Schicksalsschläge von lunalinn (OS-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 1: Vergebung -------------------- Aufgebracht rauschte Severus Snape durch die Gänge Hogwarts, wobei sein schwarzer Umhang geradezu über den steinigen Boden fegte. Sein bleiches Gesicht war wutverzerrt und der Blick aus schwarzen Iriden so finster, dass eine Erstklässlerin, der er auf dem Gang begegnete, beinahe in Tränen ausbrach. "Zehn Punkte Abzug für Hufflepuff, Miss Williams, für unnützes Herumstehen in den Gängen!", zischte er das verschüchterte Mädchen an, woraufhin dieses erschrocken aufschluchzte. Ohne sich noch einmal umzudrehen, setzte er seinen Weg fort, ignorierte das nervtötende Geheule hinter sich; diese Blagen sollten sich gefälligst nicht so anstellen. Außerdem waren sie kein anderes Verhalten von ihm gewöhnt...nun gut, die Erstklässlerin konnte nicht wissen, dass sie ihm lieber aus dem Weg hätte gehen sollen. Es gab bestimmt keinen unbeliebteren Lehrer an der Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei als ihn, Severus Snape und eben jener konnte auch nicht gerade von sich behaupten, dass ihm die fehlende Sympathie der Schüler sonderlich traurig stimmte. Es war ihm schlicht egal. Und ebenso gleichgültig war es ihm, dass sich selbst seine werten Kollegen von Zeit zu Zeit fragten, ob er sich jemals die Haare wusch. Alles unbedeutende Nebensächlichkeiten, die ihn nicht interessierten. Was Severus allerdings sehr wohl interessierte, geradezu aufbrachte, war die Tatsache, dass Albus Dumbledore es gewagt hatte, Remus Lupin als Lehrer einzustellen. Bei Merlin, Severus hatte selbst Quirrel damals mehr akzeptiert als diesen herunter gekommenen, immer lächelnden, feigen Werwolf. Wie abgrundtief er ihn hasste...einzig Potter und Black übertrafen die Gefühle noch, die er für diesen Schlappschwanz von Mann empfand. Obwohl er sich nicht ganz sicher war, ob Lupin in dieser Hinsicht nicht doch den ersten Platz belegte...immerhin war Potter bereits tot. Und dass Sirius Black den Todeskuss der Dementoren schon bald erhalten würde, stand für Severus auch außer Frage. Der Tag, an dem dies geschehen würde, würde ihm den größten Triumph aller Zeiten bescheren. Bevor dies allerdings eintreffen würde, musste er sich noch mit Lupin rumärgern. Dumbledore mochte der Schulleiter sein, ja, er mochte Lupins Fachwissen bezüglich des ausgewählten Fachs auch wertschätzen und er musste sich generell auch nicht um seine Belange kümmern. Aber dass er es wagte, dem ihm verhassten Werwolf ausgerechnet Verteidigung gegen die dunklen Künste anzubieten – das war ungeheuerlich! Jedes Jahr bat er den älteren Zauberer um dieses Fach und jedes Jahr wurde er erneut abgewiesen...das allein war schon schwer zu ertragen, aber diese...Kreatur dafür auszuwählen, das übertraf selbst Severus’ Toleranz - und inzwischen war er gezwungen, eine Menge zu tolerieren. Und jetzt meinte Dumbledore auch noch, er solle sich doch mit Lupin vertragen...wie konnte er es wagen, so etwas von ihm zu verlangen, wo er doch genau wusste, was damals passiert war. Dass der Werwolf ihn vor Jahren in der heulenden Hütte beinahe umgebracht hätte...dass er zugesehen hatte, wenn seine ach so tollen Rumtreiber-Freunde ihn vor allen gedemütigt und gequält hatten. Nicht ein Wort hatte diese feige Missgeburt jemals darüber verloren und wenn er ihn damit konfrontiert hatte, war er stets verlegen geworden und hatte peinlich berührt das Gesicht zur Seite gewandt. Wie er ihn verabscheute...   Krachend fiel die schwere Tür seines Büros hinter ihm zu und Severus war erleichtert, als er endlich allein war...nicht mehr dem wehleidigen Blick Lupins und Dumbledores stechend blauen Augen ausgesetzt. Er würde nichts begraben...weder die Feindseligkeit gegenüber dem Werwolf, noch dem Groll gegen den Schulleiter. Sei es drum...er brauchte jetzt seine Ruhe, bis die nächsten Unterrichtsstunden anfingen...unglücklicherweise mit den Gryffindors. Ein weiterer Grund, um seine momentane, sicher kurzlebige Ruhe zu genießen...er kannte Albus Dumbledore, ahnte, dass der alte Mann nicht aufgeben würde, bis er bekommen hatte, was er wollte. Aber dieses Mal verlangte er einfach zu viel...Severus würde in diesem Fall nicht nachgeben. Nun gut, er musste sich beruhigen...unbeherrschtes Verhalten gegenüber Schülern war völlig unangebracht - er würden ihnen auf zivilisierte Weise einen Berg von Hausaufgaben aufhalsen. Und dem Potter-Jungen eine Strafarbeit...einen Grund würde der ihm schon liefern...möglicherweise auch für Weasley. Doch gerade als er sich auch noch etwas für Longbottom, den hoffnungslosen Fall, auszudenken versuchte, klopfte es plötzlich an der Tür und er verfluchte den Störenfried bereits jetzt in Gedanken.   „Severus? Wir müssen reden, denke ich“, drang Lupins Stimme durch die geschlossene Tür. Das war ja zu erwarten gewesen...wusste dieser Abschaum nicht, wann es genug war? Wohl kaum...aber Severus hatte noch jede Menge Zeit, ihm das zu zeigen und er würde dabei bestimmt nicht schonend vorgehen. „Darf ich reinkommen?“ Der Tränkemeister schnaubte leise, ging dann aber zur Tür und öffnete diese so ruppig, dass er gerade noch sehen konnte, wie Lupin zurückschreckte; anscheinend hatte er gar nicht erst damit gerechnet, dass er ihn rein lassen würde. „Fassen Sie sich kurz, Lupin...im Gegensatz zu Kreaturen wie Ihnen haben normale Leute nicht den ganzen Tag Zeit“, schnarrte er so unfreundlich wie möglich, was wohl auch wirkte, denn der Werwolf wurde zugleich etwas blasser. Mitleid konnte er von ihm nicht erwarten, also sollte er sich auch nicht so anstellen. Dennoch trat er beiseite und ließ den anderen in sein Büro, schloss die Tür hinter diesem. Lupin wirkte nervös, so wie er da stand, den Blick durch den Raum schweifen lassend, die Finger ineinander verschränkt. Unweigerlich wurde Severus an Longbottom erinnert. „Reden Sie...ich höre“, teilte er dem Braunhaarigen mit, woraufhin dieser ihn endlich ansah. Nicht dass es ihn interessiert hätte, was selbiger ihm sagen wollte...auf diese Ausflüchte konnte er gut verzichten...allerdings, wenn Lupin ihm schon die Chance bot, ihn fertig zu machen - er würde nicht darauf verzichten. „Ich wollte mich entschuldigen.“ „Wie rührend. Mir war, als sagten Sie bereits etwas Ähnliches in Dumbledores Büro.“ Ein gequälter Ausdruck trat auf Lupins Züge und er wirkte dadurch gleich ein wenig mitgenommener, sofern das in seinen geflickten Klamotten noch möglich war. „Severus, bitte...meine Entschuldigung ist ernst gemeint. Wenn Sie-“ „Wenn ich auch nur im Geringsten Wert auf Ihre überflüssige Entschuldigung legen würde, hätte ich Ihnen das bereits mitgeteilt. Sollte das alles gewesen sein, was Sie mir zu sagen haben, dann können Sie  mein Büro jetzt verlassen.“ Eine Weile sagte der Werwolf nichts, sah ihn lediglich wie vor den Kopf gestoßen an...dann straffte er die Schultern und die plötzliche Entschlossenheit in seinen bernsteinfarbenen Iriden gefiel dem Tränkemeister ganz und gar nicht. „Wieso kannst du mir nicht endlich verzeihen?“ Er hatte ihn geduzt.   Eine ganze Weile sagte niemand etwas, die Stille schwebte bedrohlich im Raum und Lupins Mut sank so schnell, wie er gekommen war - sein Gesicht war immer wie ein offenes Buch gewesen. „Raus!“ Severus spürte das leichte Zittern unterdrückter Wut in seiner Stimme, spannte seine Kiefermuskeln an, während er um Beherrschung rang. Dass er es wagte... „Severus-„ Angesprochener wich einen Schritt zurück, als sein Gegenüber sich ihm näherte, erwiderte dessen Blick aufgebracht. „Ich wiederhole mich kein weiteres Mal...verschwinden Sie! Sofort!“ Er hatte fest damit gerechnet, dass dies Lupin davon überzeugen würde, nun zu gehen, ihn in Ruhe zu lassen...aufzugeben wie immer. Aber scheinbar wollte der Werwolf ihm diesen Triumph nicht gönnen. Stattdessen trat er erneut auf ihn zu, mit unverkennbarer Nervosität, seine Finger ver- und entkrampften sich abwechselnd, bewiesen seine Unentschlossenheit. „Nein.“ Diese Antwort auf seine Ablehnung hin klang so kräftig, dass sie völlig im Widerspruch zum Rest stand und den Tränkemeister für einen Moment aus der Fassung brachte, so dass er nicht fähig war, etwas Bissiges zu entgegnen. „Ich bin hergekommen, um mit dir zu reden...ich...es tut mir leid, was damals gewesen ist und das meine ich ernst. Ich weiß, dass ich...ebenso Schuld daran war, wie James...oder Sirius...und...Peter“, zum Ende hin war Lupin leiser geworden und der schmerzliche Unterton entging Severus nicht. Nicht verwunderlich, wenn man bedachte, dass zwei der verhassten Rumtreiber bereits tot und der andere auf der Flucht wegen Mordes an einem seiner Freunde und 13 Muggeln war. „In der Tat...und ich hasse dich nicht weniger als sie. Wenn du also vorhattest, reinen Gewissens hier raus gehen zu können, nun, dann muss ich dich enttäuschen.“ „...du wirst mir das nie verzeihen oder?“ Ein unangenehmer Stich bohrte sich in Severus’ Brust, war ihm doch bewusst, was genau Lupin soeben angesprochen hatte...ein Thema, das er nicht bereit war hier noch einmal aufzuwärmen. „Verschwinde!“, zischte er lediglich und wandte sich um. „Willst du das ewig zwischen uns stehen lassen...das damals?“, drang es noch beharrlicher aus dem Mund des Werwolfs. „Ich weiß nicht, wovon du redest...ein uns hat es nie gegeben. Keine Ahnung, was in deinem kranken Hirn vor sich geht und ich versichere dir, ich will es nicht wissen.“ Ebenso wenig wie er ihm noch länger in die Augen sehen wollte...nicht bei diesem Thema. Warum also ging der vermaledeite Wolf nicht einfach? Es war damals nicht wichtig gewesen, warum sollte es das heute sein?   „Es hätte eines geben können, Severus.“ Nun drehte sich der Genannte doch um, fixierte seinen Gegenüber gehässig, ehe er ihm die nächste Ladung Gift entgegen spuckte. „Ach wirklich? Bring mich nicht zum Lachen! Du hättest mich niemals über deine Freunde gestellt, nicht wahr, Remus?!“ Schachmatt. Er hatte genau die richtigen Worte gewählt, um ihn zu treffen...im entscheidenden Moment seinen Vornamen benutzt. „Ich...“, mehr brachte er nicht mehr hervor. „Du hast nicht einmal eingegriffen, dich fein zurückgehalten als Vertrauensschüler.“ Lupin zuckte zusammen, starrte ihn anscheinend sprachlos an...verletzt. Es tat gut, ihn so zu sehen, so schwach und abgekämpft, mit praktisch nichts in den Händen. „Solange du dein Gewissen beruhigen konntest, war es in Ordnung, nicht? Und jetzt sind alle deine tollen Freunde entweder tot oder verurteilt. Niemand ist mehr da, um dein Gewissen zu beruhigen...kommst du deshalb her? Um Vergebung bei mir zu finden? Ich habe dir meine Antwort darauf bereits gegeben. Und jetzt geh endlich!“ Es war pure Genugtuung...Lupin schrumpfte förmlich in sich zusammen, mit jedem weiteren wahren Wort. Er hatte es verdient und er wusste es, würde sich damit ewig rumquälen.   Severus hatte Remus Lupins weiche Seite niemals nachvollziehen können, ihn schlicht für einen naiven Idioten gehalten. Wahrscheinlich war er das auch...schon damals gewesen. Andererseits...dieses eine Ereignis, was sie beide wohl nicht vergessen würden können - auch wenn zumindest Severus es sehnlichst versuchte...es störte. „Was...da damals passiert ist...ich habe es nie bereut, Severus.“ Wie rührend...sollte das nun das Argument sein, dass ihn zum Verzeihen brachte? Da stürzte er sich eher den Astronomieturm runter. „Nicht? Dann sind wir wohl unterschiedlicher Ansicht, wie überraschend.“ Der Werwolf sagte nichts mehr dazu, sah ihn lediglich mit diesem traurigen Blick an...als würde er es bereuen. Heuchler. „Ich wusste nichts von...dieser Sache. Sirius hat es übertrieben...ich...hätte sie daran gehindert, wenn ich es gewusst hätte...ich habe dir nie etwas antun wollen.“ „Natürlich nicht“, der Sarkasmus schnitt messerscharf ein. „...du wirst mir nie glauben, hab ich Recht? Es ist egal, was ich sage...weil du dir deine Meinung bereits gebildet hast. Weil du wie damals glaubst, dass sich alle gegen dich verschworen haben...ich, Lily-„ „Sei still! Sprich nicht von ihr!“, fuhr Severus auf. Noch immer schmerzte der Gedanke an seine beste Freundin, die, seit er sie kannte, mehr für ihn gewesen war, als er für sie. Wenn Lupin gewusst hätte, dass er eine große Mitschuld am Tod der Potters trug…dass er dem dunklen Lord damals die richtigen Hinweise geliefert hatte…würde er dann hier stehen? Sicherlich nicht und das machte das Ganze noch schlimmer und widerlicher. „Du hast keine Ahnung davon, was ich glaube…oder will“, versetzte er kalt. „Für dich war es immer leicht, nicht wahr? Tagsüber hast du Potter und Black den Rücken gedeckt bei ihren demütigenden Streichen, die jeder ach so amüsant und harmlos fand…und nachts kamst du zu mir.“ Betretenes Schweigen senkte sich über den Raum, die Worte schwebten zwischen ihnen.   „Nun, ich will nicht leugnen, dass es meine eigene Schuld war“, fuhr er fort. „Ich war damals naiv, zu glauben, du wärst anders…aber gut, solche Fehler passieren nun mal.“ Er fühlte sich längst nicht so ruhig, wie seine Stimme nun klang. „Severus, ich-“ „Mir hätte klar sein sollen, dass du deine Freunde jederzeit mir vorgezogen hättest, wenn es drauf ankommt.“ „…“ „Immerhin haben sie dich akzeptiert…zumindest den Teil, den sie kannten. Was Black wohl gesagt hätte, wenn er von deinen…Neigungen gewusst hätte…?“ Und sie waren sich beide bewusst, dass er zutiefst angewidert gewesen wäre. Black mit seinem Macho-Getue, das viele Mädchen damals wie magisch angezogen hatte. Er sah es in Lupins Blick, dass auch er es wusste, sah, wie er die Lippen zusammenpresste. „Die Wahrheit tut weh, nicht wahr?“, spuckte er ihm höhnisch ins Gesicht und Lupin schwieg immer noch. Es überraschte ihn nicht, dass ihm nun die Worte fehlten. Beinahe war es angenehm, wenn der Nachgeschmack nicht so bitter gewesen wäre. Er selbst konnte nicht sagen, was das zwischen ihnen gewesen war. Von seiner Seite aus wohl Neugierde und so erbärmlich es auch war, das Verlangen nach Akzeptanz…Lily hatte sich zu dieser Zeit sehr zu Potter hingezogen gefühlt und er war allein gewesen. Sein Vater hatte seine Mutter und ihn verlassen, was ihn verletzlich gemacht hatte…und damit auch empfänglich für jegliche Art von Zuneigung. Anfangs hatten sie sich nur durch Zufall getroffen…mal in der Bücherei, mal in der Eulerei…auf dem Gelände. Es war schwierig gewesen, mit Lupin zu streiten, denn er wehrte sich nicht. Auf seine bissigen, sarkastischen Kommentare hatte er nur schief gelächelt oder es mit Höflichkeit übergangen und dann neutrale Themen angeschlagen. Man hatte sich gut mit ihm unterhalten können, weil er kein Dummkopf gewesen war…irgendwann war er schwach geworden. Lupin war wie er ein Außenseiter gewesen, bevor er Potter, Black und Pettigrew um sich gehabt hatte. Vielleicht hatten sie deshalb einander verstanden. Natürlich hatte das niemals jemand erfahren dürfen, nicht nur wegen der anderen Rumtreiber, sondern auch weil die Slytherins ihn gelyncht hätten. Als Lupin ihn damals geküsst hatte, war es sein erster Kuss gewesen…und er hatte sich in seiner Naivität in etwas verrannt, das niemals eine Chance gehabt hatte. Lily hatte ihn nie auf die Weise geliebt, wie Severus sie geliebt hatte…folglich war der Wunsch nach jemandem, der ihm etwas Ähnliches entgegen brachte, sehr begehrenswert gewesen. Genau so hatte er sich auch das erste Mal in seinem Leben gefühlt. Begehrt. Geborgen. Akzeptiert…ein Zustand auf Zeit und wie Sand war er nur wenig später durch seine Finger geglitten. Zuvor hatte er den sogenannten Rumtreibern aus Boshaftigkeit nachspioniert…doch bald schon hegte er ernsthaftes Interesse daran, wohin sie einmal im Monat verschwanden. Er würde nie vergessen, wie er durch Blacks Scherz beinahe zerfleischt worden wäre. Wie ihm die Reißzähne um ein Haar das Bein ausgerissen und ihn das schaurige Heulen beinahe in Ohnmacht hatte fallen lassen. Danach war ihre zweifelhafte Beziehung sehr schnell beendet gewesen. Keine nächtlichen Treffen mehr, keine ungezwungenen Gespräche…auch wenn Lupin oft versucht hatte, sich zu entschuldigen. Er hatte ihn jedes Mal abgewiesen – die Situation schien sich zu wiederholen.   „Ich kann nichts rückgängig machen“, brach Lupin die bleierne Stille, wich seinem Blick nicht länger aus. Entschlossenheit stand darin, stach aus dem Bernstein hervor…aber wen wunderte es, wenn alles andere nicht nennenswert war. Lupin hatte immer abgegriffen und heruntergekommen gewirkt, doch das Alter hatte ihm wohl den Rest gegeben. Niemand stellte einen Werwolf ein und den Banntrank gab es noch nicht allzu lange – man sah ihm an, dass sein Leben nicht leicht gewesen war. Dennoch verspürte Severus keinen Funken Mitleid. „Ich bin mir meiner Fehler wohl bewusst, Severus, deshalb bin ich hier. Um mich zu entschuldigen“, sprach er weiter. „Du kannst meine Entschuldigung entweder annehmen oder es lassen. Es ist deine Entscheidung, doch ich möchte es wenigstens versucht haben.“ „So nobel, wie man es von einem Gryffindor erwartet“, ätzte Severus, woraufhin Lupin schwach lächelte. „Ich ahnte, dass du mich abweisen würdest. Nun gut…“ Er straffte die eingesunkenen Schultern und nickte ihm zu. Allein für diese Geste wollte er ihm einen Fluch auf den Hals hetzen – am besten einen der unverzeihlichen. „Mir wäre es lieber gewesen, du würdest darüber nachdenken. Du musst mich nicht mögen, ich hatte lediglich gehofft, wir könnten…normal miteinander umgehen, trotz…allem…aber ich weiß, dass du deine Meinung nicht ändern wirst.“ „Wie ungemein scharfsinnig…“, gab er zurück und Lupin seufzte leise. Dann zuckte er mit den Schultern, sah ihn noch einige Sekunden lang an und wandte sich schließlich zum Gehen. Severus presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, wollte keine weiteren Worte an diesen Mann verschwenden. Sollte er zurück zum Schulleiter kriechen und sich darin sonnen, dass er das Fach anvertraut bekommen hatte, das er schon so lange unterrichten wollte. Nur ein weiterer Grund, ihn zu hassen. Jedoch drehte sich Lupin überraschenderweise noch einmal zu ihm um, kaum dass er die Klinke in der Hand hielt. Sein Blick war dabei unergründlich, jagte Severus unwillkürlich einen Schauer über den Rücken. Er wollte ihn schon anherrschen, was nun wieder war, doch der Werwolf war schneller. „Auch wenn du es nicht hören willst…du sollst wissen, dass ich dich bei unseren Treffen nie belogen oder dir etwas vorgespielt habe.“ Und mit diesen Worten ließ er ihn allein zurück. Severus schwarze Augen hefteten sich an die Tür, hinter der Lupin verschwunden war. Wie betäubt stand er einige Sekunden so da, ehe er zur Seite griff, nach dem Fläschchen, in dem sich der Wolfsbanntrank befand. Es klirrte einmal laut, als das Glas mit voller Wucht an der Tür zersplitterte und sich die Flüssigkeit infolgedessen auf dem Boden verteilte. Doch die Wut und noch einige andere Emotionen, die er verwünschte, blieben…brodelten in ihm…und er fragte sich, ob es je aufhören würde, ihn zu quälen. Kapitel 2: Aussöhnung --------------------- „Ich bin immer noch der Meinung, dass du übertreibst.“ Lily Evans warf ihrem Freund einen ärgerlichen Blick zu, als dieser die Worte zum wiederholten Mal verlauten ließ. Es war ein warmer Sommertag und sie trug ein kurzes, geblümtes Kleid, in dem sie sich nicht von den Menschen um sie herum unterschied und das gut mit ihren roten Haaren harmonierte. James hatte sich bereit erklärt, sich ebenfalls in Muggelkleidung stecken zu lassen, auch wenn ihm der Grund nicht gefallen hatte. Lily fand, dass ihm die Jeans und das dunkle Shirt sehr gut standen…zusammen mit seinen immer etwas strubbeligen, kurzen Haaren ließ es ihn verwegen wirken. Sie waren jetzt 18 Jahre alt, hatten ihre Prüfungen bestanden und während sich James zum Auror ausbilden ließ, hatte Lily eine Stelle im Ministerium angenommen. „Du kennst sie nicht“, erwiderte sie schließlich und dachte an damals zurück, als alles angefangen hatte. James verdrehte die Augen. „Und? Deine Eltern kannte ich auch nicht und deine Mutter fand mich am Ende so charmant, dass sie mich direkt zum nächsten Sonntag eingeladen hat.“ Lily konnte nicht anders, als belustigt zu schnauben. So Unrecht hatte ihr Freund damit nicht, aber ihre Eltern waren auch…toleranter, ja, gar begeistert von der Zauberei, während ihre Schwester…diese verabscheute. „Petunia hasst mich für das, was ich bin, James“, murmelte sie, während sie nebeneinander hergingen. „Dass sie überhaupt zugestimmt hat, sich mit uns zu treffen, grenzt schon an ein Wunder.“ Die Schatten der Baumkronen über ihnen ließ die laue Sommerbrise kalt wirken, sie leicht schaudern. Sie wehrte sich nicht, als James ihre Hand zärtlich in die seine nahm, sie ernst hinter seinen Brillengläsern ansah. Ihr fiel wieder auf, wie erwachsen er in den letzten Jahren geworden war – auch wenn er manchmal noch den Schalk im Nacken sitzen hatte. „Mach dir keine Sorgen“, redete er ihr gut zu und zwinkerte, als er ihr versicherte: „Ich werde mich benehmen, okay? Sie werden mich lieben!“ Lily musste schmunzeln, gab ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. Nun, sie liebte ihn jedenfalls…und ihre Eltern inzwischen wohl auch, fehlte also nur noch ihre Schwester. Es würde schon alles gut werden…   James Potter hatte schon wirklich viel erlebt, doch jemanden wie der Verlobte von Lilys Schwester Petunia war ihm noch nie begegnet. Sie hatten sich in einem Restaurant der Muggel verabredet und während Lily und er eher leger gekleidet waren, trug Vernon Dursley einen schwarzen Anzug, der James Ansicht nach beinahe aus allen Nähten platzte. Das Wort stattlich passte nicht mehr – er hätte ihn als fett bezeichnet. Bei Merlin, der Mann hatte keinen Hals! Jedoch schluckte er die Bemerkung herunter – Lily hatte schon damals einen Aufriss gemacht, als sie Schniefelus wegen seiner übergroßen Nase und seinen fettigen Haaren ein bisschen drangsaliert hatten. Nun, Vernon war ihm ebenso unsympathisch wie sein Feind aus Schultagen. Wie er ihn aus seinen kleinen Schweinsaugen musterte und sein schwarzer Schnurrbart dabei zuckte, als verbiss er sich bereits jetzt einen abfälligen Kommentar. Dennoch riss er sich zusammen und drückte die große Hand mit den dicken Fingern, ehe er Petunia ins Auge fasste, die neben ihrem Verlobten geradezu besorgniserregend dünn wirkte. Hätte er es nicht gewusst, er hätte die beiden niemals für Schwestern gehalten. Während Lily durch ihre bloße Ausstrahlung lebenslustig und liebenswert wirkte, kam ihm Petunia vor wie ein heran nahendes Gewitter. Genauso schaute sie ihn auch an, die Mundwinkel nach unten gezogen und ein missbilligendes Funkeln in den Augen. Plötzlich war er sich nicht mehr so sicher, ob dieses Treffen so positiv ablaufen würde. „Hallo Tunia!“, begrüßte Lily ihre Schwester da und fiel ihr einfach in die Arme, was so etwas wie eine Schockstarre bei der Älteren auszulösen schien. Als Lily merkte, dass ihre Umarmung nicht erwidert wurde, löste sie sich rasch und ein wenig verlegen, was sie in James Augen zauberhaft aussehen ließ. Petunia schien das kalt zu lassen, denn sie räusperte sich vornehm und sah dann zu ihrem Verlobten. „Vernon, das sind meine Schwester Lily und ihr Freund…“ Anscheinend hatte sie seinen Namen vergessen, obwohl Lily ihr am Telefon doch sicher von ihm erzählt haben musste. „James Potter, freut mich!“, ergriff er das Wort und schüttelte Vernons fette Hand. Gut, das war gelogen, aber er wollte zumindest den Anfang nicht versauen. „Vernon Dursley…“, erwiderte der Kerl und entzog ihm seine Hand. „Ich habe schon viel von Ihnen gehört…Ihnen und Ihren…Abnormalitäten.“ Bevor James etwas sagen konnte, das seiner Empörung Ausdruck verleihen konnte – und Vernons Gesicht puterrot hätte anlaufen lassen –, kam Lily ihm zuvor. „Lasst uns doch reingehen und dann…weiterreden, ja?“ Vielleicht war es sogar ganz gut, dass sie ihn unterbrochen hatte.   Das Innere des Restaurants war ebenso spießig wie die äußere Fassade vermuten ließ. James bemerkte, dass Lily und er dem Standard nach nicht passend gekleidet waren. Vernon in seinem Anzug und Petunia in ihrem biederen Kleid passten schon eher hierher. Mit genervtem Blick beobachtete er, wie Vernon den Kellner vollquatschte, damit dieser ihnen einen möglichst guten Wein brachte. Wein…James bevorzugte Butterbier, doch das gab es hier natürlich nicht. Sie bestellten dann auch etwas zu essen, wobei James ein Grinsen nicht unterdrücken konnte, als Vernon das teuerste und fettigste Gericht auf der Karte auswählte, während Petunia einen Salat bevorzugte. „Was grinsen Sie so?“, wurde er angefahren und James zuckte mit den Schultern, immer noch deutlich amüsiert. „Ich bewundere nur Ihren gesunden Appetit“, meinte er mit seichtem Spott. „Wie war das?!“ „Nichts…hauen Sie nur ordentlich rein, man lebt ja nur einmal…“ Er spürte Lilys warnenden Blick auf sich und vermied es daher, weiterzusprechen. Das hier war ihr wichtig, sagte er sich. „Was fahren Sie eigentlich für einen Wagen, Mr. Potter?“, sprach ihn Vernon da erneut an und er schien sich zu bemühen, besonders herablassend zu klingen. „Wagen?“, entkam es ihm und Vernon schnaubte. „Ja, genau…was für ein Auto haben Sie? Ich fahre einen silbernen Ford Cortina Mk III, mein ganzer Stolz! Der Motor schnurrt wie ein Kätzchen, nie Probleme mit gehabt und Gas geben kann man damit! Ich sage ja immer, man sieht am Auto eines Mannes, was für ein Mann er ist! Haben Sie überhaupt ein Auto? Immerhin kostet sowas ja auch und Sie…nun ja…“ Ein paar Sekunden lang schwieg James, dann lächelte er gediegen. „Nun, meiner ist aus stabilem Mahagoni-Holz gefertigt. Zum Ende hin verläuft der Stiel etwas gebogen und besteht aus Reisig. Ich bin mit ihm schon Turniere im Quidditch geflogen und…ich würde mal annehmen, dass ich mit ihm allemal schneller bin, als Sie mit Ihrem Baby – oder kann Ihr Auto fliegen?“   Er hörte wohl, wie Lily neben ihm leise stöhnte, doch er ignorierte es. Wenn der Kerl mit seinem Schätzchen prahlte, konnte er das doch genauso tun? Er beobachtete grinsend, wie sein Gegenüber rot wurde. „Natürlich kann es nicht fliegen!“, blaffte er ihn an. „Das wäre…das wäre ja…es wäre…!!“ Er verstummte plötzlich, sah sich beinahe panisch nach allen Seiten um. Glücklicherweise unterhielten sich die Leute selbst, so dass sie Vernons Ausfall keine Beachtung schenkten. „Zauberei?“, raunte James bewusst leise und Petunia sah aus, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. „Darüber wollen wir nicht reden!“, entwich es ihr und sie schnaubte heftig aus. Vernon nickte hastig. „Genau! Darüber reden wir nicht!!“, polterte er hinterher und James zuckte mit den Schultern. „Von mir aus…“ „Und überhaupt!“, setzte Vernon direkt nach. „Was…was machen solche…Leute wie Sie beruflich? Sie sind doch bloß ein Haufen arbeitsloser Schnorrer, die den Staat ausnutzen und uns ehrbaren Leuten auf der Tasche liegen!“ Dass er so direkt beleidigend wurde, war für James nicht nur unverständlich – sondern auch nicht tragbar. Er kannte so ein Verhalten zwar von Sirius Familie und einigen Slytherins, aber dennoch machte es ihn wütend. Was glaubte der Kerl, wer er war? „Genau genommen habe ich dank meiner Eltern ein prall gefülltes Verlies voller Galleonen bei Gringotts. Sie kennen die Bank vielleicht nicht…wird von Kobolden geführt.“ „James!“, zischte Lily leise und er sah sie mit ehrlicher Verwunderung an. „Was denn? Ich rede doch leise…“ „Kobolde?!“, schnaufte Vernon ungläubig und sah ihn dabei an, als sei er ein entflohener Irrer aus Askaban. „Sie sind doch verrückt!!“ „Nicht, dass ich wüsste…oder, Schatz?“, wandte er sich an seine Freundin, die ihn bittend ansah.   „Das reicht jetzt wirklich!“, keifte Petunia dazwischen und James widerstand dem Drang, sich die Ohren zuzuhalten. Die Frau war wirklich eine Schreckschraube. Hatten die Evans sie vielleicht adoptiert? „Und ich dachte, du hättest dich geändert!“, fauchte sie ihre Schwester an. „Aber ich-“ „Dein Freund ist genauso schrecklich wie du es bist!“ Er sah Lily an, dass sie die Worte verletzten, sie wirklich tief trafen und in dem Moment wurde er wirklich wütend. „Reden Sie gefälligst anständig mit Ihrer Schwester!“, knurrte er warnend, doch Lily sah ihn nur bittend an. „James, lass…“ „Niemand redet so mit dir!“, entgegnete er und funkelte Petunia an, die nach Luft schnappte – ebenso wie ihr Verlobter. „Erzählt uns doch…wie ihr euch kennengelernt habt“, versuchte Lily die Situation zu retten, rang sich sogar ein schwaches Lächeln ab.   Vernon schnaubte abfällig, funkelte sie an. „Wir haben uns bei der Arbeit kennengelernt – wie das normal ist, aber sie kennen ehrliche Arbeit ja nicht mal! Sie und Ihr…faules Pack von…von…Nichtsnutzen!“, wurde er grantig und James verengte die Augen. „So wie Sie aussehen, wundert’s mich, dass Sie überhaupt-“ „James!“ „So eine Unverschämtheit!“, fauchte Petunia ihn über Lilys Vorwurf hinweg an. Vernon beugte sich vor, das Gesicht so arg verzogen, dass seine Schweinsaugen noch kleiner wurden. „Macht Ihnen das Spaß, ja? Halten Sie sich für was Besseres?! Sie sind doch nur ein mittelloser, verrückter Penner, der in eine Anstalt gehört!“ James juckte es in den Fingern, seinen Zauberstab zu zücken, doch er nahm sich zusammen – noch. „Und Sie sind ein fettleibiger, arroganter-“ „James, sei still!“, fuhr ihn nun Lily an und ihm fiel erst jetzt auf, wie bleich sie geworden war. „So, Petunia, das war’s!“, zischte Vernon zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich habe dir gesagt, dass es eine schlechte Idee sein würde! Diese…Frau da mag deine Schwester sein, doch dieser Kerl und sie sind beide Versager unter unserem Niveau!“ Und damit stand er auf, woraufhin es ihm seine Verlobte gleich tat, dabei ihre Schwester zornig anfunkelte. „Du hast es wie immer verdorben, Lily! Ich wusste, dass du es verderben würdest…du bist einfach nicht normal und machst immer alles kaputt!“ „Tunia, bitte…lass uns doch-“ „Nein, Lily! Ich habe dir genügend Chancen gegeben! Ich will dich dein Gesicht nicht mehr sehen! Du machst mich krank!“   Mit diesen Worten stürmten die beiden einfach aus dem Restaurant, ließen James und Lily sitzen. Im ersten Moment war James zu verdutzt, um etwas zu sagen oder zu tun. Genau genommen wusste er nicht einmal, wie dieses Treffen so schnell hatte schief gehen können. Erst als er Lilys Schluchzen hörte, begriff er, dass sie es nicht so lächerlich wie er fand. Dass sie wirklich darunter litt, dass ihre Schwester sie nicht akzeptieren konnte und für das verurteilte, was sie war: eine Hexe. Vorsichtig nahm er seine Freundin in den Arm, strich ihr durch das rote Haar und murmelte ihr zu, dass das schon wieder werden würde. Dass die anderen Muggel sie nun geradezu anglotzten, war ihm relativ egal – und Hunger hatten sie beide wohl sowieso keinen mehr. Er legte ein wenig Muggelgeld auf den Tisch und erhob sich dann mit ihr, führte sie nach draußen. Die Sonne war immer noch nicht untergegangen, die Temperaturen noch warm und dennoch zog er sie an sich. „Beruhige dich“, brummte er ihr zu und strich ihr die Tränen von den Wangen. „Hey...die sind es doch nicht wert…“ „Sie ist meine Schwester“, murmelte Lily und schluckte hart. „Du…verstehst das nicht, James…ich wollte mich doch nur aussöhnen…sie heiratet bald und ich…möchte trotz allem ein Teil von ihrem Leben sein…“ James sah sie nur mitleidig an. Am liebsten hätte er ihr geraten, einfach drauf zu pfeifen – aber das wäre nicht Lilys Art gewesen. Sie gingen ein paar Schritte und James überlegte fieberhaft, was er sagen konnte, damit es ihr besser ging.   „Als wir…klein waren…haben wir uns versprochen, dass wir bei unserer Hochzeit die Brautjungfer der jeweils anderen sein werden“, verriet sie ihm, als sie sich ein wenig gefasst hatte. James sah, dass ihre wundervollen, grünen Augen immer noch gerötet waren. Er wollte nicht, dass sie weinen musste…und er würde alles dafür tun, damit sie keine Träne mehr vergießen musste. Also nahm er sich zusammen und überwand sich – auch wenn es einen bitteren Beigeschmack hatte. „Weißt du was?“, meinte er und lächelte sie an. „Ich regle das!“ „…du?“, fragte sie skeptisch. „Ja! Ich rede noch mal mit diesem fett- ich meine…mit dem Verlobten deiner Schwester…aussprechen und so. Du wirst sehen!“ Lily lächelte schief. „…das glaubst du doch selbst nicht.“ „Ich werde es jedenfalls versuchen…für dich, in Ordnung? Weil ich dich liebe und weil ich will, dass du glücklich bist.“ Und diese Worte waren ehrlich gemeint. Es schien auch tatsächlich zu helfen, da Lilys Lächeln warmherziger wurde. „Ich liebe dich auch, James.“ Es überkam ihn jedes Mal ein angenehm prickelnder Schauer, wenn sie das sagte. Meistens konnte er es dann selbst nicht fassen, dass ihn Lily Evans nach jahrelangen Differenzen endlich erhört hatte. Und er wusste, dass er der glücklichste Mensch sein würde, solange sie bei ihm war. Hand in Hand gingen sie nach Hause und eine neue Woge des Glücks durchflutete ihn, als Lily sich dabei vertrauensvoll an seine Schulter lehnte.   Zu einer Aussprache mit Vernon und Petunia kam es dennoch nie und als die beiden heirateten, wurde Lily keine Brautjungfer. Kapitel 3: Selbstreflexion -------------------------- Leise rauschend fiel der Regen auf Londons Straßen hinab, überschwemmte die Gehwege und ließ die dicht beieinander stehenden, armselig aussehenden Gebäude in Spinner's End noch düsterer wirken. Die Temperaturen waren in den letzten Wochen gesunken, inzwischen ging kaum jemand ohne einen dicken Mantel aus dem Haus und ohne einen Schirm sowieso nicht. Dennoch hielt das Wetter die Menschen nicht davon ab, so fröhlich wie nie zu sein. Egal wie schlecht das Wetter auch sein mochte, jeder lächelte, wenn man sich begegnete, grüßte freundlich... Noch vor wenigen Wochen hatten die Medien durch ihre Berichte Panik und Schrecken verbreitet – wenn es die Todesser nicht vor ihnen schafften. Und jetzt? Es machte den Eindruck, als sei eine unvorstellbar schwere Last von der ganzen Welt abgefallen. Vier Wochen lang hatte man gefeiert. Menschen, die sich nicht einmal kannten, waren sich in die Arme gefallen, hatten die Hände zum Himmel gestreckt und gejubelt...und das nur aus einem einzigen Grund. Genau vor einem Monat war der dunkle Lord besiegt worden...ausgelöscht durch einen Säugling...wahrhaft erbärmlich zugrunde gegangen.   Severus Snape beschleunigte seine Schritte unwillkürlich und dies lag ganz sicher nicht an dem stärker werdenden Regenschauer, der auf ihn herab prasselte. Nass und strähnig klebten ihm die unter der Kapuze hervor schauenden, schwarzen Haare im bleichen Gesicht und er machte sich nicht die Mühe, diese zur Seite zu streichen, sondern setzte seinen Weg durch das Unwetter fort. Ihm begegnete niemand. Jetzt, nach fast einem Monat, begannen sich die Wogen zu glätten, in das Leben kehrte allmählich die Normalität zurück und die Muggel waren nach und nach mit Vergessenheitszaubern vom Ministerium belegt worden. Bald schon würden sich die Menschen wieder sicher fühlen. In jedem Land gab es Kriege und auch wenn dieses Mal die ganze Welt davon betroffen gewesen war...irgendwann würde man dieses Ereignis in der Geschichte der Zauberei ablagern, es als Schulstoff weitergeben. Harry Potter würde als der Junge, der überlebte zur Legende werden und sich in seinem Ruhm sonnen, solange er konnte.   Severus gehörte nicht zu denen, die daran glaubten, dass der dunkle Lord zurückkehren würde...auch wenn Dumbledore davon überzeugt schien, er war es nicht. Noch nicht… Sicher musste man den Jungen vor den ehemaligen Todessern schützen, aber vor du-weißt-schon-wem selbst? Niemand wagte zu bedenken, dass er nicht gestorben war in jener Nacht...nun, Bellatrix Lestrange wohlmöglich, aber die saß nun in Askaban und wurde von den Dementoren in Schach gehalten. Zudem würde niemand diesem geistig gestörten Frauenzimmer Glauben schenken.   Trotzdem...Dumbledore glaubte es. Und dank dem Versprechen, das er dem alten Zauberer hatte geben müssen, im Austausch für etwas sehr Kostbares, das er vor Kurzem für immer verloren hatte, war er gezwungen, es ebenfalls zu glauben. Nächstes Jahr schon würde er sich erneut auf Hogwarts befinden, um dort den Zaubertränke-Unterricht zu übernehmen...der Gedanke an penetrante Schüler ließ ihn bereits jetzt innerlich aufstöhnen. Lehrer...niemals hatte er diesen Beruf ausüben wollen. Er war nicht gut darin, Leuten etwas beizubringen, da ihm die nötige Geduld fehlte - nicht etwa das Potenzial. Aber eine andere Wahl hatte er nicht wirklich...die war mit seinem Ruf als Todesser gestorben; niemand würde ihm Arbeit geben, solange das schwarze Mal auf seinem Unterarm prangte. Von diesem Umstand abgesehen, scherte es Severus nicht wirklich, was die Menschen über ihn dachten...das Einzige, das ihn wirklich traurig stimmte, war der Verlust, den er erlitten hatte - und über den er niemals würde hinwegkommen können.   Seine Schritte verlangsamten sich, als er sich seinem Ziel - einer herunter gekommenen, düsteren Kneipe - näherte. Severus war vor dem Fall des dunklen Lords nie ein großer Fan von Alkohol gewesen und wenn er in seiner Jugend einmal getrunken hatte, dann nur weil es die anderen ebenfalls taten...Gruppenzwang war wohl der passende Begriff für diese Dummheit. Er öffnete die zerkratzte Holztür, die ein lautes Quietschen von sich gab und trat ein, sah sich nur flüchtig um. Wie bei jedem seiner in letzter Zeit sehr häufigen Besuche befanden sich nicht allzu viele Gäste in der kleinen Absteige. Ein wahrer Segen. Wie so oft orderte er ein Glas Feuerwhisky bei dem zwielichtigen Wirt, dessen rechtes Auge um einiges tiefer lag, als das linke. Die schwieligen Finger nahmen sein Geld entgegen und schoben ihm das Gewünschte rüber. Ein finsterer Blick und der Mann ließ ihn in Ruhe, verzog sich ans andere Ende der Bar. Severus war es gleich, ob man ihn hier drin erkannte – er war nicht die einzige Person, die sich mit einem schlechten Ruf hier aufhielt. Deshalb saß er ja in diesem Pub, wo man ihn nicht beachtete. Er nahm einen Schluck, spürte, wie ihn der Whisky von innen heraus wärmte. Bald schon würde er seine Gedanken schwammig werden lassen, ihn ruhiger machen. So war es immer...irgendwann würde er gehen und einschlafen, bevor ihn die Schuldgefühle überrollten und er den Tränen freien Lauf lassen musste. Sich seiner Erbärmlichkeit bewusst, trank er noch mehr, blickte wie betäubt vor sich hin.   Die meiste Zeit vergrub er sich zuhause, schlief oder las den Tagespropheten, um auf dem aktuellen Stand zu sein. Manchmal braute er Tränke, um sich abzulenken, doch es half nie lange. Immerzu sah er Lily vor sich…mit ihren roten Haaren, den strahlend grünen Augen und den vielen kleinen Sommersprossen im Gesicht. Er hörte ihr fröhliches Lachen, ihre nicht selten belehrende Stimme, wenn sie etwas ungerecht fand…und im nächsten Moment sah er ihre Leiche vor sich. Den weißen Farbton ihrer Haut, die leeren Augen…und es zerriss ihn innerlich. Dann hörte er Dumbledores Stimme in seinem Kopf. “Sie widern mich an!“ Ja…da waren sie schon zwei, denn mittlerweile schämte er sich seiner Forderung, er wolle nur Lily verschont wissen. Sie wäre nie wieder froh geworden, hätte man ihr Mann und Kind genommen. So sehr er Potter auch hasste und ihm den Tod gönnte…Lily hätte ihm nie verziehen. Und nun war sie tot…und er musste mit seiner Schande leben. Er drängte die Tränen zurück, schluckte den Kloß in seinem Hals runter und atmete dreimal tief durch. Mit Anfang 20, als erwachsener Mann hier zu sitzen und zu heulen wie ein Kind, das war…peinlich. Gott, wie sollte er jemals wieder mit sich leben können? Er wusste es nicht…   „Ist hier noch frei?“ Severus zuckte heftig zusammen, als ihn jemand ansprach. Die Stimme klang auf eine merkwürdige Art vertraut, auch wenn er sie nicht richtig einordnen konnte. Also hob er den Kopf…nur um festzustellen, dass der Mann ihm keinesfalls unbekannt war. Im ersten Moment waren sie beide zu geschockt, um auch nur einen Ton hervorzubringen. Severus starrte den Mann vor sich an, als wäre dieser eine Erscheinung. Nun…das war er gewissermaßen auch. Eine sehr heruntergekommene Erscheinung. Die Kleidung wirkte zerschlissen und eintönig braun, ebenso wie das zause, vom Regen leicht feuchte Haar. Narben durchzogen das markante Gesicht mit der etwas zu breiten Nase und den bernsteinfarbenen Augen. Die dunklen Ringe darunter ließen ihn älter erscheinen, als er eigentlich war…ebenso wie der Dreitagebart, den er sich wohl neuerdings stehen ließ. Oder war er nur zu arm für ein Rasiermesser? „Severus…“ Er räusperte sich so unauffällig wie möglich. „Lupin“, erwiderte er die nicht vorhandene Begrüßung dann kühl. Ein musternder Blick wurde ihm zuteil und Severus fragte sich, was Remus Lupin sah, wenn er ihn nun so betrachtete. Ob er genauso ein jämmerliches Bild abgab, wie der andere es tat? So wie er sich fühlte, vermutlich schon. „Du…wieso bist du…“ „Nicht in Askaban?“, unterbrach er ihn eisig und sah, wie der andere schluckte. „Ich wurde freigesprochen…enttäuscht?“ Anscheinend fehlten dem anderen die Worte, er konnte ihn nur anstarren. Dann setzte er sich kommentarlos neben ihn an die Bar und bestellte sich ebenfalls einen Feuerwhisky.   „Nein“, antwortete er schlussendlich doch noch auf die gestellte Frage. „…nur verwundert.“ Es war schon immer schwierig gewesen, mit Lupin ein Wortgefecht auszutragen. Dazu war der Werwolf nicht schlagfertig genug. Severus gab ein verächtliches Schnauben von sich, doch selbst dieses wurde nicht als beleidigend aufgenommen. Mit niedergeschlagenem Blick schaute Lupin in sein Glas, ehe er noch einen großen Schluck davon nahm. „Aber…man wird wohl seine Gründe haben, dich frei herumlaufen zu lassen“, murmelte er, woraufhin Severus erstmal nichts mehr sagte. Wo blieben die Anschuldigungen? Jeder wusste, dass er ein Todesser gewesen war, die meisten straften ihn deshalb mit Hass und Verachtung. Er konnte es ihnen nicht mal verdenken. Warum also regte sich Lupin nicht auf? Warum beleidigte er ihn nicht, verurteilte ihn nicht…sondern nahm es einfach hin, dass er hier sitzen und sich betrinken konnte? Es gab nur eine mögliche Erklärung dafür: Er war, wie zu ihrer Schulzeit, immer noch ein Feigling. „Was denn?“, fragte er schneidend. „Keine Anschuldigungen? Nun bin ich enttäuscht…man würde meinen, du hättest mir mehr zu sagen…“ Lupin warf ihm einen erschöpften Seitenblick zu, ehe er sich wieder abwandte.   „Wir sind keine Schüler mehr, Severus…und wir haben beide viel verloren“, wisperte er und schloss gequält die Augen. „Ich weiß, was du getan hast…und ich weiß, wie wichtig dir Lily war.“ Severus‘ Eingeweide verkrampften sich bei dem letzten Satz. „Du siehst aus wie ein Schatten deiner selbst…und ich vermute, das liegt daran, dass du dir selbst nicht verzeihen kannst“, sprach der Werwolf weiter, womit er erschreckenderweise den Nagel auf den Kopf traf. „Du weißt gar nichts!“, zischte er nicht halb so giftig, wie er es gern gehabt hätte. Lupin lachte freudlos auf. „Also sitzt du hier rum, betrinkst dich und heulst, weil du dein Leben genießt? Mach dich nicht lächerlich…“ Die Worte fühlten sich an wie Messer, die sich in seine Haut bohrten und er begann zu zittern. Vor Wut, vor Scham…und vor der Erkenntnis, dass es stimmte.   „Ich heule nicht!“, fauchte er ihn an und wusste, dass ihn die geröteten Augen verrieten. Lupin zuckte nur mit den Schultern. „Nicht?“, fragte er, als würde ihm nichts gleichgültiger sein können. „Nun…ich schon…jede Nacht, wenn du es genau wissen willst. Wenn ich an James und Lily denke…oder an ihr Kind, das jetzt keine Eltern mehr hat. Oder an Sirius, in dem ich mich so getäuscht habe…um unsere Freundschaft…um Peter…“ Lupin beugte sich vor, stützte den Kopf auf seine Hände und blickte ins Nichts. „…weil ich nun niemanden mehr auf der Welt habe.“ Die Offenheit, mit der der andere ihm begegnete, verstörte Severus. Er wollte nichts davon hören, wollte nicht wissen, wie schlecht es seinem ehemaligen Feind ging. Er wollte weder Mitgefühl haben, noch sich verstanden fühlen. Das Einzige, das er wollte, war, sich in seinem Selbstmitleid zu suhlen, solange es ihm noch erlaubt wurde.   „Und ich denke, dir geht es nicht viel anders.“ Severus schnaubte heftig aus, ehe er sich noch einen Whisky bestellte. „Nein. Ich habe Potter und Black immer gehasst…Pettigrew war mir egal.“ Lupin seufzte leise. „…du weißt, was ich meine“, erwiderte er und sah ihn nun direkt an. „Lily war deine einzige Freundin oder?“ „Ich will darüber nicht sprechen.“ „Und die meisten deiner…Todesser Kollegen sitzen in Askaban…“ „Oh keine Sorge…niemand von ihnen stand mir derartig nahe, dass mich das belasten würde“, ätzte er und nahm noch einen großen Schluck. Lupin versuchte den Ansatz eines Lächelns – es sah kläglich aus. Kaum zu glauben, dass er mit diesem Lächeln einmal alles und jeden für sich hatte gewinnen können.   „Ich verstehe…“ „Das bezweifle ich doch sehr“, gab er finster zurück und Lupin seufzte hörbar. „Wenn es dir gut tut, deinen Selbsthass auf mich zu projizieren…bitte. Tu dir keinen Zwang an“, brummte er in sein Glas und stürzte die Flüssigkeit gänzlich herunter. Er schüttelte sich einmal und knallte sein Glas auf den Tresen. „Noch einen…“ Severus fixierte ihn aus seinen schwarzen Augen heraus, nicht wissend, ob er weiterhin versuchen sollte, Lupin in irgendeiner Weise zu verletzen…oder ob er aufstehen und gehen sollte. Eigentlich war das hier sein Rückzugsort – warum sollte er also gehen? Richtig. Es gab keinen Grund. Also blieb er…und tat das, wozu er hergekommen war: trinken und verdrängen.     „Weißt du, ich hab’s nie verstanden…“ Severus warf seinem Nebenmann einen abschätzenden Seitenblick zu, als dieser nach zwei weiteren Gläsern erneut das Wort an ihn richtete. „Vorhin noch hast du das Gegenteil behauptet“, erinnerte er ihn. „…ich meine, warum du zu du-weißt-schon-wem gegangen bist.“ „Meine Gründe gehen dich absolut nichts an“, versuchte Severus das Gespräch zu beenden, doch so einfach schien das nicht zu sein. „Du warst immer fasziniert von schwarzer Magie, schon zu unserer Schulzeit“, sinnierte der Werwolf weiter. „Aber ich hätte nie gedacht, dass du dafür so weit gehst…“ Severus zog es vor zu schweigen. „…war es das wert?“ Die Frage schlug ihm dermaßen auf den Magen, dass er die Schmerzen fühlen konnte. Ob es das wert gewesen war? War Lupin vergesslich? Vorhin noch hatte er seinen Zustand sehr treffend beschrieben und nun stellte er ihm so eine Frage? „Ja“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Immerhin ist Potter tot und Black in Askaban...das ist mehr, als ich je zu hoffen gewagt habe.“ Er beobachtete mit bitterer Genugtuung, wie sich Lupins Miene verschloss. Natürlich musste er den beißenden Sarkasmus erkennen, doch ebenso wusste er wohl, dass Severus diese Tatsache wirklich genoss. Nicht genug, um seinen Verlust aufzuwiegen…mehr ein schwacher Trostpreis.   „Sag mir eins, Severus“, begann Lupin nach einer längeren Pause erneut. „Wie kannst du das ertragen?“ Es kam selten vor, dass er anderen nicht folgen konnte – heute war so ein Zeitpunkt. „Was ertragen?“, fragte er unfreundlich nach, verbarg den genervten Unterton nicht. „Dich.“ Die Frage war berechtigt, wie verletzend…zumindest wäre sie das gewesen, wenn ihn Lupins Meinung in irgendeiner Weise interessiert hätte. „Gewohnheit“, gab er scheinbar gleichgültig zurück. „Du warst nicht immer so…unausstehlich“, murmelte der andere. „In unserem ersten Jahr warst du schüchtern…zurückhaltend…vielleicht ein bisschen besserwisserisch. Du und Lily ward immer zusammen…damals habe ich dich darum beneidet. Ich hatte niemanden…“ Severus erinnerte sich zurück und er musste feststellen, dass es stimmte. Zu Anfang ihrer Schulzeit war Lupin mehr Außenseiter als er gewesen, denn er hatte Lily gehabt. „In unserem ersten Schuljahr haben Potter und Black meinen Umhang angezündet“, versetzte er kalt und Lupin lächelte schief. „Ich erinnere mich…du hast dich ziemlich aufgeregt…“ „Im Gegensatz zu Potters Eltern waren meine niemals wohlhabend…“ „Sie waren Kinder, Severus.“ „Auch Kinder können grausam sein.“ „Ja…das ist mir bewusst.“   Vielleicht lag es am Alkohol, dass sich seine Zunge lockerte und er begann, auf die Fragen zu antworten. Dass er einmal mit Lupin in irgendeinem Pub sitzen und über ihre Schulzeit reden würde…mehr als surreal. Zumal diese Zeit für ihn nicht die glücklichste gewesen war. Potter und Black hatten sie für ihn zur Hölle werden lassen. Der Name Schniefelus hatte ihn verfolgt und auch wenn Lily bis zu ihrem fünften Jahr an seiner Seite gestanden hatte, es hatte nicht gereicht, um es erträglich zu machen. Im seinem Haus war er nur das Halbblut gewesen, die Lehrer hatten ihm keine große Beachtung gezollt…er war ein Niemand gewesen, über den sich die meisten lustig gemacht hatten. Wenn er sich zurückerinnerte, war die Zeit vor Hogwarts, die er mit Lily allein verbracht hatte, die schönste in seinem Leben gewesen – trotz seines schrecklichen Vaters. „Manchmal frage ich mich, was heute wäre, wenn wir uns nicht bekriegt hätten.“ „Potter und Black haben sich mit mir bekriegt“, korrigierte er. „Du hast daneben gestanden und zugeschaut.“ Er musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass Lupins Wangen sich rot färbten. Ein abfälliges Schnauben seinerseits folgte. „Ich weiß, dass ich als Vertrauensschüler hätte einschreiten müssen…dass ich es nicht getan habe, tut mir heute leid.“ „Mir scheint, als könnte ich nun, nach dieser reuevollen Entschuldigung, endlich in Frieden sterben…danke, Lupin.“ „Könntest du ein einziges Mal nicht sarkastisch sein?“ „Nein.“ „Hm.“   Erneutes Schweigen, auch wenn es natürlich nicht lange anhielt. Severus fragte sich, was Lupin wohl davon hatte, sich ständig eine Abfuhr von ihm einzuholen. Benötigte er noch mehr Tritte, wo er schon am Boden war oder war das eine Art Selbstgeißelung, weil er tatsächlich Schuldgefühle ihm gegenüber verspürte? Letzteres wohl kaum. „…was wirst du jetzt tun?“ „Ich wüsste nicht, was gerade dich das anginge.“ „Nun…du sitzt immer noch hier, neben mir…und unterhältst dich mit mir, auch wenn du dabei charmant wie eh und je bist…“ „Sarkasmus ist etwas für diejenigen, die ihn beherrschen.“ „…also gehe ich davon aus“, überging Lupin den eingeworfenen Kommentar. „Dass du unserer Unterhaltung nicht so abgeneigt bist, wie du dir und mir glauben machen willst.“ „Wie scharfsinnig…vielleicht solltest du dich bei den Auroren bewerben. Ich bin sicher, sie können jemanden wie dich gut gebrauchen – als Spürhund möglicherweise…?“ „Dann hätte ich zumindest Arbeit…“, ignorierte sein Nebenmann die Spitze und zucke unbeteiligt die Schultern. „Also?“ Anscheinend gab dieser Mann nie Ruhe, weswegen Severus entnervt seufzend doch noch Antwort gab. Dass er auch einfach hätte gehen können, ließ er dabei außer Acht.   „Dumbledore war so gütig, mir eine Stelle als Lehrer in Hogwarts aufzuzwingen.“ „Du meinst angeboten.“ „Ich meine, was ich sage.“ „…du weißt schon, wie undankbar du bist?“ Darauf musste nichts mehr gesagt werden, doch er bemerkte sehr wohl Lupins sehnsuchtsvollen Blick. Kein Wunder…denn aufgrund seiner Lykantropie würde Lupin vermutlich nirgendwo Arbeit finden. „Auch wenn ich mich frage, was Dumbledore sich dabei denkt, dich auf die Schüler loszulassen…“ „Vermutlich will er mich im Auge behalten“, erwiderte Severus, ohne sich auch nur im Geringsten verletzt zu fühlen und drehte das Glas in seiner Hand. „Das ergibt Sinn.“ „Hn.“ Lupin lächelte wieder und Severus wünschte sich, er würde damit aufhören. Es gab keinen Grund, so zu tun, als würde er ihn leiden können. Nichts hatte sich seit ihrer Schulzeit geändert.   „Warum bist du noch hier, Lupin?“ Kurz blieb die Frage zwischen ihnen im Raum stehen…dann seufzte der Werwolf tief und rieb sich den Nacken. „Dein messerscharfer Verstand weiß doch sicher eine Antwort darauf.“ Severus schnaubte, als der andere ein weiteres Mal sarkastisch wurde. Nein. Er beherrsche ihn wirklich nicht, vielleicht weil die Worte ohne Hass keinen Wert hatten. „Bist du tatsächlich so mitleiderregend einsam, dass du sogar meine Gesellschaft in Kauf nimmst? Und ich dachte, jemand wie du könnte nicht tiefer sinken…bietet das Reißen von Menschen keine wirkungsvolle Alternative mehr?“ Lupin wandte ihm den Kopf zu, funkelte ihn aus seinen Bernsteinen an. Anscheinend hatte er einen wunden Punkt getroffen – na umso besser! „Ja, Severus“, erwiderte Lupin dann und beugte sich näher als nötig zu ihm vor. „Ich bin einsam…ich bin verzweifelt…und ich schäme mich nicht, es zuzugeben. Du kannst jetzt entweder damit fortfahren, mich niederzumachen, um deine eigenen Probleme zu verdrängen…oder du reißt dich zusammen und nimmst an, dass ich momentan der einzige Mensch bin, der freiwillig neben dir sitzt, ohne dir die Pest an den Hals zu wünschen.“   Im ersten Moment verschlug es Severus schlicht die Sprache. Nicht, weil jemand so mit ihm sprach – solche Reden prallten in der Regel an ihm ab. Es war mehr die Tatsache, dass es Remus Lupin war, der das Rückgrat besaß, ihm dermaßen die Meinung zu geigen. Damals hätte er so etwas nicht getan, sondern sich feige davon geschlichen. Er fasste sich langsam wieder, um seine Mimik bemüht, damit sich der Werwolf nicht sonst was einbildete. Kühl blickte er diesen an, rang mit sich, ob er aufstehen und gehen sollte. Schon wieder…doch dann wurde ihm klar, dass Lupin Recht hatte. Seit sie hier saßen, hatte der andere versucht, mit ihm ein Gespräch zu führen. Er hatte ihn nicht beleidigt, verflucht oder angegriffen…sondern Fragen gestellt, die ihn anscheinend wirklich interessierten. Den Grund konnte er sich zwar nicht erklären, doch…immerhin sprach er seit Monaten wieder mit jemandem, der nicht Albus Dumbledore hieß. Es war nicht so, dass er Lupin mochte…je mögen könnte…oder gar vergessen wollte, was damals alles passiert war. Ganz bestimmt nicht. Aber…er war da. Und wenn er ehrlich war, tat es doch irgendwie gut, mit jemandem zu reden, der…eben doch verstand. Sei es auch nur ein bisschen…gerade reichte es aus, um besser damit zurechtzukommen, dass er der größte Abschaum war.   „Schön.“ Mehr kam nicht, doch es schien Lupin zu reichen, denn dieser lehnte sich wieder zurück. Severus hörte ihn abermals Whisky bestellen – zwei Gläser und eines schob er ihm zu. Beinahe selbstverständlich. „Wie überaus großzügig“, konnte er es sich nicht verkneifen. „Bitte sag mir nicht, dass du am Ende des Abends dafür Teller waschen musst…“ Ein schweres Seufzen folgte, dann ein müdes Lächeln, als Lupin das Glas hob. „Trink einfach.“ Nun…das war wohl der beste Rat und Severus beherzigte ihn. Vielleicht konnte er eine Ausnahme machen und den Groll zumindest ein wenig abmildern. Wie gesagt, vergessen war nicht möglich…Vergebung schon gar nicht. „Du hast dich verändert“, meinte er schließlich noch und Lupin lächelte müde. „So?“ „Ja…du bist weniger feige…damals hättest du dich nicht getraut, so mit mir zu reden.“ „Mag sein. Es ist viel passiert…du hast dich ebenfalls verändert.“ Severus hob eine Braue, nicht wissend, was der andere damit meinte. „Inwiefern?“ „Nun…damals hättest du keine Sekunde freiwillig neben mir gesessen.“   Severus Mimik nahm einen bitteren Zug an, während er in sein Glas schaute. „Hätte ich“, gab er dann widerwillig zu. „Wenn Potter und Black nicht gewesen wären.“ Lupin wiegte leicht den Kopf zur Seite, schien überrascht zu sein. „Das klingt, als hättest du mich leiden können, wenn ich nicht mit ihnen befreundet gewesen wäre.“ „…immerhin hast du deine Prüfungen nicht durch Glück oder Abschreiben bestanden“, wich er einer Antwort aus. „James und Sirius auch nicht…nicht ganz jedenfalls. Ich habe ihnen nur geholfen…und Peter etwas mehr.“ „Bescheiden wie ein echter Gryffindor…den meisten würde sicher ganz warm ums Herz werden.“ „…bleiben wir doch dabei, dass du mich damals…mochtest.“ „Soweit würde ich nicht gehen.“ „Du hast mich nicht gehasst?“ „…meine Abscheu für dich war…geringer.“ Lupins Lächeln wurde wärmer und der Ausdruck behagte Severus nicht; eigentlich gab es keinen Menschen mehr, der ihn so anschaute. Lily war die letzte gewesen, die ihm positive Gefühle entgegen gebracht hatte – sah man einmal von der Anerkennung für Gehorsam beziehungsweise Folter und Mord ab.   „Nach all den Jahren bist du immer noch so verschroben wie zu unserer Schulzeit. Vielleicht sollte es mich beruhigen, dass es Dinge gibt, die sich nie ändern werden.“ „…ich bin Realist, das hat nichts mit Verschrobenheit zu tun – und davon abgesehen will ich das nicht von einem Werwolf hören.“ „Ich sagte nicht, dass ich normal sei – bleiben wir doch bei der Tatsache, dass ich dich…weniger angewidert habe als meine Freunde.“ „Wenn du darauf bestehst…“ „Ich fürchte ja.“ „Und diese glorreiche Erkenntnis bringt dir was genau…?“ „Die Hoffnung, dass du mir vielleicht irgendwann vergeben kannst.“ Und die Bedeutung dieses Satzes wirkte so entwaffnend, dass ihm keine bissige Erwiderung einfiel. Vergeben…er blickte matt vor sich hin, dachte dabei an Lily, die er ins Unglück gestürzt hatte. Er dachte an all die Menschen, die er unter der Herrschaft des dunklen Lords gefoltert und getötet hatte. Nicht (immer), weil er es gewollt hatte, sondern weil er nicht mehr hatte umkehren können. Weil er hatte leben wollen. Und dann dachte er an Lupin, der keine andere Wahl gehabt hatte, als ihn in jener Nacht anzufallen wie ein Tier. Weil er ein Tier war. Zumindest in den Vollmondnächten. Möglicherweise war der Alkohol daran Schuld, dass seine Gedanken diesen Weg einschlugen – sonst hätte er doch sicher nicht einmal darüber nachgedacht, Lupin zu verzeihen.   Nachdenklich blickte er vor sich hin, das Glas in der Hand haltend…und schlussendlich schnaubte er so abfällig, wie es ihm möglich war. „Ja…irgendwann vielleicht“, wisperte er so leise, dass Lupin abermals den Kopf in seine Richtung neigte. Ihre Blicke trafen sich, kurz, in stillem Einverständnis…und dann lächelte der Werwolf wieder. Es wirkte nicht mehr ganz so erbärmlich…aber vielleicht war auch das dem Alkohol zuzuschreiben. „Das genügt mir…fürs Erste“, entschied er und setzte erneut das Glas an die Lippen. Severus beobachtete ihn für einen Moment, nur um festzustellen, dass er sich besser fühlte. Nicht mehr ganz so verloren, einfach weil er mit jemandem reden konnte – und anscheinend tat es ihnen beiden gut. Obwohl sie keine Freunde waren und es vermutlich auch nie werden würden. Obwohl Lupin ihn in jener Vollmondnacht um ein Haar umgebracht hätte…obwohl er feige weggesehen hatte. Und obwohl der andere Mann seine Entscheidungen wohl niemals verstehen würde können…so war es trotzdem gut, nicht allein hier zu sitzen. Also blieben sie bis zum Morgengrauen in dem heruntergekommenen Pub, tranken, redeten und schwiegen…zwei Männer, die nicht viel miteinander gemeinsam hatten…und sich trotzdem ähnelten. Die sich gegenseitig benutzten, um sich besser zu fühlen…und deren Wege sich am nächsten Tag trennen würden. Zumindest bis Remus Lupin 13 Jahre später den Posten als Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste annehmen würde… Kapitel 4: Geborgenheit ----------------------- Das dunkle Zeitalter hatte erneut begonnen. Es würde nicht mehr lange dauern und der große Krieg würde ausbrechen. Eine Schlacht, wie sie möglicherweise noch nie stattgefunden hatte. Die Dunkelheit dort draußen würde nicht länger nur die Nacht beherrschen, sondern sich auch über den Tag senken. Remus John Lupin stand mit ernster Miene am Fenster des kleinen Hauses von Andromeda Tonks, schaute hinaus und wäre er in dieser Nacht Werwolf gewesen, so hätten ihm alle Haare zu Berge gestanden. Sein eigener Instinkt war nicht so gut ausgeprägt wie der seiner monströsen Seite, doch vermutlich war inzwischen jeder Zauberer und jede Hexe voller Anspannung aufgrund des Kommenden. Blitze durchzuckten den Himmel und tauchten das Zimmer kurzzeitig in gleißendes Licht, ehe ein finsteres Donnergrollen erschallte. Gleich darauf ertönten die Schreie eines Säuglings und er wandte den Kopf zur Seite. Seine ungewohnt harten Züge wurden weicher, als er seine junge Frau sah, die soeben durch die Tür trat und dabei ein in die Decke gewickeltes Bündel mit sich trug. Der kleine Kopf mit den wenigen bunten Haarspitzen lugte daraus hervor, wippte leicht, als Nymphadora Tonks ihren Sohn sanft in ihren Armen wiegte. Ein leises Summen bewegte ihre Lippen, während die bernsteinfarbenen Iriden auf ihr gemeinsames Kind gerichtet waren. Ihre kurzen Haare waren von einem warmen Braun, das ebenso wie die Augenfarbe seiner eigenen ähnelte. Als Metamorphmagus passte sich Tonks Aussehen zumeist ihrer inneren Stimmung an und dass sie ihm nun so ähnlich sah, berührte ihn auf eine Weise, die ihn wieder einmal erkennen ließ, wie tief seine Gefühle für diese einzigartige Frau gingen. Wenn er daran dachte, dass er damals beinahe einen unverzeihlichen Fehler gemacht hatte – nämlich den, die schwangere Tonks zurückzulassen –, schämte er sich in Grund und Boden. Was war er nur für ein Feigling gewesen, dass er sich einfach so davon hatte stehlen wollen. Wenn er sie jetzt so ansah, wie sie mit dem kleinen Teddy auf dem Arm zu ihm kam, leise mit ihm sprach und wieder diese beruhigende Melodie summte, war er Harry mehr als dankbar, dass er ihm den Kopf zurechtgerückt hatte. Diesen Fehler hätte er sich niemals verziehen. Normalerweise war Tonks ein kleiner Tollpatsch, doch wenn sie Teddy auf dem Arm hielt, konnte sie sich mit einer Vorsicht bewegen, die die meisten, die sie kannten, in Erstaunen versetzte. Zuneigung erfasste ihn, als die Schreie des nur wenige Wochen alten Babys leiser wurden und schließlich ganz verklungen. Sein Mund formte ein Lächeln, als sie neben ihm zum Stehen kam und zu ihm aufschaute. „Er ist heute besonders unruhig“, murmelte sie und Remus seufzte leise. „Wer ist bei einem Gewitter schon ruhig“, erwiderte er und wusste, dass sie die Bedeutung seiner Worte verstand. Der entspannte Ausdruck in ihrem herzförmigen Gesicht geriet ins Wanken und sie zog die Augenbrauen sorgenvoll zusammen. Remus wünschte, er hätte einfach gar nichts gesagt, wo doch der Schatten ihrer Zukunft seit Teddys Geburt noch bedrohlicher über ihnen schwebte. Remus hatte die letzte Zeit ausschließlich mit ihr verbracht, sich um sie gekümmert und keine Aufträge des Ordens mehr angenommen. Beinahe hatte er sich an ein (zumindest einigermaßen) friedliches Leben mit ihr gewöhnt, auch wenn ihn die Berichte von außerhalb natürlich nie vergessen ließen. Und trotzdem ertappte er sich bei dem Gedanken, was wäre, wenn sie einfach hierbleiben würden…als Familie. Wenn sie andere kämpfen ließen und sich hier versteckten, bis es vorbei sein würde. Erneut glitt sein Blick über Tonks und ihren Sohn…und er stellte betrübt fest, dass seine Feigheit dieses Mal nicht ausreichte, um ihn die falsche Entscheidung treffen zu lassen. Er würde für die Zukunft ihrer Familie kämpfen und wenn er dafür sterben würde, so wäre sein Sohn wenigstens stolz auf ihn. „Dora“, begann er langsam und sah sie ernst an, während er eine Hand an ihre Wange legte. „Du solltest hier bei Teddy und deiner Mutter bleiben…es wäre…besser für euch.“ Sofort trat das kämpferische Funkeln in ihre Augen, die nun beinahe orange leuchteten und ihn fixierten. Normalerweise liebte er dieses Temperament und die Entschlossenheit der jungen Aurorin, doch soeben quälte es ihn eher. „Wir haben bereits darüber geredet, Remus“, entgegnete sie gewohnt störrisch und Teddy quengelte erneut. „Ich werde meinen Mann nicht allein für die Zukunft unseres Sohnes kämpfen lassen!“ Ihre Stimme klang so bestimmt, dass ihm direkt klar wurde, dass er auch heute auf Granit beißen würde. Ein Seufzen entkam ihm und er strich mit dem Daumen über ihre Wange. „Warum kannst du nicht etwas mehr nach deiner Mutter kommen…“, brummte er und sah sie vorwurfsvoll an. Tonks Schmunzeln ließ ihn innerlich aufatmen, ebenso wie das langsame Verglühen des intensiven Orange in ihren Augen. „Du meinst die Frau, die gegen ihre schreckliche Familie rebelliert hat, indem sie einen gewöhnlichen Muggel geheiratet hat und damit zur Blutsverräterin wurde?“ Stille. „…vergiss, was ich gesagt habe.“ Tonks konnte ein Kichern nicht unterdrücken und dieses schien sich nicht nur positiv auf Remus auszuwirken, denn auch ihr Sohn wurde sofort wieder friedlich. Er wünschte immer noch, er könnte es ihr ausreden, mit ihm Seite an Seite zu kämpfen, doch das wäre verschenkte Zeit, die er lieber anders verbringen wollte. Vor Tonks hätte er nie gedacht, dass er all das haben könnte…eine Frau an seiner Seite, die ihn akzeptierte und liebte, wie er war…und einen Sohn, der nicht unter seiner Lykanthropie leiden musste. Ja, sogar seine Schwiegermutter mochte ihn. Remus fragte sich, warum ihm dieses Glück erst jetzt zuteilwurde, wo Voldemort und seine Todesser dort draußen waren und die Welt ins Chaos stürzten. Es war ungerecht, doch änderte dies nichts daran, dass es nun einmal so war. Er zuckte leicht, als er spürte, wie sich Tonks an seine Seite lehnte, den Kopf an seine Schulter geschmiegt und er legte den Arm um sie, küsste ihren braunen Schopf. Das warme Gefühl in seiner Brust wollte nicht abebben und er genoss es in vollen Zügen. In Momenten wie diesen wünschte er sich, die Zeit möge stillstehen und ihnen noch ein wenig mehr von diesem falschen Frieden bringen. „Remus?“ Er atmete durch, als sie seinen Namen sagte, nickte aber leicht, während sie immer noch so da standen…wie eine Familie. Seine Familie…und er stellte fest, dass ihn allein der Gedanke daran bestärkte, dafür zu kämpfen, dass sie es blieben. Hatte sich James damals auch so gefühlt? Vielleicht…er wusste es nicht, doch er konnte es sich gut vorstellen. Auch Lily und James hatten für ihr Kind gekämpft…und waren gestorben. Doch selbst wenn Tonks und ihn dasselbe Schicksal treffen würde, so würde sich Andromeda liebevoll um ihrer beider Kind kümmern. Er hoffte dennoch nicht, dass es dazu kommen musste. „Es wird alles gut werden, solange wir zusammen sind“, wisperte sie und die Worte rührten ihn, rangen ihm ein mattes Lächeln ab. Teddy gähnte in ihren Armen und er festigte seinen Griff um Tonks, während er die Nase in ihren Haaren vergrub, die Augen schloss. Die Geborgenheit, die ihm seine kleine Familie vermittelte, war in diesem Moment alles, was er fühlen wollte. Und seine Liebe, war alles, was er ihnen geben wollte, bis die grausame Realität sie einholen und aus ihrer friedlichen Welt reißen würde. „Ja…das wird es.“ Kapitel 5: Vorwände ------------------- „Was willst du?“ Es war nicht so, dass Remus Lupin mit sonderlicher Freundlichkeit gerechnet hätte. So etwas konnte gerade er bei seinem Gegenüber nicht verlangen, hatten sie doch eine längere, nicht besonders positive Vorgeschichte. Remus seufzte innerlich, während er die Tür hinter ihnen schloss und kurz den Blick durch das verstaubte Zimmer gleiten ließ. Anscheinend hatte noch niemand versucht, den Raum bewohnbar zu machen, wenn man die unzähligen Spinnenweben über den Bücherregalen betrachtete. Es roch unangenehm muffig, doch immerhin waren sie hier einigermaßen ungestört. „Schickt Black dich, damit du mir sagst, wie unfair ich ihm gegenüber bin?“, spottete der andere wie gewohnt. „Wenn dies der Fall ist, können wir das Gespräch direkt beenden.“ „Nein. Deswegen bin ich nicht hier.“ „Sondern?“, wurde er angeraunzt und schaffte es nur mit Mühe, keinen genervten Laut von sich zu geben. Sie hatten gerade erst eine Besprechung des Ordens hinter sich gebracht und aufgrund solcher Feindseligkeiten war es wie immer sehr anstrengend gewesen. Sirius fuhr schnell aus der Haut, das wusste er ja selbst, doch Severus Snape provozierte ihn jedes Mal absichtlich mit seiner Lage. Sei es drum, er war wirklich nicht deswegen hier. „Es ist mir…zugegeben ein wenig unangenehm“, begann er nach einem tiefen Atemzug und er sah, wie Severus eine Braue hob. „Nun…das wäre nichts Neues. Weiter“, erwiderte er dann trocken. „Ich habe nicht so viel Freizeit, wie andere Ordensmitglieder.“ Remus wich dem Blick der durchdringenden, schwarzen Augen aus, indem er eine Spinne beobachtete, wie sie sich langsam an einem Faden abseilte. Dieses Haus war wirklich unbewohnbar…und er selbst war wirklich einiges gewohnt. Der Orangeton der untergehenden Sonne tauchte den Raum in ein warmes Licht, doch als er Severus wieder ansah, merkte er nicht mehr viel davon. „Tonks äußerte mir gegenüber…hm…was du zu ihr gesagt hast…“ In Severus‘ Miene regte sich nichts. „Wegen ihrem Patronus, der…nun ja…seit einer Weile die Gestalt eines-“ „Ich weiß, wie ihr Patronus aussieht!“, schnappte Severus und ließ ihn damit kurzzeitig verstummen. „Und ich weiß, was ich gesagt habe, also komm zum Punkt!“   Remus fühlte sich aus der Bahn geworfen, als der andere ihn so anfuhr. Er selbst war eigentlich der festen Überzeugung, dass man eine unangenehme Angelegenheit auch diplomatisch besprechen konnte, doch…damit kam er hier wohl nicht weiter. Die Feindseligkeit überraschte ihn mehr, als sie es wohl hätte tun sollen, aber er konnte sich nicht helfen. „…warum hast du es gesagt?“, wollte er wissen und blickte ihn ernst an. „Ich meine…warum…?“ Er geriet ins Stammeln und ärgerte sich selbst darüber, dass er nicht so sachlich bleiben konnte, wie er wollte. Severus‘ aalglattes Gesicht jedoch ließ nicht erkennen, ob die Frage etwas in ihm rührte. Seine Augen spiegelten nur die gewohnte Kälte wieder. „Ich denke nicht, dass ich einem von euch Rechenschaft ablegen muss…weder dir noch Nymphadora“, gab Severus zurück. „Wenn das alles ist-“ „Antworte mir!“, fiel er dem anderen nun nachdrücklicher ins Wort und funkelte ihn an. Für einen Moment schien der Tränkemeister ganz perplex von seinem Ausbruch zu sein – denn für Remus‘ sonst eher friedliches Verhalten war es das. Allerdings wollte er hier auch nicht einfach stehen gelassen werden. Das verräterische Zucken der dünnen Lippen verhieß nichts Gutes, dennoch wartete Remus. „Eine unbedeutende Aussage über einen noch unbedeutenderen Patronus und du machst so einen lächerlichen Aufriss darum? Sag, Remus, schämst du dich nicht für dich selbst? Ich meine, noch mehr als sonst…?“ Die Worte trieben ihm die Röte in die Wangen, so sehr er es auch zu unterdrücken versuchte. Severus‘ scharfe Worte trafen leider immer genau die wunden Punkte seiner Mitmenschen. „Ich frage mich lediglich, was du dir von meiner Antwort erhoffst“, sinnierte der schwarzhaarige Zauberer vor sich hin. „Nur zu…erleuchte mich, vielleicht offenbare ich mich dann…?“   Remus wünschte sich beinahe, er hätte das Thema niemals angefangen. Vermutlich hätte er auf so viel Gift vorbereitet sein sollen, doch wie immer war er es nicht. Es mochte daran liegen, dass er nach wie vor…Zuneigung für den anderen verspürte. Bei allem, was in der Zwischenzeit passiert war, sah er immer noch den jungen Severus vor sich, wie er einsam auf dem Gelände saß. Im Schatten der Bäume, mit Büchern bepackt und die Nase zwischen den Seiten vergraben. Ein Außenseiter wie er, mit einem unerklärlichen Interesse für die dunklen Künste und der später die falschen Freunde gehabt hatte. Der sich zu der größten Dummheit seines Lebens hatte hinreißen lassen, indem er die falsche Seite gewählt und dadurch viel verloren hatte. Noch heute fragte sich Remus, was gewesen wäre, wenn Lily ihm nicht den Rücken gekehrt und er selbst nicht weggesehen hätte. Was wäre heute, wenn er nicht zu feige gewesen wäre, dem anderen seine Gefühle zu gestehen? Wenn sie sich nicht nur die wenigen Male heimlich getroffen hätten? Auch später…als er als Lehrer eingestellt worden war, hatte er nie den Mut gehabt, es ihm offen ins Gesicht zu sagen. Immer schwebte es unausgesprochen zwischen ihnen…die wenigen Berührungen…Blicke...nicht ausdrücklich genug, um irgendetwas zu beweisen. Und als er Sirius zur Flucht verholfen hatte, schien das dünne Band endgültig gekappt worden zu sein. „Ich warte.“ Die schnarrende Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und er schluckte leicht. „Ist es Eifersucht?“, wagte er zu fragen und spürte erneut, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. Dabei sollte man meinen, dass er in seinem Alter darüber hinaus wäre, sich wie ein Teenager zu verhalten. Aber nun…es ging ja auch um Severus Snape, da war wohl niemand gelassen.   Eben jener sah plötzlich aus, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. Nur kurz währte dieser Anblick, dann verzogen sich seine Lippen abschätzig und Häme war in den dunklen Augen zu erkennen. „Eifersucht?“, wiederholte er ganz langsam, was es für Remus nur noch schlimmer machte. „Du denkst ernsthaft, ich hätte ein solches Motiv? Deinetwegen? Fast würde es mich amüsieren…“ Remus schnaubte nur. „Ein Nein hätte gereicht…du musst dich nicht darüber lustig machen.“ Allerdings zweifelte er an den Worten seines Gegenübers. „Oh nein, glaub mir…das muss ich“, widersprach Severus und man merkte ihm an, dass er es genoss. „Wenn du dich hören würdest, würdest du vermutlich vor Scham im Boden versinken.“ Der Werwolf versuchte Haltung zu bewahren, doch als Severus ein paar Schritte näher kam, fiel es ihm nicht leicht. „Das tue ich bereits…danke…“, gab  er knapp zurück und brachte den anderen zum Lächeln. Ein Lächeln, das vor Spott nur so triefte. „Zurecht“, meinte Severus kühl und blieb nur wenige Schritte vor ihm stehen. „Denk nicht, dass mir nicht bewusst ist, was das Ganze hier soll. Bei deiner Feigheit wundert es mich, dass du hier vor mir stehen und mich solche Dinge fragen kannst.“ Ein Schlag ins Gesicht hätte nicht so sehr geschmerzt, doch er wusste, dass Severus noch nicht fertig war.   „Ich wollte nicht-“ „Was wolltest du nicht?!“, ließ ihn der andere nicht ausreden. „Mich auf diese unangemessen pubertäre Art und Weise fragen, ob ich noch irgendetwas für dich übrig habe? Nach all den Jahren, in denen es dir stets egal war? Du hattest ein verdammtes Jahr die Zeit, mich danach zu fragen, wenn es dich wirklich interessiert hätte…ein Jahr, um dich zu entscheiden und du hast dich für Black entschieden!“ Die Worte glichen nun eher einem Schlag unter die Gürtellinie und Remus wusste zunächst nicht, was er sagen sollte. „Severus, ich-“ „Und nun interessiert sich die kleine Nymphadora für dich und du bekommst Panik, nicht wahr? Vermutlich genießt du es, dich in deinem Selbstmitleid zu suhlen und dir einzureden, dass der große, böse Werwolf ihr Leben ruinieren wird…“ „Das stimmt nicht!“, versuchte er zu protestieren, doch eine leise Stimme in seinem Kopf sagte ihm, dass es genauso war. Tonks war ihm nicht egal und er fürchtete sich davor, was eine Beziehung mit ihr nach sich ziehen würde. Er war viel älter als sie, er war nicht gutaussehend und, was am Schlimmsten war, er war ein Werwolf. „…belüg dich nicht selbst, Remus. Das ist kindisch“, versetzte Severus mitleidslos. „Und es ist widerlich, dass du gerade jetzt zu mir kommst, um deine angeblichen Gefühle für mich als Grund vorzuschieben, sie von dir fernzuhalten!“ Remus blickte ihn matt an, nicht mehr wissend, was er hiermit eigentlich hatte bezwecken wollen. Das, was Severus ihm vorwarf, konnte unmöglich wahr sein. Oder doch? „Ich habe Gefühle für dich“, widersprach er leise. „Und ich muss wissen, ob da noch irgendetwas ist…bitte, Severus…“   Für ein paar Sekunden herrschte Schweigen. Über ihnen ertönte gedämpft Mollys Stimme, die die Zwillinge für irgendetwas zusammenzustauchen schien. Remus konnte sie nicht verstehen, wartete angespannt auf die Antwort, suchte nach einer Regung in dem blassen Gesicht seines Gegenübers – er fand nichts. „Nein. Da ist nichts. Nicht mehr.“ Es fühlte sich nicht so befreiend an wie erhofft, viel mehr glich es einem stechenden Schmerz in der Brust. Plötzlich fragte er sich, ob es nicht besser gewesen wäre, es dabei zu belassen. Er ertappte sich dabei, nicken und gehen zu wollen. Eine Abfuhr erhalten und verschwinden, ohne noch ein Wort zu verlieren. Feige sein. Nicht weiter zu hinterfragen, sondern es zu akzeptieren. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, war es Severus‘ Art, sich abzuschirmen…ihn nicht näher an sich heran zu lassen. Nur einmal wollte er den Mut haben und sich dagegen stellen – sich möglicherweise auch beweisen, dass er den anderen nicht nur als Ausrede benutzen wollte.   Innerlich wappnete er sich für einen Cruciatus und tatsächlich zuckten Severus Hände zu seinen Seiten, als er einen Schritt vormachte und ihn harsch am Kragen packte. Der Protest blieb ihm jedoch im Halse stecken, als Remus ihm untypisch forsch die Lippen aufdrückte. In der ersten Sekunde schien der andere wie festgefroren, reagierte nur, indem er sich fast schmerzhaft in seine Oberarme krallte. Remus konnte sein Gesicht nicht sehen, da er die Augen geschlossen hatte, um sich von einem eventuellen Todesblick nicht einschüchtern zu lassen. Der Griff wurde noch schmerzhafter, doch…dann wurde ganz vorsichtig erwidert. Es war wie damals zu Schulzeiten…Severus‘ Lippen waren kalt, ein wenig rau, bewegten sich zaghaft gegen die seinen. Ein heftiger Kontrast zu seinem sonstigen Wesen. Remus‘ Puls schoss in die Höhe und er konnte nicht fassen, was hier gerade passierte…und dass er noch nicht zusammengekrümmt auf dem Boden lag. Umso plötzlicher kam der Stoß gegen seine Brust, der ihn zurücktaumeln ließ. Perplex sah er den anderen Mann an, der schwer atmend da stand und ihn mit einer Mischung aus Wut und Entsetzen anblickte. Der seichte Rotschimmer auf seinen blassen Wangen entging Remus jedoch nicht und das heftige Klopfen in seiner Brust wollte sich nicht einstellen.   „Bilde dir nichts darauf ein!“, wurde er angezischt, doch selbst das konnte seine aufkeimende Freude nicht ersticken. Ein warmes Lächeln legte sich auf seine Lippen und er konnte nur erahnen, wie sehr Severus diesen Ausdruck auf seinem Gesicht soeben hassen musste. Bevor er noch etwas sagen konnte, wurde er grob zur Seite gestoßen und Severus rauschte mit gebauschtem Umhang an ihm vorbei. Verdutzt sah er ihm nach, hörte das Knallen der Tür…vermutlich würde Severus appariert sein, bevor er ihn einholen konnte. Nun gut, dann würden sie eben ein andern Mal darüber reden. Zumindest musste er nun nicht mehr darüber nachdenken, ob er Tonks und sich eine Chance geben sollte. Es war ohnehin eine dumme Idee aus bereits genannten Gründen…auch wenn er sie mochte. Sehr mochte…mehr als gut für sie war.   Remus würde erst wieder über sie nachdenken, wenn Severus Snape Albus Dumbledores Leben mit einem Avada Kedavra beenden und damit alles infrage stellen würde, was er je für ihn gefühlt hatte. Kapitel 6: Sühne ---------------- Noch niemals zuvor war ihm der Weg so schwer erschienen wie in dieser Nacht…und es war nie ein leichter gewesen. Er war nicht oft an diesem Ort gewesen, da ihn die Erinnerung auch so schon genug gequält hatte. Rau zerrte der Wind an seinem schwarzen Umhang, als wollte er ihn daran hindern, sich seinem Ziel zu nähern. Dabei hatte er jetzt, nach so vielen Jahren, zum ersten Mal das Gefühl, er dürfte wirklich um Verzeihung bitten – vielleicht war es deshalb so schwer. Er näherte sich dem Kriegerdenkmal, ohne dieses eines Blickes zu würdigen. Selbst jetzt konnte er das steinerne Standbild der drei nur zu bekannten Gesichter nicht ertragen. Er wollte ihr Gesicht nicht in Stein gehauen sehen, sondern sich an ihre Lebendigkeit erinnern. Ihre roten Haare, die leuchtend grünen Augen…die Sommersprossen und er konnte in Gedanken ihr herzliches Lachen hören. Niemand hatte ihn je so angelächelt wie sie. Die Musik aus dem Pub in der Nähe wurde langsam leiser und er war froh drum. Er wollte nicht gestört werden, wollte in Ruhe trauern dürfen. Es war dieser eine Tag…der schlimmste Tag seines ganzen Lebens – und es hatte viele graue Tage für ihn gegeben. Die Feststellung erinnerte ihn erneut daran, dass sie für ihn das Licht in der Finsternis gewesen war. Das eiserne Tor des Friedhofs quietschte, als er dieses passierte, und plötzlich wurde ihm die Kälte der Nacht viel bewusster als zuvor. Es war immer so, wenn er diesen Ort besuchte. Sein Gewissen meldete sich wie gewohnt, wog schwer wie Blei in seiner Brust und nahm ihm die Luft. Dennoch zwang er sich zum Weitergehen, fasste das aus weißem Marmor gehauene Grabmal ins Auge. Es leuchtete in der Dunkelheit geradezu, so dass man es gar nicht übersehen konnte, doch er hätte den Weg ohnehin gekannt. Vermutlich waren schon einige Leute vor ihm hier gewesen, weswegen er absichtlich erst so spät kam. Eine halbe Stunde vor Mitternacht. Die schwarzen Augen glitten über die vielen Blumengestecke, die man um das Grab herum platziert hatte. Aufwendige Sträuße, die kunstvoll hergerichtet worden waren. Wie betäubt stand er da, starrte auf die Blumen…und dann auf den Namen, der in den Stein eingraviert worden war. Seine Lippen bewegten sich stumm, während er sich weigerte, den zweiten Namen auch nur eines Blickes zu würdigen. Niemals wäre er wegen James Potter hierhergekommen und wäre das hier nicht ebenfalls das Grab seiner Lily, er hätte vermutlich noch eine üble Verwünschung ausgestoßen. So konnte er nichts weiter tun, als mit zittrigen Fingern eine einzelne weiße Lilie unter seinem Umhang hervorzuholen und diese auf das Grab zu legen.   Es war gut, dass niemand sehen konnte, wie Severus Snape hier rührselig und voller Schuldgefühle stand…nach den richtigen Worten suchend. Die letzten Jahre hatte er keine gefunden, die ausdrückten, wie sehr er alles, was passiert war, bereute. Fast 19 Jahre hatte er gebüßt, indem er das mit seinem Leben geschützt hatte, wofür sie sich geopfert hatte. 16 Jahre lang war er Lehrer in Hogwarts gewesen und er stellte sich unweigerlich ihr Gesicht vor, wenn man ihr das zu Lebzeiten erzählt hätte. Vermutlich hätte sie die Augenbrauen zusammengezogen und ihn skeptisch angesehen, ehe sie ihn gefragt hätte, ob er sicher wäre, dass das der richtige Beruf für ihn wäre. Niemand hatte ihn so gut gekannt wie sie – demzufolge hätte sie mit ihrer Skepsis vollkommen Recht gehabt. Oft hatte er das vermisst, ihre vertraute Stimme, wie sie ihm Ratschläge erteilte, ihn zurechtwies oder ihm irgendetwas erzählte. Wie sie sich über irgendwelche Nichtigkeiten aufregte und wie ihre Augen dabei funkelten. Ihre schönen, grünen Augen... Erneut wurde ihm die Kehle eng und er spürte ein vertrautes Brennen in den Augen. Normalerweise hatte er sich unter Kontrolle. Etwas anderes als Sarkasmus, Verachtung oder Hass bekam sonst niemand zu sehen. Dumbledore war vielleicht die Ausnahme gewesen…oder einige Schüler aus seinem Hause. Schüler, die er nicht mehr leiten musste…ein Segen. Er würde nicht nach Hogwarts zurückkehren, obwohl Minerva es ihm verhalten angeboten hatte. Sehr verhalten und wohl auch nur, um ihm dabei zu helfen, seinen Namen reinzuwaschen. Als würde jemand das vollbringen können. Es würde immer Leute geben, die zweifelten. Und selbst wenn nicht, so hätte er es abgelehnt. Er wollte keine tragische Klatschgeschichte von Rita Kimmkorn sein, wollte keine Interviews geben oder sich in einer Rolle sehen, die absolut nicht zu ihm passte. Er war kein Held. Er wollte kein Held sein. Es war lächerlich, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Was er wollte, war seine Ruhe…die Tage in Spinner’s End verbringen, fernab von allem, denn die Wahrheit war, dass er in dieser neuen Welt keinen Platz hatte. Alles, was ihn ausmachte, war gestorben. Lily, die Liebe seines Lebens, war durch seine Schuld gestorben. Seine Rolle als Spion war mit Dumbledore gestorben…und die des treuen Todessers mit dem endgültigen Fall des dunklen Lords. Was blieb, war ein Mann, der nichts mehr vom Leben erwartete. Alles, was hatte getan werden müssen, war letztendlich getan worden.   Severus atmete durch, schob die Gedanken dann beiseite, denn immerhin wollte er um Verzeihung bitten. Bereits bevor er sich auf den Weg gemacht hatte, hatte er sich seine Worte zurechtgelegt…doch wo er nun hier stand, vor Lilys Grab…schien sein Kopf wie leergefegt. Es verschlug ihm sonst nie die Sprache, er hatte immer die passenden Worte gehabt, doch das hier war etwas anderes. Sein Mund öffnete sich, doch es dauerte, bis etwas von ihm kam. „Es…ist vorbei.“ Er wusste nicht, warum das die ersten Worte waren, die er über sich brachte, obwohl er allein hier stand und ihn niemand hören konnte. Außer den Toten vielleicht. Es fiel ihm schwer, einen Anfang zu finden, auszudrücken, was er so dringend loswerden wollte. „Ich habe getan, was ich konnte, Lily…“ Seine eigene Stimme klang merkwürdig verzerrt in seinen Ohren, während er die schwarzen Augen krampfhaft auf die geschwungenen Buchstarben ihres Vornamens gerichtet hielt. „Der dunkle Lord ist gefallen und…der Junge lebt“, stieß er mühsam hervor, weil Harry Potter eigentlich das Letzte war, an das er jetzt denken wollte. Dieser Moment gehörte Lily. Lily und ihm. Niemand sollte dazwischen stehen. „Ich…wünschte, ich hätte eher den Mut gefunden, zu tun, was nötig gewesen wäre, um…das alles zu verhindern…vielleicht wärst du dann noch am Leben…“ Zum Ende hin wurde seine Stimme leiser und er merkte, dass er bereits wieder mit den Tränen kämpfte. Wie sehr er sie nach all den Jahren immer noch vermisste…sie immer noch liebte…und sich dafür hasste, dass er es nicht hatte abwenden können. Oder auch nur zu feige gewesen war…zu verbohrt, um zu sehen, was ihm am wichtigsten war. „…ich will nur, dass du weißt…dass es mir…leid tut“, würgte er hervor und musste hart schlucken. Natürlich konnte er keine Antwort erwarten, aber hier zu stehen und sich seine Last von der Seele zu reden, hatte dennoch etwas Befreiendes an sich. Er hatte so viel Buße getan und vielleicht reichte es ja endlich. Er konnte jetzt nichts mehr tun.   Und gerade als seine Beine nachzugeben drohten, hörte er hinter sich ein verhaltenes Räuspern. Seine Haltung versteifte sich augenblicklich, während er nur mit Mühe der alten Angewohnheit widerstand, herumzufahren und einen Fluch loszulassen. „Ich…denke, das weiß sie…Sir…“ Wie festgefroren stand er da, nicht fähig, sich zu rühren. Natürlich erkannte er die Stimme sofort, auch wenn er sich wünschte, er würde irren. Von allen Menschen war es Harry Potter, den er am wenigsten am Grab von Lily sehen wollte, während er versuchte, zumindest ein bisschen mit sich ins Reine zu kommen. Er wollte nicht in dieses Gesicht blicken und James Potter vor sich sehen, doch ebenso wusste er, dass er den Jungen auch nicht ignorieren konnte. Nicht, nachdem der ihn in einem solch schwachen Moment erwischt hatte. Als würde es nicht reichen, dass er bereits durch seine Erinnerung alles gesehen hatte, was ihn ausmachte. Der Gedanke schickte eine Welle des Hasses durch seine Adern, doch er nahm sich zusammen – er selbst hatte es ihm gezeigt. Er hatte aber auch nicht damit gerechnet, diesen Krieg zu überleben. „…es ist bemerkenswert“, begann er leise und immer noch, ohne sich umzudrehen. „Dass Sie denken, zu wissen, obwohl Sie sich nicht mal an sie erinnern dürften. Arrogant wie eh und je, Potter.“ Das Gift seiner Worte hatte eine lindernde Wirkung auf sein aufgewühltes Gemüt. Es hatte sich nichts geändert. Er hasste Harry Potter immer noch, wenn er ihm nur ins Gesicht sah. Er stand für alles, was er verloren hatte und wegen wem er es verloren hatte.   Schritte näherten sich, doch er wandte den Blick nicht von den eingravierten Buchstaben ab. Er spürte die Präsenz sehr wohl neben sich…wartete. „Ich habe sie gesehen“, drang es an seine Ohren und er presste die Lippen fest aufeinander. „Bevor er gefallen ist…sie war da. Mit meinem Vater…mit Sirius und Remus…“ Als würde ihn das interessieren und er war kurz davor, ihn anzuschreien, dass er den Mund halten sollte. „Sie hat mit mir gesprochen“, sprach Potter weiter und kam nun neben ihm zum Stehen. „Sie…war ein sehr warmherziger Mensch, nicht wahr?“ Der Kloß in seinem Hals schwoll wieder an und er wünschte wirklich, er würde still sein. Was wollte Potter von ihm hören? Dass er von seiner Mutter schwärmte? Natürlich war sie warmherzig gewesen, klug, wunderschön…und sie war tot. „Erwarten Sie jetzt, dass ich gerade mit Ihnen über Ihre Mutter rede, Potter?“, fragte er schneidend und immer noch ohne aufzusehen, da er die grünen Augen gerade nicht ertragen hätte. „Diese besondere Verbindung würde unsere unermessliche… Sympathie füreinander sicherlich noch verstärken.“ Er nahm wahr, wie Potter angestrengt ausatmete. „Na ja, ich habe wohl irgendwie gehofft, dass Sie mich ein bisschen weniger hassen würden, nachdem ich vor Gericht für Sie ausgesagt habe, damit Sie nicht in Askaban verrotten müssen.“ Aus den Augenwinkeln vernahm er ein Schulterzucken. „Mein Fehler, Sir.“ „In der Tat“, versetzte er trocken. „Seien Sie versichert, dass sich meine Dankbarkeit in Grenzen hält, da dies das Mindeste war, das Sie mir geschuldet haben.“ „Nachdem, was ich in Ihrer Erinnerung gesehen habe, schulden Sie mir einiges mehr.“ Severus‘ Kiefermuskeln spannten sich an, als er diese unverschämten Worte hörte. „Ihnen schulde ich nicht das Geringste“, zischte er leise und funkelte ihn nun das erste Mal direkt an. „Sondern allein Ihrer Mutter!“ Er bereute den Blick in die grünen Augen sofort, denn es erschütterte ihn so sehr, dass ihm direkt übel wurde. Vor allem als sich diese Augen verengten und ihn ansahen, wie Lily ihn viele Male angesehen hatte. Zum Beispiel als er angefangen hatte, sich in den schwarzen Künsten zu vergaben. Ein stummer Vorwurf, der ihn schon damals getroffen hatte.   „Und Sie denken, meine Mutter hätte es gefreut, wenn Sie sehen könnte, dass wir hier stehen und uns anfeinden?“ Darüber musste Severus nicht einmal nachdenken; vermutlich hätte sie ihn dafür zusammengestaucht. Das Argument nahm ihm tatsächlich den Wind aus den Segeln, doch er war zu stur, um sich dies gegenüber Potter einzugestehen. Also blickte er wieder zum Grab, heftete die Augen auf den weißen Marmor. „Sie waren ihr doch wichtig-“, begann Potter wieder, doch er schnitt ihm das Wort ab. „Ich war ihr wichtig, bis sie sich lieber mit Ihrem Vater abgegeben hat als mit mir“, zischte er in einem Anflug von alter Eifersucht. Auch heute tat es ihm noch weh, wenn er daran dachte, wie sie an James Potter gelehnt am See gesessen hatte. Im selben Moment verachtete er sich selbst dafür, seine Schwäche so offen vor dem Jungen gezeigt zu haben. „Sie verstehen immer noch nicht, dass Sie sie selbst vergrault haben oder?“ „…was wissen Sie schon!“, gab er eisig zurück. „Na ja, ich habe Ihre Erinnerung gesehen…“ „Indem Sie Ihre Nase einmal mehr in Dinge gesteckt haben, die Sie nichts angehen!“, fauchte er und von Potter kam ein entnervtes Seufzen. „Ja…kann sein. Das ändert aber nichts daran, dass ich weiß, was Sie ihr an den Kopf geworfen haben.“ Schlammblut. Severus sah die Buchstaben im Geiste so deutlich vor sich, wie Lilys verletzten, wütenden Blick, als er sie so genannt hatte. Bis heute schämte er sich dafür.   Seine Züge verhärteten sich wieder, ehe er zu einer bissigen Antwort ansetzte. „Sind Sie hier, um mir meine Fehler aufzuzeigen, Potter?!“ „Eigentlich n-“ „Weil Sie natürlich so fehlerlos wie Ihr Vater sind!“ „Das habe ich gar n-“ „Haben Sie nichts Besseres zu tun, als mir mit Ihrem überflüssigen Gerede auf die Nerven zu gehen?!“, fuhr er dem Jungen erneut über den Mund.   „…das ist das Grab meiner Eltern, Sir“, wies Potter ihn nach ein paar Sekunden des Schweigens auf das Offensichtliche hin. „Ich habe ebenso das Recht, hier zu sein, wie Sie.“ Severus biss die Zähne zusammen, da dies eine Tatsache war und es nichts gab, was er dagegen hätte sagen können. Die Zurechtweisung nahm er selbstverständlich gar nicht zur Kenntnis. Jedoch bildete er sich ein, ebenfalls das Recht auf ein wenig Zeit allein mit Lily zu haben. Er hatte absichtlich gewartet, in der Hoffnung, seine Ruhe zu haben…und nun musste er sie mit Potters Sohn teilen. „Wie auch immer“, lenkte dieser schließlich ein. „Ich wollte Sie nicht beim Trauern stören…oder belauschen.“ Severus kommentierte dies mit einem abfälligen Schnauben. „Ich bin schon seit einer Weile hier…und als ich Sie gesehen habe, wollte ich nicht einfach gehen.“ „Es wäre besser gewesen, sie hätten es getan“, erwiderte Severus kühl. „Auch wenn es Sie vielleicht überrascht, ich gehöre nicht zu den Menschen, die Ihre Anwesenheit schätzen.“ „Jaah“, gab Potter gedehnt zurück. „Stellen Sie sich vor, das ist mir nach 9 Jahren auch schon in den Sinn gekommen.“ „Bemerkenswert, Potter.“ Abermals herrschte Schweigen zwischen ihnen und zumindest er war froh drum.   „Wie auch immer, ich will Sie nicht weiter stören.“ Severus warf ihm einen skeptischen Seitenblick zu, der mit einem schiefen Lächeln erwidert wurde. Diese schreckliche Freundlichkeit brachte ihn beinahe noch mehr zur Weißglut, als die Abneigung, die ihm der Junge sonst entgegen gebracht hatte. Der Junge…Potter musste mittlerweile 19 Jahre alt sein. Er war kein Junge mehr. Niemand musste ihn mehr beschützen. Und Severus erkannte mit unerwartetem Grauen, dass man ihm selbst diese verhasste Aufgabe genommen hatte. Die Erkenntnis traf ihn mit unvorbereiteter Härte und das, obwohl sie eigentlich längst klar war, doch nichts davon ließ er nach außen dringen. „Ich sitze noch eine Weile in dem Pub da drüben“, wies Potter ihn darauf hin, dass er noch nicht gehen würde. „Falls Sie es sich also anders überlegen…“ „Mit Sicherheit nicht!“, lautete die knappe Antwort seinerseits. Zu seiner Verblüffung zuckte Potter nur mit den Schultern, schien seine Entscheidung akzeptieren zu wollen. Vielleicht war er aber auch einfach nur erleichtert darüber, dass er nicht doch noch Zeit mit ihm verbringen musste. Allein die Vorstellung war absurd. „Wie Sie meinen, wollte es nur gesagt haben…“ Er sah Potter nicht nach, als dieser ihm den Rücken kehrte. Schon als er dachte, es würde nichts mehr kommen, sagte er doch noch etwas. „Wenn Sie doch mal über meine Mum reden wollen…ich würde nicht nein sagen. Trotz allem.“ Erst dann entfernten sich die Schritte und Severus atmete unweigerlich aus. Trotz allem…? Als würde man so viele Jahre der Abscheu einfach vergessen und einen Neuanfang starten können. Vielleicht war Potter dazu bereit und das war natürlich überaus nobel von ihm…doch er selbst konnte nicht einfach darüber hinwegsehen. Für ihn hatte sich nichts geändert. Wann immer er Harry Potter ansehen würde, würde ihm vor Augen gehalten werden, was er verloren hatte.   Sein Blick glitt wieder zu dem aus weißem Marmor gefertigten Grabmal…erfasste nun zum ersten Mal beide Namen. Lily Potter…James Potter… Er hatte nie loslassen können…nie akzeptieren können, dass sie nicht mehr seine Lily Evans gewesen war. Dass sie schon seit langem Lily…Potter geheißen und ein Leben ohne ihn gegründet hatte. Auch jetzt tat die Erkenntnis so weh, dass er nicht damit umzugehen wusste. Potters Worte kamen ihm wieder in den Sinn. Er sollte sie vergrault haben? Was wusste der Junge schon von ihm oder Lily. Andererseits…wenn er damals anders gehandelt hätte…wenn er sie gewählt hätte, anstatt der dunklen Künste…nein, er tat den Gedanken ab. Es war ohnehin nicht mehr zu ändern. Er beugte sich vor, strich vorsichtig mit den Fingerkuppen über ihren eingravierten Namen. Der Stein war kalt und glatt geschliffen. Sie wäre niemals sein geworden, schoss es ihm durch den Kopf und er zog seine Finger zurück, als hätte er sich verbrannt. Seine Lippen bewegten sich stumm und ihm wurde schmerzhaft klar, dass er es selbst jetzt nicht über sich brachte, ihr zu sagen, was er für sie fühlte. Hätte er den Mut jemals aufgebracht? Wenn er selbst jetzt, wo sie tot war, hier stand und mit sich rang? Die Erkenntnis traf ihn und seine Haltung sackte etwas mehr in sich zusammen. Für sie war er mutig gewesen, all die Jahre…aber dafür reichte sein Mut nicht. Hatte er nie. Severus schluckte, heftete den Blick ein letztes Mal auf die weiße Lilie…ehe er sich mit wehendem Umhang umdrehte und ging. Den Pub um die Ecke würdigte er dabei keines Blickes. Kapitel 7: Scherbenhaufen ------------------------- Manchmal weiß sie nicht, ob sie ihn liebt oder hasst. Vielleicht ein wenig von beidem…doch wenn sie ihn nicht lieben würde, würde sie doch nicht bei ihm bleiben oder? Natürlich gibt es noch den Jungen, doch den könnte sie ja mitnehmen. Er ist jetzt 7 Jahre alt, er würde es sicher verstehen und zudem ist er hier ebenso unglücklich wie sie selbst. Er hasst die Schule, auf die er geht und er hasst seine Klassenkameraden. Ständig kommt er mit schmutziger oder zerrissener Kleidung nach Hause. Er weint nie vor ihnen, doch sie weiß, dass er es tut, sobald er in seinem Zimmer ist. In dieser Hinsicht ist er ihr ähnlich, so wie er ihr in allem sehr ähnlich ist. Manchmal, wenn Tobias ihn anschreit, versucht sie ihn zu beschwichtigen. Er ist ja nur ein Kind, klein und viel zu dünn, wie soll er sich gegen die Schikane wehren? Doch Tobias ist das egal. Immer, wenn ihr Sohn mit diesem zerknirschten Blick nach Hause kommt, die Hände in dem viel zu großen Hemd vergraben und die Lippen fest zusammengepresst, möchte sie ihn in den Arm nehmen und ihn trösten. Das Problem ist nur, dass nichts, was sie sagen könnte, irgendetwas ändern kann. Weil sie das weiß und weil Tobias ihr mehrmals gesagt hat, dass sie ihn nicht verweichlichen soll, lässt sie es bleiben. Meistens hört sie still zu, wie Tobias ihn zusammenstaucht, weil er sich das gefallen lässt. Innerlich weiß sie, dass es falsch ist, dass sie etwas tun müsste…doch sie weiß nicht was. Tobias und sie streiten viel zu häufig, sie will es in solchen Momenten nicht provozieren.   Als Eileen ihn kennengelernt hat, fand sie seine herrische Art anziehend. Ein Mann, der weiß, was er will und vor allem, ein Mann, der sich für sie, das dürre, blasse, immerzu mürrisch dreinblickende Mädchen, interessiert. Mit seinen funkelnden Augen und seinem bissigen Humor hatte er sie sogar zum Lächeln gebracht. Sie hatte sich in seine schroffe Art verliebt, in sein markantes Gesicht mit der Hakennase und in die Berührungen, die ungemein zärtlich sein konnten. Es hatte ihr geschmeichelt und obwohl Eileen gewusst hatte, dass ihr reinblütiges Elternhaus keinen Muggel an ihrer Seite dulden würde, hatte sie sich auf ihn eingelassen. Es war ihr egal gewesen, dass er nicht viel Geld gehabt hatte, dass er kein Zauberer war und auch wenn es zu Anfang schmerzhaft gewesen war, hatte sie mit der Familie Prince nach und nach abgeschlossen. Sicher war es eine Umstellung gewesen, auf alles zu verzichten, und sich an ein Leben ohne Zauberei zu gewöhnen, doch all das war ihr Tobias Snape wert gewesen. Sie hatte nicht darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn sie jemals Kinder bekommen sollten. Vielleicht hatte sie sich darüber auch einfach keine Gedanken machen wollen, denn es hätte ihr klargemacht, dass sie ihm ihre Herkunft nicht ewig verschweigen konnte. Möglicherweise hatte sie sich auch lediglich der Illusion hingeben wollen, dass Tobias Verständnis haben würde. Dass er sie genug lieben würde, dass ihm die Zauberei egal sein würde. Wie sehr sie sich doch geirrt hatte…   Es war einfach gewesen, es vor Tobias zu verbergen, als der Junge noch nicht da gewesen war. Doch bereits während ihrer Schwangerschaft hatte sie begonnen, sich unwohl zu fühlen. Was, wenn der Junge wie sie werden würde? Wenn er ein Zauberer werden würde? Es war sehr wahrscheinlich, dass er es von ihr erben würde. Doch sie hatte gehofft, dass sie es würde verbergen können, immerhin hatte sie sich auf das Kind gefreut. Sie beide hatten sich auf den Jungen, den sie Severus nannten, gefreut. Ein alter Name mit schönem Klang und Eileen war so glücklich gewesen, als sie ihn in den Armen gehalten hatte. Sie würde nie Tobias‘ stolzes Lächeln vergessen, wie er an ihrem Bett gesessen und sie beide beobachtet hatte, dabei ihren Arm streichelnd.   Mittlerweile kann sich Eileen nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal liebevoll zu ihr war. Wie gesagt, sie streiten oft, er schreit sie an, sie schreit zurück und manchmal denkt sie, gleich schlägt er zu. Wenn er sich in Rage brüllt und poltert, macht er ihr Angst und sie versucht einzulenken. Nicht selten rauscht er aus dem Haus, die Tür hinter sich zuknallend und kommt erst in der Nacht zurück – betrunken und so müde, dass er sich wortlos neben sie ins Bett fallen lässt und einschläft. Am nächsten Tag reden sie nicht darüber, wahren den Schein des Friedens, bis es erneut losgeht. Es dauert nie lange, weil er, seit er seinen Job verloren hat, noch launischer als zuvor geworden ist. Eileen spricht ihn nicht mehr darauf an, ob er schon etwas Neues im Auge hat, weil sie weiß, dass es im Streit enden wird. Sie selbst versucht sich einzureden, dass es ihr egal ist, und das funktioniert die meiste Zeit über ganz gut. Wenn sie aber ihren Jungen ansieht, wie er die Hemden seines Vaters und die zu kurzen Hosen tragen muss, tut er ihr so leid, dass es sie schmerzt. Er geht ja mittlerweile zur Schule, vielleicht sollte sie sich selbst Arbeit suchen…einen Halbtagsjob möglicherweise.   Während Sie darüber nachdenkt, hört sie die Tür und sie weiß, dass es Severus ist, der von der Schule kommt. Tobias ist nicht da, Eileen weiß nicht, wo er hingegangen ist, doch ihr Gewissen drückt, als sie sieht, wie ihr Sohn durchs Haus schleicht. Als er sie erblickt, murmelt er ein leises „Bin wieder da“ und geht die Treppe hoch in sein Zimmer. Seine Haare sind ungewohnt zerzaust und ein Knopf fehlt an seinem zu großen, grauen Hemd. Sie fragt sich, was nun wieder passiert ist, doch er spricht wenig und schon gar nicht über die Hänseleien. Eileen kennt das selbst, weiß, was die Leute über ihre Familie sagen, doch sie redet sich ein, dass es nicht wichtig ist. Spinner’s End ist nicht die schönste Gegend, doch sie hat sich daran gewöhnt wie an ihre Armut. Es ist jetzt ihr Leben und sie hat sich dafür entschieden. Wenn der Junge nur nicht darunter leiden müsste…   Sie sieht auf, als er nach einer Weile wieder herunterkommt. Er hat sich ein anderes Hemd rausgesucht, an dem die Knöpfe noch vollzählig sind, doch seine Haare sehen immer noch schrecklich aus. Sie sagt nichts dazu, sondern beobachtet ihn, wie er sich das Mittagessen aufwärmt, das sie am Vortag gekocht hat. Er ist sehr selbstständig, obwohl er noch ein Kind ist. Ein bisschen vermisst sie es schon, wie er sich als Kleinkind an sie geklammert hat. Zu dieser Zeit hat er noch gelacht, doch je mehr Tobias und sie streiten, umso mehr zieht sich ihr Sohn zurück. Eileen fragt sich unweigerlich, wie es soweit kommen konnte. Wenigstens setzt er sich zu ihr an den Tisch, isst dort stillschweigend die Spaghetti mit Tomatensoße. Sie betrachtet ihn und stellt wieder einmal fest, dass er ihr wirklich sehr ähnlich sieht. Blass und dünn, die schwarzen Haare und Augen…doch die Nase hat er von Tobias. Wenn sie in sein ernstes Gesicht sieht, viel zu ernst für ein Kind in seinem Alter, tut es ihr leid. „…wie war die Schule?“, ringt sie sich schließlich dazu durch, die Stille zu brechen. Er sieht nicht von seinem Essen auf. „Okay“, sagt er nur und sie wartet vergeblich darauf, dass noch mehr kommt. Er ist sehr viel verschlossener als noch vor ein paar Jahren, anscheinend hat er den letzten Rest Naivität verloren. Vielleicht hat Tobias ja Recht und er wird dadurch schneller erwachsen…doch ist das wirklich etwas Gutes?   „Was ist passiert?“, fragt sie ruhig und merkt, wie er kurz innehält. Beinahe ertappt und sie sieht, wie seine Haltung noch etwas mehr in sich zusammenfällt. Da er weiterhin stur auf seinen Teller sieht, kann sie seine Mimik nicht lesen. „Nichts“, lügt er und sie seufzt stumm. „Severus…“, mahnt sie leise und er schnaubt. Eine Weile sitzt er so da, ohne zu antworten oder sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Seine Lippen sind ein schmaler Strich und trotzdem ahnt sie, dass er etwas loswerden will. Tatsächlich öffnet er ein paar Sekunden später den Mund. „…ich wollte das nicht“, beginnt er und sie ist sofort alarmiert. Wenn er so anfängt, kann nichts Gutes dabei herauskommen…und es wäre nicht das erste Mal. Sie weiß, dass es nicht seine Schuld ist, aber Tobias wird sie ihm geben. Er versteht nichts von Zauberei und seine Abneigung dagegen macht sie traurig…und wütend. „Sie…wollten mich mit dem…Kopf in die Toilette stecken“, murmelt er und jetzt leuchten seine Wangen rot vor Scham. Eileen ist einerseits entsetzt von der Grausamkeit dieser Kinder, andererseits fragt sie sich, was ihr Sohn angestellt hat. „…die Fensterscheiben…“, spricht er weiter und man sieht ihm an, wie unangenehm es ihm ist. „Sie sind einfach…zersplittert…“ Natürlich weiß sie, dass so etwas passieren kann. Eileen erinnert sich selbst an ein paar Gemütsausbrüche aus ihrer Kindheit, bei denen etwas zu Bruch gegangen ist. Ein Gedanke reichte da schon, wenn man Pech hatte…und irgendwo in ihrem Hinterkopf flüstert eine kleine Stimme, dass es diese gemeinen Bälger verdient haben.   „Wurde jemand verletzt?“, fragt sie scheinbar ruhig, auch wenn sie innerlich sehr angespannt ist. Severus zuckt mit den Schultern. „…einer von ihnen musste ins Krankenhaus…“, brummt er und es hört sich nicht an, als täte es ihm leid. „…es weiß keiner, dass ich es war…“ Und das ist viel wichtiger, als die Frage, ob der Junge schwer verletzt worden ist. Jedenfalls empfindet sie so. Sie wird es Tobias nicht erzählen und Severus wird sowieso nichts sagen. Ihre Haltung lockert sich ein wenig und er bemerkt es, atmet auf. Sie tadelt ihn nicht, denn immerhin hat er unbewusst nur das getan, was Tobias von ihm verlangt hat. Er hat sich gewehrt, wenn auch anders, als sein Vater es sich wünscht. Er würde wütend werden, wüsste er es. „...in Hogwarts wird es anders werden…besser…glaub mir“, versucht sie ihn aufzumuntern und es scheint zu wirken. Seine dunklen Augen bekommen wieder mehr Glanz und sie weiß, dass er Fragen hat. Wenn Tobias dabei ist, darf er keine Fragen über Zauberei stellen. Tobias verbietet es, beleidigt in seiner Wut alles, was Eileen einmal wichtig gewesen ist…und wonach sie sich oftmals sehnt. Und gerade jetzt, wo sie allein sind und nach langem endlich wieder miteinander reden könnten, um ihre Beziehung zueinander zu verbessern…hören sie die Haustür.   Severus‘ Miene verschließt sich sofort, während sie selbst verstummt. Sie beobachtet ihren Mann, wie er einen knappen Gruß murrt und zum Kühlschrank geht. Er sieht müde aus und sie fragt sich, wo er gewesen ist. Keiner sagt etwas, während Tobias sich eine Flasche Bier öffnet. Er ist kein Alkoholiker, aber er braucht sein tägliches Bier. Es entspannt ihn, sagt er und sie akzeptiert es. Unangenehmes Schweigen senkt sich über sie und Tobias‘ Blick heftet sich erst auf sie und dann auf seinen Sohn. Anscheinend findet er diesmal nichts, was ihn genug aufregt, also bleibt er still. Eigentlich ist es ein gutes Zeichen, aber Eileen hasst diese Situation trotzdem. „Du könntest mal wieder einkaufen…der Kühlschrank ist fast leer“, bemerkt er dann in einem Ton, den sie nicht ignorieren kann. Ihre Augen werden schmal und sie spürt die Wut in sich kochen. Meistens kann sie diese schlucken, doch heute ist keiner dieser Tage. „Wenn wir mehr Geld hätten, wäre der Kühlschrank nicht leer!“, erwidert sie bissig, denn sie ist immer noch erbost darüber, dass Severus sich seinetwegen wieder zurückzieht. „Machst du mir jetzt Vorwürfe?!“, grollt er und macht einen Schritt auf sie zu. Sie erhebt sich sofort, weil sie mit ihm auf Augenhöhe sein will – so gut es eben geht, denn er ist viel größer als sie. „Ich erkläre dir nur, warum wir nicht mehr viel zu essen haben!“ „Natürlich, es ist ja immer meine Schuld!“, schnauzt er sie an und knallt das Bier auf den Tisch. In diesem Moment ignoriert sie, dass Severus zusammenzuckt und langsam blasser wird. Ihre eigene Wut ist zu groß, als dass sie darauf jetzt Rücksicht nehmen will.   „Das habe ich nicht gesagt!“, zischt sie zurück. „Geh du doch arbeiten, wenn du denkst, es ist so einfach!“, blafft er sie an und dann wird sein Blick gehässig. „Oder zaubere doch was auf den Tisch!“ Es ist pure Provokation, denn er weiß, wie weh es ihr tut, daran erinnert zu werden, was sie aufgegeben hat. Ihr verbietet er, darüber zu reden, aber es gegen sie zu benutzen, das ist in Ordnung. Zumindest für ihn. Anscheinend ist das Maß für ihren Sohn damit voll, denn dieser erhebt sich ruckartig und flüchtet geradezu aus der Küche. Eileen ist wütend auf ihren Mann…und auf sich selbst. „Das hast du toll hingekriegt!“, faucht sie ihn an und er sieht sie finster an. „Ich?! Sicher, ich bin ja immer an allem schuld!“, kommt es aggressiv zurück und er macht noch einen Schritt auf sie zu. Eileen weicht nicht zurück, doch sie spürt, wie ihr unwohl wird. Sie mag es nicht, wenn er ihr im Streit so nahe kommt, empfindet es als bedrohlich. „Ich kann nichts dafür, dass unser Sohn ein Feigling ist!“, grollt er und sie presst die Lippen aufeinander. „Rede nicht so über ihn!“ „Ich rede, wie es mir passt!“ „Dann kannst du direkt wieder verschwinden!“ „Das ist mein Haus!!“ Ein Wort gibt das andere und sie beginnen sich anzuschreien, wie sie es immer tun. Es endet auch wie immer…nämlich damit, dass Tobias in seinem Zorn die Flasche gegen die Wand schmettert und dann fluchend das Haus verlässt. Sie hört die Tür knallen und realisiert erst nach ein paar Sekunden, dass sie allein ist. Ihr Herz wummert heftig in ihrer Brust, ihr ist heiß und kalt…und sie merkt erst, dass sie weint, als ihr die Tränen vom Kinn in ihr hageres Dekolleté tropfen.   Schon wieder haben sie sich wegen einer Banalität angeschrien, zerstritten…und als sie den Blick auf den Scherbenhaufen vor sich richtet, meint sie, ihr Leben darin zu sehen. Denn das ist es, ein Scherbenhaufen und so oft sie diese Scherben zu kleben versucht, es gelingt ihr immer nur kurz. Während sie wie mechanisch nach dem Handfeger greift, erinnert sie sich daran, wie einfach und schnell damals alles mit Zauberei ging. Doch sie ist keine Hexe mehr, besitzt keinen Zauberstab mehr, denn sie hat mit ihrem alten Leben abgeschlossen. Es war ihr Wunsch und trotzdem sie ihren Mann soeben noch verflucht hat, so kann sie sich dennoch nicht von ihm lösen. Es gibt auch ein paar gute Momente…wenige Momente, in denen sie sich wieder annähern. Sie sind selten, aber sie sind ebenso präsent wie die Erinnerung an vergangene, glücklichere Zeiten. Es tut ihr so unendlich weh, als sie den Scherbenhaufen beseitigt und sie wünscht sich, sie hätte vorhin nicht die Beherrschung verloren. Unweigerlich muss sie an ihren Sohn denken. Sie sollte zu ihm gehen und mit ihm reden, doch sie weiß instinktiv, dass er das nicht will. Also wird sie ihn in Ruhe lassen und aufräumen…und dann das wenige Geld zusammenkratzen und einkaufen gehen. Vielleicht bessert sich Tobias‘ Laune, wenn sie auf ihn eingeht…sie will es wenigstens versuchen. Sie muss es versuchen, denn sie sieht keinen anderen Ausweg. Sie liebt ihn doch…oder hat ihn mal geliebt. Eigentlich weiß sie es nicht, aber es ist eine gute Ausrede, denn es ist besser, als sich einzugestehen, dass ihre Ehe nicht mehr zu retten ist. Oder dass sie ihren Sohn allmählich verliert. Also reißt sich Eileen zusammen, denn trotz allem ist sie eine Prince. Sie wischt sich die Tränen aus dem Gesicht, streicht sich die Haare zurück und strafft ihre eingesunkenen Schultern. Wenn Tobias zurückkommt, wird sie mit ihm reden…und versuchen, den Scherbenhaufen zu kleben. So wie immer.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)