The Heart Collector von Gouda-kun ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1: Busfahrt mit Höhen und Tiefen --------------------------------------------------- Das rosahaarige Mädchen am Straßenrand seufzte resigniert, während sie ihren geliebten, mehrlagigen Tüllrock zwischen die Finger nahm und ihn notdürftig in die Länge zog. Es war Montagmorgen, 7. 15 Uhr nach der Europäischen Zeitrechnung und für diese Jahreszeit, erschreckend frisch und nass. Der Wind zog heulend durch die Ritzen der Häuser und trieb ein paar einsame Blütenblätter über den grauen Asphaltboden, bis sie schließlich in der Abflussrinne landeten und dort liegen blieben. Auch der Himmel war noch grau, wolkenverhangen und die Sonne ließ erst recht auf sich warten. Ihr fehlen, gab den müden Menschen auf der Erde noch einen zusätzlichen Schlag in die Magengrube. Ach...Was war das nur für ein beschissener Wochenstart!? „Ich hasse Montage...“ Grummelnd begann das Mädchen nun auch an ihrem Oberteil zu zupfen und bemerkte dabei gar nicht, die neugierigen Gesichter der anderen Schüler, die mit ihr zusammen an der Haltestelle standen und auf den Schulbus warteten. „In 3 Wochen ist der offizielle Sommerbeginn... und es fühlte sich so an, als würde der Herbst kommen...“ Maxime zog einen Schmollmund und warf einen flüchtigen Blick auf das kleine, mit Glitzersteinen verzierte Handy in ihrer Hand. Aber der Bildschirm zeigte weder die Benachrichtigung eines Anrufes an, noch die, einer erhaltenden Kurzmitteilung. Sogar WhatsApp schwieg an diesem Morgen beharrlich! Und dabei hatte sie Raphael gestern Abend doch noch einmal deutlich darauf hingewiesen, dass sie heute in der ersten Unterrichtsstunde den Geschichtstest schrieben, und er auf keinen Fall verschlafen dürfte, wenn er nicht grade mit einer Sechs auf dem Zeugnis am Ende des Halbjahres die 9. Klasse abschließen wollte... Normalerweise schickte er ihr nämlich immer einen Guten Morgen-Gruß. Das war doch... Arg!... wieder so Typisch Raphael! Am liebsten würde Maxime gleichzeitig anfangen zu weinen und zu lachen, wenn sie an ihren Klassenkameraden und zugleich besten Freund dachte. Gab es überhaupt EINEN EINZIGEN Tag an dem bei Raphael alles glatt lief? Einen Tag, an dem er nicht verschlief, zu spät kam, sein Frühstück vergaß, oder wie ein hysterisch, kreischendes Fangirl über den Pausenhof rannte um die gegenüberliegende Tankstelle zu erreichen, und seine Drogen in Form von Zigaretten zu kaufen? Bis jetzt hatte Maxime so was noch nie erlebt. Na gut... Wahrheitsgemäß musste sie zugeben, dass sie sich mit ihren Verhalten in den letzten Jahren auch nicht besser gemacht hatte. Immerhin versuchte Maxime seit knapp 3 Monaten ihrer Schule und dem gesamten Lehrpersonal des Gymnasiums weiß zu machen, dass sie WIRKLICH ein Mädchen war und kein Junge mit speziellen Neigungen. Die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen gepresst unterdrückte Maxime ein weiteres Seufzen; richtig erkannt. Biologisch betrachtet war Maxime nämlich gar keine SIE und auch kein Mädchen, sondern seit Geburt an ein ER und ein Mann! Ein Typ, der an sich nichts gegen seinen männlichen Körper ein zuwenden hatte, aber hin und wieder gerne in Frauenkleider schlüpfte und mit knallrot geschminkten Lippen, sowieso gefälschter Gucci-Tasche über die Straße ließ und der ganzen Stadt erzählte, das er Vaginalzäpfen zum Schreien fand. Maxime liebte Sarkasmus und Ironie nun mal fast so sehr, wie Seidenunterwäsche und Rüschenkleider... Ohne sie konnte er einfach nicht leben. Zu seinem Glück mochte man meinen, denn ohne seinen Humor hätte er sein „Hobby“ vielleicht schon lange aufgeben müssen, denn Menschen die etwas gegen Transvestiten oder Homosexuelle hatten, gab es leider immer noch zu Genüge. Vor allem in der Schule stellten sie ein hartnäckiges Problem für ihn dar. Aber Gottseindank war er nicht alleine denn Raphael stand immer an seiner Seite und zu zweit, trauten sich diese Schüler sowieso nicht so viel, als wenn sie einzeln gewesen wären. Obwohl Maxime nach außen hin gerne die coole Socke spielte, nahmen ihn die Angriffe der Mitschüler immer wieder aufs Neue mit. Bis jetzt hatte er Raphael zwar noch nichts von seinem Geheimnis erzählt, aber wenn sein bester Freund in bestimmten Situationen seine Ringe auszog und einen frechen Typen der sie beleidigt hatte, mit einen geraden Fauststoß zu Boden streckte, dann wusste Raphael sehr wohl was Sache war... Die Tatsache, dass Maxime gerne Frauenklamotten trug, war aber nicht das einzige Geständnis was er im Laufe seines Lebens ablegen sollte. Denn wie es das Schicksal so wollte, fühlte er sich der seit der Pubertät auch noch zu dem eignen Geschlecht hingezogen. Bis zu seinem dreizehnten Geburtstag vor 2 Jahren war er noch der Meinung gewesen, dass er nur auf Frauen stand, aber ein kleines, intimes Ereignis in der Jungenumkleide mit einen netten Klassenkameraden hatte seine gesamtes Weltbild auf den Kopf gestellt. Damit erfüllte er so ziemlich das Klischee der schwulen Tunte. Demnach konnte man Maxime ganz gewiss nicht als herkömmlichen Teenager bezeichnen. Andere Jungen schminken sich nicht, fanden Katzenbabys süß und bekamen eine mittelschwere Panikattacke, wenn einer ihrer Fingernägel abbrach - Maxime schon! Zu welcher Gruppierung man Raphael zählen sollte, wusste allerdings niemand so genau; Er trug zwar keine feminine Kleidung wie Maxime, aber für einen „normalen“ Mann hatte er eindeutig zu lange Haare und in Sachen Schminken und Tratschen konnte er locker mit ihren Klassenkameradinnen mithalten. Und das sollte bei der Klasse schon etwas heißen. Die Scheinwerferlichter von vorbeifahrenden Autos malten Schattenspiele auf die feuchte Straße und in den zirkulierenden Zigarettenqualm in der Luft. Sie schaufeln sich ihr eigenes Grab, dachte Maxime die Mundwinkel bis zum Boden hängend und schaute dabei flüchtig über die Schulter nach hinten. Da standen sie alle. Mitschüler, Klassenkameraden, Fremde, Berufspendler und beobachteten ihn im Stillen. Da Maxime sein Hobby nicht erst seit gestern ausübte, hatte er sich schon lange an die neugierigen Blicke der Leute gewöhnt, und solange es nur bei Blicken blieb, störte ihn das auch gar nicht. Aber wenn sie anfingen ihn zu ärgern oder eine flapsige Bemerkung machten, wuchs der Groll gegen die vermeidlichen Hasser. Trotzdem konnte er seine Wut meistens zügeln und die negative Situation verlassen, ohne dass es zu einem Streit kam. Im Gegensatz zu seinem besten Freund, verabscheute Maxime nämlich körperliche Gewalt. Wenn es dann letzten Endes doch Konflikte gab und die Lage zu eskalieren drohte, kämpfte er lieber mit seinem Verstand, anstatt mit seinen Muskeln. Das ganze aggressive Getue der heutigen Jugend war ihm zuwider, und passte auch gar nicht zu seiner Lebensphilosophie. Und mit dieser Einstellung, hatte Maxime bisher schon die eine oder andere Schlacht für sich entschieden. Vielleicht sollten sich auch noch ein paar andere Leute seine Strategie abgucken... Gewalt führte zu Gewalt. Es war einfach ein Teufelskreis, dem die wenigstens Menschen entkommen konnten. Mit einen leisen Zischen wendete Maxime den Kopf ab und checkte noch einmal sein Handy auf neue Nachrichten, doch leider meldete sich keiner bei ihm: Weder Raphael und ebenso keine Scarlett... Mist... Dann hatte der Typ also wirklich verschlafen! Normalerweise wäre er nämlich schon lange hier gewesen und nun würde es wirklich eng für ihn werden, da der Bus meistens zu früh kam, als zu spät. Also konnte Maxime nur eines tun um das nahende Chaos zu verhindern... ... Er suchte in seiner Kontaktliste die Handynummer seines besten Freundes raus und drückte langsam die grüne Taste, während er das Gerät an sein Ohr führte. Ein paar Sekunden hörte Maxime nur das übliche Tuten auf dem anderen Ende der Leitung, dann klickte es plötzlich leise und ein raue Stimme löste das Geräusch ab. „Ja...“, brummte sie noch schlaftrunken in den Hörer. „Wo bist du?“, fragte Maxime sofort und schnaufte genervt. „Liegst du immer noch im Bett? Guck mal auf die Uhr, wie spät es schon ist!“ „Hä? Was ist los? Steckst du in Schwierigkeiten?“, murmelte die Person leise und gähnte kurz. Maxime schmunzelte. Er war es schon gewohnt das Raphael mal gerne die eine oder andere Frage übersprang: „Ich nicht. Du aber bald.“ „Warum? Warte mal...“ Nun klang Raphael doch ein wenig skeptisch und Maxime hörte im Hintergrund etwas quietschten, wahrscheinlich die Matratzen unter seinem Körper, und dann war es plötzlich leichenstill. „Scheiße...“, zischte er nur als er den leisen Fluch über die Lippen stieß. „Oh Scheiße... Ich muss schon wieder den Wecker überhört haben, Fuck ey! Ich hasse dieses beschissene Teil!“ Maxime legte die Stirn in Falten und betrachtete den Verkehr aus dem Augenwinkel heraus. „Jetzt schieb´ doch nicht die Schuld auf die Technik... Dein Wecker kann auch nichts dafür, dass du so tief wie ein Stein schläfst. Wenn du dich ein bisschen beeilst, dann bekommst du noch den nächsten Bus und schaffst es fast noch rechtzeitig zum Unterricht. Also, raus dem Bett und geh dich anziehen.“ „Heh! Ich bin schon lange im Bad, du Klugscheißer!“, murmelte Raphael gehetzt und merklich aus der Puste. „Warum hast du mich nicht früher anrufen?! Jetzt kann ich gucken wie ich in 15 Minuten fertig werde. Danke aber auch!“ „Woher soll ich wissen, das du schon wieder verschlafen hast?“ Maxime verdrehte die Augen und musste sich doch ein kleines grinsen verkneifen. Raphael war immer so schön gereizt wenn er verschlafen hatte und nicht wie sonst immer rumtrödeln konnte. „Bist du wieder die ganze Nacht aufgeblieben und hast gezockt, oder irgendwelche Filme geschaut?“ „Gesokt.“, lautete Raphaels schnelle, aber etwas undeutlich gesprochene Antwort. „Sorry – isch putze miir grade die Zähne.“ Danach ertönte das Geräusch von fließenden Wasser und für einen Moment lang, konnte Maxime nichts mehr von seinen besten Freund hören. „Hat es sich denn wenigstens gelohnt?“, fragte der Rosahaarige nach ein paar Sekunden und machte geistesgegenwärtig einen Schritt zurück, da grade eine Junge und ein Mädchen mit den Fahrrad an ihm vorbei schossen. Er konnte sehen, wie der Junge breit grinste als der Zugwind Maximes Faltenrock anhob, aber dieser war schneller, und drückte den Stoff mit der Hand zurück nach unten. Schließlich wollte er nicht verantworten müssen, dass der arme Kerl auf dem Rad den Schock seines Lebens bekam und vor lauter Panik gegen den nächstens besten Laternenpfeiler knallte. Da begann Raphael zu lachen – natürlich ohne Mundinhalt - und summte leise vor sich hin. „Und ob! Mein Sumpex hat die Top 4 volle Kanne in den Boden gerammt. Gegen mein Team hatten diese Loser nicht den Hauch einer Chance.“ „Ah, Cool! Dann hast du also an Pokemon-Rubin weiter gespielt? Jetzt bist du aber bald am Schluss angekommen, oder?“, fragte Maxime heiter. Er konnte sich noch genau daran erinnern, wie sie am Samstag vor zwei Wochen bei Raphael zuhause aufgeräumt hatten, und dabei ganz zufällig auf eine alte Kiste stießen, in der sich Raphaels alter, ziemlich ramponierter Game Boy Advance SP befand, sowie mehrere Spiele. Darunter war dann auch die Rubine Edition von dem Spielehit- Pokemon gewesen. Und die spielte sein bester Freund nun schon seit 14 Tagen wie ein Irrer. Maxime wusste aber nicht so genau, ob ihm die Edition jetzt wirklich Spaß machte, oder ob Raphael einfach nur beweisen wollte, dass er es auch nach so vielen Jahren Pause immer noch drauf hatte. Irgendwie tippte Maxime auf die letztere Variante. „Ja genau, und ich habe mir auf der Siegesstraße sogar ein Flunkifer gefangen. Ich liebe dieses Pokemon einfach! Aber da ich die Top 4 nun besiegt habe, ist jetzt der Champ an der Reihe, und seine Stahl-Pokemon haben mir bis jetzt immer den Arsch aufgerissen. Alter, vor allem dieses Metagross macht mich fertig. Kannst du mir mal sagen, warum solche Overkills immer am Ende dabei sein müssen? In der Roten Edition war es dieser Gary und sein Turtok, in der silbernen Edition kam dann Siegfried mit seinen gefühlten 5000 Dragoranen um die Ecke, und jetzt ist es fucking Troy!“ „Hey!“, zischte Maxime und verengte seine Augen zu kleinen Schlitzen, während er die Hand für eine Drohgebärde in die Luft warf. „Nichts gegen Siegfried, ja! Der Typ war der heißeste Kerl im ganzen Spielverlauf. Außerdem hatte er zwei Dragonir im Team, keine zwei Dragoran, du hohle Nuss! Und zu deiner jetzigen Lage... ich habe dir doch von Anfang an gesagt, das es besser ist, wenn du Flemmli als Starter-Pokemon nimmst, anstatt Hydropi. Mit einem so starken Feuer-Pokemon im Team wie Lohgock würde dir so ein Gegner wie Troy keine Angst machen.“ „Oh Mann. Du und dein Siegfried... Schade das du ihn damals nicht auf ein Date einladen konntest, huh? Dann hättet ihr euch in der Siegeshalle zur Feier des Tages gegenseitig die Pokeflöte blasen können.“, murmelte Raphael sarkastisch und Maxime konnte sein gemeines, überhebliches Grinsen genau vor seinem geistigem Auge sehen. Errötend knabberte er an seiner Unterlippe. Ja, der Camp Siegfried aus der den früheren Pokemon-Spielen war für Maxime schon ein heikles Thema. Es wäre gelogen wenn er abstritt, dass er den rothaarigen Trainer damals nicht sehr attraktiv gefunden hatte. „Und was willst du schon mit Flemmli groß anfangen?“ Raphael stöhnte genervt. „Das ist noch nur was für Mädchen, dieses kleine Hühnchen hat doch nichts auf den Kasten. Im Vergleich zu dem Küken da, war Glumanda aus der ersten Generation ein richtiges Phänomen – und wenn es dir da nicht schon den Kopf abgerissen hat, dann hat es spätestens Glurak getan. Junge, DAS war noch ein Feuerpokemon mit Stil! Dagegen können die neueren Pokemon wie Feuerigel und Flemmli aber echt einpacken. Für mich gibt es kein besseres Pokemon als Glurak.“, führte er seine Ansprache fort und auf seiner Seite der Leitung wurde es plötzlich ziemlich Laut, da er grade den Föhn einschaltete. „Scheiße nein, was redest du da für einen Unsinn?!“ Fluchend rammte Maxime seinen Fuß gegen einen Stein und schoss das unschuldige, arme Ding wie eine Pistolenkugel einmal quer über die Straße. Glücklicherweise fuhr in diesem Moment kein Auto an ihm vorbei, ansonsten hätte es ziemlich hässlich für ihn ausgehen können. „Feuerigel und Flemmli finde ich grade noch cool. Alle Pokemon die danach kamen sind Scheiße, aber über die zweite und dritte Generation kann man wirklich nicht meckern. Du hast keinen Geschmack! Auf keinster Weise!“ „Alter!“, knurrte Raphael in den Hörer, aber dann seufzte er plötzlich leise und schnalzte mit der Zunge. „Maxime? Weißt du was? Wir sind voll die Freaks. Es ist noch nicht mal 8 Uhr und schon haben wir nichts besser zu tun, als über Pokemon zu diskutieren. Was soll das bloß geben, wenn wir uns nachher in der Schule sehen?“ „Wahrscheinlich reden wir dann über Dragon Ball. Oder über Detektiv Conan.“ Auch Maxime musste nun seufzen und schielte kurz auf seine Armbanduhr. Huch, es waren ja schon wieder 8 Minuten vergangen! Die Zeit lief und er war gewillt das Raphael sie auch sinnvoll nutze. „Hey. Wie weit bist du? Wenn du den nächsten Bus erwischen möchtest, würde ich jetzt mal so langsam los gegen. Schließlich musst du auch noch ein Stück laufen, bist du die Haltestelle erreicht hast, und dann...“ Ein Keuchen entglitt Raphaels Kehle und er verdrehte im Stillem die Augen. „Boor Maxime, nichts für Ungut ja, aber du bist nicht meine Mutter! >Mach dies, mach das. Und das hier ist sowieso Kacke.< Ich bin alt genug und weiß was ich zu tun habe. Ich bin ein ganzes Jahr älter wie du, aber trotzdem hängst du mir ständig wie eine Glucke im Nacken. Das kann doch nicht normal sein, Mann, eigentlich wäre das meine Aufgabe und nicht deine! So langsam kann ich verstehen wieso du schwul geworden bist und Kleider trägst. In dir steckt wohl doch eine echte Frau.“ „Ha! Damit könntest du sogar recht haben.“ musste Maxime seinem besten Freund zustimmen und kicherte leicht in sich hinein. Auch wenn es nur die wenigstens glaubten wollten, aber Raphael besaß entgegen seiner manchmal doch recht groben Lebenseinstellung eine große Menge Empathie und behielt in den meisten seiner Aussagen und Ansichten zu bestimmten Situationen recht. Nur war bisher noch niemand auf ihn aufmerksam geworden. Raphael hatte es schon immer verstanden, was er machen sollte, um seine wahre Natur unter einer dicken Schale aus Sorglosigkeit und dummen Sprüchen zu verbergen. Doch leider war Raphael viel zu faul um seine Intelligenz in den richtigen Momenten einzusetzen, was sich wiederum besonders stark auf seine schulischen Leistungen auswirkte. „Aber bei so einen Chaoten wie dir, ist so ein kleiner Mutterkomplex doch was ganz Nützliches.“ Maxime lächelte bei diesen Worten liebevoll und wenn Raphael wüsste, was er so über ihn dachte, würde er ihn das bis zu seinem letzten Atemzug unter die Nase reiben. Mit Sicherheit. Ach, der arme Raphael hatte doch keinen blassen Schlimmer was er mit seiner Lernfaulheit alles kaputt machte – und darum hatte es sich Maxime auch zur Lebensaufgabe gemacht, den Kerl mit beiden Füßen durch das Gymnasium zu treten. „Ohne mich, hättest du schon viele wichtigen Dinge in deinem Leben vergeigt oder vergessen! Sei doch lieber froh das du jemanden hast, der sich so gut um dich kümmert!“ „Das bin ich doch auch, Schätzchen. Ich weiß ja das du es im Endeffekt nur gut mit mir meinst.“ Ein leichtes Frösteln konnte Maxime bei Raphaels Satz nicht unterdrückten, dafür war ein Lob aus seinem Mund zu unwirklich, und viel zu leicht daher gesagt. Wenn Raphael jemanden seinen Respekt entgegen bringen wollte, dann zeigte er dies mit Taten und nur selten mit Worten. „Ist klar. Fast hätte ich dir dein Lob abgekauft, aber nur fast.“ Summend schaute Maxime die Straße runter, aber er konnte seinen Schulbus weder sehen, noch hören. Also konnte er noch ein paar Minuten telefonieren, bevor das Geplänkel im Bus wieder los ging und sich alle Schüler auf die wenigen Sitzplätze stürzten. „Na. Sagst du mir jetzt ob du endlich fertig bist?“ „Ja ja, immer mit der Ruhe. Ich bin fast soweit und stehe theoretisch gesehen schon mit einem Fuß im Treppenhaus.“, erwiderte Raphael kühl. Er schenkte seinem Spiegelbild ein letztens, strahlendes Lächelns und ignorierte dabei die Tatsache, dass es nicht bis zu seinen Augen reichte. Ja, ein strahlendes Lächeln war schon immer seine Geheimwaffe gewesen. Solange er nur lächelte und einen auf heile Welt machte, konnte Raphael selbst den Scharfsinnigsten unter den Menschen ein Schnippchen schlagen. Ach ja... was waren diese Kreaturen doch einfach zu blenden. Einer so feinfühligen Person wie er es war, wäre so ein wichtiges Detail wie ein falsches Lächeln sofort ausgefallen. „Ich bin jetzt soweit.“, sagte Raphael als er nichts mehr von Maxime hörte und schnappte sich im Vorbeigehen seine Jacke. „ Alles klar, ich lege jetzt auf und mache mich auf den Weg zur Bushaltestelle, okay? Wir sehen uns später in der Schule und danke für den Arschtritt, Kleiner.“ „Schon gut, schon gut. Gib einfach Gas und sieh zu das du endlich aus dem Haus kommst.“, meinte Maxime ungeduldig und machte mit der Hand eine wegwerfende Geste, auch wenn ihm bewusst war, das Raphael diese durch den Hörer gar nicht sehen konnte. „Mein Bus müsste jetzt auch jeden Moment kommen... also, bis gleich.“ „Ja, bis gleich.“ Maxime wollte das Gespräch grade beenden, doch ein lautes „Maxime! Warte mal.“ ließ ihn in seiner Bewegung inne halten. Blinzelnd schaute er auf seine Hand und führte das Handy dann zurück zu seinem Ohr. „Ja? Was ist noch?“, fragte er verwundert, aufgeschreckt, von dem alarmierten Klang in der Stimme seines besten Freundes. „Ich...“, Raphael öffnete den Mund ein paar Mal, doch kein Ton verließ seine Lippen. Er wusste nicht genau was er sagen sollte, aber irgendwie hatte er gerade das dringende Bedürfnis bei Maxime zu sein oder zumindest nicht zu wollen, dass er auflegte. Irgendwas lag in der Luft und dieses Irgendwas machte ihn schrecklich nervös. „Raphael?“ Die Verwunderung konnte man Maxime genau anhören. Er zog die Augenbrauen zusammen und lauschte in die Stille hinein. Aber sein Gesprächspartner schwieg wie ein Grab. „Hey, was wolltest du sagen? Ich, irgendwas?“ „Ich will dass du auf dich aufpasst!“, sagte Raphael plötzlich energisch, die Stimme ernst und gebieterisch. Ihm entwich in Gedanken daran ein dunkles Knurren. Er hasste es wenn er Maxime Befehle erteilen musste, aber so war es nun einmal. Sein Bauchgefühl hatte Raphael noch nie getäuscht, und wenn er das Gefühl bekam, Maxime vor etwas warnen zu müssen dann entpuppte sich dieses Gefühl hinterher immer als goldrichtig. „Versprich mir, das du im Bus keine Dummheiten machst. Und wenn dich wieder irgend so ein Bastard blöd anguckt oder anlabert, dann machst du ein Foto von ihm und zeigst es mir später in der Schule.“ „Uh, da ist aber jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden. Kommen da etwa die Vaterkomplexe in dir hoch?“ Belustigt grinste Maxime und versuchte möglichst kühl zu klingen. Aber in Wahrheit verursachte Raphaels jähe Warnung ein eigenartiges Kribbeln in seinem Bauch. Die Angst, dass sein bester Freund wie schon so oft die seltene Gabe besaß kritische Situationen meilenweit gegen den Wind zu riechen, stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Ich fahre nur 20 Minuten mit dem Bus. Was soll denn da schon viel passieren?“ „Oh oh... Sag das nicht, Maxime.“, warnte Raphael zähneknirschend. „Das sind Sätze, worauf in Filmen immer irgendetwas Schlimmes mit den betreffenden Personen geschieht.“ „Dann guckst du eindeutig zu viele Filme.“ Knurrend schüttelte Maxime seinen Kopf und versuchte so die lächerliche Panik los zu werden. Auch wenn Raphaels Eingebungen oft erschreckend genau eintrafen, war das noch lange kein Grund, um die Nerven zu verlieren! „Aber ja, ich passe schon auf das mich niemand im Bus umbringt. Dir zu liebe. Also kannst du ganz beruhigt sein.“ Raphael schnaubte, doch diesmal klang es nicht wie ein unterdrücktes Lachen, sondern eher wie ein... ein... ein Fauchen? „Das will ich dir auch nur raten.“, meinte er eisig und genoss das Gefühl der inneren Befriedigung, als er hörte wie Maxime für eine Sekunde erschrocken die Luft anhielt. Fünf Jahre auf diesem Gymnasium, wo Mobbing und ein zwielichtiges Geschwistergespann den Ton vorgaben, mussten schließlich für etwas gut sein und wenn nur um sich abzuschauen wie solche Leute ihren guten, beziehungsweise schlechten, Ruf behielten. „Na, da sind aber mehr Gefühle im Spiel als nur harmlose Vaterkomplexe.“, sagte Maxime in einem Ton, als würde er Raphaels seltsamen Stimmungswandel auf das genauste verstehen. Das tat er aber nicht, doch das musste wiederum keiner wissen. Ein vor Empörung getränktes Seufzen, konnte Raphael in diesem Moment nur schwer zurück halten. Natürlich wollte er Maxime mit seinem Gefühl nicht verängstigen, aber er verlangte dennoch dass diese Ahnung ernst genommen wurde. „Nimm es einfach an, Maxime. Irgendwie habe ich ein ganz komisches Gefühl im Magen, wenn ich daran denke, dass du gleich alleine im Bus sitzt. Sei einfach ein bisschen vorsichtiger als sonst.“ „Vorsicht ist mein zweiter Vorname.“, verkündete Maxime trocken und schnitt eine kleine Grimasse. Darin war er schließlich Weltmeister, an vorsichtig sein musste ihn niemand erinnern. „Also, war es das nun mit deinem Kopf-Kino, oder möchtest du mir noch etwas sagen? So langsam würde ich nämlich mal gerne auflegen. Sonst ist mein Handyakku in der Schule nachher leer.“ Raphael gab ein gequältes Schnauben von sich. „Wie rührend... Ich glaube, du hast grade einen neuen Höhepunkt des Charmes erreicht. Mein bester Freund scheint ja unglaublich viel Wert auf meine Bedenken zu legen, wenn er mich so schnell loswerden möchte. Ich bin zutiefst beeindruckt.“ Das betretene Schweigen, das daraufhin in der Luft hing, griff mit eiskalten Fingern nach Maximes Herz und quetschte es erbarmungslos zusammen. Das aufkeimende Gefühl der Schuld brachte ihn rasch in die Wirklichkeit zurück. „Tut mir leid, Raphael, so war das nicht gemeint. Natürlich finde ich deine Ratschläge wichtig, und würde niemals an ihnen Zweifeln. Das warf nur so daher gesagt.“ „Hoffentlich meinst du es auch wirklich so, wie du es grade gesagt hast.“, stellte Raphael die Situation klar und zog wenig elegant seine Nase hoch. „Gut, dann war es das nun von meiner Seite aus. Ich gehe jetzt los und gucke dass ich den zweiten Bus bekomme. Tschüss Kleiner.“ „Tschüss Großer.“ erwiderte Maxime leise und mit diesen letzten Worten legte er schließlich auf. Für einen kurzen Augenblick behielt er das Handy noch in seiner Hand, starrte es an, und stopfte das Gerät dann es zurück in seine Brusttasche. Leider besaß sein Rock keine Seitenfächer und die seiner Jacke waren zu klein für große Gegenstände, deshalb musste er es in die Tasche seiner Bluse stecken. Das sah seiner Meinung nach zwar ziemlich bescheuert aus, aber es bildete nun mal das Mittel der Wahl. Nun, nachdem Maxime seine Ruhe hatte, erschien ihm Raphaels Aussage immer absurder. Warum beunruhigte es seinen Freund so sehr, ihn alleine zu lassen? Eigentlich war Raphael selbst derjenige, der sie immer wieder in Schwierigkeiten brachte, weil er sein Temperament nicht in den Griff bekam, sobald jemand Fremdes sie aufgrund ihrer Erscheinung beleidigte. Maxime hingegen behielt in solchen Stresssituationen immer einen kühlen Kopf. Er war immer ruhig, er konnte die meisten Konflikte mit ein paar Simplen Worten lösen. Und Raphael irgendwie nicht. Bei ihm flogen sofort die Fäuste wenn es ungemütlich wurde. Es war ja nicht so, dass sein bester Freund generell zu Gewalt neigte, aber wenn es etwas gab, was Raphael so richtig reizte, dann waren es dumme Kommentare von noch dümmeren Leuten. Ansonsten gehörte Raphael wirklich nicht zu den Menschen die sich gerne prügeln. Die meiste Zeit war er ausgeglichen, verstand Spaß und konnte ziemlich schlagfertig sein. Aber Gewalt? Nein, darauf griff er erst in Ausnahmesituationen zurück. Auf der anderen Straßenseite wurde es plötzlich ziemlich unruhig und die Jugendlichen die dort standen um nicht Mittel im Trubel zu sein, rannten plötzlich über die Straße. Maxime musste nicht erst den Kopf drehen um zu wissen, dass der Schulbus grade in Sichtweite gekommen war und ihre Haltestelle ansteuerte. Automatisch machte er einen kleinen Schritt nach vorne, strich eine Haarsträhne aus seine Augen und wartete bis das Gefährt am Bürgersteig anhielt. Unruhig wippte er in einen undefinierbaren Rhythmus von einen Fuß auf den anderen, während er die Eingangstüre anstarrte und hoffte, dass sie bald aufschwang. Da der Bus sehr günstig zum Stehen gekommen war, stand er direkt vor der Türe und mit ein bisschen Glück konnte er für die kommende Fahrt sogar einen Sitzplatz ergattern. Maxim seufzte zum wiederholten Mal und fuhr mit den Handrücken über seine Wange, bevor sich blaue Augen öffneten und ein selbstsicheres Lächeln auf seinem Mund erschien. Er konnte ein angenehmes Kribbeln auf der Haut spüren, als die warmen Abgase seine nackten Beine streichelten. Kurze Zeit später schwangen die Türen des Busses auf. Jetzt konnte der Kampf beginnen! Er verdrängte Raphaels Warnung und ging in Angriffsstellung. Maxime schultere seine Umhängetasche und drängelte sich geschwind aus der Menschentraube heraus und entdeckte ganz wie erhofft einen Sitzplatz in der Mitte. Sofort eilte er zu dem Sitz, doch plötzlich stieß er auf dem Gang mit jemanden zusammen und ein kurzes Poltern ließ ihn erschrocken innehalten. „Oh!“, entfloh es Maxime vor Überraschung und er machte rein aus Reflex eine rasche Handbewegung, um nach den Arm des Jungen oder des Mädchen zugreifen, und ihn oder sie notfalls vor einem Sturz zu bewahren. Aber entgegen aller Erwartungen stand die Person so fest wie eine Statue auf den Beinen. „Hey! Hast du deine Brille vergessen, oder was?!“, zischte der Junge, mit dem Maxime zusammen gestoßen war, jedoch unfreundlich und schlug seine Hand zur Seite. Der Typ senkte seinen Kopf und strich sich eine pechschwarze Haarsträhne aus den funkelnden Augen, während er sein Gegenüber von oben bis unten musterte. Frostig zog er seine Augenbrauen zusammen. „... wenn ich mich nicht irre, und das tue ich selten, dann bekommst du gleich ein ernsthaftes Problem, Mädchen.“ Unsicher machte Maxime einen Schritt nach hinten und tat es dem Fremden gleich, indem er den Blick flüchtig über ihn fahren ließ. Der Dunkelhaarige Junge war sicher ein ganzes Stückchen Älter und überragte ihn um mindestens 20 Zentimeter. Er wirkte athletisch und besaß einen beneidenswerten Körperbau, mit dem er sich schamlos in jedem Modelmagazin zeigen konnte. Einfach nur perfekt. Genauso wie sein Gesicht. Dort gab es keine Pickel, keine Rötungen, keine Narben, nur makellose Eleganz. Für sein Alter war der Junge groß gewachsen, schlank und hatte wie er erkennen konnte, einen sehr blassen Teint. Für Maxime sah die Haut jedoch eindeutig zu blass aus und die Augen, welche ihn immer noch kühl betrachteten, konnten auch keinen gewöhnlichen Ursprung haben. Sie wiesen eine unnatürlich spitze Form auf, und waren zudem auch noch zweifarbig. Ugh, hieß das jetzt Willkommen in der Freakshow oder was? „Entschuldigung...“, nuschelte Maxime also und senkte schnell seinen Blick auf die Schuhspitzen. Zwar war er den Männern in seiner Altersklasse rein körperlich betrachtet weit unterlegen - klardefinierte Muskeln sahen seiner Meinung nach verboten in Rüschenkleider aus - aber Maximes scharfes Mundwerk hatte ihm schon öfters den Hals gerettet. Doch heute konnte er nichts von seiner vermeintlichen Schlagfertigkeit spüren. In Wahrheit, war ihm beim Anblick des dunkelhaarigen Adonis sogar das Herz in die Hose gerutscht. Und dabei wurde er das komische Gefühl nicht los, dass er ihn von irgendwo her kannte. „Ich habe dich nicht gesehen, tut mir wirklich leid.“ „Ja, das habe ich auch bemerkt!“, fuhr ihn der junge Mann schon wieder an und perlweiße Zähne funkelten wie kleine Speere im Licht auf. Die mühsam gespielte Selbstsicherheit begann in großen Stücken von Maxime abzubröckeln und nur ein schmächtiger, verängstigter Junge blieb von ihm übrig der nicht genau wusste, wohin er zuerst schauen sollte. Auf den Boden, oder in das Gesicht des Typen? Am besten machte er sie sofort zu und sah gar nichts mehr! „Du kannst froh sein, das ich mein Handy nicht fallen gelassen habe. Das hätte Konsequenzen gegeben, das schwöre ich dir so wahr wie ich hier stehe.“ zischte der ältere Schüler weiter und starrte Maxime hasserfüllt an. „Und jetzt sieh zu das du Land gewinnst und mir aus dem Weg gehst. Alter, was gehen mir diese frechen Blagen doch auf den Sack! Fuck Montag, ey! Ich merke schon, das wird heute nicht mein Tag...“ Schnell sprang Maxime zur Seite und der Schüler rauschte wie ein Tornado an ihm vorbei. Zurück blieb nur ein verstörter Junge in Tüllrock und Bluse, der nach wie vor ein wenig unter Schock stand und der lebenden Naturgewalt verwirrt hinterher schaute. Abrupt legte er den Kopf in den Nacken, seine blauen Augen waren groß und weit vor lauter Konzentration geworden. Irgendwo hatte er diesen Typen doch schon mal gesehen... Aber er wusste nicht mehr Wo! Seine Schultern spannten sich an und auch sein restlicher Körper versteifte augenblicklich. Die Ahnung, das der Macho seine Drohung vorhin ernst meinte, erschien Maxime noch nicht einmal so abwegig. Wenn er Pech hatte, würde ihn der Junge in Zukunft auch noch auf den Kieker haben. Und so wie er ihn angeschnauzt hatte, schien er es wohl gewohnt zu sein die Macht zu haben, und seinen Willen zubekommen. Doch... Es war egal was der Junge für eine arrogante und ungehobelte Aura ausstrahlen mochte, es wäre grotesk ihm ins Gesicht zu blicken, ohne wenigstens einmal an das Wort >schön< zudenken. Es dauerte einen Augenblick bis Maxime seinen Körper wieder unter Kontrolle hatte und den Trancezustand abschütteln konnte. Als er nochmal nach den Schwarzhaarigen schauen wollte, bemerkte er, dass der Junge in der letzten Reihe Platz genommen hatte und mit einigen Mädchen aus der zwölften Klasse beschäftigt war. An die Art wie sie ihn anschauten, wurde Maxime plötzlich bewusst, dass er offenbar zu den beliebten und coolen Schülern gehörte, denn die Mädchen sahen auch aus als wären sie angehende Topmodels. Dabei meinte Maxime diese Bezeichnung noch nicht einmal negativ. Ihre Augen waren dick mit schwarzen Kajal umrandet, die Lippen der Meisten in ein sattes Rot getaucht und irgendwie erinnert Maxime dieses Make-up an sein Eigenes. Er fand die Mädchen wirklich hübsch, aber als Homosexueller konnte er ihrem Charme einfach nichts abgewinnen. Außerdem forderte der freche Kerl neben ihnen sowieso Maximes Hauptaugenmerk ein. Im Vergleich zu IHM, konnten die Mädels wahrhaftig einpacken. Vor allem seine überhebliche Art - oder grade eben seine überhebliche Art- hatte es dem 15-Jährigen Jungen total angetan. Maxime mochte schon immer dominante Männer und dieses Exemplar schien ein ganz besonderer Fang zu sein! Normalerweise geriet er für niemanden so leicht ins Schwärmen, aber der Typ bildete die große Ausnahme. Er besaß einfach diese außergewöhnliche Ausstrahlung, die nur wenigen Männern anhaftet: Ein Blick in seine glühenden Augen konnte das Herz jeder Frau schmelzen, ein einziges Wort aus seinem göttlichen Mund genügte, und schon würde ihm die halbe Welt zu Füßen liegen. War das das Phänomen was man zu beschrieben versuchte, wenn man von dem Wort Charisma sprach? Diese kleine, aber entscheidende Prise verlieh dem Jungen das gewisse Etwas. Mit diesen Gedanken im Kopf ging er zu dem „erkämpften“ Sitzplatz und ließ sich in die dunkelroten Polster des Sessels fallen. Bah, was war ihm plötzlich elend zu Mute! Sollte dieser blöde Raphael letzten Endes doch recht behalten und Maxime Schwierigkeiten bekommen? Na, das war schon falsch! Er dachte in der Vergangenheitsform, bekommen, dabei er hatte dem Problem schon lange von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden. Arg, warum wusste er nicht wie dieser unhöfliche Penner hieß? Dann hätte er ihn bei Raphael anschwärzen können...! In dem Moment wo der Knallkopf Maxime angeschaut hatte, fühlte sich sein Innerstes wie Eis an. Als würde eine unsichtbare Macht alles an Wärme aus seiner Seele ziehen und er selbst, sein ganzer Körper, durch ein Becken mit spitzen Nadeln geschliffen werden. Einen Augenblick später spürte Maxime die Vibration des Motors und der Schulbus setzte sich träge in Bewegung. Hmm, Komisch. Aber es passierten trotzdem nicht jeden Tag, dass man einen so attraktiven Mann schon am frühen Morgen begegnete. Die meisten Bekanntschaften knüpfte er sonst erst zu den späten Abendstunden in seiner Lieblings-Diskothek und nicht morgens im Schulbus. Zum Glück hatte ihn der Kerl mit seiner rüden Art aber sofort auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und damit vom Sabbern abgehalten! Automatisch zog Maxime die Unterlippe in seinen Mund und bearbeitete sie nachdenklich mit den Schneidezähnen. Okay, so langsam wurde die Geschichte peinlich. Er himmelte einen fremden Kerl an, der ihn fast über den Haufen gerannt hatte, rüberkam wie das letzte Hetero-Arschloch auf Erden und jetzt wahrscheinlich auch noch schlecht auf ihn zu sprechen war. Das waren nicht gerade die besten Voraussetzungen um eine tiefgreifende, seelische Verbindung zu einander aufzubauen. Aber Angst verspürte Maxime trotzdem keine. Auch wenn er auf den ersten Blick wie ein kleiner, schmächtiger Drei-Käse hoch wirkte- als Mann war er nur 165 cm groß- sollte man ihn besser nicht unterschätzen. Wenn er wollte, und erst recht wenn er angepisst war, entwickelte Maxime Bärenkräfte und bekam ordentlich Power in den Armen. Er fischte sein Handy aus der Hosentasche und sah wie ein kleines, digitales Briefchen auf dem Bildschirm erschienen war, als er die Uhrzeit überprüfen wollte. Huch, dachte Maxime und vertrieb schnell die Gedanken an den Typen in der letzten Reihe aus seinen Kopf. Mit einer simplen Berührung öffnete er den Nachrichten-Speicher und das erste was ihm ins Gesicht sprang, war der Name des Absenders. Scarlett Nemesis. Dann folgte das übliche Gefühl von bleierner Schwere in seinem Magen, was er immer bekam, wenn Scarlett sich überraschenderweise bei ihm meldete. Scarlett war nicht einfach nur ein Mädchen was er kannte oder gerne hatte, sondern seine kalte, spießige Mitbewohnerin, die normalerweise nur ihn Ausnahme-Situationen Kontakt suchte und Maxime ansonsten links liegen ließ. Sie lebten erst seit 11 Wochen zusammen unter einem Dach und das noch nicht einmal freiwillig. Aber Scarlett, wie sowohl auch Maxime hatte eine Sache gemeinsam; beide waren Waisenkinder. Bis vor kurzen hatte er noch in einem gewöhnlichen Kinderheim gelebt und war dort eigentlich auch ziemlich glücklich gewesen, aber eines Tages kam die Dame vom Jugendamt auf ihn zu und fragte, ob er Lust hätte an einem neuen Projekt teilnehmen. Natürlich hatte Maxime Lust darauf, denn zugleich erklärte sie ihm, dass er dabei in eine gestellte Wohnung von der Stadt ziehen dürfte. Und Maxime konnte so glücklich im Waisenhaus sein wie er wollte - eine eigene Wohnung übertrumpfte Alles. Er erinnerte sich noch genau daran, dass er die kommende Nacht vor Aufregung gar nicht schlafen konnte. Maxime war in dieser Nacht so furchtbar nervös gewesen, dass seine Finger einfach nicht aufhören wollten zu zittern. Allerdings sollte ihm die Euphorie schon bald wieder vergehen... Nur zwei Wochen später hatte die Verwaltung alle nötigen Maßnahmen in die Wege geleitet, um das Projekt ins Leben zu rufen. Das Protokoll war geschrieben und abgeschickt, das alte Mehrfamilienhaus am Waldrand gekauft und für gut befunden. Nach gründlicher Prüfung und Abwägung finanzieller und gesellschaftlicher Verhältnisse waren die Ämter zu dem Schluss gekommen, dass das Projekt einen positiven Einfluss auf die jungen Erwachsenen haben würde, und gab dem Leiter des Waisenhauses sein Einverständnis. So, und dann kam der lang ersehnte Tag an dem Maxime endlich seine Koffer packen und den Zimmerschlüssel abgeben konnte... „... noch frei?“ Irritiert zuckte Maxime zusammen und riss die Augen auf. Er schien irgendwo zwischen Erinnerung und Sekundenschlaf gependelt zu haben, was auch erklärte, wieso er den blonden Junge erst jetzt wahrnahm, der plötzlich neben dem Sitz stand und ihn fragend anschaute. „Kann ich mich setzen, oder hältst du für jemanden den Platz frei?“ fragte der Junge noch einmal als er keine Reaktion von Maxime bekam und deutete mit einen Nicken auf die pink-schwarze Umhängetasche, welche auf dem freien Sitzplatz lag. Maxim strich sich einige Haarsträhnen aus den Augen und lächelte freundlich. „Kein Problem, setzt dich nur hin. Ich wartete auf niemanden.“ Der Junge nickte leicht. „Cool, danke.“ Dann nahm er neben Maxime Platz und blickte etwas verlegen drein. Langsam und unsicher setzte er die Schultasche auf seine Beine , während er Maxim noch ein herzerwärmendes Schmunzeln schenkte. Dieser erwiderte die Geste offenherzig und mit einem Mal ging es ihn ein Stückchen besser. Noch vor wenigen Minuten hatte ihm der Trübsinn geplagt und nun raste sein Herz vor Aufregung. Na, vielleicht würde dieser Montag doch nicht so schlimm werden, wie er bis jetzt angenommen hatte. Plötzlich beschlich Maxim das Gefühl, das er etwas Wichtiges vergessen hatte, aber schnell verwarf er diesen Gedanken wieder. Viel lieber konzentrierte er sich auf den niedlichen, unschuldig wirkenden Junge mit den blonden Haaren und wollte versuchen, ihn im Laufe der Busfahrt in ein Gespräch zu verwickeln. Vielleicht könnte sich aus dieser Bekanntschaft noch etwas Interessantes entwickeln. Der Kleine strahlte so eine betörende Keuschheit aus, wie es keiner seinen jungen Liebhaber zuvor getan hatte. Diese Reinheit faszinierte Maxime unheimlich. Die Nachricht von Scarlett verweilte nach wie vor ungelesen und vergessen in Maxims Handy. „Ich bin übrigens Maxime.“, stellte er dem Blonden seine Person vor, und legte den Kopf auf die Seite damit er ihn besser anschauen konnte. „Besuchst du auch das Gymnasium?“ Anscheinend schien sich der Junge erschrocken zu haben, denn nun war er es, der zusammenfuhr und Maxime entgeistert anschaute. „Bitte?“ Beinahe automatisch zog er seine schmalen Augenbrauen zusammen und lief im gleichen Augenblick rot an. Unter seiner hellen Haut begann sein Puls zu pochen, plötzlich und so unvermittelt stark, dass er für einen Moment erstarrte. „I-ich...“, stotterte der jüngere Schüler unbeholfen und seine Wangen wurde mit jeder weiteren, verstrichenen Sekunde immer dunkler. „Ich heiße Marcel. Und ja, ich bin jetzt in der achten Klasse.“ „Ei, dann bist du ja eine Stufe unter mir. Ich in der Neunten.“, erwiderte Maxim sofort und nutzte die Gelegenheit um diesen Marcel noch einmal genauer zu betrachten. So kindlich und rund wie sein Gesicht aussah, könnte man ihn auch glatt für einen Sechstklässler halten. Aber da haftete noch etwas Anderes an ihm, was ihm nicht wirklich Jünger machte... sondern eher... femininer? Ja, feminin war genau das richtige Wort! Marcel war nicht nur Jünger als er, sondern auch ohne Rock und aufwendig geschminkten Augen sah er eindeutig weiblicher aus! Da standen die Chancen natürlich hoch, das der Kleine ebenfalls zu den Homosexuellen gehörte. Das läuft ja immer besser, schoss es Maxime durch den Kopf und unterdrückte ein breites Grinsen. Mit der Aussicht auf eine nette, kleine Nummer am Wochenende würde er sogar die kommenden Mathestunden mit einen breiten Lächeln ertragen! „In einem halben Jahr werde ich da auch sein.“, sagte der Blonde seufzend und riss Maxime damit aus seinen Gedankengängen. „Ist der Unterschied zu der achten Klasse denn groß?“ „Oh ja!“, nickte Maxime eifrig. „Im Vergleich zu der neunten Klasse ist die Achte echt ein Kinderspiel! Ich ärgere mich wirklich im letzten Jahr so faul gewesen war. Und wenn ich an die letzte Klasse denke... Dann urg... dann wird mir so richtig schlecht.“ Marcel schnalzte mit der Zunge.„Ist das nicht immer so? Ich könnte dasselbe von mir auch behaupten... Meine Geschwister haben mir immer geraten um mehr zu lernen, aber ich war einfach viel zu Faul dafür. Jetzt habe ich den Salat. Am meisten merke ich meine Faulheit am Mathe Unterricht, bei den anderen Fächer habe ich gottseidank keine Probleme. Da läuft alles gut. “ „He he. Du sprichst mir aus der Seele. Mathe ist auch mein absolutes Hassfach, echt jetzt, das habe ich noch nie gemocht.“ „Die meisten hassen Mathe.“, erwiderte Marcel mit einem Augenrollen. Er grinste Maxime an und dieser bemerkte, wie der Jüngere langsam etwas lockerer wurde. „Und ich dachte immer, dass das nur auf euch Mädchen zutrifft.“ „Ach ja?“ Maxime hielt Marcels Blick mit seinen eignen gefangen und beschloss seine Aussage erstmals so stehen zu lassen. Wenn sie sich gut verstanden, und im Moment machte Marcel wirklich einen netten Eindruck, konnte er ihm später immer noch beichten, das er eigentlich ein Junge war. Immerhin er liebte es, Kontakt zu fremden Menschen zu knüpfen und neue Freunde zu gewinnen. „Du weißt aber, das dass nur ein Vorurteil ist, oder? Die Statistiken besagen das Mädchen in der Regel sowieso besser in der Schule sind, als Jungen. He, dann habe ich die Nase vorne.“ Ein kleines Lachen schoss aus Marcels Mund und er schüttelte seinen Kopf. „Dafür habe ich einen Bruder in der zwölften Klasse, und noch einen, der in der Sonderklasse für die kommenden Medizinstudenten sitzt. Wenn ich nett zu ihnen bin, helfen sie mir bei meinen Problemfächern.“ „Wirklich? Wie cool ist das denn? Mann, ich will auch ältere Geschwister haben.“ stöhnte Maxime und boxte Marcel spielerisch gegen den Oberarm, der nur noch lauter lachte und Maxime sanft auf seinen Platz zurück stieß. Okay, in Gedanken machte er an dieser Stelle einen Punkt: Ältere Geschwister waren nicht immer ungefährlich, und brachten so ihre Eigenarten mit sich. Entweder beschützten sie ihre jüngeren Geschwister vor so kleinen Casanovas wie ihn, oder Maxime konnte bei der passenden Gelegenheit auch noch seinen Spaß mit ihnen bekommen. „Diese Sonderklasse ist schon eine gute Sache.“, meinte er lächelnd. „Die ganzen Schüler die keinen Studienplatz ergattert haben, oder noch nicht bereit dafür sind, können dorthin gehen und schon mal einen Vorgeschmack auf das erste Semester bekommen. Wenn meine Noten am Ende des letzten Jahres ausreichen, dann möchte ich auch Medizin studieren. Aber dafür müsste ich mich wirklich noch richtig anstrengen.“ „Mhm, große Wünsche nenne ich das.“ Marcel legte seine Hände auf die Schultasche und verschränkte sie dort, bevor er kurz über die Schulter schaute und seine Augen über die einzelnen Sitzreihen gleiten ließ. Anscheinend suchte er dort hinten jemand. „Dann solltest du mal ein Wort mit meinen Bruder wechseln... Ich möchte ja wirklich nicht prahlen, aber er ist einer der intelligentesten Menschen, denen ich jemals begegnet bin. Ich kann gar nicht nachvollziehen, wieso er diese Sonderklasse eigentlich besucht, und nicht sofort sein Studium anfängt. Das ist doch alles nur vertane Zeit. Ein Schüler, der so gute Noten hat wie er, muss irgendwo doch einen Platz finden.“ Maxime zog leicht die Augenbrauen zusammen und beobachtete wie Marcel an seinen schulterlangen Haaren spielte und nachdenklich eine Strähne um seinen Finger wickelte. Mhm, dieser Junge wurde ihm von Sekunde, zu Sekunde immer sympathischer. Und ähnlicher. Wenn er überlegte, dann spielte er auch oft mit seinen Haaren, oder knabberte an seiner Unterlippe. Vielleicht hatte Maxime in ihm seinen Seelenpartner gefunden? Auf jeden Fall schienen sie auf Anhieb gut mit einander auszukommen. „Wer weiß, welchen Grund dein Bruder hat? Vielleicht fühlt er sich noch nicht bereit für das Studium. Immerhin warten 6 harte Jahre auf ihn, das sind ungefähr 12 Semester. Und wenn er das geschafft hat, dann muss er auch noch das zweite Staatsexamen machen, ansonsten kann er hier in Deutschland den Beruf als Arzt vergessen. Ach, das ist alles schon nicht einfach wenn man in diese bestimmte Richtung möchte. Außerdem wird er wahrscheinlich noch eine Promotion anstreben, damit er sich überhaupt mit den Titel eines Doktors schmücken darf.“ „Wow.“, machte Marcel und bekam mit einem mal große Augen. „Woher zur Hölle weißt du das alles? Anscheinend bist du ja doch intelligent!“ Maxime, der grade auf seine rosa Armbanduhr schaute , musste den Kopf rum reißen und laut lachen. „Anscheinend? Das ist kein Schein, das ist die Realität.“, Gespielt Arrogant warf er seinen langen Pony nach hinten. „Wir kennen uns keine 10 Minuten und schon hast du mich bis auf die Knochen gekränkt. Besten Dank, Marcel.“ Dieser presste die Lippen zusammen und Maxime befürchtete schon für einen Moment, das er seine Worte vielleicht ernst genommen hatte, aber dann kicherte Marcel glücklicherweise. „Heißt das nicht eigentlich, jemanden bis auf die Knochen blamieren?“ Schockiert riss Maxime die Augen auf. „Was?“, rief er leicht entsetzt und sagte sich den Satz noch einmal in Gedanken auf, stockte, und schlug danach die Hände auf seine plötzlich sehr heiß gewordenen Wangen. „Du hast recht, oh Gott... Uhh, das ist so uncool wenn man Klugscheißen möchte und die Nummer versaut.“ Maxime war ein sehr genauer Mensch und legte großen Wert auf seine Wortwahl, also kam er sich selbst grade ziemlich bescheuert vor. Es dauerte aber nur ein Räuspern lang, ehe er seine Fassung zurück erlangt hatte und dann wieder an Selbstsicherheit zurück gewann. Inzwischen war eine richtig gute Atmosphäre zwischen ihnen entstanden und der erste Eindruck den Maxime von Marcel bekomme hatte, verschwand. So schüchtern wie er sich in den ersten Augenblicken verhalten hatte, war er offenbar gar nicht. Im Gegenteil. Marcel hatte sogar Humor und konnte auch mal eine Schlagfertige Antwort raus hauen. Und das fand Maxime noch besser, als seine Niedlichkeit. Aus diesen Grund beschloss er auch in die Vollen zu gehen, und dem Schicksal seinen Lauf zu lassen. „Hey.“, sagte Maxime schließlich als die Schule in Sichtweite kam und der Bus immer langsamer fuhr. Er lehnte seinen Oberkörper auf die Seite und wartete, bis Marcel den Blickkontakt herstellte. „Hast du was dagegen wenn wir unsere Handynummern austauschen? Vielleicht kann ich dir mal ein paar meiner Schulbücher ausleihen. Dann kannst du dir ein Bild von dem Lernstoff der neunten Klasse machen. Mm, wie findest du das?“ Augenblicklich erstarrte Marcel zur Salzsäule. Seine dichten Wimpern zuckten und er betrachtete den Anderen mit einem undefinierbaren Blick, angespannt zog er die Schultern nach oben. Plötzlich entstand wieder die steife und verschlossene Körperhaltung, die Maxime schon am Anfang gesehen hatte. „Oder möchtest du nicht?“, fragte Maxime deshalb vorsichtig. Auch wenn er gerne Kontakte knüpfte, und es wirklich bitter für ihn wäre, wollte er niemand seine Freundschaft oder Anwesenheit aufzuzwingen. Wenn Marcel keine Freundschaft wollte, dann musste Maxime damit klar kommen. „Nein. Das ist es nicht.“ Marcel senkte die Augen auf den Boden und verweilte einen kurzen Moment in seiner gebückten Haltung. Anscheinend ging es ihm plötzlich schlecht, er machte eine so trostlose Miene, als ging er zu einer Beerdigung. „Aber... dein Angebot überrascht mich. Es gibt nicht viele Menschen die mit mir befreundet sein möchten.“ Ein bitteres Lächeln verdunkelte seine feinen Züge und die nächsten Worte kamen nur flüsternd über seine Lippen. „Die meisten finden mich komisch oder haben Angst vor meiner Familie. Und das kann ich ihnen noch nicht mal verübeln, wenn ich ehrlich bin.“ „Komisch?“, wiederholte Maxime und stand auf, da der Bus anhielt und alle Schüler und Schülerinnen wie die wilden Tieren zu den zwei Ausgangstüren stürmten. „Was meinst du mit komisch?“ Marcel seufzte und erhob sich dann auch um den Sitzplatz zu verlassen. Er wartete aber, bis die Hälfte der Jugendlichen ausgestiegen waren und trat erst in den Gang, als er ruhiger geworden war. Erst jetzt als er stand, bemerkte Maxime wie klein und schmächtig der blonde Junge in Wirklichkeit war. Sogar er, der selbst nicht zu den Größten gehörte, überragte Marcel um eine halbe Kopflänge. „Ich weiß aber immer noch nicht was du meinst.“, murmelte Maxime und beobachtete den Anderen aus dem Augenwinkel heraus. „Ich finde dich jetzt nicht eigenartig, falls du das meinen solltest.“ „Die meisten aber schon!“, zischte Marcel plötzlich heftig und unvermittelt scharfzüngig. „Ich wundere mich wirklich, das du mich nicht kennst oder schon mal von mir gehört hast. Normalerweise eilt mir mein ach so toller Ruf meilenweit voraus.“ Er ließ zwei junge Mädchen vorbei gehen und folgte ihnen dann in Richtung Ausgang, Maxime machte das gleiche. Für ein paar Sekunden herrschte Stille zwischen ihnen, während er versuchte, Sinn aus Marcels Aussage zu ziehen „Ja vielleicht kommt das daher, das ich noch nicht so lange auf der Schule bin. Mein Wechsel liegt erst 3 Monate zurück.“, antwortete Maxime leicht keuchend und eilte dem Blonden hinterher. Huch, was war denn jetzt kaputt? Warum verhielt sich Marcel auf einmal so seltsam? Hatte er etwas Falsches gesagt und ihn irgendwie beleidigt? „Hey, nicht so schnell! Bist du auf der Flucht oder was?!“ Es war zwar nur ein Ahnung, aber irgendwie wurde Maxime das sichere Gefühl nicht los, dass Marcel eigentlich ein ganz anderes Problem hatte. Wieso würde er sonst wie ausgewechselt wirken? Er hatte ihn doch nur nach seiner Handynummer gefragt! Eben war der Kleine noch total schüchtern und unsicher gewesen, jetzt fauchte er wie eine schlecht gelaunte Kobra. „Marcel! Warte doch mal! Ich komme gar nicht mit!“ Aber der Angesprochene lief einfach weiter und schenkte Maximes Frage keine Beachtung. Marcel gibt ja ein echtes verdammt hohes Tempo vor, dachte er gehetzt, da komme sogar ich ins Schwitzen. Und das, obwohl Maxime die letzten 3 Jahre im Leichtathletik-Kurs seiner ehemaligen Schule verbracht hatte und seiner Meinung nach eigentlich ziemlich fit war. Zu mindestens schwärmte Raphael bei Sportunterricht immer von seinen strammen Beinen. Inzwischen war Marcel am Schultor angekommen und Maxime musste einen kurzen Sprint hinlegen, um ihn noch rechtzeitig abzufangen und an der Schulter festzuhalten. „Wenn ich etwas Falsches gesagt oder gemacht habe, dann tut mir das leid.“ sagte Maxime aufrichtig und seine blauen, schwarz geschminkten Augen nahmen für einen kurzen Moment einen traurigen Ausdruck an. Dennoch schaffte er es seine Emotionen im Zaun zu halten und die Fassung zu bewahren. Nein, so oft wie er schon in den sauren Apfel gebissen hatte, der auf den Namen >das Leben< hörte, konnte ihn so schnell nichts mehr erschüttern. Maxime wusste ganz genau was für einen abartigen, sadistischen Humor die Schicksalsgötter dieser Welt besaßen. Allerdings würde er Marcel nicht ohne eine angemessene Erklärung gehen lassen, schließlich begegnete man so einen süßen Jungen nicht jeden Tag. „Wir haben uns so gut unterhalten und plötzlich ist die ganze Atmosphäre gekippt. Was ist passiert? Stört es dich, das ich deine Nummer haben wollte?“ Das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse verzogen, schüttelte Marcel die fremde Hand ab und senkte seinen Blick zu Boden. „Das habe ich dir grade doch gesagt.“, murmelte er leise. „Aber wenn du es genau wissen möchtest; Mit mir will niemand etwas zu tun haben, weil ich bin das Mobbingopfer dieser Schule bin. Demnach wäre es wirklich klug von dir wenn du aufhören würdest, mich so freundlich zu behandeln. Es kann leicht passieren, dass du nachher selber in der Scheiße steckst.“ „Aber...“, stammelte Maxime geistesgegenwärtig, doch Marcel unterbrach ihn mit einer raschen Handbewegung. „Lass es gut sein. Du kannst dir deine Gegenargumente sparen. Ich komme bestens mit diesen Hass-Parolen zurecht, da ich von Zuhause auch nichts anderes gewohnt bin. Es war gelogen das mir meine Brüder Helfen – sie quälen mich genauso schlimm wie hier die Leute. Wenn du mir etwas Gutes tun willst, dann lass mich einfach in Ruhe.“ Ein kurzer Schauer glitt Maxime bei dieser eisigen Erklärung über den Rücken. Obwohl er selbst schon so einiges an Hass ertragen hatte, der ihn eigentlich vor solchen Sachen immunisieren sollte, fror sein Herz bei Marcels zerrissenes Selbstbewusstsein ein. So ein beschissenes Leben konnte dieser Junge doch unmöglich haben. Es reichte schon, das er in der Schule von den anderen Kindern gehänselt wurde, und wie es aussah, schikanierte ihn auch noch seine eigene Familie? Er würde Marcel ja gerne helfen, da er seine Situationen bestens verstehen konnte, aber wenn der Jüngere diese Hilfe nicht annehmen wollte, dann waren Maxime die Hände gebunden. „Na gut...Wenn das so ist.“ Maxime machte einen kleinen Schritt nach hinten und erschuf eine Mauer aus Distanz. Seine Augen verzogen sich zu Schlitzen, die Daumen hakte er in die Seitentaschen seiner Lederjacke ein. Eigentlich gab er ja nicht so schnell auf, aber Marcels Verhalten machte ihm deutlich, dass er hier nur auf Granit beißen würde. „Dann kann ich nichts mehr für dich tun, Süßer. Es war nett mit dir geplaudert zu haben.“ „Fand ich auch.“, meinte Marcel und klang so kalt wie ein Kühlschrank. Er spiegelte Maximes Verhalten wieder und ging ebenfalls ein Stück zurück. Währenddessen ließ er den älteren Schüler nicht für eine Sekunde aus den Augen, missmutig fielen seine Mundwinkel nach unten. „Es ist schon lange her, dass jemand in der Schule so normal mit mir gesprochen hat. Tschüss, Maxime.“ Müde zog dieser die rosaroten Lippen nach oben. Hallo?! Wenn Marcel SO dachte, dann konnte er ihm auch genauso gut seine Handynummer geben. „Tschüss Marcel.“, sagte er aber stattdessen. Der abrupte Stimmungswechsel verwirrte ihn zwar immer noch ein wenig, aber nach außen hin ließ er sich nichts anmerken. „Es ist schade dass wir nun so auseinander gehen.“ „Tja, daran kann man leider nichts machen.“ Marcel zuckte mit den Schultern. „Aber es ist besser so. Letzten Endes würde ich dich sowieso nur in Schwierigkeiten bringen. Eine Freundschaft wie diese würde nicht lange halten. “ „Glaubst du?“ Maxime runzelte die Stirn, während er beobachtete, wie Marcel den Kopf drehte und kurz zum Schulgebäude schaute. Wenn er die Lage richtig beurteilte, dann wollte Marcel so schnell wie möglich weg kommen. Tzz, sollte er doch! Mittlerweile wunderte er sich auch gar nicht mehr, das Marcel gehänselt wurde; Wer wollte den schon freiwillig mit einem so pessimistischen Typen befreundet sein? „Das ist Ansichtssache. Aber ich glaube das eine Freundschaft ewig halten kann, wenn sich beide Seiten Mühe geben.“ Danach atmete Maxime die angestaute Luft aus, ihr Gespräch sollte damit wohl beendet sein. Scheinbar dachte Marcel dasselbe. Er nickte Maxime ein letztes Mal zu und ging dann geschwind durch das Tor. Zufrieden, wie Marcel nun aussah, warf ein keinen einzigen Blick zurück und verschwand sehr bald in der Masse auf dem Pausenhof. Obwohl er gemobbt wurde, schien Marcel offenbar genau zu wissen was er wollte und was nicht. Na!, dachte Maxime und zog skeptisch seine Augenbrauen zusammen, höflich ist was anderes. Klasse. Ein weiterer Seufzer entwich ihm, als er den Blick hob und dem gerade Verschwundenen hinterher zu schauen. Einfach nur wunderbar. Da verschwand sein perfektes Wochenende und nun durfte er sich einen anderen Typen suchen, mit dem er die kommende Zeit totschlagen konnte. Dass es mit Marcel nicht geklappt hatte, fand er erstmals wieder ernüchternd. Nur wenige Männer hatten sich Maxime Charme bis jetzt erfolgreich entzogen, 6 von 10 Homosexuellen fand ihn mehr als nur attraktiv. In Marcels Fall also, hätte er niemals mit einer Abweisung gerechnet! Besonders übel nahm er es dem Jungen aber trotzdem nicht, immerhin konnte er nicht allen Menschen gefallen und von daher gab er sich mit den Gedanken, einen Korb kassiert zu haben, schulterzuckend ab. Hmm. Aber naja, was soll´s? Spätestens wenn er das nächste Mal mit Raphael in die Disko ging, würde er einen neuen jungen Mann finden mit den er Spaß haben konnte. Dafür brauchte er kein so prüdes Mauerblümchen wie Marcel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)