Schicksalswege von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 13: Niemand hat sie verdient! ------------------------------------- Der goldene Herbst verwandelte sich in nächsten Tagen in eine graue Stimmung. Die bunten Blätter fielen weiter, manche Bäume waren bereits schon kahl und sahen gespenstig aus. Dennoch kämpfte sich die Sonne durch die bleischweren Wolken und schenkte der Natur ihre letzte Wärme. Das sanftgrüne Gras wurde immer welker und ragte schließlich nun noch als grässliches, vertrocknetes Gestrüpp aus der Erdoberfläche. Die Menschen und die Natur bereiteten sich auf den Winter vor. Von den Feldern war bereits eine magere Ernte eingebracht - doch die Bauern würden kaum etwas davon haben, denn der größte Teil davon ging als Steuer an den Königshof. Und die Steuern stiegen immer höher... Heute war Andrés letzter, dienstfreier Tag und er wollte ihn besonders gut verbringen, bevor er wieder für lange Monate in der Kaserne verweilen musste. „Wollen wir ausreiten?“, schlug er vor, als er zu Oscar auf das Anwesen kam. „Und was wird aus der Fechtübung?“, konterte sie mit einer Gegenfrage. André zuckte beiläufig mit den Schultern und verdrehte die Augen. Das entlockte Oscar wiederum ein leises Lächeln. „Also gut, lass uns ausreiten.“ Rosalie kam auch mit. Zu dritt ritten sie um die Wette zu dem altbekannten See. André und Rosalie ließen Oscar wieder einmal gewinnen. Diesmal legten sie an dem alten Baum keine Rast ein, sondern ritten gleich wieder zurück - allerdings in einem gemächlichen Trab und ohne Eile. Auf dem Hinterhof des Anwesens machten sie ihre Fechtübung. André hielt sich an sein Versprechen und brachte Oscar dabei zum Lachen. Und trotz des grauen und trüben Tages war Oscar fröhlich. Das begnügte André und Rosalie gleichermaßen. Die ausgelassene Stimmung hielt jedoch nicht lange. Die Fröhlichkeit verschwand schlagartig, als ein Bote aus Versailles kam und Oscar meldete, dass Ihre Majestät sie zu sehen wünschte. Oscar brach pflichtbewusst nach Versailles auf. Es war schon eine Weile her, dass die Königin sie zu sich bestellen ließ. Was wollte sie bloß von ihr? Oscar erfuhr es, als sie in Marie Antoinettes Salon ankam und diese all ihre Hofdamen fortschickte. Es ging um Graf von Fersen. Natürlich. Um wen denn sonst? Die Königin hielt ihr Gesicht verdeckt und bat Oscar um einen Gefallen. „...sagt bitte nicht nein, Oscar, sonst kann ich Euch nie wieder mit reinem Gewissen ins Gesicht sehen...“ Was konnte Oscar schon sagen, außer ihr den Gefallen zu erfüllen: „Seht mich bitte an, Majestät... Glaubt Ihr ernsthaft, ich könnte Euch jemals auch nur eine Bitte abschlagen?“ Dann verließ sie Ihre Majestät und ritt fort. Sie sollte Graf von Fersen ausrichten, dass Marie Antoinette sich heute nicht wie vereinbart mit ihm treffen konnte - weil sie vergessen hatte, dass der König einen hohen Gast erwartete und sie deshalb an seiner Seite sein müsste. Aber sie würde trotzdem versuchen, nachher auf dem Ball mit ihm zu tanzen. Mitten auf dem Weg, an einem Fluss, zügelte Oscar ihr Pferd. Sie stieg ab und ließ sich im welken Gras nieder. Heftige Windböen schoben an ihr vorbei, aber das war ihr egal. Ihre Wimpern wurden feucht, ihre Kehle schnürte sich allmählich zu und ihr Herz zerriss es förmlich. „...Ich bitte Euch, Majestät, verzeiht mir meine Worte, die ich an Euch richte. Aber bei all Eurem Schmerz, den ich sehr gut verstehen kann, scheint Ihr mir eines vergessen zu haben: Nämlich, dass Ihr die Königin von Frankreich seid...“ Oscar fuhr sich mit dem Ärmel über die Augen, aber sogleich sammelten sich schon die nächsten Tränen. „Neulich, als Ihr mich um einen Gefallen gebeten habt, da habt Ihr Euer Gesicht wie ein gewöhnlicher Straßendieb verdeckt... Ich kann gut nachvollziehen, was in Euch vor geht, aber dennoch dürft Ihr dabei nicht vergessen, wer Ihr seid...“ Oscar schnürte es noch mehr die Kehle zu. Die Königin hatte nicht mitbekommen, dass auch ihr Kommandant der königlichen Garde unter dem selben Liebeskummer litt. Und vielleicht war das sogar besser so. Niemand sollte je erfahren, dass die tapfere, so unerschrockene und hartherzige Lady Oscar ihren weiblichen Gefühlen unterlag. Wie sollte es nur weitergehen? Oscar war es leid, diese Rolle zu spielen. Die Sache ging nur von Fersen und Marie Antoinette etwas an. Aber welche Wahl hatte sie denn schon? Es war ihre Pflicht, der Königin beizustehen - ob sie wollte oder nicht. Sie seufzte tief betrübt: „Ach, was redest du, Oscar...“ - - - Die grauen Wolken verdunkelten den Himmel immer mehr und kündigten Regen an. Auch der pfeifende Wind roch zunehmend nach Feuchtigkeit. André war gleich heimgeritten, als Oscar nach Versailles aufgebrochen war. Er hätte sie gerne ein Stück begleitet, obwohl ihre Wege sie in verschiedene Richtungen führten. Aber Oscar wollte das nicht. Das hatte er schon an ihrem kühlen Gesichtsausdruck verstanden, als der Bote Ihrer Majestät ihr die Nachricht mitgeteilt hatte. Gerade rechtzeitig kam er in seiner Wohnung an, bevor der Regen einsetzte. Er trommelte auch noch am Abend gegen die Fensterscheiben der Häuser, auf den gepflasterten Steinboden und einfach auf alles, was sich ihm in Weg stellte - sogar noch stärker als zu Beginn. Das Regenwasser floss in Rinnsalen und schien den sowieso schon nassen Erdboden gänzlich zu überfluten. Und dennoch ritt eine Person ziellos durch die Straßen von Paris. Sie wollte nicht nach Hause und auch nicht ins Trockene. Sie wollte nirgendwohin. Sie ritt von ihren Gefühlen davon und hoffte, dass der Regen sie wegwischen würde. Immer mehr Tränen trieb es ihr in die Augen und das salzige Nass vermischte sich auf ihrem Gesicht mit dem Regen. Sie war bereits völlig durchnässt, aber das war ihr nicht von Bedeutung. Ihre Gefühle erdrückten sie und sie wusste nicht, wie sie sie loswerden konnte. Vielleicht würde es helfen, wenn sie mit jemandem darüber redete? Aber mit wem? In dieser großen Stadt gab es nur einen, dem sie vertraute. Aber sollte sie ihn mit ihren Sorgen belasten? Sicherlich würde er sie anhören, immerhin verband sie mittlerweile eine tiefe Freundschaft! Aber würde es ihr dadurch besser gehen? Die längst vergessene Erinnerung einer Vierzehnjährigen keimte plötzlich in ihr auf: Damals hatte sie sich einen Freund gewünscht, an den sie sich anlehnen und auf den sie sich verlassen konnte. Zweifelsohne hatte sie in ihm eben diesen Freund gefunden, obwohl sie nie daran geglaubt hatte. Dennoch hatte das Schicksal ihre Wege gekreuzt und das musste doch etwas bedeuten... - - - André hätte nie erwartet, dass um diese völlig verregnete, späte Stunde ihn jemand aufsuchen würde. Nach dem kurzen und schlichten Abendmahl bei Alain und seiner Familie, kehrte er in seine Wohnung zurück. Er entfachte ein Feuer in der Kochstelle und bereitete sich einen Tee. Dies hatte er Oscar zu verdanken: Sie trank Tee zu jeder Gelegenheit und nun hatte er es sich auch angewöhnt, eine Tasse nach dem Heimkommen zu trinken. Und die Feuerstelle spendete zusätzlich Wärme in seiner kahlen Wohnung. Ein zaghaftes Klopfen an seiner Tür unterbrach ihn von seiner Tätigkeit. André machte auf und ihm fielen beinahe die Augen aus dem Kopf: Vor ihm stand Oscar! Regenwasser rann nur so aus ihren Haaren und von ihrer roten Uniform herab. Sie sah bedrückt aus - also müsste etwas vorgefallen sein, was sie in diese Stimmung versetzt und was sie sogar dazu angetrieben hatte, ihn bei diesem grässlichen Wetter aufzusuchen. „Darf ich reinkommen?“, fragte sie entschuldigend. „Natürlich!“ André ließ sie herein und schloss die Tür hinter ihr. Dann lief er schnell in seine Kammer, um ein paar Tücher für sie zu holen. Oscar ging bis an den Tisch und hinterließ dabei mit ihren Stiefeln nasse Spuren. Ihre tropfnasse Uniform hinterließ noch zusätzlich kleine Pfützen auf dem Fußboden. Am Tisch drehte sie sich um und schaute ihrem Freund hinterher. Sie wollte nicht, dass er sich ihretwegen Umstände machte. „Wenn es dir aber unpässlich ist, dann kann ich auch wieder gehen...“ „Bei dem Wetter?“ André kam aus seiner Schlafkammer. „Bleib lieber hier, bis es wenigstens aufgehört hat zu regnen.“ Er reichte ihr ein Tuch zum Trocknen. „Danke.“ Oscar nahm das Tuch gerne entgegen und begann ihre kringelnden Locken trocken zu reiben. „Was ist passiert?“ André verbarg erst gar nicht die Sorge in seiner Stimme. Er kehrte zu der Kochstelle zurück und bereitete den heißen Tee für sie, der ursprünglich für ihn gedacht war. Doch daran dachte er nicht mehr. Oscar brauchte ihn dringender und er würde für sich später noch einen Tee machen können. „Was wollte die Königin, dass du so betrübt bist und durch den Regen reitest?“ Oscar war verwundert: Ihr Freund schien sie durchgeschaut zu haben. Sie fühlte sich irgendwie erleichtert, zu ihm gekommen zu sein. All das motivierte sie, sich ihm anzuvertrauen. „Du hast sicher schon von der Affäre zwischen Graf von Fersen und Ihrer Majestät gehört, oder?“ Nach den Haaren begann Oscar nun, ihre rote Uniform von der Nässe zu befreien. „Nicht nur ich. Ganz Paris oder gar ganz Frankreich redet schon darüber.“ André goss die dampfendheiße Flüssigkeit in eine Tasse und stellte sie auf dem Tisch vor Oscar ab. „Danke.“ Oscar legte das feuchte Tuch auf einen Stuhl ab und nahm die Tasse an sich. Ihre unterkühlten Finger zitterten und sofort durchströmte sie diese angenehme Wärme. „Ihre Majestät bat mich, dem Grafen etwas auszurichten und das habe ich gerade getan. Ich komme gerade von ihm... Aber ich glaube nicht, dass das übliche Gerede über sie beide dadurch weniger sein wird...“ Sie senkte ihre langen Wimpern und trank einen Schluck. Heiß rann ihr der Tee den Hals hinab und verbreitete sich erwärmend in ihrem Inneren. Das tat ihrem Körper gut, aber nicht ihrer Seele. „Also möchte sie, dass du ihr hilfst“, schlussfolgerte André. Er zählte nur eins und eins zusammen. „Und deswegen bist du hier, weil du nicht weißt, was du machen sollst.“ „Ich will gar nichts mehr machen, André...“ Oscar kehrte ihm auf einmal den Rücken und ging langsam an das Fenster seiner Schlafkammer. Der Regen schien nachzulassen, trommelte aber immer noch gegen die Fensterscheibe. Die Tropfen liefen in Rinnsalen herab, vereinten sich mit anderen und setzten ihren Weg dann fort. „Die Sache geht nur die beide etwas an.“ Es drückte Oscar wieder trostlos im Brustkorb. Alle, vor allem die Königin, setzten große Erwartungen in sie. „Aber wer denkt dabei an mich?“, brachte sie halblaut hervor „Ich denke an dich...“, murmelte André und Oscar wirbelte auf ihren Absätzen herum. Sie hatte ihn verstanden und sah ihn pikiert an. André holte tief Luft. „Hör zu, ich weiß nicht warum, aber ich muss ständig an dich denken...“ „André...“ Oscar war baff. Sie konnte ihm nicht offenbaren, dass auch sie an ihn dachte. Plötzlich wollte sie am liebsten weglaufen. Um nicht unhöflich zu sein, ging sie an den Tisch im Vorraum zurück und stellte ihre Tasse ab. „Ich muss wieder los. Die Königin erwartet meine Hilfe und ich werde es tun - ich werde sie vor dem falschen Gerede schützen. Es ist meine Pflicht... Ich danke dir fürs Zuhören. Du bist ein wahrer Freund – der Beste, den man sich wünschen kann...“ Sie schlängelte sich hastig an ihm vorbei in Richtung Tür. Sie konnte nicht mehr! Sie musste fort von hier, fort von ihm - und das obwohl ihr seine Ehrlichkeit ein wohltuender Balsam war. Ihre Worte waren aufrichtig. Aber hatte sie seine Freundschaft überhaupt verdient? Er war einfach zu gut für diese Welt... Für ihre Welt, die nur aus Leid und Verpflichtungen bestand... „Oscar, warte!“, hörte sie ihn rufen, kaum dass sie den Türknauf berührte. Eine innere Kraft bewog sie, stehen zu bleiben und sich umzudrehen. André stand schon direkt vor ihr und legte ihr einen ledernen Umhang um die Schultern. „Hier, nimm. Er ist gut gegen Nässe.“ Dann fuhr er ihr unerwartet mit dem Daumen über die Wange. „Da war noch ein Regentropfen.“ Oscar schnürte es erneut die Kehle zu. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihm erlaubte, sie auf diese Weise zu berühren, ohne dass sie protestierte oder ihn in die Schranken wies. Warum nur? Etwas stimmte nicht mehr mit ihr. Sie konnte kein Wort mehr herausbringen und stürmte nur eilends aus seiner Wohnung. Sie hielt die Stelle ihrer Wange, wo sein Daumen ihre Haut berührt hatte, mit ihrer Handfläche und rannte schnell zu ihrem Pferd. Sie musste sich beruhigen. Ihr Herz schlug heftig gegen ihre Rippen und das Gefühlschaos in ihrem Inneren war nicht mehr zu beherrschen. Bis Oscar auf dem Anwesen ankam, hörte der Regen gänzlich auf. In dem Trubel ihrer unerklärlichen Gefühle fand sie eine Lösung, wie sie Ihrer Majestät helfen konnte: Sie würde heute ihre gute Ausgeh-Garderobe anziehen und mit der Königin die ganze Nacht tanzen. So würde sie Marie Antoinette vor weiterem Gerede und Klatsch bewahren. Als Oscar weg ritt, stand André am Fenster und sah in die verregnete Dunkelheit hinaus. Er schloss den Regentropfen in seiner Faust fest ein. Doch es war gar kein Regentropfen! Es war eindeutig eine Träne – ihre Träne! Er hatte die rötlichen Augenringe bei Oscar gesehen und mit einem Mal gewusst, dass sie geweint hatte! Ihr geplagter und kummervoller Anblick hatte ihm zutiefst geschmerzt. So, als würde ihr Herzensleiden auf ihn übergehen und auch von ihm Besitz ergreifen. Er hätte Oscar am liebsten in seine Arme geschlossen um sie zu trösten. Aber würde das ihr geplagtes Herz wirklich trösten können? Hatte überhaupt jemand das Recht, Oscar so eine Bürde aufzuerlegen? Nein! Denn niemand hatte Oscar verdient! Von Fersen hatte ihren Kummer und ihr Leid nicht verdient – auch wenn er selbst davon nichts wusste! Die Königin hatte ihre Herzensgüte und ihre Loyalität nicht verdient! Sogar ihre Eltern hatten so eine gerechte und offenherzige Tochter nicht verdient! Und womöglich auch er selber nicht... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)