Schicksalswege von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 30: Unerwartete Rückkehr -------------------------------- Oscar hatte sich von der Explosion in der Kirche erholt. Nur kurzzeitig kursierten Fragen, wer der unbekannte Mann war, der sie gerettet hatte. Oscar hatte nur ganz knapp gemeint, er sei ihr verborgener Leibgardist und André war dann schnell vergessen. Ebenso wie der Fall mit Rosalies Schwester. Für die Königin war das Kapitel Jeanne Valois abgeschlossen. Jedoch nicht für das Volk, aber Marie Antoinette nahm das nicht sonderlich zu Kenntnis. Oder besser gesagt, wollte das nicht zur Kenntnis nehmen. Sie verweilte weiterhin mit ihren Kindern auf abgelegenem Schloss Trianon und beabsichtigte nach wie vor nicht nach Versailles zurückzukehren. Das Volk versank derweile immer weiter im Elend und wurde stetig ärmer. Langsam begannen sich die ärmsten und Verzweifeltesten zu wehren. Sie veranstalteten Übergriffe auf Adelshäuser und fügten ihnen damit kleine Nadelstiche zu. - - - Ein Pistolenschuss donnerte durch die Luft und hallte ohrenbetäubend in der Umgebung wieder. Die Kugel schoss unaufhaltsam aus dem Lauf und traf ihr Ziel genau: Die Flasche zersprang in mehrere Teile und die Glassplitter flogen umher. Oscar senkte ihren Arm und reichte die abgefeuerte Pistole André. „Ein guter Schuss“, lobte er sie: „Du hast alle Flaschen getroffen.“ Er nahm ihr die Pistole ab und legte sie sorgsam in die Waffenkiste zurück. Das war eine gewöhnliche Schießübung außerhalb des Anwesens und trotzdem wahrten sie eine standesgemäße Distanz zueinander. „Ich würde sagen, genug für heute.“ Oscar sah ihn direkt an und konnte ihr verschmitztes Lächeln kaum verkneifen. „Wir haben noch bis zum Abend Zeit. Lass uns nach Paris reiten und den Sonnenuntergang von Notre Dame aus zu beobachten“, schlug sie daher vor. André erhob sich mit der Kiste. Der Gedanke gefiel ihm sehr, aber da gab es einen kleinen Störfaktor und das sagte er auch seiner Geliebten: „Diesen Wunsch würde ich dir gerne erfüllen, aber leider geht es nicht mehr...“ „Wieso nicht?“ Oscar verstand nicht und ihr verwunderter Gesichtsausdruck verlangte nach einer Antwort. Sie setzten ihre Füße in Bewegung und gingen nebeneinander zu den Pferden. „Nun...“, André versuchte erst gar nicht von ihr etwas zu verheimlichen. „Die Zeiten haben sich geändert, wie du schon selbst mitbekommen hast...“ Oscar nickte ihm einvernehmlich zu, sie wusste wovon er sprach und André fuhr mit seiner Rede fort: „Der Notre Dame ist jetzt ein Versammlungsort für Robespierre. Er spricht dort mit seinen Anhängern über menschliche Ideale und entwickelt seine Ideen, wie er als Anwalt dem armen Volk helfen kann während er sich damit auseinander setzt. Deswegen ist der Notre Dame für solche Ausflüge nicht mehr zu empfehlen.“ „Also ist er dort...“ Oscar krauste die Stirn. Sie wusste mittlerweile schon von der Begegnung zwischen André und Robespierre. Sie verstand daher seine Sorge um ihre Wenigkeit und nahm es hin, denn im Tiefsten Winkel ihres Verstandes war sie von Robespierre beeindruckt und fragte sich auch, was er gegen Unterdrückung des Volkes durch Adel zu unternehmen wollte. „Gehst du auch zu ihm, wenn du deine freie Zeit hast?“ „Nein, das habe ich nicht nötig.“ André schüttelte kategorisch mit Kopf und sah Oscar von der Seite an. „Ich verbringe meine freie Zeit lieber mit dir.“ Der letzte Satz entlockte Oscar wieder ein Lächeln. „Und was ist mit deinen Freunden? Lässt du die etwa auch wegen mir im Stich?“ „Meine Freunde kommen meistens nach dir dran, weil ich sie schon oft genug in der Kaserne sehe. Im Gegensatz zu dir.“ „Verstehe...“ Oscar war gerührt. Sie sah ihn auch von der Seite an. Sein Schulterlanges Haar war mit dem sattgrünen Haarband lässig zu einem Zopf gebunden. Wie gerne hätte sie die herausgefallene Strähnen ihm aus dem Gesicht gestrichen, aber sie beherrschte sich. So wie er sich beherrschte, sie nicht in seine starken Armen zu schließen und sie zu küssen. Es war am hellen Tag und nicht ratsam. Allen beiden war das bewusst und sie achteten in der Öffentlichkeit penibel darauf, dass kein Mensch etwas von ihren Gefühlen zu einander bemerkte. Sie erreichten die Pferde und Oscar stieg gleich in den Sattel. André reichte ihr die Kiste und ihre Finger berührten sich für einen Wimpernschlag. Ein wohliger Schauer entstand auf der Haut der beiden und sie rührten sich nicht von der Stelle. Aber nur für kurz. Mit bedauern senkte André den Blick von Oscar und stieg dann auf sein Pferd. Wie lange würde diese Heimlichkeit überhaupt halten?! Langsam verlor das seinen Reiz. Aber sie mussten durchhalten, ob sie wollten oder nicht, denn das hatten sie sich beidseitig vorgenommen. „Es wird schon, wir stehen das schon durch...“, munterte André seine Oscar und sich selbst auf. „Ja, du hast Recht.“ Oscar fühlte sich sogleich etwas besser und trabte mit ihrem Schimmel an. „Lass uns aber trotzdem nach Paris ausreiten, wenn wir die Waffenkiste weggeschafft haben. Zu dir... nur für ein paar Minuten...“, schlug sie errötet und schelmisch vor. André verstand den verborgenen Hintergrund auf Anhieb und bejahte mit einem anzüglichen Grinsen. „Das können wir natürlich machen.“ So ein Angebot von ihr zu hören war sehr ungewöhnlich. Aber da musste sie bestimmt sehr viel Sehnsucht und Hunger nach ihm zu haben, wenn sie sogar über ihren eigenen Schatten sprang. Das freute André umso mehr. Noch eine Seite von Oscar, die er gerade bei ihr entdeckte und die ihm gefiel. Wenn er überlegte, ihm gefiel eigentlich alles an ihr. Auch wenn sie gereizt oder wütend war. Ihr hitziges Temperament kühlte sich schnell ab und bisher waren ihre schlechten Launen niemals gegen ihn gerichtet. Mit den Jahren ihrer Freundschaft wusste er mit ihr umzugehen. Und seit er mit ihr die Liebe genoss, offenbarten sich ihm eine Vielfalt an Eigenschaften von ihr, die er auch sogleich ins Herz schloss. Jeder ihrer Charakterzüge machte Oscar zu der aus, die sie war, ob nun verdrängt oder versteckt und André liebte sie mit jedem Augenblick mehr. „Wollen wir bis zu dem Anwesen um die Wette reiten?“, schlug er vor. Oscar lachte auf. „Du kannst es wohl nicht abwarten, oder?!“ „Du doch auch nicht“, neckte er sie und grinste. „Also gut!“ Oscar fasste ihren Schimmel fester an den Zügel, aber anstatt ihn anzutreiben, zügelte sie ihn unerwartet und ihr so seliges Lächeln erstarb augenblicklich auf ihren Lippen. Wie versteinert starrte sie gerade aus und André folgte ihrem Blick verwundert. Ein Reiter auf einem grauen Pferd steuerte auf sie zu und rief schon lachend aus dem Sattel: „Entschuldigt für die Störung, Oscar... Graf Hans Axel von Fersen meldet sich gesund und munter aus Amerika zurück!“ André schaute blitzschnell zu Oscar hinüber. Diese saß ganz versteift im Sattel, die Fingerknöchel traten weiß hervor, als sie krampfhaft die Zügel festhielt und auf ihrem Gesicht zauberte sie ein kühles, kaum sichtbares Lächeln. „Wie schön. Ihr seid wieder zurückgekehrt. Seid mir willkommen.“ Von Fersen bewegte sein Pferd direkt auf sie zu und brachte es vor ihr zum Stehen. Er nahm seinen Dreizackhut zum Gruß vom Kopf. „Die Freude ist ganz meinerseits. Ihr habt Euch kaum verändert, Oscar.“ Er bemerkte gar nicht, dass noch jemand an ihrer Seite war. Vielleicht war es besser so. Womöglich hätte er André noch erkannt und unangenehme Fragen gestellt, was er an der Seite von Oscar mache und so weiter. „Ich reite dann mal zu mir“, flüsterte André halblaut, dass nur Oscar ihn verstand und wendete sein Pferd. „Tue das“, war das einzige, was Oscar antwortete, ohne in seine Richtung zu sehen. Von Fersen verstand zwar ihren kurzen Wortaustausch nicht, warf aber einen überraschten Blick zu dem wegreitenden jungen Mann. „Ihr gebt Euch mit Bürgerlichen ab, Oscar?“ Es war kein Hohn in seiner Stimme zu hören, eher eine Toleranz. „In sieben Jahren hat sich vieles geändert, Graf.“ Oscar zuckte beiläufig mit den Schultern und gab ihrem Schimmel leicht die Sporen. „Ihr seid bei mir willkommen, Graf und könnt bleiben, so lange Ihr wollt.“ „Ich danke Euch herzlich für Eure Gastfreundschaft, Oscar.“ Von Fersen trieb neben ihr nun auch seinen Grauen zu einem gemächlichen Gang an. „Aber was hat sich denn noch so verändert?“ „Ganz Frankreich ist in einem anderen Zustand als damals, wo Ihr es verlassen habt.“ Oscar erzählte ihm von der Halskettenaffäre und von den kleinen Übergriffe der Bürger aus Paris auf Adelshäuser, was von Fersen sichtlich erschütterte, entsetzte und zu denken gab. - - - „Die Menschen werden immer mutiger und es wird bestimmt nicht mehr lange dauern, bis sie sich endlich erheben“, prophezeite Bernard bei einem seiner Besuche in der Kaserne. „Ich muss zugeben, das geschieht einigen der Adligen Recht. Aber solange sie Oscar aus dem Spiel lassen...“ André zog streng seine Augenbrauen zusammen, was die Ernsthaftigkeit seiner Worte unterstrich. „Das kann ich dir nicht versprechen“, unterbrach ihn Bernard und schmunzelte listig. „Aber wenn sich die Verhältnisse in unserem Land nicht ändern, dann werde ich höchstpersönlich nachhelfen.“ „Was hast du denn vor?“ Andrés Neugier war erweckt und gleichzeitig beschlich ihn ein mulmiges Gefühl. Bernard verstärkte sein Schmunzeln. „Ich weiß es noch nicht, aber ich habe eine Idee, wie ich den Ärmsten der Armen helfen könnte und bin schon am überlegen, es in die Tat umzusetzen.“ „Was ist das für eine Idee?“, hackte André ungeduldig nach. Ihm gefiel nicht sonderlich, wie sein Freund um den heißen Brei redete. „Das kann ich dir nicht verraten. Noch nicht. Aber vielleicht kommst du selbst darauf, falls ich es umsetze“, beendete Bernard knapp und wechselte gleich das Thema, um nicht weiter darauf einzugehen. „Hast du eigentlich schon gehört, dass der Liebhaber der Königin aus Amerika zurückgekehrt ist?“ „Ja, das habe ich.“ Er hatte seine Rückkehr ja praktisch mit eigenen Augen gesehen. Und nicht nur das. Im Umland ging wenige Tage später die Kunde umher, dass von Fersen die Königin überredet hatte, nach Versailles zurückzukommen. Der Graf trat sogar in ihre Dienste ein und hatte seinem Vaterland Schweden für sie abgeschworen. Sie hatte auf ihn gehört und weilte nun schon seit einigen Tagen wieder in Versailles, wie es sein sollte. Allerdings ihren Pflichten als Königin blieb sie weiterhin fern. Später am Tag der Rückkehr des Grafes, war Oscar zu André geritten und mit ihm leidenschaftliche Stunden verbracht. Sie hatte sich an ihn geklammert, wollte ihn gar nicht loslassen und im Sturm der Liebe seinen Namen geflüstert: „André, mein André, ich liebe dich aus tiefsten Herzen, nur dich... nur dir gehöre ich... du bist mein Mann...“ „Liebste Oscar, meine Oscar... niemand wird uns jemals trennen können, das schwöre ich dir... ich liebe dich mein Leben lang...“, hatte er ihr im Rausch der Wonne und Lust zurück geantwortet. André hatte darauf geachtet, dass sie nicht später Schwanger wurde. Er hatte sich dazu an einige Ratschläge von Alain erinnert, denn dieser war ein erfahrener Frauenheld und kannte sich damit nur zu genüge aus. Das gehörte jetzt aber nicht hierher und André kehrte wieder in die Wirklichkeit zurück. Von der Rückkehr der Königin nach Versailles und dass von Fersen in ihre Dienste getreten war, wusste auch Bernard. Er wollte nur seinen Freund auf die Probe stellen. „Und was sagst du dazu? Meinst du, ob sich deswegen wirklich etwas ändert? Oder werden die zwei wieder eine Affäre beginnen? Die Menschen werden erneut über sie reden.“ „Das ist mir gleich, Bernard“, unterbrach ihn diesmal André. „So lange sie über Oscar keine Lügengeschichten verbreiten, dann können sie reden über wen sie wollen.“ Solche Aussagen fielen Bernard nicht zum ersten Mal auf und das machte ihn umso neugieriger. „Du hängst sehr an ihr. Was ist denn an ihr so besonderes, außer dass sie ein herzensguter Mensch ist?“ „Sie setzt sich für die Schwächeren ein und liebt die Gerechtigkeit. Sie kann Lügen und Falschheit nicht ausstehen.“ André stellte sich Oscar vor und seine Mundwinkel zogen sich leicht nach oben. „Sie ist der wunderbarste und gütigste Mensch den ich kenne.“ „Hmpf...“ Bernard überlegte. Er wollte André glauben. Wenn diese eine Adlige in Männerkleidern wirklich so war, wie André es ihm immer vorschwärmte, dann könnte man sie für eine gerechte Sache sicher sehr gut gebrauchen. „Meinst du sie würde Seiten wechseln können?“ „Ich denke schon... Sie ist zwar adlig, aber ihr Herz schlägt mehr für das einfache Volk...“ André gefiel ganz und gar nicht, wie Bernard seine Frage betont hatte. Das klang, als wolle sein neuer Freund sie für etwas ausnutzen. „...und für dich, deiner Meinung nach zu urteilen“, meinte Bernard und verstärkte sein wissendes Schmunzeln. „So wie mein Herz für sie schlägt, so schlägt auch ihres für mich“, stellte André klar und fest. „Und Oscar hat das Anrecht selbst zu entscheiden, was sie macht“, fügte er hinzu und gab Bernard somit zu verstehen, auf wessen Seite er stand. „Das kann ich ihr nicht nehmen.“ Bernard legte ihm beruhigend seine Hand auf die Schulter, klopfte leicht darauf und ließ sogleich von ihm ab. „Wenn wir schon über deinen Kommandanten sprechen, hast du eigentlich etwas über Rosalie von ihr herausfinden können?“ „Nein.“ André atmete tief ein und aus. „Außer, dass Rosalie jetzt bei den Polignacs wohnt.“ Bernard belehrte ihm dagegen eines Besseres. „Ich habe mich vor kurzem erkundigt. Rosalie wohnt nicht mehr dort.“ André zuckte die Achseln. „Dann weiß ich nicht, wo sie ist.“ „Schade. Ich werde mich wohl bei der Suche anstrengen müssen“, seufzte Bernard schwermütig. Dessen trübe Gemütsverfassung entging André keineswegs. „Du scheinst Rosalie sehr zu mögen, obwohl du sie nur ein einziges Mal gesehen hast.“ „Ich will nicht leugnen, dass sie mir gefällt und ich sie seit dieser einzigen Begegnung nicht mehr vergessen kann.“ „Verstehe...“ André ging ein Licht auf: „Kann das sein, dass du dich in Rosalie verliebt hast?“ „Wäre möglich...“, gab Bernard vorsichtig zu. Er war nicht der Mensch, seine Gefühle offen zu schau zu tragen. Nun war es André, der ihm seine Hand auf die Schulter legte und ihm darauf beherzt klopfte. „Sag das doch gleich. Ich finde, ihr würdet gut zusammen passen. Und ich versichere dir, ich werde dir behilflich sein, deine liebe Rosalie zu finden.“ „Ich danke dir, André.“ Bernard reichte ihm im Gegenzug seine Hand und nach einem kräftigen Handdruck, verabschiedete er sich von ihm. Es war Zeit zu gehen und die Besuchszeit in der Kaserne war auch gleich vorüber. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)