Die Dinge, die wir immer wollten... von Sakuran (Taichi & Mimi) ================================================================================ Kapitel 14: Die Dinge, die wir immer wollten... ----------------------------------------------- 15. Oktober, Oshiage - Bezirk Sumida Tokyo Mimi betrachtete immer noch diesen kristallklaren Ring an ihrem Finger und lehnte sich gegen die Glasscheibe des Aufzuges. Taichi beugte sich etwas nach vorne und stützte dabei seine Handfläche gegen das Glas. Grinsend betrachtete er das glückliche Gesicht seiner Verlobten. „Er ist wirklich wundervoll...“ murmelte sie gedankenverloren. „Das sagen so viele Frauen und du tust es sogar, ohne mich anzusehen...“ er grinste frech. „Ich spreche nicht von dir, du alter Sack. Ich meine diesen bezaubernden Diamantring an meinem Finger. Du bist jetzt 24 Jahre alt, wer will dich da noch haben?“ Der Brünette verzog ein nachdenkliches Gesicht und betrachtete sein eigenes Spiegelbild in der Reflexion der Glasscheibe. Die hell erleuchtete Stadt schimmerte in der Dunkelheit des Abends und Taichi musste unwillkürlich grinsen. „Ich glaube vor wenigen Minuten warst du es, die »ja« gesagt hat.“ Ihre Finger strichen zart über seine Wangen und zogen ihn an seinem Hemdkragen etwas zu sich runter. Mit verführerisch glänzenden Augen hauchte Mimi ihm einen unschuldigen Kuss auf die Lippen. „Vielleicht überlege ich es mir noch einmal, ob ich so einen Kerl wie dich heiraten will. Ich müsste schließlich deinen fürchterlichen Nachnamen tragen und der genießt nun wirklich keinen guten Ruf.“ sie grinste ihn frech an und schob ihre Finger in seinen Nacken. Plötzlich färbte sich seine Mimik ernst und Taichi schob ihren aufreizenden Körper etwas von sich weg. „Jetzt wo du es ansprichst...da wäre noch etwas, was ich deinem Vater versprechen musste.“ seine Stimme klang brüchig. Der Aufzug hielt im gewünschten Stockwerk und die Türen öffneten sich. Das ohrenbetäubende Stimmenwirrwarr verriet ihnen, dass sie im Restaurant angekommen waren. Die Türen des Aufzuges schlossen sich wieder, als keiner der beiden heraus trat. Mimi sah ihren Gegenüber verwirrt an. Wovon sprach er? Hatte ihr Vater etwa Bedingungen gestellt? Mit einem Mal stieg unbändige Wut in ihr auf und sie drückte Tai von sich weg. „Was soll das heißen? Darf ich dich etwa erst dann heiraten wenn ich zurück in die Staaten gehe? Mein Studium brav beende und seine Firma übernehme? Was für Bedingungen hat er denn gestellt?“ Tai schüttelte seinen Kopf und versuchte seine schwangere Verlobte zu beruhigen. „Mimi, so ist es nicht. Es war keine Bedingung. Vielmehr eine Bitte, die er an mich gerichtet hat.“ Sie sog die Luft scharf durch die Lippen und lehnte sich gegen die Konsole des Aufzuges. „Er bat mich darum, dass ich deinen Familiennamen annehme. Dein Vater möchte, dass der Name der Familie Tachikawa weitergegeben wird. Du bist das einzige verbliebene Kind der Familie, welches den Namen noch trägt.“ Die junge Frau wusste überhaupt nicht, was sie sagen oder darüber denken sollte. Nie im Leben hätte sie es für möglich gehalten, dass ihr Vater eine solche Bitte an jemanden richten könnte. Ein zaghaftes Lächeln schmückte ihre Lippen. „Was war deine Antwort?“ fragte sie leise nach und suchte mit ihren haselnussbraunen Augen seinen Blick. Tai lächelte vielsagend und beugte sich zu ihr runter. Sanft legte er beide Arme um sie und zog ihren Körper an sich heran. „Du wirst deinen Ruf nicht mit meinem unmöglichen Nachnamen ruinieren müssen. Vielmehr werde ich dafür sorgen, dass der Name »Taichi Tachikawa« in aller Munde ist.“ Freudestrahlend schlang sie ihre Finger um seinen Nacken und zog ihn hastig zu sich runter. „Hört sich schon irgendwie merkwürdig an, aber es gefällt mir.“ flüsterte sie leise und belohnte ihren Liebsten mit einem zärtlichen Kuss. Er überraschte sie tatsächlich immer wieder. Schließlich war es mehr als ungewöhnlich, dass ein Mann den Namen der Frau annahm. Doch Taichi tat es für ihren Vater, tat es für sie und schließlich wohl auch irgendwie für ihre Großmutter. Durch ihn würde der Name »Tachikawa« auf ihr gemeinsames Kind übergehen. „Wir sollten zu den anderen gehen, schließlich hast du heute auch noch Geburtstag. Sie warten alle auf dich.“ murmelte Mimi leise, während sie sich aus seinen Armen löste. Als das frisch verlobte Pärchen endlich im Restaurant eintraf, trällerten die sechs Freunde ein ordentliches Geburtstagsständchen und gratulierten dem großgewachsenen Brünetten. Sora und Yamato reichten ihm einen original WM-Fußball aus Deutschland, welchen sie von ihrer Europareise mitgebracht hatten. Joe und Koushiro schenkten ihm eine original unterzeichnete Autogrammkarte von Keisuke Honda. Dieses Geschenk trieb dem erwachsenen Mann und werdenden Vater beinahe die Tränen in die Augen. Zuletzt traten seine Schwester und Takeru an ihn heran. Grinsend reichte sie ihrem älteren Bruder ein Buch. „Alles was man über Babys wissen sollte - für Dummies.“ Tai las den Titel des Buches vor und plötzlich wurde es in der kleinen Runde sehr leise. Verwundert starrten sich Joe und Koushiro an. Auch Sora und Matt wussten nicht so recht was das zu bedeuten hatte. Mimi wurde sofort rot um die Nase und versuchte keinem ihrer Freunde ins Gesicht zu blicken. „Oh, habt ihr es etwa immer noch keinem gesagt?“ platzte es aus Hikari heraus. „Also, irgendwie hat sich die Gelegenheit noch nicht ergeben es euch zu sagen.“ stammelte Taichi etwas beschämt und legte seinen Arm um Mimi. „Wir erwarten unser erstes gemeinsames Kind im April. Es war nicht unsere Absicht ein Geheimnis daraus zu machen...“ Noch ehe er seinen Satz beenden konnte brach Sora in Tränen aus und stürzte auf Mimi. Freudig nahm sie ihre Freundin in den Arm und beglückwünschte das junge Pärchen. Auch Yamato und Koushiro schlugen ihrem Freund begeistert auf die Schulter. „Das freut mich so für euch beide! Endlich hat es geklappt mit euch. Ihr werdet nicht nur heiraten, sondern auch noch Eltern. Ihr habt es so sehr verdient!“ schluchzte Sora und konnte sich kaum von Mimi lösen. Einige versaute und unverschämte Sprüche von Yamato später, saßen endlich alle an ihrem Tisch und warteten auf die Vorspeise. Immer wieder spürte die junge Frau die Hand ihres Verlobten auf ihrem Oberschenkel. Natürlich war es nicht so geplant gewesen. Eigentlich wollten sie es ihren Freunden in einer ruhigen Minuten sagen, doch es kam eben anders. Taichi und Hikari diskutierten gerade darüber, warum sie ihm ein Buch schenkte, dass für »Dummies« gedacht war, als Mimi bemerkte, dass eine Person am Tisch schon seit längerer Zeit fehlte. Langsam erhob sie sich, hauchte Tai einen Kuss auf die Wange und verließ das Restaurant. Doch weder im Gang noch auf der Toilette fand sie die vermisste Person. Gerade als sie zurück zum Tisch gehen wollte, kam sie an der Aussichtsterrasse des Restaurants vorbei. In der Dunkelheit stand nur eine einzige Person und lediglich das Glimmen einer Zigarette war zu erkennen. Zögerlich öffnete die junge Frau die Glastür und trat nach draußen. Ein eisig kalter Wind wehte ihr um die Nase, als sie sich neben ihn stellte. „Warum bist du denn hier draußen?“ fragte sie leise und presste ihre Arme an ihre Brust. Joe zuckte zusammen und drehte sich zu seiner Freundin um. „Ich rauche eine.“ sagte er matt und etwas schroff. Verwundert über seinen Tonfall betrachtete sie sein Gesicht in der Dunkelheit. „Ist etwas nicht in Ordnung? Bist du wütend?“ Plötzlich zeichnete sich ein bitteres Lächeln über sein Gesicht. „Nein, ich bin nicht wütend. Aber bitte gewähre mir diesen einen Moment des Neides. Es ist schwierig jemanden los zu lassen, den man sehr gerne hat. Ich muss das jetzt einfach mit mir selbst ausmachen.“ Ein Gefühl von Schuld überkam sie und Mimi spürte, dass ihre Knie ganz weich wurden. Daran hatte sie in ihrem Rausch aus Freude und Glück überhaupt nicht gedacht. Natürlich musste es hart für Joe sein, dass sie nicht einmal knapp ein Jahr, nachdem er ihr einen Heiratsantrag machte, den eines anderen Mannes annahm und zu allem Überfluss auch noch ein Kind von diesem anderen Mann erwartete. „Es tut mir so leid. Ich bin unmöglich...“ flüsterte sie mit brüchiger Stimme. Er presste beide Lippen um seine Zigarette, damit er sie nicht mit seiner Hand festhalten musste. Liebevoll legte er ihr seine Jacke um die Schultern und strich zärtlich einige Haarsträhnen aus ihrem Gesicht. „Du hast dir überhaupt nichts vorzuwerfen. Mimi, du bist immer aufrichtig zu mir gewesen. Es war nie ein Geheimnis, dass du in ihn verliebt bist. Ich muss mit mir selbst und meinen Gefühlen klar kommen. Deswegen sollst du mich für diesen kurzen Moment einfach alleine lassen. Ich werde es schon verkraften.“ er grinste und blies den Rauch in eine andere Richtung. „Außerdem solltest du nicht bei mir sein, wenn ich rauche. Das ist nicht gut für das Baby.“ Sie drückte den Stoff seiner Jacke fest an ihren Körper und starrte traurig auf ihre Füße. Sie wollte ihn nicht alleine lassen. Sie wollte nicht, dass er sich schlecht fühlte. Sie wollte ihm nicht wehtun. „Aber Joe….“ sie lächelte „...das Rauchen ist auch für dich nicht gut!“ Er lachte auf und drückte seine Zigarette tatsächlich aus. Danach ließ er seinen Blick über die Lichter der Stadt schweifen. „So ist es nun mal. Wenn dich sonst keiner fickt, dann macht es das Leben.“ Schockiert über seine harten Worte starrte Mimi ihren Freund zunächst an. Sofort war es ihm peinlich und Joe drehte sich verlegen zur Seite. Ein zweideutiges Grinsen zog sich über Mimi's kirschrote Lippen. „Na besser als nichts...“ sagte sie und wollte gerade nach drinnen gehen, als Joe ihr Handgelenk packte. „Ich freue mich wirklich für dich. Nein, ich freue mich für euch beide. Aber trotzdem fällt es mir schwer, einfach weil ich….“ er stockte und konnte die richtigen Worte nicht finden. Vorsichtig hauchte sie ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich habe es verstanden...“ sagte sie leise und gewährte ihm schließlich diesen einen Moment. Diesen einen Moment, in dem er sich seine Wunden lecken und zu sich selbst finden sollte. 01. Dezember, Odaiba, Tokyo Mittlerweile war es Winter geworden. Der stumpfe Glanz der frostigen Nacht lag bereits über den Dächern der Stadt, als Mimi sich gemütlich in die Lehne des Sofas kuschelte und mit beiden Händen über ihren warmen Kakaobecher streichelte. Sae saß neben ihr und fuhr immer wieder mit dem Zeigefinger über den gewölbten Bauch ihrer jüngeren Schwester. Mimi befand sich in der 23. Schwangerschaftswoche. Ihr Bauch war prall gerundet und jede einzelne Bewegung des ungeborenen Kindes zeichnete sich unter ihrer Haut ab. Auch jetzt beobachtete Sae aufmerksam, wie sich immer mal wieder ein kleiner Fuß in der rechten Ecke des Bauches zeigte. „Und dann hat die Kleine wirklich Schluckauf? Die ganze Nacht?“ fragte die Ältere nach und betrachtete weiterhin die Bewegungen des kleinen Menschen. „Die ganze Nacht und ich kann nicht schlafen. Im Moment ist es wirklich furchtbar. Aber Tai stets geduldig mit mir. Er streichelt mich und das Baby oder macht mir einen Tee. Dabei muss er jeden Morgen so zeitig aufstehen um in die Uni zu fahren und danach noch zu arbeiten.“ sie seufzte leise und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse. Sae lächelte verschämt und wurde etwas rot um die Nase. „Er ist wirklich ein toller Kerl.“ „Ja, das ist er wirklich. Wer hätte das gedacht.“ Mimi stellte ihr Getränk auf dem Tisch ab und zog sich ihren Pullover wieder über die nackte Haut. „Und was ist mit dir?“ Sae starrte verwirrt in die Augen ihrer jüngeren Schwester. „Was meinst du?“ „Ach jetzt tu mal nicht so. Ich sehe doch ganz genau, dass du nicht ganz bei der Sache bist. Hattest du immer noch kein Date mit diesem Arzt? Ich dachte, ihr würdet euch so gut verstehen und so gerne miteinander arbeiten.“ Ein betretenes Schweigen stellte sich ein und Sae sah verlegen zur Seite. „Ähm, also ein Date ist es wohl eher nicht gewesen...“ Völlig entgeistert riss Mimi ihre Augen auf und starrte ihre Schwester nieder. „Was? Was ist passiert?“ „Ich weiß gar nicht, wie ich das sagen soll. Es ist mir so peinlich und irgendwie auch total schmutzig...“ Noch bevor Mimi alle Einzelheiten aus ihrer Schwester heraus quetschen konnte, wie aus einer reifen Zitrone, fing Sae selbstständig an von den jüngsten Ereignissen im Krankenhaus zu berichten. *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Sie hasste die Nachtschicht. Wer konnte denn eigentlich überhaupt in diesem dämlichen Ruheraum schlafen? Sae hatte sich gerade in das obere Bett des Doppelstockbettes gelegt, als erneut die Tür aufging und der schlafende Arzt unter ihr von einer Schwester geweckt wurde. Es gab wohl einen Notfall in der Pädiatrie und der diensthabende Kinderarzt musste jetzt ran. Als die Tür endlich wieder zu gegangen war, versuchte Sae tatsächlich etwas Ruhe zu finden, es blieb bei einem Versuch. Denn umgehend öffnete sich die Tür erneut und jemand anderes betrat den Ruheraum. Mit einem lauten Seufzer beförderte sich derjenige in das untere Bett. „Sind Sie jetzt fertig mit jammern? Ich will hier schlafen!“ fauchte die junge Krankenschwester völlig entnervt und presste beide Augen zusammen. „Sae?“ ertönte eine bekannte Männerstimme und die Angesprochene beugte sich etwas über den Rand des Bettes, um die darunter liegende Person zu erkennen. „Joe?“ fragte sie peinlich berührt. „Es tut mir leid, aber du bist jetzt der dritte Arzt, der in der letzten halben Stunde in den Ruheraum kommt. Ich habe heute eine 12 Stundenschicht und wollte einfach ein bisschen schlafen. Aber wer findet denn hier schon Ruhe?“ Der junge Arzt grinste über die zaghafte Entschuldigung der Krankenschwester. „Es gibt da wilde Gerüchte, wie es einige Personen schaffen, sehr gut im Ruheraum zu entspannen.“ Sae zog ihre rechte Augenbraue nach oben und kicherte verlegen. „Ja, ich kenne diese Gerüchte. Zuletzt von Dr. Hirota und dem neuen Chirurgen aus der Inneren. Dabei kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass mich so was entspannen könnte. Man muss doch ständig aufpassen, dass niemand rein kommt.“ Joe stand auf und lehnte sich mit den Armen gegen das obere Bett. Unter dem dünnen Stoff seines Arztkittels konnte er das kühle Metall des Lattenrostes spüren. Sae rutschte verlegen etwas zur Seite, da sein Gesicht dem ihren auf einmal sehr nahe war. „Rein anatomisch betrachtet, wären es zwei Handgriffe an der richtigen Stelle, um eine Frau zur »Entspannung« zu bringen.“ Die schwarzhaarige Krankenschwester schluckte hart. War das gerade eine Anmache oder was? Ihr Herz pochte so heftig, dass Sae befürchtete eine Rippe könnte brechen. Joe bemerkte, dass er die junge Frau verlegen machte und schmunzelte über beide Ohren. In den letzten Wochen hatten sie sehr häufig miteinander Dienst und verstanden sich wirklich gut. Er mochte ihre unbeholfene schüchterne Art und sie mochte sein höfliches aber manchmal zweideutig scherzendes Wesen. „Entschuldige bitte, ich wollte dich nicht verlegen machen.“ sagte er leise und wollte sich gerade wieder hinlegen, als sie seinen Ärmel ergriff. „Wieso denn das? Plötzlich doch Schiss bekommen oder wie?“ sie grinste ihn herausfordernd an. „Also Dr. Kido, erst einen auf dicke Hose machen, von wegen nur zwei Handgriffe und jetzt klammheimlich ins Bett verschwinden? Das ist aber nicht die feine englische Art.“ Joe diskutierte nicht lange und beförderte sich selbst mit einem gekonnten Klimmzug in das obere Bett. Seine Schuhe und den Kittel streifte er ab und legte sich rotzfrech neben Sae. Ihr zutiefst schockiertes Gesicht sprach Bände und der junge Arzt musste sich sehr zurückhalten, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. „Du meinst also, ich sollte meine dreiste Behauptung mit Beweisen verifizieren?“ Sie schluckte hart und presste die Bettdecke an ihre Brust. Was dachte sich dieser unverschämte Typ? Kein einziges Wort brachte sie über ihre Lippen. Ihr Mund fühlte sich staubtrocken an. Es war zwar stockfinster in diesem Zimmer, aber dennoch konnte sie seine tief dunkelblauen Augen deutlich erkennen. Diese Augen, die ihr einen eisigen Schauer über den Rücken jagten. Diese Augen, die sie immer wieder in ihren magischen Bann zogen und auch dieses Mal ihren Körper in Ekstase versetzen. Mit einem Mal ging erneut die Tür auf und der Kinderarzt von vor wenigen Minuten kam schimpfend in den Ruheraum gestapft. Joe und Sae zuckten erschrocken zusammen. Geistesgegenwärtig packte die junge Krankenschwester ihren Gegenüber im Genick und zerrt ihn nach unten, damit niemand sah, dass zwei Personen im oberen Bett lagen. Leider hatte Sae ihre Kraft unterschätzt und Joe stieß mit seinem Kopf gegen ihren, dabei berührten sich versehentlich ihre Lippen. Noch ehe sie realisierte, wie schmerzhaft es war, dass ihre beiden Köpfe zusammen gestoßen waren, spürte sie seine weichen Lippen auf ihren. Alles um sie herum wurde still. Der Lärm der tobenden Krankenschwestern, das Schnarchen des Arztes im Bett unter ihnen, die Sirenen der nahenden Krankenwagen und das unaufhörliche Pochen ihrer beiden Herzen verstummte. Sie spürte lediglich seine Nähe, seine Wärme und seine Lippen auf ihrem Mund. Plötzlich überkam es Joe und er legte seine Hand an ihre Wange. Der junge Mann zog sie völlig unüberlegt in einen heißblütigen Kuss und dachte überhaupt nicht daran, sich von ihr zu lösen. Weder zögerlich, noch vorsichtig, drängte seine Zunge gegen ihre Lippen und verlangte Einlass. Sae gewährte ihm diesen und erwiderte seinen Kuss ebenso leidenschaftlich. Ihre Finger fuhren durch sein weiches Haar und legten sich in seinen Nacken. Langsam beförderte er seine Brille von der Nase und platzierte sie neben ihrem Kopf. Sae hob die Bettdecke an, sodass er mit darunter schlüpfen konnte. Sein warmer Körper lag auf ihr und sie fühlte, wie seine Finger neugierig über ihren Oberschenkel streichelten. Langsam schob er seine Hand unter den Rock ihrer Uniform. Sae löste erschrocken den Kuss und hielt seine Hand fest. „Was tust du da?“ fragte sie leise und versuchte den schlafenden Arzt unter ihnen nicht aufzuwecken. „Findest du nicht, dass du dir ein wenig Entspannung verdient hast?“ sein Tonfall klang durchaus verführerisch, aber sie konnte unmöglich zulassen, dass er so was mit ihr anstellte. Seine Lippen legten sich an ihren Hals und knabberten zärtlich an ihrer weichen Haut. Sae konnte sich ein lustvolles Keuchen nicht verkneifen und schloss erneut ihre Augen. „Ich glaube du solltest jetzt besser ein kleines bisschen leiser sein...“ murmelte er frech und fuhr mit seinem Finger unter ihren Slip. Umgehend riss sie ihre Augen auf und konnte nicht fassen, dass er sie jetzt tatsächlich derart bezirzst hatte, dass sie es überhaupt nicht mitbekam, wo seine Finger bereits waren. Doch als er die empfindlichste Stelle ihrer Weiblichkeit vorsichtig berührte, bäumte sich Sae erregt auf und presste ihren Kopf in das Kissen. Genussvoll schloss sie ihre Augen und ließ es einfach geschehen. Es dauerte keine fünf Minuten und sie hatte tatsächlich auf eine intensive und kräftezehrende Art und Weise ihren Höhepunkt erreicht, dass sie beinahe komatös in den Schlaf sank. Liebevoll streichelte Joe über ihre linke Schläfe und küsste ihre Wange. „Na, konntest du jetzt doch noch etwas Entspannung in diesem Ruheraum finden?“ *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Mimi konnte überhaupt nicht fassen, was ihre Schwester da erzählte. Sprachen sie tatsächlich von dem selben Joe Kido? Es war nicht richtig, dass Joe ihrer Schwester immer noch nicht erzählt hatte, dass sie vor einiger Zeit mal was miteinander hatten. Mimi fühlte sich plötzlich sehr unwohl, doch er hatte sie darum gebeten Sae nichts zu sagen. Joe wollte es selbst tun, aber er konnte doch unmöglich etwas mit Sae anfangen, ohne ihr etwas davon zu erzählen. Ohne ehrlich zu ihr zu sein. Aber noch ehe Mimi ihre Gedanken sortieren konnte, sprach ihre Schwester weiter. „Einige Tage später sollte ich etwas im Labor abholen und dabei traf ich zufällig auf Joe. Ich weiß auch nicht, aber irgendwie zerrte ich ihn in den Wäscheraum und revanchierte mich bei ihm...“ „Was bedeutet, du hast dich revanchiert?“ Mimi spürte wie ihre Stimme regelrecht bebte vor Aufregung. Sie wurde feuerrot und schob sich ihre Hände vor das Gesicht. „Das kann ich dir nicht sagen...“ „Hast du mit ihm geschlafen?“ schrie Mimi auf. „Nein!“ entgegnete Sae entschlossen. „Nein, ich hab es mit...“ „Der Hand?“ japste Mimi und starrte schockiert in das rote Gesicht ihrer Schwester. „Nicht ganz...“ flüsterte diese beinahe tonlos. „Du hast ihm einen geblasen? In der Besenkammer?“ kreischte Mimi völlig außer sich. „Es war der Wäscheraum!“ entgegnete diese ebenso lautstark. „Das macht es nicht besser!“ antwortete Mimi zynisch und wedelte aufgebracht mit ihren Händen herum. „Oh man Sae, das kannst du doch nicht machen. Was denkt er denn jetzt von dir?“ „Ich weiß auch nicht. Es kam so über mich.“ flüsterte sie schuldbewusst. „Wie kommt denn so etwas über einen?“ fragte Mimi entrüstet nach. „Ich wusste nicht was ich ihm antworten sollte.“ sie fuhr sich durch ihr langes schwarzes Haar. „Nachdem wir wild miteinander geknutscht hatten, fragte er mich, ob wir nicht eigentlich mal einen Kaffee zusammen trinken gehen wollen.“ „Er fragt, ob du mit ihm einen Kaffee trinken willst und als Antwort verpasst du ihm einen Blowjob? Was ist denn bei dir kaputt?“ die Brünette konnte einfach nicht glauben was sie da hörte. „Ach ich weiß doch auch nicht. Ich wollte ihn. Ich will ihn noch immer und irgendwie hab ich mich bei ihm überhaupt nicht im Griff. Danach hat er sogar nochmal gefragt, ob wir nicht doch lieber mal miteinander essen gehen sollten. Wer fragt denn nach so was, ob man gemeinsam essen gehen könnte?“ Mimi lehnte sich zurück und streichelte sich beruhigend über ihren Bauch. Die Aufregung hatte sich ebenfalls auf das Baby übertragen und sie spürte es wie wild unter ihrem Herzen strampeln. „Ein völlig normaler, netter, liebevoller Typ fragt dich so etwas vor und nach einem Blowjob. Er will nicht nur das Eine von dir. Er will dich kennenlernen. Er mag dich und du hast ihn so auflaufen lassen. Du solltest ihm eine Chance geben und das unbedingt klarstellen. Also frag ihn gleich morgen, ob sein Angebot mit dem Kaffee noch steht.“ Inzwischen war es nach 22 Uhr und Taichi kam endlich nach Hause. Sae zog gerade ihre Stiefel an und bedankte sich bei ihrer Schwester für das Gespräch. Sie hatte sich gegenüber Joe wirklich unmöglich verhalten und musste diese Sache unbedingt mit ihm klären. Taichi bot an, die Schwester seiner Verlobten nach Hause zu fahren, doch Sae lehnte dankend ab. Wie jedes Mal wenn sie in Tokyo war, würde sie bei einer Freundin im benachbarten Stadtteil Minato übernachten. Als die Tür ins Schloss fiel seufzte Mimi laut und legte ihre Hände nachdenklich auf ihren Bauch. „Was ist denn? Geht es dir nicht gut? Hat dich unsere Tochter wieder terrorisiert?“ liebevoll schlang er seine Arme um sie. Mimi grinste und schenkte ihm einen Kuss. „Ja, sie ist eben ganz der Papa. Aber das ist es nicht, was mich beunruhigt. Sae hat mir gerade erzählt, dass etwas zwischen ihr und diesem Arzt läuft.“ Tai löste sich von Mimi und zog sich ebenfalls die Schuhe aus. „Aber das ist doch etwas Gutes. Hast du dir nicht gewünscht, dass deine Schwester endlich einen anständigen Kerl findet?“ „Ja schon, aber dieser Arzt ist….es ist Joe.“ Mit einem gehässigen Lachen öffnete Tai den Kühlschrank und suchte nach etwas essbarem. „So ein Zufall. Wieso gibt es ein »aber« meine Liebe?“ „Sie weiß nichts von mir und Joe.“ Mimi konnte nur sehen, wie Tai etwas zusammen zuckte. Langsam schloss er die Kühlschranktür, wendete sich aber nicht zu ihr um. Dieses Thema schmerzte den jungen werdenden Vater noch immer und beide sprachen eigentlich überhaupt nicht mehr darüber. „Entschuldige, ich wollte nicht damit anfangen...“ murmelte sie leise. „Sag mal, hast du heute wieder nur Gummibärchen und Kekse gegessen? Du sollst dich doch gesund ernähren.“ seine Stimme klang besorgt. Zärtlich legte er beide Hände an ihren Bauch und schob ihren Pullover hoch. Er küsste ihren Bauchnabel und streichelte sanft über ihre Haut. Mimi verzog einen schuldbewussten Schmollmund und malte mit ihren Fingern kleine Kreise auf der Arbeitsfläche der Küche. „Meine Schwester hat mir ein leckeres Bento mitgebracht. Ich habe also etwas gesundes gegessen...“ Der Brünette fing an zu grinsen. „Ach, die Dame hat also gut gespeist und der blöde Kerl kann schauen wo er bleibt? Natürlich hast du mir nichts übrig gelassen und gekocht hast du mir auch nichts.“ „Aber du hast mir doch verboten zu kochen! Du sagtest, ich würde mich, das Baby und die Wohnung niederbrennen.“ „Vollkommen richtig und deswegen gehe ich jetzt duschen und koche mir danach etwas zu essen.“ Die junge Frau blickte mit ihrem herzzerreißenden Hundeblick zu ihm und ließ ihre Unterlippe etwas beben. Es sah beinahe so aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen. Doch Tai ließ sich davon überhaupt nicht beeindrucken. Mittlerweile kannte er diesen Gesichtsausdruck und ihm war klar, dass seine Verlobte etwas ganz Bestimmtes von ihm wollte. „Du möchtest also auch noch eine Portion? Ich soll für uns beide kochen?“ Ein zufriedenes Grinsen zog sich über ihre Lippen und Mimi streckte provokant ihren Babybauch raus. „Nein, du sollst für uns drei kochen.“ Tai nickte verstehend und ging an seiner Freundin vorbei, um sich ins Badezimmer zu begeben. Doch bevor er hinter der Tür verschwand, drehte er sich nochmal zu ihr um. „Ach und wegen deiner Schwester…...du solltest mit Joe sprechen. Er muss es ihr sagen, sonst wirst du immer zwischen ihnen stehen und das wird sie dir nicht verzeihen. Ruf ihn an und kläre es mit ihm. Ich bin jetzt duschen...“ Es war wirklich bemerkenswert wie erwachsen Tai in den letzten Monaten geworden war. Von seiner ungestümen dickköpfigen Art war kaum etwas übrig geblieben. Als er schließlich im Badezimmer verschwunden war, setzte sich Mimi ins Wohnzimmer stellte sich diesem Telefonat mit Joe. „Hey Mimi, alles in Ordnung mit dir und dem Töchterchen?“ er klang müde und wahrscheinlich hatte sie ihn gerade aufgeweckt. „Hallo Joe. Ja, uns geht es gut. Ich rufe dich aus einem anderen Grund an. Meine Schwester ist gerade bei mir gewesen und hat mir von eurem….Abenteuer berichtet.“ Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. „Joe, du musst es ihr sagen. Du kannst doch nicht mit ihr was anfangen, ohne ihr zu sagen, dass du mit ihrer Schwester geschlafen hast.“ „Ich habe nicht nur mit dir geschlafen Mimi, ich bin in dich verliebt gewesen. Und das ist verdammt nochmal das Problem. Wenn es nur Sex gewesen wäre, aber da war viel mehr im Spiel.“ „Aber jetzt ist es anders. Jetzt gibt es eine andere Frau in deinem Leben und du solltest diese Beziehung nicht mit einer Lüge anfangen.“ 05. Dezember, Tateyama, Präfektur Chiba Es war heute wirklich besonders kalt. Der Schnee knirschte unter seinen Schuhen und Joe wusste nicht, ob etwas mit dem Essen im Restaurant nicht in Ordnung war oder ob er wahnsinnige Schmetterlinge im Bauch hatte. Gemeinsam blieben sie vor ihrem Wohnhaus stehen. Sae wippte nervös von einem auf den anderen Fuß und hatte beide Hände tief in ihren Manteltaschen vergraben. Dieses Abendessen mit ihm war wirklich wundervoll. Eigentlich hatte die junge Frau noch nie so einen schönen Abend mit einem Mann verbracht. Joe zauberte ihr ständig ein Lächeln aufs Gesicht. Er war unglaublich gebildet und gleichzeitig humorvoll. Dabei konnte er immer die Balance zwischen frech und kultiviert halten. Alles in allem kam es ihr so vor, als wäre von dem schüchternen, tollpatschigen Arzt, der er noch vor einigen Monaten gewesen ist, nichts mehr übrig geblieben. „Ich danke dir für diesen schönen Abend.“ sagte er höflich und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange. Sae legte ihm ihre warmen Hände auf die Brust und lächelte verlegen. „Möchtest du noch mit nach oben kommen?“ fragte sie schüchtern und zog mit ihrer Fußspitze kleine Kreise im Schnee. Ihr eindeutig zweideutiges Angebot war wirklich unwahrscheinlich verlockend, aber Joe wusste genau, dass er es unmöglich annehmen konnte. Nicht bevor er reinen Tisch gemacht hatte. „Zuerst muss ich dir noch etwas sagen...“ fing er leise an. Sein Blick wurde ernst und Sae löste sich besorgt von ihm. Hatte sie etwas falsch gemacht? War ihr Angebot zu forsch? War sie vielleicht doch nicht sein Typ? Doch noch bevor sie sich weiter den Kopf zerbrechen konnte, sprach der junge Mann weiter. „Ich habe deine Schwester um etwas gebeten. Ich habe sie darum gebeten, dir nicht zu sagen, dass wir uns bereits sehr lange kennen. Mimi und ich sind sehr gute Freunde.“ Sie lächelte und legte ihren Kopf etwas zur Seite. „Aber warum solltet ihr Beide daraus ein Geheimnis machen?“ die junge Krankenschwester verstand nicht, warum Joe ihre Schwester darum gebeten hatte, ihr nichts davon zu erzählen. Joe schluckte hart und versuchte seine Hände noch tiefer in seinen Jackentaschen zu vergraben. „Weil es eine Zeit gab, in der wir nicht nur Freunde gewesen sind.“ Geräuschlos fielen die kleinen Schneeflocken zu Boden und hatten bereits eine kleine Haube auf ihrem Haar gebildet. Schweigend sah Sae auf ihre schwarzen Stiefel und versuchte die Worte, welche Joe gerade von sich gegeben hatte, richtig zu verstehen. „Was meinst du damit?“ fragte sie tonlos nach. „Ich bin in sie verliebt gewesen, aber Mimi hat meine Gefühle nicht erwidert. Ich hatte es versucht, aber sie hat mich deutlich wissen lassen, dass es einen anderen Mann gab, dem ihr Herz gehörte.“ „Also willst du mir damit sagen, dass du die gesamte Zeit über wusstet, wer ich bin und mir nicht gesagt hast, dass du etwas mit meiner Schwester hattest? Und was soll das jetzt mit mir sein? Bin ich lediglich dein Trostpflaster? Weil du die eine nicht bekommen konntest, versuchst du es jetzt bei ihrer Schwester? Was bist du denn für ein Scheißkerl?“ Sae konnte kaum an sich halten. Zwischen weinen und schreien versuchte sie ihre Fassung zu wahren. „Sae, du verstehst das falsch. Als wir uns das erste Mal trafen, wusste ich nicht wer du bist. Meine Gefühle für dich haben nichts mit Mimi zu tun. Aber es wird immer Menschen im Leben geben, die eine wichtige Rolle für uns spielen werden. Es wäre einfach gelogen, wenn jemand sagt, dass ihm die Menschen, mit denen er mal zusammen war, in die er mal verliebt gewesen ist, überhaupt nichts mehr bedeuten. Es ist richtig, dass es eine Zeit gab, zu der ich wirklich in Mimi verliebt gewesen bin. Ich hatte lange daran zu knabbern, dass sie einen anderen liebte und meine Gefühle nicht erwiderte. Aber so ist das Leben und dann traf ich dich. Wie aus dem Nichts heraus hast du meine Welt auf den Kopf gestellt. Du bist eine völlig andere Person als Mimi.“ Er lächelte und fuhr sich nervös durch sein Haar. „Du bist schüchtern, zurückhaltend, scharfsinnig, einfühlsam, eine sehr begabte Krankenschwester und kannst mit meinem furchtbar trockenen Humor umgehen.“ mit einem leisen seufzen beendete er seinen Satz. Joe sah ihr entsetztes Gesicht. Er sah die Wut und den Schmerz in ihren Augen und beunruhigt versuchte er die richtigen Worte zu finden. „Ich bin mir sicher, dass es auch in deinem Leben schon andere Männer gab. Männer, die dir ebenso etwas bedeutet haben. Die dir wichtig waren. Wir alle haben unsere Vergangenheit, aber die ändert doch nichts an unseren heutigen Gefühlen. Das ich irgendwann mal in Mimi verliebt gewesen bin, ändert nichts daran, dass ich heute hier vor deiner Tür stehe und mich wahnsinnig zu dir hingezogen fühle. Das ich jeden Tag an dich denke, mich nicht konzentrieren kann wenn du neben mir stehst und ich ewig brauche um nachts einzuschlafen, weil nur du in meinem Kopf bist.“ Doch so sehr er sich auch bemühte. Sae fühlte sich von ihm verraten und verletzt. Wie konnte er ihr nichts davon erzählen? Warum ihre Schwester? Sie konnte einfach nicht über ihren Schatten springen. Wütend drehte sie sich von ihm weg und steckte ihren Schlüssel ins Schloss. Verzweifelt versuchte er sie aufzuhalten, aber sie stieß ihn von sich weg. „Lass mich einfach in Ruhe. Du bist in Mimi verliebt gewesen. Willst du mir etwa sagen, dass deine Gefühle einfach so verschwinden? Wo geht denn die Liebe hin, wenn sie nicht mehr da ist? Ich werde für niemanden die zweite Wahl sein. Weder für dich, noch für sonst irgendjemanden!“ „Die Liebe verschwindet nicht. Sie wird zu etwas anderem. Zu einer Erinnerung, einem Gedanken, einem verblassten Gefühl. Aber wenn man jemanden wirklich geliebt hat, wird dieser Mensch immer irgendwie ein Teil von einem selbst sein. Willst du es mir zum Vorwurf machen, dass es vor dir eben eine andere Frau gab, die leider zufällig deine Halbschwester ist?“ er klang unwahrscheinlich verzweifelt. Sae biss sie auf ihre Unterlippe und schaffte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. Irgendwie hatte er wohl damit recht. Auch in ihrem Leben gab es Menschen, an die sie immer mal wieder denken musste. Erinnerungen, die nicht verblassen wollten. Wunden, die noch immer schmerzten. Aber im Moment überwog einzig und allein das Gefühl von Wut und Zweifel in ihrer Brust. Noch bevor er ihre Hand greifen konnte, knallte sie ihm die Haustür vor der Nase zu und ließ Joe in der eisigen Kälte des Abends zurück. 12. Dezember, Tateyama, Präfektur Chiba Natürlich hatte ihr Joe von dem missglückten Date mit Sae erzählt. Es tat Mimi unglaublich leid, dass es für Joe so unrühmlich endete. Doch selbst ihre Versuche mit ihrer Schwester zu sprechen scheiterten. Sae war entweder kurz angebunden oder sagte deutlich, dass sie nicht über dieses Thema sprechen wolle. Es war jetzt eine Woche her und heute war Joe's Geburtstag, irgendwie fühlte sich die werdende Mutter furchtbar. Sora erzählte ihr gerade irgendwas über eine neue Kollegin, doch Mimi fiel es schwer ihr zuzuhören. Tai und Yamato standen zusammen in der Küche und leerten den Kühlschrank des jungen Arztes. Beide arbeiteten in den letzten Wochen wahnsinnig viel und hatten kaum Zeit zum schlafen oder essen. Koushiro war sogar mit seiner Freundin anwesend. Die beiden wirkten sehr verliebt und glücklich, was Mimi freute. Hikari und Takeru hingegen konnten leider nicht zur Feier kommen, da sich Akio erkältet hatte. Als es plötzlich an der Tür klingelte und einige Kollegen aus dem Krankenhaus eintrafen, wendete sich Mimi neugierig um und konnte es kaum glauben, dass sie tatsächlich ihre Schwester erkannte. Sae war also doch auf die Geburtstagsfeier gekommen. Mimi hatte ihr wahrscheinlich fünfzig SMS geschrieben und darum gebeten ihm eine Chance zu geben. Und offensichtlich hatten jetzt einfach einige andere Kollegen Sae mitgenommen, sodass die junge Krankenschwester überhaupt keine andere Möglichkeit hatte, als hier zu erscheinen. Mit hochrotem Kopf setzte sich Sae zu ihrer Schwester und Sora. Es war ihr unglaublich peinlich, dass sie Joe umarmen musste und einige Kollegen dumme Witze darüber rissen und sie als »Arbeitsehepaar« abgestempelt hatten. Schweigend saßen die drei Frauen nebeneinander, bis Mimi schließlich mit einem breiten Grinsen die Stille durchbrach. „Du solltest nicht so gemein zu ihm sein. Du solltest euch beiden eine Chance geben. Das ist heute ein prima Anlass, um ihm ein besonderes Geschenk zu machen.“ Sora musste über Mimi's Worte kichern und ließ die beiden Schwestern schließlich alleine. Sae strafte die Brünette lediglich mit einem bösen Blick und äußerte sich nicht weiter dazu. Aber ihr war bewusst, dass sie ihm gegenüber ungerecht gewesen ist. Joe hatte sich die ganze Woche wie ein kleiner unsicherer Schuljunge verhalten. Er war in seiner Arbeit unkonzentriert und suchte mehrfach das Gespräch zu ihr, aber sie ließ ihn einfach abblitzen und dabei gab er sich so viel Mühe. Auch jetzt sah er immer wieder schüchtern zu ihr herüber und wusste überhaupt nicht, wie er sich in ihrer Gegenwart verhalten sollte. Es war inzwischen weit nach Mitternacht und die letzten Gäste waren dabei zu gehen. Joe hatte sich bereits vor einigen Stunden von Mimi und Tai verabschiedet. Die baldigen Eltern sehnten sich nach jeder Sekunde Schlaf. Auch Matt und Sora hielten nicht wirklich lange durch. Jetzt waren es nur noch Sae und vier andere Kollegen, die sich gerade ihre Schuhe anzogen. „War echt mega! Deine Wohnung ist wirklich der Hammer Kido! Wir sollten öfter nach Tokyo kommen und einen drauf machen!“ grölte Dr. Otoka, der Chefarzt der Anästhesie. „Du solltest heute bloß nicht mehr Auto fahren.“ jammerte Joe und stützte seinen Kollegen. „Wie kommt denn Watanabe-san nach Hause?“ fragte er schließlich allgemein in die Runde, wobei er diese Frage eigentlich direkt an Sae richtete. Die Angesprochene wurde rot und blickte betreten zu Boden. Es fühlte sich merkwürdig an, wenn er sie so förmlich ansprach. Doch im Krankenhaus und vor den Kollegen bemühten sich beide darum, nicht so vertraut zu wirken. „Keine Sorge, ich kann bei einer Bekannten hier in Tokyo übernachten.“ antworte die junge Krankenschwester matt. „Also mach's gut Kido! Wir sehen uns am Dienstag bei der Visite!“ jaulte ein anderer Kollege und zerrte Sae unterm Arm mit in den Hausflur. Als Joe die Tür hinter sich schloss, ärgerte er sich bombastisch darüber, nicht angeboten zu haben, sie zur Wohnung dieser Freundin zu begleiten. Er war so ein dämlicher Idiot! Was wenn ihr jetzt etwas passierte? Außerdem war es beschissen kalt draußen, eine Frau sollte nicht alleine unterwegs sein. Er setzte frustriert die Flasche Wodka an seine Lippen und wollte den letzten verbliebenen Inhalt leeren, als es plötzlich an der Tür klopfte. „Habt ihr Suffköpfe irgendwas vergessen?“ fragte er grinsend, als er die Tür öffnete. Doch zu seinem Entsetzen stand eine attraktive schwarzhaarige Frau vor ihm. Sae lehnte sich gegen den Türrahmen und sah ihn verführerisch lächelnd an. „Ich glaube, dass ich tatsächlich etwas vergessen habe.“ sie kam rein und schmiss die Tür hinter sich zu. „Da wären an aller erster Stelle meine Manieren, denn ich habe mich schrecklich aufgeführt letzte Woche und möchte dich um Entschuldigung bitten.“ sie ging auf ihn zu und öffnete langsam die Knöpfe ihres Mantels. „Und dann wäre da wohl noch dein Geburtstagsgeschenk. Ich habe völlig vergessen es dir zu geben….“ Die junge Frau ließ ihren Mantel achtlos zu Boden gleiten und offenbarte ihm damit, dass sie lediglich mit Unterwäsche bekleidet war. Joe wurde feuerrot und erstarrte zur Salzsäule. Entweder trügte ihn sein alkoholgetränktes Hirn, oder aber sie stand in erotischen schwarzen Dessous vor ihm. Die seidene Spitze schmiegte sich um ihre makellose Haut und akzentuierte ihre weiblichen Vorzüge. Aber noch bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte sie ihre Hände hinter seinen Kopf gelegt. Ihre zierlichen Finger glitten über seinen Haaransatz und versunken fordernd in seinem Haar. Joe konnte den blumigen Duft ihres Parfüms wahrnehmen, als sie ihren halbnackten Körper an ihn schmiegte. „Joe, ich will dich.“ hauchte sie in sein Ohr und er spürte dabei, wie sie mit ihrer Zunge anfing über seinen Hals zu gleiten. „Bist….bist du dir sicher?“ stotterte er verlegen und ging einige Schritte rückwärts. Sie nickte stumm und machte sich mit ihren Fingern an seiner Gürtelschnalle zu schaffen. Joe drückte sie von sich weg und sah ihr ernst in die Augen. „Sae, bitte. Bist du dir wirklich sicher? Denn dieses Mal wird der große böse Wolf definitiv über das kleine niedliche Schäfchen herfallen.“ Sie grinste und zog ihn am Bund seiner Jeans wieder zu sich. „Wir werden sehen, wer von uns beiden der Wolf und wer das Schäfchen ist.“ Das reichte ihm völlig als Antwort. Heftig packte er sie am Hintern und presste sie gegen die Wand. Seine Lippen verschmolzen mit ihren zu einem hemmungslosen Kuss. Fordernd drang er mit seiner Zunge in sie ein und schob seine Finger unter den spitzenverzierten Stoff ihres Unterhöschens. „Nein, das wird heute ganz gewiss nicht verhandelt meine Süße...“ keuchte er lustverhangen in ihr Ohr und beförderte sie ohne langes Zögern in sein Schlafzimmer. Der neue Tag brach erbarmungslos heran und sein dröhnender Kopf schien bald zu explodieren. Diese verdammten Sonnenstrahlen folterten ihn in seinem Bett. Warum hatte er gestern Nacht vergessen die Vorhänge zu schließen? Und überhaupt, wie viel Alkohol hatte er denn gestern getrunken? Seinem gegenwärtigen Befinden nach zu urteilen, ist er wohl knapp an einer Alkoholintoxikation vorbei geschlittert. Wo er gerade über gestern Abend nachdachte, war da nicht noch etwas? Hatte er das nur geträumt, oder stand Sae gestern Nacht noch in Unterwäsche in seiner Wohnung? Joe drehte sich stöhnend auf den Rücken und hielt sich die Stirn. Langsam öffnete er seine Augen und sah sich im Schlafzimmer um. Das Kopfkissen auf der linken Seite des Bettes roch nach einem süßlichen Parfüm. Es duftete nach ihr. Auf dem Nachtschrank sah Joe einige leere Kondomverpackungen und auf dem Boden lagen seine Klamotten wild verstreut. Ein kurzer prüfender Blick an sich herunter verriet ihm, dass er tatsächlich nackt war. Offenbar ist es kein Traum gewesen, doch wo war die dazugehörige Dame jetzt? Verzweifelt kniff er seine Augen zusammen und fühlte sich einfach schrecklich. Sein Mund fühlte sich trocken an und doch konnte er sie noch immer schmecken. Ihren einzigartigen salzig-süßen Geschmack. Wie konnte er nur über sie herfallen wie ein hungriger Wolf? Bestimmt war er grottenschlecht wegen seines Alkoholrausches und hatte im Bett total versagt. Sicherlich war sie heute früh aufgewacht und ist entsetzt aus seiner Wohnung geflohen. Er würde ihr jetzt nie wieder unter die Augen treten können. „Oh verdammt!“ fluchte er und schlug mit der Faust in die weiche Matratze. „Das kannst du wirklich laut sagen! So eine schicke Wohnung und dann nicht einmal ein paar Brötchen im Kühlschrank. Aber Zigaretten und Kaffee. Wirklich sehr gesundheitsbewusst lieber Herr Doktor.“ Erschrocken riss er seine Augen auf und starrte in ihre wunderschönen braunen Augen. Sae hielt zwei Becher Kaffee in den Händen und war lediglich mit einem seiner Hemden bekleidet. Sie setzte sich mit einem wunderschönen Lächeln neben ihn aufs Bett und reichte ihm einen Kaffeebecher. Verschämt zog Joe die Decke über seine nackte Männlichkeit und nahm das heiße Getränk zurückhaltend entgegen. „Warum so schüchtern? Das hab ich alles schon gesehen...“ sie grinste und zeigte mit ihrem Finger auf die Mitte seines Körpers. „Ich dachte du wärst gegangen...“ murmelte er einsilbig und nippte an seinem Kaffee. „Warum sollte ich gehen?“ fragte sie und beugte sich über ihn, um seine Wange zu küssen. „Möchtest du, dass ich gehe?“ ihr Blick wurde etwas traurig und sie setzte sich wieder aufrecht hin. Joe stellte seinen Becher auf dem Nachtisch ab und packte ihren Arm. Kraftvoll zog er sie zu sich runter und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss auf ihre zarten Lippen. Liebevoll streichelte er mit beiden Händen über ihren Rücken, als seine Zunge in sie eindrang. Sae ging ohne Umschweife auf seine Liebkosung ein, doch er löste sich wenige Sekunden später wieder von ihr. „Ich würde mich darüber freuen, wenn du bleibst.“ sagte er leise und sah ihr tief in die Augen. Sae kletterte über ihn und schmiegte sich an seinen nackten Körper. „Joe...“ ihre Hände legten sich auf seine Brust. „...ich würde es gerne mit uns versuchen.“ Zärtlich nahm er ihre rechte Hand und führte sie zu seinen Lippen. Joe hauchte ihr sachte einen Handkuss auf die Fingerknöchel und lächelte sanftmütig. „Dann würde ich mal sagen, dass du mir damit ein verdammt gutes Geburtstagsgeschenk gemacht hast.“ Ein zweideutiges Grinsen zog sich über ihre Lippen, als Sae ihre Finger erneut neugierig über seine nackte Haut gleiten ließ. „Und dabei bin ich mit dem schenken noch lange nicht fertig...“ 31. Dezember, Shibuya, Tokyo Die letzten Wochen waren wegen des Weichnachtschaos unglaublich schnell vergangen. Wie sehr Tai diese Zeit des Jahres doch hasste. Aber zum Glück war heute der 31. Dezember und das Jahr näherte sich mit schnellen Schritten dem Ende. Es war ein sehr ereignisreiches Jahr gewesen. Noch vor sechs Monaten hätte er überhaupt nicht damit gerechnet jemals wieder mit Mimi ein normales Gespräch führen zu können, geschweige denn bald Vater zu werden und dann traf er sie auf der Hochzeit ihrer Freunde. Die darauf folgenden Wochen waren einfach unfassbar. Sie kamen sich näher, zerstritten sich wieder, versöhnten sich und dann starb Kimiko. Selbst heute, fast sechs Monate später gab es keinen Tag, an dem er und Mimi nicht an sie dachten. An den Wochenenden fiel es Mimi anfangs ziemlich schwer in dem Haus ihrer verstorbenen Großmutter zu sein. Diese Leere zu spüren und überall ihre Anwesenheit zu vermissen. Doch von Mal zu Mal wurde es besser und Mimi bereitete sich auf das Baby vor. Beide hatten mittlerweile sogar ein kleines Kinderzimmer im Haus eingerichtet. Natürlich gab es Streit um die Farbe der Wände, der Möbel, der Kleidung. Eigentlich gab es Streit um alles, selbst über den Namen konnten sich beide noch nicht einigen. Taichi wollte unbedingt, dass ihre Tochter den Namen von Mimi's Großmutter trug. Wohingegen Mimi jedoch sagte, dass sie es merkwürdig finden würde ihre Tochter beim Namen ihrer Großmutter zu nennen und auch für ihren Vater wäre es wohl sehr komisch, wenn er seine Enkeltochter mit dem Namen seiner Mutter ansprechen müsste. Stattdessen kam Mimi immer wieder mit irgendwelchen fürchterlichen englischen Mädchennamen an. Die Palette reichte von Sharon bis hin zu Namen wie Chayenne und Ciara. Taichi hatte ihr unverblümt gesagt, dass diese Namen lediglich von Pornodarstellerinnen genutzt wurden. Aber selbst das brachte keine Einigung in ihrem unerbittlichen Namenskampf. Jetzt waren sie auf dem Weg zur heutigen Silvesterparty. Yamato hatte von einigen Bandkollegen Tickets für diese riesige Feier in einer alten Villa am Stadtrand erhalten. Noch vor wenigen Minuten hatte ihm Mimi einen Vortrag darüber gehalten, dass sie überhaupt nicht auf so eine edle Party gehen könne, da sie aussehe wie ein dicker Elefant. Wenige Überredungsversuche und einen Quickie im Badezimmer später, fühlte sich seine Verlobte dann doch dazu in der Lage an dieser Feier teilzunehmen. Als sie das Grundstück erreichten, waren Yamato, Sora, Hikari und Takeru bereits anwesend. Koushiro und Joe waren mit ihren Freundinnen in die Berge gefahren und würden heute Abend nicht dabei sein. Der riesige Garten der Villa war in eine weiße Schneedecke gehüllt. Im Inneren des Hauses gab es ein festliches Büfett und sogar relativ gute Musik. Mimi unterhielt sich fast ununterbrochen mit Hikari über die neusten »Babynews«, sodass dem jungen Yagami allmählich wirklich langweilig wurde. Er beschloss also, sich ein wenig umzusehen. Den ganzen Abend hatte er schon bemerkt, dass seine beiden Freunde Sora und Yamato sich verdächtig aus dem Weg gingen. Irgendwie war es schon die gesamten letzten Wochen deutlich zu spüren, dass es zwischen dem frischgebackenen Ehepaar wohl etwas kriselte. Auch jetzt stand Sora ganz alleine etwas abseits der Tanzfläche und starrte gedankenverloren ins Leere. Vorsichtig tippte Taichi ihr auf die Schulter und schenkte ihr ein Lächeln. „Warum so nachdenklich?“ fragte er und stellte sich zu ihr. „Wirst du gegen Ende des Jahres nicht auch etwas melancholisch?“ erwiderte sie mit einem finsteren Lächeln. „Dieses Jahr war von vorne bis hinten melancholisch. Ich bin einfach nur noch froh, wenn es vorbei ist. Außerdem kann ich es kaum noch erwarten, dass ich Vater werde. Diese Schwangerschaftshormone machen mich noch wahnsinnig!“ Sora lächelte und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Was wäre wohl gewesen, wenn wir beide ein Paar geworden wären?“ Tai zuckte zusammen und starrte entsetzt zu seiner rothaarigen Freundin. Hatte er ihre Frage jetzt richtig verstanden? Was sollte das denn auf einmal? Sein Magen zog sich zusammen und ihm wurde heiß und kalt zugleich. „Ich...ich weiß nicht. Du hast dich für Yamato und ich habe mich für Mimi entschieden.“ seine Worte kamen irgendwie unbeholfen über seine Lippen. Was sollte er auch dazu sagen? „Warum fragst du das? Bist du mit deiner Entscheidung etwa nicht glücklich?“ Und da war es. Wie immer hatte er wohl ungewollt ins Schwarze getroffen. Ihre Augen färbten sich traurig und er hätte schwören können, dass sich einige Tränen in ihrem Augenwinkel bildeten. Aber sie wischte sich mit dem Ärmel ihres Kleides rasch über das Gesicht und lächelte tapfer. „Vielleicht verändern sich die Menschen, oder man erkennt einfach zu spät ihr wahres Gesicht.“ Er verstand nicht, was sie ihm damit sagen wollte. Natürlich wusste jeder von der jahrelangen On-Off-Beziehung, welche die beiden führten. Aber nach der Hochzeit sollte es sich doch langsam beruhigt haben. „Was meinst du? Ist er dir untreu?“ er spürte, wie plötzliche Wut in ihm keimte. „Ich weiß es nicht. Wir wollten uns schon vor Monaten das Haus kaufen und er schiebt es immer wieder raus. Ich möchte ein Baby und er sagt immer wieder, dass er erstmal noch reisen und Musik machen möchte. Ich kann damit leben, ich habe ihn schließlich genauso geheiratet. Aber inzwischen kommt er immer später nach Hause oder übernachtet sogar ganz woanders. Er spricht mit mir nicht darüber. Es scheint, als seien all unsere Pläne vergessen. Ich habe das Gefühl, als würde ich überhaupt kein Teil seines Lebens mehr sein.“ Der Brünette blieb stumm und beobachtete das vielsagende Gesicht seiner Freundin. Wie sehr er solche Männer doch hasste. Männer wie seinen Vater. Männer die ihre Frauen und letztlich ihre Familien verrieten, hintergingen und betrogen. Aber Taichi wusste ganz genau, dass es jetzt überhaupt nichts brachte, wenn er die Fassung verlor und seiner Wut freien Lauf lies. Er würde es wohl etwas erwachsener lösen und ein richtiges Gespräch mit seinem Freund führen müssen. Sachte berührte er ihre Schulter und schenkte ihr ein hoffnungsvolles Lächeln. „Hör auf zu weinen. Heute Abend wirst du dir darüber keine Gedanken machen. Steh hier nicht so alleine herum. Du solltest zu den anderen beiden Hexen gehen, damit die endlich auch wieder über etwas anderes sprechen, als über Babys.“ Er wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht und brachte sie zurück zu Mimi und Hikari, bevor er sich jedoch auf die Suche nach Yamato machte. Er hatte nämlich einiges mit ihm zu klären und dieses Gespräch würde wohl kein nettes Kaffeekränzchen werden. Es dauerte nicht wirklich lange und Taichi hatte ihn an der Bar gefunden. Wütend packte er ihn im Genick und zog ihn unsanft vom Hocker. „Hey was soll das? Spinnst du, oder was?“ fauchte der Blonde und schlug Taichi's Hände von sich ab. „Komm mit oder ich verpasse dir gleich hier eine auf deine dämliche Fresse!“ erwiderte Tai seelenruhig und ging vorneweg. Als die beiden einige Schritte im Garten der Villa gelaufen waren, wurde Yamato doch ungeduldig und fuhr seinen Freund barsch an. „Was soll das?“ „Warum bist du denn so ein verfluchter Scheißkerl? Sie heiratet dich, stellt ihre Träume für dich hinten an. Verzichtet auf ein Kind, weil sie weiß, dass du dir Zeit lassen möchtest. Sie weiß von deiner Angst und dass du deinem Kind eine Scheidung ersparen möchtest. Sie hat für deinen unbeständigen Lebensstil Verständnis. Sie reist mit dir durch die Welt und alles was sie zum Dank von dir bekommt ist Untreue und dass du sie alleine lässt?“ Tai ballte seine Hände zu Fäusten und rang mit seinem Zorn. „Sie kann auf vieles verzichten für dich. Aber mit deiner Untreue kommt sie nicht zurecht. Was tust du da? Ich habe sie dir damals anvertraut, sie dir überlassen. Sie liebt dich und du behandelst sie so schlecht? Du bist ein jämmerlicher Feigling, denn im Grunde hast du einfach nur Angst zu versagen!“ Matt grinste süffisant und lehnte sich gegen die kühle Hauswand. „Warum hältst du mir denn so einen Vortrag? Bist du etwa immer noch in Sora verschossen? Solltest du dich nicht besser fragen, wer von uns beiden hier der Scheißkerl ist? Da drinnen sitzt deine schwangere Verlobte und du behauptest dich immer noch als Beschützer von Sora?“ Der Angesprochene schüttelte lächelnd den Kopf und fuhr sich mit seinen eiskalten Fingern durchs Haar. „Nein, es hat überhaupt nichts damit zu tun, dass ich noch in irgendeiner Weise in Sora verliebt bin. Ich bin glücklich und möchte überhaupt keine andere Frau als Mimi. Denn ich bin keine 16 mehr und heute weiß ich ganz genau was ich will. Aber du bist immer noch dasselbe Arschloch wie vor zehn Jahren.“ Ungewollt blieb Taichi tatsächlich vollkommen ruhig. Er sah grotesk ernst in die blauen Augen seines Freundes und lächelte bedrohlich. „lch schwöre dir, wenn du sie nicht gut behandelst, dann werde ich dir dein Leben zur Hölle machen.“ Yamato seufzte angespannt und sah reumütig auf seine Füße. „Es ist dir hoch anzurechnen, dass du immer noch so hart für deine Freunde kämpfen würdest. Du bist eben ein wahrer Freund...“ er fischte in seiner Hosentasche nach seiner Zigarettenschachtel und zündete sich eine an. Nachdenklich fuhr er sich durchs Haar und stieß den inhalierten Rauch langsam durch die Nase aus. „Es gibt keine andere Frau. Ich bin ihr nicht untreu. Ich arbeite seit Monaten nachts in der Gerätewartung eines Druckerherstellers. Ich will endlich das Geld verdienen, um ihr ihre Träume zu erfüllen und mit meiner Musik kann ich das einfach nicht. Das Haus können wir uns von den paar Auftritten nicht leisten. Im Moment wüsste ich nicht, wie ich ein Kind ernähren sollte. Glaubst du, dass ein Ehemann so sein sollte? Ein erbärmlicher Versager ohne Geld und Karriere? Ein brotloser Musiker der seinen Träumen hinterher jagt? Wer will denn so einen?“ Zum aller ersten Mal hörte er von seinem Freund, dass er seinen Traum vom erfolgreichen Musiker aufgegeben hatte und jetzt an einem bodenständigen Leben arbeitete. Er wollte sich eine Zukunft mit Sora aufbauen und hatte Angst davor, sein Gesicht zu verlieren. Also machte Yamato alles heimlich hinter ihrem Rücken und sie dachte, dass er ihr untreu wäre. „Du bist ein dämlicher Idiot. Sie liebt dich genauso wie du bist. Ich glaube, dass sie sich unglaublich darüber freuen würde. Alles was sie will bist du, eine Zukunft mit dir, ein Leben an deiner Seite. Dabei ist ihr doch völlig egal, ob du ein erfolgreicher Musiker oder ein ganz normaler Techniker im Außendienst bist. Aber sei ehrlich zu ihr, zeige ihr deine Liebe.“ Matt grinste und löschte seine Zigarette im Schnee. „Oh mein Gott, was ist denn mit dir passiert? Dieses Leben mit Mimi hat dich verändert. So erwachsen und vernünftig kennt man dich überhaupt nicht.“ Tai erwiderte sein Lächeln und nickte stumm. „Ja, du musst es nur zulassen. Du musst es zulassen, dass die Liebe zu einer Frau dich und dein Leben auf den Kopf stellt. Denn all die Dinge die wir wollen, liegen vor unseren Füßen. Wir müssen lediglich danach greifen.“ Mimi steckte ihren Kopf durch die Tür und sah die zwei Männer draußen im Garten stehen. Verwundert beobachtete sie die beiden, bevor sie durch den hohen Schnee marschierte und zu ihnen ging. „Hey ihr zwei, es sind nur noch zehn Minuten bis Mitternacht. Wir haben euch überall gesucht. Wollt ihr etwa das neue Jahr verpassen?“ Taichi wendete sich sofort seiner schwangeren Verlobten zu und nahm sie in den Arm. „Bist du verrückt geworden, hier ohne Jacke raus zu kommen?“ sagte er und schob sie wieder nach drinnen. „Wir wollten nichts verpassen, nur ein Gespräch unter Männern.“ Wenige Minuten später standen so ziemlich alle Gäste draußen im Garten und zählten die letzten Sekunden runter. Tai hielt Mimi im Arm und legte bedächtig eine Hand auf ihren gewölbten Bauch. Selbst unter dem dick gefütterten Wintermantel konnte man ihren Babybauch deutlich erkennen und Taichi spürte die Bewegungen seiner ungeborenen Tochter unter dem Herzen seiner Verlobten. Takeru stand neben seinem Bruder und hielt Hikari fest an sich gedrückt im Arm. Auch Yamato und Sora standen gemeinsam draußen und sprachen miteinander. Tai konnte sie nicht hören, aber er sah an dem Blick der Rothaarigen, dass das Gespräch mit ihrem Ehemann wohl gut verlief. Vielleicht konnte der Blonde nun doch den Mut aufbringen ehrlich zu ihr zu sein und sich einem gemeinsamen Leben mit ihr hinzugeben. „Ich möchte dich nicht hinhalten. Ich möchte mit dir zusammen sein, mein Leben mit dir verbringen und auch eine Familie mit dir gründen. Schließlich sehe ich, wie glücklich mein Bruder mit seinem Sohn ist und auch Tai wird bald Vater sein. Bitte verzeih mir...“ sagte er leise und nahm sie liebevoll in den Arm. Sora sah zu Taichi rüber und schenkte ihm ein dankbares Lächeln. „Ich glaube, jetzt sind wir endlich quitt...“ murmelte Tai leise. Denn schließlich war es Sora, die dafür verantwortlich gewesen ist, dass er sich die Gefühle für Mimi eingestand. „Wie bitte?“ fragte die Brünette und tippte ihrem Verlobten gegen die Brust. Er sah zu ihr runter und zog sie fester an sich heran. „Ich liebe dich...“ die junge Frau verstand zwar nicht ganz, lächelte aber zufrieden, als sie im Hintergrund das laute Zählen der anderen Gäste vernahm. „3, 2, 1….Frohes neues Jahr!“ grölte es aus allen Richtungen und die Raketen schossen mit einem ohrenbetäubenden Knall in den Himmel. „Ich liebe dich auch. Frohes neues Jahr...“ sagte sie und stellte sich auf ihre Zehenspitzen. Zärtlich versiegelten sich ihre Lippen zu einem Kuss. Taichi fuhr mit beiden Händen von ihrem Bauch zu ihrem Rücken. Es war ein unglaublich gutes Gefühl, sie endlich in den Armen zu halten und ganz genau zu wissen, dass sie seine Zukunft sein würde. Mimi löste sich von ihm und las von ihrem Handydisplay einige Neujahreswünsche von Koushiro und Joe vor. „Die vier haben anscheinend viel Spaß auf ihrem Pärchentrip. Ich glaube, für Sae ist das auch etwas gutes, dass sie endlich mit Joe zusammen sein kann.“ Tai rümpfte die Nase und nestelte in ihrem duftenden Haar. „Hoffentlich kommt er nicht auf die dämliche Idee, ihr heute auch einen Heiratsantrag zu machen….“ Auf diese unverschämte Bemerkung stieß ihm Mimi, ohne weiteren Kommentar, mit dem Ellenbogen in die Rippen. Schmerzerfüllt keuchte er auf und sah sie fassungslos an. „Was soll das?“ fragte er außer sich. „Was denn? Das war deine Tochter. Wenn sie mir so heftig gegen den Bauch tritt, dann überträgt es sich schon mal auf meinen Arm und der landet in deinen Rippen.“ sie grinste und schmiegte sich wieder an ihn heran. „Ja richtig, meine Tochter.“ flüsterte er bedächtig und sehnte sich mit jeder Faser seines Körpers danach, ihr gemeinsames Kind endlich in den Armen halten zu können. Er freute sich auf das kommende neue Jahr und sah auf das zurückliegende mit einem weinenden, aber auch lachenden Auge zurück. 01. April, Tateyama, Präfektur Chiba Unaufhörlich schritt die Zeit voran und rieselte wie Sand durch die Finger. Der eisige Winter wich allmählich dem Frühling. Die Tage wurden wieder länger und sogar die Sonne ließ sich ab und an blicken. Im Februar feierte Koushiro seinen 23. Geburtstag und Anfang März heirateten Hikari und Takeru endlich. Es war eine wunderschöne Feier, in einem sehr kleinen Kreis. Unter großer Überwindung gelang es, dass Taichi es mit seinem Vater aushielt und seiner Schwester zuliebe keinen Streit vom Zaum brach. Doch selbst nach so vielen Jahren musste er feststellen, dass diese alten Wunden unglaublich tief saßen und längst nicht verheilt waren. Vielleicht würde er auch niemals darüber hinweg kommen, dass sein Vater eine Affäre mit einer anderen Frau hatte. Aber er konnte von jetzt an alles daran setzen, ein besserer Mann und Vater zu werden. Denn auch der impulsive Trotzkopf hatte inzwischen verstanden, dass jede Narbe auf dem Herzen dazu beitrug, stärker zu werden und es beim nächsten Mal besser zu machen. Nach dem Geburtstag von Yamato erfolgten die Abschlussprüfungen an der Universität, welche Taichi mit Bravour meisterte, obwohl die beiden zuvor ordentlich gefeiert hatten. Parallel zu seinen letzten Prüfungen hatte Taichi seine Ausbildung zum internationalen Diplomat bei der UNO begonnen. Zunächst würde er lediglich in Japan agieren und keinen Außendienst begleiten müssen, aber zukünftig würde sich seine Arbeit ebenfalls in alle Mitgliedsstaaten dieser Welt erstrecken. Doch im Moment hatte er einzig und allein seine kleine Familie im Kopf, denn es waren nur noch drei Wochen bis zum errechneten Entbindungstermin. Auch Mimi konnte kaum noch in der Firma ihrer Großeltern anwesend sein und zog sich immer mehr zurück. Sie und Taichi waren komplett umgezogen und hatten die Wohnung in Tokyo aufgeben. In dem Haus ihrer Großmutter fühlte sich die junge Frau und werdende Mutter mittlerweile sehr geborgen. Es war der erste Freitag im Arpil. Ein heftiger Taifun zog über die Ostküste Japans und dementsprechend war Taichi zeitiger nach Hause gekommen. Er war unbeschreiblich fürsorglich und hätte Mimi zu keinem Zeitpunkt alleine gelassen und einer solchen Gefahr ausgesetzt. Wenn er tagsüber nicht zu Hause war, dann waren Mimi's Onkel oder Tante bei ihr. Der Regen peitschte auf die Straße nieder und einige Regionen waren bereits überschwemmt. Aufmerksam verfolgte Taichi den Wetterbericht und streichelte dabei über den Bauch seiner Verlobten. Mimi lag mit dem Kopf auf seinem Schoß und versuchte sich ein kleines bisschen zu entspannen. Ihr ging es bereits den ganzen Tag nicht gut. Sie hatte starke Kreislaufprobleme und Krämpfe im Unterleib. Ihr Bauch war schwer, ihre Füße geschwollen und seit Wochen wusste sie nicht mehr wie sie liegen, sitzen oder stehen sollte. Auch jetzt gab die Kleine keine Ruhe in ihrem Bauch und macht sich mit all ihren winzigen Gliedmaßen bemerkbar. Für gewöhnlich beruhigte sich ihr Töchterchen, sobald Taichi seine Hand auf den Bauch legte. Doch dieses Mal schien es nicht zu helfen. Schmerzerfüllt seufzte Mimi und versuchte gleichmäßig zu atmen. „Süße, alles in Ordnung? Es wird nicht besser. Sollten wir vielleicht doch lieber ins Krankenhaus fahren?“ fragte Tai besorgt und strich Mimi einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Geht schon. Kein Krankenhaus.“ murmelte sie keuchend und kniff immer wieder ihre Augen zusammen. „Mimi, du bist kochend heiß. Das ist doch nicht normal. Bitte lass uns ins Krankenhaus fahren...“ Taichi legte nun beide Hände schützend auf ihren Bauch und beobachtete ängstlich jede Regung im Gesicht seiner Verlobten. Sanft schob sie seine Hände weg und versuchte von der Couch aufzustehen. Tai stützte sie etwas und half ihr dabei. Kurz zeichnete sich der Schmerz auf ihrem müden Gesicht ab, doch dann lächelte Mimi und lief langsam zur Treppe. „Ich muss nur ein bisschen schlafen...“ aber bevor sie die erste Stufe der Treppe nehmen konnte, krümmte sich Mimi vor Schmerz und griff keuchend nach dem Geländer. Sofort eilte der Brünette zu ihr. Ein stechender Schmerz durchzog ihren Körper in immer kürzer werdenden Intervallen. Mimi wurde schwarz vor Augen und das Atmen fiel ihr unglaublich schwer. Ohne weiter mit ihr zu diskutieren beförderte Taichi die werdende Mutter ins Auto. Noch während Mimi protestierte und fürchterlich schimpfte, landete die bereits gepackte Krankenhaustasche auf dem Rücksitz und er startete den Motor. Für Anfang April war es immer noch wahnsinnig kalt. Der ansonsten wundervolle Stand glich einer ekelhaften grauen Masse, welche sich am Rande des tosenden Ozeans entlang zog. Der heftige Wind des Taifuns jagte den Regen in Sturzbächen über die Straße. An einigen Stellen war der Erdboden durch den beständigen Dauerregen so aufgeweicht, dass riesige Schlammlawinen von den Hängen der Felder auf die Straße geschwemmt wurden. Augenblicklich brachte Taichi das Auto zum stehen. Vor ihnen ging es nicht weiter. „Verdammt!“ fluchte er und stieg aus dem Auto aus, um zu prüfen, wo er vorbei fahren konnte. Doch es war völlig aussichtslos. Der Weg war von riesigem Geäst verbarrikadiert. Das Regenwasser schoss wie ein reißender Fluss über die Kreuzung und machte es unmöglich den Weg zu Fuß oder mit dem Auto zu passieren. Der junge Mann eilte zurück zum Wagen und wollte sich gerade auf den Sitz setzen, als er in das kreidebleiche Gesicht von Mimi blickte. Ihre goldbraunen Augen starrten ihn angsterfüllt, beinahe panisch an. Ihre Hände zitterten und vergruben sich krampfhaft in dem Baumwollstoff ihres hellgrauen Mantels. Als seine dunkelbraunen Augen weiter prüfend über ihren Körper glitten erkannte er, dass ihre Hose und der Beifahrersitz komplett durchnässt waren. „Bitte sag mir, dass es rein geregnet hat und der Sitz deswegen nass ist...“ murmelte er unsicher. „Die Fruchtblase ist geplatzt...“ stotterte sie und Tränen liefen über ihre Wangen. „Was nun? Oh Gott, wir stecken hier fest und das Baby kommt!“ Mimi fing immer heftiger an zu Schluchzen und ihr gesamter Körper bebte wie Espenlaub. Tai, der noch immer gegen den Rahmen der Autotür lehnte und nicht im Auto saß, schluckte hart. Sie saßen hier tatsächlich fest. Was sollte er tun? Was zur Hölle sollte er jetzt nur tun? Er atmete tief durch und schenkte ihr ein liebevolles Lächeln. „Wir schaffen das schon...“ er begab sich auf die andere Seite des Autos und öffnete die Beifahrertür. Tai hockte sich vor ihr hin und legte seine rechte Hand auf ihren Bauch. „Bitte hör auf zu weinen und versuche dich zu beruhigen.“ „Wie soll ich mich beruhigen? Ich werde dieses Kind nicht alleine, mitten auf der Straße, in einem Auto zur Welt bringen können. Ich schaffe das nicht! Ich werde es verlieren….“ Mimi schrie ihn von Panik ergriffen an. Immer wieder durchzog sie ein stechender Schmerz, welcher ihre gesamten Sinne lähmte. Das Atmen fiel ihr schwer und in der Kälte das Abends hatte Mimi das Gefühl, jede Sekunde ohnmächtig zu werden. Taichi fischte in seiner Hosentasche nach seinem Telefon. Es dauerte eine ganze Weile, bis er die gewünschte Stimme endlich hörte. „Oh Man! Warum dauert das solange? Ich brauche deine Hilfe!“ fauchte der Brünette bedrohlich und war selbst darum bemüht, die Fassung zu wahren. „Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen? Ich hoffe es ist wichtig!“ entgegnete Joe am anderen Ende und zog sich seine Unterhose hoch. Er war dieses Wochenende bei seiner Freundin und hatte noch vor wenigen Stunden Dienst im Krankenhaus gehabt. Demnach war er verdammt müde und dieser idiotische Hitzkopf hatte ihn gerade bei einer wichtigen Tätigkeit unterbrochen. „Wir stecken hier auf der Straße fest und die Fruchtblase ist geplatzt. Was soll ich jetzt tun? Wie lange dauert es denn, bis das Baby kommt? Der Krankenwagen kommt nicht durch, sie wollen einen Hubschrauber schicken. Der nächste verfügbare ist aber einer, der aus Tokyo starten muss….was soll ich jetzt machen? Mimi geht es überhaupt nicht gut!“ Zunächst musste Joe die wild durcheinander geplapperten Worte seines Freundes sortieren, bevor er den Inhalt wirklich verstand. „Du bist mit Mimi auf der Straße? Bei diesem Wetter? Bist du denn verrückt?“ seine Stimme klang ungewollt vorwurfsvoll und Joe eilte zurück ins Schlafzimmer. Sae blickte ihn verwundert an, als ihr Freund plötzlich anfing sich sein Shirt anzuziehen. „Wenn die Fruchtblase geplatzt ist, gibt es keine Zeit mehr du dämlicher Trottel! Hast du beim Vorbereitungskurs nicht aufgepasst oder was? Das Kind wird jetzt kommen, es ist bereits im Geburtskanal...“ Die junge Krankenschwester hörte die Worte von Joe und stand nun ebenfalls auf. „Wo seid ihr denn?“ fragte Joe anschließend und deutete der Schwarzhaarigen an, sich ebenfalls anzuziehen. „Auf der Straße kurz vor dem Hachiman-Schrein...“ inzwischen hatte sich Mimi an Tai gelehnt, da sie nicht mal mehr aufrecht sitzen konnte. „Wir kommen zu euch...“ keuchte Joe während er die Treppen herunter eilte. „...du musst sie hinlegen, vielleicht auf die Seite, um die Geburt etwas zu verzögern, aber wenn die Wehen bereits in so kurzen Abständen kommen….“ er konnte nicht weiter sprechen, weil er selbst viel zu schockiert darüber war. „Was dann? Was willst du sagen?“ hakte Tai nach und half Mimi aus dem Auto heraus. Joe und Sae rannten bereits durch den strömenden Regen. Auch sie versuchten erst gar nicht das Auto zu benutzen, da die Straßen reißenden Flüssen glichen. „Sie wird das Kind jetzt zur Welt bringen müssen. Wir sind gleich bei euch, bitte pass gut auf sie auf und halte sie warm!“ Tai legte auf und warf das Telefon achtlos ins Auto, während er Mimi auf den Rücksetzt legte. Sie keuchte und stöhnte unter den Schmerzen. Er half ihr dabei, sich auf die Seite zu legen und holte aus dem Kofferraum eine Decke. Danach begab er sich auf die andere Seite des Autos und öffnete die Tür an ihrem Kopf. Er setzte sich selbst auf den Rücksitz und legte ihren Kopf auf seinen Schoß. Besorgt hüllte er ihren zitternden Körper in den Stoff der Decke ein und streichelte ihren Rücken. Mimi versuchte so zu atmen, wie sie es im Schwangerschaftsvorbereitungskurs gelernt hatte, aber es schien nichts zu helfen. Angsterfüllt krallte sie ihre Finger in seine Arme. „Ob man den Sitz noch reinigen kann? Schließlich haben wir das Auto erst neu gekauft...“ sagte Taichi und streichelte über ihre Stirn. Entsetzt riss Mimi ihre Augen auf und starrte ihn wütend nieder. „Willst du mich verarschen?“ keuchte sie und spannte jeden Muskel in ihrem Körper an, als eine nächste Welle des Schmerzes über sie hereinbrach. Er grinste und küsste ihre heiße Stirn. „Mimi, wir werden das gemeinsam durchstehen. Deine Schwester und Joe sind gleich da.“ Insgesamt waren es wohl fünfzehn Minuten bis Joe und Sae eintrafen, aber für Taichi fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Der werdende Vater hatte das Gefühl, dass die Anwesenheit ihrer Schwester beruhigend auf Mimi wirkte. Joe prüfte ohne große Umschweife die Vitalfunktionen von Mimi und sagte Sae genau an, was er aus seiner Arzttasche benötigte. „Mimi, dein Puls ist zu hoch und deine Atmung zu flach….“ er sah ihr ins Gesicht und schob die Decke zur Seite. „...wir sollten dir die Jacke ausziehen, damit du besser atmen kannst.“ Vorsichtig öffnete Tai die Jacke und half Mimi dabei diese abzustreifen. Danach zeigte ihm Joe, dass er sich hinter Mimi setzen und ihren Rücken gegen seine Brust lehnen sollte. In der sitzenden Position sei es für die Muskulatur und den Kreislauf besser. Sie presste ihren Kopf gegen seine Brust und suchte flehend nach seinen Händen. Taichi konnte in jedem ihrer Atemzüge und Bewegungen erkennen, dass Mimi Todesangst hatte. Sae stellte gerade die Arzttasche von Joe auf dem Beifahrersitz ab, während der junge Arzt ihr die Hose und schließlich auch Unterhose auszog. Hastig packte Tai sein Handgelenk und starrte ihn an. „Was soll das denn werden? Schau gefälligst nicht so dahin und nimm die Finger da weg!“ schrie Tai außer sich vor Wut. „Soll sich eure Tochter durch den Stoff der Hose zaubern und als hätte ich das nicht schon längst einmal gesehen!“ Fassungslos starrten Sae und Taichi zu Joe, der erst jetzt den Inhalt seiner Worte realisierte. „Nein, nein, nein! So habe ich das nicht gemeint! Ich meinte damit, dass ich bereits viele Frauen gesehen habe...“ Noch viel entsetzter als bereits zuvor, sah die junge Krankenschwester zu ihrem Freund und Joe wurde immer nervöser. „Im Dienst! Als Arzt! Was denkt ihr denn von mir?“ fügte er hinzu, als ihn plötzlich der heftige Tritt von Mimi an der Brust traf. „Seid ihr jetzt fertig? Ich kann nicht mehr!“ schrie diese völlig aufgelöst und schlug immer wieder mit ihrem Kopf gegen die Brust ihres Verlobten. Ihr ging es so schlecht. Der Schmerz raubte ihr die Luft zum atmen und ihr wurde immer wieder schwarz vor Augen. Sie bekam überhaupt nicht mit, dass ihr Joe wohl einen Zugang samt Infusion gelegt haben musste und somit ihren Kreislauf stabilisierte. Benommen öffnete sie ihre Augen und schmiegte sich in Tai's Arme. „Es tut mir so leid...“ flüsterte sie und fing erneut an zu weinen. „...ich schaffe das nicht...“ fügte sie hinzu und biss sich auf ihre Unterlippe. Voller Sorge sah er zu ihr und streichelte weiter beruhigend über ihren Bauch. „Jetzt hör schon auf und rede nicht solchen Unsinn. Du wirst eine gesunde Tochter zur Welt bringen. Wenn überhaupt jemand schuldig ist, dann jawohl ich. Ohne mich wärst du jetzt nicht schwanger und würdest entspannt auf der Couch liegen und deinen Freitagabend genießen...“ ihm stiegen die Tränen in die Augen, weil er weiter dabei zusehen musste, wie schlecht es ihr ging und er einfach nichts tun konnte, um ihr zu helfen. „Mimi...“ unterbrach Joe das Gespräch der beiden. „...bei den nächsten Wehen musst du pressen. So fest du kannst. Die Kleine lässt nicht länger auf sich warten...“ er lächelte nervös und half Mimi dabei ihre Beine etwas anzuwinkeln. Alles geschah so furchtbar schnell. Zu sehen, wie sich Mimi vor Schmerzen krümmte, ab und an bewusstlos wurde und dann erneut Kräfte sammelte, um ihre gemeinsame Tochter zur Welt zu bringen, machte Tai vollkommen fertig. Er hielt sie fest, stützte ihren Oberkörper, streichelte ihre Stirn und doch schien er einfach nichts ausrichten zu können. Der ohrenbetäubende Lärm des landenden Helikopters ging gänzlich an ihm vorbei. Erst als zwei Sanitäter neben Joe auftauchten und irgendwelche medizinischen Floskeln austauschten realisierte Tai, dass Hilfe eingetroffen war. Doch plötzlich wurde alles unheimlich still um ihn herum, als ein markerschütternder erster Schrei die Nacht durchbrach. Tai sah, wie Joe mit einem Mal ein kleines, zerknautschtes, blutiges Bündel in den Händen hielt. Ein winziges Büschel schwarzer Haare zierte das kleine Köpfchen und immer wieder flutete dieser neugeborene Mensch seine Lungen mit Luft und schrie seine ersten Atemzüge kraftvoll in die Dunkelheit der Nacht. Sofort legte er das Baby auf Mimi's Brust. Joe selbst konnte überhaupt nicht begreifen, was da gerade geschehen war. Noch nie in seinem Leben hatte er bei einer Geburt geholfen und dieses Wunder miterlebt. Mimi war kraftlos und völlig benommen, doch sie legte instinktiv ihre Arme um dieses kleine schutzlose Wesen auf ihrer Brust. Wie in Trance starrte Taichi auf seine Tochter und bemerkte überhaupt nicht, dass ihm unaufhörlich Tränen übers Gesicht liefen. Er zitterte am ganzen Körper und fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben so unendlich hilflos und glücklich zugleich. Es waren ihre leuchtenden Augen, die seinen Blick trafen. Ihre Hand, die nach seiner griff und ihre Stimme, die ihn aus seinem Schock zurück in die Realität holten. Mimi legte die Hand von Tai unter den Kopf ihrer Tochter und küsste seinen Arm. „Sieh nur, das ist deine Tochter...“ Über ihm brach alles zusammen. Seine Emotionen übermannten ihn und Taichi beugte sich über Mimi und seine Tochter. Weinend hielt er sowohl Mimi, als auch seine Tochter an sich gedrückt. Ihre eiskalten Finger wischten ihm die Tränen aus dem Gesicht und sie schmiegte sich erleichtert an seine Brust. „Ich liebe dich so sehr!“ schluchzte er „Ich liebe euch beide so sehr...“ ergänzte Tai und küsste hingebungsvoll die Stirn seiner völlig entkräfteten Verlobten. Es war einfach grandios wie sie ihr erstes gemeinsames Kind zur Welt brachte. Taichi griff nach Joe's Arm und hauchte ihm ein zitterndes „Danke.“ zu, bevor die Sanitäter sich daran machten die Kleine gut einzupacken und Mimi für den Transport ins Krankenhaus vorzubereiten. „Das ist wirklich ein schöner Geburtstag. Ein Frühlingskind...“ sagte ein Sanitäter zu Joe, während er den Hubschrauber startete. Taichi sah in das Gesicht von Mimi, die zärtlich über das Köpfchen der Kleinen streichelte. „Haruko...“ sagten die beiden Eltern zeitgleich. Mimi lächelte zufrieden und zog den Brünetten zu sich, um ihm einen Kuss auf die Lippen zu hauchen. „Soll das etwa heißen, dass wir jetzt endlich einen Namen für unsere Tochter gefunden haben, mit dem wir beide leben können?“ „Es scheint, als hätte sich unsere Tochter diesen Namen selbst ausgesucht. Sie ist eben ein Frühlingskind und auf japanisch heißt das eben Haruko...“ vorsichtig fuhr er mit seinem Daumen über die winzige Wange seiner Tochter. „Willkommen auf dieser Welt Haru-chan...“ Im Krankenhaus wurden Mimi und Haruko sofort versorgt. Soweit war alles in Ordnung, außer dass Mimi unterkühlt war und sich somit eine Erkältung zugezogen hatte. Aber um etwaige Infektionen auszuschließen, sollten Mutter und Kind noch die nächsten Tage unter Beobachtung auf der Intensivstation bleiben. Joe war jeden Tag bei den beiden frischgebackenen Eltern und versicherte sich, dass es Mutter und Tochter auch wirklich gut ging. Die Dankbarkeit, welche ihm jedes Mal von Tai entgegengebracht wurde, verwirrte den jungen Arzt. Aber der junge Yagami war davon überzeugt, dass sie es Joe zu verdanken hatten, dass diese Katastrophe ein gutes Ende fand. Es dauerte einige Tage, bis es Mimi besser ging und sie sich von den Strapazen der abenteuerlichen Geburt erholt hatte. Es war ein regnerischer Abend, als Taichi und Mimi alleine im Krankenzimmer saßen und sich von ihren Freunden verabschiedet hatten. Haruko schlief friedlich in den Armen ihrer Mutter und Tai hatte sich neben Mimi ins Bett gelegt. „Ich freue mich darüber, dass unsere Freunde für uns da sind und uns besucht haben.“ sagte sie leise und schmiegte ihren Kopf an seine Schulter. „Hast du das Leuchten in den Augen meiner Schwester gesehen? Ich glaube es wird nicht lange dauern und die beiden legen ein zweites Kind nach...“ „Tai...“ murmelte Mimi. „...du sagtest, dass es alles deine Schuld sei. Ohne dich wäre ich nicht schwanger und würde jetzt entspannt an einem Freitag zu Hause sitzen. Ich will das du weißt, dass es nicht so wäre. Du bist überhaupt nicht schuld und wenn du nicht mit mir zu meiner Großmutter gekommen wärst, dann hätte ich mich wohl in meinem Kummer verloren. Ich hätte das alles niemals alleine durchstehen können. Ohne dich hätte ich nicht wieder zu meinem Vater gefunden. Erst du hast mich wieder stark gemacht, mich dazu gebracht zu kämpfen und an mich selbst zu glauben. Ganz egal wo ich jetzt wäre, ich möchte nirgendwo lieber sein als hier an deiner Seite.“ Ergriffen sah er sie an und lächelte matt. „Ich bin dir so dankbar, dass du mir noch eine Chance gegeben hast. So dankbar, dass du so eine Kämpferin bist und mir eine Tochter geschenkt hast und egal was ich tun kann, damit du glücklich bist, ich werde es tun.“ Mimi drückte ihm ihr Telefon in die Hand. „Mach ein Foto von uns...“ Verwirrt tat er was sie von ihm verlangte und reichte ihr das Telefon zurück. Mimi tippte einige Worte unter das Foto und sendete es dann ab. „Wem hast du denn dieses Foto geschickt?“ fragte er neugierig, bekam aber nur ein zufriedenes Lächeln als Antwort. „Demjenigen, den ich jetzt sehr vermisse….“ »Mimi Tachikawa an Sōsuke Tachikawa: Du bist in meinem und unserem Leben immer willkommen. Wenn du nach Hause kommen möchtest, wird unsere Tür immer offen sein. « Nach zwei Wochen durfte Mimi das Krankenhaus endlich verlassen. Der Frühling hatte Einzug gehalten und die Tage waren wundervoll sonnig. Die Kirschbäume zeigten sich in voller Blüte und die langen Spaziergänge am Strand waren für die junge Familie wundervoll. Auch wenn die Nächte kurz, die Tage anstrengend und die Zeit stets knapp war, so wollte keiner der beiden etwas an ihrem Leben verändern. In wenigen Tagen wollten Tai und Mimi heiraten. Das Haus war zum bersten gefüllt. Sae war mit Joe angereist und stritt sich stundenlang mit ihrer Mutter darüber, wer von beiden als nächstes die kleine Haruko halten durfte. Onkel Kazuki und Tante Mei versuchten stets zu schlichten, wobei sich Mei dann hinterrücks die Kleine unter den Nagel riss. Für die vollkommen übermüdeten Eltern war es ein Segen, dass sie von ihrer Familie und Freunden in der Versorgung ihrer kleinen Tochter entlastet wurden. Es war ein warmer sonniger Nachmittag Anfang Mai, als alle gemeinsam im Wohnzimmer saßen und einiges für die bevorstehende Trauung vorbereiteten. Liebevoll nahm Tai Mimi in den Arm und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Plötzlich klingelte es unerwartet an der Haustür. Verwundert öffnete Mimi und blickte in das ebenso erstaunte Gesicht ihres Vaters und ihrer Mutter. „Jetzt steht halt nicht so da, als wärt ihr zu Salzsäulen erstarrt!“ flötete Mimi's Mutter freudig und schritt an ihr vorbei. „Wo ist meine Enkeltochter und mein zukünftiger Schwiegersohn?“ völlig perplex stand Tai vom Sofa auf und starrte in das Gesicht seiner baldigen Schwiegermutter. „Och der kleine Yagami! Ich fand dich schon im Kindergarten so süß! Lass dich mal ordentlich drücken und jetzt gibst du mir sofort meine Enkeltochter, ansonsten kannst du die Hochzeit gleich absagen.“ vollkommen überfordert entriss Taichi seine Tochter aus den Armen von Asuna und drückte sie seiner Schwiegermutter in die Hände. Mimi beobachte die Szene zwischen ihrer Mutter und Taichi mit einem zögerlichen Lächeln. „Du hast sie mitgebracht? Weiß Mama etwa von Sae?“ Sōsuke seufzte leise und fuhr sich durchs Haar. „Ja ich habe ihr alles gesagt. Dein zukünftiger Ehemann ließ dabei aber auch keinen Spielraum zu...“ Mimi sah ihren Vater verständnislos an. „Was hat Tai denn damit zu tun?“ „Er hat seine Forderungen klar und deutlich geäußert. Du hast dir einen guten Mann geangelt. Er nimmt unseren Namen an und hat darüber hinaus gefordert, dass ich deiner Mutter alles gestehe, ansonsten hätte er dafür gesorgt, dass ich meine Enkeltochter niemals zu Gesicht bekäme. Es ist gut, wenn ein Mann zu seinem Wort steht und Tai hat mir ganz klar gesagt, dass er keine Männer in seinem Leben dulden würde, die ihre Familie belügen...“ Sie schluckte hart, als sie die Worte ihres Vaters vernahm. So ist es also gewesen. Deswegen ist es wohl auch handgreiflich zwischen den beiden geworden. Ihr Vater wollte sich von einem jungen Kerl nicht erpressen lassen und Taichi verteidigte seinen Standpunkt mit aller Kraft. Zwei sture Dickköpfe die aufeinander trafen. Manchmal dachte Mimi wirklich, dass Taichi einen verdammt guten Yakuza-Boss abgeben würde mit seinen erpresserischen Methoden. „Tai ist ein unglaublich ehrlicher und mutiger Mann. Er genießt meinen höchsten Respekt und ich könnte mir keinen besseren Mann für dich und Vater meiner Enkelkinder vorstellen.“ die Worte ihres Vater rührten Mimi zutiefst und sie schlang schweigend ihre Arme um ihn. „Ich danke dir so sehr...“ murmelte sie schluchzend in den Kragen seiner Jacke. „Ich habe dich so lieb meine Kleine...“ erwiderte er und drückte seine Tochter fest an sich heran. Die fröhliche Stimme von Mimi's Mutter entzweite Vater und Tochter jäh aus ihrer Umarmung. Sie schob Sae zwischen die beiden und zog Mimi in ihre Arme. „Sōsuke, du solltest etwas Zeit mit Sae verbringen. Denn ich will die Erste sein, die unsere Enkeltochter verwöhnt, dabei störst du mich nur!“ sie schob die junge Krankenschwester vor die Tür und stupste ihren Ehemann ebenso an. Peinlich berührt standen sich Sōsuke und Sae gegenüber. Was war das denn für eine beschissene Situation? Nervös tippte die junge Frau mit ihren Fingern gegen den Saum ihres Rockes. Auch der gestanden Geschäftsmann war zunächst völlig ratlos, was er sagen oder tun sollte. Sie war wirklich zu einer wunderhübschen Dame herangewachsen, aber wie fing man ein Gespräch mit seiner Tochter nach so vielen Jahren an? „Naja, auf ein Eis muss ich dich jetzt wohl nicht mehr einladen. Dafür bist du wohl schon zu alt.“ sagte er schließlich und kratzte sich verlegen im Genick. Sae fing an zu grinsen. „Du magst es vielleicht nicht glauben, aber ich esse selbst mit 25 Jahren noch gerne Eis.“ Sōsuke seufzte erleichtert und setzte sich in Bewegung. „Na dann wirst du mir ein gutes Café in der Stadt zeigen müssen und wenn ich dir später noch Zuckerwatte und einen Luftballon kaufen soll, dann sollten wir uns beeilen.“ Sie musste lachen und folgte ihrem Vater. „Also fürs Erste würden es ein neuer Mercedes und eine Eigentumswohnung tun.“ Er lachte und erkannte in ihrem Gesicht gewisse Ähnlichkeit zu Asuna und sich selbst. Aber in ihrem sarkastischen Humor zeigte sich deutlich das Wesen seiner Mutter. Es würde wahrscheinlich noch einige Zeit brauchen, aber Sōsuke war sich absolut sicher, dass sie zueinander finden würden. Irgendwann. Mimi beobachtete, wie sich Asuna und ihre Mutter entspannt miteinander unterhielten. Es kam ihr so vor, als wäre sie in einem Film. Niemals hätte sie gedacht, dass sich die beiden Frauen so respektvoll begegnen könnten. Sie spürte wie sie von Taichi sachte in eine Umarmung gezogen wurde. Zärtlich küsste er ihren Hals und flüsterte ihr etwas ins Ohr. „Ich glaube, dass es genau das ist, was Kimiko immer wollte. Sie wollte, dass dieses Haus voller Leben ist und die Familie hier zueinander findet. Du hast deiner Großmutter den größten Wunsch erfüllt, indem du die Familie wieder zusammenführst.“ ~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~* Die Monaten vergingen und in diesem Jahr jährte sich der Todestag von Kimiko zum zweiten Mal. Inzwischen waren Mimi und Tai nicht nur Eltern einer anderthalb jährigen Tochter, sondern auch ein verheiratetes Ehepaar. Der sommerlich heiße Tag lag in den letzten Zügen und die Sonne stand bereits tief am Horizont, als Mimi ihrem Ehemann von hinten auf die Schulter schlug. „Ihr habt eine besonders abstrakte Sandburg gebaut...“ sagte sie grinsend und gab ihm zur Begrüßung einen Kuss. „Haru-chan ist eben besonders kreativ...“ entgegnete Tai und beobachtete seine Tochter dabei, wie sie freudig nach ihrer Mutter rief. Mimi reichte Tai die Einkaufstaschen und nahm ihre Tochter auf den Arm. „Hallo meine Süße...“ flüsterte sie und küsste Haruko auf die Wange. „Was habt ihr denn wieder alles eingekauft? Echt, Weiber sollte man nicht allein los ziehen lassen...“ neugierig kramte Tai in den Taschen und zog eine große runde Pappschachtel heraus. „Das kannst du gleich mal auspacken. Meine Schwester meinte, dass es ein Fußball wäre, den sie beim Umzug im Keller gefunden hätte….“ Taichi setzte sich in den warmen Sand und beobachtete seine Tochter und Mimi, wie sie gemeinsam im Sand spielten. Er öffnete den Deckel der Schachtel und war verwirrt, als er keinen Fußball, sondern kleine blaue Söckchen darin fand. „Da ist kein Fußball drinnen...“ maulte er genervt und sah zu Mimi. „Wie, da ist kein Fußball drin? Was ist denn da drin?“ fragte sie unschuldig. „Irgendwelche blauen Socken...“ „Und unter den Socken?“ fragte sie weiter nach und musste sich ihren bissigen Unterton verkneifen. Taichi hob die kleinen Baumwollsocken an und darunter lag ein Foto. Bei näherer Betrachtung erkannte er, dass es sich dabei um ein Ultraschallbild handelte. Die dreidimensionale Aufnahme zeigte das heutige Datum und es war wesentlich mehr, als eine kleine Bohne darauf zu erkennen. Inzwischen war Mimi zu ihm gekommen und kniete vor ihm im Sand. Lächelnd sah sie ihn an und wartete auf eine Reaktion von ihm. „Ist deine Schwester schwanger oder was?“ fragte er begriffsstutzig und Mimi ließ den Kopf verzweifelt hängen. Warum war er denn nur so dämlich? „Warum hast du mir nichts gesagt? Wie weit bist du denn?“ plötzlich klang seine Stimme ernst und überhaupt nicht mehr scherzend. Sein Tonfall machte ihr Angst und sie wagte es kaum, ihren Kopf zu heben. Mimi wusste doch, wie sehr er sich ein weiteres Kind wünschte und beide hatten es so oft probiert und es hatte nicht geklappt. Also warum freute er sich jetzt nicht? Weshalb klang seine Stimme so ernst, als wäre er enttäuscht? Sie spürte seine Finger unter ihrem Kinn. Taichi zwang sie ihn anzusehen. Ihre goldbraunen Augen weiteten sich, als sie erkannte, dass er weinte. „Ich bin in der 15. Woche und wollte dir erst etwas sagen, wenn es ganz sicher ist. Es ist ein Junge...“ murmelte sie unsicher. Er kniff seine Augen zusammen und rang mit den Tränen. Stürmisch zog er sie in seine Arme und presste sie gegen seine Brust. Mimi konnte den schnellen Schlag seines Herzens deutlich spüren und schloss erleichtert ihre Augen. „Alles was ich jemals wollte. All die Dinge die ich mir für mein Leben jemals ersehnt habe, du hast sie mir erfüllt. Ich habe alles was ich jemals wollte. Du machst mich so glücklich. Ich danke dir Mimi.“ zärtlich legte er seine Lippen auf die ihren und küsste sie hingebungsvoll. Die junge Mutter löste sich aus seinen Armen und wendete ihm den Rücken zu. Lächelnd schmiegte sie ihren Rücken an seine Brust und schlang seine Arme um ihren Bauch. Vor langer Zeit saßen sie bereits genauso am Strand. Mimi drehte vorsichtig seinen Unterarm in ihren Händen und betrachtete seine Tätowierung. Unverändert standen dort die filigranen Schriftzüge: »Life is Pain« „Glaubst du immer noch, dass das Leben nur Schmerz ist?“ liebevoll strichen ihre Fingernägel über seine Haut. „Damit wir das erreichen, was wir uns von Herzen wünschen, müssen wir kämpfen und in Kauf nehmen, verletzt zu werden. Ja, ich glaube immer noch daran. Aber nur der Schmerz den wir erleiden, macht uns bewusst, was wirklich wichtig ist und ich bereue nichts davon.“ er legte seinen Kopf auf ihre Schulter und beobachtete ihre gemeinsame Tochter, die im Schein der untergehenden Sonne am Strand spielte. „Es wird wohl immer etwas geben, das man sich wünscht und wir werden wohl niemals all das haben, was wir wollen. Aber es sind die kleinen Dinge im Leben, die alles so wertvoll machen.“ ~*~*~ENDE~*~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)