Schicksalswege von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 10: Verhängnis ---------------------- André dachte oft darüber nach, dass Alain Prophet sein könnte. Seit zwei Monaten war er nun mit ihm in der Kaserne und unter dem Volk hatte sich nichts geändert – es litt weiterhin. Ob Oscar deswegen mit der Königin gesprochen hatte, wusste André nicht. Er hatte sie schon seit langem nicht mehr gesehen. Aber er hoffte, dass sie es getan hatte. Seine Großmutter besuchte ihn auch nicht, so hätte er wenigstens von ihr etwas über Oscar erfahren können... In der Kaserne lebte sich André ein und kam mit allen Soldaten gut aus. Vor allem die Brüder Jérôme und Léon empfingen ihn und Alain mit offenen Armen. Es fehlte nur noch Jean, um den Kreis ihrer Freunde aus Kindertagen zu vervollständigen. Aber Jean würde nie der Kaserne beitreten. Ursprünglich entstammte er einer Handelsfamilie, die bereits im Süden Frankreichs, im schönen Aquitanien, ihre Geschäfte mit Wein und Bier betrieben. Nach Paris kam er mit seinen Eltern um dies zu erweitern. Wenn André darüber nachdachte, dann war Jean schon immer ein Einzelgänger und folgte nur seinem eigenen Kopf. Er wollte anderes sein, als jeder von ihnen. Er war ein Denker und strebte danach, etwas zu erschaffen, dass alle Menschen gleichstellte. Vielleicht veranstaltete er deshalb im Verborgenen einige geheime Treffen mit Bürgern, besprach mit ihnen seine Ideen und entwickelte sich zu einem eifrigen Anführer seiner selbstständigen Organisation. Alain wurde binnen weniger Wochen zum Fürsprecher und Gruppenführer der Söldnertruppe auserkoren. Seine Schwester Diane, die mittlerweile schon das zarte Alter von vierzehn Jahren erreicht hatte, kam an jedem Besuchstag zu ihnen und eroberte schon bald die Herzen aller Söldner. Bis auf ihn, André. Er mochte sie, keine Frage, aber eher wie eine kleine Schwester. André musste immer schmunzeln, wenn er sich an ihr undamenhaftes Benehmen im Kindesalter erinnerte. Damals hatte er versucht sie mit Oscar zu vergleichen, obwohl er letztere noch gar nicht näher kannte. Doch nun kannte er Oscar mehr als genug und schweifte in seinen Gedanken von Diane auf sie ab. Morgen würden alle Söldner dienstfrei bekommen und konnten für ein paar Tage ihre Familien besuchen. André nahm sich vor, gleich nach der Kaserne seine Großmutter aufzusuchen. Oder besser gesagt, Oscar. Ob sie sich sehr verändert hatte? Das würde er erfahren, wenn er sie sah. Wenn nicht, dann würde ihm sicherlich Rosalie jede Menge über sie erzählen. Rosalie hatte in der Tat Einiges zu erzählen, als er seine Großmutter am nächsten Tag besuchte, allerdings kam sie nicht dazu. Sie hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen und wollte niemanden sehen. Außer vielleicht Lady Oscar, erfuhr André von seiner Großmutter. „Was ist denn vorgefallen?“, wollte er von ihr interessiert wissen. Sophie beäugte ihn unschlüssig, ob sie ihm überhaupt solche Sachen anvertrauen sollte. Aber andererseits... „Sei nicht so neugierig, André. Es ist nichts vorgefallen. Du wohnst ja nicht hier, also brauchst du es auch nicht wissen“, speiste sie ihn mit knappen Sätzen. André verstand, dass sie nicht vor hatte, ihn in die Geschehnisse einzuweihen. Er seufzte. Seine Großmutter schien es noch immer zu grämen, dass er ein Leben als Soldat in der Kaserne der Einstellung auf dem Anwesen vorgezogen hatte. Also fragte er das, weshalb er eigentlich hier war. „Wo ist eigentlich Oscar? Ist sie heute hier oder in Versailles?“ Seine Großmutter funkelte ihn sogleich böse an. Ihr Gesicht verfinsterte sich und ihr Tonfall war schneidend: „Wie kannst du es wagen, sie beim Namen zu nennen! Für dich ist sie Lady Oscar!“ „Weil ich ihm erlaubt habe, mich bei Namen zu nennen, Sophie“, mischte sich unverhofft eine weibliche Stimme von der Türschwelle ein: „Sei bitte nicht gleich so verärgert. André und ich sind Freunde geworden.“ „Aber das geht nicht, Lady Oscar!“, protestierte Sophie empört: „André gehört doch nicht Eurer Gesellschaftsschicht an!“ „Das macht mir nichts aus.“ Oscar wehrte mit der Hand in der Luft ab und beachtete ihr einstiges Kindermädchen nicht weiter. Sie schenkte ihre Aufmerksamkeit André. „Gut, dass du da bist. Wenn du möchtest, können wir ausreiten. Oder ist dir Fechten lieber?“ André spürte innerlich, dass sie sich über seinen Besuch freute. Sie verstellte sich nur, wie immer. Er stand auf und ging auf sie zu. „Wir können beides machen. Ich habe den ganzen Tag Zeit.“ „Gut, dann beginnen wir mit reiten und danach fechten wir.“ Ihre Augen glänzten euphorisch, sobald er sich direkt vor ihr aufhielt. „Ich ziehe nur noch schnell meine Weste an.“ - - - Während des Ausrittes wollte Oscar von seinem Leben als Soldat in der Kaserne wissen und im Gegenzug erzählte sie ihm oberflächlich, was mit Rosalie los war. André erfuhr, dass Rosalies verstorbene Mutter nicht ihre leibliche Mutter war. Und dass sie ihrer leiblichen Mutter vor wenigen Tagen am Hofe begegnet war. Oscar brach mitten im Satz ab und André schlussfolgerte, dass etwas Schlimmes vorgefallen sein musste. Was für eine verrückte Welt! André konnte nun nachvollziehen, warum sich Rosalie eingesperrt hatte. Sie tat ihm leid. „... sie braucht nur etwas Zeit, um wieder zu sich zu finden und ich werde ihr dabei helfen“, fügte Oscar selbstsicher hinzu und von einem Moment auf den anderen erhellte sich ihr Gesicht. „Wollen wir um die Wette reiten?“ Es war das erste Mal, dass sie nur zu zweit wetteiferten, denn meistens war Rosalie dabei. Das freute André sehr, obwohl ihm Rosalie aufrichtig leid tat. Schnell wie ein Pfeil preschte Oscar auf ihrem Schimmel im gestreckten Galopp davon und André jagte ihr auf seinem Braunen nach. Staub wirbelte auf und Erdklumpen flogen unter den Hufen der angetriebenen Pferde umher. Die Tiere schnaubten, streckten ihre kräftigen Hälse und schienen immer schneller zu werden. Die Reiter beugten ihre Oberkörper vor, stießen immer wieder ihren vierbeinigen Gefährten in die Flanken und passten sich ihren Bewegungen an, als wären sie eine Einheit. Keiner von ihnen gab nach. Der See kam schon bald in Sicht und die Pferde wurden ein letztes Mal angetrieben. Oscar gewann wieder einmal und zügelte triumphierend ihren Schimmel an dem altbekannten Baum am See. „Das war ein schöner Wettritt.“ André hielt seinen Braunen direkt neben ihr an und klopfte ihm beruhigend an den verschwitzten Hals. Dabei sah er frohlockend zu Oscar. „In der Tat.“ „Manchmal glaube ich, dass du und Rosalie mich mit Absicht gewinnen lasst“, sagte sie in heiterer Stimmung und glitt aus dem Sattel. Ein Stechen durchzog plötzlich ihren Fuß und sie verzog unwillkürlich und schmerzverzerrt das Gesicht. „Alles in Ordnung, Oscar?“ André sprang schnell von seinem Braunen und stand schon bei ihr. Oscars Züge verhärmten sich und doch zog sie die zwei Degen, die am Sattel ihres Schimmels befestigt waren. „Es geht schon. Ich habe mir nur etwas den rechten Fuß vertreten, mehr nicht.“ Sie drehte sich zu ihm um. „Hier, dein Degen.“ „Bist du dir sicher?“ André nahm die Waffe mit unsicherem Blick auf ihren Fuß entgegen. Oscar lachte auf und ging auf kampfbereite Distanz. „Ziehe nicht so ein Gesicht! Es ist nichts!“ André war mehr als skeptisch. Er vermutete, dass sie mal wieder versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Sie wollte ihm keine Schwäche zeigen. Aber andererseits... „Nun, gut...“, mehr sagte er nicht dazu. Oscar würde schon wissen, was sie machte - schließlich waren sie keine kleinen Kinder mehr. Mittlerweile zählte er schon fünfundzwanzig Jahre und Oscar wird dieses Jahr vierundzwanzig. Hallend ertönte das Schlagen von Metall auf Metall nicht weit vom See, als die zwei mit dem Fechten begannen. Das Wasser lag still und ruhig. Die dunkle Oberfläche spiegelte das Blau des Himmels und glitzerte an manchen Stellen von dem Licht der Sonnenstrahlen. Die heiße Sommerluft lag stickig und schwer über der Landschaft, aber vom Wasser her wehte eine erfrischende Brise. Die Pferde trabten auf den See zu, um ihren Durst zu stillen – sie hatten sich die Verschnaufpause redlich verdient. Doch all das nahmen André und Oscar nicht wahr – zu konzentriert waren sie in ihr Duell. Oscar führte fachmännisch ihre Hiebe aus, André parierte sie gekonnt und Oscar holte dann zum Gegenschlag aus. Der Schmerz in ihrem Fußgelenk meldete sich heimtückisch und unverfroren wieder, als sie gerade Andre´s offensiven Schlag auswich. Aber sie wäre nicht sie, wenn sie deswegen klein beigeben würde... Ein nächster Hieb seinerseits, ein schnelles Parieren ihrerseits und immer unerträglich wurde das Stechen in ihrem Fußknöchel. Der Lederstiefel trug noch sein Übriges dazu bei. Oscar biss die Zähne zusammen. Nein, die Fechtübung war noch nicht zu Ende! Sie hatten doch gerade erst angefangen! André führte seine Hiebe immer mehr mit Elan. Ihm schien es, als würde er gegen Oscar gewinnen können und das wollte er sich nicht entgehen lassen. Oscar ging immer mehr rückwärts, parierte aber weiterhin gekonnt seine Schläge und holte selbst aus, wenn er nachließ. Unerwartet stieß sie mit dem Rücken gegen einen Baum. André hatte sie an den Baum gedrängt und sie somit in eine Falle gelockt. Dieses Hindernis hatte sie gar nicht mitbekommen! Andrés Klinge sauste schon an ihr vorbei und schlug ihr die eigene Waffe aus der Hand. Oder hatte sie sie selbst fallen gelassen und ihm damit die Möglichkeit gegeben, zu gewinnen? Aber wie war das möglich? André selbst führte seine Klinge an ihren Hals und grinste triumphierend. „Gratuliere...“, schnaufte Oscar außer Puste. „Du hast heute das Fechten mit Bravour gemeistert...“ Im nächsten Augenblick hielt sie inne. Was war das für eine Hitze, die ihren Körper bei seiner näheren Betrachtung empor stieg? Das kam nicht von der Sonne oder durch die Anstrengung durchs Fechten, es ging von ihm aus... von seinem Körper, der so anmutig und stolz vor ihr stand... „Danke...“ Das Grinsen erstarb aus seinem Gesicht. Tiefer als er es sich beim letzten Mal erlaubt hatte, sah er ihr in die Augen und versuchte ruhiger zu Atmen. Er merkte nicht, wie ihm dabei sein Degen aus der Hand glitt und lautlos auf das Gras fiel. Oscar wandte unerwartet ihren Blick von ihm ab. „Die Kampfübung ist vorbei...“, sagte sie beinahe rau. Sie schlüpfte an ihm vorbei und ausgerechnet da forderte ihr verletzter Knöchel seinen Tribut. Ihre Knie knickten von alleine ein und sie fiel mit einem überraschten Aufschrei vornüber. „Oscar!“ André griff hastig nach ihr und bekam sie zufällig noch am Ärmel ihres Hemdes zu fassen. Aber diesmal konnte er sie nicht vor dem Fall retten. Er verlor das Gleichgewicht und fiel buchstäblich über sie. So schnell konnten die beiden nicht sehen, als sie schon am Boden lagen... André stützte sich sofort auf seine Arme, rappelte sich auf seine Knie und stand dann auf allen Vieren über ihr. „Alles in Ordnung?“, brachte er schnaufend hervor und verharrte für einen Augenblick. Oscar drehte sich unter ihm auf den Rücken, schaute zu ihm empor und atmete pausenlos. „Ja“, stieß sie dabei hervor und hielt genauso inne wie er. Ein rosiger Teint überzog ihr schon leicht erhitztes Gesicht und ihren sichtbaren Hals. Ihre Schlagader pulsierte wild und ihr Brustkorb nahm größere Atemzüge. André schluckte. Sein Adamsapfel bewegte sich und ihm kam es so vor, als wären ihm bleischwere Fesseln angelegt. Fesseln, die sich so schmerzhaft und zeitgleich so samtweich anfühlten... und die den Namen einer jungen Frau trugen... André vergaß alles um sich herum. Die Welt schien mit einem Mal für ihn aufgehört haben zu existieren. Das Einzige was zählte und ein unkontrolliertes Rauschen in seinen Adern verursachte, lag gerade unter ihm. Ihr Gesicht strahlte noch die Hitze von dem beendeten Fechten aus - in einer rötlichen Farbe. Ob sie wusste, wie hinreißend und verlockend sie doch gerade aussah? André musterte sie ausgiebig und verbot sich jegliche Regungen. Oscar musterte ihn auch und beide wussten plötzlich nicht mehr, was sie tun oder sagen sollten. „André...“ Oscars Atem wurde etwas langsamer, aber ihr Herz raste weiter. „Würdest du... bitte aufstehen? Oder... kannst du es nicht mehr?“ Sie versuchte ihn zu necken, aber das misslang ihr. Zum Glück schwebten André keine Hintergedanken im Kopf, zumindest nach seinem reglosen Gesichtsausdruck zu urteilen. Er saß zögerlich auf. „Entschuldige...“ Oscar rappelte sich mit Hilfe ihrer Ellbogen hoch. Sie bemerkte keine verräterische Gefühlsregung bei ihm. Er wirkte wie immer freundlich und gelassen. „Es ist nicht deine Schuld.“ Der Schmerz in ihrem Fußknöchel pochte nun wie ein scharfer Dolch. Sie musste Nachsehen! André fiel aus allen Wolken, als Oscar an dem Stiefel ihres rechten Beines zog und dabei versuchte, ein verräterisches Zischen zu unterdrücken. „Warum hast du nicht gesagt, dass dein Fuß noch immer schmerzt?“ „Ich sagte doch, es ist nichts!“, zischte Oscar zwischen zusammengepressten Zähnen. Nach dem Stiefel entledigte sie sich des Strumpfes. „Danach sieht es aber nicht aus!“ Beinahe erschrocken schoss André in die Höhe. Oscars Fuß sah um den Knöchel ziemlich geschwollen und gerötet aus! Wie konnte sie das nur ertragen?! Sie hätten nicht fechten, sondern gleich zum Anwesen zurück reiten sollen! Aber es war typisch Oscar – ihre Sturheit war unübertroffen... „Es ist nicht schlimm“, entriss ihn ihre Stimme. Seine Sorgen mussten ihm ins Gesicht geschrieben stehen. Darauf ging André aber nicht ein. Er hatte genug gesehen. „Es muss gekühlt werden“, entschied er und begann an dem Ärmel seines Hemdes zu zerren, um ein Stück Stoff heraus zu reißen. Oscar riss ungläubig die Augen weit auf, als ihr bewusst wurde, was er vorhatte. Das konnte doch nicht wahr sein! Er wollte doch nicht sein Hemd für ihren Fuß opfern?! Er besaß doch kaum etwas... „André, warte!“, hielt sie ihn noch rechtzeitig von seiner Tat ab und reichte ihm ihr Taschentuch. „Nimm lieber das hier... Mein Fuß ist es wirklich nicht Wert, dass du deswegen dein Hemd kaputt machst...“ „Das kann wieder genäht werden.“ Andre zuckte gleichgültig mit seinen Schultern, aber nahm trotzdem ihr Taschentuch und ging eilends zum See um es nass zu machen. Unterwegs versuchte er sich in den Griff zu bekommen, damit Oscar nichts von seinen aufgewühlten Gefühlen mitbekam. Oscar rückte an den Baum, lehnte sich gegen den Stamm und beobachtete André, wie er das Taschentuch ins Wasser tränkte, es leicht auswrang und sich zurück auf den Weg zu ihr machte. Sie fühlte die raue Rinde des alten Baumes in ihrem Rücken und versuchte ruhiger zu atmen. Es würde nichts bringen, wenn sie sich ausgerechnet jetzt mit ihren irritierenden Gefühlen auseinandersetzte. Ihre Wangen überzog unbemerkt eine feine Röte, als André vor ihr niederkniete. Vorsichtig hob er ihren Fuß und stellte ihn sich auf den Schoß. Ihre Haut war weich und zart. André kostete es immense Selbstbeherrschung, nicht darüber zu streicheln. Bemüht, sich nur auf das Wesentliche zu konzentrieren, legte er ihr das kühle Nass um ihren Knöchel. „Tut es weh?“, fragte er dabei besorgt. Oscar zuckte leicht mit dem Bein, als seine Finger hauchzart ihren schmerzenden Knöchel berührten. Bestimmt unbeabsichtigt! Schon wieder stieg ihr eine gewisse Röte ins Gesicht und brachte ihre Wangen zum Glühen. Angestrengt rang sie diese Emotionen nieder und atmete mehrmals tief durch. „Es geht schon“, versuchte sie eine schiefe Grimasse zu schneiden. „Ich würde sagen, wir sollten lieber zum Anwesen zurück reiten.“ „In Ordnung...“ André verstand, dass die Verletzung schlimmer und schmerzlicher sein musste, als sie es zugab. Er verkniff sich eine Bemerkung. Behutsam streifte er ihr den Strumpf über, damit der provisorische Verband hielt, und dann den Stiefel. „Danke“, hauchte Oscar, als er mit seinem Werk fertig wurde, sich dann erhob und ihr die Hand reichte. André nickte nur stumm und half ihr beim Aufstehen. Seine Gefühle spielten verrückt und er konnte sich nur krampfhaft beherrschen. Kaum dass Oscar auf den Beinen stand, durchfuhr erneut ein stechender Schmerz ihren Knöchel und die Knie knickten ihr ein. André bot ihr sofort einen sicheren Halt und Oscar konnte sich nicht dagegen erwehren, dass ihr seine Stütze angenehm war. Aber wieso? … „Komm, ich helfe dir aufs Pferd...“ André bemühte sich neutral zu wirken und setzte ein verschwörerisches Lächeln auf. Einen Arm hielt er schon um ihre Mitte. Oscar schielte rasch zu ihm und wollte protestieren, als ihr die Worte einfach im Halse stecken blieben. Sie begriff schnell, dass sie es mit ihrer Verletzung nicht alleine schaffen würde. „Eine gute Idee...“, murmelte sie stattdessen und legte einen Arm um seine Schultern. Sie hinkte auf einem Fuß die letzten Schritte zu ihrem Pferd, dass André vorausschauend geholt hatte. Dabei versuchte sie, den pochenden Schmerz aus ihrer Wahrnehmung auszublenden und nicht an ihre missliche Lage zu denken. Normalerweise hätte sie sich auf keinen Fall so hilflos gezeigt, aber ihr blieb nichts anderes übrig. Und zugegeben: Sie fühlte sich in seinen Armen sogar sehr wohl und erleichtert. Trotz des groben Stoffes seines Leinenhemdes spürte sie seinen kräftigen Arm um ihre Mitte und seine festen Muskeln unter ihrer Handfläche... Ihr Herz raste immer wilder - im Takt des pochenden Schmerzes. Auf dem Heimweg und hoch zu Pferde sprachen weder Oscar noch André miteinander. Sie konnten sich nicht sagen, was mit ihnen wirklich los war und dass dieser Vorfall sich sehr tief in ihnen einbrannte. Am Tor des Anwesens zügelte Oscar ihr Pferd. „Ich denke es wird besser sein, wenn du direkt nach Hause reitest“, meinte sie sogleich überlegend. „Nicht, dass deine Großmutter mit dir schimpft... Sie ist sehr empfindlich, was mich angeht...“ „Ich weiß...“ André sah bestürzt zu ihr. Er begriff, dass sie sich Sorgen um sein Wohlergehen machte, aber das war ihm halb so wichtig. „...ich widerspreche dir nur ungern, aber ich begleite dich. Wer wird dir vom Pferd helfen und dich bis zu deinem Zimmer bringen?“ Oscar schloss ihre Augen und atmete tief ein. Sie hatte diese Antwort von ihm erwartet. „Wir haben genug Bedienstete im Haus. Tue es für mich, André. Bitte. Komme lieber morgen wieder. Für heute möchte ich alleine sein...“ Sie hob ihre Lider, stieß ihrem Schimmel leicht in die Seiten und trabte durch das Tor, ohne André noch einmal anzusehen. Dieser war verwundert, folgte ihr aber nicht. Etwas war zwischen ihnen geschehen, das spürte er. Und er wusste mit Sicherheit, dass es Oscar nicht anders erging. Vielleicht wendete er deshalb sein Pferd und ritt Heim. Er würde ihr Zeit zum Nachdenken geben, denn auch er musste sich Einiges überlegen. Und das konnte er am besten, wenn er ungestört war - so ähnlich wie sie. Morgen würde er sie definitiv besuchen, aber heute nicht mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)