The Heart Collector von Gouda-kun ================================================================================ Kapitel 11: Kapitel 11: Stalker; Blicke wie Eis ----------------------------------------------- „So, meine Lieben, bis nächste Woche will ich einen zehnseitigen Aufsatz über den italienischen Seefahrer Christoph Kolumbus haben. Ich akzeptiere auch PDF-Dateien oder Powerpoint Präsentationen. Gibt euch Mühe. Nach der letzten Geschichtsklausur haben die meisten von Euch eine gute Note wirklich nötig. Ihr wisst ja, dass ihr bei drei Fünfen auf dem Zeugnis sitzen bleibt. Also, der kommende Donnerstag ist der Abgabetermin.“ Stöhnend schlug Raphael seinen Kopf auf die Tischplatte und schnaufte hörbar. Maxime meinte sogar ein leises „Fick dich, du Mistkerl“ aus seinem Mund gehört zu haben. In diesem Moment klappte Herr Asthon das Geschichtsbuch zu. Als es endlich zur Pause klingelte, waren die Jungen und Mädchen der neunten Klasse waren sofort Aufbruch-bereit. Sie klaubten ihre Sachen zusammen und verließen in Windeseile den Raum. „Lass den Kopf nicht hängen. Ich kann dir helfen. Wir können das gerne zusammen machen“, sagte Maxime und schob seinen Stuhl nach hinten. Ihm gefielen die Hausaufgaben auch nicht, aber der Lehrer hatte recht; die letzte Geschichtsklausur war der absolute Horror gewesen. Mit seiner Drei hatte Maxime noch zu den Klassenbesten gehört, alle anderen Schüler erhielten weitaus schlechtere Noten wie er. Raphael hatte es sogar geschafft, eine Sechs zu kriegen. Keine Fünf, sondern eine Sechs, das Ende aller Taschengeld Erhöhungen. Gott sei Dank hatte er niemanden, der ihm das Geld kürzen konnte. „Laber nicht so eine Scheiße“, knurrte Raphael keinesfalls freundlich und rammte seinen Collegeblock in die Tasche. „Du hast darauf doch auch keine Lust! Und wenn wir so unmotiviert sind, kriegen wir nichts Gescheites gebacken. Dieser Kerl ist so ein Hurensohn! Es ist Freitag, warum gibt er uns so einen Mist auf?! Irgendwann werde ich dem Kerl dafür persönlich die Fresse polieren.“ „Raphael!“, zischte Maxime empört. Schnell blickte er zur Tafel, aber zum Glück war ihr Lehrer schon in die Mittagspause gegangen. „Was denn? Ist doch so! Stehst du etwa auf der Seite von dem Wichser? Wollten wir nicht am Wochenende nach Hamburg fahren, oder hast du das schon wieder vergessen?“ „Natürlich nicht!“, beeilte sich Maxime zu sagen und folgte Raphael aus dem Klassenraum. Schnell schloss er zu ihm auf und hakte sich bei den Älteren ein. „Aber denkt doch bitte nicht so negativ darüber. Wir schaffen das! Du weißt doch, dass ich gut in der Schule bin, und du bist ein Ass, sobald es um Computerkram geht. Also! Zusammen können wir alles erreichen!“ „Aber trotzdem kotzt mich das an! Wir zwei wollten mit Charlotte in den Tierpark gehen und danach noch ein bisschen durch die Altstadt bummeln. Das können wir uns nun abschminken.“ Die anderen Schüler bildeten eine Gasse als Raphael wie eine Straßenwalze an ihnen vorbei rauschte. „Diese Hausaufgaben versauen mir den ganzen Tagesplan! Ich habe sogar extra meinen Vater angerufen und ihn gefragt, ob er mir das Geld für den kommenden Monat schon etwas früher überweisen kann, damit wir uns für Samstagabend etwas zu knabbern und zu trinken kaufen können. Aber der Mistkerl muss uns ja alle Ideen über den Haufen werfen. FUCK!“ Draußen angekommen, zündete sich Raphael sofort eine Zigarette an und ging zu ihrem gemeinsamen Stammplatz. Wie immer wurde er am Fahrradkäfig von seinen Freunden erwartet, aber angesichts seines Gesichtsausdrucks sprachen ihn nur die Mutigsten an. „Was ist denn mit dem passiert?“, fragte Charlotte, welche hier auf ihre Freunde gewartet hatte. „Frag nicht“, antwortete Maxime und schloss das Mädchen zur Begrüßung in die Arme. „Warum? Ist das wieder eins eurer Männergeheimnisse?“ Maxime verdrehte mit einem kleinen Grinsen die Augen. „Nein, Charlotte, das ist ein Geheimnis zum Ausrasten.“ Sanft löste er ihre Finger aus seinem Nacken und nahm stattdessen ihren Rock in Begutachtung: er war aus blauem Stoff gefertigt, schön dick und schwer, damit er nicht so schnell hoch flog. „Oh ho sexy! Ist unsere kleine Frau Kirschbaum heute auf Beutejagd?“ Das Grinsen verwandelte sich in ein laszives Feixen und Charlottes Wangen fingen Feuer. „N...nein! Aber heute ist es so warm und Mama hat alle meine kurzen Hosen in die Waschmaschine gesteckt. Dieser Rock war das einzige, was ich bei dieser Hitze anziehen konnte!“ „Aha. Ich finde ihn aber zu kurz.“ Der knappe Rock betonte Charlottes Beine und ließen sie im besten Licht erscheinen. Es war deutlich, was sie mit diesen gewagten Schnitt erreichen wollte: die Aufmerksamkeit der Männer. Natürlich war das dem verantwortungsbewussten Maxime ein gewaltiger Dorn im Auge. Charlotte begann zu schmollen und streckte dem Anderen die Zunge raus. „Schau mal in den Spiegel. Dein Rock ist auch nicht länger!“ „Ich bin ein Mann.“ Die Arme noch immer verschränkt bekamen Maximes feine Gesichtszüge einen tadelnden, fast väterlichen Ausdruck der Strenge. „Aber im Gegensatz zu dir kann ich mich verteidigen. Eine kleine und schmächtige Göre wie dich könnte man in jede Seitenstraße zerren und vergewaltigen. Ich bin mir sicher, dass ich einen freien Ausblick auf alles habe, was ein Mann an einem weiblichen Körper interessant finden könnte, wenn ich deinen Rock auch nur ein winziges bisschen anhebe. “ In diesen Augenblick fuhr ein heißer Blitz durch Maximes Glieder. Etwas... war hier faul. Unbewusst drehte er seinen Kopf nach hinten und blickte sich verstohlen nach allen Seiten um. Etwas war hier sogar oberfaul! Plötzlich spürte er einen stechenden Blick im Nacken, der ihm ein Loch in die Haut zu bohren schien. Jemand starrte ihn an. Doch auch als Maxime noch mal die gesamte Gegend abgesucht hatte, konnte er niemanden erkennen der in seine Richtung schaute. Alle hier draußen waren mit sich selbst beschäftigt. Niemand schaute zu ihm. Niemand sah so aus, als wollte er Maxime beim lebendigen Leibe die Haut von den Knochen schälen. „Maxime? Ist was? Du bist auf einmal so still geworden.“ Die Stimme seiner besten Freundin vertrieb das stechende Gefühl in seinem Nacken, und Maxime lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sie. Naja, dieser Blick war sicher nur eine Produktion seiner Einbildung. Nach all den Dingen, die er in der letzten Zeit erlebt hatte, wurde Maxime wohl langsam paranoid. Wo waren sie stehen geblieben? Ach ja, der Rock! Ruckartig griff Maxime nach den Armen des Mädchens und zog sie gewaltsam an seine Brust. In Momenten wie diesen genoss er es, die weiblichen Hormontabletten reduziert zu haben. Nun konnte er wieder so feste zupacken wie die anderen Vertreter seines Geschlechtes. Er hörte wie Charlotte einen kleinen Schrei ausstieß, doch schon in der nächsten Sekunde lagen seine Finger auf ihren Mund. „Na na, wer wird den gleich die Beherrschung verlieren? Aber wer weiß? Vielleicht bin ich ja gar nicht mehr schwul und stehe jetzt auf niedliche, Miniröckchen tragende Zehntklässlerinnen. Hm, wie wäre es mit uns Zweien? Sollen wir mal auf die Toilette gehen?“ Maximes Stimme war kaum hörbar gewesen, doch seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht; Charlotte stand die nackte Panik deutlich ins Gesicht geschrieben. Beinahe automatisch legte sie ihre Hand über das blaue Kleidungsstück und drückte ihn bestimmend nach unten. Na gut, Maxime wollte es mit seinen Verhalten nicht auf die Spitze treiben; nachher war ihm die ältere Schülerin wirklich böse. Vorsichtig strich er Charlotte eine störrische Haarsträhne aus den Augen und umfasste ihr gerötetes Gesicht mit seinen Händen. „Hast du Angst? He, mach dir keine Sorgen, Süße. Ich tue dir nichts. Aber du weißt nicht, was ein anderer Mann mit dir machen könnte, wenn er dich in so einem aufreizenden Outfit sieht. Sei etwas vorsichtiger bei deiner Kleiderwahl, mein Liebling.“ Zum Abschluss ersetzte er seine Finger durch seine Lippen und küsste das zarte Gesicht des Mädchens. „Alter... Was geht bei euch ab? Habt ihr jetzt genug geknutscht?“ Die zwei Freunde zuckten zusammen, als jemand die Arme um ihre Schultern schwang. Ohne ihn zu bemerken, war Raphael auf einmal hinter ihnen erschienen und hatte den beiden einen gewaltigen Schrecken eingejagt. Eine Weile blödelten die Drei noch auf dem Pausenhof herum, warfen sich nicht sehr ernstgemeinte Beleidigungen an den Kopf und lachten über die Blicke der anderen Leute. Irgendwann ging Charlotte die Luft aus und sie hob flehend die Hände. „Ich gebe auf!“, keuchte sie. „Ich gebe mich geschlagen. Gnade!“ Raphael zwickte dem Mädchen ein letztes Mal liebevoll in die Nase und drückte ihr dann einen kleinen Kuss auf die Stirn. „Hey Süße, Maxime und ich haben jetzt eine Freistunde. Unser Mathelehrer hat sich krank gemeldet. Wir wollen die nächsten 2 Stunden ein bisschen in der Bücherei abhängen und ein paar Bücher über Amerika wälzen. Du hast Unterricht, oder?“ „Ja, leider.“ „Dann schreiben wir nachher aber noch mal miteinander.“, sagte Maxime und schaute kurz auf seine Armbanduhr. „Heute Abend, okay? Ich möchte jetzt wissen, ob deine Eltern ja sagen und du nach dem Ausflug am Samstag auch bei mir schlafen darfst.“ Als Charlotte ihren Eltern vor einigen Tagen von der Übernachtung bei ihrem Freunden erzählt hatte, waren die beiden auf einmal ungewohnt skeptisch geworden. Vielleicht lag es daran, dass Maxime und Raphael bis jetzt immer nur im Hause Kirschbaum übernachtet hatten, und noch nie in ihren eigenen Wohnungen. „Ach, ihr wisst doch wie spießig meine Eltern sind. Nachher rede ich nochmal mit meinen Vater. Vielleicht habe ich heute mehr Glück“, murmelte sie aufmunternd. „Wenn ich ihm versichere, dass ihr mir keine Drogen in die Fanta mischt und dann irgendwelche krummen Sachen abzieht, wird er schon nichts dagegen haben.“ Einige Minuten später hallte das Klingen der Pausenglocke über den Hof und die meisten Schüler verzogen sich zurück in das Schulgebäude. Auch Charlotte verabschiedete sich mit einer liebevollen Umarmung von ihren Freunden und verschwand in der Menschenmenge. „Lass uns unsere Schulbücher wegbringen und dann in das alte Gebäude gehen.“, sagte Maxime, nachdem er Charlotte so lange hinterher geschaut hatte, bis sie nicht mehr zu sehen war. „Um diese Zeit wird wohl niemand in der Bücherei sein, oder? Die meisten Schüler sind jetzt bestimmt im Unterricht. Dann haben wir unsere Ruhe und können schon mal mit den Recherchen zu Columbus beginnen.“ „Das denke ich auch. Vielleicht sehen wir einen Fuzzi aus der Sonderklasse, aber die Chancen sind relativ gering. Wofür brauchen diese Superhirne denn noch Bücher? Wissen die nicht jetzt schon alles?“ Maxime lachte auf, dachte an den arroganten Kiley Sandojé, und ging mit Raphael zurück ins Hauptgebäude. Jetzt, wo alle Schüler in ihren Klassenräumen waren, herrschte auf den Fluren eine fast schon gespenstische Stille. Wo sonst immer reger Betrieb herrschte, konnte man nun eine Stecknadel fallen hören. Zielstrebig steuerte Maxime seinen Spind an, welcher von oben bis unten mit bunten Stickern, oder irgendwelchen Fotos verziert war. Hier kugelte sich ein Kätzchen über die Türe, da guckte ihm ein Bild von Raphael und Charlotte entgegen. Als Maxime gerade das letzte Buch in den Schrank schob, runzelte Raphael plötzlich seine Stirn. „Guck mal, da liegt was. Du hast einen Brief bekommen!“ Maxime folgte dem Beispiel seines besten Freundes und schaute auf die Stelle, wohin Raphaels Finger zeigte; auf dem Boden seines Spinds lag ein einzelner, glatter und weißer Umschlag. Die Seite die die Freunde sehen konnten, war mit einer schönen und grazilen Handschrift versehen. Aber viel war dem Absender offenbar nicht eingefallen, denn er hatte nur ein einziges Wort auf die Rückseite geschrieben. Maxime. Schon wieder...! Mit einem mulmigen Gefühl im Magen griff Maxime nach dem Brief und schluckte die aufsteigende Säure hinunter. Oh, oh, er ahnte Böses, als er den Brief mit den Fingern aufschlitzte und einen Zettel aus der Hülle zog. „Und? Wer hat dir geschrieben?“ Raphael war offenbar genauso neugierig wie Scarlett und beugte sich über Maximes Schulter. „Niemand.“ „Wie niemand?“ „Keiner. Hier steht nichts.“ Der Zettel war schneeweiß. Keine Drohung, keine Erklärung, kein gar nichts. Fast schon hätte Maxime mit einen neuen Attentat gerechnet, aber das ihm der Absender diesmal GAR NICHTS zusagen hatte, fand er noch beunruhigender. Warum hatte ihn dieser Jemand schon wieder einen Brief geschickt, wenn es ihm offenbar an kriminellen Ideen mangelte? „Am Sonntagmorgen hat mir auch jemand einen Brief geschickt“, murmelte Maxime leise. „Jemand hat gedroht, das Haus abzufackeln. Und jetzt bekomme ich schon wieder eine Nachricht ohne Absender.“ Raphael zog eine finstere Miene und blies sich eine hellblond gefärbte Haarsträhne aus den Augen. „Aha? Schön, dass ich so was als dein bester Freund erst jetzt erfahre...“ „Raphael, bitte, jetzt reg´ dich nicht schon wieder auf!“, zischelte Maxime unwirsch. Auch wenn er es nicht mochte, musste er jetzt lügen, damit der Ältere keinen Verdacht schöpfte. „Sei mir nicht Böse. Bis gerade eben hatte ich diesen Brief auch schon wieder vergessen!“ „Pfft! Dann musst du vorsichtiger sein! So eine Drohung sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Anscheinend weiß der Kerl nicht nur wo du wohnst, sondern auch wo deine Schule ist. Demnach wird er dich ausspioniert haben, oder es ist jemand, der dich kennt.“ „Daran habe ich bis jetzt noch gar nicht gedacht!“ Geschockt riss Maxime seinen Mund auf. „Wer weiß, was der Kerl oder das Weib noch alles von mir weiß. Oh Gott, ich glaube, ich habe einen Stalker!“ „Das ist nicht witzig. Wenn du noch mal einen Brief von dieser Person bekommst, würde ich an deiner Stelle sofort zur Polizei gehen. Ich habe keine Lust meinen besten Freund im Krankenhaus zu besuchen, weil er nicht früher reagiert hat und das Opfer eines Brandes geworden ist.“ „Ach was, so weit wird es schon nicht kommen.“ Maxime versuchte Raphael mit einem breiten Grinsen aufzumuntern und steckte das weiße Blatt zurück in seinen Umschlag. Er fand es schrecklich wenn sich seine Freunde Sorgen machten, deshalb hatte er ihnen nichts von dem Drohbrief erzählt. Oder von all den anderen Dingen, die er in der letzten Zeit erlebt hatte. Bevor sie zum alten Schulgebäude aufbrachen, inspizierte Maxime seinen Schrank noch mal von oben bis unten. Aber der war bis auf seine Schulsachen leer und unauffällig. Nach dem Fund war Raphaels Laune wieder im Keller, und er gab nur noch bissige Kommentare von sich. Auf jede Frage bekam Maxime von jetzt an nur noch kalte und gereizte Antworten zu hören, was auch seine Laune schnell zum Sinken brachte. Kurz darauf betraten die Freunde die Bücherei. Zu allen Überfluss spürte Maxime auf einmal auch noch ein lästiges und beißendes Jucken an den Fingern. Vielleicht war das ja ein Zeichen, dass er dem Blonden an die Kehle gehen sollte. Aber nein. Maxime gab sich Mühe seine Laune zu verbergen. „Guck mal, das ist ein gutes Buch. Hier stehen echt interessante Dinge drin.“, sagte Maxime und schob ein dickes Geschichtsbuch zu Raphael über den Tisch. „Gut.“ „Ah, und hier gibt es auch ein paar Informationen über Columbus´ Kindheit. Vielleicht sollten wir das auch in den Aufsatz einbauen, ein paar Hintergrund Informationen können schließlich nie schaden. Das wird Herr Asthon zeigen, dass wir uns mit dem Thema beschäftigt haben.“ „Aha, richtig.“ Nach einer Dreiviertelstunde war Maxime mit der Situation total überfordert. „Dann mach´ denn Mist doch alleine, wenn du keinen Bock auf mich hast!“, rief er gereizt. Knallend warf er einen Stapel mit Büchern auf den Tisch, würgte Raphael noch einen gemeinen Spruch rein und verschwand dann mit wehender Haarmähne aus der Bücherei. Maxime lief zügig an den verschiedenen Klassenzimmern vorbei und ignorierte dabei die Tatsache, dass er sich wie ein bockiges Kind verhielt, dem man gerade die Süßigkeiten abgenommen hatte. Kurz nachdem er in einen der vielen Gänge abgebogen war, hielt er abrupt an. Nanu? Hätte hier jetzt nicht eigentlich der Ausgang sein müssen? Und dann spürte er es schon wieder. Ein Blick, so scharf wie ein Messer, bohrte sich mit alle Gewalt in seinen Rücken. Schnell, so schnell er konnte, wirbelte Maxime herum. Aber er sah niemanden! HIER. WAR. KEINE. MENSCHENSEELE! Und doch hatte er die Augen auf seiner Haut deutlich gespürt. Diesmal, war das sicher keine Einbildung gewesen! „Scheiße ey.“, knurrte Maxime und kratzte sich geistesgegenwärtig an der Hand. „Ich werde hier langsam aber sicher verrückt.“ Da ihn das Wissen beobachtet zu werden störte, ging er schnell weiter den Flur entlang, um den Blicken zu entkommen. Seine Angst trieb Maxime immer tiefer in den verwinkelten E-Trakt hinein. Leider hatte er seine Orientierung irgendwann gänzlich verloren. Es reichte ja nicht, dass er erst seit 3 Monaten auf der Schule war und sich hier deshalb noch nicht zurecht fand. Nein! Hier musste auch noch jeder verdammte Flur und jede beknackte Türe absolut identisch aussehen! Schließlich legte Maxime eine Pause bei der Herrentoilette ein. Zuerst mal wollte er seine Blase erleichtern und die juckenden Hände waschen. Dann würde er weiter machen, und nach dem Ausgang aus diesem verfluchten Labyrinth suchen. Kurz bevor seine Finger die silberne Messingklinke erreicht hatte, vernahm er von der anderen Seite der Türe auf einmal eine tiefe, kraftvolle Stimme. Rasch zog er seine Hand zurück und lauschte. Wenn Maxime die gereizte Tonlage richtig deutete, dann flogen auf der Toilette gerade die Fetzen... „...so, ich hoffe, dass wir uns nun verstanden haben? Das war das letzte Mal, dass ihr den Kleinen angefasst habt, kapiert?“, giftete die Männerstimme bedrohlich. „Wenn ich noch mal von irgendwelchen Vorfällen höre, oder wenn ihr meine Warnung in den Wind schießt, dann wird euch noch nicht mal mehr die Polizei helfen können. Dann seid ihr am Ende. Meinen kleinen Bruder könnt ihr mit eurer miesen Schläger-Nummer vielleicht beeindrucken, aber ich bin mit anderen Wassern gewaschen! Gegen mich habt ihr nicht den Hauch einer Chance!“ Okay, dachte Maxime, da gibt es wirklich Ärger! Oh, wie gerne würde er nun die Türe aufdrücken und einen kurzen Blick in den Raum werfen! Aber dann würde er womöglich mitten in einen Konflikt rein stolpern, der ihn nichts anging, und dadurch noch womöglich böses Blut erzeugen. Nein, darauf hatte Maxime wirklich keine Lust. Also blieb er lieber hier draußen stehen und drückte seine Ohren an das Holz. „Ist ja gut. Wir haben es jetzt verstanden...“, brummelte eine zweite Stimme und Maxime bekam das ungute Gefühl, sie zu kennen. „Wir lassen deinen Bruder von jetzt an in Ruhe. Hätte ich schon früher gewusst, dass ihr beiden Geschwister seid, wären wir ihm wohl von Anfang an aus dem Weg gegangen.“ „Das will ich auch hoffen. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, werden wir wohl kaum eine Gelegenheit zum Sprechen haben. Dann werde ich nämlich euch die verbliebenen Milchzähne raus prügeln. Na dann, Botschaft ist damit angekommen. Schönen Tag noch!“ Mit einem leisen Quietschen wurde die Toilettentüre plötzlich von innen aufgerissen. Maxime schaffte es gerade noch einen Satz zur Seite zu machen, ohne über seine eigenen Beine zu stolpern. „Vorsicht, Kleiner. Nicht hinfallen.“ Eine kräftige Hand ergriff Maximes Ellenbogen und zog ihn brutal nach vorne. Der Junge hievte ihn in eine aufrechte Position zurück und setzte ein falsches Lächeln auf. „Sorry, ich habe nicht daran gedacht, dass es hier auch noch andere Menschen mit Bedürfnissen gibt. Tut mir leid, wenn ich dich erschrocken habe.“ Maxime atmete bei diesem Satz innerlich auf. Puh, Glück gehabt. Anscheinend war der Mann nicht auf die Idee gekommen, dass er an der Türe gelauscht hatte. Erleichtert hob er den Blick, schaute auf das schwarze T-Shirt von einer Rock-Band und legte den Kopf in den Nacken. In dem Moment, wo er das Lächeln erwidern wollte, erstarrten seine Züge zu Eis. Vor ihn stand ein Hüne von einem Mann. Der Kerl, der ihn gerade vor einen Sturz bewahrt hatte, war niemand Geringeres als Daimon Sandojé. Kileys fucking Zwilling! Noch während der Ältere die Finger von Maximes Arm nahm, standen diesem schon die ersten Tränen in den Augen. Die Schicksalsgöttin hatte heute offenbar ihren humorvollen Tag. Ansonsten konnte sich Maxime nämlich nicht erklären, warum ausgerechnet er, von über 400 Schülern, plötzlich diesem Einen begegnen musste, der seinen Untergang bedeuten könnte. Daimon bemerkte die Anspannung glücklicherweise nicht und hob stattdessen seine Augenbrauen. „Hast du dir auf die Zunge gebissen? Du guckst auf einmal so verstört.“ „Nein... Ich... Tut mir leid. Ich... habe mich verlaufen. Jetzt kann ich den Weg nach draußen nicht mehr finden“, stammelte Maxime hektisch. „Und da dachte ich, vielleicht bekomme ich auf dem Klo einen Geistesblitz.“ „Ach so. Na dann bist du hier aber im falschen Gang. Der Ausgang ist einen Flur weiter.“, erklärte Daimon kühl. „Du musst wieder zurückgehen und in den nächsten Gang auf der linken Seite abbiegen. Dann kommst du am Chemieraum vorbei, und zwei Türen weiter siehst du dann schon den Weg nach draußen.“ Die meisten Schüler würden sich wohl glücklich schätzen, wenn sie einer lebenden Legende wie Daimon gegenüber standen oder mit ihr sprechen konnten. Immerhin war sein Name, oder die Bezeichnungen; „Die Sandojés“, oder die „Sandojé-Zwillinge.“, für jeden hier ein Begriff. Doch Maxime fühlte sich wie ausgeliefert. Vor ihn stand nicht nur ein berühmter Schüler – vor ihn stand ein gemeiner Brandstifter und Mörder! Daimon verabschiedete sich mit einem Nicken und lief dann zügig an ihn vorbei. Da Maxime nun die Gelegenheit hatte, flog sein Kopf nach hinten und er nahm in Sekundenschnelle alle Details auf, die er gesehen hatte oder immer noch sah: Mit seinen roten, schulterlangen Haaren und den symmetrischen Gesichtszügen sah Daimon eigentlich ganz attraktiv aus. Aber der kalte, boshafte Ausdruck in seinen smaragdgrünen Augen machte alle Schönheit zunichte. Für einen gewöhnlichen Teenager besaß Daimon eindeutig zu viele Muskeln. Sie bestärkten den Eindruck, dass er ein unangenehmer Zeitgenosse war, nur noch mehr. Außerdem schien Daimon eine Vorliebe für Piercings zu hegen. Mehrere zierten seinen Körper, aber am auffälligsten waren die Schmuckstücke in seinem Gesicht. Er besaß mehrere Ohrringe in allen Größen und Formen und einen Metallring in der rechten Unterlippe. In der Zwischenzeit hatte der rothaarige Hulk seine Suche beendet und die Person gefunden, mit der er so dringend sprechen wollte. „Oi, da bin ich wieder. Und hast du mich schon vermisst?“ „Pfft, so sehr wie einen Nagelpilz“, murrte Kiley Sandojé mit emotionsloser Miene. „Ich habe mir Sorgen gemacht. Wo warst du so lange? Ich dachte schon, dass du Hilfe brauchst.“ Daimon grinste vielsagend und klopfte Kiley so feste auf die Schulter, das es ihn fast von den Füßen riss. „Du willst mir helfen? Soll ich jetzt lachen?" „Wenn du einen Schlag in die Fresse haben willst, nur zu...“ „Oho! Hat Kim heute mal wieder schlechte Laune?“ „Kann schon sein.“ Kiley stellte sich leicht auf die Zehenspitzen und schnippte dem Rothaarigen mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. „Jetzt werd ' hier bloß nicht übermütig, kleiner Bruder. Erzähl´ mir lieber, wie es gelaufen ist. Hattest du Erfolg?“ „Natürlich. Wie sehe ich denn aus?“ In einer schnellen, fließenden Bewegung, schnappte sich Daimon Kileys Finger und stöhnte schmerzerfüllt auf, da ihn der Schwarzhaarige in der gleichen Sekunde einen scharfen Leberhaken verpasst hatte. Ein paar Sekunden verharrte Daimon noch in seiner Position, dann pustete er sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht und boxte Kiley gegen die Schulter. „Wie niedlich. Na, wolltest du mir auch mal zeigen, dass du ein Mann bist. Ha! Deine Schläge waren auch mal besser. So, du wolltest wissen wie es gelaufen ist? Ich glaube, dass die beiden Typen nun geschnallt haben was Sache ist. Die haben mir versprochen das die unser Nesthäkchen nicht mehr anfassen.“ „Das ist auch gut so. Danke, dass du das diesmal übernommen hast. In solchen Angelegenheiten kannst du irgendwie... überzeugender sein als ich.“ „Ach ja, das Karate-Training muss sich ja irgendwann mal auszahlen. Und auch wenn es nur darum geht, um mit physischer Stärke anzugeben. Damit hätten wir unsere brüderlichen Pflichten für heute erfüllt, was?“ Kiley nickte. Er schenkte dem jungen Mann ein Lächeln, das, wie er wusste, sogar Eis zum Schmelzen bringen konnte. „Okay, ich muss jetzt wieder in die Klasse zurück und mich für meine nächste Vorlesung vorbereiten. Danke nochmal für deine Hilfe, Daimon. Du weißt ja, dass mir bei solchen Konflikten schnell der Hut hochgeht. Und das kann ich in meinem letzten Jahr vor dem Medizinstudium nun wirklich nicht gebrauchen.“ *xXx* Er konnte sich nicht genau erklären, wieso er das getan hatte, aber nachdem Daimon Sandojé verschwunden war, war Maxime zurück zu der Toilette geschlichen und hatte wieder angefangen zu lauschen. Nun kamen wieder Stimmen aus dem Raum. Demnach waren da drin wohl drei, und keine zwei Menschen gewesen. „Geht es dir gut?“, fragte eine Stimme mitfühlend, welche Maxime gerade das erste Mal hörte. „Der Kerl hat dir aber ein ordentliches Veilchen verpasst... Oh Mann, dann stimmen also die Gerüchte die man sich über ihn erzählt: Wo Daimon hinschlägt wächst kein Gras mehr.“ „Danke, Jaro. Sei so gut und halt´ einfach deine Klappe! Ich bin nicht so scharf darauf zu hören, wie ich aussehe.“ Hinter der Türe dachte Maxime gerade fieberhaft über die Stimmen nach, während er langsam zurückging. Sein Gedächtnis hatte ihn vorhin also nicht getäuscht. Die Stimme des ersten Jungen kam ihn wirklich bekannt vor. Das war Sebastian! Und bei den anderen Jungen, handelte es sich zu hundert Prozent um seinen besten Freund, Jaromir. Auf der einen Seite empfand er Schadenfreude, weil die gemeinen Schläger endlich mal ihre gerechte Strafe bekamen. Auf der anderen hatte er Mitleid, weil sie gegen Daimon und seiner Kraft keine Chance hatten. In der nächsten Sekunde zuckte Maxime innerlich zusammen. Zwei paar Füße näherten sich dem Ausgang und er stand immer noch hinter der Türe. Da Maxime sein Glück dieses Mal nicht herausfordern wollte, nahm er die Beine in die Hand und flüchtete so schnell wie er konnte in den erstbesten Flur. Trotz der kalten Luft stand Maxime plötzlich der Schweiß auf der Stirn. Und das war ungewöhnlich; von so einem kurzen Sprint kam er normalerweise noch nicht mal außer Atem. Maxime stieß mit dem Rücken gegen einen Metallschrank und rutschte daran entlang, bis es nicht mehr weiterging. Er hockte sich auf den Boden, zog die Knie an den Körper und hoffte, dass sich die weißen Punkte vor seinen Augen bald verzogen. Auf einmal ging es dem Jungen kotzübel...! Kurz rieb er sich über den kribbelnden Handrücken, der sich inzwischen so anfühlte, als feierte dort ein ganzer Schwarm Ameisen eine Party. Doch leider linderte das den Juckreiz nicht im Geringsten. Das Kribbeln und Brennen auf seiner Haut wurde von Sekunde zu Sekunde immer schlimmer. Und als der Rosahaarige einen Blick auf seine Finger warf, fuhr ihm ein gewaltiger Schrecken in die Knochen. Seine Hände, die ganze Haut war bis zu den Gelenken mit dicken, roten und nässenden Quaddeln übersät! „Ach du Scheiße...“, entfuhr es seinen leicht geöffneten Lippen. Auf einmal begann sich die Welt vor Maximes Augen zu drehen. Sein Magen rebellierte, als ob er einen Steinbrocken verschluckt hätte. Was waren das für seltsame Blasen auf seiner Haut?! Hatte er eine allergische Reaktion auf irgendwas bekommen? Soweit Maxime wusste, litt er nur unter einer Lebensmittelallergie gegen Zitrusfrüchte. Aber seitdem er vor 5 Jahren mit einem zugeschwollenen Hals in die Notaufnahme eingeliefert wurde, weil er eine halbe Mandarine gegessen hatte, hielt er sich von allen Sorten dieser Dinger fern! „Maxime?“ Der Angesprochene drehte seinen Kopf in die Richtung der Stimme, aber er sah nur verschwommene Schattenrisse vor seinen schwächelnden Augen. Feste biss er die Zähne aufeinander und krächzte ein heiseres, „Ja?“ „Geht es dir gut, Pinkie? Du hängst hier rum wie ein Schluck Wasser in der Kurve...“ Maxime nickte nur. Zum Sprechen war er nicht mehr in der Lage. Und dann erreichte die Dunkelheit seine Augen. Innerhalb kürzester Zeit wurde alles um ihn herum still und ruhig. Die Geräusche in seinen Ohren verstummten, das Brennen auf seiner Haut verschwand. Maxime spürte wie ihm die Beine wegknickten und er mit rasender Geschwindigkeit in die Schwärze eintauchte, die hinten seinen Augen herrschte. …. Das monotone Summen von elektronischen Geräten wummerte in seinen Ohren. Es durchlief Maximes Körper von den Haarspitzen, bis zu den Zehennägeln. Würde er wissen, wieso es so dunkel war, und wieso er seine Hand nicht bewegen konnte, würde er sich auf die Seiten drehen und seinen Wecker gegen die Wand schmeißen. „Hey, seine Augenlider haben sich bewegt. Er wacht auf!“ Das was die Stimme von Charlotte. Als Nächstes spürte Maxime eine kleine, weiche Hand, die über seine Stirn streichelte und ihn die Ponysträhnen aus den Augen wischte. In der nächsten Sekunde wurde ein Stuhl nach hinten geschoben und ein Schatten legte sich auf Maximes Gesicht. „Okay, bleib du hier. Ich hole die Krankenschwester.“ Aha, Raphael war also auch hier. Aber was redete er da von einer Krankenschwester? Waren sie in einem Krankenhaus? Wie seltsam. Charlotte klang so, als ob sie gleich in Tränen ausbrechen würde und Raphael, als ob er jemanden umbringen wollte. Moment mal... Langsam und zähflüssig kehrten die Erinnerungen an die letzten Stunden zurück. Dummerweise begannen auch in diesem Augenblick wieder seine Hände zu jucken. Als Maxime sich kratzen wollte, hielt ihn jemand fest. „Na na, junger Mann, das würde ich an ihrer Stelle lieber sein lassen.“ Maximes Eingeweide fühlten sich an wie von einer Dampfwalze überrollt. Er spürte wie seine Augenlider flackerten und den Kampf gegen die Finsternis begannen. Auch wenn sie so schwer waren wie Blei, schaffte er es nun doch, sie zu öffnen und die alte Gestalt eines weißhaarigen Mannes zu erblicken. „Ich bin Doktor Merlin van Blackwood, Ihr betreuender Arzt.“ Der Doktor betrachtete seinen jungen Patienten eindringlich und lächelte milde. Er trug eine dicke Hornbrille auf der Nase und ein Klemmbrett auf dem Arm.„ Können Sie sich an die letzten Stunden erinnern, Herr Ravanello? Nein? Dann lassen Sie mich es Ihnen erklären: vor 2 Stunden sind Sie mit massiven Kreislaufproblemen und diversen Hautausschlägen auf meine Station gekommen. Sie sind hier im städtischen Krankenhaus von Hamburg. Wie ich Ihnen schon gesagt habe, kümmere ich mich im Augenblick um Ihre Behandlung, und möchte Sie wieder fit machen.“ Von den Worten des Arztes schwirrte Maxime der Kopf. Aber eine Sache hatte er inzwischen verstanden: ihm ging es offenbar ziemlich schlecht, deshalb war er hier. Kurz schaute er nach links; Charlotte saß auf einen Holzstuhl und auch Raphael ließ sich in diesem Moment wieder neben ihm sinken. Hinter ihnen befand sich eine Türe in der weißen Wand, sehr wahrscheinlich bildete sie den Weg nach draußen. Er selbst lag in einem großen und weichen Krankenhausbett. Über einen Zugang in der Armbeuge verabreichte man ihn irgendeine klare Flüssigkeit, die sich in Maximes Adern wie Eis anfühlte. „Bin ich krank?“, fragte Maxime geradewegs. „Oder warum hat mein Körper auf einmal solche Schwierigkeiten? Normalerweise bringt mich nichts so schnell aus der Fassung.“ Der alte Mann lächelte dünn. „Da muss ich Ihnen vielleicht recht geben, Herr Ravanello. Aber Ihre Symptome kommen nicht etwa von einer Krankheit. Sie haben sich vermutlich mit Rizinpulver vergiftet.“ Das Lächeln verschwand von Dr. van Blackwoods Lippen. „Sie können von Glück sprechen, dass Ihr Freund so schnell zur Stelle war und einen Krankenwagen gerufen hat. Ansonsten hätten Sie schwere Schäden davon getragen. Rizin ist ein hochgefährliches Eiweißprotein, schon eine geringe Menge kann für einen Menschen fatale Folgen haben. Ich kann mir zwar nicht erklären, wieso Ihnen jemand so schwer schaden möchte, aber das Gift an Ihren Fingern hätte gereicht um Sie ... nun ja, wie soll ich sagen? Okay, ich drücke es mal so aus: Hätten Sie mit diesen kontaminierten Fingern etwas gegessen, wie zum Beispiel einen Apfel, wäre das ihre letzte Mahlzeit gewesen. Für immer. “ „Bitte was...?“ „Haben sie keine Angst, Herr Ravanello. Bei uns sind Sie in guten Händen.“, sagte der Doktor und klang dabei zuversichtlich. „Wir haben bereits alles getan, was in unserer Macht steht, um das Gift zu entfernen. Darf ich Sie beim Vornamen nennen?“ Maxime nickte geistesgegenwärtig. Das Sprechen schien er im Augenblick verlernt zu haben. „Also, Maxime.“, redete der Doktor einfach weiter und kritzelte etwas auf sein Klemmbrett. „Du möchtest sicher wissen, wie du an dieses Pulver gekommen bist? Nun, deine Freunde waren so nett und haben mir alle Sachen gegeben, die du heute in der Schule bei dir hattest. Wir haben alles untersucht was du von heute Morgen an, bis zum Zeitpunkt deines Zusammenbruchs, berührst hast. Der blonde junge Mann an deiner Seite hat das Rätsel recht schnell gelöst: er hat mich auf einen seltsamen Briefumschlag aufmerksam gemacht, denn du in deinen Schulspind gefunden hast. Und weißt du was? Das war der Auslöser. Das Blatt im Umschlag war mit hauchdünnen Rizinpulver bestreut und hat sich an deine Finger geheftet. Zum Glück wird das Gift Subkutan nur sehr schlecht aufgenommen. Daher kamen auch deine ersten Vergiftungssymptome, wie der Schwindel und die Kurzatmigkeit.“ Nachdem Doktor Merlin van Blackwood den Kreislauf und Maximes Blutzuckerwerte überprüft hatte, verabschiedete er sich mit einem schmalen, professionellen Lächeln von den Kindern. Kaum war der Mann richtig weg, schob Maxime die Decke zur Seite und betrachtete seine Hände. Ganz wie er vermutet hatte, hatten die Krankenschwestern sie mit dicken Mullbinden umwickelt und gut verschlossen. Verständnislos betrachtete der Rosahaarige die Verbände. „Und wie soll ich damit essen? Oder duschen? Oder auf die Toilette gehen?“ „Die Schwestern werden dir bei allen Dingen helfen...“, versicherte Charlotte und ließ den Kopf hängen. „Ach man... Ich kann immer noch nicht begreifen, dass es jemanden an unserer Schule gibt, der dich offenbar so sehr hasst, das er dich töten möchte.“ Ihre Worte verursachten ein seltsames Nachbeben im Raum. Raphael und Maxime tauschten einen schweigsamen Blick, in dem sich alle Sorgen und Ängste der letzten Stunden widerspiegelten. Sie hatten keine Ahnung wohin das Ganze noch führen sollte. Seufzend ließ Maxime seinen Rücken gegen das Kissen sinken. Er massierte sich den Nasenrücken und schüttelte erneut den Kopf. „Ich kann mir nicht erklären, wer das gewesen sein könnte. Natürlich gibt es viele Schulkameraden, die mich wegen meiner Erscheinung nicht mögen – aber es gibt niemand der mich...“ Er schluckte geräuschvoll. Es war seltsam wenn man so jung war, und schon über seinen Tod nachdenken musste. „... es gibt niemanden, der mich so sehr hasst, dass er mich umbringen möchte. Zumindest dachte ich das bis jetzt.“ „Was auch immer das für ein Jemand ist, und was auch immer ihn dazu bewegt hat, dich anzugreifen, er wird keine zweite Chance bekommen.“, verkündete Raphael mit todernster Stimme und ein mörderischer Zug machte sich auf seinem Gesicht breit. „Von nun an wirst du uns immer erzählen, wenn etwas Außergewöhnliches passiert. Du kannst Charlotte und mir vertrauen. Wir stehen hinter dir, Kumpel, egal was da alles noch kommen mag.“ Die nächsten paar Stunden vergingen wie im Fluge; um 16 Uhr kam eine aufgewühlte und schwer atmende Scarlett zur Türe rein gestürmt. Sie schnaufte wie ein Walross und hatte Maxime einen großen Koffer mit allen wichtigen Dingen von Zuhause mitgebracht. Obwohl sie Raphael und Charlotte bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gesehen hatte, verstand sie sich gut mit ihnen. Das hieß; Raphael schaute sie so an als ob er sie am liebsten fressen würde, und Scarlett ignorierte seine Blicke. Als sie die ganze Geschichte erzählt bekommen hatte, standen dem sonst so gefassten Mädchen die Tränen in den Augen. Seltsam, dachte Maxime und musterte Scarlett flüchtig von der Seite. Bildete er sich das nur ein, oder war sie in der letzten Zeit sehr labil geworden? Vor 3 Monaten war Maxime davon überzeugt gewesen, das Scarlett zu den wenigen Personen gehörte, die niemals weinten. Aber nun musste sich die Goldhaarige offenbar sehr zusammenreißen um nicht an ihren Kummer zu ersticken. Zwei Stunden später kam eine rundliche Krankenschwester mit dem Abendessen rein und warf Maximes Freunden einen fragenden und abwartenden Blick zu. „Der junge Mann möchte jetzt sicher in Ruhe essen. Ihr könnt ja morgen wieder kommen und ihn besuchen.“ Die Dame versuchte es mit einem freundlichen Lächeln, aber bei Raphael und Scarlett war sie schon dreimal unten durch. Die beiden schnappten sich angesäuert ihre Jacken und erhoben sich von den unbequemen Holzstühlen. „Wir telefonieren nachher noch ein bisschen“, sagte Raphael in einen provozierenden Tonfall, weil er wusste, dass die Schwester immer noch im Raum war und lauschte. „Ja, und ich schreibe dir eine Nachricht, wenn ich zuhause bin.“, verkündete Scarlett ebenso biestig. „Aber morgen kommen wir etwas früher und dann stören wir hoffentlich niemanden.“ Die Schwester machte ein langes Gesicht und murmelte etwas von „der heutigen Jugend.“. Aber Scarlett hatte Raphael mit ihren Worten offenbar schwer beeindruckt. Er schenkte dem Mädchen ein kleines Grinsen und so etwas wie Sympathie flackerte in seinen Augen auf. Die kommende Nacht war wie vermutet ziemlich lang. Natürlich konnte Maxime in der neuen und ungewohnten Umgebung nicht schlafen und wälzte sich von der einen auf die andere Seite. Schmerzen hatte er keine, aber seine Hände kribbelten wie verrückt! Eine halbe Stunde später gab Maxime den Kampf gegen das nervige Jucken schließlich auf. Resigniert griff er nach der Notfallklingel und drückte den kleinen, roten Knopf am Ende des Gerätes. Hoffentlich konnte ihm der Nachtdienst eine Tablette zum Einschlafen geben, dann hätte er wenigstens noch ein paar Stunden zum Ausruhen. So, danach hieß es erstmals warten. Maxime lehnte sich wieder nach hinten und holte tief Luft. Es kam ihn so vor, als vergingen die Minuten von da an nur noch im Zeitlupentempo. Seine Haut kribbelte immer mehr und kurz wurde Maxime schwarz vor Augen. Er musste ein paar Mal blinzeln und seine Stirn massieren, bis er wieder klar sehen konnte. Und dann durchfuhr es ihn wie ein Blitz. Er war nicht mehr alleine! Eine dunkle Gestalt saß neben seinem Bett auf einen Stuhl. Als sich ihre Blicke begegneten, erschien ein unauffälliges Lächeln auf den Lippen des Fremden. Es war kein freundliches Lächeln, aber auch kein Spöttisches. „Guten Morgen, Kleiner.“, murmelte der junge Mann, und zog seine Mundwinkel noch ein Stückchen höher. „Na, kannst du auch nicht schlafen?“ Diesmal musste Maxime nicht lange überlegen. Diesmal erkannte er den Jungen mit den goldenen Augen sofort. “Nathan!“, stieß er seinen Namen wie ein Schimpfwort über die Lippen. „Wie kommst du denn schon wieder hierher?“ „Durch die Türe? Wieso regst du dich so auf? Ich wollte dich nur sehen, oder ist das verboten?“ „Natürlich nicht! Aber hast du schon vergessen was du mir in der Diskothek an den Kopf geknallt hast? Du willst meine Freundin Scarlett umbringen! Sorry, aber unter diesen Umständen kann ich dich nicht mit offenen Armen empfangen!“ Über Nathans attraktives Gesicht huschte ein finsterer Zug: „Ach ja? Aber als du vorgestern mit mir geschlafen hast, hat dich das aber auch nicht gekümmert. Wieso jetzt auf einmal, hm? Bin ich nicht mehr interessant für dich?“ Hosted by Animexx e.V. 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