Schicksalswege von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 43: Der General ----------------------- Oscar und André ritten geschwind zum Anwesen, um dort über die Befreiung von Alain und die elf weiteren Soldaten zu beratschlagen. Auf dem Weg ließ der Regen nach und hörte sogar ganz auf. Aber die grauen Wolken hingen weiterhin bleischwer am Abendlichen Himmel und verhießen ihnen, dass es mit dem Unwetter noch nicht vorbei war. Sophie empfing ihren Enkel und ihr Schützling besorgt im großen Kaminraum, der sich im Erdgeschoss befand. Als die zwei ihre nasse Umhänge ablegten um kurz ihre Knochen wärmen zu können, teilte sie ihnen mit, dass General de Jarjayes seine Tochter auf seinem Arbeitszimmer zu sprechen wünschte. André wollte selbstverständlich mitkommen, aber Oscar winkte ab. „Es wird schon nichts passieren“, meinte sie ruhig und ging. André gefiel das ganz und gar nicht. Er achtete nicht darauf, über was ihn seine Großmutter ausfragte und sah nur stumm seiner Geliebten nach. Ein mulmiges Gefühl stieg in ihm hoch und sein Brustkorb zog sich schwer zusammen. Da stimmte etwas nicht! Er musste bei ihr sein! Es würde falsch sein, sie alleine zu lassen! Das miserable Gefühl war noch erdrückender, als jenes früher am Tag vor dem Zimmer des obersten Generals de Bouier beim Parlamentsgebäude. So, als würde etwas ungeheuerliches passieren! So, als würde er Oscar nie wieder sehen und sie verlieren! „André! Sag mir endlich was passiert ist?!“, wiederholte Sophie ihre Fragen, aber diesmal in erhöhten, verärgerten Tonfall, da ihr Enkel keine Anstalten machte ihr zu antworten. André überhörte sie abermals. Seine Sehnen spannten sich von Sekunde zu Sekunde immer mehr und seine Hände ballte er zu Fäusten. Es war eindeutig falsch, hier tatenlos herum zu stehen und auf Oscar zu warten! Sein Herz begann schneller zu schlagen, das dumpfe Gefühl verstärkte sich und er hielt es plötzlich nicht mehr aus. „Großmutter!“, unterbrach er ihre Fragerei. Er versuchte ruhiger zu klingen, als er in Wirklichkeit war: „Wo ist das Arbeitszimmer des Generals?“ Sophie war für einen Augenblick verdattert. „Wieso willst du das wissen? Man darf ihn nicht unbefugt stören!“ „Dann finde ich es selbst heraus!“ Entschlossen machte André einen Ruck und ging einfach aus dem großen Kaminraum in die Richtung, in die Oscar verschwunden war. „Bleib sofort hier!“ Sophie versperrte ihm im Vorsaal an der großen Treppe den Weg: „Das ist unanständig, den General und seine Tochter beim Gespräch zu stören!“ „Das ist mir gleich!“ André schob seine Großmutter rüde bei Seite und setze seinen Weg mit schnellen Schritten fort. Er hatte keine Ahnung, wo sich das besagte Zimmer befand, aber er vertraute auf seinen Instinkt und dieser ließ ihn nicht im Stich. „Bleib gefälligst stehen!“ Seine Großmutter folgte ihm und schimpfte unablässig auf ihn ein, aber einholen konnte sie ihn zu ihrem Leidwesen nicht. Ihr Enkel war einfach zu schnell für sie. André erklomm die große Treppe und hörte schon eine tiefe Stimme. Sie war gedämpft, aber laut und fordernd: „Du wirst sämtliche Auszeichnungen und deinen Dienstrang zurückgeben, hast du mich verstanden?!“ Oscars Antwort konnte André nicht definieren, aber ihr Ton klang ruhig und beherrscht. André schlug unverzüglich den Weg in die Richtung ein, aus der die Stimmen erklangen. Der Gang war lang und es gab dort viele Türen. Bei jeder von ihnen hielt André kurz an und lief gleich weiter. Jedes mal war das eine falsche Tür. Und dann hörte er wieder die tiefe Stimme irgendwo vorne im Gang hallen: „Du willst dich mir, deinem Vater widersetzen? Unglaublich!“ André glaubte zusätzlich das Klirren einer Klinge zu hören und beschleunigte sein Schritt - er rannte. Er hatte es je geahnt, dass etwas schlimmes passieren würde! Seine Oscar war in Gefahr und er würde nicht zulassen, dass der General sie tötete! Mit jedem Schritt wurde ihm immer bewusster, in welches Zimmer er musste, denn auch Oscars ruhige und beherrschte Worte verstand er deutlicher: „...wenn ich sicher wäre, dass der Tod das Leben meiner Männer retten könnte, würde ich Euch gerne mein Leben zu Verfügung stellen! Aber solange ich mein Rang behalte, habe ich vielleicht noch die Möglichkeit, das Leben meiner Männer zu retten!“ Was der General sagte, hörte André nicht mehr zu. Auch Oscars Worte danach, überhörte er gewisslich. Sein Atem ging genauso schnell, wie seine Beine ihn trugen. In seinem Kopf rauschte nur eine Gedanke: nicht zu spät zu kommen um Oscar zu retten! „...es ehrt dich, was du sagst, aber wie auch immer! Auch für mich ist das Leben zu Ende...“ Überstürzt stieß André die Türen auf und bekam gerade noch mit, wie der General sein Schwert hoch über Oscars Kopf gehoben hatte. Sie saß auf einem Stuhl und ihr Vater stand Turm hoch hinter ihr. „Haltet ein!“, schrie André und stürzte auf den Vater seiner Geliebten. Gerade noch rechtzeitig konnte er den tödlichen Hieb verhindern! Draußen zuckte ein greller Blitz vom Himmel und der aufgehörte Regen begann erneut auf den durchnässten Erdboden zu trommeln. Für einen Augenblick war der General überrascht. Der unverhoffte Störenfried packte ihn am Armgelenk der Hand, die das Schwert hielt und stieß ihn nach hinten, ohne ihn loszulassen. „Wer bist du?!“ verlangte er zu wissen. Das Überraschungsmoment war vorüber und er setzte sich zur Wehr. Anstelle seine Frage zu beantworten, schob André den General mit aller Kraft weiter nach hinten, fort von Oscar. „Ich lasse es nicht zu, dass Ihr meine Oscar tötet!“ „Wie bitte?!“ General de Jarjayes wehrte sich noch heftiger. Dieser junger Mann schien ganz offensichtlich in seine Tochter vernarrt zu sein. „Wer bist du überhaupt?!“ Er schaffte es, sich aus dem eisernen Griff zu befreien und den Soldaten von sich zu stoßen. „Geh mir sofort aus dem Weg!“ Drohend holte er erneut mit seinem Schwert aus. André behielt sein Gleichgewicht und nutzte den kleinen Abstand aus, um seine Pistole zu ziehen. Er richtete sie auf den General. „Wenn Ihr nur einen Schritt macht, drücke ich ab! Rührt Euch daher lieber nicht von der Stelle, sonst erschieße ich Euch! Oscar und ich gehören zusammen! Ich werde mit ihr dieses Haus verlassen und...“ „Du bist ein Narr!“, schnitt Reynier de Jarjayes ihm schnaubend das Wort ab, aber bewegte sich nicht. Ob wegen der Schusswaffe oder den Worten dieses Emporkömmlings, war nicht zu erkennen. „Du denkst, du kannst meine Tochter einfach so haben?! Du bist doch ein niemand ohne Rang und Titel!“ Das saß. „Ich verstehe Euch nicht ganz!“, murrte André. Die Beleidigung zur seiner Person machte ihn so wütend, dass er am liebsten auf der Stelle abgedrückt hätte. Aber das konnte er nicht. Er dachte an Oscar, denn immerhin war dieser Mann vor ihm ihr Vater. „Das ist ungerecht“, sagte er stattdessen gedämpft und bemühte sich um Beherrschung: „Warum dürfen zwei Menschen, die sich lieben nicht zusammen sein, ungeachtet ihres Standesunterschied? Alle Menschen auf dieser Erde sind doch gleich! Oder bittet etwa der König auch um Erlaubnis, wenn er jemanden liebt?“ Reynier schäumte vor Zorn und sah flüchtig an diesem unverschämten Soldaten vorbei, der offensichtlich zu Oscars Kompanie gehörte, sie wie ein Gardist begleitete und deshalb auch hier war. Seine Tochter stand hinter dem jungen Mann und ihre Augen waren leicht aufgerissen. Unglaube und Entsetzen standen ihr ins Gesicht geschrieben. Sie war unfähig, sich in das Geschehene einzumischen. „André...“, brachte sie nur tonlos von sich. Ihrem Vater ging dabei ein Licht auf: „Deswegen hast du dich also geweigert, Girodel zu heiraten!“ Oscar erwachte aus ihrer Starre und richtete ihren Blick schlagartig auf ihren Vater. Entschlossen, Ausdrucksstark und ohne jeglichen Emotionen sah sie ihren Vater direkt an. „Ich habe beschlossen, Girodel nicht zu heiraten, weil ich ihn nicht liebe! Mein Herz gehört einem anderen und wenn ich jemals heirate, dann nur ihn! Aber solange ich das Leben eines Mannes führe und es nicht aufgebe, dann werde ich niemals heiraten! Ich werde weiterhin an der Seite meiner Soldaten kämpfen und bis zu meinem Tod keine Frau sein! So, wie Ihr mich erzogen habt, Vater!“ „So wie ich dich erzogen habe...“, wiederholte der General und schaute wieder zu dem jungen Mann. Er lachte dabei grimmig auf. „Hast du das gehört?! So wie ich sie erzogen habe! Das heißt, sie würde niemals irgendjemandes Frau werden! Und sogar wenn sie behauptet, dass ihr Herz jemanden gehört, würde sie niemals ihre Erziehung ablegen können! Weil ich sie so erzogen habe! Sie ist mein Werk, ihr Herz ist aus Stein und demzufolge hat sie keine weibliche Gefühle! Sie denkt wie ein Offizier und das wird für immer so bleiben!“ „Nein, das wird es nicht...“, dachte André bei sich, er fühlte sich elend und verzweifelt. „Sie mag vielleicht Euer Werk, aber niemals Euer Werkzeug sein... Sie hat das Recht auf ein eigenes Leben...“ „Nein, das wird es nicht...“, dachte bei sich Oscar geradestehend und zerrissen. „Ich bin zwar Euer Werk, aber niemandes Werkzeug... Ich bestimme selbst über mein Leben...“ Von draußen, mitten im Regen und Sturm, hallte das Galopp und Schnauben eines Pferdes. „Öffnet das Tor! Schnell, öffnet das Tor!“, folgte gleich darauf die fordernde Stimme eines Mannes. „General de Jarjayes, ich bin ein Bote des Königs! Ich komme aus Versailles und habe eine wichtige Nachricht für Euch! Öffnet das Tor, schnell!“ General de Jarjayes ließ sein Schwert zu Boden fallen. Er musste sofort hin! Da aber dieser Unhold von Söldner die Waffe auf ihn gerichtet hielt, konnte er das nicht tun. „Du machst mir damit keine Angst! Wenn du meine Tochter wirklich so sehr liebst, dann wirst du nicht abdrücken!“, knurrte er rau und setzte seine Füße in Bewegung. André hätte so oder so nicht abgedrückt. Er senkte seine Pistole und ließ den General passieren, der sogleich das Zimmer verließ. Er drehte sich danach um und sah Oscar geradewegs ins Gesicht. Diese erwiderte ihm seinen Blick, offen und klar. „Es tut mir leid...“, sagte sie entschuldigend, aber fest: „Ich wollte dich nicht verlieren und deswegen habe ich ihm gesagt...“ „Ich weiß... Ich habe das die ganze Zeit gespürt...“ André versuchte ein mattes Lächeln, aber das misslang ihm. „Warum hast du dich eingemischt?“, wollte sie von ihm als nächstes wissen. „Aus demselben Grund: Ich wollte dich nicht verlieren...“, gestand ihr André. „Danke.“ Oscar blieb ernst, aber ihre Augen schimmerten etwas glasig. Sofort fuhr sie mit ihren Ärmel über die Wimpern und drängte gekonnt all ihre Gefühle beiseite. „Wir sollten nachschauen, was der Königsbote will.“ André nickte ihr zu und gemeinsam gingen sie los. Der Bote stand gerade im unteren Stockwerk vor dem General und diktierte aus dem aufgerollten Dokument in seinen Händen: „...auf Geheiß Ihrer Majestät der Königin, wird weder gegen den Kommandanten Oscar Francois de Jarjayes, noch gegen ihrer Familie eine Anklage wegen des Hochverrats erhoben! Dennoch wird künftig von der Familie de Jarjayes mehr Loyalität gegenüber der Königlichen Familie erwartet!“, las er zu Ende und verließ dann das Anwesen. „Unsere Königin also...“, murmelte Reynier und wandte sich um. Ganz oben, auf dem Treppenansatz, stand seine Tochter und neben ihr dieser törichter Soldat. „Hast du gehört, Oscar?! Bedanke dich bei Ihrer Majestät! Du bist gerade dem sicheren Tod entkommen...“ Er warf einen Blick auf den jungen Mann an ihrer Seite und seine Gesichtszüge verhärmten sich scharf. „Und was dich angeht... Du hast bis zum Morgengrauen Zeit, die Stadt zu verlassen!“ „Was soll das heißen, Vater?!“, empörte sich Oscar und krauste die Stirn. „Das heißt, dass er von seinem Dienst als Soldat suspendiert ist!“, erklärte der General eisig: „Da aber heute schon genug passiert ist, gebe ich ihm einen Aufschub! Morgen werde ich meine Gefolgsmänner nach ihm schicken! Und wenn er bis dahin nicht aus Paris weg ist, dann wird er getötet!“ „Das könnt Ihr nicht machen!“, protestierte Oscar empört und entsetzt: „Was gibt Euch das Recht so zu verfahren! Er hat sich nur für mich eingesetzt!“ Der General wurde zorniger als bisher. „Falls du es nicht begriffen hast, Oscar, erkläre ich es dir zum ersten und letzten Mal: Er hat es gewagt, gegen mich, einem General und treuen Untertan des Königs, eine Waffe zu richten! Es ist meine Pflicht, jeden Emporkömmling und Verräter zu bestrafen!“ „Aber nicht so! Ihr dürft nicht über sein Leben bestimmen! Er ist ein freier Mann!“ „Ab morgen ist er ein vogelfreier Mann!“ „Dann gehe ich mit ihm!“ „Nein, Oscar, tu das nicht!“, mischte sich urplötzlich André ein. „Denke an Alain... Nur du kannst ihm und den anderen helfen...“ „Aber André...“ „Mein Wort steht fest!“, betonte der General, ohne den kurzen Wortaustausch zwischen den beiden verstanden zu haben: „Ich reite jetzt nach Versailles und empfehle dir das gleiche zu tun, Oscar, wenn du keine Verräterin bist!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)