Schicksalsschläge von lunalinn (OS-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 3: Selbstreflexion -------------------------- Leise rauschend fiel der Regen auf Londons Straßen hinab, überschwemmte die Gehwege und ließ die dicht beieinander stehenden, armselig aussehenden Gebäude in Spinner's End noch düsterer wirken. Die Temperaturen waren in den letzten Wochen gesunken, inzwischen ging kaum jemand ohne einen dicken Mantel aus dem Haus und ohne einen Schirm sowieso nicht. Dennoch hielt das Wetter die Menschen nicht davon ab, so fröhlich wie nie zu sein. Egal wie schlecht das Wetter auch sein mochte, jeder lächelte, wenn man sich begegnete, grüßte freundlich... Noch vor wenigen Wochen hatten die Medien durch ihre Berichte Panik und Schrecken verbreitet – wenn es die Todesser nicht vor ihnen schafften. Und jetzt? Es machte den Eindruck, als sei eine unvorstellbar schwere Last von der ganzen Welt abgefallen. Vier Wochen lang hatte man gefeiert. Menschen, die sich nicht einmal kannten, waren sich in die Arme gefallen, hatten die Hände zum Himmel gestreckt und gejubelt...und das nur aus einem einzigen Grund. Genau vor einem Monat war der dunkle Lord besiegt worden...ausgelöscht durch einen Säugling...wahrhaft erbärmlich zugrunde gegangen.   Severus Snape beschleunigte seine Schritte unwillkürlich und dies lag ganz sicher nicht an dem stärker werdenden Regenschauer, der auf ihn herab prasselte. Nass und strähnig klebten ihm die unter der Kapuze hervor schauenden, schwarzen Haare im bleichen Gesicht und er machte sich nicht die Mühe, diese zur Seite zu streichen, sondern setzte seinen Weg durch das Unwetter fort. Ihm begegnete niemand. Jetzt, nach fast einem Monat, begannen sich die Wogen zu glätten, in das Leben kehrte allmählich die Normalität zurück und die Muggel waren nach und nach mit Vergessenheitszaubern vom Ministerium belegt worden. Bald schon würden sich die Menschen wieder sicher fühlen. In jedem Land gab es Kriege und auch wenn dieses Mal die ganze Welt davon betroffen gewesen war...irgendwann würde man dieses Ereignis in der Geschichte der Zauberei ablagern, es als Schulstoff weitergeben. Harry Potter würde als der Junge, der überlebte zur Legende werden und sich in seinem Ruhm sonnen, solange er konnte.   Severus gehörte nicht zu denen, die daran glaubten, dass der dunkle Lord zurückkehren würde...auch wenn Dumbledore davon überzeugt schien, er war es nicht. Noch nicht… Sicher musste man den Jungen vor den ehemaligen Todessern schützen, aber vor du-weißt-schon-wem selbst? Niemand wagte zu bedenken, dass er nicht gestorben war in jener Nacht...nun, Bellatrix Lestrange wohlmöglich, aber die saß nun in Askaban und wurde von den Dementoren in Schach gehalten. Zudem würde niemand diesem geistig gestörten Frauenzimmer Glauben schenken.   Trotzdem...Dumbledore glaubte es. Und dank dem Versprechen, das er dem alten Zauberer hatte geben müssen, im Austausch für etwas sehr Kostbares, das er vor Kurzem für immer verloren hatte, war er gezwungen, es ebenfalls zu glauben. Nächstes Jahr schon würde er sich erneut auf Hogwarts befinden, um dort den Zaubertränke-Unterricht zu übernehmen...der Gedanke an penetrante Schüler ließ ihn bereits jetzt innerlich aufstöhnen. Lehrer...niemals hatte er diesen Beruf ausüben wollen. Er war nicht gut darin, Leuten etwas beizubringen, da ihm die nötige Geduld fehlte - nicht etwa das Potenzial. Aber eine andere Wahl hatte er nicht wirklich...die war mit seinem Ruf als Todesser gestorben; niemand würde ihm Arbeit geben, solange das schwarze Mal auf seinem Unterarm prangte. Von diesem Umstand abgesehen, scherte es Severus nicht wirklich, was die Menschen über ihn dachten...das Einzige, das ihn wirklich traurig stimmte, war der Verlust, den er erlitten hatte - und über den er niemals würde hinwegkommen können.   Seine Schritte verlangsamten sich, als er sich seinem Ziel - einer herunter gekommenen, düsteren Kneipe - näherte. Severus war vor dem Fall des dunklen Lords nie ein großer Fan von Alkohol gewesen und wenn er in seiner Jugend einmal getrunken hatte, dann nur weil es die anderen ebenfalls taten...Gruppenzwang war wohl der passende Begriff für diese Dummheit. Er öffnete die zerkratzte Holztür, die ein lautes Quietschen von sich gab und trat ein, sah sich nur flüchtig um. Wie bei jedem seiner in letzter Zeit sehr häufigen Besuche befanden sich nicht allzu viele Gäste in der kleinen Absteige. Ein wahrer Segen. Wie so oft orderte er ein Glas Feuerwhisky bei dem zwielichtigen Wirt, dessen rechtes Auge um einiges tiefer lag, als das linke. Die schwieligen Finger nahmen sein Geld entgegen und schoben ihm das Gewünschte rüber. Ein finsterer Blick und der Mann ließ ihn in Ruhe, verzog sich ans andere Ende der Bar. Severus war es gleich, ob man ihn hier drin erkannte – er war nicht die einzige Person, die sich mit einem schlechten Ruf hier aufhielt. Deshalb saß er ja in diesem Pub, wo man ihn nicht beachtete. Er nahm einen Schluck, spürte, wie ihn der Whisky von innen heraus wärmte. Bald schon würde er seine Gedanken schwammig werden lassen, ihn ruhiger machen. So war es immer...irgendwann würde er gehen und einschlafen, bevor ihn die Schuldgefühle überrollten und er den Tränen freien Lauf lassen musste. Sich seiner Erbärmlichkeit bewusst, trank er noch mehr, blickte wie betäubt vor sich hin.   Die meiste Zeit vergrub er sich zuhause, schlief oder las den Tagespropheten, um auf dem aktuellen Stand zu sein. Manchmal braute er Tränke, um sich abzulenken, doch es half nie lange. Immerzu sah er Lily vor sich…mit ihren roten Haaren, den strahlend grünen Augen und den vielen kleinen Sommersprossen im Gesicht. Er hörte ihr fröhliches Lachen, ihre nicht selten belehrende Stimme, wenn sie etwas ungerecht fand…und im nächsten Moment sah er ihre Leiche vor sich. Den weißen Farbton ihrer Haut, die leeren Augen…und es zerriss ihn innerlich. Dann hörte er Dumbledores Stimme in seinem Kopf. “Sie widern mich an!“ Ja…da waren sie schon zwei, denn mittlerweile schämte er sich seiner Forderung, er wolle nur Lily verschont wissen. Sie wäre nie wieder froh geworden, hätte man ihr Mann und Kind genommen. So sehr er Potter auch hasste und ihm den Tod gönnte…Lily hätte ihm nie verziehen. Und nun war sie tot…und er musste mit seiner Schande leben. Er drängte die Tränen zurück, schluckte den Kloß in seinem Hals runter und atmete dreimal tief durch. Mit Anfang 20, als erwachsener Mann hier zu sitzen und zu heulen wie ein Kind, das war…peinlich. Gott, wie sollte er jemals wieder mit sich leben können? Er wusste es nicht…   „Ist hier noch frei?“ Severus zuckte heftig zusammen, als ihn jemand ansprach. Die Stimme klang auf eine merkwürdige Art vertraut, auch wenn er sie nicht richtig einordnen konnte. Also hob er den Kopf…nur um festzustellen, dass der Mann ihm keinesfalls unbekannt war. Im ersten Moment waren sie beide zu geschockt, um auch nur einen Ton hervorzubringen. Severus starrte den Mann vor sich an, als wäre dieser eine Erscheinung. Nun…das war er gewissermaßen auch. Eine sehr heruntergekommene Erscheinung. Die Kleidung wirkte zerschlissen und eintönig braun, ebenso wie das zause, vom Regen leicht feuchte Haar. Narben durchzogen das markante Gesicht mit der etwas zu breiten Nase und den bernsteinfarbenen Augen. Die dunklen Ringe darunter ließen ihn älter erscheinen, als er eigentlich war…ebenso wie der Dreitagebart, den er sich wohl neuerdings stehen ließ. Oder war er nur zu arm für ein Rasiermesser? „Severus…“ Er räusperte sich so unauffällig wie möglich. „Lupin“, erwiderte er die nicht vorhandene Begrüßung dann kühl. Ein musternder Blick wurde ihm zuteil und Severus fragte sich, was Remus Lupin sah, wenn er ihn nun so betrachtete. Ob er genauso ein jämmerliches Bild abgab, wie der andere es tat? So wie er sich fühlte, vermutlich schon. „Du…wieso bist du…“ „Nicht in Askaban?“, unterbrach er ihn eisig und sah, wie der andere schluckte. „Ich wurde freigesprochen…enttäuscht?“ Anscheinend fehlten dem anderen die Worte, er konnte ihn nur anstarren. Dann setzte er sich kommentarlos neben ihn an die Bar und bestellte sich ebenfalls einen Feuerwhisky.   „Nein“, antwortete er schlussendlich doch noch auf die gestellte Frage. „…nur verwundert.“ Es war schon immer schwierig gewesen, mit Lupin ein Wortgefecht auszutragen. Dazu war der Werwolf nicht schlagfertig genug. Severus gab ein verächtliches Schnauben von sich, doch selbst dieses wurde nicht als beleidigend aufgenommen. Mit niedergeschlagenem Blick schaute Lupin in sein Glas, ehe er noch einen großen Schluck davon nahm. „Aber…man wird wohl seine Gründe haben, dich frei herumlaufen zu lassen“, murmelte er, woraufhin Severus erstmal nichts mehr sagte. Wo blieben die Anschuldigungen? Jeder wusste, dass er ein Todesser gewesen war, die meisten straften ihn deshalb mit Hass und Verachtung. Er konnte es ihnen nicht mal verdenken. Warum also regte sich Lupin nicht auf? Warum beleidigte er ihn nicht, verurteilte ihn nicht…sondern nahm es einfach hin, dass er hier sitzen und sich betrinken konnte? Es gab nur eine mögliche Erklärung dafür: Er war, wie zu ihrer Schulzeit, immer noch ein Feigling. „Was denn?“, fragte er schneidend. „Keine Anschuldigungen? Nun bin ich enttäuscht…man würde meinen, du hättest mir mehr zu sagen…“ Lupin warf ihm einen erschöpften Seitenblick zu, ehe er sich wieder abwandte.   „Wir sind keine Schüler mehr, Severus…und wir haben beide viel verloren“, wisperte er und schloss gequält die Augen. „Ich weiß, was du getan hast…und ich weiß, wie wichtig dir Lily war.“ Severus‘ Eingeweide verkrampften sich bei dem letzten Satz. „Du siehst aus wie ein Schatten deiner selbst…und ich vermute, das liegt daran, dass du dir selbst nicht verzeihen kannst“, sprach der Werwolf weiter, womit er erschreckenderweise den Nagel auf den Kopf traf. „Du weißt gar nichts!“, zischte er nicht halb so giftig, wie er es gern gehabt hätte. Lupin lachte freudlos auf. „Also sitzt du hier rum, betrinkst dich und heulst, weil du dein Leben genießt? Mach dich nicht lächerlich…“ Die Worte fühlten sich an wie Messer, die sich in seine Haut bohrten und er begann zu zittern. Vor Wut, vor Scham…und vor der Erkenntnis, dass es stimmte.   „Ich heule nicht!“, fauchte er ihn an und wusste, dass ihn die geröteten Augen verrieten. Lupin zuckte nur mit den Schultern. „Nicht?“, fragte er, als würde ihm nichts gleichgültiger sein können. „Nun…ich schon…jede Nacht, wenn du es genau wissen willst. Wenn ich an James und Lily denke…oder an ihr Kind, das jetzt keine Eltern mehr hat. Oder an Sirius, in dem ich mich so getäuscht habe…um unsere Freundschaft…um Peter…“ Lupin beugte sich vor, stützte den Kopf auf seine Hände und blickte ins Nichts. „…weil ich nun niemanden mehr auf der Welt habe.“ Die Offenheit, mit der der andere ihm begegnete, verstörte Severus. Er wollte nichts davon hören, wollte nicht wissen, wie schlecht es seinem ehemaligen Feind ging. Er wollte weder Mitgefühl haben, noch sich verstanden fühlen. Das Einzige, das er wollte, war, sich in seinem Selbstmitleid zu suhlen, solange es ihm noch erlaubt wurde.   „Und ich denke, dir geht es nicht viel anders.“ Severus schnaubte heftig aus, ehe er sich noch einen Whisky bestellte. „Nein. Ich habe Potter und Black immer gehasst…Pettigrew war mir egal.“ Lupin seufzte leise. „…du weißt, was ich meine“, erwiderte er und sah ihn nun direkt an. „Lily war deine einzige Freundin oder?“ „Ich will darüber nicht sprechen.“ „Und die meisten deiner…Todesser Kollegen sitzen in Askaban…“ „Oh keine Sorge…niemand von ihnen stand mir derartig nahe, dass mich das belasten würde“, ätzte er und nahm noch einen großen Schluck. Lupin versuchte den Ansatz eines Lächelns – es sah kläglich aus. Kaum zu glauben, dass er mit diesem Lächeln einmal alles und jeden für sich hatte gewinnen können.   „Ich verstehe…“ „Das bezweifle ich doch sehr“, gab er finster zurück und Lupin seufzte hörbar. „Wenn es dir gut tut, deinen Selbsthass auf mich zu projizieren…bitte. Tu dir keinen Zwang an“, brummte er in sein Glas und stürzte die Flüssigkeit gänzlich herunter. Er schüttelte sich einmal und knallte sein Glas auf den Tresen. „Noch einen…“ Severus fixierte ihn aus seinen schwarzen Augen heraus, nicht wissend, ob er weiterhin versuchen sollte, Lupin in irgendeiner Weise zu verletzen…oder ob er aufstehen und gehen sollte. Eigentlich war das hier sein Rückzugsort – warum sollte er also gehen? Richtig. Es gab keinen Grund. Also blieb er…und tat das, wozu er hergekommen war: trinken und verdrängen.     „Weißt du, ich hab’s nie verstanden…“ Severus warf seinem Nebenmann einen abschätzenden Seitenblick zu, als dieser nach zwei weiteren Gläsern erneut das Wort an ihn richtete. „Vorhin noch hast du das Gegenteil behauptet“, erinnerte er ihn. „…ich meine, warum du zu du-weißt-schon-wem gegangen bist.“ „Meine Gründe gehen dich absolut nichts an“, versuchte Severus das Gespräch zu beenden, doch so einfach schien das nicht zu sein. „Du warst immer fasziniert von schwarzer Magie, schon zu unserer Schulzeit“, sinnierte der Werwolf weiter. „Aber ich hätte nie gedacht, dass du dafür so weit gehst…“ Severus zog es vor zu schweigen. „…war es das wert?“ Die Frage schlug ihm dermaßen auf den Magen, dass er die Schmerzen fühlen konnte. Ob es das wert gewesen war? War Lupin vergesslich? Vorhin noch hatte er seinen Zustand sehr treffend beschrieben und nun stellte er ihm so eine Frage? „Ja“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Immerhin ist Potter tot und Black in Askaban...das ist mehr, als ich je zu hoffen gewagt habe.“ Er beobachtete mit bitterer Genugtuung, wie sich Lupins Miene verschloss. Natürlich musste er den beißenden Sarkasmus erkennen, doch ebenso wusste er wohl, dass Severus diese Tatsache wirklich genoss. Nicht genug, um seinen Verlust aufzuwiegen…mehr ein schwacher Trostpreis.   „Sag mir eins, Severus“, begann Lupin nach einer längeren Pause erneut. „Wie kannst du das ertragen?“ Es kam selten vor, dass er anderen nicht folgen konnte – heute war so ein Zeitpunkt. „Was ertragen?“, fragte er unfreundlich nach, verbarg den genervten Unterton nicht. „Dich.“ Die Frage war berechtigt, wie verletzend…zumindest wäre sie das gewesen, wenn ihn Lupins Meinung in irgendeiner Weise interessiert hätte. „Gewohnheit“, gab er scheinbar gleichgültig zurück. „Du warst nicht immer so…unausstehlich“, murmelte der andere. „In unserem ersten Jahr warst du schüchtern…zurückhaltend…vielleicht ein bisschen besserwisserisch. Du und Lily ward immer zusammen…damals habe ich dich darum beneidet. Ich hatte niemanden…“ Severus erinnerte sich zurück und er musste feststellen, dass es stimmte. Zu Anfang ihrer Schulzeit war Lupin mehr Außenseiter als er gewesen, denn er hatte Lily gehabt. „In unserem ersten Schuljahr haben Potter und Black meinen Umhang angezündet“, versetzte er kalt und Lupin lächelte schief. „Ich erinnere mich…du hast dich ziemlich aufgeregt…“ „Im Gegensatz zu Potters Eltern waren meine niemals wohlhabend…“ „Sie waren Kinder, Severus.“ „Auch Kinder können grausam sein.“ „Ja…das ist mir bewusst.“   Vielleicht lag es am Alkohol, dass sich seine Zunge lockerte und er begann, auf die Fragen zu antworten. Dass er einmal mit Lupin in irgendeinem Pub sitzen und über ihre Schulzeit reden würde…mehr als surreal. Zumal diese Zeit für ihn nicht die glücklichste gewesen war. Potter und Black hatten sie für ihn zur Hölle werden lassen. Der Name Schniefelus hatte ihn verfolgt und auch wenn Lily bis zu ihrem fünften Jahr an seiner Seite gestanden hatte, es hatte nicht gereicht, um es erträglich zu machen. Im seinem Haus war er nur das Halbblut gewesen, die Lehrer hatten ihm keine große Beachtung gezollt…er war ein Niemand gewesen, über den sich die meisten lustig gemacht hatten. Wenn er sich zurückerinnerte, war die Zeit vor Hogwarts, die er mit Lily allein verbracht hatte, die schönste in seinem Leben gewesen – trotz seines schrecklichen Vaters. „Manchmal frage ich mich, was heute wäre, wenn wir uns nicht bekriegt hätten.“ „Potter und Black haben sich mit mir bekriegt“, korrigierte er. „Du hast daneben gestanden und zugeschaut.“ Er musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass Lupins Wangen sich rot färbten. Ein abfälliges Schnauben seinerseits folgte. „Ich weiß, dass ich als Vertrauensschüler hätte einschreiten müssen…dass ich es nicht getan habe, tut mir heute leid.“ „Mir scheint, als könnte ich nun, nach dieser reuevollen Entschuldigung, endlich in Frieden sterben…danke, Lupin.“ „Könntest du ein einziges Mal nicht sarkastisch sein?“ „Nein.“ „Hm.“   Erneutes Schweigen, auch wenn es natürlich nicht lange anhielt. Severus fragte sich, was Lupin wohl davon hatte, sich ständig eine Abfuhr von ihm einzuholen. Benötigte er noch mehr Tritte, wo er schon am Boden war oder war das eine Art Selbstgeißelung, weil er tatsächlich Schuldgefühle ihm gegenüber verspürte? Letzteres wohl kaum. „…was wirst du jetzt tun?“ „Ich wüsste nicht, was gerade dich das anginge.“ „Nun…du sitzt immer noch hier, neben mir…und unterhältst dich mit mir, auch wenn du dabei charmant wie eh und je bist…“ „Sarkasmus ist etwas für diejenigen, die ihn beherrschen.“ „…also gehe ich davon aus“, überging Lupin den eingeworfenen Kommentar. „Dass du unserer Unterhaltung nicht so abgeneigt bist, wie du dir und mir glauben machen willst.“ „Wie scharfsinnig…vielleicht solltest du dich bei den Auroren bewerben. Ich bin sicher, sie können jemanden wie dich gut gebrauchen – als Spürhund möglicherweise…?“ „Dann hätte ich zumindest Arbeit…“, ignorierte sein Nebenmann die Spitze und zucke unbeteiligt die Schultern. „Also?“ Anscheinend gab dieser Mann nie Ruhe, weswegen Severus entnervt seufzend doch noch Antwort gab. Dass er auch einfach hätte gehen können, ließ er dabei außer Acht.   „Dumbledore war so gütig, mir eine Stelle als Lehrer in Hogwarts aufzuzwingen.“ „Du meinst angeboten.“ „Ich meine, was ich sage.“ „…du weißt schon, wie undankbar du bist?“ Darauf musste nichts mehr gesagt werden, doch er bemerkte sehr wohl Lupins sehnsuchtsvollen Blick. Kein Wunder…denn aufgrund seiner Lykantropie würde Lupin vermutlich nirgendwo Arbeit finden. „Auch wenn ich mich frage, was Dumbledore sich dabei denkt, dich auf die Schüler loszulassen…“ „Vermutlich will er mich im Auge behalten“, erwiderte Severus, ohne sich auch nur im Geringsten verletzt zu fühlen und drehte das Glas in seiner Hand. „Das ergibt Sinn.“ „Hn.“ Lupin lächelte wieder und Severus wünschte sich, er würde damit aufhören. Es gab keinen Grund, so zu tun, als würde er ihn leiden können. Nichts hatte sich seit ihrer Schulzeit geändert.   „Warum bist du noch hier, Lupin?“ Kurz blieb die Frage zwischen ihnen im Raum stehen…dann seufzte der Werwolf tief und rieb sich den Nacken. „Dein messerscharfer Verstand weiß doch sicher eine Antwort darauf.“ Severus schnaubte, als der andere ein weiteres Mal sarkastisch wurde. Nein. Er beherrsche ihn wirklich nicht, vielleicht weil die Worte ohne Hass keinen Wert hatten. „Bist du tatsächlich so mitleiderregend einsam, dass du sogar meine Gesellschaft in Kauf nimmst? Und ich dachte, jemand wie du könnte nicht tiefer sinken…bietet das Reißen von Menschen keine wirkungsvolle Alternative mehr?“ Lupin wandte ihm den Kopf zu, funkelte ihn aus seinen Bernsteinen an. Anscheinend hatte er einen wunden Punkt getroffen – na umso besser! „Ja, Severus“, erwiderte Lupin dann und beugte sich näher als nötig zu ihm vor. „Ich bin einsam…ich bin verzweifelt…und ich schäme mich nicht, es zuzugeben. Du kannst jetzt entweder damit fortfahren, mich niederzumachen, um deine eigenen Probleme zu verdrängen…oder du reißt dich zusammen und nimmst an, dass ich momentan der einzige Mensch bin, der freiwillig neben dir sitzt, ohne dir die Pest an den Hals zu wünschen.“   Im ersten Moment verschlug es Severus schlicht die Sprache. Nicht, weil jemand so mit ihm sprach – solche Reden prallten in der Regel an ihm ab. Es war mehr die Tatsache, dass es Remus Lupin war, der das Rückgrat besaß, ihm dermaßen die Meinung zu geigen. Damals hätte er so etwas nicht getan, sondern sich feige davon geschlichen. Er fasste sich langsam wieder, um seine Mimik bemüht, damit sich der Werwolf nicht sonst was einbildete. Kühl blickte er diesen an, rang mit sich, ob er aufstehen und gehen sollte. Schon wieder…doch dann wurde ihm klar, dass Lupin Recht hatte. Seit sie hier saßen, hatte der andere versucht, mit ihm ein Gespräch zu führen. Er hatte ihn nicht beleidigt, verflucht oder angegriffen…sondern Fragen gestellt, die ihn anscheinend wirklich interessierten. Den Grund konnte er sich zwar nicht erklären, doch…immerhin sprach er seit Monaten wieder mit jemandem, der nicht Albus Dumbledore hieß. Es war nicht so, dass er Lupin mochte…je mögen könnte…oder gar vergessen wollte, was damals alles passiert war. Ganz bestimmt nicht. Aber…er war da. Und wenn er ehrlich war, tat es doch irgendwie gut, mit jemandem zu reden, der…eben doch verstand. Sei es auch nur ein bisschen…gerade reichte es aus, um besser damit zurechtzukommen, dass er der größte Abschaum war.   „Schön.“ Mehr kam nicht, doch es schien Lupin zu reichen, denn dieser lehnte sich wieder zurück. Severus hörte ihn abermals Whisky bestellen – zwei Gläser und eines schob er ihm zu. Beinahe selbstverständlich. „Wie überaus großzügig“, konnte er es sich nicht verkneifen. „Bitte sag mir nicht, dass du am Ende des Abends dafür Teller waschen musst…“ Ein schweres Seufzen folgte, dann ein müdes Lächeln, als Lupin das Glas hob. „Trink einfach.“ Nun…das war wohl der beste Rat und Severus beherzigte ihn. Vielleicht konnte er eine Ausnahme machen und den Groll zumindest ein wenig abmildern. Wie gesagt, vergessen war nicht möglich…Vergebung schon gar nicht. „Du hast dich verändert“, meinte er schließlich noch und Lupin lächelte müde. „So?“ „Ja…du bist weniger feige…damals hättest du dich nicht getraut, so mit mir zu reden.“ „Mag sein. Es ist viel passiert…du hast dich ebenfalls verändert.“ Severus hob eine Braue, nicht wissend, was der andere damit meinte. „Inwiefern?“ „Nun…damals hättest du keine Sekunde freiwillig neben mir gesessen.“   Severus Mimik nahm einen bitteren Zug an, während er in sein Glas schaute. „Hätte ich“, gab er dann widerwillig zu. „Wenn Potter und Black nicht gewesen wären.“ Lupin wiegte leicht den Kopf zur Seite, schien überrascht zu sein. „Das klingt, als hättest du mich leiden können, wenn ich nicht mit ihnen befreundet gewesen wäre.“ „…immerhin hast du deine Prüfungen nicht durch Glück oder Abschreiben bestanden“, wich er einer Antwort aus. „James und Sirius auch nicht…nicht ganz jedenfalls. Ich habe ihnen nur geholfen…und Peter etwas mehr.“ „Bescheiden wie ein echter Gryffindor…den meisten würde sicher ganz warm ums Herz werden.“ „…bleiben wir doch dabei, dass du mich damals…mochtest.“ „Soweit würde ich nicht gehen.“ „Du hast mich nicht gehasst?“ „…meine Abscheu für dich war…geringer.“ Lupins Lächeln wurde wärmer und der Ausdruck behagte Severus nicht; eigentlich gab es keinen Menschen mehr, der ihn so anschaute. Lily war die letzte gewesen, die ihm positive Gefühle entgegen gebracht hatte – sah man einmal von der Anerkennung für Gehorsam beziehungsweise Folter und Mord ab.   „Nach all den Jahren bist du immer noch so verschroben wie zu unserer Schulzeit. Vielleicht sollte es mich beruhigen, dass es Dinge gibt, die sich nie ändern werden.“ „…ich bin Realist, das hat nichts mit Verschrobenheit zu tun – und davon abgesehen will ich das nicht von einem Werwolf hören.“ „Ich sagte nicht, dass ich normal sei – bleiben wir doch bei der Tatsache, dass ich dich…weniger angewidert habe als meine Freunde.“ „Wenn du darauf bestehst…“ „Ich fürchte ja.“ „Und diese glorreiche Erkenntnis bringt dir was genau…?“ „Die Hoffnung, dass du mir vielleicht irgendwann vergeben kannst.“ Und die Bedeutung dieses Satzes wirkte so entwaffnend, dass ihm keine bissige Erwiderung einfiel. Vergeben…er blickte matt vor sich hin, dachte dabei an Lily, die er ins Unglück gestürzt hatte. Er dachte an all die Menschen, die er unter der Herrschaft des dunklen Lords gefoltert und getötet hatte. Nicht (immer), weil er es gewollt hatte, sondern weil er nicht mehr hatte umkehren können. Weil er hatte leben wollen. Und dann dachte er an Lupin, der keine andere Wahl gehabt hatte, als ihn in jener Nacht anzufallen wie ein Tier. Weil er ein Tier war. Zumindest in den Vollmondnächten. Möglicherweise war der Alkohol daran Schuld, dass seine Gedanken diesen Weg einschlugen – sonst hätte er doch sicher nicht einmal darüber nachgedacht, Lupin zu verzeihen.   Nachdenklich blickte er vor sich hin, das Glas in der Hand haltend…und schlussendlich schnaubte er so abfällig, wie es ihm möglich war. „Ja…irgendwann vielleicht“, wisperte er so leise, dass Lupin abermals den Kopf in seine Richtung neigte. Ihre Blicke trafen sich, kurz, in stillem Einverständnis…und dann lächelte der Werwolf wieder. Es wirkte nicht mehr ganz so erbärmlich…aber vielleicht war auch das dem Alkohol zuzuschreiben. „Das genügt mir…fürs Erste“, entschied er und setzte erneut das Glas an die Lippen. Severus beobachtete ihn für einen Moment, nur um festzustellen, dass er sich besser fühlte. Nicht mehr ganz so verloren, einfach weil er mit jemandem reden konnte – und anscheinend tat es ihnen beiden gut. Obwohl sie keine Freunde waren und es vermutlich auch nie werden würden. Obwohl Lupin ihn in jener Vollmondnacht um ein Haar umgebracht hätte…obwohl er feige weggesehen hatte. Und obwohl der andere Mann seine Entscheidungen wohl niemals verstehen würde können…so war es trotzdem gut, nicht allein hier zu sitzen. Also blieben sie bis zum Morgengrauen in dem heruntergekommenen Pub, tranken, redeten und schwiegen…zwei Männer, die nicht viel miteinander gemeinsam hatten…und sich trotzdem ähnelten. Die sich gegenseitig benutzten, um sich besser zu fühlen…und deren Wege sich am nächsten Tag trennen würden. Zumindest bis Remus Lupin 13 Jahre später den Posten als Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste annehmen würde… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)