Schicksalswege von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 47: Wiederkehr ---------------------- Niemand hatte damit gerechnet...   Niemand...   Es gab zwar Spekulationen, Vermutungen und Vorahnungen, aber jeder Mensch hatte noch auf eine friedliche Lösung gehofft... Das alles zerplatzte und die Revolution war nicht mehr vermeidbar... Alle gingen bewaffnet auf die Straßen – auch Frauen und Kinder... Sie wollten die Monarchie stürzen, denn nach den Worten von Robespierre hatte sie das Volk verraten und nun wollten, die schon sowieso wütenden und von Hass zerfressenen Menschen, Rache nehmen... Für die Freiheit gegen die Unterdrückung, für die Gleichheit mit den Rechten der Mächtigeren und Brüderlichkeit zwischen ihnen allen...   Oscar distanzierte sich mehr und mehr von ihrem Elternhaus und von ihresgleichen. Schon bald wechselte sie die Seiten, nachdem der Finanzminister Necker entlassen wurde, und der die Sympathie des Volkes genoss. Nach seiner Entlassung griffen die Menschen zu den Waffen. Oscar hatte ihrem Vater einen Abschiedsbrief hinterlassen, dass sie nie wiederkehren würde, dass sie auf der Seite des Volkes stehen würde und dass sie nach dem Kampf das Leben einer Frau führen würde. Sie wusste mit Sicherheit, dass ihr Vater sie dafür verstoßen würde und das bedauerte sie, aber sie sie tat es für André und um frei zu sein, so wie er.   André war erneut verschwunden - zusammen mit Jean nach dem sie sich von Rosalie verarzten ließen. Oscar wusste nicht, ob ihr Geliebter zurückkommt, aber sie hoffte sehr darauf. Er hatte sie doch nie im Stich gelassen! Ihre Hoffnung war ihr noch das einzige Trost und die Gewissheit, dass er noch lebte.       - - -       Der Tag ging zu Neige, die Kämpfe wurden für heute eingestellt und Oscar lief an den Barrikaden entlang, die für die Sicherheit des Volkes vor den königlichen Soldaten errichtet worden waren. Sie dachte an André und das, was heute geschehen war: Sie hatte sich mit ihrer Söldnertruppe auf die Seite des Volkes geschlagen, ihren Rang und Titel abgelegt. Für ihren Verrat wurden sie vom königlichen Regiment dafür durch die ganze Stadt gejagt. Nicht einmal die Hälfte ihrer Soldaten hatte es überlebt - darunter Jérôme und Lassalle. Dennoch konnten sie dann trotzdem durch die Mitte der feindlichen Linien brechen und die Tuilerien erreichen, wo Bernard und die andere auf sie warteten. Nun wiegten sie sich hier schon seit Stunden in Sicherheit, aber der Schein trog. Jeder wusste, dass ab morgen der Kampf aufs neue beginnen würde – und bestimmt noch brutaler und grausamer als heute.   Oscar passierte gedankenverloren eine kleine Kirche und blieb plötzlich vor ihr stehen. Man hatte die gefallenen Soldaten und Bürger, nach dem heutigen Kampf, dort zur letzten Ruhe gebettet. Es waren viele und morgen würde es noch mehr sein. Und übermorgen... Bis das ganze töten und kämpfen irgendwann ein Ende finden würde... Dieser Tag schien jedoch in weiter Ferne zu liegen, das verstand Oscar mit Wehmut an ihrer Seele.   Vor der Kirche, auf den Stufen saßen zwei Männer - das waren Léon und Jean. Sie betrauerten Jérôme. Für einen war er ein Bruder und für den anderen ein Freund. Oscar seufzte schwer und ging zu ihnen. Léon erhob sich schnell, als er sie kommen sah. Hastig fuhr er mit seinem Ärmel über den Augen und versuchte stramm zu stehen. „Ich werde gleich auf mein Posten zurückkehren, Kommandant!“   „Schon gut.“ Oscar deutete ihm daraufhin, bequem zu stehen. „Du kannst noch vor der Kirche sitzen bleiben. Heute soll jeder seine Pause haben.“   „Danke, Kommandant.“ Léon setzte sich wieder auf die Stufen, vergrub sein Kopf in den Händen und verfiel wieder in Trauer.   Oscar störte ihn dabei nicht. Morgen würde er sich bestimmt gefangen haben. Wenigstens halbwegs. Oscar schaute zu Jean, der dicht bei seinem Freund stand und ihm beistand. „Pass auf ihn auf, so wie du stets auf meinen André aufgepasst hast“, sagte sie mit leicht belegter Stimme zu ihm.   „Das werde ich“, erwiderte Jean genauso bedrückt. „Wenigstens seid Ihr nicht so Wortkarg wie unser alter Freund Alain...“   „Wo ist er eigentlich?“ Das hatte Oscar wirklich etwas gewundert, denn Alain war auch ein Freund von Jérôme.   „Auf seinem Posten.“ Jean zuckte beiläufig seine Achsel. „Er war schon hier und hatte eine Schweigeminute mit uns abgehalten, aber dann sagte er, dass das Leben weitergeht, das Rad des Schicksals wird nicht aufhören sich weiterzudrehen und das wir nicht die einzigen sind, dessen Herz in dieser Stadt blutet. Dann ist er auf sein Posten zurückgekehrt. Ich meine, er hat schon recht, aber musste er es gleich so hart rüberbringen?“   „Er wird bestimmt seine Gründe dafür haben“, meinte Oscar zuversichtlich, um beide Seiten zu verstehen. „Aber ich denke nicht, dass ihn das kalt lässt. Immerhin weiß er wie es ist, einen geliebten Menschen zu verlieren.“   „Da könntet Ihr recht haben, Kommandant Oscar“, stimmte ihr Jean zu und Oscar wollte ihren Weg fortsetzen, als ihr Brustkorb sich schmerzlich zusammen zog. Sie blieb abrupt stehen und wandte sich an Jean zurück, ohne ihn anzusehen. „Kannst du mir noch einmal von André erzählen? Und wie ihr euch aus den Augen verloren habt?“   „Ja, das kann ich.“ Jean holte tief Luft. Eigentlich hatte ihr das schon erzählt, als sie mit den überlebenden Soldaten zu dem Volk zurückgestoßen war. Das war aber in Hast und oberflächlich. Jetzt wollte sie sicherlich mehr Details erfahren und darüber nachdenken. „Als das alles heute in den Tuilerien losbrach, waren wir mit einer handvollen Verstärkung hierher unterwegs. Ein feindliches Regiment hatte uns den Weg abgeschnitten und auf uns geschossen. Wir wurden von einender getrennt und das einzige was ich in dem fliehenden Trubel von André gehört habe, war dass wir uns bei den Tuilerien wieder treffen. Aber anstelle auf ihn, bin auf Bernard und Rosalie getroffen. Danach kamt Ihr mit Euren Soldaten und habt euch uns angeschlossen.“   „Ich danke dir, Jean.“ Oscar seufzte wieder schwermütig. Das war eine magere Hoffnung, zu glauben, dass André nichts zugestoßen war und dass sie ihn bald wiedersehen würde. Aber diese Ungewissheit war auch wenigstens ein kleiner Strohhalm, an den sie sich klammerte und hoffte, dass er noch lebte...       Hastende Schritte hinter ihr, rissen sie aus ihrer Schwermut und beförderten sie schlagartig in die Wirklichkeit zurück. Sie drehte sich auf alles gefasst um: Das war ein Soldat aus ihrer überlebenden Kompanie. Sie blieb jedoch auf der Hut, es könnte ja etwas passiert sein. „Kommandant!“, rief er schon auf halben Weg zu ihr und kaum dass er vor ihr stehen blieb, erstattete er ihr schon Bericht: „Wir haben einen Reiter gesichtet. Alain und Bernard überprüfen ihn gerade!“   „Ein Spion?“ Oscar setzte sofort ihre Füße in Bewegung.   Der Soldat hielt locker mit ihr Schritt und schüttelte den Kopf. „Nein.“ Ein Grinsen umspielte sein Gesicht. „Es ist einer von uns. Er ist Euretwegen zurückgekehrt.“   „Wer?“ Oscar warf dem Mann vorerst einen irritierten Blick von der Seite zu und dann traf es sie wie ein Blitz: „André?“   „Ja, Oberst.“ Das Grinsen des Soldaten verstärkte sich.   Oscar begann zu rennen. Ihr Herz hüpfte und flatterte aufgeregt, als wollte es aus ihrem Brustkorb herausspringen. Sie erreichte den Platz, wo sie Alain zu Wache postiert hatte und entdeckte dort eine kleine Gruppe Menschen. Darunter einige von ihren Soldaten, Alain, Bernard und Rosalie. Im halben Kreis standen sie um ein Pferd und unterhielten sich angeregt mit einem Mann, der das Tier an den Zügeln hielt. Oscar verlangsamte ihren Schritt - der Mann sah nicht wie André aus. Er trug ein dunkelbraunes, wie sein um Länge gewachsenes Haar, einen drei Tage Bart, abgetragene, alte Kleidung und einen staubigen Umhang um seine Schultern.   Oscar wurde mit einem Mal unsicher. Ihr Herz dagegen widersprach ihrem Zweifel und sie blieb schon alleine deswegen nicht stehen. Alain sagte etwas und klopfte dem Mann beherzt auf die Schulter. Dieser sprach trüb ein Beileid aus und in Oscar stieg eine wohlige Wärme auf. Sie kannte diese Stimme nur zu gut! Sie ging beherrscht, undurchschaubar und mit festen Schritten an den versammelten Menschen vorbei. Es wurde immer stiller - die Stimmen verstummten nacheinander, sobald man sie entdeckte. Auch der Mann zu Pferd. Seine Augen glänzten auf einmal freudig und liebreizend. Der Trauer und Bitterkeit wich für kurzen Moment aus ihnen. „Oscar.“ Er ließ die Zügeln seines Braunen los und schritt ihr entgegen. Sie blieben vor einander stehen und musterten sich gegenseitig ausgiebig. „Du hast dich kaum verändert“, fügte er hinzu und strich ihr sachte eine der Locken aus der Schläfe.   Oscar glaubte dagegen in dessen grünen Augen zu versinken. Ihr Herz schmolz, ihre Wimpern wurden ungewollt feucht. Ja, das war ihr André und er war wieder da, bei ihr! „Du dich dagegen schon“, sagte sie neckend, um ihren Gefühlsausbruch zu verbergen. „Wo warst du so lange?“   „Das erkläre ich dir später.“ Seine Finger streiften ihr schon an der Wange und verharrten dann hinter dem Ohr. „Vorerst wollte ich dich sehen, danach Jean und Léon und mit ihnen in der Kirche eine Schweigeminute halten... Für alle die Gefallenen.“   Oscar nickte einvernehmlich. Er wusste also schon von dem Tod seiner Freunde und Kameraden. „Mache das...“   „Und danach wollte ich mich rasieren und mich des Staubes entledigen“, fügte André hinzu und trotz der ganzen, derzeit herrschenden Bitterkeit und Trauer, konnte er sich nicht ein kleines Lächeln verkneifen.   „Das ist gut...“ Auch Oscar konnte nicht mehr. Ihr erging es fast genauso wie ihm. Sein Blick bohrte sich in sie hindurch und entfachte in ihr das Feuer, das sie verdrängt geglaubt hatte. Seine Finger auf ihrer Haut erzeugten einen Schauer an ihrem Körper und ihre Arme legten sich wie von alleine um seinen Nacken. „André, du hast mir gefehlt...“   André schmunzelte jetzt etwas breiter und zog sie mit dem freien Arm schwungvoll an sich. „Du hast mir auch gefehlt, liebste Oscar.“   „Geliebter...“ Oscar sprach das nicht einmal aus, als er seine Lippen über ihren Mund senkte und ihr einen langen Kuss schenkte. Seine kurze Bartstoppeln kitzelten, aber das war ihr gleichgültig. So, wie auch die stehenden Menschen um sie herum.   Ein verlegenes Räuspern unterbrach ihren Kuss - das war Bernard. „Entschuldigt für die Unterbrechung, Lady Oscar.“   „Schon gut.“ Oscar fasste sich schnell und trennte sich wieder von ihrem André, aber blieb dicht bei ihm stehen. „Was gibt es?“   „Ich habe André schon meine Wohnung angeboten, damit er sich nach der langen Reise frisch machen und ausruhen kann.“   „Und ich habe sein Angebot bereits angenommen.“ André grinste verwegen und Oscar errötete, was eher unbewusst war. Den Wink mit dem Zaunspfahl hatte sie schon verstanden, aber wehrte mit einer Handgeste ab. „Dann gehe und ruhe dich aus, André. Wir sehen uns später. Ich muss hier für Sicherheit und Ordnung sorgen.“   „Wie du willst.“ André seufzte beinahe enttäuscht, ging zurück zu seinem Pferd und stieg auf. „Dann bis später.“ Er galoppierte in Richtung Kirche, um seinen Freunden sein Beileid auszusprechen.   „Ich finde, Ihr solltet ihm nachgehen, Oberst“, flüsterte Alain hinter Oscar, als André schon fort war und sie ihm unverändert noch immer nachsah.   „Gehe auf deinen Posten, Alain. Ich weiß was ich tue.“ Oscar strafte ihn mit kühlen Blick und sah André wieder nach. Dieser verschwand schon um die Ecke eines Hauses und die Menschen um sie herum gingen auch auseinander. Außer Alain, Bernard und Rosalie. „Du übernimmst für mich die Befehlsgewalt“, entschied sich Oscar urplötzlich und marschierte wie ein Soldat fort.   „Musst du sie denn unbedingt verärgern?“, fragte Bernard und schüttelte verständnislos den Kopf.   Alain verzog daraufhin ein diabolisches Grinsen. „Ich habe sie nicht verärgert. Ich habe sie nur überredet.“   Rosalie neben Bernard kicherte leise. „Denkst du, Lady Oscar lässt sich wirklich überreden?“   „Das werden wir gleich sehen.“ Alain sprach das nicht einmal zu Ende aus, als ein weißes Pferd mit Oscar im Sattel an ihnen vorbei preschte. „Ich sagte doch, ich habe sie überredet. Man muss nur den richtigen Zugang zu ihr finden.“   „Und das hast du offensichtlich gerade getan“, schloss Bernard beeindruckt.   „Das weniger. Ich weiß nur, dass sowohl André, als auch Oscar nicht ohne einander können“, lehrte ihn Alain eines besseres: „Besonders nicht, wenn sie sich lange nicht gesehen haben. Auch wenn ihre letzte Begegnung gerade erst drei Tage her ist.“   „Die beiden gehören einfach zusammen“, stimmte ihm Rosalie zu und lehnte sich an Bernard. „Wir lassen ihnen die Zeit. Wer weiß schon, ob das heute nicht die letzte Nacht sein wird. Nicht nur für sie, sondern für uns alle.“   „Da hast du Recht“, meinte Bernard zustimmend und schloss seine Frau in seinen Armen noch etwas fester an sich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)