostprobe meines Könnens, da Ihr ungerechtfertigt spottet.« »Es liegt mir fern, Euch zu schmähen, Prinz«, wand die Maid ein. »Und dennoch nahmt Ihr an, einem Mann meines Standes sei solch Arbeit fremd.« Dem Prinzen war nicht Recht, wie dieses Fräulein zu ihm sprach. »Ihr seid der Sohn eines Königs, an dieser Annahme ist nichts falsch.« Rasch zuckten ihr die schmalen Schultern. Hastig wart der junge Mann erneut auf den Beinen. »Nun, wie ich Euch bereits gebot, gebt mir, und Ihr werdet sehen«, sprach er jovial und bemerkte mit Zufriedenheit, wie das Fräulein seinem Wunsch entsprach. Kalt war die Luft, doch heiß brannte ihr die Lunge, als das gierende Kind die wenigen Schritte zu ihrem Heim beschritt. Weit war der Weg, gefährlich. Keuchend rang sie nach Atem, leichter Schwindel bemächtigte sich ihrer, doch der diebischen Elster schlug selig das Herz. Das Brot sicher verwahrt, zog sich ihr knurrender Magen freudvoll bei dem Gedanken an ein Festmahl zusammen. Hastig waren die letzten Meter überwunden, die steinerne Treppe erklommen, ehe das Mädchen durch die Türe ins Haus huschte. All Euphorie über das gar schmackhafte Mahl verrann, als ihr Blick auf die Schwester fiel, die sich im regen Austausch mit dem Prinzen befand. Ihr schien, als sei auch hier Vorsicht geboten, als die diebische Elster einen Schritt nach vorn wagte. »Was treibt ihr?«, ließ sie belanglos erklingen, doch ihre Augen hatten bereits das Geschehen erfasst, ihr Verstand jedoch wusste das Gesehene nicht zu ordnen. »Oh, Schwester, du bist zurück?« Misstrauisch besah sich die Diebin jenes Schauspiel, das sich ihr bot: Nicht nur, dass ihr Eigen sich einer solchen Begrüßung bediente, denn dies kam nie und nimmer vor, auch hatte man es dem Prinzen gestattet, sich frei in ihrem Hause zu bewegen, und dieser maß sich an, der Älteren mit kritischen Worten beizukommen. »Ich habe das Brot mitgebracht«, kühl entkamen ihr die Worte, als sie das Spektakel eingehender musterte. »Wie erfreulich.« Die Marktmaid schenkte ihr ein Lächeln, doch der Prinz verharrte stumm. Sein Blick war auf das alte Holzbrett gerichtet, sowie dem wenigen Gemüse, das sie in ihrem Haushalt führten. Fest waren seine Finger um eine Schneide geschlungen, und die Diebin erschrak. »Du hast ihm ein Messer gegeben?«, rief sie erzürnt. »Beruhige dich!«, mahnte die Ältere. »Bist du des Wahnsinns?« Die Diebin trat auf den Prinzen zu und entriss ihm jenes Instrument. Klirrend fiel das Besteck zu Boden. »Ihm ein Messer zu geben!« Empörung färbte ihr die Wangen. »Er könnte dich umbringen!« Mit Ruhe und Bedacht besahen sich Maid und Prinz das Gebärden des Fräuleins. Zorn und Entrüstung ließen sie durch das karge Zimmer wandern. Unverständnis traf das Paar, doch vermochte die Wut des Mädchens Funken sprühen. Das Schweigen der anderen, ließ die Diebin innehalten. »Dein Verhalten ist höchst unfein«, rief sie die Schwester zur Vernunft. »Und dein Vertrauen tödlich!« Erhaben, und doch fauchend entwichen ihr die Worte, während die Diebin den jungen Mann mit zornigem Blick taxierte. »Sei nicht albern!« Laut hallte die Stimme der Maid durch das Zimmer. »Er wollte mir behilflich sein.« Die Augen des Mädchens wurden schmal und es kostete sie wahrlich Mühe, nicht einen ordinären Laut von sich zu geben. »Reiß dich zusammen!«, harsch fielen die fordernden Worte. »Es war ihm ernst!« Nun erlaubte sich die Diebin einen Laut von Spott und Hohn. »So ernst, wie dich umzubringen?« Ergeben hob die Ältere die Hände empor. Kopfschüttelnd betrachtete sie das Mädchen. »Vergiss nicht, dass er dich rettete.« »Erlaubt mir, doch spräche in diesem Falle lieber für mich selbst«, gebot der Prinz hastig. »Schweigt!« Einig schienen sich die beiden Frauen, doch nur, wenn es in ihrem Sinne war. »Und ich errettete ihn«, hart und fest entkam der Diebin jene Worte. »So kommen wir nicht voran«, bemerkte die Ältere und ein Seufzen erklang ihr von den Lippen. »Wo ist das Brot?« »Du willst ihn hierlassen?« Fassungslosigkeit zerrten ihr die Schultern herab. »Nur bis nach dem Essen, dann bringst du ihn zurück«, sagte die Ältere der Schwestern entschieden. »Sieh nur, wie fein er das Gemüse schnitt.« Ein Auflachen folgte dem Gesagten, rau und barsch und ganz und gar nicht damenhaft. »Er kann Gemüse schneiden«, zischte es ihr in der Kehle. Allmählich wart es dem Prinzen zu bunt, doch noch zügelte er die brodelnde Wut. Viel hatte auch er bereits ertragen müssen. Verluste, Ängste, Einsamkeit. »Dein Spott kann mich nicht treffen, Diebin.« Der Prinz wandte sich zu dem Mädchen um. »Ich half deiner Schwester aus Freundlichkeit. Würde ich ihr das Leben nehmen, so wäre dies längst geschehen. Doch ich will in mein Heim zurück.« Hart presste das Mädchen die Lippen zu einem Strich, ihre Augen fixierten den jungen Mann, dessen Stimme nichts von einem aufgewühlten Beben hatte, wie es ihr zu eigen war. »Und das werdet Ihr, Prinz.« Das Drohen in der lieblichen Stimme der Älteren verbot jegliche Widerworte. »Dafür wird meine Schwester Sorge tragen.« Die Diebin öffnete die Lippen, wollte Töne, Silben der Verneinung äußern, doch ein Versprechen blieb ein Versprechen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)