Vom Ich zum Du zum Wir von fragile ================================================================================ Kapitel 1: Vom Ich zum Du zum Wir --------------------------------- ••• Vom Ich zum Du zum Wir ••• Ich kann mich nicht an Vieles meiner Kindheit erinnern. Fast schon schemenhaft flattern die Erinnerungen in meinem Gedächtnis herum. Ich kann mich schwach daran erinnern, wie die ersten Sonnenstrahlen des Jahres meine Nase kitzelten, ganz sanft und lieblich meinen Körper wärmten. Ich kann mich daran erinnern, wie wir die dicken Wattebäusche am unergründlichen und so unendlich blauem Himmel betrachteten. Ich erinnere mich an die pastellenen Farben und das lebendige Treiben des Frühlings, dessen Wärme sich fast schon heimlich in mein Herz schlich und sich ausbreitete. Und ich kann mich erinnern, wie der Winter verschwand. Wie der Frühling kam und auch er verschwand. Wie der Herbst langsam in seinem leuchtenden Rot und Gelb verblasste. Und wie der Winter wieder kam. Die Temperaturen stiegen und sanken. Die Sonne schien, der Wind blies, der Regen prasselte hinab und wurde irgendwann zu Schnee und Eis, ehe der ganze Kreislauf von neuem begann. Und zwischen all dem ganzen Trubel an Veränderungen, die dauerhaft, ständig, immer, einfach so passieren, kommt es hin und wieder vor, dass man vom Leben erdrückt wird. Das fühlt sich an, als würden Tonnen an Blei an deinen Füßen hängen und dich in eine so unendlich tiefe Schwärze ziehen, die nicht nur von Gleichgültigkeit besprenkelt, sondern auch schmerzhaft real zu spüren ist. All das Positive, all die schönen Gedanken und Erinnerungen verblassen schemenhaft und lächeln dich grotesk an, während sie wie geschmolzenes Eis in der Erde versickern. Ich glaube daran, dass es manche Dinge im Leben gibt, die einfach festgelegt wurden. Sie wurden von einem sadistischen Wesen genau so festgelegt, dass der Mensch immer Positiv und Negativ erfahren wird. Da würde sich nie etwas daran ändern. Erst wenn man von ganz weit oben hinab fällt, spürt man beim Aufprall, dass man noch lebt. Vielleicht nur in einer Sekunde entscheidet sich dann, ob wir Menschen aufstehen und kämpfen oder bibbernd und verängstigt liegen bleiben. Uns dort ganz unten reglos damit zufrieden geben, was für uns vorgesehen war. Genau das tat ich. Mein ganzes Leben lang habe ich akzeptiert und akzeptiert und akzeptiert. Ich war der festen Überzeugung, dass es so kommen musste, wie es nun mal kam. Ich habe es verstanden, dass es nie ein Uns geben würde, nie ein Wir. Niemals. Es schmerzt in meiner Brust, all das zu überdenken, was ich längst tot gedacht hatte, sofern dies überhaupt möglich war und in meiner Macht stand. Denn das, was ich glaubte tot gedacht und verarbeitet zu haben, war längst nicht bewältigt oder vorbei. Niemals. Menschen vergessen nicht das Negative. Menschen sind so sprunghaft wie die Wolken am Himmel, die immer wieder nach vorne, nach hinten, nach rechts oder links flattern, sich nie dessen bewusst zu sein, was das Richtige ist. Mal weiß, mal schwarz, mal geladen, mal voller Flüssigkeit. Wolken quellen irgendwann auf und dann ergießen sie sich ungestüm über der Erde, über alles, was ihnen im Weg steht. Ohne Angst auf Verluste oder Reue. Wenn man voll Pech verfolgt ist, der Sadist des Lebens es so wünscht und du selbst deine Verteidigung nicht schnell genug, nicht stark genug, um dein schwächliches Herz erbaut hast, dann ist es schneller da, als du es hättest kommen sehen. Man verliert sich im Trubel der Veränderung. Und zwischen all der Veränderung, da ziehen die Wolken klamm und heimlich weiter, während man selbst voller Ungeduld noch immer auf den versprochenen Regenguss wartet, der nicht eintreffen würde. Er würde nicht all das Grausame in deinem Kopf hinfort spülen, er würde nicht das Alte und Schlechte verbannen, um dem Neuen Platz zu verschaffen. Die Wolken, der Regen und alles darum herum verschwinden einfach. Von einem auf den anderen Tag. Wie ein kurzes Gewitter im Sommer, zuerst tobend laut, grollend und offensiv und in der nächsten Minute verpufft es mit einem kurzen, grellen Zucken am geschwärzten Himmel. Der zuvor prasselnde Regen, der ungestüm den Weg zur Erde suchte, weicht einem monotonen Plätschern, bis nach wenigen Minuten jegliche Geräusche verebben und sich in der Stille verlieren. Die Wolken ziehen weiter, bis sie nicht mehr erkennbar sind. Und genauso verlieren sich Menschen. So wie der Himmel die Wolken verliert. „Was tust du hier? So ganz allein?“ Ich zucke unter seiner tiefen Stimme zusammen, spüre seine raue Hand an meiner Schulter und ich drehe meinen Kopf in seine Richtung. Schenke ihm ein verbittertes Lächeln. Ich sehe sein Zurückweichen, sein Zögern und sehe das Aufgeben ganz schwach in seinen Augen aufglimmen, ehe er all das aus seinen Gedankengängen verscheucht und mich mit wärmendem Blick betrachtet. „Ich mach mir wirklich Sorgen um dich“, sagt er und zieht mich näher an ihn heran. Ich spüre sein Herz in seiner Brust, spüre wie seine Hitze auf mich übergeht und ich versuche es geschehen zu lassen. Ich versuche es, obgleich mein Herz schon längst verstanden hat, dass mein Versuch scheitern wird. Das Naruto scheitern wird. Seine Augen strahlen, sein Herz pocht laut und stark in seiner Brust und ich wünsche mir nichts Sehnlicheres, als mit all seinem Frohsinn und Leichtsinn einzustimmen. Auf unserem Pfad bin ich an einem Punkt falsch abgebogen und nun finde ich nicht mehr zurück. Und sein ganzes sonniges Gemüt ist mir zu viel. Es erdrückt mich. „Wo ist deine Leichtigkeit nur hin?“, wispert er und ich spüre seinen Atem auf meiner Wange. Ich schüttele den Kopf, lasse die Schultern hängen und klammere mich an ihn. „Es gab immer nur ihn. Ihn. Ihn. Ihn. Nicht dich oder mich. Es gab nie ein Ich. Es gab immer nur ihn“, hauche ich, „Ich hab mich aufgegeben. Für ihn. Für dich.“ Ich spüre die Tränen in mir aufkommen, wie Naruto mich noch näher an sich zieht, höre, wie sein Herz einen schmerzhaften Hüpfer in seiner Brust macht und ich weiß, dass er zerfließt in Schuldgefühlen und Hilflosigkeit. „Der Winter war zu lange“, füge ich hinzu, „Er war einfach zu lang.“ „Der Frühling ist im Anmarsch. Spürst du es nicht?“ Ich lache. Naruto zuckt, aber lächelt wieder. „Finde dich selbst“, murmelt er. Sein blondes, strohiges Haar kitzelt mein Kinn. „Sei du selbst“, flüstert er. Sein Arm fällt von meiner Schulter und er steht auf. „Lebe dich selbst“, haucht er. Ich schlucke die Tränen hinunter und lasse das klitzekleine Glimmen in mir zu, als Naruto den Schnee mit den Händen beiseite schiebt und ich eine winzige Blume entdecke, die den Boden zu durchbrechen versucht. „Selbst der kälteste Winter ist irgendwann vorüber.“ ••• ∞ ••• Du bist meine erste Verliebtheit gewesen, die zwischen dem ersten Erblühen der Maiglocken und dem ersten kühlen Frost des Jahres einfach so über mich gekommen ist. Ich habe nichts Sehnlicheres in meinem Herzen gehabt, als Dich zu lieben und Dich dazu zu bringen, mich ebenfalls zu lieben. Ich habe wirklich gedacht, mit all dem ganzen abgeschlossen zu haben. Ich kam damit klar, dass Du nicht mehr kommen würdest, ganz gleich was ich auch zu Dir sagen würde, was Naruto zu Dir sagen würde. Ich war naiv genug zu glauben, dass es alles funktionieren würde, gäbe ich einfach nicht auf. Gäbe ich Dich nicht auf. Dann warst Du verschwunden. Aber mein Vertrauen bröckelte nie, weil Naruto niemals zweifelte. Zu keiner Sekunde. Deine Rettung vor Dir selbst stand durchweg von Anfang an ganz oben auf seiner Liste. Und irgendwann hatte ich den Schmerz und den Kummer, all das Hoffen und die Enttäuschung satt und ich gab auf. Nicht Dich, weil ich Naruto unterstützen wollte. Ich gab das auf, was mich am Meisten verletzte. Ich gab mich auf. Mein Ich. Mein Sein. Mein Du. Ich habe nie erwartet, dass etwas Besonderes in meinem Leben vorhanden sein würde. Ich habe mir lediglich gewünscht, dass Du dieses Besondere eventuell sein könntest. Ich habe mich bemüht, bis die Wolken sich über mir ergossen und nicht das Schlechte mitnahmen, sondern all mein Hoffen, mein Herzklopfen und meine schönen Erinnerungen an Dich und dieses kleine Uns, das vielleicht eine Herzschlagsekunde tatsächlich existiert hat. Ich gab mich mit dem zufrieden, was ich hatte. Was mein Umfeld mir gab und was ich mir selbst ohne viel Aufwand erarbeiten konnte. Ich war zufrieden. Manchmal. Selten. Viel zu wenig. Dennoch war dieses Bisschen genug für mich und mein Herz. Für mich und meinen Kopf. Ich habe mich abgefunden, niemals dieses überaus Besondere zu bekommen. Ich habe mich damit abgefunden, Dich nicht zu bekommen. Du hast dich der Rache verschworen. Du hast uns auf deinem Weg zurück gelassen und erwartet, dass er und ich weitermachen. Ohne Dich. Du wusstest doch ganz genau, dass Naruto das nicht tun konnte. Niemals hätte Dein Bruder, unser Naruto, Dich aufgegeben. Was hast Du wohl gedacht, als du gingst? Das auf Deinem Pfad nicht genügend Platz für uns alle war? Das wir Dich ausbremsen würden? Ich lache verbittert auf, betrachte die wenigen Stellen voll Schnee, die sich langsam der Frühlingssonne ergeben und zu schmelzen beginnen. Du wolltest, dass Naruto mich nicht alleine lässt. Nicht wahr? Naruto hätte mit Dir mitgehalten und Du hättest ihm mit Freuden Platz auf Deinem kleinen, schmalen Pfad zwischen Tod und Leben gemacht. Schlussendlich hat Naruto Dir Platz gemacht. Und jetzt stehst Du vor mir. Betrachtest mich mit einem seltsamen Blick, den ich von Dir nicht gewohnt bin. „Was machst du?“, fragst Du und verschränkst die Arme vor der Brust. „Weißt du, ihr braucht euch nicht abwechselnd zu bemühen, mich zur Heiterkeit zu bewegen“, entgegne ich, während Deine Augenbraue für Millisekunden in die Höhe schießt. „Ich habe nicht vor, dich zur Heiterkeit zu bewegen.“ „Und warum bist du dann hier? Verschwinde einfach. Das kannst du doch so gut.“ Dein Mund ist ein einziger Strich und wirkt grotesk in Deinem Gesicht, das nach all den Jahren markanter geworden ist. Reifer, männlicher, erwachsener. Du fährst Dir durch Dein schwarzes, langes Haar und die schwache Frühlingssonne lässt es glänzen. „Wie lange willst du noch so sein?“ Ich schnalze mit der Zunge, betrachte für einen Moment die kleine Blume, die Naruto vorhin freigelegt hatte, bevor er ohne weitere Worte verschwand. Du warst die ganze Zeit über da, hast Dir nicht mal die Mühe gegeben, dein Chakra zu unterdrücken und hast uns belauscht. Und Naruto hat es zugelassen. Ich schnaube verächtlich und zwirble eine meiner Haarsträhnen. Ich muss wie ein bockiges Kind auf Dich wirken. „Du bist mir nichts schuldig, Sasuke“, antworte ich, „und wenn du mir etwas schuldig bist, dann wohl nur, mich endlich in Ruhe zu lassen. Hör auf in meinem Kopf zu sein. Hör auf in meiner Nähe zu sein. Hör auf in meinem… Herzen zu sein.“ Du starrst mich an und ich weiß genau, dass Du gerade dabei bist, meine Worte einzuordnen. Du warst meine erste Verliebtheit, die sich irgendwann zwischen Liebe und Hass verloren hat. Irgendwo zwischen dem ganzen Trubel. „Sakura“, Deine raue Stimme beschert mir eine feine Gänsehaut, „liebst du mich noch?“ ••• ∞ ••• Wir stehen uns gegenüber und ich merke, wie mein Herz in meiner Brust an Geschwindigkeit zunimmt. Ich blicke in den Himmel, der wieder dieses unergründliche Blau aufzeigt, spüre die Wärme, die sich langsam unter meine Haut schleicht und dieses Kribbeln verursacht, dass ich das letzte Mal vor vier Jahren gespürt hatte. „Ich weiß nicht, was dieses Gespräch bringen soll. Weder dir, noch mir“, erwidere ich und blicke erneut in sein unbewegliches Gesicht. „Klarheit.“ Ich lache: „Was willst du wirklich Sasuke?“ „So bizarr es für dich klingen mag, aber Freunde sind füreinander da“, sagt er und ich ziehe meine Augenbrauen zusammen. Freunde sind füreinander da? Wann war er je da? Wann war dieses seltsame Etwas an Beziehung überhaupt zu einer Freundschaft geworden? Wir waren Team 7, nicht mehr und nicht weniger. Das musste ich mir in all den Jahren schmerzlich eingestehen. Er scheint zu wissen, was ich denke, denn er kommt auf mich zu, rollt mit den Augen und wirkt so normal-menschlich, dass ich für einen Moment nicht weiß, ob das wirklich der Sasuke ist, den ich kenne. Es passiert so schnell, dass er mich an seine Brust zieht und mich schraubstockartig festhält. Ich rühre mich nicht. „Ich kann damit leben, wenn du nicht mit mir reden willst“, haucht er gegen meinen Haarschopf. Ich hauche ein leises ‚Warum‘ und erwarte nicht, dass er es hört und winde mich in seinen Armen. Ich will hier weg. Mein Herz scheint zu explodieren, als ich erneut seine tiefe Stimme dicht an meinem Ohr höre. „Weil Freundschaft nicht immer aus Reden bestehen muss, weil Freundschaft nicht zwingt und weil Freundschaft das Leben… schöner macht.“ Mir entfährt ein lautes Lachen und er lässt mich endlich los. Ich spüre seinen nachdenklichen Blick auf mir und ich das Bedürfnis ihn zu schlagen verpufft, während sich eine kleine Wolke über die Sonne schiebt und einen Schatten auf uns wirft. „Das hast du von Naruto“, bringe ich kichernd hervor und zwinge mein Herz zur Beruhigung. Er grinst schelmisch und ertappt, fährt durch sein langes Haar und versucht es damit zu bändigen, aber sofort hängen ihm wieder Fransen ins Gesicht. Diese kurze, offene Lockerheit in diesem wirren Wir lässt mich atmen und für einen Moment frei von all dem Schmerz sein. „Du hast meine Frage nicht beantwortet“, bemerkt er rau und wirkt etwas nervös, was mich dazu bringt, eine bittere Grimasse zu schneiden. Er beugt sich ohne einen weiteren Blick auf mich zu werfen zur Blume und fegt vorsichtig mit den Händen den restlichen Schnee um sie herum hinfort. Beinahe zärtlich betrachtet er sie, befühlt die Knospe und setzt sich dann schweigend neben sie. Und während er da so sitzt und ich ihn betrachte, er plötzlich nicht mehr unendlich weit entfernt von mir ist und es sich tatsächlich so anfühlt, als gäbe es wirklich etwas zwischen uns, von ihm, von mir, da schleicht sich dieses Kribbeln überall auf meinen Körper. In mein Herz. In mein Ich, das ich verloren geglaubt hatte. Die Frage Was wäre wenn-? flattert in meinem Kopf und prickelt in meinem Herz. Weil ich es jetzt gutheiße, ich es will. In diesem Moment, da will ich mich. Ich will vom Ich zum Du zum Wir. Mit ihm gemeinsam. „Ich will es“, bringe ich leise hervor und lasse mich neben ihn nieder. Er schaut mich verwirrt an, bis er verstehend nickt und ein leises Lachen über seine Lippen bringt. Ich starre ihn verwirrt an, ehe er seine Hand ganz langsam hebt und mit seinem Zeigefinger eine Träne auffängt und sie mir zeigt. Er lächelt. Und ich spüre, wie eine dicke Wolke in mir sich über meiner Seele ergießt, alles hinfort spült, was schmerzt und dann schiebt sich diese Wolke von meinem Herz weg. Ich betrachte ihn erneut, erwidere dieses ehrliche Lächeln mit all den Gefühlen, die ich zu geben habe und spüre wie das seine noch an Wärme dazu gewinnt und sich meine Nackenhaare aufstellen. Eines wird mir plötzlich schlagartig klar: Das Lächeln der Frühjahrssonne lässt den letzten Schnee schmelzen. Das Lächeln von Dir dagegen mich. Vom Ich zum Du zum Wir… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)