Schicksalswege von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 6: Bekanntschaft ------------------------ Es verging etwa eine Stunde, bis die Beerdigung zu Ende war. Oscar sah noch, wie sich die Menschen der Reihe nach von André und Sophie verabschiedeten, ihnen bekräftigend die Hände schüttelten, Beileid aussprachen oder eine tröstende Hand auf die Schulter legten. Dann gingen sie ihres Weges – alle, bis auf diesen rauen Gesellen mit dem roten Halstuch. Vielleicht würde Oscar ihn sich irgendwann einmal vorknöpfen, aber nicht jetzt. Es war wirklich nicht der passende Zeitpunkt dafür. Sie sollte lieber ihrem einstigen Kindermädchen beistehen – und das schloss Sophies Enkel mit ein... Die drei näherten sich der Kutsche. Wie es aussah, war dieser schwarzhaarige Mann Andrés bester Freund. Ein Freund. Oscar wusste nicht einmal die wahre Bedeutung dieses Wortes. In Versailles hatte sie schon genug von den falschen Freunden, die Ihre Majestät umschmeichelten um daraus ihre eigenen Vorzüge zu ziehen. Das beste Beispiel war Madame de Polignac. Der einzige Aufrichtige in diesem habgierigen Haufen schien Graf von Fersen zu sein. Und eben dieser Graf war auch ihr Freund geworden. Aber er war niemand, an den sie sich hätte anlehnen können oder mit dem sie gemeinsam Zeit verbringen könnte. Von Fersen interessierte sich nur für Marie Antoinette. Oscar hätte den beiden von Herzen das Glück gegönnt, aber es war unmöglich. Marie Antoinette war die Frau des Königs von Frankreich und von Fersen konnte ihr daher nicht sagen, dass er sie liebte - das hatte er Oscar vor wenigen Tagen selbst offenbart. Oscar hatte Mitleid mit diesem Mann und konnte ihm wiederum nicht sagen, was sie für ihn empfand. Und da war noch dieser André mit seinen sanftgrünen Augen, der sie eigenartigerweise in seinen Bann zog. Nein! Was war da schon wieder mit ihr los?! Warum verfiel sie immer wieder diesen Gefühlen?! André erreichte zusammen mit seiner Großmutter und Alain die Kutsche. Sophie hatte sich etwas gefangen und Oscar bekam gerade mit, wie sie auf ihren Enkel einredete: „...du musst jetzt mitkommen! Auf dem Anwesen wirst du alles bekommen, was du brauchst! Du wirst dort arbeiten und wohnen können! Ich habe erneut mit Lady Oscar darüber gesprochen und sie hat wieder eingewilligt.“ „Danke, Großmutter, aber ich möchte in Paris leben und arbeiten. Das ist meine Heimat und ich bin hier aufgewachsen“, erklärte André seiner Großmutter und blieb mit ihr und Alain vor Oscar stehen. „Ich möchte ein freier Mann bleiben und selbst über mein Leben bestimmen.“ Bei seiner Aussage bekam Oscar ein Stechen in ihrer Brust und ihre Augen weiteten sich leicht. Mit einem Mal begriff sie, warum sie ständig an das sanfte Gras und den streifenden Wind dachte, wenn sie André sah: Die Farbe seiner Augen vermittelten ihr immer das Gefühl der Freiheit, die sie nicht hatte. Denn sie war dazu verpflichtet, zu erfüllen, was die Erziehung von ihr forderte. Sophie strafte ihren Enkel mit einem gekränkten Blick. „Du sprichst schon wie dein Vater! Ich versuche dir deine Zukunft zu sichern und du denkst nur an dich selbst!“ Sie wandte sich sogleich an ihren Schützling: „Bitte, Lady Oscar, sagt Ihr es ihm. Vielleicht hört er auf Euch...“ André sah von seiner Großmutter direkt in Oscars feines Antlitz. Er glaubte in ihr etwas zu erkennen, was er als Staunen und Bedauern zugleich deutete. Das überraschte ihn erneut. Diese Frau war ein Geheimnis für sich. Oscar konnte seinem Blick nicht standhalten und senkte ihn auf seine Großmutter. „Nein, Sophie, es tut mir leid“, meinte sie zu ihr in einem sanften Tonfall: „Ich kann niemandem zu etwas zwingen. Freiheit ist ein kostbares Gut. Ich finde, jeder Mensch hat das Anrecht darauf, seine eigenen Entscheidungen zu treffen.“ Sie drehte sich um und wollte schon in die Kutsche steigen, aber blieb jedoch noch kurz stehen. „André...“, sprach sie wieder gefasst und sachlich: „...du kannst aber trotzdem jederzeit zum Anwesen kommen und deine Großmutter besuchen. Das kann dir niemand verbieten...“ Sie sah ihn dabei kein einziges Mal an und stieg eilig in das Gefährt. „Aber, Lady Oscar...“ Sophie hätte ihr gern widersprochen, aber beließ es dabei. Heute war nicht der richtige Tag für etwaige Diskussionen. Sie verabschiedete sich daher noch von ihrem Enkel: „...aber überlege es dir trotzdem!“, ermahnte sie ihn zum Schluss und fuhr dann mit ihrem Schützling zurück zum Anwesen. André sah der Kutsche ungläubig eine Weile hinterher. Sogar sein Freund war sprachlos. Die Rede von Oscar hatte sie verblüfft und ihre Meinung über sie in Frage gestellt. Langsam begriff André noch eine Tatsache: Oscar war selbst eine Gefangene ihrer Pflichten und ihrer Erziehung. Sie tat ihm aufrichtig leid. Er würde irgendwann zum Anwesen gehen, aber nicht nur um seine Großmutter zu besuchen, sondern auch um mehr über Oscars unergründliche Persönlichkeit zu erfahren. Der Frühling ging zu Ende und machte Platz für den Sommer. Es waren zwei Monate seit der Beerdigung seiner Mutter vergangen und er hatte seitdem seine Großmutter nicht wieder gesehen. Sie hatte als Haushälterin bestimmt viel zu tun und schaffte es nicht, ihren Enkel zu besuchen. Also musste er das tun. André plagte langsam ein schlechtes Gewissen. Vielleicht würde er auch Oscar antreffen, woran er eigentlich zweifelte. Denn Oscar musste bestimmt an der Seite der Königin in Versailles sein. Neuerdings tauchten nämlich Gerüchte auf, dass Marie Antoinette mit dem Grafen von Fersen eine Affäre hätte. André interessierten die Gerüchte am Hofe wenig. Er hatte eigene Sorgen. Wie Alain es einst prophezeit hatte, hatte der Meister ihnen den Lohn ganz gestrichen, weil das Geld fehlte. Den beiden blieb nichts anderes übrig, als sich eine neue Arbeit zu suchen. Das war eine vergebliche Mühe. Niemand hatte eine Anstellung für sie - bis deren zwei Freunde, also die Brüder Jérôme und Léon, sich als Söldner in einer Kaserne bei Paris anmeldeten. Das hatte André und Alain dazu bewogen, ihnen gleich zu tun. Denn es versprach einen sicheren Lohn, wenn es auch nicht viel war. Für André und Alain begann der neue Dienst am ersten Tag des folgenden Monats. Bis dahin waren es allerdings noch drei Wochen und André beschloss seine Großmutter zu besuchen. Denn wenn er erst als Söldner seinen Dienst antreten würde, würde er aufgrund des Schichtdienstes erst recht keine Zeit mehr dafür haben. André stand beizeiten auf und machte sich auf den Weg zum Anwesens de Jarjayes. Er mietete sich eine Droschke, um schneller dorthin zu kommen. Das Geld dafür nahm er aus seinen Ersparnissen. Zurück würde er allerdings zu Fuß gehen müssen. Das Anwesen war sehr groß und er kam für einen kurzen Augenblick nicht aus dem Staunen heraus. Schon allein der Empfangssaal war doppelt so groß wie seine gesamte Wohnung. Sowohl von Außen, als auch von innen, sah alles elegant und extravagant ausgebaut. Das alles musste ziemlich viel Geld gekostet haben. So viel würde er sicher in seinem ganzen Leben nicht zusammenbekommen. Ein Mann im mittlerem Alter, ein gepflegt gekleideter Bürgerlicher, kam auf ihn zu und fragte nach seinem Anliegen. Er war ein Bediensteter, das leuchtete André gleich ein und er kam sich in seiner ärmlichen Kleidung schäbig vor. „Mein Name ist André Grandier, ich bin der Enkel von Sophie Glaces...“, versuchte er sich höflich vorzustellen und sein Unbehagen damit zu verdrängen. „Ich komme, um sie zu besuchen...“ Der Mann beäugte ihn von oben bis unten, dann nickte er. „Mein Beileid, wegen deiner Mutter. Madame Glaces ist in der Küche. Folge mir, ich werde dich zu ihr geleiten.“ „Danke“, brachte André leise heraus und folgte dem Mann. Er wurde gleich in das untere Stockwerk in die Küche geführt, wo er auf seine Großmutter traf. Der Bedienstete ging seines Weges. Sophie überschüttete André mit Fragen: Ob es ihm gut ging? Ob es ihm an etwas fehlte? Und ob er sich nicht doch noch überlegt hatte, hier auf dem Anwesen zu arbeiten und zu wohnen. Nebenbei bereitete sie für ihn einen Tee zu und stellte eine Schale mit Gebäck vor ihm auf den Tisch. André war von ihrer Fürsorge ein wenig überrascht. Aber das änderte nicht an seiner Meinung und er erzählte ihr, dass er demnächst als Söldner sein Geld verdienen würde. Sophie riss ihre Augen auf! Er sah es ihrem Gesicht förmlich an, dass ihr seine Entscheidung nicht passte. Empörung und Fassungslosigkeit zeichneten sich auf ihrer faltigen Stirn. „Du willst Soldat werden?“ „Was ist schon dabei, Großmutter?! Das ist gut verdientes Geld, reicht fürs Überleben, ist eine sichere Stelle und dort sind nur Bürgerliche, wie ich.“ „Weißt du überhaupt, was du da redest?!“ Sophie runzelte streng die Stirn. „Soldat zu sein ist hart! Und wenn es ums kämpfen geht, dann wirst du dein Leben einsetzen müssen!“ „Lass ihm doch seinen Willen, Sophie“, sagte eine hohe, angenehme Stimme von der Türschwelle. Die beiden richteten ihre Blicke gleichzeitig zur Tür. Sophie milderte sogleich ihren Gesichtsausdruck. „Oh, Lady Oscar. Ihr seid schon mit Eurer Fechtübung fertig? Ich mache Euch sofort einen Tee.“ „Danke, Sophie.“ Oscar bewegte sich nicht. Ihr undurchdringlicher Blick ruhte auf André. „Schön, dass du deine Großmutter besuchst.“ André nickte ihr nur unmerklich zu. Er konnte nichts sagen und starrte die Frau in Männerkleidern nur baff an. Oscar war nicht in ihrer Uniform und die Schlinge um ihren Arm war auch weg. Sie trug nur ein weißes Hemd und eine braune Hose. Der kleine Ausschnitt verriet nicht viel, nur ihren schlanken Hals und den schmalen Ansatz ihres Brustbeines. Dennoch verübte ihre Erscheinung eine Anziehungskraft auf ihn aus, dass es ihm die Sprache verschlug. Und so bemerkte er auch nicht die andere Person an ihrer Seite. „André!“ Erst ihre Stimme bewegte ihn dazu, hinzusehen. Er erhob sich verblüfft von seinem Stuhl. „Rosalie...“ Das junge Mädchen, das schon seit geraumer Zeit verschwunden war, eilte zu ihm. Sie drückte sich an ihn. Unverhofft flossen ihr die Tränen, wie ein rauschender Wasserfall. „Es tut mir leid, wegen deiner Mutter. Mein herzliches Beileid... Ich weiß wie du dich fühlen musst...“ Sie schluchzte herzzerreißend in seinen Armen. André verharrte perplex. Das hatte er nicht erwartet! Weder Rosalie hier zu begegnen, noch ihre Reaktion und dass sie ganz nebenbei in Knabenkleidern war. Viele Fragen schossen ihm durch den Kopf, aber keine einzige konnte er herausbringen. „Sei beruhigt, André“, erklärte Oscar bei diesem Anblick und ein sichtbares Lächeln stahl sich auf ihren Lippen. „Bei mir macht sie das fast tagtäglich.“ André nickte ihr wieder wortlos zu. Er wusste nicht, wie man mit Frauen richtig umgeht und wie er auf solch eine unerwartete Reaktion von Rosalie reagieren sollte. Das war eher Alains Sache. „Was...“, versuchte André seine Sprache doch noch zu finden: „Was machst du eigentlich hier, Rosalie?“ Er fühlte sich sogleich erleichtert, als Rosalie sich von ihm entriss, sich die Tränen mit ihrem Handrücken weg wischte und wieder gefasst wirkte. „Lady Oscar hat mich bei sich aufgenommen und sogar die Mörderin meiner Mutter gefunden!“ „Leider haben wir keine Beweise, um sie zu überführen“, fügte Oscar mit einem ermahnenden Unterton hinzu, der vermuten ließ, dass dieses Thema für Außenstehende unzugänglich war. André war noch erstaunter als bisher. Diese Frau faszinierte ihn mehr und mehr. Er versuchte ausdruckslos zu bleiben und sie nicht die ganze Zeit nur anzustarren. Deswegen sah er wieder Rosalie an und fand schon die nächste Frage: „Warum trägst du denn Knabensachen?“ Rosalie sah kurz an sich hinab und dann wieder auf ihn. „Ach, das trage ich nur für Fechtübungen und bei Ausritten. Lady Oscar bringt mir so Vieles bei.“ „Du wirst mir im Fechten langsam ebenbürtig“, lobte Oscar kurz angebunden und bewegte langsam ihre Füße. Sie ging an den Tisch und legte darauf zwei Degen ab. Dabei warf sie einen Blick auf André und etwas Geheimnisvolles glomm in dem sonst so eisigen Blau ihrer Augen. „Kannst du eigentlich fechten? Wenn du ein Soldat werden willst, musst du das können.“ Insgeheim dachte sie an den Tag ihrer ersten Begegnung mit ihm und was sie sich an dem Tag der Beerdigung von seiner Mutter vorgenommen hatte. André wurde sofort hellhörig. Das klang nach einer höflichen Herausforderung. Er glaubte das gar in ihrer Stimme vernommen zu haben. „Ich kann fechten“, meinte er aufrichtig. Sie hatte nun sein Interesse geweckt. Nicht, dass er sich mit Frauen schlug, aber mit dieser einer würde er es aufnehmen. Und ganz nebenbei meldete sich auch noch sein gekränkter Stolz von damals, als sie ihn geohrfeigt hatte. „Ich habe mit Alain oft genug trainiert. Wenn Ihr möchtet, kann ich Euch mein Können beweisen.“ „Wie interessant...“ Oscars himmelblaue Augen leuchteten verzückt. Der Freund von André mit dem roten Halstuch schwebte ihr sogleich wieder in Erinnerung. „Aber Lady Oscar!“, protestierte Sophie im Hintergrund: „Ihr wollt doch nicht ernsthaft mit ihm fechten?!“ „Keine Sorge, Sophie, es sind nur Übungswaffen.“ Oscar schnitt unwillkürlich eine Grimasse. Mehr und mehr reizte es sie, mit ihm in den Hinterhof hinaus zugehen und zu kämpfen. Sie nahm einen Degen vom Tisch und reichte ihn André. „Hier, nimm. Ich werde schon Rücksicht nehmen und dich nicht gleich drangsalieren.“ André nahm wie selbstverständlich den Degen an sich und auch seine Augen leuchteten begeistert. Die kalte Klinge war nicht schwer und lag gut in der Hand. „Ich werde auch Rücksicht nehmen, weil Ihr eine Dame seid.“ „Dann bist du der Erste, der mich als eine Dame betrachtet.“ Oscar verzog ein hämisches Grinsen. „Obwohl ich eine Frau bin, kann ich fechten wie ein Mann.“ Ja, das konnte sie. André bekam das gleich bei dem ersten Angriff zu spüren. Ihre Bewegungen waren geschmeidig und agil, wie bei einer Katze. Sie war schnell und flink. Aber auch er gab nicht nach und hielt ihr stand. Er parierte gekonnt ihre Hiebe und schlug mit Härte zurück. Oscar wich ihm aus, versuchte seine Hiebe auszumanövrieren und ihn gleichfalls mit ihrem Nächsten zu überraschen. Die versprochene Rücksicht verflog bei allen beiden schon in wenigen Minuten des Fechtens. Und da war noch etwas: André glaubte dabei in Oscar eine andere Art entdeckt zu haben, die er bei ihren bisherigen Begegnungen nicht gesehen hatte. Oscar war nicht so gehemmt und geziert, sondern ausgelassen, gab sich der Fechtübung vollkommen hin und wirkte ganz in ihrem Element. Sie hatte sich schon lange nicht mehr so unbeschwert gefühlt wie jetzt. Und das auch noch, obwohl sie André kaum kannte. Zu allen Menschen war sie eigentlich distanziert und unnahbar. Sogar Graf von Fersen behandelte sie mit einem gewissen Abstand und zurückhaltender Höflichkeit. Oscar parierte Andrés Schläge und ging dabei rückwärts. Ein Stein ragte aus der Erde und sie stieß mit der Ferse gegen ihn. Sie stolperte unerwartet, der Degen flog ihr aus der Hand und ihr Oberkörper bekam eine gefährliche Rücklage. Instinktiv suchten ihre Arme nach einem festen Halt. Doch sie griffen ins Leere. Oscar geriet ins Wanken und verlor das Gleichgewicht. André zögerte keine Sekunde. Sofort griff er instinktiv nach ihrem Unterarm, zog Oscar an sich und bewahrte sie so vor dem Fall. „Danke...“, japste Oscar noch leicht außer Atem und konnte nicht verhindern, dass ihr Herzschlag sich noch mehr beschleunigte. Sein Gesicht war ziemlich nahe an ihrem und seine fesselnden Augen bannten sie, wie noch nie zuvor. André hielt ihr Handgelenk immer noch fest umschlossen. Er konnte sich seine Reaktion selbst nicht erklären. Mit einem Mal fühlte er sich in ihren blauen Augen verloren. „Gern geschehen...“ Mehr brachte er nicht heraus. „Du kannst mich... jetzt wieder loslassen...“, bat ihn Oscar nicht mehr ganz bei der Sache, aber mit fester Stimme: „Die Kampfübung ist vorbei...“ Erst da wurde sich André gewahr, wie gefährlich nah er Oscar an sich hielt. Sofort ließ er sie los und suchte nach ihrem Degen. Er hob ihn auf und reichte ihn ihr entschuldigend. „Hier, Eure Waffe...“ Oscar bedankte sich mit einem Nicken und nahm den Übungsdegen an sich. „Du kannst gut fechten. Das hätte ich nicht gedacht. Kannst du auch mit Schusswaffen umgehen?“, fragte sie ihn wieder sachlich, um von dem eigenartigen Vorfall abzulenken. „Ehrlich gesagt, habe ich noch nie eine Schusswaffe in der Hand gehabt“, gab André zu und verspürte ein leichtes Bedauern, als er einen geordneten Abstand zwischen Oscar und sich brachte. „Ein Soldat muss aber auch mit Schusswaffen umgehen können“, wand Oscar ein und ihr kam sogleich ein Einfall. „Wenn du möchtest, kann ich es dir beibringen.“ „Gerne!“, kam aus seinem Mund, noch bevor er darüber überhaupt nachgedacht hatte. Die Tragweite seiner Zustimmung fiel ihm zu spät auf. Oscar schmunzelte schon vergnügt. „Schön. Dann hole ich die Pistole und du wartest hier“, beschloss sie und ging energisch in Richtung Haus zurück. André war wieder hellwach und holte sie schnell ein. „Nein, wartet!“, hielt er sie auf, ohne sie zu berühren. Diesen Versuch würde er nicht noch einmal wagen. Oscar blieb abrupt stehen und runzelte die Stirn. Sie mochte keine Widersprüche. „Hast du es dir etwa anders überlegt?“ Ihr eisiger Blick jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Er hatte vor ihr keine Angst, es war ihm nur alles zu viel. Er überlegte schnell nach einer passenden Ausrede. „Ähm... nein. Ich muss mich nur langsam auf den Weg zurück nach Paris machen und zu Fuß werde ich eine ganze Weile benötigen.“ „Verstehe...“ Oscar glättete ihre Stirn und wieder huschte ein kaum merkliches Lächeln über ihre Mundwinkel. „Und wenn ich dir ein Pferd gebe?“ „Was?!“ André starrte sie mit großen Augen an und sein Kiefer schlug weit auf. Diese Frau war eigenartig und unergründlich. Seine Starre schien Oscar dagegen zu amüsieren. Sie lachte – laut und kehlig. Und vielleicht war es ihr Lachen, welches ihn aus der Verblüffung holte. Wenn sie jemanden auslachen wollte, dann sollte sie sich jemanden anderen suchen! André verzog schmollend sein Gesicht, warf den Degen zu Boden und stapfte an ihr vorbei. Immerhin kannte er schon den Weg bis in die Küche. Hinter seinem Rücken verging Oscar das Lachen. Das hielt ihn aber nicht auf und er beschleunigte seinen Schritt. Was erlaubte sie sich?! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)