My lovely Valentine von Tamanna (Geschichtensammlung zum Valentinstag) ================================================================================ Kapitel 1: Das süße Geheimnis ----------------------------- Der Valentinstag stand kurz vor der Tür. Auch in so einer ernsthaften Organisation wie Celestial Being ging dieser Tag nicht ereignislos vorbei. Wenn auch nur minimal. Christina Sierra hatte sich die kommenden Tagen freigeben lassen, um in einem speziellen Kochseminar die Herstellung von Valentinsschokolade zu lernen. Etwas, dass sie schon lange vorhatte. Das Seminar würde von Donnerstagfrüh bis Freitagnachmittag gehen. Heute Abend war die Anreise. Also verließ Chris in der Mittagspause ihren Platz, um ein paar Sachen zusammen zu packen. Auf dem Weg in ihr Zimmer traf sie auf Lockon Stratos und Feldt Grace. „Hey, Chris!“ grüßte Lockon sie. „Gehst du ein paar Sachen packen?“ „Ja. Ich will unbedingt noch den Auftrag von Sumeragi-san erledigen, bevor ich fahre. Da bleibt nur jetzt Zeit dafür.“ „Kennst du in diesem Kurz jemanden oder bist du dort ganz allein?“ wollte Feldt wissen. „Ich kenne schon ein paar. Dieser Kurs existiert ja auch über ein Forum im Internet. Ganz allein wäre ich eh nicht, Tieria kommt ja auch mit.“ Lockon traute seinen Ohren nicht. „Tieria besucht einen Kochkurs?!“ „Ja. Hat er das nicht erzählt?“ wunderte sich Chris gespielt. Sie kannte Tieria gut genug um zu wissen, dass das nicht verwunderlich war. „Jedenfalls nicht mir. Aber Hauptsache, Sumeragi-san weiß darüber Bescheid“, sagte Lockon achselzuckend. „Weiß sie. Ich muss jetzt, ich will hinterher noch was Essen.“ Chris zog weiter. Sie kannte den wahren Grund, warum Tieria diesen Kurs besuchte. Aber sie würde es nicht sagen. Es war ein Geheimnis und sie war stolz, es zu kennen. Tieria redete nie über sich, schon gar nicht mit ihr. Aber dann hatte Chris in seiner Gegenwart von dem Kurs erzählt – und er kam zu ihr und fragte, ob er mitkönne. Er vertraute ihr sogar den Grund dafür an! Das dürfte sie nicht missbrauchen, auch, wenn es ihr unter den Nägeln brannte, es weiterzusagen. Aber am Valentinstag würden es ohnehin alle wissen. Davon ahnten jedoch Lockon und Feldt nichts. „Kannst du dir vorstellen, dass Tieria kochen lernt?“ fragte Lockon leicht amüsiert. „Nein“, meinte Feldt tonlos. „Aber er benimmt sich in letzter Zeit recht seltsam.“ „Wie meinst du das?“ „Ian-san hat mir erzählt, dass seine Frau Linda öfter Besuch von Tieria bekommen hat.“ „Wie oft?“ „Jeden Tag mehrere Stunden.“ „Und was haben die da gemacht?“ „Frag sie doch selbst. Linda-san ist hier.“ Sofort suchte Lockon Linda auf. Eigentlich war es nicht seine Art, anderen hinterher zu schnüffeln, aber irgendwie ließ ihn Tieria’s Verhalten keine Ruhe. Er nahm sich fest vor, die Füße stillzuhalten, sobald er wusste, was Tieria bei Linda gemacht hatte. Das sollte sich noch ändern… „Wie? Du willst wissen, was Tieria von mir wollte?“ Die Blondine legte freundlich lächelnd den Kopf schief. „Da gibt es nicht viel zu sagen. Tieria kam zu mir und bat mich, ihm das Stricken beizubringen. Das ist alles.“ Lockon kam aus dem Staunen nicht mehr raus. Erst der Kochkurs und jetzt das? Was sollte das denn Bitteschön werden, wenn es fertig war? „Oh, da fällt mir was ein“, sagte Linda und holte ein Päckchen hervor, das sie Lockon reichte. „Das ist der Pullover, den Tieria gestrickt hatte. Er muss für jemand ganz Besonderes sein! Er hat sich sehr viel Mühe gegeben und ab und zu habe ich gesehen, wie er den Pullover liebevoll angesehen hatte. Das sah sehr süß aus. Wenn du Tieria siehst, gib ihm das doch.“ Sprachlos ging Lockon wieder. Draußen im Gang stoppte der Brünette und musterte das Päckchen in seinen Händen. Dabei wunderte er sich über Tieria – und auch über sich selbst. Warum war er auf einmal so verärgert? Eigentlich hatte sich Lockon ja vorgenommen, seine Nase aus Tieria’s Angelegenheiten herauszuhalten. Aber irgendwie ließ ihm die Tatsache keine Ruhe, dass Tieria einen Verehrer hatte und diesen zum Valentinstag beschenken wollte. Er wusste allerdings nicht genau, weshalb ihn diese Tatsache so störte. Schlussendlich redete er sich ein, dass er als „Großer Bruder unter den Gundam Meister“ lediglich dafür sorgen wollte, dass Tieria’s Verehrer auch gut zu ihm war. Also suchte Lockon nach Tieria – unter dem Vorwand, ihm den Pullover geben zu wollen. Doch dann erfuhr er, dass Tieria schon weg war. Offenbar war Christina frühzeitig mit ihrer Aufgabe fertig geworden und brach früher als geplant auf. Tieria schloss sich ihr an. Frustriert zog sich Lockon in sein Zimmer zurück. Das Päckchen warf er auf sein Bett und legte sich selbst daneben. Die Decke anstarrend, versuchte Lockon seinen Kopf freizubekommen, aber immer wieder flimmerte das Bild von Tieria und dem mysteriösen Kerl vor seinem geistigen Auge vorbei. Wie der Kerl den Pullover und die Schokolade bekam. Wie Tieria ihn umarmte und küsste. Und das Bild störte… und störte… und störte. Warum störte ihn das so?! Ruckartig setzte sich Lockon auf und griff nach dem Päckchen, starrte es lange an. Was ihn zum folgenden Schritt bewog, verstand er bis heute nicht – Lockon riss das Geschenkpapier herunter und entfaltete den Pullover. Er war moosgrün und überraschend weich. Anhand des schönen, aber komplizierten Musters konnte man erkennen, wie viel Arbeit und Liebe in dem Pullover steckten. Lockon ertappte sich bei dem Wunsch, ihn anzuziehen. Dann spürte er abermals Ärger in sich aufsteigen. Er konnte unmöglich zwei Tage warten, um zu erfahren, wer dieser Glückspilz war! Entschlossen sprang Lockon vom Bett auf und suchte sich ein paar warme Sachen zusammen. Er musste wissen, wer der Mann war, den Tieria so sehr liebte! Inzwischen kamen Christina und Tieria in der Pension an. Es war eine hübsche, kleine Pension mitten in den Bergen, umgeben von Wald. Eine kleine, freundliche alte Dame mit rundlichem Gesicht begrüßte sie, führte sie überall herum und erklärte ihnen alles. Dann brachte sie die beiden auf ihr Zimmer. Christina warf ihre Tasche auf ihr Bett. „Stört es dich wirklich nicht, wenn wir uns ein Zimmer teilen?“ „Wir haben eh keine andere Wahl“, erwiderte Tieria tonlos und packte aus. „Außerdem stehen die Betten doch auseinander.“ Chris grinste schelmisch und ließ sich auf’s Bett plumpsen. „So, dann lass uns mal über dich und deinen Schatz reden!“ Tieria zuckte zusammen und lief leicht rot an. „Mei- Mein Schatz? Er ist nicht mein Schatz! Noch ist er gar nichts…“ „Richtig. Hoffentlich kannst du das ändern. Was für eine Schokolade willst du ihm denn machen?“ „Ich weiß noch nicht genau… Eigentlich weiß ich gar nicht so genau, welche Schokolade er mag. Hoffentlich isst er sie trotzdem.“ „Ach, das wird er bestimmt!“ sagte Chris fröhlich. „Und vielleicht kommt ihr ja zusammen!“ „Das ist mir nicht so wichtig. Ich wünsche mir nur… dass er weiß, wie viel er mir bedeutet. Er soll verstehen, dass es jemanden gibt, der ihn liebt und jederzeit alles geben wird, um ihn zu beschützen.“ Chris seufzte verträumt. „Hach~ Ich wünschte, ich hätte auch so einen tollen Typen an meiner Seite! …Oh, sieh nur! Es fängt an, zu schneien!“ Tieria trat ans Fenster und sah hinaus. Tatsächlich schneite es draußen und es wurde von Minute zu Minute heftiger. Vielleicht käme bald ein Schneesturm auf? Der folgende Abend und der nächste Tag verliefen ohne besondere Ereignisse. Einzig der Schneefall wurde stärker und verwandelte sich tatsächlich in einen Schneesturm, wodurch die einzige Straße zur Pension völlig zugeschneit und unpassierbar war. Nachdem sie tags zuvor gelernt hatten, wie man Schokolade selbst machte, dürften die Schüler am Freitag ihre eigene Schokolade machen, die sie dann verschenken wollten. Nach langem Überlegen entschied Chris, Schokolade für Licht zu machen. Er war zwar etwas seltsam, aber eigentlich ganz süß. Also kreierte Chris ein großes Schokoladenherz, verzierte den Rand und schrieb in die Mitte „Für Licht“. Stolz betrachtete sie ihr Werk, dann blickte sie rüber zu Tieria’s Arbeitsplatz. Neidisch sah sie, dass dieser mehrere Schokopralinen gemacht hatte, die er nun einzeln sorgfältig verzierte. Bei näherem Hinsehen konnte Chris auch erkennen, wie er sie verzierte. „Das ist ja süß! Fast zu niedlich, um sie zu essen!“ rief sie freudig. „Hoffentlich denkt er nicht auch so“, schmunzelte Tieria und verzierte die letzte Praline, die er in eine spezielle Schachtel legte. Plötzlich klopfte es an der Hintertür, die sich in der Küche befand. Die fröhlichen Gespräche verstummten und die Arbeiten wurden eingestellt. Wer konnte das sein? Wer kam bei so einem Wetter hierher und klopfte dann an der Hintertür? Vorsichtig öffnete die Pensionsleiterin die Tür und erschrak, als sie einen vermummten Mann sah. Der Mann trat ein und nahm Mütze, Skibrille und Schal ab. Chris schlug die Hand vor den Mund. „Lockon! Wo kommst du denn her?!“ „Ich hab mich gestern auch auf den Weg hierher gemacht“, erklärte Lockon und zog sich die Handschuhe aus. „Nachdem ich erfuhr, wo die Pension ist, fuhr ich her. Dann kam mir aber der Schneesturm dazwischen und ich musste zu Fuß den restlichen Weg gehen.“ „Aber wieso? Was willst du denn hier?“ wunderte sich Tieria. Lockon’s Blick fiel auf Tieria – er wirkte sehr ernst und irgendwie auch verärgert. „Ich bin hier… weil ich wissen will, wer dieser Glückspilz ist, für den du mit soviel Liebe einen Pullover gestrickt und hier selbst Schokolade gemacht hast“, antwortete Lockon zornig, baute sich vor Tieria’s Tisch auf und schlug plötzlich mit der flachen Hand auf die Arbeitsplatte. „Wer ist der Kerl, der das Glück hat, von dir geliebt zu werden?!“ Völlig sprachlos deutete Tieria in Lockon’s Richtung. Dieser schaute hinter sich, konnte aber niemanden sehen. Verwirrt wandte er sich wieder Tieria zu, der Rot angelaufen war. „Da! Du bist der Kerl“, half Tieria verlegen nach. „Zeig ihm doch die Pralinen, dann versteht er es vielleicht“, schlug Chris vor. Tieria hob die Pralinenschachtel hoch und hielt sie ihm hin. Die Pralinen sahen aus, wie kleine Haros. Lockon errötete. Wie peinlich! Chris fing an zu kichern. „Sowas! Was hättest du denn mit dem vermeintlichen Verehrer von Tieria gemacht? Wolltest du ihn verprügeln?“ „Natürlich nicht!“ protestierte Lockon peinlich berührt. „I-ich wollte nur sicher gehen… ob der Typ auch der Richtige für Tieria ist!“ „Von wegen! Du hättest ihn sicher verprügelt, so eifersüchtig, wie du gerade warst“, neckte Chris weiter. Lockon lief puderrot an. „Du… spinnst ja…“, nuschelte er verlegen und wollte gehen. Tieria hielt ihn jedoch zurück. „Warte! Du bist extra den weiten Weg hergekommen…“ Er hielt ihm die Schachtel hin. „Hier, das ist für dich. Ich hoffe, du magst sie.“ Lockon nahm die Schachtel. „Vielen Dank.“ „Und? Hat dir der Pullover gefallen?“ „Wie? Oh… äh… ja, der ist sehr schön…“ „Hast du ihn anprobiert?“ „Nein… Ich wollte gern, aber… ich dachte, er wäre nicht für mich gedacht, also…“ „Trotzdem hast du ihn ausgepackt“, mischte sich Chris ein und fing sich dafür einen bitterbösen Blick von Lockon ein. „Wenn wir zurück sind, zieh ihn bitte an“, bat Tieria. „Ich muss wissen, ob er dir passt.“ „Ja… das mache ich…“ „Tieria! Warum bringst du Lockon nicht auf unser Zimmer? Dann kann er sich am Kamin etwas aufwärmen“, schlug Chris vor und zwinkerte. Tieria verstand den Hinweis und führte Lockon ins Zimmer. „Wir sind fast durch mit dem Kurs. Du kannst ja hier solange warten, bis wir aufbrechen. Der Schneesturm hat auch schon nachgelassen, also sind die Straßen bald passierbar. Wir fahren dann gemeinsam zurück.“ „ …Tieria?“ „Hm?“ „Es tut mir leid. Ich habe dir die ganze Überraschung verdorben.“ „Schon gut, dass macht doch nichts. Du hast dir bloß Sorgen gemacht. Es ist schön zu wissen, dass ich dir so wichtig bin“, sagte Tieria sanft. Lockon schüttelte den Kopf. „Nein, so ist das nicht. Ich habe das nur gesagt, weil ich… weil es mir peinlich war, es vor Christina zuzugeben. Aber die Wahrheit ist… sie hat recht. Ich WAR eifersüchtig. Der Gedanke, dass du einen Anderen liebst… dass dich ein Anderer berührt… hat mir keine Ruhe gelassen. Es hat mich wahnsinnig gemacht. Mich dazu gebracht, bei einen Schneesturm durch den Wald zu laufen.“ Lockon lachte leise und fuhr sich durch die Haare. „Sowas ist mir noch nie passiert… dass ich einem Mann so hinterher laufe! Du hast mir ganz schön den Kopf verdreht!“ „Lockon… ich verstehe nicht ganz“, sagte Tieria verwirrt. „Was soll das bedeuten? Warum warst du so eifersüchtig?“ Zunächst überrascht, lächelte Lockon sanft, fuhr Tieria liebevoll durch die violetten Haare und flüsterte: „Ich kann’s dir nicht verübeln, dass du nicht verstehst. Ich hatte schließlich nie etwas getan, das darauf hindeuten könnte, dass ich etwas für dich empfinde. Aber das werde ich jetzt ändern.“ Behutsam nahm Lockon Tieria die Brille ab, nahm sein Gesicht in die Hände und gab ihm einen leidenschaftlichen Kuss. Tieria stöhnte in den Kuss hinein und genoss ihn, bis zur letzten Sekunde. Dann löste sich Lockon von ihm und hauchte: „Ich liebe dich, Tieria.“ Wieder stöhnte Tiera, dann fiel er dem Brünetten um den Hals, sodass dieser rücklings aufs Bett fiel, und küsste ihn stürmisch. Eigentlich wollte Tieria an diesem Valentinstag Lockon seine Gefühle offenbaren, aber es kam genau andersherum. Und darüber könnte er nicht glücklicher sein… ~ Owari ~ Kapitel 2: Sag es einfach! -------------------------- Heute ist Valentinstag. Die Homurahara High School in Fuyuki City veranstaltete heute ihr alljährliches Valentinsfest. Die Hauptattraktion des Festes war „Valentins Botschaft“. Dabei gingen sowohl Jungs als auch Mädchen auf eine Bühne und verkündeten ihre Liebe. Wie der Angesprochene darauf reagierte, blieb jedem selbst überlassen. Gerade betrat Shinji Matou die Bühne – alle Mädchen der Homurahara High School begannen zu kreischen. Wem würde der Mädchenschwarm wohl seine Liebe gestehen? Der hochnäsige Shinji fuhr sich mit einem selbstgefälligen Lächeln durch die blauen Haare, schnappte sich das Mikrofon und verkündete lauthals: „Rin Tohsaka! Ich erlaube dir hiermit, meine Freundin zu sein!“ Rin, die brünette Schönheit und ihrerseits Schwarm aller Jungs an der Homurahara High School, zückte ein selbstgemachtes Schild, auf dem „5/100 Punkte“ stand. Während den Mädchen die Gesichtszüge entgleisten und Rin verständnislos anstarrten, brachen die Jungs in schallendes Gelächter aus. Seit geschlagenen drei Jahren versuchte Shinji nun schon, Rin zu erobern, blitzte jedoch jedes Mal eiskalt ab. Betrübt trottete Shinji von der Bühne und Fujimura-san ermutigte die Schüler, auf die Bühne zu kommen. Rin schmunzelte und verzog sich an den Rand der Menschenmenge. Dort, von den anderen unbeobachtet, standen zwei junge Damen, die eigentlich nicht hierher gehörten. Damit sie nicht weiter auffielen, trugen Saber und Illyasviel ebenfalls die Uniform der High School. „Das ist wirklich ein lustiges Fest“, gluckste Illya und stopfte sich Dangos in den Mund. Saber hingegen rümpfte die Nase. „Mir erschließt sich der Sinn dieser Veranstaltung nicht. Warum stellen sich diese Schüler auf die Bühne und lassen sich von allen demütigen?“ „Aber in aller Öffentlichkeit eine Liebeerklärung zu machen, ist doch sehr romantisch“, meinte Illya und blickte verwundert zu Saber auf. Die Blondine wirkte schlagartig etwas betreten. „Ich habe nicht viel Erfahrung in Sachen Romantik.“ „Warst du denn zu Lebzeiten nicht verheiratet?“ Saber schüttelte den Kopf. „Nein. Das hätte ich auch nicht gekonnt. Ich war zwar die Thronerbin, doch es galt immer noch das vorrecht für die Männer, König zu sein. Hätte ich geheiratet, wäre mein Mann König von England geworden und ich wäre nur noch seine Frau. Das hätte ich nicht hinnehmen können. Ich habe nicht in unzähligen Schlachten gekämpft und wichtige Entscheidungen für mein Reich getroffen, um eine Zierde zu sein.“ Illya wollte gerade protestieren, als Rin sich zu ihnen gesellte. „Lass nur, Illya. Saber ist eben nicht wie andere Frauen“, kicherte sie. „Außerdem lebte sie in einer anderen Zeit. Deren Gewohnheiten können wir nicht nachvollziehen.“ Dann warf sie einen Blick auf die Uhr. „Hm… wann will sie es denn machen? Das Fest ist gleich zuende und ich muss noch die Abrechnungen machen.“ „Wer will was machen?“, fragte Illya mit vollem Mund. „Sakura wollte heute auch eine Liebeserklärung machen“, erklärte Rin. „Tatsächlich? An wen?“ Rin zwinkerte fröhlich. „Shiro, wer sonst?“ Die Dangos, die sich Illa gerade noch in den Mund gesteckt hatte, vielen nun aus selbigen heraus. „HÄ?!! Das kommt ja gar nicht infrage! Shiro gehört mir!!!“ zeterte sie dann. „… Er ist dein Halbbruder“, antwortete Rin leicht empört. Illya zog eine beleidigte Schnute. „Na und?!“ Ein Jubel brach los. Die drei Mädchen sahen zur Bühne, wo Sakura gerade von Fujimura-san Richtung Mikrofon geschoben wurde. Rin lächelte sanft. Abgesehen von ihr war Sakura ebenfalls sehr beliebt bei den Jungs. Sie war ja auch echt süß! Illya verzog das Gesicht. „Na, das werden wir ja noch sehen!“ schimpfte sie und stürmte in die Schülermenge. Rin versuchte, ihren Arm zu fassen, doch die Kleine entschlüpfte ihrem Griff. „Hey, Illya! Warte!“ rief sie ihr nach, jedoch war das Mädchen mit den schneeweißen Haaren schon verschwunden. Die Brünette seufzte. „Dieses Mädchen…“ Ihr Blick fiel auf Saber neben ihr und erst jetzt bemerkte sie, dass diese recht bedrückt aussah. „Was hast du, Saber?“ Die Blondine erschrak und setzte schnell ein Lächeln auf. „Nichts. Ich… ich freue mich nur, dass Sakura und Shiro zusammen kommen werden. Es ist ja kein Geheimnis, dass sie in ihn verliebt ist…“, sagte sie etwas zu schnell. Rin hob die Augenbrauen. „Na ja, es steht ja noch nicht fest, ob die beiden ein Paar werden“, warf sie ein und musterte Saber nachdenklich. Diese wich ihren forschen Blicken aus und fuhr fort: „Warum denn nicht? Sakura ist ein tolles Mädchen, hübsch und süß… Und sie kann sehr gut kochen, ist sehr fürsorglich und…“ „Aber eigentlich hoffst du doch, dass sich Shiro für dich entscheidet, oder?“ fragte Rin, der ein Licht aufging. Saber zuckte zusammen, dann wurde sie wieder ernst. „Es ist egal, was ich hoffe. Ich bin ein Servant, die für ihren Master um den heiligen Gral kämpfen soll. Wenn dieser Krieg beendet ist, werde ich wieder verschwinden. Es ist besser für alle, wenn Shiro sich für Sakura entscheidet“, sagte sie mit fester Stimme. Auf der Bühne klopfte Sakura leicht gegen das Mikrofon, was die Aufmerksamkeit der beiden Mädchen darauf lenkte. Sakura war puderrot im Gesicht, nahm jedoch allen Mut zusammen und stammelte: „S-Shiro-senpai… ich liebe dich!!“ Die Schüler redeten laut durcheinander. Einige Jungs, darunter Shiro’s bester Freund Issei, klopften Shiro auf die Schultern, während Illya zeternd am Arm ihres Bruders zog. Saber wandte ihren Blick wieder ab. Es war doch schwerer, als sie gedacht hätte. Doch die Antwort ihres Masters wollte sie auf gar keinen Fall hören! Sie würde ohnehin früh genug erfahren, wie er reagiert hatte. Sie ging. Shiro entging dies nicht. Bestürzt über den traurigen Gesichtsausdruck der Blondine bahnte er sich einen Weg durch die Menge. Doch als er durchgedrungen war, war sie bereits verschwunden. Hilfesuchend wandte er sich an Rin. „Was ist denn los?“ Rin strich sich nervös über den linken Arm. Was sollte sie tun? Sakura war einst ihre Schwester und noch heute hatte sie stets ein wachsames Auge auf die Jüngere. Nichts hätte sie glücklicher gemacht, als wenn sie mit ihrer Liebe zusammenkäme. Doch sie konnte nicht ignorieren, was mit Saber war. Und das Shiro sie gern hatte, war auch nicht zu übersehen. Nach einigem Nachdenken entschied sie sich dazu, das Richtige zu tun. Saber hatte sich auf den Sportplatz zurückgezogen, um abseits der Menge den Kopf frei zu bekommen. Doch so sehr sie es auch versuchte, es gelang ihr einfach nicht. Ob sich Shiro und Sakura wohl gerade in den Armen lagen? Sich küssten? Der Gedanke schmerzte, aber sie wurde ihn nicht los. Die Sonne ging bereits unter, doch dieser sonst so schöne Anblick konnte dieses Mal ihr Herz nicht erfreuen. Müde ließ sie ihren Kopf auf ihre Knie sinken. Manchmal wünschte sie sich, nichts fühlen zu können… „Wenigstens… bist du an der Seite Derjenigen, die dich verdient“, murmelte die Blondine abwesend. „… Das ist also deine Antwort?“ ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihr. Überrascht drehte sich Saber um – Shiro stand hinter ihr und lächelte sanft. „Shiro-kun… was tust du denn hier?!“ rief Saber überrascht und sprang auf. „Ich dachte, du wärst bei Sakura-chan?“ „War ich auch. Um ihr zu sagen, dass ich mich zwar sehr geehrt fühle… aber sie nur eine Freundin ist.“ „Warum denn das?! Sakura ist doch…“ „Ja, sie ist wirklich ein tolles Mädchen. Aber mein Herz gehört dir, schon von dem Moment an, als du so plötzlich vor mir erschienen bist“, flüsterte Shiro. Saber errötete leicht, dann wurde sie wieder ernst. „Shiro! Hast du schon vergessen, dass es mein Ziel ist, den heiligen Gral zu gewinnen?! Wir müssen wachsam sein und können uns keine romantischen Eskapaden leisten…“ „Saber“, unterbrach Shiro sie sanft. „Jetzt hör doch mal auf! Ich habe dir gerade gesagt, dass ich dich liebe. Dass ich dir einer guten Freundin vorziehe. Ich weiß sehr wohl, dass du nicht für immer hier bist, aber… können wir denn nicht bis dahin… unsere gemeinsame Zeit genießen?“ Saber öffnete den Mund, um zu protestieren, doch Shiro’s sanftes Lächeln brachte sie rasch zum Schweigen. Abgesehen davon war sie gerade unheimlich glücklich darüber, dass Shiro Sakura abgewiesen hatte – auch, wenn es ihr für Sakura leid tat. Die Blondine lächelte ergeben. Shiro betrachtete Saber eindringlich. Er liebte sie von ganzem Herzen, auch wenn sie nur wegen diesen elenden Krieges hier war. Doch das musste nicht heißen, dass sie auch verschwinden musste, wenn das alles hier vorbei war. Shiro erinnerte sich nur zu gut daran, was Kotomine-san zu ihm sagte, als er den Priester bezüglich der Servants befragte. Natürlich gibt es eine Möglichkeit, dass ein Servant in dieser Welt bleibt. Lass Saber von dem heiligen Gral trinken, dann erhält sie ein zweites Leben. Die einzige Schwierigkeit war es, Saber davon zu überzeugen. Schließlich war es ihr bestreben, das Schicksal England’s mithilfe des heiligen Grals zu ändern. Doch das konnte warten, bis die Zeit gekommen war… „Einen schönen Valentinstag, Saber.“ ~ Owari ~ Kapitel 3: Kasugas Geschenk --------------------------- Kasuga war gerade auf dem Rückweg von einem Erkundungsausflug, als sie durch ein kleines Dorf kam, in dem gerade ein Fest gefeiert wurde. An vielen Ständen wurden Süßigkeiten angeboten. Darunter Dangos, Mochis, Kamaboko und Kuromane. Von jedem kaufte sie ein paar Stück und ließ sich auch von einigen Kindern süße Nektarinen schenken. Nachdem sie gemütlich über den Festplatz geschlendert war, setzte sie ihre Reise am Nachmittag fort, damit sie noch vor Sonnenuntergang wieder bei Fürst Uesugi sein würde. Ihr Weg führte sie nur noch durch einen Bergwald. Nachdem sie vom Gipfel wieder abwärts stieg und immer auf den Beutel voller Süßigkeiten aufpasste, bemerkte sie schon, dass die Sonne langsam tiefer sank. Rotgolden schimmerte sie durch die Blätter und sie eilte nun doch etwas schneller voran. Doch plötzlich hörte sie ein Geräusch und fast im selben Moment stieß sie mit etwas zusammen, das weder so hart wie ein Baum, noch so weich wie eines der Waldtiere war. Sie hörte zudem einen eher menschlich klingenden Aufschrei. Ihren Geschenkbeutel fest in der Hand, landete sie etwas unsanft auf dem eigentlich weichen Waldboden. Ihr Gegenüber landete ebenfalls auf dem Boden, doch direkt hinter ihm war ein Baum. „Was zum-“, begann sie zu fluchen und suchte nach dem Kontrahenten ihres Zusammenstoßes. Der hockte am Baum ihr gegenüber und rieb sich den Hinterkopf. Das wilde dunkelbraune Haar stand ihm von allen Seiten ab und unter seinen Augen konnte sie je zwei schwarze Striche erkennen. Seine Kleider waren eher in dunklem Grün gehalten – ideal für Einsätze im Wald. „Du! Was zum Teufel tust du hier?“, fluchte sie, kaum, dass sie ihn erkannt hatte. „Das sollte ich eher dich fragen.“, war die Antwort. „Sasuke Sarutobi!“, zischte sie wütend seinen Namen. „Wer befindet sich hier denn unrechtmäßig auf Fürst Uesugis Lehen?! Also, ich höre! Was tust du hier?“ Sasuke lachte. „Falls du dich daran erinnerst... Dein Fürst hat meinem einige Ladungen Salz versprochen.“ „Und?“ „Und? Liebste Kasuga, ich bin bei deinem Fürsten gewesen um die Route und den Zeitpunkt der Lieferung zu besprechen. Das ist doch wohl nicht verboten, oder?“ Kasuga rümpfte die Nase. Natürlich wusste sie von der versprochenen Salzlieferung. Allerdings war sie davon ausgegangen, oder hatte es wenigstens gehofft, dass diesmal nur ein schriftlicher Austausch der beiden Fürsten stattfinden würde. Die Sache mit dem Salz war sowieso eine ganz kuriose Angelegenheit. Fürst Date hatte selbst gerade ausreichend Salz, da der Landstrich am Meer von seinem Lehen nur wenig Salz bot. Hingegen hatten sowohl dessen Nachbarfürst als auch Fürst Uesugis benachbarter Fürst mehr als genug Salz. Fürst Date handelte mit seinem Nachbarn nur gelegentlich. Da Fürst Takeda und Fürst Uesugi ihre Fehde mit höchstem Respekt füreinander führten war es also keine Frage, dass Fürst Uesugi seinem Kontrahenten das Salz schenkte. Seine Worte, auf Kasugas verwirrtes Gesicht hin, waren folgende: Er kämpfe nicht mit Salz sondern mit dem Schwert. „Hey, was hast du denn da?“, riss Sasuke sie aus ihren Gedanken. Sie hatte nicht einmal die Chance zu reagieren, als Sasuke ihr fast im selben Moment den Beutel aus der Hand zog und frech hineinlugte. „Oh! Lecker!“ Vor Wut zitternd stand Kasuga da und sah, wie Sasuke sich eines der Mochi herausnahm. Und dann auch noch ein Sakura-Mochi! Wütend zog sie ihre Kunai und was sie noch alles zum Werfen hatte und schleuderte es auf Sasuke. Erschrocken ließ er den Beutel fallen und war im nächsten Moment an den Baum hinter sich genagelt. „Hey!!“ „Du wagst es!! Die Köstlichkeiten waren für meinen Fürsten und nicht für dich!“, fluchte sie und kniete vor den verstreuten Süßigkeiten nieder. An den Dangos, die aus ihrer Reisblatthülle gerollt waren, klebten jetzt Grashalme. Die Mochi hatten etwas Erde abbekommen und der zartrosafarbene Reis war jetzt schmutzig. Einzig die Kamaboko konnte sie schnell vom Schmutz befreien, da die Teighülle nicht klebrig war. Die Kuromane waren auch in Reisblattsäckchen gefüllt, die man nicht unbedingt mitessen brauchte. Sie sammelte die Süßigkeiten alle wieder ein und verstaute sie in dem Beutel. „Geh dir doch neue holen!“, meinte Sasuke. Kasuga band den Beutel zu und ging dann zu dem Ninja des Fürsten Takeda. Völlig ohne Vorwarnung verpasste sie ihm eine schallende Ohrfeige und verschwand dann. Sasuke war überrascht und die Stelle im Gesicht zwirbelte ziemlich. Vorsichtig zerrte er sich vorwärts und hörte, wie der Stoff riss. Dann stolperte er ein Stück vorwärts und war frei. „Dass sie sich keine neuen kauft, wenn ihr das so wichtig ist... Hätte sie mich nicht angegriffen, wäre das gar nicht erst passiert.“, murmelte er und setzte seinen Weg zu seinem Fürsten fort. Kasuga eilte weiter durch den Wald bergab. Die Wut über Sasukes Dreistigkeit sorgte für eine überraschende Geschwindigkeit. Gerade als die Sonne glutrot tiefer sank erreichte sie den Garten. Das Sonnenlicht tauchte ihn in einen goldenen Schimmer. Der rote Ahorn leuchtete geradezu, der See glitzerte golden und die Terrasse, auf der der Fürst gerade Tee trank, wurde vom letzten Sonnenlicht geflutet. Sie seufzte und schritt über das weiche Gras zur Terrasse. Vor dem Fürsten sank sie auf die Knie. „Mein Fürst.“, sagte sie leise um seine Aufmerksamkeit zu wecken. „Meine liebe Kasuga. Endlich bist du zurück.“ „Ja... Und ich wollte Euch eigentlich etwas mitbringen, aber...“ „Aber was?“ Sie holte den Beutel hervor, legte ihn auf das Terrassenholz und breitete seinen Inhalt aus. „Ich bin im Wald mit Sasuke Sarutobi zusammengestoßen. Er hat mir den Beutel gestohlen und in eines der Mochi gebissen. Dabei sollten diese Köstlichkeiten für Euch sein! Wütend wie ich war, habe ich ihn mit meinen Kunais an einen Baum genagelt, dabei sind die Süßigkeiten auf den Waldboden gefallen. Bitte verzeiht, dies ist kein würdiges Geschenk mehr für Euch.“, erklärte sie und wollte es wieder weglegen. Doch Fürst Uesugi berührte sanft ihre Hand um sie zurückzuhalten und schob sie beiseite. Dann nahm er einen Dango-Spieß und zupfte die Grashalme jeden einzeln aus der klebrigen Glasur. Kasuga beobachtete diese Feingliedrigkeit seiner Finger und schluckte schwer. Fürst Uesugi hingegen biss genüsslich in einen Dango. Dass dort noch etwas Erde an der Glasur klebte, störte ihn offensichtlich keineswegs. Sie schaute ihm dabei zu und war überrascht, dass ihn die Grashalme und der Sand nicht störten. Als nächstes nahm der Fürst das halbwegs unversehrte Teigfischlein mit der süßen Bohnenfüllung. Nachdem das gegessen war, säuberte er das verbliebene Dango und genoss den süßen Geschmack. „Stört es Euch denn gar nicht?“, fragte Kasuga vorsichtig. „Was sollte mich denn stören, meine Hübsche?“ Sie errötete und pfriemelte die Grashalme zusammen, die auf dem Terrassenboden lagen. „Es stört mich überhaupt nicht. Du hast es mir als Geschenk mitgebracht und nur weil Sasuke es fallen gelassen hat, bedeutet es nicht, dass die Köstlichkeiten nicht schmecken.“, sagte er. „Aber sie würden besser schmecken, wenn sie nicht auf den Waldboden gefallen wären!“, ereiferte sie sich. Fürst Kenshin leckte sich die Finger genüsslich ab und schaute sie dann an. „Liebste Kasuga...“ Er strich mit dem noch leicht feuchten Finger über ihre Lippen. „Nicht dein Geschenk erfreut mich so sehr... Es freut mich viel mehr, dass die schönste meiner Klingen wieder an meiner Seite ist...“ Kasuga hatte das Gefühl in wohlig warmen Flammen aufzugehen. Die Berührung jagte ihr Schauer über die Haut, die sie seufzen ließen. „Mein Fürst...“ Er lächelte und nahm sich dann die anderen Süßigkeiten vor, die sie mitgebracht hatte. Kasuga beobachtete ihn dabei und eigentlich freute sie sich, dass er sie trotzdem aß. Lächelnd schaute sie ihm zu und genoss das Farbenspiel, dass die untergehende Sonne im Garten und auf seinem Gesicht zauberte... ~ owari ~ Kapitel 4: Sturmtief Tyson -------------------------- Max hatte Geburtstag und hatte alle seine Freunde aus Tokyo und China eingeladen. Selbst die Allstarz hatte er eingeladen. Kai war leider vorher schon nach Amerika geflogen. Als Ray, Kenny, Hilary und Tyson eintrafen, fiel ihr Blick als erstes auf einen teuren schwarzen Mercedes der nahe Max' Haus geparkt hatte. „Wem der wohl gehört?“, fragte sich Hilary laut. „Keine Ahnung. Wenn ich's nicht besser wüsste, würd' ich sagen, das ist Kais... Aber ich glaub nicht, dass der hier ist.“, sagte Tyson. „Egal, lasst uns reingehen. Max wartet sicher schon.“, meinte Ray. Gemeinsam gingen sie zur Tür, die auch gerade aufging. Emily stürmte hinaus. „Was machen die denn hier?“, fauchte sie. „Hey, da seid ihr ja!“, grüßte Max sie und wandte sich dann an Emily, die mürrisch knurrte. „Was ist los? Unseren Überraschungsgast hast du doch auch reingelassen. Wieso nicht auch Tyson und die anderen?“ „Bei ihm ist das ja auch was anderes...“, murmelte Emily und verschwand im Haus. Max lachte und bat seine Freunde herein. „Wie war die Reise?“ „Um Himmels Willen! Frag bloß nicht! Schrecklich!“, maulte Hilary. „Ganz gut.“, meinten stattdessen die Jungs hinter ihr. Max führte sie in den Partyraum, wo die Allstarz, Judy und – zur Überraschung der vier – Kai saßen. Als Tyson Kai sah, wurde ihm sofort warm ums Herz. Er mochte ihn. Seit er hier in Amerika ist, hat er sich zwar verändert, aber...nur zum Besten. Er hat eine ungemein erotische Anziehung... Okay, die hatte er vorher schon... „Hey Leute! Wisst ihr, wem der schwarze Mercedes draußen gehört?“, fragte Hilary. Keiner rührte sich, nur Kai stand als einziger auf, ging zum Fenster, sah hinaus und spielte dabei mit einem Schlüssel. „Du?“, fragte Hilary erstaunt. „Ganz recht. Der Wagen gehört ihm. Ich hab auch Augen gemacht, glaub mir.“, grinste Max Tyson staunte nicht schlecht. Ist nicht wahr! Das scharfe Teil da unten gehört Kai? Später am Abend brachte Judy ein paar Gläser und eine Sektflasche. „Max, du darfst den Sekt aufmachen. Das ist schließlich dein Geburtstag.“, sagte sie. Max nahm lachend die Flasche entgegen und öffnete sie mit einem lauten Knall... Stunden später war Tyson schon ziemlich angeheitert. „Komm schon, Kai. Trink mal 'n Schluck.“, sagte er fröhlich und hielt Kai ein Glas Sekt unter die Nase. „Nein, ich muss noch nach Brooklyn fahren, lass mich mit dem Zeug in Ruhe!“, fauchte Kai. Tyson stellte wacklig das Glas auf den Tisch und lehnte sich dann gegen ihn. „Was willst du denn in Brooklyn?“, fragte er. „Ich wohne da, du Holzkopf!“ „Achsooo, sag das doch gleich. Nimmst du mich mit?“ „Oh nein, Freundchen. Schlaf du mal schön in deinem Hotelzimmer! Bei mir nicht!“, erwiderte Kai. Tyson seufzte. „Du, ich muss dir was sagen...“, nuschelte er und bedeutete Kai, näher zu kommen, bis er nahe genug an dessen Ohr war. „Ich will bei dir sein. Ich liebe dich.“ Kai sprang auf. „Spinnst du!?“, fauchte er und entfernte sich von Tyson. Die anderen sahen zu ihnen. Und man deutlich die Gedanken lesen. Sie fragten sich, was los war und warum Tyson schon wieder Kai ärgerte. Tyson schaute Kai nach. Hab ich was falsch gemacht? Kai war dabei, das Haus zu verlassen. Idiot! Tyson ging ihm nach, während Max gerade einfiel, dass er seine Geschenke noch gar nicht ausgepackt hatte. „Kai?“, sagte Tyson vorsichtig. „Was?“, fauchte Kai. „Hilf mir mal... Kann ich das Max schenken? Ich meine, ich soll ihm von Ray das Buch hier schenken. Ich dachte mir, das sieht so einsam aus und hab den noch dazu gekauft.“, erklärte Tyson und hielt ein verpacktes Buch und einen hübschen Kugelschreiber in der Hand. „Kann Ray ihm das Buch nicht alleine schenken, oder warum sollst du das machen?“, fragte Kai. „Ja keine Ahnung, er könnte es ihm selber schenken, ja. Er wollte aber, dass ich das mache.“ „Dann gib es ihm wieder, er kann das selber machen. Und was dein Geschenk angeht... Armseliger ging's nicht, oder? Schenk ihm doch noch was Sinnloseres, 'n Bleistift!“, sagte Kai und verließ das Haus. Tyson sah ihm genervt nach. Hahaha... Sehr witzig. Ich will nicht wissen, was du ihm schenkst! Er sah wie Kai zu seinem Auto ging und rannte ihm dann hastig hinterher. Kai wollte noch sein Geschenk holen. Eigentlich waren es zwei. Zum einen wollte er Max eine neue Startertasche schenken, zum anderen hatte er eine Kette mit seinem Namen besorgt. Hinter sich hörte er Tysons Schritte. Oh Mann... Das ist das erste und letzte Mal, dass ich das tue! Mit beiden Geschenken drehte er sich zu Tyson um. „Pass auf, ich mach das nur einmal, klar! Hier, nimm das Geschenk und gib es Max. Das ist eine Kette mit seinem Namen.“, sagte er. Tyson sah ihn mit großen Augen an. „Das ist nicht dein Ernst? Und du?“, fragte Tyson. „Ist egal. Ich hab was. Also geh schon, oder willst du hier draußen noch erfrieren?“, meinte Kai und schon Tyson wieder die Treppe zum Haus hinauf. Max freute sich riesig, als er die Geschenke bekam. Vor allem über das Buch, aber er wusste genau, dass das nur von Ray kommen konnte, denn nur ihm hatte er davon erzählt. Die Kette von Tyson, beziehungsweise von Kai, erzielte ebenso ihre Wirkung. Eigentlich freute sich Max über alle Geschenke, sogar über Tysons Kugelschreiber. Es war mitten in der Nacht, als Max die Party schließlich beendete. Kai kam das gerade Recht, denn Tyson wurde schon wieder ziemlich aufdringlich. Sie brachten ihn noch zur Haustür, wo Tyson sofort ein Theater veranstaltete, kaum dass Kai überhaupt einen Fuß über die Schwelle gesetzt hatte. Er rannte die Treppe hinunter und klammerte sich an ihm fest. „Nimm mich mit!“ Kai knurrte grimmig. Emily stand geschockt daneben und die anderen zogen die Augenbrauen hoch. Ray konnte ein Grinsen nicht verkneifen, Kenny hielt sich eine Hand über die Augen und seufzte und Hilary verdrehte die Augen. „Du bleibst hier!“, sagte Kai. „Nein! Ich will aber nicht!“, jammerte Tyson. „Du bleibst hier!“ Kai schüttelte Tyson mühselig ab und ging zu seinem Auto. Tyson hingegen jammerte weiter, heulte, ja schrie fast und wollte unbedingt mit Kai nach Brooklyn. „Kai?“, rief Max ihm nach. Seufzend wandte sich Kai um. Tyson hockte heulend zu Max' Füßen. Oh bitte... Peinlicher geht es wirklich nicht mehr... „Nimm ihn bitte mit, sonst schreit er hier noch die ganze Nachbarschaft zusammen.“, sagte Max. „Das ist doch nicht Ernst? Das kannst du vergessen!“, meinte Kai. „Er wird mit dem Theater nicht aufhören, bis du ihn mitnimmst.“, sagte Ray. „Muss das denn sein?“, fragte Kai genervt. „Nun mach schon, Tyson hört sonst nicht auf.“ „Das kann ja heiter werden... Juhu.“, murmelte Kai. „Wenn's denn sein muss!“, fügte er laut hinzu und sofort sprang Tyson freudestrahlend auf und hüpfte die Treppe hinunter. Auf der letzten Stufe allerdings geriet er ins Stolpern. Kai hörte ihn bereits und drehte sich im rechten Moment um. Er fing ihn auf und Tyson sah ihn betreten an, wollte sich aber direkt an ihn schmiegen. „Wag es dir und du bleibst hier!“, zischte Kai ungerührt. „Ach Mann...“, maulte Tyson. „Zick hier nicht rum und steig ein!“ Fröhlich öffnete Tyson die Autotür. „Du sitzt hinten!“, blaffte Kai. Tyson ließ die Tür wieder zuknallen und stieg hinten ein, während Kai sich gerade vorn niederließ. „Kai... Ich krieg das mit dem Gurt nicht hin.“, sagte Tyson leise und fummelte an dem schwarzen Gurt herum. Genervt seufzend beugte sich Kai nach hinten und gurtete ihn an. „So und jetzt will ich keinen Mucks mehr hören, bis wir in Brooklyn sind!“ „Kannst du nicht alleine laufen? Musst du dich an mich lehnen? Du bist schwer!“, maulte Kai und ging mit Tyson zum Fahrstuhl des Wohnblocks in Brooklyn. „Ach komm.“, murmelte Tyson. Kai knurrte leise. „Okay... Du gehst die Treppe hoch. Zum 9. Stock!“ „Was? 9. Stock?“ „Ganz recht. Na los! Nur zu!“, sagte Kai und ließ Tyson stehen. „Hey!“ Kai drückte den Knopf am Fahrstuhl. Tyson schwankte auf ihn zu und ließ sich gegen seinen Rücken fallen. Die Fahrstuhltüren öffneten sich und Kai stolperte mit Tyson am Rücken klebend hinein. „Würdest du mich jetzt bitte loslassen?“, murrte Kai genervt. „Ich will kuscheln...“, murmelte Tyson. „Kuschel doch mit Hilary! Mit mir nicht!“, antwortete Kai. „Neeeeiin... Doch nicht mit der! Ich will nichts von Hilary.“ „Dann lass mich wenigstens in Ruhe!“ Der Fahrstuhl erreichte die neunte Etage und Kai schlüpfte mit Tyson am Arm hinaus und schlürfte zu seiner Wohnung. „Lass mich los!“ „Nein!“ „Ich kann sonst nicht aufschließen!“ „Oh, 'tschuldige...“ Tyson ließ ihn los und Kai schloss auf. Nachdem er sich und ihm die Schuhe ausgezogen hatte und Tyson auch die Jacke, verfrachtete er ihn auf das Sofa. „Bleib da sitzen!“, sagte er, warf seine Jacke auf den Sessel und ging in das Zimmer nebenan. Bleib doch noch hier! Gegen Kais Willen folgte Tyson ihm. „Kai...“ Kai zuckte zusammen. „Ich hab doch gesagt, du sollst auf dem Sofa bleiben!“, fauchte er. Halb ausgezogen wirbelte er zu Tyson herum, dem beinahe der Atem stockte. Wow! Ja, ich weiß wieder, warum ich ihn liebe!! „Na los! Raus!“, sagte Kai. „Och Kai!“, sagte Tyson und kam stattdessen näher. „Zieh Leine!“, schimpfte Kai. Doch Tyson ließ nur ein Schnurren hören. Kai schnappte sich eine Decke und warf sie Tyson ins Gesicht. „RAUS!“ Tyson maulte irgendetwas und hielt die Decke fest. Aufgebracht nahm Kai ihn an den Schultern, schob ihn hinaus und setzte ihn auf das Sofa. „Du schläfst da!“ „Ich will aber bei dir schlafen.“, jammerte Tyson. „Oh ja! Und am besten noch gleich mit mir, so wie du dich hier aufführst! Vergiss es!“, sagte Kai wütend, ging in sein Schlafzimmer und schlug die Tür zu. Tyson hörte, wie er auch noch abschloss. Schade... Aber 'ne gute Idee wär's ja... Aber ich glaube kaum, dass er da jetzt mitmacht... MIST!!! Widerwillig verkroch sich Tyson unter Decke und schlief ein. Nachdem Kai das Schlafzimmer tysonsicher gemacht hatte ließ er sich ins Bett fallen und seufzte. Endlich Ruhe... Was denkt der sich eigentlich? Zum Glück fliegt er morgen zurück... Immer noch etwas griesgrämig schlief auch er bald ein... Schwerfällig richtete sich Kai am nächsten Morgen auf. Ooh... Er hat gestern gesoffen und ich hab die Kopfschmerzen. Na super! Sie waren zwar nicht schwer, aber sie waren da und sie störten ihn gerade. Müde stand er auf und ging aus dem Zimmer. Tyson lag schlafend auf dem Sofa, die Decke lag auf dem Boden. „Du Idiot!“, murmelte Kai und legte die Decke wieder über Tyson. „Mmmh... Bleib hier...“, schnurrte Tyson und zog Kai zu sich. „Vergiss es!“, brüllte Kai und riss sich los. „Aua...“, murmelte Tyson. „Was denn jetzt noch?“ „Mein Kopf...“ Tyson stand auf lehnte sich gegen Kai. „Selbst Schuld! Was säufst du auch soviel!“ „Kai, kann ich hier bleiben? Ich hab dich lieb...“ Kai knurrte, doch Tyson verstand es offensichtlich falsch und kuschelte sich an ihn. „Das reicht! Raus!“, sagte Kai, befreite sich von ihm und schob ihn zur Tür. „Aber Kai! Ich muss dir doch noch was sagen!“, japste Tyson und hielt sich am Türrahmen fest. „Was?“, schnappte Kai. Tyson fiel ihm um den Hals. „Ich liebe dich!“ Wütend schubste Kai ihn raus. „Vergiss es! Zieh Leine! Flieg verdammt nochmal nach Hause! … Und glaub ja nicht, ich flieg dir hinterher!“, fauchte Kai und schlug ihm die Tür vor der Nase zu. „Liebeskrank!“, fauchte er und lehnte sich gegen die Tür. Flieg bloß wieder zurück nach Tokyo! Kai fuhr sich durch die Haare und ließ sich dann auf das Sofa fallen. Sein Blick fiel auf das Kissen neben ihm und somit auf Tysons Basecap. Auch das noch... Er starrte das Basecap an. Ob das so 'ne gute Idee war, ihn rauszuschmeißen? Ich hab mal wieder nicht nachgedacht... Wer weiß... Vielleicht bin ich ja der größere Idiot von uns beiden...? Es war bereits Abend, als Opa Granger Tyson, Hilary und Kenny vom Flughafen abholte. Er brachte die beiden noch nach Hause, doch währenddessen und während der Fahrt zu ihrem Dojo schwieg Tyson. Auch zu Hause ging Tyson sofort in sein Zimmer. Er hat mich überhaupt nicht erklären lassen! Er hat, wie immer, nicht nachgedacht! Nicht an andere gedacht! … Und... verdammt, das ist es doch, was mich an ihm so reizt! Seine Unnahbarkeit! Ich liebe ihn... Und er? Er schmeißt mich einfach raus! Eiskalt! Womit hab ich das verdient? Was hab ich ihm getan? … Ach soll er doch in New York schmoren! Wenn er nicht will, soll er doch da bleiben! Idiotischer Ignorant! Es dauerte nur eine Woche, bis Tyson sich wieder völlig normal verhielt. Als wäre nie etwas gewesen. Ganz im Gegensatz zu jemand anderem in New York. Kai saß anteilnahmslos im Lesesaal. Sein Kommilitone beäugte ihn schon. „Hey, Kai? Was ist los mit dir? In letzter Zeit bist du echt komisch.“ „Nichts. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob ich bei jemandem einen Fehler gemacht hab oder nicht...“, meinte Kai. „Du klingst so, als hättest du deine Freundin rausgeworfen!“, flüsterte er und sein Grinsen war fast breiter als das der Grinsekatze aus dem Wunderland. „So in etwa...“, seufzte Kai. Nur das „sie“ ein „er“ war... Nämlich ein kleiner verrückter Wildfang namens Tyson, der wie ein Sturm alles völlig durcheinander gebracht hat. Und das mit nur drei Worten... Drei Worte mit solch einer Wirkung... Chris wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum. „Hey, Träumer! Der Alte ist da!“, sagte er. Der „Alte“, wie sein Kommilitone ihn so gern nannte, war der Professor des Philosophie-Kurses und der stand gerade neben Kai, die Fäuste in die Hüften gestemmt und trommelte mit mit einem Fuß auf dem Holzboden herum, sodass es der ganze Lesesaal hören konnte. „Mr. Hiwatari! Falls Sie sich daran erinnern, hatten Sie alle die Aufgabe, eine Lebensphilosophie aufzustellen! Ich höre!“, knurrte er. Kai sah ihn einen Moment musternd an. Hatte er das? Na wenn das so war. „Lebe und denke nicht an morgen. Ich hau ab, ich muss was wichtiges klären!“, sagte er dann, griff seine Tasche und verließ den Saal, die Blicke der anderen auf sich spürend. Sein Weg hatte ihn direkt zum Dekan geführt. Dem hatte er ein Heidentheater vorgegaukelt, nur damit er ihn rauswarf. Jetzt war er auf dem Weg nach Hause. Er packte die wichtigsten Sachen ein, was erstaunlicherweise nicht viel war und rief Max an. Der sollte seine Möbel abholen und bei sich im Keller lagern. Dass da unten Platz genug war, wusste er. Sein Auto brachte er noch am selben Tag zu einem Übersee-Spediteur der es nach Japan bringen sollte. Um die weitere Überführung zum Airport von Tokyo kümmerte er sich auch gleich. Das Schiff legte auch sofort ab, er hatte also Glück gehabt, dass sein Auto überhaupt noch mitdurfte. Kai selbst flog am Nachmittag des darauffolgenden Tages nach Tokyo. Der Flug war nicht lange, weshalb er nur wenig Zeit hatte, darüber nachzudenken, was er hier eigentlich tat. Ich muss doch echt verrückt sein, dass ich das hier tue! Ich hab das Studium geschmissen und meine Wohnung aufgelöst, nur um nach Tokyo zu fliegen! Mach ich das gerade wirklich, nur um mich bei ihm zu entschuldigen? … Oh Mann, da hätte ich doch anrufen können! Was mache ich hier eigentlich... Als er am Tokyoter Flughafen ankam, stand sein Auto bereits auf dem Parkplatz. Den Schlüssel holte er am Terminal ab, warf seine Taschen in den Kofferraum und auf die Rückbank und fuhr los. Vor dem Dojo der Grangers hielt er an. Sein Blick ging als erstes in den wolkenverhangenen Himmel. Ein kalter Wind wirbelte um ihn herum und ließ ihn frösteln. Es würde wohl doch bald schneien – und das nicht zu wenig, wie es aussah. Kai straffte sich. Na dann... Hoffentlich ist er auch da. Mit einem komischen Gefühl im Bauch betrat er das Grundstück. Als er um das Dojo herumkam, sah er Hilary an der Tür stehen. „Okay, bis dann“, sagte sie, drehte sich um und sah Kai mit großen Augen an. „Oh, ich glaube, du hast Besuch bekommen, Tyson!“, fügte sie hinzu, die Augen weiterhin auf Kai gerichtet. Er schluckte schwer und kam näher. „Ich geh dann jetzt.“, meinte Hilary und ging an Kai vorbei. Im selben Moment trat Tyson aus der Tür heraus. Er musterte Kai einen Moment lang. Kai kam es vor, als würde er ihn von oben bis unten ansehen, so als hätte er ihn noch nie in seinem Leben gesehen. „Was willst du denn hier?“, fragte er dann. „Was werde ich wohl wollen?“, fragte Kai zurück. Ich kann mir jetzt keine Schwäche erlauben... Besser gesagt, ich will es nicht. „Keine Ahnung. Du musst mir schon sagen, was du hier willst.“ Tyson klang kühl. Und dass er Kai halbwegs zitierte, war ihm nicht entgangen. Ja, er war sauer auf ihn, das merkte Kai. „Ich will mich bei dir entschuldigen.“ Tyson schaute ihn misstrauisch an. Dann segelte eine dicke Flocke vor Kais Gesicht zu Boden. Ihr folgten weitere und recht schnell standen sie beide im Schneefall. „Komm mit. Gehen wir in den Pavillon.“, sagte Tyson und drehte sich um. Kai folgte ihm durch einen Gang wieder hinaus in einen geschlossenen und vor allem angenehm beheizten Pavillon. Sie setzten sich gegenüber. „Wofür willst du dich entschuldigen?“ Kai schnaufte, schloss ganz die Augen und sah hinaus, wie der Schnee sachte eine weiße Decke auf den hübschen Garten legte. „Dafür, dass ich dich so fies rausgeschmissen habe. Tut mir Leid.“ Tyson lachte kurz. „Das fällt dir aber spät ein.“ „Jetzt mecker noch rum... Sei lieber froh, dass ich überhaupt hergekommen bin!“, sagte Kai. Er hatte bissig klingen wollen, aber irgendwie war es eher ein beleidigter Tonfall geworden. „Ja, schön. Da hättest du aber auch anrufen können. Wär' dich um einiges billiger gekommen!“, entgegnete Tyson. „Ich bin nun aber hergeflogen. Ist das so ein Problem für dich auf einmal?“ „Ja, ist es.“, sagte Tyson, als wäre das Ganze hier eine völlige Belanglosigkeit. „Wieso?“ Tyson schaute ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an. „Du fragst mich allen Ernstes, warum es für mich ein Problem ist, dass du jetzt auf einmal hergeflogen kommst, um dich für etwas zu entschuldigen, was du vor Tagen getan hast? Wo du auch locker mal eben hättest anrufen können? Es sofort hättest tun können? Ich glaub ich spinne! … Ich hab dir meine Gefühle preisgegeben und du hast mich abgewiesen! Abgewiesen als wäre ich ein verdreckter Straßenköter, der in deiner ach so sauberen Wohnung nichts verloren hat! Und das ohne es mir IRGENDWIE zu erklären! Findest du das fair?!“, wütete Tyson und wurde dabei teilweise richtig laut. „Nein... Deswegen bin ich ja hier.“, sagte Kai, bemüht, ruhig zu bleiben. Tyson zeigte ein Lächeln, dass nicht gerade wohlwollend gemeint war und sah zu dem Schneetreiben hinaus. „Du hast mir gesagt, was du fühlst. Dann kann ich das doch auch machen.“ Kai sah Tyson an, doch es kam keine Reaktion. „Hörst du mir überhaupt zu?“, fügte er hinzu. Tyson sah wieder zu ihm. „Dazu ist jetzt wohl zu spät. Du hast mir an dem Tag klar gemacht, dass es keinen Sinn hat. Überdeutlich.“, war seine Antwort darauf. Kai starrte ihn sprachlos an. Wie bitte? Zu spät? War das alles jetzt umsonst, oder was? Ich hab umsonst meine Wohnung aufgelöst und das Studium geschmissen? Nur um jetzt wie der letzte Depp dazustehen? Mit nichts?! Willst du mich verarschen? „Was? „Du hast mich schon verstanden. Du kommst zu spät!“, sagte Tyson. Wortlos und mit einem Kopfschütteln stand Kai auf, ging zur Tür, hielt dann aber doch noch inne. Er lachte trocken und legte den Kopf in den Nacken. „Und dafür hab ich alles hingeschmissen... Ich Idiot!“, sagte er und ging hinaus in das wilde Schneetreiben. Tyson runzelte die Stirn, dann stand er auf und lief ihm nach. „Wie meinst du das? Was hast du hingeschmissen?“, fragte er. „Alles... das hab ich doch grad gesagt.“, meinte Kai nur und ging vor das Haus in Richtung seines Autos. „Was heißt alles?“ Kai drehte sich ruckartig um, sodass Tyson beinahe in seine Arme gelaufen war. So nahe wie sie sich gerade standen, dachte Kai überhaupt nicht daran, den Abstand auch nur irgendwie zu verringern. Ganz im Gegenteil, er tat ein paar Schritte vorwärts, sodass Tyson letztendlich mit dem Rücken an der Haustür stand und sich gegen den Rahmen lehnte. „Mein Studium... Meine Wohnung... Meine Möbel stehen bei Max und mein Auto steht hier vor deiner Tür, im Kofferraum alles mögliche, was ich sonst noch besitze! Und warum?!“, sagte er mit einer tiefen Stimme. Tyson schluckte. Kai klang zwar wütend, aber er konnte eine gewisse Reue daraus hören. Weil er alles aufgegeben hatte, nur um hier abgewiesen zu werden? Oder etwa doch, weil er Tyson zu hart angefahren und rausgeworfen hatte? Er konnte es nicht sagen. Aber die Tatsache, dass Kai in New York alles hingeworfen hatte und mit Sack und Pack hierher gekommen war... Was sollte er dazu sagen? „Ich bin hergekommen, um mich dir zu erklären. Mich zu entschuldigen. Alles in der Hoffnung, dass du vielleicht immer noch so fühlst, wie zu Max' Geburtstag... Aber da hab ich mich wohl sehr getäuscht. Dann werde ich wohl von vorne anfangen müssen... Mach's gut...“ Er ließ Tyson einfach stehen und ging auf sein Auto zu. „Bleib stehen.“ Er hat das alles aufgegeben? Ich hätte nie erwartet, dass er das wegen mir tun würde... Dabei hat er gesagt, er würde mir nicht nachfliegen und so schien es doch auch... Ich versteh die Welt nicht mehr... Kai hatte es gehört, aber wozu noch reagieren. Was brachte das denn noch? „Bleib stehen! Sofort!“, rief Tyson und rannte ihm hinterher. Kai drehte sich um und sah ihn nur noch haltlos auf sich zustolpern. Im nächsten Moment lagen beide im frisch gefallenen Schnee. „'tschuldigung... Tut mir Leid. Ist alles okay?“, fragte Tyson. „Ja, schon gut.“, knirschte Kai und beide standen wieder auf. Tyson sah zu Boden. Kleine Schneesterne glitzerten in seinen Haaren und Kai konnte nicht anders als sie anzusehen und zu lächeln. „Ich... hab meine Gefühle für dich nicht vergessen. Ich war nur wütend.“, sagte Tyson betreten. „Können wir drinnen reden? Ich glaube mein Rücken wird gerade nass.“, entgegnete Kai, ohne auf Tysons Worte einzugehen. „Ja, natürlich...“, meinte Tyson und zusammen gingen zum Pavillion zurück. „Warum jetzt auf einmal? Du warst doch eben noch so abweisend?“, fragte Kai, als sie jetzt nebeneinander saßen. „Das fragst du mich noch? Du hast alles aufgegeben. Nur um hierher zu kommen und dich zu entschuldigen... Wie sollte ich da noch sauer auf dich sein?“, erklärte Tyson. „Schon okay... Ich hab das eigentlich auch gemacht, um dir etwas zu sagen. Du weißt schon, was ich meine.“, sagte Kai und flüsterte Tyson dann „Ich liebe dich“ ins Ohr. ~ Owari ~ Kapitel 5: Backen für Anfänger ------------------------------ Backen für Anfänger Kiritsugu Emiya hatte gerade wieder einen Auftrag abgeschlossen und kehrte nun in das Schloss abseits von Fuyuki City zurück. Hoffentlich hatte Saber gut auf seine Frau aufgepasst. Eigentlich war es ihm ein Dorn im Auge, das die beiden Frauen sich so gut verstanden. Das lag daran, dass Saber und Kiritsugu nicht miteinander klarkamen – ihre Ideale und Vorgehensweisen unterschieden sich wie Tag und Nacht. Vor dem Schloss stoppte der Wagen und der Magierkiller stieg aus. Er betrat die Eingangshalle und staunte, dass weder Saber noch Irisviel zu sehen waren. Normalerweise empfingen sie ihn, wenn er ins Schloss zurückkehrte, da Irisviel seine Ankunft stets im Vorfeld spürte. Da war doch nichts passiert? Kiritsugu wollte gerade nach den Frauen suchen, als sein Blick auf ein Blatt Papier fiel, dass auf der Kommode lag. Neugierig hob er es hoch und sah es sich an. Es war ein Flyer, der damit warb, dass ein Laden in der Stadt anlässlich des Valentinstages seine Preise auf alle Verpackungsmaterialien gesenkt hatte. Der Schwarzhaarige wunderte sich, warum der Flyer hier herumlag und nicht sofort im Müll verschwunden war. Er wollte ihn gerade zusammenknüllen, als eine Stimme ihn aufhielt. „Warte! Wirf das noch nicht weg!“ Maiya, Kiritsugu’s Assistentin, eilte die Treppen herunter und nahm ihm den Flyer ab. „Den brauche ich noch. Deine Frau hat mich angewiesen, dort einzukaufen.“ „Wo ist sie denn?“, fragte Kiritsugu, verwundert, dass Irisviel Maiya für solche Botengänge benutzte. „Die gnädige Frau ist mit Saber in der Küche. Saber wollte für einen Mann Schokolade machen und die gnädige Frau wollte ihr dabei helfen.“ Mit dieser Erklärung ließ Maiya ihn allein. Kiritsugu erstarrte. Seine Zigarette fiel ihm aus dem Mundwinkel und landete auf dem blitzsauberen Boden. Saber und Irisviel waren in der Küche und kochten? Das war ja entsetztlich! Dem schockierten Kiritsugu flimmerten Bilder durch den Kopf – Erinnerungen daran, was das letzte Mal geschah, als die beiden gekocht hatten… Rückblick Es war nur wenige Monate her. Damals hatte sich Kiritsugu eine schwere Grippe eingefangen, lag mit hohem Fieber und Schüttelfrost im Bett. Irisiviel war sehr besorgt um ihren Mann. „Du hast wirklich hohes Fieber. Du musst unbedingt im Bett liegen bleiben!“ „Ist es was Ernstes?“, erkundigte sich Saber leicht besorgt. Irisviel lächelte. „Nein, nein. Er brauche nur viel Ruhe, dann wird das schon. Oh, und er muss essen! Ich werde mal in die Küche gehen und dir einen Reisbrei kochen!“ „Ich helfe dir“, meinte Saber. „Äh… hast du denn schon mal Reisbrei gekocht?“, krächzte Kiritsugu. Seine Frau hatte nicht viel Erfahrung in der Küche. Irisviel, die gerade zur Tür hinaus wollte, hielt inne und warf ihm einen überraschten Blick zu. „Nein, aber das kann ja nicht so schwer sein!“ Schon waren die beiden Frauen verschwunden. Kiritsugu hustete stark, war aber nicht deswegen besorgt. Ich weiß nicht… aber irgendwie habe ich ein komisches Gefühl dabei… wenn die beiden Reisbrei für mich kochen… Naja, Reisbrei ist keine hohe Kochkunst, da kann man eigentlich nicht viel falsch machen. Aber ich schau mal besser nach. Also stand Kiritsugu vorsichtig auf und schlich hinunter in die Küche. Die Tür war zu und der Schwarzhaarige wollte nicht auf sich aufmerksam machen. Stattdessen drückte er sein Ohr an die Tür und lauschte. „Also, erst einmal brauchen wir Reis!“, hörte er Irisviel sagen. „Der Reisbrei soll so gut werden, dass er gleich beim ersten Happen wieder gesund wird!“ „Hm… meinst du, Gemüsebrühe hilft dabei?“ „Bestimmt, gute Idee! Wie viel Salz nimmt man eigentlich?“ „Keine Ahnung… die halbe Packung?“ „Alles klar. Ups! Jetzt hab ich alles reingetan!“ „Wie wäre es mit einem Energydrink? Dann wird er wieder fit!“ „Gute Idee! Was könnte noch helfen? Vielleicht Zwiebelsaft? Lebertran wäre auch gut. Und Hustensaft nicht vergessen!“ „Vitamintabletten könnten wir doch auch reintun, oder?“ „Stimmt, die sind gesund!“ „Oh, und wie wäre es mit Schweineschmalz, Irisviel? Bei uns damals wurde viel damit gekocht und es hat uns nie geschadet.“ „Dann immer rein damit!“ Langsam ging Kiritsugu rückwärts. Das war ja fürchterlich! Offenbar wollten sie ihn vergiften! Auf gar keinen Fall dürfte er diese Pampe aus der Hölle essen, sonst würde er ganz sicher sterben! Er musste hier weg, so schnell wie möglich! Zielsicher steuerte Kiritsugu das nächste Fenster an, öffnete es und wollte gerade hindurchklettern, als die Küchentür aufging. „Kiritsugu! Wohin willst du denn?! Du bist doch schwer krank!!“ Der Magierkiller erstarrte. Jetzt konnte ihm nur noch ein Wunder helfen… Rückblick Ende An mehr konnte sich Kiritsugu im Nachhinein nicht erinnern. Ihm wurde nur später von Maiya erzählt, dass Irisviel und Saber ihn dazu gezwungen hatten, den Reisbrei zu essen und er daraufhin in Ohnmacht fiel. Er war stundenlang nicht mehr aufgewacht. Für wen auch immer diese Schokolade sein sollte, er musste etwas unternehmen! Er konnte einfach nicht zulassen, dass ein anderer Mann so litt, wie er. Sofort eilte der Schwarzhaarige in die Küche – Saber schien gerade anzufangen. Saber nahm sich gerade eine Küchenwaage und eine Tüte Mehl. Sie wollte wohl Letzteres abwiegen. Zu Kiritsugu’s Entsetzen kippte Saber den gesamten Inhalt auf die Waage. „Das müssten ungefähr 90 Gramm sein“, murmelte die Blondine unschuldig lächelnd. Kiritsugu schlug sich die Hand gegen die Stirn. Er hatte es gewusst! Sie konnte es kein Stück! Und wo war eigentlich Irisviel? „So… als nächstes die Eier vorsichtig unterheben…“, murmelte Saber und nahm den Schneebesen in die eine Hand und die Schüssel mit den Eiern in die andere. Mit den Augen ins Kochbuch begann Saber zu rühren – das tat sie jedoch so stark, dass der gesamte Inhalt im hohen Bogen in die Luft flog. Panisch schnappte sich Kiritsugu eine andere Schüssel und konnte die Masse gerade noch auffangen. „Pass doch auf! Du hast zu stark gerührt!!“, herrschte er die junge Frau dann an. Saber errötete und schimpfte zurück: „Was mischt du dich da ein?! Halt dich gefälligst raus!!“ Kiritsugu seufzte, stellte die Schüssel auf dem Tisch ab und rannte fast in seine Frau rein. „Da bist du ja!“, sagte sie freudestrahlend und umarmte ihn. Peinlich berührt löste er sich rasch von seiner Frau. „Oh… du hast da Ei an der Wange“, bemerkte Irisviel und wischte ihm sanft den Fleck weg. „Ich backe dir gerade einen leckeren Kuchen! Freu dich schon mal drauf!“ Gerade noch hingerissen von der zarten Berührung, zuckte Kiritsugu geschockt zusammen. „Wie bitte, was?!!“ Ein lauter Schrei ließ den Schwarzhaarigen herumfahren. Eine riesige Stichflamme schoss aus einer Pfanne hoch und Saber stand geschockt davor. Schnell schnappte sich Kiritsugu einen Eimer Wasser und kippte ihn auf die Pfanne. Dann öffnete er rasch das Fenster, damit der Rauch abziehen konnte. „Willst du hier alles abfackeln?!“, brüllte er. „Da- da war eine Stichflamme“, wimmerte Saber immer noch geschockt. „Uwah! Meine Schürze brennt!“ Kiritsugu ließ seinen Kopf auf das Fensterbrett sinken. Diese Hohlbratze… Als sie dann noch die Sahne quer über den Tisch verteilte, reichte es Kiritsugu. Er nahm ihr Schüssel und Rührstab weg und schlug die Sahne selbst steif. „Hey, was machst du da? Ich kann das allein…“, beschwerte sich Saber sofort. „Halt den Mund!!“, herrschte Kiritsugu sie an. „Du kannst das hier nicht! Ich helfe dir jetzt, damit der Kuchen kein völliges Desaster wird!“ Kurzerhand übernahm Kiritsugu die Führung. Seine Ziehmutter hatte ihm ein wenig kochen beigebracht, doch meistens war er zu faul, um davon Gebrauch zu machen. Aber jetzt war es einfach notwendig. Wie ein Feldwebel scheuchte der Schwarzhaarige seinen Servant durch die Küche und bellte eine Anweisung nach der anderen. „Du wiegst jetzt 40 Gramm Zucker ab, klar?!! …Deswegen habe ich gesagt, dass du einen Messbecher nehmen sollst!! …Nein!! Das Vanillearoma kommt erst später rein!! …Ich habe doch gesagt, du sollst die Form einfetten!“ „Schrei mich nicht immer so an!!“, maulte Saber völlig entnervt. Derweil backte Irisviel in aller Seelenruhe ihren Kuchen weiter und amüsierte sich über die beiden. Später am Tag erfuhr Kiritsugu, für wen Saber ihren Kuchen gebacken hatte. Zu seinem Ärger handelte es sich dabei um Archer – ausgerechnet ein feindlicher Servant! Auf der Hinfahrt zum Anwesen von Tokiomi Tohsaka schwieg Saber beharrlich und umklammerte ihren Kuchen, den sie in einer Kuchendose verpackt hatte. Es war ihr peinlich, dass sie letztendlich doch Archer’s Charme erlegen war. Ihre Verlegenheit legte sich erst recht nicht, als sie beim Anwesen ankamen und der blonde König erfuhr, was seine Gegner so plötzlich herführte. Mit breitem Grinsen beugte er sich zu Saber hinunter. „So, so. Bist du also doch zur Vernunft gekommen? Besser spät als nie. Also, dann zeig mal, was du Schönes für mich hast.“ Saber zauderte, dann hob sie den Deckel ab und präsentierte mit einem leicht verlegenen Lächeln ihren Kuchen: „Hier ist er! Mein Spezialkuchen!“ Prompt wich das Lächeln aus dem Gesicht des Königs, als er das Werk der Frau, die er zu seiner Ehefrau bestimmt hatte, sah. Der Kuchen war völlig verkohlt! Archer schluckte schwer. „Uhm… ist das ein Schokokuchen?“, fragte er vorsichtig nach. Auch Kiritsugu schüttelte den Kopf. Sie hat echt null Kochtalent! Nicht einmal mit meiner Hilfe war die Katastrophe noch abzuwenden. Wie hat sie es nur hingekriegt, dass der Kuchen so verbrannt ist? Immer noch lächelnd betrachtete Saber ihr Werk – und plötzlich fing sie an, zu weinen! Die Männer zuckten zusammen. Was nun? Kiritsugu packte Archer schnell an den Schultern und raunte ihm zu: „Steh nicht nur so rum! Jetzt iss den Kuchen schon! Er ist schließlich von der Frau, die du heiraten willst!“ Archer schluckte schwer. Er wollte dieses verbrannte Ding nicht essen – aber dass Saber weinte, schmerzte ihn irgendwie. Offenbar waren da wirklich Gefühle im Spiel. Dabei hatte er am Anfang noch gedacht, dass er Saber einfach nur haben wollte, weil sie so etwas Besonderes war. Und alle seltenen Schätze gehörten ihm. Doch jetzt schien es so, als hätte sie tatsächlich sein Herz erobert. Mit ganz verquollenen Augen sah Saber ihn an. „Willst du ihn denn nicht mal probieren?“, wimmerte sie leise. Ach, verdammt! Entschieden schnappte sich Archer die Gabel, häufte sich etwas vom Kuchen auf und aß ihn. Stille. Archer wirkte so schockiert, dass Kiritsugu schon das Schlimmste fürchtete. Doch dann… „Lecker…“, sagte der König fassungslos. „Hä?! Das kann nicht sein!“ Sofort brach Kiritsugu ein Stück vom Kuchen ab und probierte. Ihm klappte die Kinnlade runter. „Der schmeckt ja wirklich! Dabei ist er doch so verkohlt!“ Archer war hocherfreut. „Das hast du super gemacht, Saber!“, lobte er kauend und aß genüsslich weiter. Saber strahlte übers ganze Gesicht. Archer sagte immer, dass das Essen gewöhnlicher Menschen seinem Gaumen nicht genügte und lehnte stets alles ab, was man ihm anbot. Dass er jetzt ihren Kuchen aß, war quasi wie ein Ritterschlag. Kiritsugu schmunzelte ob dieses Anblicks. Irgendwie erinnerten die beiden ihn an Irisviel und ihn selbst. „Das war wirklich ein gelungener Einstand von Saber“, meinte nun Irisviel, dann hielt sie ihrem Mann eine Schachtel unter die Nase. „Und jetzt probier du deinen Kuchen!“ Eben noch erfreut, wich das Schmunzeln nun wieder einem entsetztem Gesichtsausdruck. Das hatte er ja völlig vergessen! Ein Blick in die Schachtel überraschte ihn zunächst. Der Erdbeerkuchen sah tatsächlich lecker aus! Doch eine innere Stimme warnte ihn. Saber’s Kuchen sah scheußlich aus, war aber köstlich. Vielleicht war es bei Irisviel genau andersherum? „Irisviel? Wollen wir uns nicht ins Wohnzimmer setzen?“, fragte Saber immer noch lächelnd. „Der Kuchen wird langsam schwer.“ „Äh… ja, sicher“, antwortete Irisviel, dann wandte sie sich wieder an ihren Mann – der jedoch nicht mehr da war. Verwirrt sah sich Irisviel nach ihm um, doch ihr Mann war verschwunden. Kiritsugu hatte die kurze Ablenkung genutzt und sich hinter die Ecke geflüchtet. Erleichtert atmete er aus. „Findest du es nicht etwas erbärmlich, dich vor deiner Frau zu verstecken?“, sagte plötzlich jemand. Kiritsugu blickte auf und sah sich Kirei Kotomine gegenüber. Prompt verfinsterte sich sein Blick. „Du kannst ja ihren Kuchen probieren…“, meinte er, stieß sich lässig von der Wand ab und ging an ihm vorbei. „…wenn du dich traust.“ Kirei war überrascht. Nicht wegen dem, was er gesagt hatte, sondern weil er ihm im Vorbeigehen etwas in die Hand gedrückt hatte. Dies entpuppte sich als einzelne Praline, hübsch eingewickelt. Verwundert sah er dem Älteren nach, dann lächelte er. Also wirklich. Und das von einem verheirateten Mann… ~ Owari ~ Kapitel 6: Flowers of Love -------------------------- Mori Motonari hatte ja schon die seltsamsten Dinge gesehen, als er die Augen aufschlug. Doch er hätte nie gedacht, dass der Anblick einer einzelnen weißen Rose ihn so überraschen würde. Hastig rieb der Fürst sich über die Augen, um sicherzugehen, dass er sich nicht irrte. Doch die Rose, die neben seinem Kopf auf dem Futon gelegen hatte, war immer noch da. Woher kam die nur so plötzlich? Und es war nicht das erste Mal, dass er unerwartet Blumen erhielt. Schon seit Tagen bekam er Blumen in den verschiedensten Farben zugesandt. Und er hatte keine Ahnung, von wem die kamen. Motonari beschloss, seine Diener danach zu befragen – vielleicht hatte jemand etwas beobachtet? Motonari schnappte sich die weiße Rose und verließ langsam sein Zimmer. Dabei drehte er die Rose in seiner Hand, betrachtete sie mit ausdruckslosem Gesicht. Plötzlich rieselte etwas Rosafarbenes auf ihn herab. Mit einer Hand fing er es auf und sah es sich an – es war ein Blütenblatt. Noch bevor er sich fragen konnte, woher die kam, rieselten weitere vom Himmel herab. Verwirrt sah Motonari nach oben. Irgendjemand schüttete tonnenweise Blütenblätter vom Dach des Gebäudes auf ihn herab. Der Brünette kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Er versuchte, zu erkennen, wer dort oben stand, doch die Sonne, die er sonst so verehrte, blendete ihn so sehr, dass er nichts sehen konnte. Plötzlich erhob sich der Schatten und floh vom Dach. Motonari zögerte keine Sekunde und folgte dem Flüchtling, um ihn zu stellen. Als er jedoch um die Ecke rannte, stieß er mit etwas zusammen – oder besser mit jemandem. Verwirrt blickte er in das Gesicht seines ärgsten Feindes, Chosokabe Motochika. „Was tust du denn hier?“, fragte der Fürst von Aki abfällig. Statt zu antworten, musterte Motochika ihn von Kopf bis Fuß. „Was?“, keifte Motonari verärgert. „Bist du geschrumpft?“, fragte der Pirat nach einer Weile. Der Sonnenfürst verstand erst nicht, was sein Gegenüber meinte, doch dann sah er an sich herunter. Er trug lediglich den grünen Dotera, den er stets im Bett anzog. Nun verstand er: es war das erste Mal, dass der Pirat ihn ohne seine übliche Rüstung sah. Er kannte ihn nur mit dem großen Hut und den Schuhen mit den hohen Absätzen, die er nur deshalb trug, um größer zu wirken. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er sich in einem Outfit präsentierte, in der ihn nie jemand seiner Feinde zu Gesicht bekommen dürfte. Schon gar nicht Chosokabe Motochika! Schamesröte stieg ihm ins Gesicht. Motochika seinerseits musterte ihn immer noch. Dass er schwieg, machte alles nur noch schlimmer. „Ich frage dich noch einmal: was willst du hier?“, knurrte Motonari peinlich berührt. „Wir wollten doch heute Verhandlungen führen, schon vergessen?“, antwortete Motochika tonlos. Motonari blickte ihn verständnislos an. „Was redest du da bloß? Ich würde doch niemals Verhandlungen mit einem räudigen Piraten führen!“ „Also wenn du so drauf bist, habe ich auch gar keine Lust mehr, mit dir zu reden!“, maulte Motochika und marschierte beleidigt an ihm vorbei. Leicht irritiert sah der Sonnenfürst ihm nach. Was sollte das denn? Warum behauptete er, dass er ihn eingeladen hätte, um mit ihm zu verhandeln? Und warum verschwand er dann wieder so schnell? Wollte er ihn auf den Arm nehmen? Plötzlich stoppte Motochika, sah ihn über die Schulter hinweg an und lächelte. „Übrigens: ohne deine Rüstung siehst du richtig süß aus. Geradezu hinreißend!“, rief er und zwinkerte dem Brünetten kokett zu. Dieser lief wieder rot an. „Ach du…! Hau doch ab, du dreckiger Pirat!“, herrschte Motonari. Der Pirat lachte nur laut und verschwand dann auch. Wutentbrannt sah Motonari ihm nach und fragte sich, was dieser Kerl hier bloß zu suchen hatte. Dann fiel ihm die Rose in seiner Hand ein und ihm kam ein Verdacht. Sollte er etwa…? Der Gedanke ließ ihn noch röter werden und er schüttelte ihn rasch wieder ab. Das konnte ja gar nicht sein! Motonari eilte zum Geländer und wollte die Rose schon wegwerfen, doch dann hielt er inne und betrachtete sie eindringlich. Ein Lächeln huschte ihm übers Gesicht. Seufzend begab er sich wieder in sein Zimmer – die Rose nahm er mit. Abseits der Blicke des Sonnenfürsten beobachtete Motochika die Szene. Zufrieden stellte er fest, dass der Brünette die Rose behielt. Fröhlich pfeifend machte er sich auf den Weg zum Hafen, wo sein Schiff ankerte. Das hatte sich doch gelohnt! ~ Owari ~ Kapitel 7: Weil das Herz eben doch der Boss ist... -------------------------------------------------- Weil das Herz eben doch der Boss ist... Müde... Er war so müde. So sehr, dass er nicht aufgepasst hatte, wo er eigentlich hingelaufen war. Er sah auf und stellte fest, dass er im völlig falschen Bezirk stand. Da er hier schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gewesen war, entschied er einfach weiter zu gehen. Allerdings kam er nur bis zu einem riesigen Gebäude, dass seine Aufmerksamkeit voll und ganz in Beschlag nahm. Es war ein riesiges Firmengebäude. Viel Glas. Vor dem Gebäude stand ein Querschild, dass in beide Straßenrichtungen den Namen der Firma kündete. Dieser Name. Er ging noch ein Stück vorwärts und sah direkt auf den Eingang. Eine Glastür, die sich öffnete, wenn man nähertrat. Wie lange war das her, dass er das letzte Mal diese Firma betreten hatte? Ein paar Jahre definitiv. Seit dem letzten Mal war er über ein Jahr lang nicht mehr hier gewesen. Es hatte einen Streit gegeben. Er wusste bis heute nicht, was ihm mehr weh getan hatte. Die Worte, die gefallen waren... oder die noch heftigere Ohrfeige. Langsam drehte er sich wieder um, um weiter zu gehen, doch noch bevor er sich wieder dem Weg zugewandt hatte, prallte er mit etwas zusammen. Oder besser gesagt, jemand prallte mit ihm zusammen. So heftig, dass er stürzte und sein Kontrahent ebenfalls. Ein reißender Schmerz schoss in seinen linken Ellenbogen und seine Hände. „YUMAAA! Um Himmels Willen, pass doch mal auf, wo du hinläufst!!“, jammerte eine Mädchenstimme. „Auu...“, war die Stimme dieses Yumas zu hören. „Ist alles ok?“ Er sah auf und in das Gesicht eines Teenagers mit einer blitzenden Kette um den Hals. Irgendwie konnte er sich da an einen neuen guten Duellanten namens Yuma Tsukumo erinnern. Und wenn er es recht in Erinnerung hatte, dann hatte dieser Yuma, wie Yugi damals, eine Art Geist an seiner Seite. Der Schmerz drängte in sein Bewusstsein zurück, während das Mädchen hinter Yuma die Augen aufriss. „Joey Wheeler? Oh Mann, Yuma du Idiot! Guck dir an, was du angerichtet hast!!“, fauchte sie. Yuma warf einen Blick auf Joey und sah die Schrammen an den Händen. „Oh Mann, tut mir Leid! Tut mir Leid!“, japste er und versuchte Joey irgendwie auf die Beine zu helfen. Joey stand etwas unsicher auf. Wegen des Schrecks und des Schmerzes schoss Adrenalin in seinen Körper und er fühlte sich verdammt zittrig. „Ist alles in Ordnung? Du siehst gar nicht gut aus.“, sagte das Mädchen. „Ja... Ja geht schon.“, antwortete Joey und tat einen vorsichtigen Schritt vorwärts. Da sah sie seinen Ellenbogen. Der hellgraue Pullover färbte sich langsam immer mehr blutrot. „Warte mal!“, japste sie. „Tori, du siehst doch, dass er weiter will! Und wir übrigens auch!“, schnappte Yuma doch Tori sah ihn finster an, während Joey sich wieder ihnen zuwandte. „Er ist verletzt, Yuma!“, fauchte Tori und sah dann Joey an. „Komm mit, wir gehen hier rein, die werden ja wohl ein Bad und ein Telefon haben. Wir säubern das und dann rufen wir einen Arzt, das hört ja gar nicht mehr auf zu bluten.“, sagte sie deutete auf das Firmengebäude. Joey folgte ihrer Hand und schüttelte den Kopf. „Nein... Ich kümmer mich zu Hause darum.“ Tori zog die Augenbrauen zusammen und Yuma tat einen Schritt von ihr weg. „Wir machen das jetzt so! Immerhin ist Yuma Schuld daran! Yuma hilf mir!“, sagte sie. Joey schaute sie erst fragend an, doch als sie und Yuma sich je einen Arm Joeys schnappten und ihn die Treppe hinaufbugsierten, verstand er. Er wollte sich wehren, doch die Müdigkeit hatte ihm seine Kraft geraubt. Nur widerwillig ließ er sich in das Gebäude zerren. Die Empfangsdame sah verwirrt auf. Solche Gäste hatte sie für gewöhnlich nicht zu melden. „Kann ich helfen?“, fragte sie und erhob sich um zu gucken. „Wo ist hier ein Bad?“, fragte Tori herrisch. „Äh... Den Gang runter. Aber was ist denn passiert? Soll ich einen Arzt rufen?“ „Ja wenn wir zurück sind. Danke.“ Tori und Yuma wollten Joey gerade weiter den Gang entlang schieben, als die Fahrstuhltür vor dem Gang sich öffnete. Heraus trat ein hoch gewachsener imposant wirkender Mann. Sein langer Mantel flatterte hinter ihm her. Er hatte dunkelbraunes Haar und eisblaue Augen, die klar wirkten und ihre Umgebung umfassend und schnell registrierten. Er sah zum Empfang und sah die drei jungen Leute. Er sah auch, dass einer von ihnen verletzt war. „Was ist hier los?“, fragte er mit einer tiefen Stimme. Tori und Yuma sahen sich zu ihm um. „Kaiba...“, hauchte Tori erschrocken und stammelte zusammen, was sich gerade ereignet hatte. Seto Kaiba hörte stillschweigend zu und nahm war, dass Blut auf seinen Eingangsboden tropfte. Dann wanderte sein Blick an der Person entlang nach oben, zu der es gehörte. Dieser Blondschopf. Natürlich, das war er! Aber was machte er hier? Er ging völlig ohne Vorwarnung auf sie zu und nahm den beiden jungen Duellanten den Blondschopf aus den Händen. „Schluss mit dem Gehampel, ich kümmere mich darum!“, sagte er und zog den Blondschopf am Arm zum Fahrstuhl. „Schicken Sie die Kinder wieder weg, wischen Sie das Blut auf und kümmern Sie sich um die Post!“, wies er die Empfangsdame an. „Natürlich.“, bestätigte sie und schickte Yuma und Tori mit freundlichen Worten wieder weg. Seto hingegen zog Joey in den Fahrstuhl, drückte eine Taste und ohne jedes Wort fuhren sie bis fast ganz nach oben. Noch immer schweigend führte er ihn in ein Büro , dass einen atemberaubenden Blick auf die Stadt bot und drückte ihn in einen schwarzen Ledersessel. Dann holte er einen Verbandskasten und einen warmen Lappen. Vorsichtig krempelte Seto Joeys grauen Pulloverärmel über den blutenden Ellenbogen und drückte ihm den warmen Lappen auf die Wunde. Dann schob er den Arm hoch und forderte wortlos, dass er in dieser Position zu bleiben hatte. Joey befolgte die schweigende Anweisung und beobachtete, wie Seto eine kleine weiße Sprayflasche, ein Mull, eine Verbandsrolle und Tape herausholte. „...Das ausgerechnet du dich hier vor der Firma über den Haufen rennen lässt...“, murmelte Seto, desinfizierte Joeys Handkanten, nachdem er sie gereinigt hatte und begutachtete dann die Verletzung. Die Blutung hatte sich verringert und so schlimm sah es gar nicht mehr aus. Es war mehr geschürft und aufgescheuert als dass eine ernsthafte Verletzung vorlag. Er nahm das Spray und sprühte zweimal um die ganze Wunde zu desinfizieren. Dann legte er das Mull auf und fing an, die Verbandsrolle darum zu wickeln. „Warum machst du das?“, hörte er Joey leise fragen und sah auf. „Du vergisst wohl, dass ich einen jüngeren Bruder habe. Ich weiß sehr wohl, wie man solche Verletzungen behandelt.“ Joey schloss für einen Augenblick die Augen. „Das meine ich nicht...“ Seto wickelte noch das Tape herum, damit der Verband nicht wieder verrutschte, wenn er sich bewegte. „Was meinst du dann?“, fragte er teilnahmslos. „Erst machst du mich damals so fertig und dann das jetzt? Warum?“ Seto sah mit düsterem Blick auf. Joeys Stimme hatte verlangsamt gewirkt. „Was hat das jetzt damit zu tun? Das ist eine halbe Ewigkeit her und was interessiert mich das, was damals war. Du bist jetzt hier und du bist verletzt. Soll ich dich in ein Krankenhaus bringen lassen? Dir ist hoffentlich klar, dass die dich da behalten werden! Die werden noch einiges anderes finden!“, sagte Seto. Joey sah ihn fragend an. „Wie meinst du das?“, kam dann endlich die Frage, als Seto den Verbandskasten gerade wegbrachte. Als er zurück kam knallte er die Hände auf die Sessellehnen und sah Joey ernst in die Augen. Das Geräusch erinnerte Joey an die Ohrfeige von damals. Das hatte genauso geknallt. Ihre Gesichter waren sich so nahe, wie noch nie. „Hast du dich in letzter Zeit mal im Spiegel angesehen?! Deine Augen sind glasig, du hast dicke Ringe unter den Augen, deine Gesicht sieht aus wie eine Kalkwand und du reagierst wie ein Faultier!! Entweder schluckst du irgendwas oder du bist krank! Was glaubst du denn, was die im Krankenhaus mit dir alles anstellen? Die stecken dich in einen Computertomographen, lassen dich mit Kabeln am Körper Fahrrad fahren und machen haufenweise Bluttests! Was ist dir lieber?!“, sagte er aufgebracht und mit jedem Satz war er lauter geworden, bis er ihn zuletzt fast angeschrien hatte. Joey war im Sessel derweil zusammengesunken. „Ich bin müde, das ist alles...“ „Müde?!“, schnappte Seto und stand, genervt mit den Augen rollend, wieder auf und kehrte ihm den Rücken zu. „Ich hab seit vorgestern nicht mehr geschlafen... das ist alles.“, fügte Joey hinzu. Seto schüttelte den Kopf, drehte sich wieder zu ihm um und zog ihn auf die Beine. Wiederum wortlos wie vorhin führte er Joey noch einmal zum Fahrstuhl. Sie fuhren jetzt ganz nach oben und Seto brachte ihn seine Wohnung. Er führte ihn zum Bett und drückte ihn auf die Matratze, legte die Decke über ihn und ging, nachdem er das Zimmer verdunkelt hatte. Immerhin war es noch früher Vormittag.   Wieder in seinem Büro ließ sich Seto auf seinen Stuhl sinken, legte die Fingerspitzen aneinander und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Was ist nur mit ihm los? Er sieht miserabel aus um nicht zu sagen ziemlich schlecht... Ich hab ihm damals schon gesagt, was er macht, ist nicht gut!   Flashback... Vor über einem Jahr. Yugi hatte riesigen Erfolg. Er war der beste Duellant, den es gab. Jeder wollte ihn für irgendetwas anwesend haben. Er hatte kaum noch Zeit für seine Freunde. Einzig Téa begleitete ihn oft. Tristan war inzwischen mit Joeys Schwester Serenity zusammen. Da Serenity studierte und Tristan sie dabei unterstützte, hatten die beiden auch kaum Zeit. Joeys Duellfähigkeiten waren natürlich auch sehr gut aber noch lange nicht so hervorragend wie die von Yugi. Da er aber gerne Duelle spielte und das auch weiterhin machen wollte, suchte er nach einer Möglichkeit, wie er das anstellen konnte. Er fand eine Duellarena die ihn aufnahm. Schon bald merkte er aber, dass hier noch ganz andere Dinge liefen. Er wollte sich davon aber nicht stören lassen und duellierte sich weiter dort. Zumindest bis es einer von ihren Freunden bemerkte. Und es war ausgerechnet dieser hochnäsige und arrogante Seto Kaiba. Er musste ihn gesehen haben und hatte ihn dann, als Joey zufällig an der Kaiba Corp. vorbeikam sofort angesprochen. Damit nicht die ganze Straße involviert wurde, hatte er ihn in einen der Konferenzräume im Erdgeschoss gebeten. „Was machst du da in dieser Arena? Duellierst du dich? Weißt du eigentlich, was du da tust? Aus dieser Arena kommst du nicht mehr ungeschoren raus! Die schleifen ihre Duellanten bis aufs Blut, hast du das noch nie gehört? Beende es lieber jetzt, als dass du es irgendwann bereust!“, hatte Seto damals gesagt. Joey hatte es nicht interessiert. „Was hab ich denn großartig? Ich bin kein so guter Duellant wie Yugi! Der übrigens ständig auf Tour ist. Was hab ich denn noch von meinem besten Freund, wenn er nie da ist?! Irgendwas muss ich machen und ich fühle mich da wohl! Also rede du mir nicht noch rein, ich sollte es lassen!“ „Du bist so ein Idiot! Da will man dir einmal einen guten Rat geben und dir helfen und du? Du siehst ja nicht einmal, in was für eine Situation du dich bringst! Du hast keine Ahnung, worauf du dich da einlässt, wenn du weitermachst! Ich hatte gedacht, du hättest wenigstens ein bisschen was im Kopf, aber anscheinend habe ich mich getäuscht! Wie dumm bist du eigentlich??“ Joey hatte ihn daraufhin wütend angesehen und war näher getreten. „Ich ein Idiot? Dumm?? Und was bist dann du? Du hast alles und kannst alles haben, was du nur willst – meine Probleme hast du ja nicht! Ach und megaschlau bist du auch noch! Und dann willst mir gute Ratschläge geben?? Du arroganter, selbstsüchtiger Schnösel hast doch keine Ahnung!!“ BAM!! Da war es auch schon geschehen. Eine knallende Ohrfeige, die heftig auf Joeys Wange gebrannt hatte. Wortlos und mit schmerzverzerrtem Gesicht hatte Joey den Konferenzraum verlassen... Flashback Ende   Seto seufzte. Irgendetwas stimmte mit Joey ganz und gar nicht. Wenn er wieder aufwachte und immer noch so schlecht aussah, dann würde er ihn ganz sicher in ein Krankenhaus bringen. Jetzt wollte er erst einmal wissen, was wirklich los war. Und warum um alles in der Welt Joey bei diesem kalten Februarwetter ohne Jacke durch die Stadt gelaufen war. Er suchte eine Telefonnummer in seinem digitalen Telefonbuch und ließ sein Programm wählen. Das Bluetooth-Headset saß an seinem Ohr und er hörte das Freizeichen. „Gut du das du da bist.“, war seine Begrüßung. „Was gibt’s?“, war die einfache Frage auf der anderen Seite. „Du musst etwas für mich rausfinden.“ „Name?“ „Joey Wheeler.“ Er hörte das Tippen auf einer Tastatur. „Was noch?“ „Persönliches und die Arena. Du weißt, welche ich meine. Was macht er dort?“ „Noch was?“ „Wie lange brauchst du?“ „Kein Ding, ist schnell erledigt. Ruf mich in einer Stunde wieder an.“ Klick. Seto sah aus dem Fenster und auf die belebte Stadt. In einer Stunde würde er wissen, warum Joey so blass und krank aussah. Er schaute auf seinen Bildschirm, doch an arbeiten war jetzt nicht zu denken. Er stand wieder auf und ging zurück zu Joey. Der war bereits eingeschlafen. Schlafend sah er nicht mehr so schlimm aus. Ihm fiel auf, dass er vergessen hatte, den zerrissenen Pullover Joeys auszuziehen. Behutsam zog er die Ärmel aus und dann den Rest den Pullovers über Joeys Kopf. Und ausgerechnet das, was er sah, erinnerte ihn daran, warum er damals so wütend geworden war, als er erfahren hatte, was Joey tat. Der Pullover sank auf den Boden und Seto ließ sich auf der Bettkante nieder. Er betrachtete Joey genau. Das blonde Haar war strubbelig, wirkte stumpf. Sein Gesicht war immer noch blass, genauso wie seine Haut. Aber trotz dessen, dass es ihm offensichtlich nicht gut ging, sah der Rest von ihm dennoch einigermaßen trainiert aus. Er deckte ihn wieder zu und dachte daran, was damals passiert war. Was Joey ihm an den Kopf geworfen hatte. Er schaute sich in dem abgedunkelten Schlafzimmer um, von wo aus er in das Wohnzimmer sehen konnte. Ja, er hatte alles, was er haben wollte und er könnte durchaus noch mehr haben. Aber Joey hatte es damals vergessen und er vergaß es noch immer oft, woher Seto eigentlich kam. Dass er ganz genau wusste wie es war, wenn man nichts hatte. Und gerade deswegen hatte es ihn verletzt, was Joey gesagt hatte. Damals hatte es ihn selbst überrascht, dass er überhaupt so reagiert hatte. Es hatte jedoch nicht lange gedauert, bis es ihm egal war. Bis jetzt. Sollten die Ohrfeige damals und sein Handeln heute etwa den gleichen Gefühlen entsprungen sein? Er schaute zu Joey zurück. Sein friedliches Gesicht war bisher ein seltener Anblick. Wenn er daran dachte, wie Joey sich immer so leicht hatte aufziehen lassen. Wenn er es recht bedachte, hatte er es doch nur gemacht, weil der Blondschopf sich so schön darüber aufregen konnte. Weil er es gemocht hatte, wenn er ausgeflippt war. Weil er es liebte? Seto atmete tief durch und schloss die Augen. War es das? Liebte er es, wenn Joey auf seine Sticheleien reagierte? Oder war es Joeys Art, die er liebte? Oder etwa Joey selbst? Er stand auf und verließ das Zimmer. Das helle Sonnenlicht im Wohnzimmer blendete ihn. Er ging hinaus und verließ dann das Firmengebäude. Nur ein paar Häuser weiter die Straße entlang fiel sein Blick auf die vielen Werbungen für Schokolade. Morgen war ja Valentinstag. Dieser verrückte Tag, wo sich auf den Tischen der armen Kerle die Schokolade nur so stapelte. Und das alles, weil der Valentinstag schon seit einiger Zeit nicht mehr nur für Liebende war, sondern man inzwischen fast jedem um sich herum Schokolade schenkte. Die Honmei gab es demzufolge kaum noch, stattdessen zierten die meisten Bürotische oder was auch immer die Giri-choco – die Pflichtschokolade. Seto empfand dieses Getue als Blödsinn. Entweder die Frauen schenkten ihrem Liebsten die Schokolade oder sie ließen es einfach. Er ging die Straße entlang um auf andere Gedanken zu kommen, doch die ständig auftauchende Werbung für Honmei ließ ihm keine andere Wahl. Er musste trotzdem an Joey denken. Letztlich ging er in einen der Läden hinein und war direkt in einem Honmei-Kurs gelandet. Um die vielen Mädchen nicht zu stören, sagte er nichts sondern blieb stehen und hörte einfach zu. Vielleicht brachte ihn das ja auf andere Gedanken. Am Ende verließ er den Laden mit Schokoladentafeln und Formen zum Auskühlen. Draußen sah er auf die Uhr und eilte zu seiner Firma zurück. Oben im Büro wählte er die Nummer von vorhin und hörte sich an, was der Andere zu berichten hatte. Nach dem Gespräch legte er auf und blieb einen Moment sitzen, die Tüte auf dem Schoß. Dann stand er doch auf, fuhr mit dem Fahrstuhl zu seiner Privatwohnung hinauf und ging in die Küche. Er wollte jetzt nicht daran denken also probierte er stattdessen Schokolade zu machen, wie er es in dem Laden aufgeschnappt hatte. Er fügte noch ein paar Zutaten hinzu, die er finden konnte und von denen er meinte, dass sie passten. Ihm fiel auch wieder ein, dass die Verkäuferin sagte, dass Schokolade auch mit gegensätzlichen Geschmacksrichtungen harmonierte wie zum Beispiel Salz oder Chili. Die fertige Schokolade stellte er zum Auskühlen in den Kühlschrank und raffte sich dann auf, wenigstens noch ein bisschen seiner Arbeit zu erledigen.   Das bisschen seiner Arbeit war letztlich doch mehr geworden, sodass er beinahe erschrak, als er auf die Uhr sah. Es war bereits Mitternacht. Er beendete die Arbeit und streckte sich. Seine Muskeln taten ihm weh und die Augen brannten. Er ging hinauf zu seiner Wohnung und warf einen Blick auf Joey. Der schlief noch immer. Nun gut, er hatte wenigstens nicht gelogen, was seine Müdigkeit anging. Das wusste er nun. Aber dass er jetzt statt sich in dieser Arena zu duellieren dort den Kellner spielte, regte ihn genauso auf, als würde er sich noch duellieren. Joey hatte in dieser Arena einfach nichts verloren, ob nun als Duellant oder Kellner. Ja nicht einmal als Zuschauer. Auch wenn er dort nur kellnerte, so raubte es ihm doch sehr seine Freizeit, wie sein Telefonat bewiesen hatte. Er war so gut wie ständig dort. Seto schloss die Tür, nahm sich eine der Decken vom weißen Ledersofa und setzte sich auf den Sessel. Er starrte die Schlafzimmertür an. Warum macht er das? Wieso stürzt er sich vom Duellieren in die Kellnerarbeit? Doch nicht, weil keiner seiner Freunde mehr da ist, um mit ihm umherzuziehen? Oder ist er tatsächlich so stolz, dass er mit Yugis Erfolg nicht klar kommt? Das glaub ich kaum... So habe ich ihn nie erlebt. Er war doch nie eifersüchtig... Warum mach ich mir darum eigentlich Gedanken... Er stand noch einmal auf und ging zum Kühlschrank. Die Schokolade fiel ihm wieder ein. Er holte sie heraus und drückte den Block auf dem Küchenschrank aus der Form. Immerhin, sie sah wenigstens nicht aus, wie eine alte Dame nach dem Aufstehen. Er legte sie auf einen Teller und brachte sie zu Joey ins Schlafzimmer, wo er sie auf dem kleinen Tisch neben dem Bett abstellte. Dann ging er zurück, sank in den Sessel und schlief ziemlich schnell ein.   Als Joey erwachte, war es im Zimmer dämmrig, aber er fühlte sich zum ersten Mal seit langem wieder ausgeschlafen. Er richtete sich auf und suchte nach einer Uhr. Auf dem Tisch neben dem Bett stand ein Digitalwecker, der sogar eine Datumsanzeige hatte. Es war bereits der nächste Tag. Valentinstag... Er senkte seinen Blick und dann sah er sie. Dort lag tatsächlich Schokolade. Selbstgemachte Schokolade. Selbstgemacht? Eine Honmei? Wie... Er stand auf, nahm den Teller und ging hinaus. Im Wohnzimmer sah er Seto auf dem Sessel unter einer weißen Decke gekauert. Er schlief. Das dunkle Haar hatte sich aus seinem perfekten Styling gelöst und fiel ihm ins Gesicht. Joey stellte die Schokolade leise neben ihn auf den schwarzen Hochglanztisch und hockte sich vor Seto. Seine Finger wanderten wie automatisch zu Setos Gesicht und strichen die Strähnen beiseite. Oh ja, wie sehr hat es mich immer geärgert, dich zu sehen... Deine hämischen Kommentare zu hören. Ehrlich gesagt, hab ich das herausgefordert, glaub ich. Ich wollte von Anfang an wissen, wie es sein würde, wenn du platzt. Damals bist du geplatzt und mit so einer Ohrfeige habe ich eigentlich nicht gerechnet... Und jetzt stellt er mir hier selbstgemachte Schokolade hin? Was soll ich denn davon halten? Langsam wachte Seto auf und blinzelte ihn verschlafen an. Joeys Hand lag noch immer nahe seinem Gesicht auf der Decke. „Du bist wach? Wie geht es dir?“, fragte Seto müde. „Ich fühle mich so gut, wie lange nicht mehr. Aber...“ Seto richtete sich auf. „Aber?“ „Hast du mir die Schokolade hingestellt?“ Setos Blick fiel auf die Schokolade, die neben ihm auf dem Tisch stand. „Was glaubst du?“ „Naja, die Frage ist eher weniger, ob sie von dir ist... sondern warum?“ „Das frage ich mich selber...“, antwortete Seto und nahm die Schokolade. Er brach ein Stück ab und hielt es Joey hin. „Nimm, sie ist wirklich für dich. Und ehe du noch mehr fragst: Ja, ich habe sie selbst gemacht.“ Joey senkte den Blick und ein fast unmerkliches Lächeln tauchte in seinem Gesicht auf. Wenn jemand die Schokolade selbst macht, die Honmei, dann tut er es, weil er den anderen liebt. Er sah wieder auf und öffnete den Mund. Seto betrachtete ihn verdutzt, dann erinnerte er sich an die Worte der Verkäuferin. „Mädchen, wenn ihr die Schokolade nur kauft, dann bedeutet euch ihr Empfänger zwar etwas aber der Umfang eures Geschenkes entscheidet, wie viel er euch bedeutet. Macht ihr die Schokolade aber selbst, dann tut ihr es, weil ihr eure Liebe zeigen wollt. Liebe und Sympathie sind zwei verschiedene Dinge. Sie gehören zwar zusammen, aber einzeln zeigen sie uns, was wir tatsächlich für andere empfinden: Freundschaft oder Liebe.“ Das hat sie gesagt... Mein Kopf war wohl ausgeschaltet. Es ist wohl so, wie ich gehört habe... Das Herz ist eben doch der Boss. Er schob Joey das Stück Schokolade in den Mund und beobachtete, wie er es auf der Zunge zergehen ließ. „Lecker...“, war Joeys kleinlauter aber ernst gemeinter Kommentar. Ein Lächeln tauchte in dem sonst so kühlen Gesicht Setos auf. „Entschuldige die Ohrfeige damals... Ich war wütend. Weil du nicht auf mich hören wolltest.“ Joey nickte. „Tja und ich war tatsächlich dumm, wie es aussieht...“ „Allerdings...Aber eins sag ich dir: Das ändert sich jetzt! Die Arena wird zu spüren bekommen, was es heißt, sich mit der Kaiba Corp. anzulegen. Ich habe diese Blutsauger viel zu lange ignoriert. Die können was erleben.“, sagte Seto. „Und was ist mit mir?“, fragte Joey vorsichtig. „Du hast damals schon gesagt, die werden mich nicht rauslassen... Damit hattest du Recht.“ „Die werden dich rauslassen. Das überlass mir.“, antwortete Seto und ohne darüber nachzudenken wanderte seine Hand an Joeys Wange. Der Blondschopf sah ihn einen Moment lang an, bevor er spürte, wie Setos Hand seinen Nacken erreichte und ihn auf Augenhöhe zog. Schweigen war durchaus auch ein Markenzeichen Setos, wenngleich er eher für seine spitze Zunge bekannt war. Ebenso schweigsam zog er ihn nahe an sich heran und gab ihm einen Kuss. „Heißt das..?“, fragte Joey verwirrt. „Wir waren beide Idioten. Wir haben beide nicht verstanden, was uns eigentlich immer wieder aneinander geraten ließ. Jetzt lass uns aufstehen. Ich will mich darum kümmern, dass diese Arena verschwindet. Und du bleibst hier, ja? Die Schokolade kannst du aufessen.“, war Setos Antwort gefolgt von einem weiteren Kuss, der noch nach Schokolade schmeckte...     ~ owari ~ Kapitel 8: Praline, Praline --------------------------- Praline, Praline   Hiling Care verließ seufzend den Aufzug. Gerade hatte eine weitere Einsatzbesprechung der A-Laws stattgefunden und das Ergebnis war alles andere als befriedigend. Eigentlich hatte sie ja gehofft, heute wieder kämpfen zu können, aber diese lahmen Penner hatten doch tatsächlich den geplanten Einsatz auf unbestimmte Zeit verschoben! Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, schlenderte Hiling durch die Gänge auf der Suche nach Unterhaltung. Unterwegs stieß sie auf Louise Halevy, die irgendetwas in der Hand hielt, und ein diabolisches Grinsen huschte über das hübsche Gesicht. Vielleicht ergab sich hier die Chance auf Spaß? Wie eine Katze schlich sie sich an die Blondine heran. „Was hast du denn da?“ fragte sie. Louise erschrak und wirbelte herum. Nun konnte Hiling sehen, was sie in der Hand hielt: ein Geschenk. „Hat jemand Geburtstag?“ Louise lächelte nervös. Das grünhaarige Mädchen war ihr unheimlich. Sie hatte etwas zuviel Spaß am kämpfen und sie war auch ständig auf Krawall gebürstet. Man verscherzte es sich besser nicht mit ihr. „Nein… ähm… morgen ist doch Valentinstag, Hiling-chan“, stammelte sie. „Ah~ Dann ist das also für einen besonderen Mann. Etwa Smirnov-kun?“ „Nein.“ Louise blickte gequält zu Boden. „Ich weiß selbst nicht so genau, für wen das ist.“ Hiling schnaubte nur verächtlich. Valentinstag. Menschen hatten schon alberne Traditionen. Schokolade machen, um einen Anderen seine Gefühle zu gestehen… „Gibt es denn in deinem Leben eine Person, der du selbstgemachte Schokolade schenken möchtest?“ fragte Louise freundlich. Nun war Hiling überrascht. Schlagartig kam ihr das Bild eines gewissen rothaarigen Kollegen in den Sinn und sie lief leicht rot an. Louise lächelte. So wirkte das sonst so biestige Mädchen richtig niedlich. „Soll ich dir vielleicht zeigen, wie man Schokolade macht? Dann kannst du ihm deine Liebe gestehen“, schlug Louise freundlich vor, bereute es aber sofort, als sie sah, wie das hübsche Gesicht sich wütend verzog. „Nein, ich will keine blöde Schokolade machen!“ keifte sie. „Ich halte nichts von so schwachsinnigen Dingen!“ Dann stürmte sie erbost davon. Louise sah ihr kopfschüttelnd nach. Soviel zu niedlich…   Da es im Hauptquartier nichts zu tun gab, kehrte Hiling ins Haus ihres „Bruders“ Ribbons Almark zurück. Besagter kam ihr auch gleich entgegen. Als er sie sah, sagte er kühl: „Kommt doch noch einer von euch.“ „Wie meinst du das, Ribbons-sama?“ „Die anderen sind alle unterwegs und ich bin jetzt auch weg.“ Damit rauschte er an seiner „Schwester“ vorbei und weg war er. Hiling überlegte kurz. Sie war also alleine im Haus? Das traf sich ja gut. Vor Louise wollte sie es nicht zugeben, aber sie könnte das mit der Schokolade selber machen ja mal versuchen. Eilig zog sich Hiling um und betrat zum ersten Mal die Küche. Die gab zu ihrer Überraschung alles her, was sie brauchte: Schürze, Zutaten, Kochgeschirr und Kochbuch. In einem Dessertbuch fand sie schließlich das Rezept. Summend stellte Hiling alle genannten Zutaten und das Geschirr auf die Arbeitsfläche, band sich die Schürze um und fing an. Und während sie so zu Gange war, stellte sie fest, dass Backen eigentlich ganz lustig war. Freudestrahlend rührte Hiling die Zutaten zusammen, wackelte dabei mit den Hüften und trällerte ein Liedchen. Dabei merkte sie gar nicht, wie jemand direkt neben ihr das Kochbuch nahm und darin rumblätterte. „Was machst du denn da?“ kam dann die Frage. „Ich will Schokopralinen machen!“ flötete sie – dann erstarrte sie in ihrer Bewegung. Diese Stimme… Langsam wandte Hiling ihren Kopf zur Seite. Neben ihr stand Devine Nova und starrte ausdruckslos ins Buch. Geschockt machte Hiling einen Satz zur Seite und trat dabei in ein kaputtes Ei, das sie vor Schreck fallen gelassen hatte. „Buärks!!“ rief sie angewidert, nahm ein Küchentuch und wischte sich den Schuh sauber. Davon völlig unbeeindruckt schaute Devine weiterhin ins Buch. „Klingt lecker“, meinte er, dann richtete sich seine Aufmerksamkeit endlich auf das grünhaarige Mädchen. Zu dessen Überraschung huschte doch tatsächlich ein Lächeln über das sonst so ernste Gesicht. „Du wirkst wie eine Vollblut-Hausfrau“, witzelte er. Hilings Miene verfinsterte sich. „Was soll das denn heißen?!“ maulte sie. „Nichts.“ Devine legte das Buch hin und schickte sich an, zu gehen. Hiling sah ihm tadelnd nach. „Was willst du überhaupt hier?“ „Ich hab was vergessen und wollte es holen.“ „Dann hol es und verschwinde!“ „Schon gut.“ Mit diesen Worten verließ er die Küche. Hiling holte tief Luft. Ausgerechnet Devine hatte sie dabei erwischt, wie sie so einen lächerlichen Menschenkram machte! Wie peinlich! Aber jetzt war das auch egal. Hauptsache, er wusste nicht, dass Hiling die Pralinen für ihn machte. Ob er das wohl unpassend finden würde? Liebe war es vielleicht nicht unbedingt… allerdings musste Hiling zugeben, dass sie den sehr schweigsamen Rothaarigen schon sehr mochte. Warum es ihm nicht einfach sagen? Mehr als sie zurückweisen konnte er sie nicht. Nach einiger Zeit waren die Pralinen fertig – sie sahen wie gemalt aus! Begeistert betrachtete Hiling ihr Meisterwerk. Hoffentlich würden sie ihm auch schmecken!   Wenig später hatte sich Hiling wieder umgezogen. Ihre Kleidung, die jeder Innovator trug, hatte sie gegen eine dunkle Strumpfhose, einen braunen Mini-Rock und gleichfarbige Stiefeletten, sowie einen cremefarbenen Rollkragenpullover eingetauscht. Irgendwie wollte Hiling heute etwas… femininer wirken. Mit ihrer Kleiderwahl zufrieden, nahm Hiling die Pralinen, die sie hübsch verpackt hatte, und lief wieder hinunter. Dort lief ihr auch gleich Devine über den Weg. Zu ihrem Glück war er der Erste, der wieder zurückkam. Als er Hiling sah, zuckten kurz seine Augen, dann sagte er ruhig: „Du hast dich ja sehr hübsch gemacht. Hätte ich ja nicht gedacht. Dass du erst Pralinen selbst machst und dich dann so herausputzt… Für wen betreibst du diesen ganzen Aufwand eigentlich?“ Hiling schluckte. „Für… für meinen Freund!“ stammelte sie hastig. Was… was rede ich denn da? Er ist doch noch gar nicht mein Freund! Und warum überhaupt »noch nicht«? Er soll doch gar nicht mein Freund werden… oder? „Du hast doch gar keinen Freund“, erwiderte Devine ungläubig. „Er hat mir gerade erst seine Liebe gestanden. Und jetzt will ich ihm meine Liebe gestehen, indem ich ihm die Pralinen schenke!“ Was für eine dämliche Lüge war das denn Bitteschön? Sie hatte doch mit offenen Karten spielen wollen! Aber ihr Trotz hinderte sie daran zuzugeben, dass sie Gefühle für den Rothaarigen hatte. Was war sie doch für ein Dickkopf! „Tatsächlich. Dann hoffe ich mal für ihn, dass seine Liebe besonders groß ist. So anstrengend und nervig wie du bist, erträgt er dich sonst nicht“, kam es ungewohnt bösartig aus Devine’s Mund. Erbost setzte Hiling noch einen drauf: „Er liebt mich allerdings sehr! Wir haben uns sogar schon geküsst! Und jetzt gehe ich zu ihm und gebe ihm die Pralinen. Wer weiß, vielleicht gehen wir ja sogar noch weiter?!“ Hoch erhobenen Hauptes stolzierte Hiling an Devine vorbei, schnappte sich ihre Jacke und verließ das Haus.   Ziellos irrte Hiling mit ihrer Pralinenschachtel durch die Straßen. Das war alles so blöd gelaufen. Diese ganze Lügerei hatte alles noch schlimmer gemacht! Wie sollte sie das alles jetzt noch gerade biegen? Warum war sie nicht einfach ehrlich gewesen? „Hey, du!“ Abrupt blieb Hiling stehen und drehte sich um. Ein fremder Mann näherte sich ihr lächelnd. „Warum siehst du denn so traurig aus? Hat dich einer abblitzen lassen? Obwohl du so süß bist? Komm, ich werde dich trösten!“ Ohne eine Reaktion abzuwarten, legte der Mann einen Arm um das grünhaarige Mädchen und drückte sie einfach an sich. „Was soll das?!“ protestierte sie, doch der Kerl zeigte sich davon sehr unbeeindruckt. „Schon gut, keine Angst! Ich bin viel netter, als ich aussehe.“ Der Mann machte Anstalten, Hiling irgendwohin mitzunehmen und diese wusste nicht, was sie tun sollte. Der Zufall kam ihr zu Hilfe: Jemand packte die Hand des Mannes und stieß diesen weg. Gleichzeitig riss er Hiling von ihm weg und drückte sie beschützend an sich. Verwirrt sah die junge Frau auf – und stellte erleichtert fest, dass Devine ihr gefolgt war. Der Rothaarige bedachte den fremden Mann mit einem bösen Blick. „Nimm sofort die Hände von ihr“, zischte er bedrohlich. Dann meinte er an Hiling gewandt: „Dein Freund ist ein ganz schöner Kotzbrocken! Du hast wirklich etwas Besseres verdient.“ „Der da ist nicht mein Freund!“, erwiderte Hiling rasch. „Wenn das so ist…“ Devine ließ Hiling los und verpasste dem Mann einen kräftigen Schlag ins Gesicht, sodass dieser rückwärts stolperte und sich auch gleich verzog. „Ich hoffe doch, dein Freund ist nicht so-“ „Ich habe gar keinen Freund!!“ unterbrach Hiling ihn. „Das war gelogen! In Wirklichkeit… sind die Pralinen… für dich…“ „Für mich? Warum?“ „Weil ich dich mag. Sehr sogar…“ Zu Hiling’s Überraschung nahm Devine sie in den Arm. „Geht mir genauso“, flüsterte er. „Verzeih, dass ich so gemeine Sachen gesagt habe. Aber der Gedanke, dass dich ein anderer Mann berührt, hat mich sehr verärgert.“ „Mir tut es auch leid, dass ich gelogen habe. Von wegen, dass ich einen Freund habe…“ „Ich weiß, dass ich nicht bloß nur Augen für dich haben sollte, aber… darf ich es trotzdem?“ Hiling löste sich von ihm und nickte. Dann erinnerte sie sich an die Pralinen und reichte sie ihm. „Ich hoffe, sie schmecken.“ „Probieren wir’s.“ Devine öffnete die Packung, nahm eine Praline, steckte sie sich in den Mund, zog dann Hiling an sich und küsste sie. Diese schloss genießerisch die Augen. Die war wirklich köstlich… aber der Kuss von Devine schmeckte viel süßer!   ~ Owari ~ Kapitel 9: Brieflein, Brieflein, du musst wandern... ---------------------------------------------------- Brieflein, Brieflein, du musst wandern...   „Fertig!“ Freudestrahlend hielt Morgiana ihren ersten Brief in den Händen. Überglücklich wandte sie sich an die Person neben sich. „Vielen Dank, dass du mir dabei geholfen hast, Sinbad.“ Der König von Sindria schenkte ihr ein Lächeln. „Das habe ich doch gern gemacht. Und? Für wen ist der Brief?“ Morgiana errötete und versteckte ihr Gesicht hinter dem Briefumschlag. „Das… das ist geheim!“ Sinbad nickte verstehend. Der Brief war für einen ganz bestimmten Mann gedacht. „Nun, dann wünsche ich dir viel Glück!“ Morgiana nickte lächelnd, dann wollte sie die Tür öffnen, als diese plötzlich aufflog – Ja’far musterte sie überrascht, dann erblickte er Sinbad und sein Gesicht verfinsterte sich. „Hier steckst du, Sin! Du dachtest wohl, du könntest dich vor der Arbeit drücken!“ Sinbad zuckte zusammen. „Ich habe nicht versucht, mich zu drücken!“, rief er erbost. „Ich habe Morgiana bei einem Brief geholfen!“ „Verkauf mich nicht für dumm! Du nutzt doch jede Gelegenheit, um nicht die Schreibarbeiten erledigen zu müssen!“ „Dieser ganze Schreibkram ist so langweilig“, maulte Sinbad. Während Ja’far weiter mit seinem König schimpfte, verließ Morgiana lautlos den Raum und eilte die Gänge entlang, um den Brief an ihren heimlichen Schwarm zu überbringen. Als sie mit den Gedanken woanders um die Ecke bog, prallte sie mit voller Wucht mit Jemandem zusammen, flog über das Geländer und stürzte hinunter in den Innenhof – auf halbem Wege blieb sie jedoch hängen. Die junge Fanalis strampelte mit den Füßen, bekam sich jedoch einfach nicht frei. „Mo! Alles in Ordnung?!“, rief jemand von unten herauf. Morgiana sah hinunter und erkannte ihren Lehrmeister, Masrur. Offenbar war sie mit ihm zusammengestoßen. Masrur war in den Hof hinunter gesprungen, um seine Schülerin aufzufangen, als diese auf halbem Wege stecken blieb. „Ja, alles gut!“, rief sie hinunter. „Aber ich hänge fest! Ich komme hier nicht los!“ Masrur kratzte sich ratlos am Hinterkopf. „Tja… Da kann ich leider auch nichts machen. Du hängst da schon ziemlich ungünstig.“ Morgiana dachte kurz nach. „Könntest du dann wenigstens diesen Brief hier überbringen?“, fragte sie und warf den Brief zu ihm hinunter. „An Ali Baba, okay?“ Masrur fing den Brief auf, rief: „Okay!“ und machte sich auf den Weg. Morgiana blieb an der Außenmauer des Palastes hängen und überlegte, wie sie hier wohl wieder herunterkam.   Masrur begab sich inzwischen auf die Suche nach Ali Baba. Soweit er wusste, befand dieser sich gerade beim täglichen Schwerttraining mit seinem Lehrmeister. Also machte er sich auf den Weg zu deren Trainingsplatz. Dort angekommen bemerkte er, dass Ali Baba nicht dort war – dafür aber sein Lehrer, Sharrkan. Er unterhielt sich gerade mit Pisti. Als dieser seinen Kollegen sah, zeigte er sich überrascht. „Dich habe ich schon lange nicht mehr gesehen! Was tust du hier?“ „Ich suche Ali Baba.“ „Der hatte noch was zu erledigen, also haben wir früher Schluss gemacht.“ „Verstehe.“ Masrur machte auf den Absatz kehrt, um woanders nach Ali Baba zu suchen. Sharrkan überholte ihn jedoch rasch. „Hey, wenn du schon mal hier bist, könnten wir doch ein wenig den Schwertkampf trainieren? Ich erkläre mich auch dazu bereit, dein Spairingspartner zu sein. Na, wie wär’s?“ Masrur schüttelte nur den Kopf. „Nein. Du wärst keine Herausforderung für mich, Senpai.“ Zunächst leicht betröppelt, wurde Sharrkan schnell zornig und packte Masrur wütend am Kragen. „Was hast du gesagt?! Was fällt dir ein! Werd` ja nicht übermütig! Das ist jetzt schon das zehnte Mal, dass du mich abweist! Was passt dir nicht daran, mit mir zu trainieren?!“ Das sonst so ernste Gesicht des Fanalis’ wirkte plötzlich traurig. „Es tut mir sehr leid, Senpai. Aber… seit der Sache damals… kann ich einfach kein Schwert mehr in die Hand nehmen.“ Sharrkan ließ ihn los. Er wusste, dass Masrur früher als Sklave gehalten und gezwungen wurde, als Gladiator im Kolosseum von Reim zu kämpfen. „Ach so ist das. Bitte entschuldige“, sagte Sharrkan leicht betreten. Pisti, die sich die ganze Sache bislang stillschweigend angehört hatte, warf fröhlich ein: „Hey Masrur, dafür, dass du so traumatisiert sein sollst, siehst du aber sehr glücklich aus, wenn du mit Sinbad trainierst.“ Begreifend, dass man ihn belogen hatte, flippte Sharrkan wieder aus. „Was war das?! Du Bastard hast gelogen?!“ Masrur zog es vor, lieber das Weite zu suchen. Sharrkan, immer noch rasend vor Wut, rannte ihm nach, Pisti’s lautes Gelächter hinter sich hörend. Er jagte den Fanalis quer durch den Innenhof, doch dieser war einfach viel zu schnell. Innerhalb kürzester Zeit hatte er seinen Senpai abgehängt. Keuchend kam Sharrkan vor der Treppe zum Palast zum stehen. „Du bist wirklich ein Idiot. Hast du nichts Besseres zu tun, als Masrur zu nerven?“ Sharrkan zuckte zusammen. Diese Stimme kannte er nur zu gut. Auch das noch! Genervt wandte er den Kopf zur Seite und sah sich Yamraiha gegenüber. „Was geht dich das an?“, herrschte er sie an und richtete sich stöhnend auf. „Und? Hast du auch brav deinen kleinen Zauberstab geschwungen und Feenstaub in der Luft verteilt?“ Yamraiha verzog wütend das Gesicht. „Mein Zauberstab verteilt keinen Feenstaub, aber wenn du so verrückt nach Staub bist, verwende ich gerne einen Zauber, der dich in den Staub wirft.“ „Pah! Bist du eine deiner ewig langen Formeln aufgesagt hast, habe ich dich längst mit meinem Schwert zu Filet verarbeitet!“ Yamraiha lachte höhnisch. „Als ob deine albernen Schwert-Kunststückchen zu mehr taugen würden, als für eine Zirkusshow!“ Sharrkan fletschte wütend die Zähne. „Ach ja?! Wir können es ja mal ausprobieren! Hast du Lust?!“ Bevor die Situation eskalieren konnte, tauchte Pisti am Fenster über ihnen auf. „Hey Sharr, Sin sucht nach dir!“ Zähneknirschend marschierte Sharrkan an ihr vorbei in den Palast. Yamraiha sah ihm kopfschüttelnd nach, dann fiel ihr Blick auf etwas, das im Gras lag. Neugierig ging sie zu dem Gegenstand und hob ihn auf. „Ein Brief…“, murmelte sie. Es stand kein Absender darauf, also öffnete sie ihn, um herauszufinden, was das war.   Wenn der Mond hell am Firmament leuchtet, warte ich bei den blühenden Blumen mit glühendem Herzen auf dich.   Yamraiha bekam einen hochroten Kopf. Was war das denn?! Von wem war der? Und für wen war der? Plötzlich kam der Wasserhexe ein Gedanke. Der Brief hatte nur wenige Zentimeter von der Stelle entfernt gelegen, an der Sharrkan gerade stand. War der Brief etwa von ihm? Und hatte er ihn absichtlich fallengelassen, weil sie ihn finden sollte? Konnte das tatsächlich wahr sein? Yamraiha sah zum Palast hinauf. Sie hätte schon wahnsinnig gern einen Freund. Aber sie und er…?   Mittlerweile war es Abend geworden und der Mond stand hell am Nachthimmel. Morgiana, die sich aus ihrer misslichen Lage endlich befreien konnte, saß im Innenhof in der Nähe des größten Blumenbeetes und sah hinauf. Hoffentlich würde Ali Baba hier auftauchen. Dann könnte sie ihm endlich sagen, was sie empfand. Und vielleicht würden sie und er dann… Morgiana errötete ob dieses Gedankens und wippte ungeduldig mit dem Hintern vor und zurück. Ihr Herz raste wie verrückt. Plötzlich tat sich im Dunkeln etwas. Aufgeregt sprang Morgiana auf und versteckte sich hinter einer der Steinsäulen. Ihr Herz blieb fast stehen, als sie tatsächlich Ali Baba den Innenhof betreten sah. Doch er war nicht allein – Aladdin begleitete ihn. Sofort zog sich die junge Frau noch weiter hinter die Säule zurück und lauschte dem Gespräch der beiden Jungs. „Hast du eine Idee, von wem der Brief sein könnte, Ali Baba?“ „Nein, keine. Aber ich bin gespannt, wer es war.“ Aladdin blieb nachdenklich stehen. „Aber woher willst du wissen, dass der Brief für dich war? Er ist dir im Palast doch bloß auf den Kopf gesegelt.“ „Hast du den Brief mal gelesen? Der muss garantiert von einer vornehmen Dame geschrieben worden sein! Sie ist sicher zu schüchtern, um ihren Namen darunter zu schreiben oder ihn mir persönlich zu übergeben. Daher hat sie diesen Weg gewählt.“ Plötzlich hörten die beiden Jungs ein Geräusch. „Da kommt jemand! Vielleicht ist es ja ein Soldat! Um diese Uhrzeit sollten wir eigentlich nicht mehr hier draußen sein. Besser wir verstecken uns.“ Die Jungs huschten schnell hinter eine Säule, weit weg von der, hinter der Morgiana war. Nach einigen zähen Sekunden tauchte Sharrkan auf. Er fluchte wütend vor sich hin und rieb sich dabei eine Beule am Kopf. „Man, warum muss ausgerechnet ich diesen blöden Brief suchen? Es war doch gar nicht meine Schuld, dass Masrur ihn verloren hat! Nur, weil ich ihn gejagt habe… Deswegen hätte mich Ja’far doch nicht gleich schlagen müssen! …Wo ist bloß dieser dämliche Wisch? Es ist viel zu dunkel hier!“ Während Sharrkan immer noch zeternd den Brief im Gras suchte, näherte sich langsam eine weitere Person dem Blumenbeet. Aladdin erkannte sofort Yamraiha. „Mist, der Brief ist weg!“, zischte Ali Baba geschockt. Genau in diesem Moment fand Sharrkan den gesuchten Brief. „Das ist er ja. Hm… Masrur sollte den bloß überbringen… Was da wohl drinsteht?“ Die drei Zuschauer erkannten, wie Sharrkan den Brief öffnete und ihn las. Kurz darauf lief er feuerrot an. „Was? Was? Was? Was? Was?! Wer-wer schreibt denn so etwas?! Hm… steht kein Absender drauf. Aber eigentlich müsste derjenige gleich hier auftauchen.“ „…Sharrkan?“ Der Schwertmeister wirbelte herum. Seine Kinnlade klappte herunter. Hat sie den Brief etwa geschrieben?! Der Brief war also wirklich von ihm… Schweigend standen die beiden Streithähne sich gegenüber, dann traten sie langsam aufeinander zu. Die drei heimlichen Zuschauer schluckten schwer. Wurden sie hier etwa Zeuge einer Liebesgeschichte? Sharrkan und Yamraiha kamen sich immer näher. Nur wenige Zentimeter trennten sie voneinander. Ali Baba begann heftig zu zittern und er schluckte schwer. „Aladdin, lass uns hier verschwinden!“ Aladdin schüttelte den Kopf, seine blauen Augen leuchteten. Dass ihre jeweiligen Lehrmeister hier vor ihren Augen mit ihrer Romanze begannen, fand er unheimlich aufregend. „Nein, ich will das hier sehen!“ „Bitte, Aladdin! Meine Nerven halten das hier nicht aus! Ich meine, ich krieg hier gleich Nasenbluten!“ „Dann stopf dir beide Daumen in die Nase und sei endlich still!“, zischte der Kleine genervt. Auch Morgiana war peinlich berührt. Dennoch konnte sie keine Sekunde wegsehen. Die beiden Generäle Sindria’s standen ganz dicht voreinander, dann überwanden sie die letzten Zentimeter, um sich zu küssen – als plötzlich ein lauter Nieser die Stille durchbrach. Geschockt stobten die zwei Liebenden auseinander. Wenige Sekunden später torkelte Sinbad auf die Zwei zu. „Oh, was macht ihr Beide denn hier? Eine schöne Nacht, nicht wahr?“, rief der König ahnungslos. Morgiana war so überrascht, dass sie ihre Vorsicht vergaß und aus ihrem Versteck hervortrat. „Sinbad!“ „Mo?!“, rief Ali Baba überrascht. Morgiana errötete und wandte sich ab. Aladdin trat ebenfalls hervor und stampfte wütend mit dem Fuß auf. „Man, Onkel Sinbad! Warum musstest du ausgerechnet jetzt stören! Wo die beiden doch gerade dabei waren, sich zu kriegen!“, schimpfte er. Sharrkan und Yamraiha erröteten vor Scham, als sie bemerkten, wie viele heimliche Zuschauer sie hatten. Während Sharrkan sofort das Weite suchte, rief Yamraiha laut: „Wir wollten uns gar nicht kriegen!!“, ehe sie ebenfalls davon stürmte. Aladdin verschränkte gelangweilt die Arme hinter dem Kopf. „Wie langweilig! Komm, wir gehen wieder, Ali Baba!“, meinte er und zog den Blonden hinter sich her. Der sah immer noch mit offenem Mund in Richtung Morgiana, die sich heimlich in die andere Richtung davonstahl. Letztendlich blieb Sinbad allein zurück, mit lauter Fragezeichen im Gesicht. „Aber… ich bin doch der König…“, jammerte er. Ein kalter Wind wehte ihm um die Ohren und brachte den König zum Niesen. „Mir ist kalt… ~ Owari ~ Kapitel 10: Ich möchte geliebt werden ------------------------------------- Ich möchte geliebt werden     Es steht seit Ewigkeiten leer... Ich frag mich, wie lange schon. Ob hier überhaupt jemand nach dem Rechten sieht? … Egal, wenn niemand auftaucht – umso besser. Ich will allein sein... Ray zog eine kleine Schachtel aus der Jackentasche und betrachtete sie. Wenn mich keiner liebt... dann doch wenigstens sie...   Als Ray wieder nach Hause kam, herrschte mal wieder ein heilloses Chaos. Hilary war auf der Suche nach Tyson. Doch Ray wusste, dass der mit Max zusammen war. Kai hingegen folgte ihr auf Schritt und Tritt. Und genau das war es, was Ray so zu schaffen machte. Kai schien sich für Hilary zu interessieren, nur nicht für ihn. Hilary hingegen wollte etwas von Tyson, der allerdings mit Max in einer Beziehung zu sein schien. Was Kenny betraf, so war es mit ihm, wie mit Kai. Auch er wollte etwas von Hilary. Die einzigen, die zusammen gefunden hatten und glücklich waren, ganz ohne Probleme, waren Tysons Bruder Hiro und die hübsche Yuna. Ray stand im Wohnzimmer und beobachtete teilnahmslos das Theater. Kai stand neben Hilary und redete auf sie ein, während Kenny daneben stand und kein Wort hervorbrachte, außer irgendeinem Gemurmel. Kenny traut sich auch nicht, mal was zu sagen... „Kai...“ Ray wartete auf eine Antwort, doch der Angesprochene reagierte nicht. „Kai, hast du-“ „Nicht jetzt!“, fauchte Kai und lief hinter Hilary hinterher, die in den Flur verschwand. Ray sah ihm nach. Was habe ich denn auch erwartet... Ich interessiere dich ja auch nicht. Mich willst du nicht sehen, geschweige denn, mit mir zusammen sein... Seufzend ging Ray in sein Zimmer und setzte sich auf die Bettkante. Nach einem kurzen Moment, ohne jegliche Gedanken in seinem Kopf, stand er wieder auf und zündete die Kerzen an, die er an verschiedenen Punkten in seinem Zimmer zu stehen hatte. Jedes Mal hab ich das Gefühl, als wäre mir kalt, wenn Kai so ist... Nur dass die Kerzen mich nicht wärmen. Er lief ruhelos durch das Zimmer. Nach einer Weile pustete er die Kerzen wieder aus und verließ sein Zimmer. Er schloss es seit einiger Zeit immer ab, damit niemand einfach hineinging. Als er endlich unter der wärmenden Dusche mit dem fast heißen Wasser stand, beruhigte er sich etwas. Aber er wusste genau, sobald er aus der Dusche käme, würde ihm wieder kalt sein. Dennoch blieb ihm nach einer Weile nichts anderes übrig, als das Wasser abzustellen und das Bad für Max freizumachen. Wenigstens sind die beiden glücklich... Er schaute ihm wehleidig nach, ging dann aber in sein Zimmer zurück und verkroch sich unter der Decke. Ohne jemanden an seiner Seite war es trotzdem noch kalt, aber längst nicht so, wie sonst immer. Es war angenehm warm und er schlief schnell ein, was in letzter Zeit häufiger vorkam...   ...Er saß allein in seinem Zimmer, umgeben von Kerzen. Alles schien ruhig, doch plötzlich verschwand das Zimmer in einem grautönigen Wirbel und er fiel ins Bodenlose. Er wollte schreien, doch kein Ton war zu hören. Niemand reichte ihm eine Hand. Niemand war zu sehen. Nirgendwo. Er landete unsanft auf einem harten Boden in einem Nichts aus Dunkelheit. Es gab nur eine einzige Lichtquelle. Er ging darauf zu und schaute nach oben, in der Hoffnung den Ausgang zu finden. Doch es gab keinen und war auch niemand da, der ihm helfen könnte. Hören konnte ihn auch niemand, da seine Stimme wie verschwunden war. Dazu war es auch noch kalt, er konnte seinen Atem kondensieren sehen. Die Kälte drang ungewöhnlich schnell bis auf seine Haut und er begann zu zittern. Dann sah er ein kleines Stück hinter dem Lichtkegel eine kleine Schachtel liegen. Er hob sie auf und sah hinein. Es waren Streichhölzer darin. Er nahm eines heraus und entzündete es. Es wurde sofort wärmer. Er suchte nach etwas, um die Flamme zu halten, doch es gab sonst nichts. Die kleine Flamme brannte immer weiter herunter und er bekam Angst, dass er sich die Finger verbrennen würde. Doch irgendwie faszinierte ihn die Flamme und vergaß, dass sie herunterbrannte. Als sie seine Finger erreichte, erschrak er erst, doch dann nahm er die Wärme wahr. Es tat überhaupt nicht weh, es war einfach nur warm. Nach einer Weile war er vollständig von Flammen umgeben, die das dunkle Nichts erhellten und wärmten. Er selbst stand mittendrin. Hinter sich hörte plötzlich eine Tür aufgehen und jemanden seinen Namen rufen... „Ray! Ray, komm da raus!“ Die Stimme klang wie die von Kai, doch durch die Flammen konnte er nichts als einen Schatten erkennen. „RAY!“   Ray saß kerzengerade im Bett und sah sich erschrocken und hastig atmend um. Ein paar Teelichter, die er vorhin wieder entzündet hattte, brannten noch und warfen schummriges Licht an die Wände. Dieser Effekt erinnerte ihn überdeutlich an den Traum. Aber es war niemand in seinem Zimmer, der seinen Namen genannt hatte. Er stand enttäuscht auf, pustete die Kerzen aus und schlief dann weiter.   Tags darauf versuchte Ray erneut Kais Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie waren alle im Wohnzimmer versammelt. Max und Tyson saßen auf dem Sofa, Kenny auf dem Sessel und Hilary und Kai standen mitten im Raum. Ray hatte sich an die Wand gelehnt und sah zu. Kenny ließ offensichtlich gerade alle Hoffnungen fahren, dass Hilary je seine Freundin werden würde. Ray hörte nicht wirklich zu, was Kai Hilary zu sagen hatte. Erst als sie aus der Haut fuhr, horchte er auf und schaute zu ihnen. „Mein Gott, es interessiert mich nicht! Lass mich in Ruhe damit! Wieso versuchst du sowas überhaupt?!“, brüllte sie. „Du hörst mir wohl nicht zu!“, gab Kai genervt zurück und versuchte ihr zu erklären, dass sie bei Tyson einfach keine Chance haben konnte. Als zwischen den beiden Funkstille herrschte und sie wütend den Raum verlassen hatte, genauso wie Kenny, wandte Ray sich an Kai. „Hast du einen Moment Zeit?“, fragte er. Kai wirbelte wütend herum. „Jetzt nicht!“, fauchte er. Ray zuckte zusammen und ging dann wortlos in sein Zimmer. Er ließ die Tür ins Schloss fallen und sank auf sein Bett. Er hat doch nie Zeit... Er hört mir ja nie zu. Er will mir ja nie zuhören. Er lässt mich ja nicht mal reden. Er will nichts von mir wissen... Was muss ich denn tun, dass er mir endlich zuhört? Er blieb nicht lange dort, sondern ging nach einer Weile wieder zu dem alten Haus am See. Es stand seit Jahrzehnten leer und sah auch entsprechend aus. Nicht unbedingt verfallen, aber man sah doch, dass es ungenutzt war. Allerdings interessierte sich auch niemand dafür, denn im Inneren des Gebäudes standen noch die Möbel, die unter weißen verstaubten Leintüchern abgedeckt waren. Ray zog eines davon weg und setzte sich in den alten dunkelgrünen Ohrensessel. Er schaute auf den verhüllten Tisch. Darauf lag eine kleine Schachtel, die nicht von Staub bedeckt war. Er nahm sie, zog ein kleines Hölzchen heraus und entzündete es. Genauso wie am Tag zuvor. Die Flamme strahlte ein bisschen Wärme aus. Wie in seinem Traum schien sie ihn zu beruhigen. Ein trauriges Lächeln trat in sein Gesicht, doch als die Flamme ihn beinahe berührte, schaltete sich seine Vernunft wieder ein und er pustete sie hastig aus. Seufzend legte er den Kopf an die Lehne des Ohrensessels und schloss die Augen. Hier konnte er sich wenigstens für eine kurze Zeit ausmalen, wie es wohl wäre, mit Kai zusammen zu sein. Doch im Moment konnte er nur daran denken, wie Kai ihn ständig abwies. Wenn er mir doch nur zuhören würde... Wenn er mich wenigstens verstehen wollen würde. Aber das tut er ja nicht... Er ignoriert mich total. Jedesmal wenn ich mit ihm reden will, schreit er mich an. Dabei möchte ich doch nur ein bisschen Aufmerksamkeit... Zuneigung... seine Liebe...   So ging es tagelang weiter, nur das Ray es aufgegeben hatte, Kai ansprechen zu wollen. Kai war noch immer sehr oft gereizt, also wollte er einem Wutausbruch auf diese Weise entgehen. Stattdessen hoffte er, dass Blicke deutlich machten, dass er mit ihm reden wollte. Dass es etwas gab, dass ausgesprochen werden musste. Blicke, die vielleicht auch seine Gefühle deutlich machten. Doch das ignorierte der Halbjapaner gänzlich. Also ließ Ray auch das bald bleiben und entschied sich letztlich dazu, zu schweigen. Was er auch sonst oft tat. Doch jetzt sagte er den ganzen Tag gar nichts und wiederum schien es niemanden zu interessieren. Weder Kai noch die anderen. Niemand fragte ihn, ob etwas passiert sei oder was mit ihm los war. Heute saß er am Tisch und rührte das Essen nicht an. Ich komm mir so überflüssig vor... Als wäre ich unsichtbar. Was soll ich hier? Keiner interessiert sich für mich. Sie ignorieren mich alle... Aber wo sollte ich hin? Zu den White Tigers? Nein. Aber eigentlich will ich hier doch gar nicht weg. Was soll ich denn noch tun? Muss ich erst irgendein Zeichen setzen, damit sie bemerken, dass ich auch noch da bin?? Ich bin nicht unsichtbar! Ich bin hier! Sie sehen mich, sie wissen, dass ich da bin und sie können mit mir reden. Aber keiner tut es! … Ich halte das nicht mehr lange aus... Während er nachdachte, hatte er im Essen nur herumgestochert. Niemanden hatte es interessiert, es hatte auch keiner gefragt, warum er nicht aß. Er hatte lediglich Hilary meckern gehört, als sie den Tisch abgeräumt hatte, aber da war er schon am gehen. Sein Weg führte ihn neuerlich zu dem alten Gutshaus am See. Kai warf einen Blick aus dem Fenster, als er die Tür ins Schloss hatte fallen hören. Er sah Ray den Weg entlanggehen. Von seinem Zimmer aus konnte er gerade so das Gutshaus erkennen. Nach einer Weile sah er Ray dort hinein gehen. Was macht er bloß dauernd in diesem alten Haus? Da gibt es doch nichts. Er war jetzt schon ein paar Mal dort... fast jeden Tag. Möchte mal wissen, was er da macht...   Es dauerte ungewöhnlich lange, bis Ray an diesem Abend zurückkam. Und keiner schien sich Gedanken zu machen, wo er überhaupt war. Nur Kai verschwendete noch einmal kurz einen Gedanken an ihn, doch fast im selben Moment ging die Tür auf und Ray huschte durch den Flur. Kai sah ihn gerade noch so. Was zum Teufel hat er so lange da gemacht? Da gibt es doch absolut nichts Spannendes! Kenny sah Ray fragend nach, als dieser wortlos in seinem Zimmer verschwand. „Was war denn das jetzt? Wo war er überhaupt?“, fragte er. Kai seufzte genervt. „Was weiß ich, was er jetzt schon wieder hat.“ Irgendetwas hat er definitiv... Da ist was passiert, er hat einen Verband an der Hand. Was macht er in dieser bescheuerten Bruchbude?? Kenny stand auf und klopfte an Rays Zimmertür. „Ray, ist alles in Ordnung? Was ist los?“ „Nichts, was soll schon sein? Alles ok!“, kam die Antwort, woraufhin Kenny mit den Schultern zuckte und wieder ging. Ray hatte gehofft, dass Kenny weiter fragen würde, dass er gezwungen sein würde, die Tür aufzureißen und eine Szene zu machen, nur damit er endlich einmal gehört würde. Doch Kenny war gegangen. Keine weitere Frage. Die Sorge um ihn war also nur kurz. So ist das... Das reicht also schon? Das reicht, damit ihr glaubt, es sei alles in Ordnung? So sehen sie mich also... Sie glauben, ich brauche keine Hilfe. Sie glauben, mich zu kennen... Vielleicht brauche ich wirklich keine Hilfe. Aber Freunde, Liebe... die werde ich doch brauchen dürfen...? Er berührte vorsichtig den Verband an seiner Hand. Es tat weh und es fing langsam an wieder zu brennen. Die Kühlsalbe verlor ihre Wirkung schon wieder. Diesmal war es doch passiert. Er hatte sich an der Hand verbrannt und weil die Schmerzen trotz Kühlen im Seewasser nicht auszuhalten waren, war in die Notaufnahme eines naheliegenden Krankenhauses gelaufen. Er hatte eine Notlüge erfinden müssen und hatte angegeben, dass niemand zu benachrichtigen sei. An und für sich war die Verbrennung nicht so schlimm, doch er wollte nicht dort bleiben. Also hatte sie ihm zwei Salben und Verbandsmaterial mitgegeben. Es würde noch einige Tage schmerzen, doch jetzt ignorierte er sie weitgehend, legte sich hin und schlief ein...   ...Flammen züngelten hoch. Wurden mehr und mehr und kreisten ihn immer weiter ein. Die Stimme hinter der Wand aus Feuer wurde lauter und verzweifelter, doch konnte der Besitzer nicht zu Ray vordringen. Ray hatte ihn außerdem auch aus den Augen verloren und drehte sich inzwischen hektisch suchend im Kreis. Doch er konnte keinen Ausweg finden und er rief auch nicht mehr um Hilfe. Die Person hinter diesem Flammenkreis sollte nicht in Gefahr geraten und was mit ihm geschah war ihm egal, er war hier sowieso gefangen. „Verschwinde! Hau ab! Lass mich allein!“, schrie er den Flammen entgegen, in der Hoffnung der Schatten dahinter würde aufgeben und verschwinden...   Mit einem pochenden Kopfschmerz wachte er mitten in der Nacht auf. Ihm war warm und es drängte sich ihm einmal mehr die Frage auf, wer das in seinem Traum war. „Ich brauche das nicht...“, murmelte er und ließ sich in die Kissen zurückfallen. Er wollte nicht mehr daran denken. Mit Erfolg, denn er fiel in einen traumlosen Schlaf.   Am nächsten Morgen überlegte Ray, Kai doch noch einmal anzusprechen. Aber nicht sofort, er wartete ab und sprach ihn erst am Nachmittag an. Kai wollte gerade ein weiteres Mal versuchen mit Hilary zu sprechen, die ihn jedoch einfach stehen ließ. Diesen Moment nutzte Ray. Er trat näher, doch Kai lief Hilary hinterher, nahm ihr Handgelenk und fing sich direkt eine Ohrfeige ein. Ray trat an seine Seite. „Hast du einen Moment?“, fragte er. Doch Kai wandte sich wütend zu ihm um und funkelte ihn an. „Nein habe ich nicht und warum zum Teufel fragst du mich das dauernd??? Seh ich gerade so aus, als würde reden wollen?! NEIN, will ich nicht!“, fluchte er lautstark. Ray schluckte. Wenn Kai wütend war, dann richtig. „Tut mir leid, ich wollte doch nur...“, begann er, legte er dann aber den Rückwärtsgang ein. Kai folgte ihm. „Ich hab grad überhaupt keinen Nerv dafür und was immer du willst, frag mich ein andermal!“, knurrte er und trieb Ray in den Flur. Kenny und Hilary sahen es aus dem Wohnzimmer. Ray ging eingeschüchert weiter rückwärts, während Kai zumindest stehen geblieben war, wenngleich sein Blick immer noch vor Wut sprühte. Ray atmete tief durch. Okay, das war eindeutig... Tut mir leid, dass ich dich liebe... Aber ich frage nie wieder, ob du Zeit hast... Dann ging er. Kenny sah ihm verwirrt nach und Kai ging wortlos in sein Zimmer.   Rays Weg führte ihn ziellos durch die Stadt. Doch als er spürte, wie wenig es ihm half, dass all die glücklichen Paare, die er überall zu sehen schien, ihn noch deprimierter machten, flüchtete er in einen alten Hausaufgang. Er wollte es nicht, dass irgendwelche Leute seine Schwäche so deutlich sehen konnten. Es war ruhig in dem Aufgang und roch nach abgestandener Luft und Staub. Ray fischte die Streichholzschachtel aus seiner Jackentasche und sah sie an. Während er das tat, sah er durch den immer wieder kehrenden Nebel seines Atems, der in der kalten Luft kondensierte. Der Aufgang gehörte zu einem leeren Gebäude, wie er feststellte, denn sonst würde das nicht passieren. Er zündete eines der Hölzchen an und sah an den Wänden Geschmiere. Er ließ die kleine Flamme herunter brennen, doch kurz bevor sie seinen Verband erreichte, schaltete sich sein Gehirn ein und er pustete sie aus. Etwas beruhigter verließ er den stickigen Aufgang. Dann erst führte sein Weg ihn zum alten Gutshaus. Dort wiederholte er dasselbe Spiel. Dann zündete er eine Stumpenkerze an, die er in einer der alten Kommoden gefunden hatte und stellte sie auf den Tisch. Einige Zeit später ging er in das Obergeschoss. Dort war er bisher nur einmal gewesen. In einem Raum am Ende des Ganges fand er ein riesiges verhülltes Bett und einige andere in Tücher gehüllte Möbel. Er war müde also ließ er sich auf das Bett sinken und schlief schnell ein...   ...Die Flammen wuchsen immer höher, kamen immer dichter und berührten ihn fast. Jetzt wurde es glühend heiß und der beißende Rauch nahm ihm den Atem. Die Person, die ihm zuvor helfen wollte, stand wieder irgendwo hinter den Flammen und rief seinen Namen. Diesmal wollte er rufen. Er wollte die Hilfe annehmen, doch aus seiner Kehle drang kein einziger Ton. Der Qualm brannte in den Augen und im Hals...   „Meine Güte, jetzt halt doch mal die Beine still!“, fauchte Kai Kenny an. Seit zehn Minuten wuselte Kenny nun schon aufgebracht durch das Zimmer. „Das sagst du so, Kai! Und Ray? Der ist immer noch nicht zurück!“, jammerte er. „Setz dich hin, verdammt! Der kommt schon zurück!“ Kai stand auf und ging ans Fenster, während Kenny weiter jammerte. Kenny hat Recht... Ray ist ungewöhnlich lange weg. Zu lange. So lange war er noch nie weg. Wo ist er? Während Kai nachdachte, kamen nach und nach auch die anderen dazu, sich fragend, wo Ray war. Kurzerhand entbrannte eine Diskussion darum, die Kai zu nerven anfing. „Verdammt nochmal, haltet die Klappe! Ray wird von allein zurückkommen! Also kriegt euch endlich wieder ein!“, schrie er sie wütend an, Hauptsache sie hörten ihn in der Diskussion auch. Erschrocken sahen sie ihn an. Hilary war es, die vortrat. „Kai... Ehrlich gesagt bist du doch Schuld daran, dass er gegangen ist. Meinst du nicht, dass du etwas zu hart zu ihm warst?“, fragte sie. Kai atmete durch und beruhigte sich wieder. Sie hatte Recht und er wusste es. „Und?“ „Du könntest ihn suchen gehen.“, schlug Kenny leicht bissig vor. „Und wo? Ich weiß nicht, wo er sein könnte...“, gab Kai zurück. „Egal, er wird schon irgendwo sein... Es ist doch Valentinstag und wir wollen ihm auch was schenken... Jetzt mach schon.“, bat Hilary. Die anderen sahen betreten zu Kai und schwiegen. Einen Augenblick lang herrschte Stille und Kai sah zum Fenster. Natürlich... Da ist er... Da war in letzter Zeit so oft, warum nicht auch heute? Ohne ein Wort verließ Kai hastig das Haus, während die anderen ihm erstaunt nachsahen.   Sein Weg führte ihn direkt zum Haus am See hinunter. Schon von weitem sah er, das etwas nicht stimmte. Die untere Etage war hell erleuchtet. Aber nicht, als würden Lampen leuchten, sondern es flackerte und das war ungewöhnlich. Zum einen weil keine Lampen leuchten konnten, wenn es keinen Strom gab und zum anderen weil Lampen nicht flackerten. Als er ankam, war er geschockt. Das Haus brannte, die untere Etage stand in Flammen! Bitte lass ihn nicht dort sein!! Kai rannte zu den Feuerwehren, die bereits eingetroffen waren und fragte, ob jemand herausgeholt worden war oder noch drin war. Doch darum hatte sich offenbar niemand gekümmert, da das Haus allgemein als leerstehend bekannt war. „Warum sollte da jemand drin sein, es steht doch leer!“, war die Antwort. Kai forderte, dass man sich darum kümmern sollte, doch niemand interessierte sich dafür. Er wusste, Ray war da drinnen und er würde ihn ganz bestimmt nicht den Flammen überlassen! Hastig ließ er sich bis auf die Haut nass spritzen, während er unter einem der Wasserstrahle entlang lief und dort einen Moment verharrte. Dann rannte er hinein. Unten konnte er fast nirgendwo mehr hin, doch die Treppe nach oben war noch frei. Er hoffte inständig, dass Ray irgendwo oben war. Der Rauch überall erschwerte ihm die Sicht und das Atmen, doch er stieß jede Zimmertür auf, die er oben sehen konnte. In einem der letzten Zimmer fand er ein riesiges Bett auf dem er im Rauch einen dunklen Schemen auf dem weiße Laken ausmachen konnte. Ray! Er rannte zu ihm, schüttelte ihn, verpasste ihm Ohrfeigen und schrie ihn an. Nur für eine Sekunde gelang es Ray ihn anzusehen, doch dann schlossen sich seine Lider wieder. „RAY! Du verdammter Idiot!“, fluchte Kai und wuchtete ihn über seine Schulter. Mühsam gelang es ihm, Ray auf seinem Rücken zu halten und dann trug er ihn aus dem Raum. Die Hitze und der Qualm drangen immer weiter nach oben und machten es ihm schwer, Ray sicher die Treppe hinunter zu bringen. Immer wieder fielen brennende Holzteile von der Decke herab, die sie knapp verfehlten. Kai beeilte sich. Er wollte das Haus verlassen haben, bevor der Dachstuhl in sich zusammenfiel. Ausgerechnet kurz vor dem Ausgang fiel ihm ein brennender Balken vor die Füße, der ihm den direkten Ausweg nach draußen versperrte. Nein... Wir müssen hier raus! Hastig sah er sich um und es blieb nur der Weg nahe an den Flammen vorbei. Vorsichtig lief er um den Balken herum, bedacht darauf, sich und Ray nicht zu verbrennen. Kaum, dass er die Schwelle übertreten hatte und ein paar Meter vom Haus weg stand, krachte ein weiterer brennender Balken herab der den Hauseingang nun ganz versperrte. Den Kopf wie leergefegt, sog Kai die frischere Luft ein und schaffte es irgendwie mit Ray zu einem der Feuerwehrwagen, wo er mit ihm zu Boden sank und Rays Kopf in seinen Schoß legte. Sofort kamen ein paar der Männer angerannt und Kai hörte irgendetwas von einem Krankenwagen, der gleich hier sein sollte. Der kam auch überraschend schnell, wie Kai empfand und kurz darauf war Ray auch schon mit Sauerstoff versorgt. Von einer Mund-zu-Mund-Beatmung hatte der Einsatzleiter ihn abhalten können, denn auch Kai hatte zu viel Rauch eingeatmet. Stattdessen hatte er es übernommen und Kai spürte noch jetzt den Drang ihn von Ray wegzureißen. Ich war nicht einmal halb so lang da drin wie Ray! Blödsinn! Kai beobachtete genau, wie die Sanitäter nach einer Weile die Beatmungsmaske wieder abnahmen. Ray hatte die Augen geöffnet. Sie überprüften seinen Blutdruck, die Pupillenreaktion und ob er reagierte und wandten sich dann Kai zu, als Ray keine Hilfe mehr benötigte. Kai bekam zwar keinen Sauerstoff, aber sie entdeckten leichte Verbrennungen an den Beinen, wo sie ihm eine kühlende Salbe auftrugen und ihm die Tube in die Hand drückten. Er hörte zwar, dass sie ihm erklärten, wie er sie anzuwenden habe, doch er achtete nur auf Ray, der ihn die ganze Zeit fixierte. Als endlich Ruhe um sie herrschte, glaubte Ray, sich in einem Traum zu befinden. Doch Kais Hand an seiner Schulter und seinem Arm belehrten ihn eines besseren. Es war wirklich so. Kai hielt ihn fest im Arm, dass er ihm ja nicht von den Beinen rutschte. Er wollte etwas sagen, doch Kai hielt ihn davon ab. „Du bist ruhig. Ich will kein Wort hören!“, sagte er energisch. Ray sah betreten beiseite. Ich wusste es... „Was hast du dir dabei gedacht? Du hättest draufgehen können!“, meckerte Kai mit hörbar besorgtem Unterton. Ray sah mit zusammengezogenen Augenbrauen und verwirrtem Blick zu ihm auf. „Wag es dir noch einmal, so etwas zu tun, dann kannst du was erleben!“ Der Schwarzhaarige auf seinem Schoß wollte etwas erwidern, sich verteidigen, doch Kai hielt ihn davon ab. „Erklär mir, was du hier zu suchen hattest! Du warst nicht das erste Mal hier, ich hab dich gesehen! Was hast du hier gemacht?“, fragte er. Ray schwieg einen Augenblick, doch dann sah er Kai in die Augen. „Immer, wenn ich mit dir reden wollte, hast du mich so angefahren... Nie hattest du Zeit...“ Kai seufzte. „...Warum wohl? Du weißt doch ganz genau, dass ich nicht reden will, wenn ich schlechte Laune habe.“ „Ich werd's mir merken...“, sagte Ray und wollte aufstehen, doch Kai zog ihn zurück. „Mach das nie wieder! Wie sonst sollte das Haus in Flammen aufgehen, wenn nicht jemand mit dem Feuer gespielt hat?“, forderte Kai und zog ihn dann in seine Arme. Ray spürte seinen warmen Atem an der Schulter und erschauderte. „Woher... Wie kommst du darauf?“ „Glaubst du ich bin blind? Ich habe Augen im Kopf und eins und eins kann ich auch zusammenzählen. Erstens bist du gestern mit diesem Verband nach Hause gekommen und zweitens hast du heute dein Zimmer nicht abgeschlossen. Ich bin kurz hineingegangen, bevor ich hierher kam und da war mir klar, was der Verband heißt und was du tust, wenn du nicht zu Hause bist.“, erklärte Kai. Ray schwieg darauf. Was sollte er auch sagen. Kai hatte Recht. „Wie lange, Ray? Wie lange machst du das schon?“, fragte Kai. „Nur wenn ich traurig und allein bin. Und allein war ich in letzter Zeit sehr oft.“ Kai drückte ihn noch fester an sich. „Das tut mir leid... Das hab ich nicht bemerkt.“, murmelte er. Ray antwortete nicht. Stattdessen sah er nur zum glitzernden See hinüber. Der Mond spiegelte sich darauf und das qualmende Haus warf seine Schatten. Plötzlich glaubte er ein leises „Ich liebe dich“ zu hören. „Was?“ „Nichts. Gehen wir nach Hause?“, sagte Kai und klang eindeutig ausweichend. Ray schüttelte den Kopf und sie standen auf. Wunschdenken... Das hat er bestimmt nicht gesagt. Oder doch? Am Krankenwagen erhielten sie die Erlaubnis nach Hause gehen zu dürfen. Sie hatten großes Glück gehabt, dass sie keine Rauchvergiftung bekommen hatten. Langsam liefen sie den Weg nach Hause entlang. Dort angekommen sahen ihre Freunde sie geschockt an. Ihre Gesichter waren verrußt und in Rays Gesicht konnte man noch den Abdruck der Sauerstoffmaske sehen. „Um Himmels Willen, wo wart ihr? Was ist denn passiert?“, fragten sie alle durcheinander. „Es ist alles in Ordnung, können wir das morgen erklären? Wir sind erledigt...“, bat Kai und ohne eine Antwort abzuwarten, zog er Ray mit sich ins Bad. Er ließ Wasser in das Waschbecken und wusch Ray dann behutsam den Ruß aus dem Gesicht und von den freiliegenden Hautstellen. Ray sagte nichts sondern beobachtete das Ganze nur perplex. Danach wusch sich Kai den Ruß ab. So standen sie sich gegenüber und Ray wusste nicht, was er sagen sollte. „Du siehst müde aus.“, bemerkte Kai. „Bin ich auch...“, gab Ray zu. Kai nahm seine Hand. „Dann sollten wir ins Bett gehen.“ Die Reaktion Rays ließ ihn schmunzeln. Er wurde rot. „Wie meinst du das?“ „Dir ist kalt, das sehe ich. Insofern meine ich das, wie ich es gesagt habe. Komm.“ Kai zog ihn aus dem Bad und in dessen Zimmer. Dort standen so viele Kerzen, doch keine von ihnen wurde angezündet. Im Halbdunkel, in das das Zimmer durch das Mondlicht getaucht war, führte er Ray zum Bett. Er zog sich und ihm die nach Qualm stinkenden Kleider aus und dann lagen sie auch schon unter der Decke. Kai zog Ray dicht an sich und Ray genoss die Wärme. „Du bist nicht mehr allein, ich hoffe du weißt das.“ Ray nickte nur. „Ach... Ich glaube heute ist Valentinstag oder?“ Wieder nur ein Nicken. Doch direkt im Anschluss spürte Ray einen sanften Kuss im Nacken, dann auf der Wange. „Ich glaube, ich hab mich verliebt...“     ~ owari ~ Kapitel 11: Lecker Tee ---------------------- Yukimura nahm einen kräftigen Schluck von seinem Tee und stieß einen wohligen Seufzer aus. Der Tee war wirklich köstlich! Außerdem war heute wahrlich ein herrlicher Tag! Die Sonne schien hell und wärmte Mensch und Tier mit ihren Strahlen. Obwohl es noch Winter war, war es dadurch so warm, dass man draußen sitzen und den Tag genießen konnte. Fürst Takeda war für einige Tage verreist und so war es seine, Yukimura’s, Aufgabe, die Burg seines Herrn zu bewachen. Da es heute nichts zu tun gab, hatte sich Yukimura dazu entschieden, den restlichen Tag ein wenig Müßiggang walten zu lassen. Also bat er Sasuke, seinen köstlichen Oolong-Tee zu kochen, kaufte sich im Dorf ein paar seiner geliebten Dangos und setzte sich dann am frühen Nachmittag mit Tee und Dango in den Garten und genoss die warmen Sonnenstrahlen. Wie gesagt, alles in allem war es ein herrlicher Tag. Sasuke gesellte sich zu seinem Meister und schaute ebenfalls zum blauen Himmel hinauf. „Herrliches Wetter heute, nicht wahr, Danna?“, fragte er lächelnd. „Ja, einfach wunderbar“, lachte Yukimura fröhlich und nahm noch einen Schluck Tee. „Solch einen friedlichen Tag hatten wir schon lange nicht mehr.“ „Ach, habt Ihr schon gehört? Fürst Date ist heute bei Fürst Kenshin zum Tee geladen.“ Yukimura horchte auf. „Bei Fürst Kenshin? Ich dachte, der ist ebenfalls auf Reisen?“ „Ist er auch. Fürst Maeda hat ihn eingeladen. Er verweilt zurzeit bei Fürst Kenshin.“ Nachdenklich nahm Yukimura einen Schluck Tee. „Hm… Warum sollte Maeda Keiji ihn zum Tee laden?“, wunderte er sich. „Na ja, soviel ich gehört habe, soll wohl mehr hinter der Einladung stecken. Angeblich hat Fürst Maeda ein Auge auf Fürst Date geworfen.“ Yukimura riss die Augen auf und spie den Tee aus. Geschockt wirbelte er zu Sasuke herum. „WAS?!!! I-ist das sicher?!!“ Sasuke zuckte nur mit den Schultern. „Kasuga meinte das. Sie sagte, sie hätte diesen Eindruck gewonnen. Vielleicht will Fürst Maeda bei diesem Treffen versuchen, dem einäugigen Drachen näher zu kommen?“ Sasuke kratzte sich nachdenklich an der Wange. Als er in das immer noch entsetzte Gesicht seines Meisters sah, lachte er auf. „Als ob Fürst Date mit solch einem Frauenheld wie Maeda anbändeln würde! Lächerlich, nicht wahr?“ „Ja… Wirklich unvorstellbar!“, erwiderte Yukimura und lachte hysterisch. Sasuke wurde wieder nachdenklich. „Obwohl er ja ziemlich gutaussehend ist und sogar bei vielen Männern Anklang findet“, überlegte er laut und dem jungen General blieb das Lachen im Halse stecken. Der Ninja bemerkte dies jedoch nicht. „Wie dem auch sei, ich werde mal zur Grenze aufbrechen, um dort nach dem Rechten zu sehen. Heute Abend bin ich wieder zurück“, sagte er beiläufig und ging davon, ohne auf die völlig erstarrte Miene seines Herrn zu achten. Sasuke war bereits verschwunden, als sich bei Yukimura langsam wieder etwas regte. Seine Augenbrauen zuckten vor Fassungslosigkeit, eine Ader pulsierte bedrohlich an seiner Schläfe. Maeda wollte sich also an Date Masamune heranmachen? Das wollte er doch mal sehen! Langsam, fast schon in Zeitlupe, hob der General seinen Teebecher und trank den Tee in einem Zug aus – er war so heiß, dass er sich den Mund verbrühte, doch dies war ihm völlig gleich. Der Tag war gerade sehr viel weniger herrlich geworden.   Danach hatte Yukimura sein Pferd satteln lassen und war umgehend nach Echigo aufgebrochen. Dort angekommen, kramte er all die Ninja-Tricks hervor, die Sasuke und sein Ninja-Corp ihm beigebracht hatten, um sich in den Garten von Kasugayama Castle einzudringen. Einen dicken Ast mit Armen und Beinen umklammernd und versteckt in der Baumkrone, starrte der junge General mit steinerner Miene hinüber in den Raum, in dem Masamune und Keiji sich befanden. Sie saßen sich gegenüber, tranken Tee und unterhielten sich über irgendetwas. Bedauerlicherweise konnte Yukimura nicht hören, worum es ging, obwohl die Shoji zum Garten hin geöffnet waren und der Baum ziemlich nah dran war. Zu allem Überfluss war es hier in Echigo überhaupt nicht mehr schön warm. Es war kalt und windig. Yukimura fröstelte es und er musste dauernd niesen. Damit ihn niemand hörte, tat er dies in den Ärmel seiner roten Jacke, der nach einer Weile von Rotzflecken übersät war. Verdammt, diese Beschattungsaktion forderte ihm wirklich alles ab! Plötzlich beugte sich Keiji vor und strich Masamune ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Erbost richtete sich Yukimura ruckartig auf – leider rutschte er dabei mit dem linken Arm weg. Krampfhaft versuchte der General, das Gleichgewicht zu halten, jedoch vergebens. Er fiel linksseitig vom Ast herunter und schlug geräuschvoll auf dem Boden auf. Mit dem Gesicht im Dreck liegend und alle Viere von sich streckend, verfluchte Yukimura seine Ungeschicklichkeit. Insgeheim fragte er sich, wie Sasuke das bloß immer schaffte, ohne am Ende wie ein Vollpfosten auszusehen. Langsam hob Yukimura das Gesicht, das voller Schlamm war und zuckte zusammen. Vor ihm hockte Fürst Masamune und schaute mit ausdrucksloser Miene auf ihn hinunter. „Was tust du denn hier?“, fragte er verwundert. Schnell setzte sich Yukimura auf. „Äh… Ähm… ich… habe einen Spaziergang gemacht!“, log er rasch. „So weit von Kai entfernt?“ „Ööööhhhhh… Ich wollte nach Mikawa, um Fürst Ieyasu zu besuchen, und habe mich völlig verlaufen“, sagte Yukimura, rieb sich verlegen mit der rechten Hand den Hinterkopf und lachte nervös. Masamune verengte misstrauisch die Augen. „Dann musst du völlig verblödet sein. Mikawa liegt in der entgegengesetzten Richtung.“ Yukimura erstarrte. Was nun? Hektisch suchte der junge General nach einer neuen Ausrede, als ein kalter Wind um seine Nase pfiff und er zu bibbern anfing. Masamune richtete sich auf. „Am Besten kommst du rein. Hier draußen erkältest du dich noch“, sagte er und kehrte ihm den Rücken. „Oh, danke. Danke!“, rief Yukimura erleichtert und folgte dem Fürsten ins Gebäude.   So kam es, dass nun alle drei im Raum saßen und Tee tranken. Die Shoji waren mittlerweile geschlossen, nachdem Yukimura sich zu ihnen gesellt hatte. Betretenes Schweigen trübte die Stimmung, doch jeder reagierte anders darauf. Masamune trank stillschweigend seinen Tee und wirkte völlig kühl gelassen. Keiji trank mit finsterer Miene ab und zu einen Schluck und warf dem ungebetenen Gast giftige Blicke zu. Einzig allein Yukimura wirkte auffallend fröhlich, der zwischen den beiden Männern saß. Lautstark schlürfte er aus seinem Teebecher und führte ein Gespräch mit Masamune. Das hieß, Yukimura plauderte sinnlos daher, während Masamune ab und an einsilbige Antworten fallen ließ. Schließlich verlor Keiji die Geduld. „Yukimura! Musst du nicht langsam mal wieder nach Hause?“, fragte er mit säuerlichem Lächeln. Yukimura’s Lächeln gefror. „Nein. Ich fühl mich ganz wohl hier“, knurrte er und warf Keiji kühle Blicke zu. Eine Ader zuckte an Keiji’s Schläfe. „Aber Takeda’s Burg darf doch sicherlich nicht solange unbewacht bleiben“, zischte Keiji bemüht freundlich. Yukimura lächelte spöttisch. „Da mach dir mal keine Sorgen. In der kurzen Zeit wird schon nichts passieren.“ Keiji knurrte wütend. Warum verschwand diese aufdringliche Laus nicht endlich? Er störte die gemütliche Zweisamkeit zwischen Masamune und ihm! Aber wenn der glaubte, dass er damit durchkommen würde, dann irrte er sich. Zeit, den ungebetenen Gast hinaus zu werfen! Am Besten ohne, dass es Masamune mitbekam. Schnell beugte sich Keiji zu Masamune vor. „Hey, Drachenfürst! Wie wäre es, wenn du in die Küche schlenderst und schaust, welcher Tee als Nächstes zubereitet werden soll?“, schlug er fröhlich vor. „Warum machst du das nicht selbst? Du bist doch der Gastgeber!“, rief Yukimura sofort. Keiji hielt ihm die Hand vor das Gesicht, um ihn zurückzuhalten, und fuhr fort, als könne er ihn nicht hören: „Du bist heute der Ehrengast hier, daher sollst du wählen, welchen Tee wir als Nächstes trinken.“ Masamune zuckte desinteressiert mit den Schultern und erhob sich. Erbost von diesem Verhalten warf Yukimura Keiji giftige Blicke zu, ballte seine rechte Hand zur Faust und rammte diese in Keiji’s Fußballen. Dieser biss sich auf die Zunge, um nicht zu schreien und verschüttete dabei etwas Tee. Die beiden Männer warteten, bis Masamune den Raum verlassen hatte, dann brach der Streit los. „Was zum Teufel willst du eigentlich hier?!“, schnauzte Keiji. „Was geht dich das an?“, fauchte Yukimura zurück. „Das hier ist immer noch ein freies Land! Ich kann gehen, wohin ich will!“ „Gutes Stichwort! Wir wäre es denn, wenn du WEGGEHEN würdest?!“ „Ich habe aber keine Lust dazu. Der Tee schmeckt so lecker“, antwortete Yukimura und nahm zur Provokation einen geräuschvollen Schluck aus seinem Becher. „AAAHH~ Köstlich!! Außerdem hat Fürst Masamune mich eingeladen, zu bleiben.“ „Das hat er nicht! Er hatte bloß Mitleid mit dir, weil du wie ein Spacken den Boden geknutscht hast!“ „Wa- Ich bin kein… Was-auch-immer, klar?!“ „Ich wette, Masamune hat das auch gedacht, als er dich da wie eine Flunder liegen sah“, stichelte Keiji weiter und reckte überheblich die Nase gen Himmel. „Du solltest dir lieber Gedanken darüber machen, was passiert, wenn Fürst Masamune erfährt, was du für fiese Hintergedanken hast!“ „Das geht dich gar nichts an, Hohlbratze!“ „Wenn Fürst Masamune erfährt, dass du ihn hierher gelotst hast, um dich ihm in unangemessener Weise zu nähern, kannst du dich auf was gefasst machen!“ „Er wird es aber nicht erfahren. Ich werde ihn so geschickt verführen, dass er gar nicht merkt, was geschieht!“ „Ach? Ist das so?“, ertönte die kühle Stimme des einäugigen Drachen. Die zwei Streithähne zuckten zusammen und drehten sich langsam um. Masamune stand mit verschränkten Armen in der offenen Shoji und starrte finster auf sie hinunter. Keiji schluckte schwer. „Du bist ja schon wieder zurück…“ „Ich konnte die Küche nicht finden“, erwiderte Masamune trocken. Dann wandte er sich ab. „Ich werde meinen Aufenthalt hier jetzt beenden“, teilte er noch mit, dann ging er. Keiji sprang auf und folgte ihm nach draußen. „Warte doch! Ich kann dir das alles erklären!“, rief er und streckte die Hand aus, um den Fürsten an der Schulter zu berühren. Dieser zog jedoch blitzschnell sein Schwert und führte einen Hieb aus, der Keiji’s Gesicht nur knapp verfehlte und ein paar Haarsträhnen abschnitt. Keiji erstarrte vor Schreck. „Wag es ja nicht, mich anzufassen!“, drohte der Drache zornig. Dann steckte er das Schwert wieder in die Schwertscheide und marschierte weiter zu den Ställen. Dort holte ihn Yukimura ein. „Fürst Masamune, ich bedaure, dass Ihr diese Farce mitmachen musstet!“, sagte er ehrlich betroffen. Masamune wandte sich ihm zu, sagte jedoch nichts dazu. Yukimura sah in Richtung Keiji, der betreten in die Burg trottete. „Ich kann einfach nicht glauben, was sich dieser Mann herausgenommen hat! Eure wertvolle Zeit mit einem solch ungehörigem Vorhaben zu verschwenden!“ Kopfschüttelnd wandte sich Yukimura wieder dem Fürsten zu – und spürte plötzlich dessen warme Lippen auf seiner Wange. Mit hochrotem Kopf fasste sich der General an diese Wange und stammelte: „Wo-wo-wo-wofür war der denn?“ „Ein Dankeschön“, antwortete Masamune nur und stieg in den Sattel. Dann lächelte er Yukimura über die Schulter hinweg an. „Du bist doch nur hierher gekommen, um mich vor ihm zu beschützen, habe ich recht?“ Dann ritt er davon. Yukimura sah ihm noch lange nach, ehe er sich selbst auf dem Heimweg machte. Dabei schmückte ein glückliches Lächeln sein Gesicht. Wie gesagt… ein absolut herrlicher Tag heute.   ~ Owari ~ Kapitel 12: Die Wintersonne von Sendai -------------------------------------- Es war die Mitte des Monats Kisaragi. Draußen war es zwar immer noch kalt, aber es lag kein Schnee mehr. Nur ein kalter Meereswind fegte über die gefrorenen Felder. An der Küste wollte jetzt kaum jemand sein. Doch genau das war der Grund, weshalb Kojuro und Fürst Date sich einig waren, dass an der Küste patrouilliert werden musste. Die Küste war in dieser Zeit ein guter Ort um unbemerkt an Land gehen zu können, sollten Piraten oder dreiste Nachbarfürsten dies wagen. Also ritt Kojuro auch heute wieder durch den Strandsand. Diesmal war Bunshiro bei ihm. Dessen Zopf flog ihm ständig ins Gesicht. „Warum steckst du ihn nicht in den Kragen, wenn dich das stört?“, fragte Kojuro. „Hätte ich machen können...“, bibberte Bunshiro. „Du bist mir ein toller Soldat... Reite nach Hause wenn du frierst.“ Bunshiro beäugte ihn misstrauisch. „Los mach schon.“, forderte Kojuro und warf einen Blick auf den Horizont. Die Sonnen würde bald untergehen und da der Himmel klar war, würde sie das Meer gold färben. Er wandte sich wieder Bunshiro zu. „Ab nach Hause mit dir! Aber vorher schick mir den Fürsten her.“ „Wie bitte? Was soll ich dem Boss den sagen?“, fragte Bunshiro verwirrt. „Lass dir was einfallen, Hauptsache, er kommt her.“ „Aber ich kann ihm doch nicht sagen, dass Meister Katakura einfach nur so um seine Anwesenheit bittet. Ihr wisst doch, dass er im Moment ständig beschäftigt ist.“ „Bunshiro... Ich weiß. Dann sag ihm halt, ich bin hier am Strand und habe mich verletzt. Dann kommt er auf jeden Fall.“ „Aber das stimmt doch nicht!“, ereiferte sich Bunshiro. Kojuros Blick verdüsterte sich. „Sag es ihm einfach. Das es eine Lüge ist, wird er dir schon verzeihen und er weiß es ja auch nicht, wenn du es ihm sagst. Also los.“ Bunshiro nickte und ritt dann eilig zur Burg zurück. Kojuro hingegen sah erneut auf das Meer. Gut, es ist gelogen. Ich bin nicht verletzt, aber momentan ist es die einzige Möglichkeit einmal allein mit ihm zu sein... Ständig ist er hier und dort. Irgendwann muss doch auch mal Pause sein. Und wer er keine Zeit findet, dann muss ich eben dafür sorgen, dass er wenigstens einen Augenblick innehält. Er ritt ein paar Meter weiter, bis er an einigen Felsbrocken anhielt. Weder das Dorf noch die Burg waren von hier aus schon sehen. Ein paar Bäume versperrten zum einen die Sicht und ein paar große Felsen zum anderen. Der Wind beruhigte sich hier auch etwas. Und Masamune müsste auch hier entlang kommen, selbst wenn Bunshiro ihm sagte, dass Kojuro hinter den Reisfeldern von Ichiro war. Er stieg ab und ließ die Zügel seines Pferdes auf dessen Rist hängen. Er wusste, es würde nicht davonlaufen. Dann sah noch einmal auf das Meer hinaus. Ein paar hart gesottene Möwen kreisten darüber und stießen mal hier mal da auf die Wasseroberfläche hinab um einen kleinen Fisch zu fangen. Bunshiro müsste schon angekommen sein. Und wie ich Masamune kenne, schnappt er sich das erstbeste Pferd und hetzt es hier herunter... Jedenfalls hoffe ich das. Und er sollte Recht behalten. Kurze Zeit später hörte Kojuro donnernde Hufe herannahen. „Kojuro!“, rief Masamune. Doch Kojuro antwortete nicht. Der Fürst sollte ihn schon alleine finden. Wie er da auf einem der Felsen saß und sich zu ihm umdrehte. Kurz darauf sah er ihn hinter den Bäumen auf den Strand jagen und auf ihn zu reiten. „Kojuro!“, rief er noch einmal und sprang vom Pferd, dessen Zügel er einfach losließ und das Pferd auslaufen ließ. „Was ist passiert?“ Kojuro lächelte. „Ich wusste, Ihr würdet kommen.“ Masamune runzelte die Stirn. „Wie meinst du das? Willst du mir damit sagen, dass dir gar nichts passiert ist? Das alles in Ordnung ist?“, fragte er. „Genau das heißt es.“ „Warum machst du das? Du weißt, was alles zu tun ist!“ Kojuro sah auf das Meer hinaus. „Ich weiß, dass Ihr ständig von einem Ort zum anderen rennt. Das Verhandlungen geführt werden müssen. Aber ich weiß auch, dass Ihr eine Pause braucht.“ „Ich brauche keine Pause! Ich ruhe mich aus, wenn alles erledigt ist!“, fauchte Masamune. „Ich sehe doch, wie Ihr abends völlig erschöpft sofort einschlaft. Das könnt Ihr nicht ewig aushalten.“ „Ich habe schon andere Dinge überstanden, da werde ich das auch schaffen!“ Kojuro wandte sich dem Fürsten zu und sah ihn einfach nur an, wie er stur und stolz auf die Wellen blickte. Sein dunkles Haar fiel sanft bis auf seine Schultern und wurde vom Meereswind durcheinander gebracht. Die schwarze Augenklappe stand im Kontrast zu seiner hellen fürstlichen Haut. Und die Rüstung glänzte im Licht der untergehenden Sonne rotgolden, im Gegensatz zu dem blauen Stoff, der jetzt fast violett wirkte. Er wäre am liebsten aufgestanden, hätte sein Haar gebändigt und ihn in den Arm genommen – alles in der Hoffnung, der Fürst würde endlich einmal von seinen Pflichten loslassen können. Würde endlich sehen, was Kojuro so lange schon verborgen hielt. Aber wie sollte das geschehen, wenn er – Kojuro – nicht den Anfang machte? Masamune hingegen starrte auf das Wasser und bemerkte dabei nicht, wie Kojuro ihn musterte. Verärgert über diese Lüge, mit der dieser ihn hierher gelotst hatte, stand er nun da und wusste nicht, was das alles sollte. Kojuro war doch sonst nicht so, dass er eine Lüge vorschob, damit Masamune reagierte. Seufzend wollte er sich ihm nun doch wieder zuwenden und bemerkte überrascht, dass Kojuro bereits neben ihm stand. „Warum?“, fragte er nur. „Warum was?“, gab Kojuro die Frage zurück. „Was soll ich hier wirklich?“ „Loslassen... Nur einmal zwischen all den Verhandlungen.“ Masamune sah ihn an. Wie konnte er nur vergessen, dass sein rechtes Auge doch oft genug Recht hatte. „Wie stellst du dir das vor, Katako?“, fragte er und plötzlich war die Erschöpfung hörbar. „Für heute ist Schluss mit Planungen, Verhandlungen oder was auch immer. Ihr seid jetzt hier und wir sehen uns zusammen den Sonnenuntergang an. Ihr werdet keinen Gedanken an die Arbeit verschwenden!“, sagte Kojuro. Masamune ließ eine Mischung aus Lachen und Seufzen hören. „Wenn das so ist...“, sagte er und sah Kojuro in die Augen. „Und warum bin ich noch hier?“ Kojuro sah ihn fragend an. „Wie... meint Ihr das?“ „Tu nicht so, als wüsstest du nicht, was ich meine. Ich sehe dir an, dass das noch nicht alles war.“ „Ist das so?“, entgegnete Kojuro ausweichend und warf einen Blick auf das Meer. „Kojuro... Auch wenn ich nur ein Auge habe, ganz blind bin ich nicht. Also, warum?“ Während der Sonnenball gerade die Wasseroberfläche zu berühren schien, wagte es Kojuro wieder den Fürsten anzusehen. „Würdet Ihr mir glauben, wenn ich Euch sage, dass ich mehr als Ehrerbietung für Euch empfinde?“ „Wie meinst du das? Was ist mehr?“, fragte Masamune. Kojuro hob die Hand und tat endlich, woran er vorhin schon gedacht hatte. Er strich dem Fürsten das vom Wind zerzauste Haar wieder glatt. Seine Hand blieb dabei an dessen Wange liegen und er sah ihn an. „Was könnte Ergebenheit und Ehrerbietung noch übertreffen?“ Der Fürst sah ihn mit großen Augen an. Kojuros Blick und die Entschlossenheit darin, ihm hier und jetzt – im goldroten Sonnenuntergang am windgepeitschten Meer – zu sagen, was er empfand, erstaunten ihn. Damit hatte er jetzt nicht gerechnet. Aber er hatte gehofft, dass es eines Tages geschehen könnte. Sie hatten immerhin seit seiner Kindheit mehrere Jahre Seite an Seite verbracht. Und es wäre wohl mehr als gelogen, wenn Masamune behaupten würde, dass diese Jahre mit Kojuro als seinem rechten Auge nicht auch bei ihm etwas ausgelöst hätten. Also ließ er Kojuro gewähren, als sein Gesicht, sich dem seinen näherte. Kojuros Stirn berührte die des Fürsten und er schloss die Augen. „Wie könnten so viele Jahre an Eurer Seite spurlos an mir vorübergehen? Ihr habt meine Nerven aufs Äußerste gespannt, aber nie konnte ich Euch böse sein. Ihr habt mir oft genug die Meinung gesagt, mit Recht. So oft habt Ihr Euren Dickschädel durchsetzen müssen und ich habe Euch gewähren lassen. Warum wohl...“ Masamune antwortete nicht. Er wusste schon, was Kojuro sagen wollte, doch er wollte es selbst hören. „Wenn ich könnte, wie ich wollte, dann würde ich Euch hier und jetzt küssen...“, flüsterte Kojuro. „Du bist ein Dummkopf... Warum machst du das nicht einfach...“ Kojuro öffnete die Augen wieder und sah eine Träne im Auge des Fürsten. „Küss mich doch einfach...“ Das ließ sich Kojuro nicht zweimal sagen und dass die Sonne gerade unterging war auf einmal nebensächlich... ~ Owari ~ Kapitel 13: Herzkönig --------------------- Mein Name ist Ja’far. Seit der Gründung des Königreichs Sindria habe ich die Position des Beraters des Königs inne und bin ein Mitglied der acht Generäle. Diese haben seit jeher die Aufgabe, den König Sindrias zu beschützen. Doch heute ist etwas Schreckliches geschehen: die acht Generäle haben auf ganzer Linie versagt. Was geschehen war? Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich selbst nicht genau weiß, was vorgefallen war. Es war eine Nacht, wie sie so oft in Sindria vorkommt: ein rauschendes Fest wurde gefeiert. Anlass hierfür war der Hochzeitstag von Drakon und seiner Gattin. Doch das Fest endete mit einem Schock: Sinbad wurde mit aufgeschnittener Kehle aufgefunden. Die Ärzte tun alles, um sein Leben zu retten. Und ich werde alles tun, um den Täter zu entlarven.   „Ob es wohl eine Frau war?“, warf Pisti ein. Sie und die anderen sechs Generäle Sindrias hatten sich versammelt und hielten Kriegsrat. Einzig Masrur war nicht anwesend. Er hielt sich nahe dem Krankenzimmer auf, um das Ergebnis der Operation zu erfahren. „Ich meine, es gäbe mehr als genug Frauen, die sauer auf ihn wären.“ „Pisti, das hier ist eine ernste Angelegenheit“, ermahnte sie Yamraiha. „Sin kämpft gerade um sein Leben!“ „So abwegig finde ich das gar nicht“, schaltete sich Hinahoho ein. „Es gäbe genug Frauen, die sauer auf ihn sind, weil er versucht hatte, sich an sie heranzumachen oder die ihm ihre Liebe gestanden und er sie zurückwies. Erinnert ihr euch noch an die eine, die ihm eine brennende Fackel ins Zimmer warf?“ Pisti lachte laut auf. „Ja! Sie hat die Fackel mit einem Bogen in sein Zimmer geschossen und seine Vorhänge in Brand gesteckt! Das war echt lustig!“ Wütend schlug Yamraiha die Hände flach auf den Tisch. „Das reicht jetzt! Das ist eine ernste Angelegenheit!“ Hinahoho hob abwehrend die Hände. „Wir wollen uns doch nicht über ihn lustig machen! Ich wollte damit sagen, dass er es irgendwie immer schafft, dass die Frauen sauer auf ihn sind. Vielleicht wollte sich dieses Mal eine von ihnen ernsthaft an ihm rächen?“ „Das wäre durchaus denkbar“, überlegte Spartos laut. Drakon schüttelte jedoch den Kopf. „Nein. Er mag viele Frauen verärgert haben, doch so wütend war bisher keine. Sinbad ist trotz allem ein sehr guter König und wird von allen Bewohnern Sindrias geliebt und verehrt. Hier hatte er keinen einzigen Feind. Offen gesagt, bin ich ziemlich ratlos.“ „Tja, offenbar war er wohl doch kein so beliebter König“, murrte Sharrkan und erhob sich. „Schließlich hat ihn jemand angegriffen.“ Sharrkan trennte sich von den anderen. Spartos sah ihm nachdenklich hinterher. „Er benimmt sich merkwürdig, findet ihr nicht?“ Pisti nickte. „Ja, schon seit ein paar Tagen. Aber wenn ich ihn darauf anspreche, faucht er mich nur wütend an und lässt mich einfach stehen.“ „Also ich mache mir im Moment mehr Sorgen um Sin“, seufzte Yamraiha. „Ich hoffe, er kommt durch.“ Nun erhob sich auch Ja’far. Die Hände wie üblich in den Ärmeln seines Gewandes gesteckt, lächelte er die anderen aufmunternd an. „Wir machen uns alle Sorgen. Und solange wir nicht wissen, wie es Sin geht, kann sich wohl keiner von uns auf den Täter konzentrieren. Ich werde mich mal bei Masrur erkundigen.“ Kaum war er allein, erlosch das Lächeln in Ja’far’s Gesicht. Er sorgte sich zwar ebenfalls um Sinbad, doch er wollte auch den Täter schnappen. Er fürchtete, dass dieser die allgemeine Sorge um den König ausnutzen und flüchten würde. Doch wie ihn finden? Drakon hatte schon recht gehabt. Sinbad hatte in Sindria keine Feinde. Und dass eine wütende Frau ihn attackiert hatte, konnte er sich auch nicht wirklich vorstellen. Die Wunde war zwar nicht tief genug gewesen, um ihn zu töten. Dennoch steckte enorme Wut dahinter. Zudem fand auch Ja’far, dass sich Sharrkan merkwürdig benahm. Vielleicht sollte er bei ihm mit der Befragung anfangen.   Vor dem Krankenzimmerflügel angekommen, beobachtete Ja’far, wie sich Sharrkan mit Masrur stritt. Er konnte nicht hören, worüber sie sprachen, doch Sharrkan wirkte sehr aufgebracht. Eigentlich war es nichts Neues, das der zweite Prinz aus Heliohapt den Fanalis anschrie, doch irgendetwas war seltsam an dieser Szene. Befremdlich. Sharrkan wirkte fast schon… verzweifelt. Plötzlich bemerkte Sharrkan seinen Kollegen. Sofort machte er auf den Absatz kehrt. Nun fiel auch Masrur’s Augenmerk auf den Älteren. Ja’far näherte sich ihm. Er konnte genauso gut bei Masrur mit der Befragung beginnen. Immerhin war er es, der Sinbad gefunden hatte. „Was war denn los?“ Masrur zuckte nur mit den Schultern. „Wer weiß. Was tust du hier?“ „Ich wollte mich nur mal erkundigen, ob sich schon etwas ergeben hat. Wie geht es ihm denn?“ Masrur wandte den Kopf Richtung Krankenzimmer. „Bisher hat sich nichts getan.“ Ja’far nickte verstehend. „Du hast nicht zufällig etwas gehört oder gesehen? Ich meine, als du Sin gefunden hast?“ „Nein, tut mir leid.“ Ja’far schmunzelte über diese typisch einsilbigen Antworten. Von einer Befragung konnte man da wirklich nicht sprechen. „Gut, ich zieh dann mal weiter. Sag Bescheid, falls sich etwas ergibt.“ „Verstanden.“   Ja’far trat nachdenklich hinaus in den Innenhof. Dort stieß er mit Pisti zusammen. „Und? Weißt du schon was?“, fragte sie besorgt. „Leider nichts Neues. Masrur steht immer noch Wache und gibt uns Bescheid, wenn sie die Operation beendet haben.“ „Für Masrur muss das alles besonders schrecklich gewesen sein“, warf Pisti plötzlich ein. „Sin so schwer verletzt zu finden…“ Ja’far hob eine Augenbraue. Was meinte sie denn damit? „Das war für uns alle nicht leicht.“ „Aber für Masrur war es sicher extrem schwer. Wenn man bedenkt, was zwischen ihnen ist.“ „Was zwischen ihnen ist?“, wiederholte Ja’far ungläubig. „Ah ja, du weißt es nicht. Sollte ja auch geheim sein. Sin und Masrur sind ein Liebespaar.“ „Wie bitte?!!“ Ja’far fiel aus allen Wolken. Sin hatte etwas mit einem Mann? Und dann auch noch mit einem seiner Getreuen? War ihm denn gar nichts heilig? „Das geht schon seit einiger Zeit so“, fuhr Pisti fort. „Aber ich glaube, dass es außer mir sonst keiner weiß. Ich hab es auch nur durch Zufall herausgefunden, weil ich gesehen hab, wie Masrur mitten in der Nacht aus Sin’s Zimmer schlich.“ Ja’far fasste sich nachdenklich ans Kinn. „Was hast du?“ „Ich weiß noch nicht. Es könnte sein, dass das ein wichtiger Hinweis ist. Hast du zufällig noch etwas beobachtet?“ Pisti dachte lange nach, dann fiel ihr etwas ein. „Ich nicht, aber Sahel hat etwas gesehen. Sie hat mir aber nicht erzählt, was. Vielleicht fragst du sie mal.“ „Das werde ich. Danke, Pisti.“   Ja’far fand Sahel auf dem Festplatz. Sie unterhielt sich mit Yamraiha. Er bat sie, sich allein mit ihr unterhalten zu dürfen und sprach sie dann auf Pisti’s Bemerkung an. Glücklicherweise wusste sie sofort, wovon er sprach. „Ja, ich habe etwas gesehen. Aber ich wüsste nicht, inwiefern Euch das helfen könnte.“ „Das werden wir ja dann sehen. Also?“ „Ich habe nur beobachtet, wie sich seine Hoheit mit meinem Mann unterhalten hatte. Ich konnte nicht hören, worüber. Ich habe nur gehört, wie mein Mann sagte: Tut mir leid, dass es nicht funktioniert hat. Ich weiß allerdings nicht, was er damit meinte. Am Besten, fragt Ihr ihn das selbst. Ich glaube, er ist in der Bibliothek.“ Ja’far bedankte sich und suchte Drakon in der Bibliothek auf. Unvermittelt sprach er ihn auch gleich auf diese Aussage an. Drakon rollte die Schriftrolle, in der er gelesen hatte, zusammen, erhob sich und legte sie weg. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“ Ja’far seufzte. „Dann hat sich deine Frau das nur eingebildet?“ „Meine Frau lügt nicht“, knurrte Drakon verärgert zurück. Ja’far hob beschwichtigend die Hände. „Schon gut, das sagte ich auch nicht. Ich versuche nur herauszufinden, was vor dem Angriff passiert ist. Also, was hat nicht funktioniert?“ „Ich kann es dir wirklich nicht sagen.“ Ja’far kratzte sich an der Schläfe. So würde das hier nicht klappen. Vielleicht sollte er etwas anderes versuchen. „Wusstest du, dass Sin und Masrur eine heimliche Liebschaft hatten?“ Drakon wirkte überrascht. „Ja. Aber woher weißt du es?“ „Pisti hat es mir erzählt. Ich kann einfach nicht glauben, dass Sin nicht einmal davor zurückschreckt!“ Der Drachenmensch räusperte sich. „Nun… das ist nicht so ganz korrekt… Sin hat nichts mit Masrur. Er wollte nur, dass es danach aussieht. Das gehörte zu seinem Plan.“ Ja’far fasste sich an den Kopf. Was sollte das denn schon wieder? „Und dieser Plan hat nicht funktioniert? Meintest du das?“ Drakon nickte. Plötzlich kam Ja’far eine Idee. Könnte es sein, dass…? „Drakon, worum ging es genau bei diesem Plan?“, fragte er aufgeregt. „Das war im Grunde ein völlig schwachsinniger Plan, wenn du mich fragst. Aber warum ist das so wichtig?“ „Bitte, es ist wichtig! Ich vermute, dass dieser Plan der Grund für den Angriff auf Sin ist!“ Drakon musterte Ja’far verständnislos, dann riss er die Augen auf, als würde ihm gerade etwas klar werden, was er zuvor gar nicht in Betracht gezogen hatte. „Ich verstehe. Gut, bei dem Plan ging es darum…“   Ja’far machte sich sofort auf den Weg, um den Täter zu stellen. Er fand schnell heraus, dass sich dieser in sein Zimmer zurückgezogen hatte. Auf dem Weg dorthin traf er Masrur, der ihm berichtete, dass Sin die Operation überstanden hatte und bald aufwachen würde. Nun hieß es, schnell zu handeln! Masrur hatte es bereits den anderen erzählt. Und wenn er nichts unternahm, würde es womöglich noch eine Katastrophe geben! Vor der Zimmertür holte Ja’far tief Luft, dann trat er ein, ohne anzuklopfen. Sharrkan erschrak und versteckte schnell etwas unter seinem Kopfkissen. „Wieso platzt du denn einfach so hier rein?“, maulte er. Ja’far schloss die Tür hinter sich und trat vor das Bett, auf dem sein Kollege saß. „Ich bin hier, um dich zu bitten, dich freiwillig zu stellen, Sharrkan“, sagte er ruhig. Dieser riss die Augen auf. „Was?“ „Bitte lass das. Ich weiß, dass du es warst.“ Das war eine glatte Lüge. Er wusste es im Grunde nicht, sondern vermutete es nur. Doch wenn er es richtig anstellte, konnte er ihm vielleicht ein Geständnis entlocken. Sharrkan erhob sich langsam von seinem Bett und ging gemächlich zum Fenster. „Wie kommst du darauf, dass ich das war? Hast du einen Beweis dafür?“ Ja’far schüttelte den Kopf. „Nein, habe ich nicht. Es sei denn, du zeigst mir freiwillig dein Schwert?“, fügte er freundlich lächelnd hinzu. Sharrkan lachte trocken. „Soll das ein Witz sein, oder so?“ „Bedauerlicherweise kann ich nicht darüber lachen, wenn jemand versucht, unseren König zu ermorden!“ „So? Dann kannst du mir doch sicher erklären, welchen Grund ich gehabt haben soll, Sinbad zu töten? Immerhin hat er mich bei sich aufgenommen, als ich von daheim fortlief. Er ist mein König, mein großes Vorbild!“ „Umso schrecklicher muss es für dich gewesen sein, was er getan hatte.“ „Was meinst du denn damit schon wieder?“ „Masrur. Er hat sich an Masrur herangemacht.“ „Echt? Die beiden hatten was miteinander?“, tat Sharrkan überrascht, doch man konnte sofort heraushören, dass er nur so tat, als wäre das neu für ihn. „Du wusstest davon“, stellte Ja’far nüchtern fest. Sharrkan biss sich auf die Unterlippe. „Ja, ich wusste es! Na und? Wie denn auch nicht? Er hat sich ja nicht einmal bemüht, es vor mir zu verheimlichen. Und als ich ihn dann darauf ansprach, weißt du, was er da gesagt hat? Er hat nur gelächelt und gemeint: Ist doch bloß nur ein kleiner Spaß! Allerdings scheint Masrur das ziemlich ernst zu nehmen. Ich glaube, er empfindet wirklich etwas für mich! Es ist echt süß, wie hoffnungslos naiv er ist!“ „Und das hat dich verletzt, nicht wahr?“, stellte Ja’far fest. „Weil du selbst etwas für Masrur empfindest, ist es nicht so?“ Sharrkan löste sich vom Fenster und marschierte wütend auf und ab. Ja’far rechnete fest damit, dass der Jüngere diese Tatsache leugnen würde, jedoch… „Ja, verdammt!! Ich bin absolut hoffnungslos verliebt in diesen Blödmann! Aber er, er… Er nimmt mich nicht einmal richtig wahr! Weißt du, warum unerwiderte Liebe so schmerzt? Weil es bedeutet, dass die Person, von der du dir am meisten wünschst, dass sie dich bemerkt, dir sagt »du bist es nicht« und dich damit negiert.“ Sharrkan stoppte vor seinem Tisch und stützte sich auf die Platte. Langsam beruhigte er sich wieder und fuhr leise fort: „An sich hätte ich damit leben können. Doch als ich dann erfuhr, dass Sinbad nur mit ihm spielte, da… da wollte ich Masrur davon überzeugen, ihn zu verlassen, doch der tat nur so, als wüsste er nicht, wovon ich rede! Dieser elende Sturkopf!“ „Und was ist heute passiert?“ Sharrkan schloss gequält die Augen. „Ich wollte Sinbad darum bitten, Masrur in Ruhe zu lassen. Ich hab gehofft, ich könnte ihn zur Vernunft bringen. Also bin ich ihm in sein Zimmer gefolgt. Doch Sinbad hat nur gelacht und gemeint, dass es ihm viel zu viel Spaß machen würde, sich mit Masrur zu amüsieren. Da hab ich rot gesehen. Wir haben uns gestritten. Und miteinander gerangelt. Dann wollte ich gehen, doch er hielt mich zurück und meinte, ich solle mich doch nicht so anstellen. Es hat einfach so weh getan… Ich weiß nur noch, dass ich herumgewirbelt bin und mein Schwert plötzlich in der Hand hielt. Als Nächstes sah ich dann Sinbad’s geschocktes Gesicht… und Blut lief seinen Hals herunter. Dann fiel er um… und ich bin einfach weggerannt.“ Sharrkan begann zu schluchzen. Seine Stimme wurde immer leiser: „Ausgerechnet er stiehlt mir den Mann, den ich so sehr liebe. Dabei könnte er doch jeden anderen haben! Warum muss er sich gerade ihn nehmen? Aber jetzt ist das sowieso alles egal… Sin wird bald aufwachen… und allen erzählen, was ich getan habe.“ „Das denke ich nicht“, seufzte Ja’far. „Es gibt etwas, dass du noch wissen solltest.“ Wütend schlug Sharrkan mit der Hand auf den Tisch. „Was soll das noch bringen?!“, stieß er angestrengt hervor. Ja’far bemerkte, dass der Jüngere stark zu schwitzen begonnen hatte. Außerdem zitterte er immer stärker und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Unwillkürlich musste der Berater daran denken, wie der Jüngere etwas vor ihm versteckt hatte und ihm kam ein schrecklicher Verdacht. „Sharrkan, hast du etwas genommen, bevor ich reinkam?!“, rief er entsetzt. „Und wenn schon…“, murmelte Sharrkan benommen, dann fiel er auf die Knie. Ja’far stürzte sofort zu ihm. „Was hast du getan?! Das war doch völlig unnötig!“ Sharrkan schüttelte den Kopf, sein Atem ging sehr schwer. „Nein… Ich muss bestraft werden. Ich hätte das nicht tun dürfen… Sinbad ist doch mein… großes Vorbild… mein Freund… und eigentlich… kann er doch nichts dafür… dass Masrur mich… nicht… liebt…“ Sharrkan’s Stimme wurde immer leiser, dann fiel er zur Seite. „…bin so froh… dass er noch am Leben ist…“, murmelte er, dann schloss er die Augen. Ja’far schlug ihm verzweifelt gegen die Wange, doch Sharrkan rührte sich nicht. Sofort sprang der Ältere auf und eilte ins Krankenzimmer, um Hilfe zu holen. Ich lasse dich nicht gehen, keine Angst! Wegen so einem dummen Missverständnis wirst du mir garantiert nicht sterben!   „Sharrkan…“ Der Schwertkämpfer öffnete langsam seine leuchtend grünen Augen. Es dauerte eine Weile, bis er sich orientieren konnte. Doch dann erkannte er das Gesicht seines Königs. Er trug einen Verband um seinen Hals und schaute besorgt zu ihm hinunter. „Gott sei Dank, du bist wieder zu dir gekommen!“, rief Sinbad erleichtert aus. „Du bist es unmöglich! Verwechselst du so ein gefährliches Medikament mit Vitamintabletten! Wie kann man nur so unvorsichtig sein“, meckerte Yamraiha los, dennoch konnte man die Erleichterung in ihrer Stimme hören. Sinbad lächelte ihr zu. „Es ist ja noch mal gut gegangen. Du solltest lieber den anderen dabei helfen, den Täter zu finden.“ Yamraiha verbeugte sich und ging hinaus. Sharrkan sah verunsichert zu seinem König hoch. Der lächelte und antwortete auf die unausgesprochene Frage: „Ich habe den anderen erzählt, dass ein Attentäter in mein Zimmer eindrang, mich im Schlaf überraschte und verletzt hatte.“ „Ich verstehe nicht… Das war doch ich! Ich habe dir die Kehle durchgeschnitten!“ Sinbad legte ihm zur Beruhigung eine Hand auf die seine. Mit der anderen deutete er auf den Verband an seinem Hals. „Schon gut. Ich betrachte das hier als Strafe, weil ich mit deinen Gefühlen gespielt habe.“ „Du musst da noch das Missverständnis aufklären, nicht wahr, Sin?“, drohte Ja’far, der hinter seinem König stand. „Was meinst du? Welches Missverständnis denn?“, wunderte sich Sharrkan. Sinbad seufzte und rutschte auf seinem Stuhl herum. „Du erinnerst dich vielleicht nicht mehr daran, aber als wir das letzte Mal zusammen einen trinken waren, da hast du mir, betrunken wie du warst, erzählt, dass du in Masrur verliebt bist.“ Sharrkan errötete und richtete sich geschockt auf. „Was?! Hab ich das?!“ „Allerdings. Ich wusste aber auch, dass du viel zu stur bist, um das nüchtern zuzugeben. Und da dachte ich mir, ich könnte doch vielleicht mal ein wenig nachhelfen und habe mir etwas überlegt. Ich dachte, wenn ich so tue, als hätten Masrur und ich ein Verhältnis, wärest du so eifersüchtig, dass du um ihn kämpfen würdest. Aber du hast dich als sehr viel sturer herausgestellt, als ich erwartet hatte.“ Sharrkan konnte es nicht fassen. „WAAAASS?!! Das ganze war nur Theater?! Das glaube ich einfach nicht!“ „Ja, wirklich unfassbar“, stimmte Ja’far zu, fassungslos über soviel Dummheit. „Ich dachte, mein Plan würde funktionieren!“, verteidigte sich der König. „Ich konnte doch nicht ahnen, dass Sharrkan so stur sein würde, dass er lieber leidet, als seine Gefühle offen zuzugeben!“ „Du kennst ihn doch nicht erst seit gestern!“, schimpfte Ja’far zurück. „Ja, jetzt weiß ich doch auch, dass das eine dumme Idee war“, gab Sinbad kleinlaut zu. „Aber ich musste einfach etwas unternehmen. Sonst wäre doch nie etwas aus ihnen geworden! Das wäre sehr schade, angesichts der Tatsache, dass sie beide etwas füreinander empfinden.“ Sharrkan horchte auf. „Wir beide?“ Sinbad deutete auf die andere Seite und Sharrkan folgte mit seinem Blick. Auf der anderen Seite des Bettes saß Masrur auf einem Stuhl und schlief tief und fest. Überrascht sah Sharrkan wieder zu Sinbad. „Ich bin auf ihn gestoßen, als ich Hilfe holen wollte“, erklärte Ja’far sanft. „Er war völlig geschockt, als ich ihm erzählte, dass du zusammengebrochen bist. Er rannte sofort in dein Zimmer und trug dich in den Krankenflügel. Dort saß er dann die ganze Zeit an deinem Bett und ist nicht mehr von deiner Seite gewichen. Er ließ sich nicht einmal von den Ärzten hinaus befördern.“ Sharrkan errötete stark und sah wieder zu Masrur hinüber, der friedlich vor sich hin schlief. „Tja, da hat mein Plan letztendlich doch noch funktioniert!“, lobte sich Sinbad fröhlich. „Das ist kein Grund zur Freude!“, schnauzte ihn Ja’far an. Sinbad schrumpfte betreten auf seinem Stuhl zusammen. Dann fiel sein Blick auf Sharrkan. Der hatte sich wieder hingelegt und sah unentwegt Masrur an, sein Gesicht zierte immer noch die verliebte Röte. Ein Schmunzeln huschte über das Gesicht des Königs und er gab seinem Berater stumm zu verstehen, dass sie die beiden allein lassen sollten. Ja’far folgte ihm ebenfalls lächelnd, froh darüber, dass alles doch noch ein gutes Ende fand.   ~ Owari ~ Kapitel 14: Loveletter ---------------------- Sinbad. Bitte, lass mich dir eines sagen. Weil es dich gibt, ist es mir möglich, wie ein richtiger Mensch zu leben. Dafür, dass du mir dies ermöglicht hast... …Vielen Dank. Sinbad, du bist so wunderbar. Du hast so ein gutes Herz. Dessen du dir selbst gar nicht so bewusst bist, glaube ich. Und dennoch geht von dir eine solch angenehme Wärme aus, der sich keiner entziehen kann. Ich ebenso nicht. Immer, wenn es mir schlecht ging, warst du für mich da. Du warst immer gut zu mir und daher habe ich mir immer nur gewünscht… dass du glücklich wirst. Sinbad, ich liebe dich. Ich erwarte nichts von dir. Ich wünsche mir nur, dass du mich ansiehst. Und mich anlächelst. Dieses wunderbare Lächeln, das mein Herz erwärmt und mich so glücklich macht. Auch, wenn du mich nicht lieben solltest, macht das gar nichts. Ich werde dich immer lieben. Und ich weiß genau, dass meine Liebe noch weiter wachsen wird. Dass Sinbad das Licht der Welt erblickt hat… dafür ist niemand den Göttern dankbarer als ich.   Bereits zum zehnten Mal an diesem Morgen hatte Sinbad sich diesen Brief durchgelesen. Und jedes Mal bekam er dieses starke Herzklopfen… dieses Kribbeln im Bauch… und er sehnte sich unwillkürlich nach dieser Person. Sie zu umarmen, dessen Nähe zu verspüren. Was verrückt war, denn er kannte den Absender gar nicht. Für ihn stand zweifelsfrei fest: er musste erfahren, wer ihm diesen Brief geschrieben hatte! Zu diesem Zweck ließ er bereits in den frühen Morgenstunden seine acht Generäle herbeirufen. Nicht ahnend, worum es ging, eilten diese sofort in den Konferenzraum, wo Sinbad bereits voller Ungeduld auf und ab tigerte. „Sin, was ist denn passiert? Was gibt es denn so Dringendes?“, erkundigte sich Ja’far besorgt. Sin deutete mit einem Finger auf den Tisch. „Es geht um den Brief dort. Ich fand ihn heute Morgen auf meinem Nachttisch liegen. Ihr müsst herausfinden, wer ihn geschrieben hat!“ Yamraiha schnappte ihn sich sofort. „Ist das etwa ein Drohbrief?“, fragte sie geschockt. Sinbad schüttelte heftig den Kopf. „Nein… nein… Am Besten lest ihr ihn mal.“ Verwirrt sahen sich die Generäle an, dann beugten sie sich über den Brief und lasen ihn. Yamraiha legte sich gerührt eine Hand auf die Brust. „Wie schön…“, seufzte sie. „Etwas sehr kitschig“, murmelte Sharrkan mit hochgezogener Augenbraue. „Du hast ja keine Ahnung!“ „Jetzt streitet doch nicht wieder!“, fuhr Hinahoho dazwischen. Ja’far schüttelte nur den Kopf. „Ähm… und was genau erwartest du jetzt von uns, Sin?“ „Ihr müsst herausfinden, von wem der Brief ist!“, sagte Sinbad, immer noch hypernervös. „Wie sollen wir das denn anstellen?“, fragte Spartos fassungslos. „Was weiß ich?! Fragt die Diener, die Wachen! Irgendjemand muss doch etwas beobachtet haben! Schließlich kann man nicht einfach in den Palast eindringen und einen Brief in mein Zimmer legen!“, rief Sinbad leicht hysterisch und fuchtelte mit den Händen herum. Die Generäle tauschten resignierte Blicke untereinander aus, dann machten sie sich an die Arbeit. Um schneller Ergebnisse liefern zu können, beschlossen sie, sich aufzuteilen. Nachdem er sicher war, dass die anderen außer Sichtweite waren, eilte Ja’far Masrur hinterher. Im Innenhof holte er ihn ein. „Das war ein schöner Brief“, begann Ja’far vorsichtig. Masrur nickte. „Stimmt.“ „Ich hatte keine Ahnung, dass du so gut schreiben kannst“, fuhr Ja’far fort. „Wovon sprichst du?“ Der Berater des Königs seufzte erschöpft. „Versuch bitte nicht, mich für dumm zu verkaufen, Masrur. Ich war Derjenige, der dir Lesen und Schreiben beigebracht hat. Du magst dir zwar sehr viel Mühe gegeben haben, deine Schrift zu verbergen – was dir auch gelungen ist – aber ich erkenne sie trotzdem. Du hast das geschrieben, nicht wahr?“ Masrur wandte den Blick gen Boden. „Und wenn es so wäre?“, fragte er nach einer Weile. „Du solltest es ihm sagen“, riet Ja’far eindringlich. „Du machst wohl Witze.“ „Ich mag eigentlich keine Witze.“ „Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, es ihm zu sagen.“ „Und wieso nicht? Ich hätte nicht erwartet, dass du so feige bist.“ „Warum sagst du das? Du müsstest doch verstehen, warum ich schweige. Manchmal… da kann man einfach nicht frei sprechen. Weil das völlig unangemessen wäre.“ Ja’far verschränkte die Arme. „Natürlich weiß ich das. Aber warum hast du den Brief dann überhaupt geschrieben?! Sie dir doch an, was geschehen ist! Sin ist völlig außer sich! Er will unbedingt wissen, wer den Brief geschrieben hat!“ „Ich weiß… Ich konnte meine Gefühle nicht länger für mich behalten.“ Ja’far warf ihm mitleidige Blicke zu. „Seine Gefühle zu unterdrücken, nur weil es für das Wohl eines Landes besser wäre… Daran kann ich mich einfach nicht gewöhnen. Das ist eine schreckliche Welt.“ „Das ist sie“, stimmte Masrur kühl zu. „Vielleicht werden die Menschen eines Tages in einer Welt leben, die anders damit umgeht. Wir werden diese Welt jedoch nicht erleben.“ Betrübt drehte sich Masrur um und ging. Nach einigen Schritten hielt er inne und sagte über die Schulter hinweg: „Um die Wahrheit zu sagen, ich habe keine Ahnung, wie der Brief in Sinbad’s Hände gefallen ist. Ich hatte mich nicht getraut, ihm den zu geben. Als ich gestern Nacht in mein Zimmer zurückkehrte, war der Brief von meinem Schreibtisch verschwunden.“ Dann ließ er Ja’far nachdenklich zurück. Endlich allein mit sich und seinen Gedanken, zog sich Masrur an seinen Lieblingsplatz im Wald nahe dem Palast zurück. Natürlich beschäftigte ihn ebenfalls die Frage, wer ihm den Brief gestohlen und Sinbad gegeben hatte. Doch eines stand für ihn fest: er würde niemals zugeben, den Brief geschrieben zu haben! Es gibt Menschen, die direkt vor dir stehen und gefühlt doch weiter weg sind, als sämtliche Planeten. Dabei musst du es dir nur wünschen, dann kannst du sie mit deinen Händen berühren. »Masu, hast du einen Traum?« »Nein.« Das war gelogen. Ich hatte einen. Aber wahrscheinlich war das etwas… das ich mir niemals hätte wünschen dürfen. Also werde ich diesen Traum jetzt vergessen.   Die Sonne ging langsam am Horizont unter, doch bisher blieb die Suche nach dem Absender des Briefes erfolglos. An Sinbad zog das nicht spurlos vorbei. Er konnte sich einfach nicht auf die Arbeit konzentrieren und las immer wieder diesen Brief. Die acht Generäle wollten sich vor dem Arbeitszimmer ihres Königs versammeln, um sich zu besprechen. Ja’far war zuerst am Treffpunkt. Er hatte erkundigen eingeholt, ob jemand in Sinbad’s oder Masrur’s Zimmer gesehen wurde, doch nicht wirklich Erfolg gehabt. Zwar hatte eine Dienerin gesehen, wie jemand aus Masrur’s Zimmer kam, doch das war schon alles. Und nichts, was er Sinbad erzählen könne, ohne Masrur zu verraten – was er nicht vorhatte. Nach einer Weile gesellte sich auch Masrur zu ihm. „Hast du etwas erfahren?“, erkundigte sich Ja’far sofort. „Nein“, antwortete der Rothaarige kühl. „Ich habe auch nicht weiter nachgeforscht.“ „Willst du denn nicht wissen, wer dir den Brief gestohlen hat?“ „Schon. Aber was bringt das? Es ist passiert und ich kann es dadurch auch nicht ändern.“ „Und du willst es ihm wirklich nicht sagen?“ „Wie oft noch? Nein.“ „Ich finde das falsch. Du solltest es ihm sagen“, sagte plötzlich jemand. Die beiden Männer zuckten überrascht zusammen und sahen in die Richtung, aus der die Stimme kam. Pisti stand dort und schüttelte verständnislos den Kopf. „Ihr beide könnt nicht heiraten… aber dass du deswegen deine Gefühle wegsperrst… Das darfst du nicht! Jeder sollte seinem Herzen Luft machen dürfen.“ „Woher weißt du, dass Masrur den Brief geschrieben hat?“, fiel Ja’far in die Unterhaltung ein. Pisti zuckte mit den Schultern. „Ich war in Masu’s Zimmer, weil ich ihn gesucht hab und fand dann den Brief.“ „Dann hast du Sin den Brief hingelegt?! Warum?!“ „Weil ich finde, dass Sin das wissen sollte. Masu macht sich doch bloß unglücklich, wenn er seine Gefühle unterdrückt. Er muss es rauslassen.“ „Und wozu?“, fragte Masrur, der langsam seinen Ärger nicht mehr verbergen konnte. „Wenn ich ihm die Wahrheit sagen würde, würde ich nur zerstören, was uns bisher verband. Das ist es mir nicht wert.“ Die kleine Blondine baute sich vor dem Hünen auf. „Ich versteh dich nicht! Warum läufst du vor ihm weg? Statt dir zu wünschen, dass er glücklich wird, kannst du doch derjenige sein, der ihn glücklich macht! Warum willst du das immer anderen überlassen? Hau doch nicht immer ab!“ „Ich werde es ihm nicht sagen“, erwiderte Masrur, in einem Tonfall, der signalisierte, dass er nicht weiter darüber sprechen wollte. Pisti stieß einen resignierten Seufzer aus. Ja’far konnte Masrur sehr gut verstehen. Dennoch wünschte er sich, dass sein Freund glücklich werden würde. Nach und nach gesellten sich auch die anderen Generäle zu ihnen. Gemeinsam betraten sie das Arbeitszimmer. Als er seine Getreuen hereinkommen sah, sprang Sinbad von seinem Stuhl auf und kam um den Schreibtisch herum. „Und?“, fragte er hoffnungsvoll. „Ich hätte eine Frage, Sin“, sagte Ja’far schnell. „Was willst du denn tun, wenn du die Person gefunden hast?“ Sinbad lehnte sich an den Schreibtisch, stützte sich mit beiden Händen darauf ab und warf über die Schulter hinweg einen Blick auf den Brief, der dort lag. Ohne die Augen davon zu nehmen, sagte er gedankenverloren: „Ich werde sie heiraten.“ Die Generäle zuckten geschockt zusammen. Vorsichtig warf Ja’far einen Seitenblick auf Masrur. Dieser hatte den Kopf gesenkt, damit man seinen entsetzten Blick nicht sah. Auch das noch! „Äh… Sin, hast du mal daran gedacht, dass der Absender sich nicht zu erkennen gibt, weil ihr nicht zusammen sein könnt? Vielleicht darfst du sie gar nicht heiraten! Du solltest es dir noch einmal überlegen, sonst endet diese ganze Sache mit zwei gebrochenen Herzen“, bat Ja’far eindringlich. „Ich weiß ja auch, dass das vielleicht gedankenlos von mir ist“, flüsterte Sinbad und starrte weiterhin auf den Brief. „Aber irgendetwas an diesem Brief… diesen Worten… rührt mein Herz. Ich verspüre solche Sehnsucht nach dieser Person… dass ich sie unbedingt finden will! Und wenn ich sie erst einmal gefunden habe, dann lasse ich sie nie wieder gehen!“ Masrur schloss gequält die Augen. Sein Atem stockte. Das dürfte nicht passieren! Wenn Sinbad erfuhr, dass ER diesen Brief geschrieben hatte und dass sein Wunsch, diese Person zu heiraten dadurch auf keinen Fall erfüllt werden konnte… Vielleicht würde er ihn am Ende sogar dafür hassen? Das würde er niemals geschehen lassen! Nein! Nein… „Ich weiß, wer Euch den Brief geschrieben hat, Herr“, sagte Masrur tonlos. Aufgeregt stieß sich Sinbad vom Schreibtisch ab. „Wirklich? Wer?“ „Prinzessin Kougyoku. Ich sah sie, wie sie den Brief in Euer Zimmer brachte. Sie bat mich, es Euch nicht zu erzählen, da sie sich vor Eurer Reaktion fürchtete. Doch da Ihr so darüber denkt, besteht kein Grund, es länger zu verheimlichen, denke ich.“ Sinbad kaute auf seiner Unterlippe herum und dachte ein wenig nach. Dann sagte er: „Holt sie her.“ „Aber Sin…“, begann Ja’far sofort, doch Sinbad hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Holt sie her!“, wiederholte er bestimmt. „Verstanden“, antwortete Masrur sofort, verbeugte sich kurz und verschwand dann. Die anderen folgten ihm. Während sich die anderen beratschlagten, was zu tun war, kapselte sich Masrur sofort ab, unter dem Vorwand, die Prinzessin aus Kou zu benachrichtigen. In Wirklichkeit beauftragte er einen Diener damit und hielt sich in einigem Abstand zum Arbeitszimmer auf, um die Situation zu beobachten. Er stellte sich vor, wie Sinbad und sie sich unterhielten. Wie er sie auf den Brief ansprach und ihr erklärte, dass er sie heiraten wolle. Der Fanalis bezweifelte, dass Kougyoku ihm beichten würde, dass sie den Brief nicht geschrieben hatte, immerhin war sie unsterblich in Sinbad verliebt. Das würde bedeuten, dass es bald eine Hochzeit zwischen dem König von Sindria und der 8. Prinzessin des Kou-Reiches geben würde. Damit wären die Differenzen zwischen den zwei Ländern wohl beigelegt, was so gesehen gut für alle war. Sinbad und Kougyoku würden eine große Hochzeitsfeier abhalten, bald schon das erste Kind haben und ihre gemeinsame Zeit genießen. Masrur zuckte zusammen. Sein Blick war ganz verschwommen. Schnell fasste er sich ins Gesicht und spürte die Nässe – erst jetzt merkte er, dass er weinte. Verzweifelt versuchte er, die Tränen aufzuhalten, doch es gelang ihm einfach nicht. Damit ihn niemand beim Weinen erwischte und Fragen stellte, floh Masrur. Was er nicht ahnte war, dass Pisti ihn von Weitem beobachtet und seine Tränen gesehen hatte. Und sie war nicht bereit, dass einfach so hinzunehmen! Entschlossen klopfte sie an der Tür zum Arbeitszimmer und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten. „Sin, entschuldige wenn ich störe, aber du musst unbedingt mal kommen! Masrur weint.“ „Warum denn?“, fragte Sinbad leicht geschockt, immerhin weinte Masrur nie. Pisti seufzte. „Ich glaube… ich muss dir was beichten.“   Masrur hatte sich derweil zu seinem geheimen Zufluchtsort im Wald geflüchtet, um sich dort abseits aller Blicke auszuweinen. Doch die Tränen wollten einfach nicht aufhören, zu fließen. Stattdessen tauchten vor seinem inneren Auge immer neue Bilder auf, die ihn noch mehr weinen ließen. „Darf man sich zu dir setzen?“, fragte plötzlich eine sanfte Stimme. Masrur hob den Kopf und sah Sinbad vor sich. Hastig wandte er den Blick ab und wischte sich über die Augen. „Was tust du hier? Hast du schon mit Kougyoku gesprochen?“, fragte er mit tränenerstrickter Stimme. Sinbad setzte sich neben seinen Vertrauten. „Nein. Ich hab mich stattdessen entschieden, meinem Dummkopf von Freund aufzusuchen, der sich lieber in den Wald zurückzieht, um allein zu weinen, statt sich mir anzuvertrauen“, seufzte er, dann sah er ihn an. „Warum hast du es mir nicht gesagt?“ Masrur fragte nicht, was er meinte. Er sah den Brief in dessen Hand und ahnte schon, dass er bereits Bescheid wusste. „Weil das völlig sinnlos gewesen wäre“, schniefte er leise. „Im Grunde sind meine Gefühle nicht wichtig. Als König darfst du nicht einfach heiraten, wen du willst. Du hättest nicht einmal erfahren dürfen, was ich empfinde.“ „Deine Gefühle sind sehr wohl wichtig“, widersprach Sinbad entschieden. „Mir jedenfalls. Also sag mir alles. Ich möchte es hören.“ Masrur holte tief Luft. Warum auch nicht? „Erinnerst du dich? Damals… hattest du mich gefragt, ob ich einen Traum habe. Damals habe ich dir geantwortet, es gäbe nichts Besonderes. Doch in Wirklichkeit gibt es sehr wohl etwas. Ich will… für immer mit dir zusammen sein. Ich habe das bisher noch nie jemandem gesagt. Wenn ich mir meine Zukunft vorstelle… dann sehe ich immer nur dich. In meinem Brief stand, dass ich mir immer nur gewünscht habe, dass du glücklich wirst. Aber eigentlich… habe ich mir auch gewünscht, dass ich derjenige bin, der dich glücklich macht. Ich wäre so gerne derjenige, der an deiner Seite ist…“ Sinbad beugte sich zu dem Jüngeren herüber und berührte ihn sanft an der Wange, zwang ihn, ihn anzusehen. „Er wird in Erfüllung gehen. Ich werde ihn erfüllen, deinen Traum, ganz sicher… Ich werde alles dafür tun.“ „Aber du…“, setzte Masrur an, doch Sinbad legte ihm rasch einen Finger auf die Lippen. „Wir können nicht heiraten, das stimmt. Aber wir können für immer zusammen sein. Und das werden wir. Ich gebe dir mein Wort.“ Dann legte er seine Arme um den Rothaarigen und zog ihn fest an sich. Masrur schloss genießerisch die Augen. „Darf ich dich zurückdrücken?“, flüsterte er. Sinbad lächelte sanft. „Ich bitte darum.“ Ich werde gut auf sie achten… auf all meine Gefühle, mitsamt den vielen Erinnerungen und Momenten. Damit ich niemanden mehr verletze… nie wieder. Und damit ich diesen besonderen Menschen… nie wieder loslasse!   ~ Owari ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)