Aus dem Leben eines Meisters der Dunkelheit von UrrSharrador (Oder: Piedmons Alltagsprobleme [Trailer online]) ================================================================================ Kapitel 6: Der Tag, an dem Piedmon endlich eine Haushälterin bekam ------------------------------------------------------------------ Ein Megalevel-Digimon zu sein bedeutet zwangsläufig, schon etliche Jahre auf dem Buckel zu haben. Nur die Besten werden alt, das war ein Sprichwort, das die Selbsthilfegruppe der von ihrem Alter frustrierten Greise, angeführt von einem Jijimon, euphorisch gebrauchte. Auch wenn sich selbstverständlich niemand traute, es den Meistern der Dunkelheit ins Gesicht zu sagen, so war es doch eine Tatsache, dass sie alle nicht mehr die Jüngsten waren. Am ehesten schaffte es noch Puppetmon, über die Länge der Zeitspanne zwischen seinem Schlüpfen als unschuldigem Baby-Digimon aus einem ungefähr ebenso unschuldigen Ei und dem Hier und Jetzt hinwegzutäuschen. Manche meinen, dass es das exzessiv getan hätte und in Wahrheit gar nicht so ein Kindskopf wäre, aber ob dies wahr ist oder nicht, sei nun erst mal beiseite gestellt. Betrachtet man nämlich Piedmon, so hatte es nie das Problem, dass andere es für alt gehalten hätten. Vielleicht lag es daran, dass nur wenige ein Treffen mit ihm überlebten, oder die viele Schminke täuschte über die Jahre auf seinem Buckel hinweg. Sein Problem war, dass es sich selbst nicht wirklich davon überzeugen konnte, immer noch jung und frisch zu sein. Das begann bereits am Morgen, wenn es mit seinen Schwertern trainierte. Seine Gelenke knacksten, und nach einer ungeschickten Trumpfkarte erwischte es ein gewaltiger Hexenschuss. Gebückt verzog es sich wieder in das Hauptquartier. Die Anstrengung, den Spiralberg hochzuziehen, steckte ihm zu jener Zeit noch tief im Kreuz. Auch in seinen eigenen vier Wänden wartete so viel Arbeit, dass es sich nicht erholen konnte. Wer böse Digimon näher kennt, weiß, wie anstrengend es sein kann, böse zu sein. Meistens gibt es auch keinen Kurort, an den man fliehen kann. Piedmon war ein einziges Mal mit den anderen Meistern der Dunkelheit auf Erholungsurlaub zu einer heißen Quelle gefahren. Zuerst hatte der Tag ganz vielversprechend ausgesehen: Machinedramon wollte nicht ins Wasser, weil es fürchtete, zu rosten; Puppetmon wollte nicht ins Wasser, weil es fürchtete, morsch zu werden. Piedmon hatte sich schon auf ein entspannendes Becken für sich allein gefreut, allerdings fühlte sich MetallSeadramon in der Quelle geradezu pudelwohl. Und es war groß, so groß, dass Piedmon ein winziger Bereich blieb, der nicht mit Metall vollgestopft war. Im Endeffekt war es verkrampfter aus der Quelle gestiegen, als es hineingeklettert war. Piedmon sah sich den Saustall an, der wieder einmal in seinem Wohnzimmer herrschte. Es übte sich in seiner Freizeit gerne im Zaubern, und wenn ein Zaubertrick fehl schlug – oder im Gegenteil wirkungsvoller war als erhofft –, konnte schon einmal das eine oder andere Möbelstück kaputt gehen. Außerdem gehörte dringend mal wieder geputzt, und Piedmon hasste diese erniedrigende Arbeit. Seit es letzte Woche fast eines seiner In-Schlüsselanhänger-Verwandel-Tücher als Kopftuch für den Hausputz verwendet hätte – die Folgen wären nicht auszudenken gewesen – verzichtete es sogar ganz darauf. Dass Piedmon kein Meister der Putzmagie war, ist bekannt. Es beherrschte zweifellos eine Menge nützlicher Zaubertricks; es konnte Zirkusbälle und Schwerter aus dem Nichts erschaffen und Menschen in Schlüsselanhänger verwandeln. Es konnte sogar Schlüsselanhänger in Menschen verwandeln – das Ergebnis hieß Klaus-Jürgen und gammelte in einem Verlies unter dem Spiralberg vor sich hin, weil er genauso anhänglich war wie der Gegenstand, der er einmal gewesen war. Aber Sauberzumachen war, selbst nachdem Piedmon das Problem mit seinem Geschirr gelöst hatte, nach wie vor ein schwieriges, kräfteraubendes und vor allem nichtmagisches Vorhaben. An diesem Tag fasste Piedmon, mit schmerzenden Knochen, einem Stechen im Kreuz und dem Auftauchen seines ersten grauen Haars den Entschluss, zu seinem Alter zu stehen und nicht mehr alles selbst zu machen. Eine Haushälterin musste her. Nun wollte Piedmon aber nicht einfach irgendeine Haushälterin. Es war ein Meister der Dunkelheit, also musste sie mindestens so böse sein wie es selbst. Arme und Beine wären auch ganz gut; Piedmon hatte von Numemon gehört, die weder das eine noch das andere besaßen und beim Putzen mehr Dreck als spiegelnde Oberflächen erzeugten. Dann musste das Digimon natürlich auch levelmäßig etwas hermachen – wie konnte ein Meister der Dunkelheit sich mit etwas Geringerem als dem Ultra-Level zufrieden geben? Piedmon setzte also eine Stellenanzeige auf, in der es all seine Kriterien erläuterte. Am nächsten Tag hatten sich einige potentielle Bewerber auf dem Spiralberg versammelt. Es gab eigentlich nicht viele Möglichkeiten, wie seine künftige Haushälterin aussehen würde, aber Piedmon hatte dennoch einen steinigen Weg vor sich, als es ein regelrechtes Casting veranstaltete. Der erste Bewerber war Puppetmon, das es für ein lustiges Spiel hielt, sich zu verkleiden und auf Stelzen zu gehen. Piedmon erkannte es an seiner Nase und ließ es rauswerfen. Als zweites kamen einige Numemon dran, die sich in ein riesiges Monsterkostüm gehüllt hatten. Das Ganze gefiel Piedmon recht gut, die Einzelteile aber eher weniger. Da seine Vilemon gefüttert werden mussten, dankte Piedmon den Digimon und bat sie, sich für eine angebliche zweite Castingrunde hinter dem Hauptquartier einzufinden. Alle weiteren Anwärter waren – nach menschlichen Maßstäben gesehen – weibliche Digimon: Lillymon, Lilamon, Rosemon, das volle Programm. Manch einer wird sich fragen, warum diese Digimon auf Piedmons Annonce reagiert hatten, suchte es doch eine düstere, bösartige Haushälterin. Das ist schnell erklärt. Zu der Zeit, als der Spiralberg errichtet wurde, fand in der DigiWelt verständlicherweise ein großer Umbruch statt. Dieser pflanzte sich auch in dem Identitätsbewusstsein der Digimon fort, in Trends und Mode – sogar in der Architektur, was man Jahrzehnte später als den Vier-Meister-Stil bezeichnen würde und sich durch allerlei Spiralen und gewundene Skulpturen und Türmchen auszeichnete, aber das nur nebenbei. Der Zeitgeist und die bösen Digimon, die plötzlich als die VIPS schlechthin an der Spitze standen, brachten etliche Bewegungen ins Rollen und krempelten Schönheitsideale um. Das brave Pflanzen-Girl der frühen Neunziger (in Menschenzeit gerechnet) war out. Düster, schwarz und fies, das war die neue Devise. Eine gewaltige Gothic-Welle schwappte über die zerstörte DigiWelt. Zeitzeugen erwähnen in diesem Zusammenhang gerne die Prophezeiung von der File-Insel: „Eine große Dunkelheit wird über die DigiWelt kommen.“ Verfechter der Szene und Geschichtskritiker versuchen seit jeher zu widerlegen, dass Apocalymon damit gemeint war. Außerdem lockte das Bild von der Befreiung des wahren Ichs durch rauere Umgangsformen. Literarische Bestseller wie Fifty Shades of Greymon taten ihr Übriges. Lack und Leder ersetzten Blumenkleider und Engelsfedern, Digimon änderten ihre Attacken von effektiven Vernichtungsschlägen zu langwierigen Prozeduren, die vor allem Schmerzen erzeugen sollten. Und so durfte sich Piedmon durch eine Schar aus Digimon schlagen, die im Grunde gutartig und freundlich waren, aus Imagegründen aber Schwarz trugen, blass geschminkt waren und sich selbst klingende Namen wie DarkLillymon, BeatThemAllToDeathLilamon oder EvilMistressRosemon gaben. Bei FallenAngewomon wurde es Piedmon schließlich zu viel und es scheuchte die Bewerberinnen wütend davon. Es wollte eine Haushälterin, die durch und durch böse war. Harte Schale, harter Kern, nichts anderes. Am Ende blieb ein einziges Digimon stur in seiner Empfangshalle stehen. Piedmon hatte an dem Tag schon mehr als genug falsche LadyDevimon gesehen; sie entsprachen in dieser Zeit der Veränderung quasi den It-Girls der Menschenwelt. Piedmon wollte das Digimon eben mit einem künstlerisch vollendeten Zauberschuss ins Jenseits befördern, als es sagte: „Und hier soll ich die Putze spielen? Was für ein dreckiges Loch. Schmiert Euch das in die Haare!“ Und da wusste Piedmon, dass es das richtige Digimon für seine Drecksarbeit gefunden hatte. LadyDevimon hatte auf die Stellenanzeige für eine Putzkraft reagiert, nur um ihm zu sagen, dass es ihm hier zu schmutzig wäre. Solche Dreistigkeit war genau das, was Piedmon gesucht hatte, genau die tiefgreifende Art von Bosheit, die es in der DigiWelt verbreiten wollte. Vom Fleck weg stellte es LadyDevimon ein. Bis zu seinem Ableben putzte LadyDevimon übrigens tatsächlich nicht. Es war eine gute Gesellschafterin in einsamen Stunden, ein mehr oder minder treuer Streiter gegen die DigiRitter und auch sonst eine große Hilfe für einen alternden Meister der Dunkelheit, aber nicht ein einziges Mal sah man es mit einem Putzlappen. Ob es Stolz war oder einfach nur die Fülle an Schmutz, die es davon abhielt, ist nicht bekannt. Dienstgeber und Haushälterin einigten sich einfach darauf, das Hauptquartier stets so finster wie möglich zu halten, damit man möglichst nicht erkennen konnte, wie es darin aussah. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)