Schicksalswege von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 28: Neue Bekanntschaft ------------------------------ Der Gasthof, in den André und Alain einkehrten, war gerammelt voll mit durstigen und lauten Gästen. Es erinnerte André fast an diese Stube, wo er mit einer vulgären Brünette mit grauen Augen konfrontiert wurde... „Vielleicht sollen wir lieber woanders hingehen?“, schlug er mit ungutem Gefühl seinem Freund vor und schaute sich achtsam um. Die Männer widmeten sich lieber dem Bier und ihrem leutseligen Gelage, als zwei Neuankömmlinge zu beachten. Wenigstens tanzten hier keine Frauen auf den Tischen – im allgemeinen sah man hier keine Frau. Auch nicht solche, die Bier austrugen und die Gäste mit ihrer zur Schau gestellten Oberweite bezirzten. „Denkst du, in andren Gasthöfen sieht es anders aus?“ Alain lachte derb und schob seinen Freund über die Türschwelle. „Da drüben ist noch frei!“ Er wies ihm mit seinem Kinn in einer Ecke, wo in der Tat ein einigermaßen freier Tisch war. Allerdings saßen dort bereits zwei Männer. „Wenn wir nett fragen, dann können wir vielleicht mit ihnen ein Bierchen trinken. Immerhin sieht es besser aus, als das ganze Getümmel hier und eine gute Gesellschaft würde dich vielleicht von deinen Sorgen noch mehr befreien.“ „Wenn du meinst...“ André verdrehte die Augen und stimmte ihm schlussendlich zu. Sie schoben sich zwischen Bänke, Stühle und vorlauten Trunkenbolden; bekamen von einem oder anderen ein Schimpfwort zum Hören, aber je näher sie an den besagten Tisch ankamen, desto mehr öffnete sich die Sicht auf die beiden Männer. Alle beide waren bürgerlich, aber vornehm wie Studenten oder Juristen angekleidet. André blieb mitten auf dem Weg wie angewurzelt stehen und bewog Alain dazu das gleiche zu tun. „Was hast du jetzt schon wieder?!“, neckte ihn Alain missmutig, als er sich zu ihm umsah. André beachtete ihn nicht weiter und wies ihm erstaunt auf einen der Männern mit seinem Blick hin. „Kommt dir dieser nicht bekannt vor?“ „Hmpf.“ Alain betrachtete den Mann nun genauer auch und verengte seine Augen zu Schlitzen. „Du hast recht. Ich habe ihn schon mal gesehen. Und er sieht dir ähnlich...“ André fiel der Vorfall ein und er half seinem Freund auf die Sprünge. „Als Rosalies Mutter von der Kutsche einer Adligen überfahren wurde, war er auch dabei gewesen. Er hat sich für Rosalie eingesetzt und wollte ihr helfen. Und dann war er auch bei Beerdigung dabei. Seit dem hatten wir von ihm auch nichts mehr gehört.“ „Jetzt wo du es sagst, fällt es mir wieder ein.“ Alain setzte seine Füße in Bewegung. „Um so leichter wird es uns fallen, mit ihnen Bekanntschaft zu machen!“ Erneut verdrehte André die Augen: Alain war unverbesserlich! Gemeinsam erreichten sie den Tisch und Alain kam sogleich ins Gespräch: „Guten Abend die Herren! Mein Name ist Alain de Soisson und das ist mein bester Freund André Grandier. Können wir uns zu euch setzen? Wir sind gerade auf der Suche nach einem freien Plätzchen...“ „Danach könnt ihr lange suchen. Setzt euch ruhig zu uns.“ Der ältere Mann mit Perücke lächelte und stellte sich gleich vor: „Mein Name ist Maximilien de Robespierre und das ist mein Schüler Bernard Châtelet. Er ist ein angehender Journalist und ich bin ein Anwalt für das Volk.“ „Ein Anwalt für das Volk?“ André tauschte mit Alain einen fragenden Blick und nahm mit ihm Platz gegenüber den beiden Männern. „Ja, ein Anwalt für das Volk.“ Robespierre verstand ohne weiteres, dass dieser Begriff für die beide ganz neu war und erklärte es ihnen bereitwillig genauer: „Ich helfe den armen Menschen auf die Beine zu kommen. Der Adel presst durch Erhöhung der Steuer aus ihnen das letzte Blut heraus und ich kämpfe dagegen an. Bisher habe ich noch nicht viel erreichten können, aber irgendwann werde ich das gewiss! Das Volk explodiert doch schon, wenn es das Wort Adel nur hört. Das heißt, es wird nicht mehr lange still halten und die Unterdrückung erdulden, sondern handeln!“ Die Worte von Robespierre beeindruckten die beide Freunde, aber der Mann selbst war weder André noch Alain geheuer. Etwas düsteres lag in seinen Blicken, etwas das sie nicht direkt beschreiben konnten. André musste dabei an Oscar denken. „...aber es sind doch nicht alle Adligen gleich“, entfuhr es ihm unbeabsichtigt. Alain stieß ihm unter dem Tisch mit seinem Fuß an der Wade, aber es war schon zu spät. Die beiden Männer hatten André deutlich gehört und zogen missmutig ihre Augenbrauen zusammen. „Dann nennt einen Beispiel!“, verlangte Bernard sogleich. Die zwei Männer kamen ihm bekannt vor, aber er konnte sie zu seinem Leidwesen nirgends mehr zuordnen. Daher verlegte er es auf später und konzentrierte sich auf das eigentliche Thema. „Habt Ihr etwa schon einen Aristokraten gesehen, der sich für das einfache Volk einsetzt?“ „Eine tut es mit Sicherheit.“ André sah Bernard offen ins Gesicht. Im Gegensatz zu Robespierre, verursachte dieser Mann ihm kein Unbehagen. „Und ihr Name ist Oscar Francios de Jarjayes.“ „Was für ein komischer Name für eine Frau!“ Bernard glaubte ihm nicht. Robespierre dagegen verzog sein Gesicht. „Die kenne ich schon. Wir sind uns vor vielen Jahren in Arras begegnet. Sie ist Kommandant in der königlichen Leibgarde. Anfangs schien sie mir aufrichtig zu sein, aber im Grunde genommen denkt sie wie alle ihresgleichen und hat keine Ahnung, das das Land hungert und stirbt. Sie war entsetzt, als ich ihr von der Habgier und der Verschwendungssucht der Königin erzählt habe. Das hat mir dann die Augen geöffnet, dass sie nichts weiter ist, als eine Marionette Ihrer Majestät und wird daher genauso wenig einen Finger krumm machen, um dem einfachen Volk zu helfen.“ André kam es vor, als hätte er einen Stoß ins Zwerchfell bekommen. Widerwillig musste er Robespierre in einem Punkt zustimmen: Oscar war eine Marionette der Königin und diese hatte über sie die volle Macht. In dem anderem Punkt aber, widersprach er: „Oscar Francois de Jarjayes ist der gütigste Mensch, den ich kenne!“ Ihm passte es auch nicht, wie Robespierre und Bernard über Oscar redeten. Alain stieß ihn erneut mit seinem Fuß unter dem Tisch – diesmal noch kräftiger, aber André reagierte nicht darauf. Robespierres Gesichtszüge wurden noch härter. „Wie interessant. Wieso seid Ihr Euch denn so sicher?“ „Meine Großmutter arbeitet als Haushälterin auf dem Anwesen und ich besuche sie öfters.“ André richtete seinen Augenmerk von Robespierre auf Bernard. „Ich weiß nicht, ob Ihr Euch an mich und meinen Freund erinnert, aber an das Mädchen, dessen Mutter von einer Kutsche der Adligen überfahren wurde, ganz bestimmt. Oder?“ André sah förmlich, wie bei Bernard sich Augen weiteten und wusste, dass er ins schwarze getroffen hatte. „Ich habe seither nichts mehr von ihr gehört...“, murmelte Bernard überrascht. „Ich schon.“ André schmunzelte hinterlistig. „Ihr Name ist Rosalie und sie wohnt schon seit Jahren im Hause de Jarjayes. Kommandant Oscar hat sie bei sich aufgenommen und sogar die Mörderin ihrer Mutter gefunden. Leider haben sie keine Beweise, um sie zu überführen...“ „Na seht Ihr?“, mischte sich Robespierre unbeeindruckt ein: „Für die Adligen braucht man Beweise, um sie für ihren Verbrechen zu bestrafen, aber ein einfacher Bürgerlicher würde an dieser Stelle sofort und ohne gerichtlichen Prozess hingerichtet. Deswegen sagt mir nicht, dass nicht alle Adligen gleich sind!“ Robespierre erhob sich. „Ich wünsche euch beiden einen schönen Abend. Bernard, kommt Ihr?“ „Ja.“ Bernard nickte, aber bevor er seinem Mentor folgte, umrundete er den Tisch und beugte sich zu André etwas vor. „Wenn Ihr einen Augenblick warten würdet, dann komme ich gleich wieder. Ich möchte, dass Ihr mir mehr über Rosalie erzählt.“ Er lächelte matt, dann folgte er seinem Lehrer nach. André sah verdattert dem Journalist nach, während Alain aufstand und an der Theke zwei Bier bestellte. Als er zurück kam, hatte André sich schon gefangen. „Ein merkwürdiger Mann dieser Robespierre.“ Alain stellte einen Krug vor seinem Freund und setzte sich neben ihm. „Aber wo er recht hat, hatte er recht.“ „Wie meinst du das jetzt?“ André nahm einen Schluck Bier und stellte den Krug wieder ab. „Ich meine, zum Glück war dein schöner Kommandant nicht dabei. Wenn dieser Robespierre sagt, dass das Volk schon beim Wort Adel explodiert, dann wärst du nicht der Einziger, der sie heute gehabt hätte.“ „Ich weiß immer noch nicht, was du willst.“ André verzog sein Gesicht, aber insgeheim gab er ihm recht. Und dennoch rechtfertigte er sie. „Oscar würde niemals in so eine Spelunke kommen.“ „Weil sie zu fein dafür ist?“ Alain grinste unglaublich und erinnerte ihn gleich an ein Vorfall. „Nun, einmal hatte sie es doch gewagt...“ „Hör auf, Alain! Dieser Vorfall ist Schnee von gestern! Ich werde es nicht zulassen, dass ihr etwas geschieht!“, widersprach André und Alain wechselte das Thema, um nicht auf dessen getroffene Ehrgefühl einzugehen. „Was hältst du eigentlich von diesem Bernard? Wirst du auf ihn warten?“ „Ich weiß nicht, was ich von ihm halten soll.“ André war froh und seinem Freund über das Themawechsel dankbar. „Er scheint mir aber besser zu sein, als dieser Anwalt für das Volk.“ „So sehe ich das auch.“ Alain nahm sich ein kräftigen Schluck. „Da ist unser Jean viel Frommer im Gegensatz zu ihm.“ „Da könntest du recht haben – Jean betreibt zwar eine kleine Organisation im Untergrund, aber öffentlich wirst du nie von ihm etwas hören.“ André tat es ihm gleich und prostete ihm zu. - - - Bernard kam etwas später in den Gasthof zurück, um mehr von Rosalie zu erfahren. André erzählte ihm, wie gut es ihr bei Lady Oscar ging und verbarg gar nicht, wie freundschaftlich verbunden er zu dieser Frau in Männerkleider stand, oder wie gutherzig sie war. Er wollte damit nur erreichen, dass man über Oscar nicht so schlecht dachte. Bernard zweifelte - das sahen die beide Freunde ihm an. „Ich werde es vielleicht erst dann glauben, wenn ich es mir eigenen Augen sehe“, war seine Aussage. „Nur zu“, erwiderte André. „Ihr wisst ja sicherlich, wo sich das Anwesen de Jarjayes befindet.“ „Ich werde es schon finden.“ Im Gegensatz zu Abneigung gegenüber Oscar, empfand er zu André eine Sympathie. „Aber erzählt mir erst über euch. Ihr scheint anständige und nette Männer zu sein.“ „Wir sind einfache Söldner, im Gegensatz zu königlichen Garde – dort sind sie alle adlig.“ Alain schielte zu seinem Freund und grinste breit. „André kenne ich von Kindesbeinen an – wir sind in der Nachbarschaft zusammen aufgewachsen.“ „Das muss ziemlich aufregend gewesen zu sein.“ Bernard war von Natur aus ein ernster Mensch, was ihn von den beiden unterschied. Dennoch fühlte er sich wohl in deren Gesellschaft und taute auf. Er zeigte sogar hin und wieder ein Schmunzeln, wenn einer der beiden über all möglichen Schabernack, welches sie in ihrer Kindheit und Jugend betrieben hatten, ausschweifend erzählten. Nicht lange und die drei Männer schlossen eine gute Bekanntschaft miteinander. Bernard erfuhr noch zusätzlich, wie André und Alain ihr Brot verdienten und versprach sie irgendwann in der Kaserne zu besuchen, um sich ein Bild von den einfachen Soldaten zu machen. Als angehender Journalist wollte er eine gute Geschichte darüber zu schreiben – im Vergleich zum königlichen Garderegiment und wie diese im verschwenderischen Überfluss in Versailles lebten, während die Söldner in der Kaserne bei Paris nur eine magere Kost bekamen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)