Schicksalswege von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 15: Die Feier --------------------- Im Jahre 1781 brachte die Königin den langersehnten Erben auf die Welt. Der ganze Hofstaat und das einfache Volk feierten. Wieder einmal gab es Hoffnung auf bessere Zeiten. „Sollen sie feiern, solange es noch geht“, sagte Alain dazu auf seine raue Art. „Sie sollen nur nicht vergessen, dass der Thronfolger noch ein Wickelkind ist und bis er herangewachsen ist, werden noch Jahre vergehen. Ich mache mir auf keinen Fall zu früh Hoffnungen.“ Er, die Brüder und einige seiner Kameraden, darunter auch André, schlenderten in einen Gasthof, um sich ein kühles Bierchen zu genehmigen und auf ihren dienstfreien Abend anzustoßen. „Ich kann leider nicht mit euch trinken“, verabschiedete sich André von ihnen, kaum dass sie die Kaserne verlassen hatten. „Ich werde meine Großmutter besuchen.“ „Ja, ja, deine Großmutter...“ Alain wusste schon seit langem, was genau hinter diesem Satz gemeint war und klopfte seinem Freund augenzwinkernd auf die Schulter. „Gib doch zu, dass du wieder deine eiskalte Freundin besuchen willst.“ Ein spöttischer Glanz trat dabei in seinen dunkelbraunen Augen. „Uns kannst du nichts mehr vormachen. Jeder von uns weiß doch, dass du auf deine Großmutter nicht sonderlich gut zu sprechen bist. Sie schimpft andauernd mit dir und ich glaube nicht, dass dir das gefällt.“ „Glaub was du willst, Alain.“ André schnitt eine Grimasse, stieg auf sein Pferd und ritt durch die vollen Menschenstraßen in Richtung des Anwesens de Jarjayes. Das Volk jubelte und feierte. Man hörte fröhlichen Gesang, laute Stimmen und trunkene Gelage. Fast jeder hatte einen Krug Bier oder billigen Wein in der Hand. André brauchte daher doppelt so lange, um aus der Stadt herauszukommen als normalerweise. Als er das endlich geschafft hatte, gab er seinem Braunen die Sporen und galoppierte schneller. Mitten auf dem Weg begegnete er ihr unverhofft. Sie ritt ihm auf ihrem weißen Schimmel entgegen und er erkannte sie schon aus der Ferne. Ihr blondes Haar wehte wild im schnellen Ritt und leuchtete hell, fast wie die Sonne selbst. „Oscar!“ Er zügelte sein Pferd und winkte ihr zu. Oscar erkannte ihn ebenfalls und verlangsamte ihren Schimmel. Direkt neben ihm, bewog sie ihr Tier zum Stehen. „Was für ein Zufall! Ich wollte gerade zu dir.“ „Ist etwas passiert?“ André wendete seinen Braunen und gemeinsam ritten sie im gemächlichen Trab nach Paris. „Wieso soll etwas passiert sein?“ Oscar warf ihm einen belustigten Blick von der Seite zu. „Obwohl, es ist schon etwas passiert! Die Königin hat endlich einen Thronfolger geboren! Ist das nicht schön?“ André schmunzelte. „Die ganze Stadt feiert schon deswegen.“ „Wollen wir mitfeiern?“ „Warum auch nicht?!“ Es war ein außergewöhnlicher Anblick, dass sich eine Adlige unter die Bürgerlichen mischte und mitfeierte, als wäre sie von ihresgleichen. Aber wenn Oscar das glücklich machte, dann stellte André ihren Wunsch nicht in Frage. Hauptsache sie lachte und konnte fröhlich sein - nicht gestellt oder geziert, sondern rein und unbeschwert. Beide ließen ihre Pferde bei André im Hinterhof zurück und gingen unter die Menschen, um mit ihnen auf das Wohl des neugeborenen Prinzen zu trinken. Und so blieb es nicht nur bei einem Krug Bier... Mitten auf der Straße stießen sie auf eine tanzende Gruppe. Sie blieben etwas Abseits stehen, um ihnen zuzusehen. „Sie sind alle so fröhlich“, bemerkte Oscar und lachte dieses ausgelassene Lachen, das André so sehr an ihr mochte. „Wollen wir mittanzen?“ Er sah zu ihr und schmunzelte zufrieden. Oscar schüttelte ablehnend den Kopf und hob lieber ihren Krug mit Bier auf die tanzende und singende Menge. „Es ist schöner sie zu beobachten. Daran bin ich mehr als gewohnt.“ Sie leerte den letzten Schluck und wischte sich dann die Schaumreste mit dem Ärmel von ihrem Mund. „Aber wenn du möchtest, kannst du ruhig tanzen gehen.“ „Ich bleibe lieber bei dir.“ André trank ebenfalls sein Bier in einem Zug. „Es ist schöner an deiner Seite zu stehen und den Feiernden zuzusehen, als sich ohne dich  zu amüsieren.“ Und zugegeben: Er hatte sich noch nie zu einem Tanz erdreisten lassen. Er mochte es irgendwie nicht und hatte meistens das Gefühl, dass ihm etwas fehlen würde. Oder besser gesagt, jemand fehlen würde – jemanden, den man auch als bessere Hälfte bezeichnen könnte... „André...“ Oscar war innerlich angetan, sah aber nicht zu ihm. Sie wollte noch etwas sagen, fand aber keine passende Worte. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn bei solch unterschwelligen Komplimenten ertappte. Doch verbieten konnte sie es ihm nicht, denn er war in ihren Augen ein freier Mann und sie wollte ihm seine offene Meinung nicht nehmen. Aus der tanzenden Gruppe löste sich ein junges Mädchen und lief mit einem breiten Lächeln auf sie zu. „André!“, rief sie dabei und winkte fröhlich zum Gruß. „Lady Oscar.“ Sie knickste vor dem adligen Offizier, als sie vor ihnen zum Stehen kam. „Diane!“ André begrüßte sie erfreut und auch Oscar: „Es ist mir eine Ehre, Euch wieder zu sehen.“ André hatte fast vergessen, dass sich die beiden schon einmal begegnet sind. „Die Ehre ist auch meinerseits, Lady Oscar.“ Dianes Augen glänzten immer verzückter und verliehen ihr einen schwärmerischen Ausdruck. „André erzählt uns manchmal von seinen Fechtübungen mit Euch und wie Ihr ihm das Schießen beigebracht habt.“ „Ach ja?“ Oscar sah überrascht zu ihrem Freund. „Nichts Schlimmes.“ André fuhr sich verlegen durch die schulterlangen Haare und wechselte das Thema: „Aber was machst du hier ganz alleine, Diane? Wenn dein Bruder dich mit Männern tanzen sieht, dann wird er nicht begeistert sein...“ „Ach was.“ Diane kicherte sich in die Faust. „Alain ist doch nicht hier. Und ich bin nicht alleine, sondern mit meinen Freundinnen unterwegs.“ Sie zeigte auf zwei Mädchen in ihrem Alter, die wie lebhafte Schmetterlinge bei einem leutseligen Gruppentanz mitmachten. Diane´s Blick wechselte zwischen Oscar und André. „Möchtet ihr beide bei uns mittanzen?“ Die Angesprochenen schüttelten verneinend den Kopf und Diane musste wieder kichern. „Ihr verpasst so Einiges. Es ist gerade so schön.“ „Ich bin im Volkstanz nicht gewandt“, meinte Oscar als Entschuldigung. „Aber André kann von mir aus tanzen gehen.“ „Dann seid Ihr hier alleine...“, bemerkte Diane. Sie hatte den weiblichen Offizier schon damals bei ihrer ersten Begegnung ins Herz geschlossen, denn Lady Oscar unterschied sich sehr von ihresgleichen und war mit André befreundet – ein Zug, der nicht jedem Aristokraten zuzumuten war. „Das macht mir nichts aus“, erwiderte Oscar nett und Diane kehrte aus ihrer Bewunderung in die Wirklichkeit zurück. Es täte ihr schon sehr leid, wenn die sonst so warmherzige Lady Oscar hier unbeteiligt stehen würde. „Und wenn ich Euch den Volkstanz beibringe?“, fand Diane eine Lösung. „Würdet Ihr dann mitkommen?“ Oscars Augen weiteten sich. Das Mädchen war zu freundlich und sie suchte schnell nach einer höflichen Ausrede, um sie nicht zu verletzen. Aber ihr fiel nichts ein. „Also gut“, gab sie nach. Ein kleiner Tanz würde sie schon nicht umbringen. André begleitete Oscar überrascht mit seinen Blicken, wie sie mit Diane zu der tanzenden Gruppe mitten auf der Straße aufschloss. Doch ein junger Mann entriss ihn schon kurze Zeit später davon und gesellte sich zu ihm. „Welch ein Wunder, ausgerechnet dich bei der Volksfeier anzutreffen, André!“ „Hallo, Jean.“ André sah nicht hin. „Ich bin mit Oscar hier.“ „Mit dem schönen Kommandant der königlichen Garde?“ Jean lachte ungläubig, denn er sah niemanden an Andrés Seite. „Du glaubst mir nicht, oder?“ André kam ihm gleich auf die Schliche und zeigte auf zwei Personen in der tanzenden Menge. „Da drüben, siehst du? Zusammen mit Diane.“ „Gut, dass Alain nicht hier ist...“ Jean kratzte sich am Hinterkopf und lachte wieder auf. „Aber ich hätte gerne gesehen, was er machen würde! Er schlägt doch jeden grün und blau, der versucht, sich Diane zu nähren!“ „Ich glaube nicht, dass er sich mit Oscar prügeln würde“, stellte André klar: „Erstens kämpft er grundsätzlich nicht gegen Frauen, egal ob sie Männerkleider trägt; und zweitens müsste er dann erst an mir vorbeikommen...“ Jean wurde sofort stutzig. „Das hört sich an, als würdest du für den schönen Kommandanten mehr empfinden, als du zugibst...“ André sagte dazu nichts und bestätigte Jean damit die Vermutung. Oscar stand fast reglos mitten in der Menge, während Diane um ihre eigene Achse wirbelte. Jean betrachtete das ungleiche Paar ausgiebig und runzelte die Stirn, je mehr sein Blick auf dem Offizier in der roten Uniform haften blieb. „Ein schönes Spielzeug, aber leider in den falschen Händen....“ „Was hast du gesagt?“ André wandte sich ruckartig zu ihm um und zog missfällig seine Augenbrauen zusammen. „Oscar ist kein Spielzeug!“ „Doch mein Freund.“ Jean ließ sich nicht beirren. „Sieh sie dir genauer an und vergleiche sie mit Diane! Während Diane fröhlich und lebhaft um sie tanzt, steht sie da wie ein Soldat und macht höchstens ein paar hölzerne Bewegungen.“ „Oscar kennt keinen Volkstanz und Diane wollte ihr nur zeigen, wie das geht“, rechtfertigte André seine Freundin. „Du verstehst mich nicht...“ Jean seufzte tief und klärte ihn schonungslos auf. „Sie erinnert mich an eine Puppe, die sich nicht von selbst bewegen kann. So, als würde jemand über sie bestimmen und an den Fäden ziehen, um sie zu leiten – wie bei einer Marionette... Solche Menschen sind zum Bedauern - sie leben nur für ihre Pflicht... Bis man genug mit ihr gespielt hat und sie ihren Reiz verloren hat... So ist das Leben der Mächtigeren... Wenn sie dir so sehr am Herzen liegt, André, dann hole sie da raus...“ Um sie vielleicht mehr auf die Seite des Volkes zu gewinnen, denn solche einflussreiche Menschen konnten gut von Nutzen sein... Aber das sagte Jean lieber nicht und ließ sein Satz unvollendet in der Luft hängen. André schluckte bitter. Er hatte bisher nie gewagt, darüber nachzudenken oder so etwas überhaupt auszusprechen. Aber sein Freund hatte gerade den Nagel auf den Kopf getroffen: Oscar war eine Zierpuppe des Hofes und die Königin verfügte nach Belieben mit ihr. Von Geburt an war ihr Weg durch ihren Vater bestimmt und es gab kein Entrinnen – nicht, solange Oscar es nicht selbst wünschte. André wusste nicht, wie er sie da raus holen sollte, denn Oscar würde immer der Königin dienen... André holte tief Luft und stieß sie durch die Nase wieder aus. „Jean...“ Ihm kam ein Geistesblitz durch den Kopf: „Du hast doch überall deine Spitzel, oder?“ Jean spitzte hellhörig die Ohren und senkte bedächtig seine Stimme. „Das hängt davon ab, was du darunter verstehst.“ „Ich möchte dich um einen Gefallen bitten...“, flüsterte André leise und geheimnisvoll. Zwar bedurfte Oscar solches bestimmt nicht, aber er würde sich dadurch vielleicht weniger Sorgen um sie machen, denn Kommandant der königlichen Garde zu sein war sicherlich keine leichte und ungefährliche Aufgabe... Besonders für eine Frau... „Geht es um sie?“ Jean zeigte mit seinem Kinn auf Oscar und André nickte zur Bestätigung. Jean horchte noch mehr auf: „Ich bin ganz Ohr.“ André fühlte sich erleichtert. Jean hatte mit den Jahren eine kleine Organisation im Untergrund aufgebaut, die nur aus Bürgerlichen bestand und als dessen Anführer er galt. So brachte er interessierte Bürger zusammen, besprach die aktuelle Lage und was oder wie man daran etwas ändern konnte. Um über alles im Bilde zu sein, hatte Jean natürlich seine Spitzel, die Informationen von Adligen sammelten und ihm darüber berichteten. So auch bestimmt in Versailles. André ließ Oscar nicht aus den Augen und sprach noch leiser zu seinem Freund: „Ich möchte, dass jemand am Hofe auf sie acht gibt... Während meiner Dienstzeit in der Kaserne kann ich es nicht selbst tun... Und nur an meinen dienstfreien Tagen reicht mir nicht aus... Ich möchte wissen, wie es ihr in Versailles und auch so während meiner Abwesenheit geht... Aber niemand soll davon etwas mitbekommen!“ „Verstehe...“ Jean runzelte nachdenklich die Stirn, umfasste sein bartloses Kinn und  schmunzelte dann listig. „Ich kenne zwei Burschen, die in den königlichen Stallungen arbeiten... Sie versorgen auch die Pferde der Garde... Und nebenbei beobachten sie, was die Soldaten und die Befehlshaber so treiben...“ André verstand und schmunzelte ebenfalls. „Ich wäre dir sehr dankbar, Jean...“ „Wir sind doch Freunde, André.“ Jean klopfte ihm leicht auf die Schulter. „Nun muss ich aber gehen. Gib gut acht auf deinen hübschen Offizier.“ „Das versuche ich, Jean.“ André reichte ihm die Hand und nach einem kräftigen Händedruck verabschiedete sich Jean und war sogleich fort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)