Schicksalswege von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 12: Kummer ------------------ Guter Laune ritt André zum Anwesen und pfiff die Melodie vor sich hin, die Oscar am meisten beliebte auf ihrem Klavier zu spielen. Es war ein schöner, sonniger Herbsttag und er freute sich auf das Wiedersehen mit ihr. Seit seinem letzten Besuch waren wieder Monate vergangen, denn erst heute hatte er sein langersehntes Dienstfrei. Den Vorfall am See im Sommer hatte er nicht vergessen und das würde er auch niemals. Aber zumindest hatte er sich derweilen damit abfinden können, mit seinen Gefühlen für Oscar zu leben, ohne sie zu zeigen. Die grünen Blätter an den Bäumen nahmen mit jedem Tag etwas mehr gelb-rötliche Färbung an und leuchteten bunt, wenn die Sonnenstrahlen zwischen die Äste durchdrangen. Manche Blätter fielen bereits ab, vollführten in der Luft einen letzten Tanz und raschelten dann zu Boden - unter die Hufe von Andrés Braunen. Etwas Mystisches lag bei diesem Anblick und versetzte ihn in einen verträumten Zustand. André passierte das Eisentor des Anwesens und begegnete auf dem Hof einen Reiter. Sofort unterbrach er sein Pfeifen und kam nicht umhin, den Mann im Sattel zu begutachten. Dieser hatte vor, das Anwesen zu verlassen. Bei näherer Betrachtung sah er ziemlich vornehm aus, doch sein Gesichtsausdruck war bekümmert. Dass dieser Mann dem Adel angehörte, war André sofort bewusst und er machte ihm deshalb den Weg frei. Umso mehr war er überrascht, als der Mann sein Pferd neben ihm zügelte und zu ihm herüber sah. „Kommt Ihr gerade aus Paris?“ „Ja“, sagte André schlicht und wunderte sich noch mehr, weil er von dem Adligen in höflicher Form angesprochen wurde. „Könnt Ihr mir einen billigen Gasthof in Paris empfehlen?“ Der Mann war für seine Verhältnisse freundlich und besaß eine angenehme Stimme. Doch besonders fiel André dessen trauriger Blick auf. Es sah so aus, als würde er seelisch leiden – sehr leiden. „Ähm.“ André überlegte schnell. „Wollt Ihr wirklich in einen billigen Gasthof einkehren? Nicht, dass Ihr dort ausgeraubt oder bestohlen werdet...“ Der Mann lächelte gequält. „Ich danke Euch für Eure Sorge um meine Wenigkeit... Vielleicht habt Ihr recht...“ Er stieß seinem Pferd in die Seiten und ritt davon. André sah ihm nach. Ein eigenartiger Mann. Seit wann verkehrten die noblen Herren in billigen Spelunken? André schüttelte darüber nur verwundert den Kopf. Weder er noch der adlige Mann hatten bemerkt, dass sie aus einem Fenster des Herrenhauses beobachtet wurden. Denn Oscar stand an einem großen Fenster in der Vorhalle des ersten Stockwerkes und sah in den Hof hinaus. Von Fersen unterhielt sich mit André. Es war eine kurze Unterhaltung. Aber das reichte, um ihr das Herz entzwei zu reißen: Zwei Männer, die ihr sehr wichtig waren und die zu ihren Freunden zählten. Oder vielleicht mehr? Von Fersen war ihr Kummer und Leid. André dagegen ihre Freude und Glückseligkeit. Sie erinnerte sich noch genau an den Vorfall im vergangenen Sommer und das bescherte ihr immer wieder ein warmes Kribbeln unter der Haut. Ihr Fuß war schon längst verheilt, sie konnte wieder normal und ohne Beschwerden auftreten. Aber in ihrem Inneren trug sie dagegen weiterhin eine Wunde, die nicht heilen wollte und sich immer schmerzlich öffnete... Sie konnte nicht länger dagegen ankämpfen - egal wie sehr sie sich anstrengte, ihre weiblichen Gefühle im Keim zu ersticken: Diesen Schmerz würde sie immer tragen müssen. Wie konnte sie dem nur entkommen?! Warum gab es dafür kein Heilmittel?! Vielleicht würde die Zeit irgendwann ihr geplagtes Herz heilen und dann würde alles wieder in Ordnung sein... Wenn sie nur daran glauben könnte! Oscar seufzte schwer. Von Fersen war heute hier, um sich nach einem heimlichen Treffen mit der Königin abzulenken. Er hatte mit Oscar eine angenehme Zeit verbracht, sich mit ihr über belanglose Sachen unterhalten und mit ihr gefochten. Ihm ging es danach besser, obwohl ihre Gesellschaft den Liebeskummer um Marie Antoinette nicht minderte. Oscar tat der Mann sehr leid und das quälte sie. „Lady Oscar?“, entriss sie eine besorgte, weibliche Stimme aus ihren trüben Gedanken. „Ist alles in Ordnung?“ „Gewiss, Rosalie.“ Oscar wandte sich vom Fester ab und sah die junge Frau mit einem freudlosen Lächeln an. „André ist gerade in den Hof eingeritten. Würdest du ihn empfangen, ihn in meinem Salon geleiten und dann einen Tee für uns drei bereiten?“ „Aber natürlich, Lady Oscar.“ Rosalie sah Oscar mitfühlend nach, wie diese die Treppen hochstieg und dann im oberen Stockwerk in dem langen Gang zu ihren Gemächern verschwand. Arme Lady Oscar! Obwohl sie ihre wahren Gefühle stets gekonnt verbergen mochte, schien Rosalie die Einzige zu sein, die sie durchschaute. Lady Oscar hatte es nicht verdient, traurig zu sein! Aber was konnte sie schon tun, um ihren Kummer zu mindern? André schien der Einzige zu sein, der sie zum Lachen brachte und ihren Kummer zerstreute. Rosalie schürzte die Röcke und beeilte sich, der Bitte von Lady Oscar nachzukommen. Sie setzte ein freundliches Lächeln auf und hastete in den Hof hinaus. Sie würde André darauf ansprechen, wenn sich eine gute Gelegenheit ergab, und er würde ihr sicherlich helfen! André war schon von seinem Pferd abgestiegen und hatte es einem der Stallburschen übergeben. „Rosalie!“ Mit aufrichtiger Freude ging er auf sie zu. „Wie geht es dir?!“ „Danke, André. Mir geht es viel besser“, begrüßte Rosalie ihn ehrlich und führte ihn gleich in die Küche zu seiner Großmutter. Auf nähere Details auf bezüglich ihrer leiblichen Mutter wollte sie nicht eingehen – sie wollte sie vergessen und erst gar nicht an sie denken. „Weißt du zufällig, wer der Mann war, der gerade das Anwesen verlassen hat?“, fragte André neugierig auf dem Weg. „Das war Graf Hans Axel von Fersen“, offenbarte ihm Rosalie ohne Umschweife: „Er hat Lady Oscar besucht.“ André war sichtlich erstaunt. Das war also der berüchtigte von Fersen, mit dem die Königin eine Affäre pflegte! Sie erreichten die Küche. „Schön Euch zu sehen, Großmutter!“, grüßte André gleich von der Türschwelle. „Wie geht es dir, mein Junge?!“ Sophie ließ alles stehen und liegen und kam gleich auf ihren Enkel zu, um ihn zu umarmen. „Mir geht es gut.“ André ließ die Umarmung über sich ergehen - überrascht, aber auch erfreut - bevor Sophie gleich wieder zu ihrer Tätigkeit zurückkehrte. Seine Großmutter war ihm also nicht mehr böse, wenn sie sich so verhielt: Weder über den Vorfall im Sommer, noch über sein selbst gewähltes Soldatenleben. Er ahnte ja nicht, dass sie nur deshalb so gut gelaunt war, weil Graf von Fersen ihren Schützling besucht hatte. Sophie glaubte Fröhlichkeit in Lady Oscar aufkeimen gesehen zu haben und das bescherte ihr ein Glücksgefühl. Sie hoffte insgeheim noch immer, dass sich zwischen den beiden vielleicht irgendwann etwas entwickeln würde und ihr Schützling dadurch in das Leben einer Frau finden würde... „Lady Oscar wünschte Tee für uns drei“, hörte sie Rosalie sagen und sah schon, wie die junge Frau flink selbst nach Tablett und Geschirr suchte. Sophie beeilte sich bei dem Zubereiten des Wassers und half Rosalie, alles auf das Tablett zu stellen. André beobachtete die beiden Frauen, in Gedanken bei Oscar und diesem von Fersen. Er hatte ihn sich ganz anders vorgestellt - zumindest nicht so höflich, vornehm und offenherzig gegenüber Menschen einfacher Herkunft. Trotzdem verstand er nicht, warum Oscar wegen diesem Mann Kummer hatte, wo sein Herz doch sowieso der Königin gehörte. Dabei stach Andrés eigenes Herz schmerzlich. Er redete sich ein, dass Oscar etwas anderes zu diesem Liebhaber der Königin hinzog. Dadurch fühlte er sich zwar nicht besser, aber es verschaffte ihm eine gewisse Beruhigung. Er dachte an den geheimnisvollen Glanz und das lodernde Feuer in ihren Augen, das er einmal bei ihr entdeckt hatte. So etwas schenkte man doch nicht jemandem, wenn man eigentlich einen anderen liebte?! Andre wusste, dass er mit einem Liebesgeständnis womöglich alles falsch machen würde. Weil Worte sie niemals davon überzeugen würden, was er für sie empfand. Vielleicht bestand seine einzige Möglichkeit darin, weiter dafür zu sorgen, Freude und Leichtigkeit in ihr geziertes Leben zu bringen. Ja, vielleicht... Er konnte sie doch nicht überrumpeln – nicht mit seinen Gefühlen und nicht, wenn er sie nicht gänzlich verlieren wollte. Vielleicht würde sie seine Gefühle niemals erwidern. Vielleicht würde sie nicht einmal erkennen, was er für sie empfand. Doch er würde die Hoffnung niemals aufgeben können. Rosalie kam mit dem beladenen Tablett auf ihn zu. „Lass mich das tragen“, erbot sich André und nahm Rosalie die Last ab. „Danke“, sagte sie und ging ihm voraus aus der Küche. Sie passierten die große Vorhalle und nahmen die Treppe in das obere Stockwerk, als Rosalie auf einmal mitten im Gang stehen blieb. „André?“ Dieser lief zum Glück nicht dicht hinter ihr, so dass er mit seinem Tablett nicht gegen sie stieß. Er umrundete sie und blieb direkt neben ihr stehen. „Ja, Rosalie? Was ist?“ „Kannst du mir etwas versprechen?“ Rosalie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern und auch ihre Haltung war etwas in sich gesunken. Die Gelegenheit, jetzt gleich hier mit ihm zu sprechen, schien ihr gerade am Besten zu sein. „Um was geht es?“ André sah verwundert zu ihr und bekam plötzlich die grobe Vorahnung, dass es etwas mit Oscar zu tun sein könnte. Rosalie faltete ihre Hände vor sich und sah ihn mit glänzenden Augen an. Schon alleine diese Gestik bestätigten ihm seine Annahme: „Wegen des Grafen ist Lady Oscar sehr traurig. Sie hat Kummer um ihn – zwar zeigt sie es nicht, aber ich sehe es ihr an. Doch du, du bringst sie immer zum Lachen und wenn du da bist, dann schimmern ihre Augen vor Freude. Ich wünsche mir, dass sie glücklich ist und bisher hat es niemand sonst geschafft, ihr diese reine und unbeschwerte Freude zu bereiten. Sie ist glücklich, wenn du da bist, auch wenn sie das nicht zeigt. Deswegen möchte ich, dass du mir versprichst, Lady Oscar niemals traurig zu machen und sie stattdessen weiter zum Lachen zu bringen.“ André wunderte sich nicht über ihre Bitte. Neben ihm war Rosalie der zweite Mensch, der Oscars wahre Persönlichkeit zu durchschauen schien. „Das verspreche ich dir gerne, Rosalie“, sagte er aufrichtig. Rosalie atmete erleichtert auf. „Ich danke dir, André.“ „Mach dir keine Sorgen, Rosalie. Es wird schon wieder gut, du wirst sehen. Irgendwann wird Oscar eine der Glücklichsten sein.“ Aber an wessen Seite?, fragte er sich insgeheim. Es war besser, dass diese Frage in seinen Gedanken blieb. Er schmunzelte Rosalie an. „Gehen wir? Sonst muss sich unsere werte Oscar neuen Tee bestellen, weil dieser hier kalt ist.“ Rosalie kicherte verhalten. „Ja, gehen wir...“ Im Salon spielte Oscar auf ihrem Klavier - um ihre Gedanken und Gefühle wieder in richtige Bahnen zu lenken. Sie hörte, dass leise Tür aufging, jemand den Raum betrat und auch das Klimpern des Teegeschirrs. Doch sie sah nicht auf – spielte stattdessen konzentriert und mit geschlossenen Augen weiter. Das konnten schließlich nur Rosalie und André sein... Die beiden durchquerten den Salon auf leisen Sohlen und André stellte dann genauso leise und vorsichtig das beladene Tablett auf dem Tisch ab. Er sah zu Oscar: Auf ihr schmales Rückgrat und ihre hellgoldene Haarpracht, die sowohl ihre zierlichen Schultern, als auch ihre Wirbelsäule bis knapp zu den Hüften bedeckte. Ihre schmalen Finger flogen voller Grazie über die Klaviertasten und entlockten so dem Instrument seine wundervolle Melodie. Die selben zartgliedrigen Hände konnten mit gleicher Leidenschaft hart zuschlagen und erbarmungslos Waffen führen. Wie mochten sich wohl ihre Hände, ihre Finger auf seiner Haut anfühlen? Zart, weich und sanft? Wäre möglich... Wenn Oscar nur wüsste, welch bezauberten Anblick sie André bot! Sie sah wunderschön aus – so entspannt und sorglos. Sein Herz füllte sich mit einer Wärme und einem unbeschreiblichen Gefühl, das nur dieser einen Frau galt. Er mochte sie sehr und er hatte großes Mitgefühl mit ihr. Warum nur musste sie an diesen von Fersen denken?! Sie schadete sich doch nur selbst damit! André schwor sich insgeheim, was er auch schon Rosalie versprochen hatte: Er würde Oscar niemals Kummer bereiten! Er würde alles dafür tun, dass sie stets lachte und Freude hatte! Immerhin war er ihr Freund und Freunde standen zu einander! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)