Der Fluch des Bajang von Emerald_Phoenix ================================================================================ Kapitel 1: Der Fluch des Bajang ------------------------------- Die Sonne stand noch nicht ganz in ihrem Zenit, als die Reiterin in die Stadt nahe dem Elgarianis-Wald ritt. Sie trug einen roten Umhang, eine leichte Lederrüstung mit einem Schwan auf der Brust, Lederstiefel und ein Schwert an ihrer Seite. Rackbach war eine sehr wohlhabende Stadt, umgeben von einer hohen Steinmauer, von großen Ackerfeldern und Bauernhöfen sowie an einem großen Fluss gelegen. Ihren Wohlstand verdankte Rackbach zum einen seiner günstigen Lage. Auf einer Lichtung im Elgarianis-Wald trafen die Grenzen der Reiche der Elfen, Menschen und Zwerge aufeinander. Hier wurden nicht nur Märkte abgehalten, in denen die Völker ihre Waren auf der Grenzlichtung feilboten, sondern auch Schwarzmärkte, wo man Diebesgut und verbotene Artefakte handelte. Wann diese Schwarzmärkte stattfanden erfuhr jedoch nur, wer entweder gerissen, skrupellos oder reich genug war. Dieser bedeutende Warenumschlagsplatz sorgte dafür, dass hier einer der Haupthandelswege entlangführte. Aufgrund der Nähe von Rackbach zur Grenzlichtung waren die Transportwege kurz und die Geschäfte lukrativ. Pferde, die eine längere Strecke in kürzerer Zeit bewältigen konnten, waren zum Ziehen der Karren nicht nötig, die Ochsen reichten den Bürgern von Rackbach aus. Pferde waren sehr wertvoll und nur ein paar der reicheren Bürger besaßen ein eigenes Pferd. Rackbach war durch den regen Handel stetig gewachsen. Seit man den Ackerbau auf eine Dreifelderwirtschaft umgestellt hatte, konnten höhere Erträge erzielt werden. Damit umging die Stadt das Problem der steigenden Bevölkerungszahl, da weiteres Ackerland immer schwerer zu erschließen war. Im Frühjahr säte man Sommergetreide wie Hafer und Gerste auf einem Drittel der Ackerflächen. Weizen und Roggen säte man als Wintergetreide im Herbst auf einem anderen Drittel. Das letzte Drittel wurde ein ganzes Jahr lang brach. Auf diese Weise wurde die Arbeit besser verteilt und es war unwahrscheinlicher, dass man in einem Jahr die Ernte eines ganzen Jahres verlor. Somit konnten die Bürger sich nicht nur besser selbst versorgen, sondern handelten zunehmend auch mit den Zwergen und später auch mit den Elfen. Es zogen sogar einige Zwerge in die Stadt und mit zunehmendem Wohlstand wurde eines Tages eine Getreidemühle gebaut. Die Bewohner legten dafür Mühlgräben und Stauwehre an. Dank der Erfahrung der Zwerge konnte die Mühle an einer Stelle des angrenzenden Flusses gebaut werden, an welcher die Arbeit der Fischer nicht zu sehr zu leiden hatte. Und so nahm der Wohlstand weiter zu. Mit dem Frieden in der Stadt war es jedoch schon lange vorbei. Diebstähle hatten plötzlich deutlich zugenommen und viele der gestohlenen Gegenstände waren auf dem Schwarzmarkt feilgeboten worden. Die Bürger begannen, sich gegenseitig zu verdächtigen. Als man schließlich den leblosen Körper eines Angehörigen des Stadtrats auffand, schlug die Stimmung um. Man beschuldigte nun zwei Kaufleute, den Mord und die Diebstähle verübt zu haben, damit einer von ihnen in den Stadtrat gewählt würde. Die Beschuldigten wiederum verdächtigten sich gegenseitig und aufgrund fehlender Beweise, konnte man sie nicht in das Verlies werfen. So blieben beide auf freiem Fuß und die Bürger teilten sich nun in zwei Lager, jedes um die Schuld des anderen wissend und Gerechtigkeit fordernd. Zunächst nur durch Proteste oder die Weigerung, bei dem verdächtigen Kaufmann zu handeln, aber zunehmend kam es zu Übergriffen. Sowohl auf die beiden Kaufleute als auch auf die Bürger, die sich nun gegenseitig der Unterstützung eines Mörders bezichtigten. Dem Bürgermeister von Rackbach wurde die Angelegenheit zu heikel und er sandte einen Boten zum Grafen Ralvar von Schwanenburg, zu dessen Grafschaft Rackbach gehörte, und bat um Hilfe. Der Graf hatte nicht lange gezögert und so hatte er schließlich jemanden geschickt, um dem ganzen ein Ende zu bereiten. Wenn die Situation in Rackbach eskalierte, könnte es zu einem Aufstand kommen, dessen Auswirkungen auf den Handel und auf die Beziehungen mit den Elfen und Zwergen nicht absehbar waren. Sollte einer der Zwerge in der Stadt zu Schaden kommen, so würden sich seine Brüder zurückziehen und damit wären auch die Beziehungen zu den Elfen gefährdet. Die Elfen schätzten die Arbeit der Zwerge und meistens handelten sie nur indirekt mit den Menschen, indem sie ihre Waren an die Zwerge verkauften. Wie dieses seltsame Bündnis entstanden war, wussten die Menschen nicht zu sagen, da man die Elfen selten sah und die Zwerge nicht darüber sprachen. Das war der Grund, warum Ravinia hier war. Sie war größer und stämmiger gebaut als die meisten Frauen und ihr braunes Haar ging ihr nur bis zu den Schultern. Ihre Mutter war nicht im Mindesten damit einverstanden gewesen, dass sie sich schon als Kind ständig in Streitereien einmischte und zu schlichten versuchte. Als dies schließlich dazu führte, dass sie sich mit dem Sohn des Metzgers geschlagen hatte, wollte die Gräfin ihre Tochter sogar in ein Kloster schicken. Ihr Vater jedoch erkannte, dass das junge Mädchen einmal eine gute Botschafterin, Gesandte oder Richterin sein würde. So hatte er sie schließlich auch im Kampf unterrichtet. Sie war vielleicht nicht so stark wie ihr Lehrmeister, dafür aber geschickt und vorausschauend. Immer auf der Suche, aus einer für sie ungünstigen Situation doch noch einen Vorteil zu holen. Dies zusammen mit ihrem Verhandlungsgeschick, so hatte ihr Vater gesagt, sei nicht nur wichtig für einen Anführer, sondern auch um einzusehen, wenn man unterlegen oder im Unrecht war. Sie war in der Lage, sich beide Streitparteien anzuhören und zwischen ihnen zu vermitteln, ohne dass einer der Beteiligten sein Gesicht verlor, sofern es die Situation noch zuließ. Sie war aber auch in der Position sich zu verteidigen, wenn es sein musste. In dem Geschäft eine durchaus nützliche Fähigkeit. Und diesmal sollte sie einen möglichen Aufstand verhindern. Nachdem sie das Stadttor passiert hatte stieg sie ab, klopfte sich den Staub von ihren Sachen und führte das Pferd anschließend langsam die gepflasterte Hauptstraße entlang zum Rathaus. Die Häuser, an denen sie bisher vorbeigekommen war, waren allesamt aus Holz und recht einfach gefertigt. Die Behausungen der Menschen, die nicht wohlhabend genug waren, um näher am Marktplatz in besseren Häusern zu wohnen, bildeten den Außenring der dicht bebauten Stadt mit seinen engen und verwinkelten Gassen. Lediglich die Hauptstraße war gepflastert, aber dies zeigte schon den Wohlstand der Stadt. Irgendwo ganz nah an der Stadtmauer, versteckt hinter Holzhäusern würde man Bretterverschläge, manchmal nur mit Stroh als Dach finden. Die Unterkünfte der Bettler, die niemand sehen wollte, aber welche geduldet wurden, solange sie unsichtbar blieben. Je näher sie dem Rathaus kam, desto vornehmer sahen die Häuser aus. Manche waren an den Wänden oder Türen bemalt worden. Ab und an kam sie an Trinkstuben vorbei, die an den Laubkränzen über der Tür erkennbar waren. Direkt am Marktplatz, auf dem reges Treiben herrschte, besaßen die Häuser fast alle durchsichtige, klare Glasfenster. Die Häuser am Stadtrand hatten höchstens braunes Glas. In der Mitte des Marktplatzes war ein großer Brunnen, ein großzügiger Hof war vor der Kirche angelegt worden. Neben dem Rathaus das einzige Gebäude aus Stein. Die Bauweise ließ bei genauem Hinsehen darauf schließen, dass Zwerge hier ihre Hand im Spiel hatten. Sie hatten ihre ganz eigene Art, einem Gebäude aus Stein Stabilität zu verleihen. Offensichtlich waren sie bei der Kirche aber bemüht gewesen, diese Merkmale gut zu verstecken. Fachwerkbauten, ein noch relativ junges Zeichen für reiche Städte, sah sie nicht. Es würde wohl noch etwas dauern, bis man auch hier anfangen würde, diese Häuser zu bauen. Einige Fernhändler waren heute hier und verkauften ihre Gewürze, Tuche oder Farbpulver. Auf der anderen Seite der Stadt würde man die Bleicher und Färber neben dem Müller und den Waschfrauen am Wasser treffen. Die Schmiede, die man wegen der Gefahr eines Brandes nicht in die bewohnten Gebiete baute, würde man wohl am Rand der Wohngebiete finden. Alles in allem war Rackbach ähnlich aufgebaut wie Schwanenburg, dem Sitz des Grafen und das Herz dieser Grafschaft. Als sie sich dem Rathaus näherte, kam ihr schon ein Stallknecht entgegen und führte ihr Pferd in einen Stall. Ein Bediensteter nahm ihr das Reisegepäck ab und brachte es ins Haus. Nur einen Moment später trat der Bürgermeister aus dem Haus und kam ihr entgegen, um sie zu begrüßen. „Erbgräfin Ravinia! Welch eine freudige Überraschung! Wie geht es Eurem verehrten Vater?“ Der Bürgermeister war ein kleingeratener, dicklicher Mann mit Pomade im schwarzen Haar. Seine Kleidung war aus Seide und er trug jede Menge Zierrat. Er trug gerne den Wohlstand seiner Stadt zur Schau hieß es. „Es ist manchmal doch von Vorteil, wenn man nicht der Graf der Grafschaft ist, die an den Reichsgrenzen endet. Zumindest sieht er es so, seit er Eure Nachricht erhielt. Er hat mich geschickt, um Euch zu helfen und einen Aufstand zu verhindern.“ Ravinia sah den Mann ernst an. Ihre Erfahrung riet ihr, dass man hier und jetzt besser direkt zur Sache kommen und das höfliche Geplänkel auf das Nötigste reduzieren sollte. „Ich bin froh das zu hören und erleichtert, dass der wehrte Herr Graf Euch geschickt hat. Aber bitte, möchtet ihr Euch nicht erst einmal erfrischen? Eure Reise war sicher lang.“ Der Bürgermeister deutete mit einer leichten Verbeugung auf das Gebäude. „Das ist nicht nötig. Erzählt mir lieber, was genau geschehen ist und welche Erkenntnisse Ihr bereits gewonnen habt.“ „Natürlich, wie Ihr wünscht. Bitte, lasst uns drinnen weiter reden.“ Ravinia nickte knapp und folgte ihm ins Haus. Das Rathaus hatte ganze drei Stockwerke. Im Obersten befanden sich zweifellos die Schlafgemächer des Bürgermeisters und seiner Familie, darunter Leseräume oder ähnliche Rückzugsmöglichkeiten. Das Erdgeschoß beherbergte unter anderem die Arbeitsräume und die Küche. Erstaunlicherweise erreichte man das Obergeschoss nicht über eine Außentreppe, wie es bei diesen Gebäuden sonst üblich war, sondern hatte innerhalb des Gebäudes eine Treppe aus hochwertigem Holz gebaut. Der Bürgermeister führte seinen Gast in ein nahes Arbeitszimmer und bedeutete ihr, es sich irgendwo bequem zu machen, während er zu einem Schreibpult ging und ein paar Pergamente holte. Ravinia setzte sich ohne Umschweife auf einen Stuhl vor besagtem Pult. „Wein?“, erkundigte sich Bürgermeister und schenkte sich selbst bereits ein. „Wasser, ich habe vor, nachher die ersten Zeugen zu befragen. Wein ist da wenig hilfreich.“ „Natürlich. Ich habe meinen Schreiber alle Dinge aufschreiben lassen, die gestohlen wurden, von wem und wann. Des Weiteren einen ausführlichen Bericht über den Vorfall mit dem armen Jasperson.“ Während er Wasser in einen goldenen Pokal goss und diesen der Frau reichte, warf er immer wieder einen Blick auf die Pergamente in seiner Hand. „Jasperson ist das Mitglied des Stadtrates, den man tot aufgefunden hat?“ Ravinia nahm einen Schluck von dem Wasser und nahm die Schriftstücke entgegen. „Richtig. Der arme Kerl lag eines Morgens tot in seiner Stube. Ich glaube allerdings nicht, dass er ermordet wurde. Er litt ein paar Tage vor seinem Tod an einer mysteriösen Krankheit. Er konnte nicht schlafen, fantasierte und jedwedes Essen erbrach er fast sofort nach dem Verzehr. Einen merkwürdigen Ausschlag hatte er im Gesicht und an den Armen seltsame Beulen. Von so etwas haben nicht einmal unsere Gelehrten gehört.“ „Moment, wenn er an einer Krankheit gestorben ist, wieso wurden dann die beiden Kaufleute des Mordes beschuldigt?“ Ravinia runzelte die Stirn. Der Bürgermeister hielt einen Moment inne und sah ein wenig beschämt aus. „Seht Ihr, ich hatte zunächst stillschweigen angeordnet. Wir vermuteten, er könnte die Beulenpest gehabt haben. Jedenfalls konnten wir da zunächst nicht sicher sein. Wir haben nach einem Elfenheiler geschickt und bis er sagte, es sei nichts Ansteckendes, durfte niemand das Haus verlassen. Glücklicherweise war Selbian, das ist der Name des Elfen, gerade auf dem Markt im Elgarianis-Wald. So hatten wir schnell Gewissheit, aber da hatte sich schon das Gerücht verbreitet, Jasperson sei ermordet worden. Dass er, Bentilas und Antures, die beiden Kaufleute, sich ein paar Tage vorher übel gestritten haben, fachte das Gerücht nur weiter an. Ich gebe zu, ich hätte zumindest direkt verlauten lassen sollen, dass er wohl an dieser seltsamen Krankheit gestorben ist. Aber ich hatte an das Wohl der Bürger zu denken.“ Ravinia sah den Mann nachdenklich an. Er hatte einen Fehler gemacht, aber vermutlich hätte sie selbst nicht anders gehandelt. Eine unbekannte Krankheit, die Beulen wie die Beulenpest verursachte? Das hätte eine Panik auslösen können und es war nicht abschätzbar, ob die Situation dann nicht noch schlimmer hätte kommen können. Die Leute hätten sich gegenseitig als Pestkrank gebrandmarkt, sobald es auch nur den geringsten Grund gab. „Eine schwierige Situation und im Nachhinein betrachtet scheinen die Dinge immer eindeutiger zu sein als sie es waren. Aber Ihr habt ja schließlich den Grund für den Tod des Stadtrates den Bürgern genannt. Warum halten sie daran fest, dass es Mord gewesen sein muss? Der Streit der Männer kann dafür wohl nicht den Ausschlag gegeben haben, oder?“ „Nun ja, Bentilas und Antures wollen schon lange in den Stadtrat. Jasperson wurde allerdings an ihrer statt gewählt. Nach seiner Wahl sorgte Jasperson dafür, dass Bentilas ein großer Handelsauftrag entzogen wurde. Die beiden kamen noch nie gut miteinander aus. Bei Antures war es so, dass Jasperson ihn für Schwachsinnig erklärte. Antures‘ Mutter war nicht ganz bei Sinnen während ihrer letzten Jahre. Überall sah sie Dämonen und redete davon, wie verdorben alle seien. Dann wurde sie bettlägerig und verstarb schließlich an einer Lungenentzündung. Niemand hier glaubt, dass Antures schwachsinnig ist. Seine arme Mutter war eine gute Frau, nur eben gegen Ende ihres Lebens nicht ganz sie selbst. Aber Antures war dem Stadtrat ein Dorn im Auge. Zu fleißig und zielstrebig, schon als junger Mann. Sein Vater starb im Krieg und so musste er früh arbeiten. Als seine Mutter jedoch dem Schwachsinn anheimfiel, wurde es schwer für ihn. Er musste viel arbeiten und sich immer mehr um sie kümmern. Ich glaube, er hat in der Zeit nie um Hilfe gebeten und alles selbst geschultert. Jedenfalls war das Grund genug für Jasperson und Antures, um sich ständig zu streiten. Und für die Bürger Grund genug, ihn für einen Mörder zu halten.“ Der Bürgermeister schenkte sich Wein nach und sah die Grafentochter abwartend an. „Nun, es wird nicht leicht sein, die Bürger davon zu überzeugen, dass es kein Mord war. Ich möchte mit den Beteiligten sprechen, auch mit dem Elfen. Danach werde ich mir die Diebstähle mal näher ansehen.“ „Wie Ihr wünscht. Während Eures Aufenthalts seid ihr natürlich mein Gast. Ein Zimmer wurde bereits hergerichtet und Eure Sachen hinaufgebracht. Ihr könnt dieses Zimmer für Eure Untersuchung nutzen, wenn Ihr möchtet. Solltet Ihr etwas benötigen, braucht Ihr mir nur Bescheid zu geben.“ „Vielen Dank für Eure Gastfreundschaft. Ich würde gerne sofort anfangen. Wenn Ihr mir etwas zu Essen herbringen lassen könntet und ich am Nachmittag mit Bentilas oder Antures sprechen könnte, würde ich heute noch ein gutes Stück Arbeit schaffen.“ „Selbstverständlich, ich werde alles Nötige veranlassen. Dann werde ich Euch nicht weiter aufhalten. Es würde mich und meine Familie freuen, wenn Ihr uns zum Abendmahl Gesellschaft leisten würdet.“ Mit einer angedeuteten Verbeugung machte sich der Bürgermeister auf den Weg zur Tür. „Ich werde dort sein.“ Ravinia verbeugte sich leicht und stand noch einen Moment gedankenversunken da, nachdem der Mann das Zimmer verlassen hatte. Wie sollte sie die Bürger der Stadt davon überzeugen, dass es kein Mord war? Die bloße Erwähnung der Beulen würde wohl schon ausreichen, um eine Panik auszulösen. Aber musste sie überhaupt Details erwähnen? Vielleicht konnte ihr der Elf dabei helfen, wenn sie denn die Möglichkeit bekam, mit ihm zu sprechen. Ravinia ging zum Schreibpult, setzte sich und nahm eine Schreibfeder zur Hand. Es war wichtig, alle neuen Informationen festzuhalten. Außerdem musste sie sich notieren, was sie für weitere Informationen brauchte und von wem. Die Befragung der Stadtbewohner würde einige Zeit in Anspruch nehmen, wovor es ihr schon jetzt grauste. Allerdings musste die junge Frau in Erfahrung bringen, wie die Stimmung tatsächlich war. Es dauerte nicht lange, bis eine Küchenmagd das Essen brachte und auf einen Seitentisch stellte. Ravinia hatte sich einige Punkte notiert gemacht und sah sich nun die Liste der Diebstähle an, während sie ihr Mahl zu sich nahm. Ein Teil der Diebstähle passte in das übliche Muster von Gelegenheitsdieben. Aber der größte Teil bestand tatsächlich aus ungewöhnlichen Vorgängen. Ein paar der Personen kannte sie vom Namen her, alles einflussreiche und reiche Leute. Doch obwohl in deren Behausungen viele wertvolle Gegenstände liegen mussten, waren nie mehr als ein oder zwei Teile verschwunden. Wenn man schon das Risiko einging, bei einem Einbruch erwischt zu werden, dann nahm man auch alles mit, was man tragen konnte. Es gab also ein gewisses Muster. Standen die Personen in einem bestimmten Verhältnis zueinander? Was hatten sie gemeinsam? Am Nachmittag klopfte es an die Tür und ein großer, schlanker Mann mit langem braunem Haar und vornehm aussehender Kleidung betrat das Arbeitszimmer. „Erbgräfin Ravinia, mein Name ist Bentilas. Ihr wolltet mich sprechen.“ Der Kaufmann verbeugte sich und folgte schließlich der Geste der Frau, die ihn aufforderte Platz zu nehmen. „Richtig. Danke, dass Ihr Euch die Zeit nehmt. Ich nehme an, dass es sich schon herumgesprochen haben dürfte, weshalb ich hier bin?“ „Natürlich, Euer Ruf eilt euch schließlich voraus. Somit ist es auch nur eine Frage der Zeit, bis der Pöbel wieder an den Platz verwiesen wird, der ihm zusteht.“ Bentilas hatte das Wort Pöbel geradezu ausgespuckt vor Verachtung und er strahlte geradezu eine Aura der Arroganz aus. „Und wen meint ihr mit dem Pöbel?“ „Na dieses Pack, das mich einen Mörder nennt! Ich habe so viel für diese Stadt getan, habe so viel geopfert und das ist nun der Dank. Es wäre ohnehin nicht zu diesen Anschuldigungen gekommen, hätte man mich zum Stadtrat gewählt. Dann hätte es auch nicht so einen Aufstand um den Tod von diesem Jasperson gegeben.“ Es folgte ein langer Monolog, in dem der Kaufmann zum einen versuchte, seine herausragenden Taten für die Bürger und die Stadt hervorzuheben und zum anderen über den Toten herzuziehen. Jasperson war demnach ein machtgieriger, skrupelloser Mann gewesen, der alles für mehr Macht getan hatte. Ravinia merkte, dass jede einzelne Tat, die er vorgab für die Stadt getan zu haben, eigentlich nur ihm wirklich nutzte. So hob er zum Beispiel einen Wohltätigkeitsmarkt für die Armen der Stadt hervor, bei dem neben dem Preis für die eigentliche Ware auch eine Spende abgegeben werden musste, die dann an die Bedürftigen ging. Die Grafentochter hatte von diesem Markt gehört. Es war schon ein geschickter Zug gewesen: Es wurden nur Bentilas‘ Waren verkauft, er erhielt den vollen Kaufpreis für die Waren und dann kamen erst die Spenden. Diese flossen zwar wirklich an die Armen, aber diese Spenden halfen den Bedürftigen weniger, da sie das Bild des Mannes in den Köpfen der Menschen viel stärker verbesserten. Indem er dann Jasperson als skrupellos und machtgierig zu brandmarken gesuchte, ob es nun die Wahrheit war spielte derzeit nur eine nebensächliche Rolle, hielt er sich anscheinend gerade unwissentlich selbst einen Spiegel vor. Sein ganzer Monolog entlarvte ihn als jemanden, der selber alles zu tun bereit schien, um mehr Geld oder Macht zu erhalten. Als er schließlich endete, beendete die junge Frau auch ihre Aufzeichnungen für den Moment. „Wie ist Euer Verhältnis zu Antures und warum habt Ihr ihn des Mordes an Jasperson bezichtigt?“ „Erbgräfin, der Mann ist eine Gefahr für diese Stadt. Er ist überhaupt für jeden eine Gefahr! Seine Mutter war schwachsinnig! Und wir wissen ja beide, was das bedeutet. So schnell, wie er und seine Mutter aus der Armut heraus zu Reichtum gelangten, das ist auch nicht normal. Wisst Ihr, er hat bis spät in die Nacht gearbeitet, manchmal sogar gar nicht geschlafen. Und am nächsten Tag kam er ohne ein Anzeichen von Müdigkeit auf den Markt um seine Waren anzubieten. Ist das noch normal? Nein, ich glaube, er ist mit den Dämonen im Bunde. Niemand kommt so schnell zu Reichtum. Nachdem seine Mutter endlich gestorben ist, trieb er sich nachts im Elgarianis-Wald herum. Wer nachts in den Wald geht, der kann nur zum Schwarzmarkt gewollt haben. Ja genau, das ist es! Die Diebstähle nahmen nach dem Tod seiner Mutter zu! Mit Sicherheit hat er die Sachen gestohlen und auf dem Schwarzmarkt verkauft! Und Jasperson wusste das sicherlich. Immerhin hat er ebenfalls erkannt, dass Antures schwachsinnig ist, genau wie seine Mutter.“ Der Neid troff fast schon wörtlich aus jeder Silbe. Zweifellos hasste dieser Mann seinen Rivalen und hatte ihn auch mindestens einmal verfolgt, so wie er sich ausdrückte. Oder er hatte ihn beobachten lassen, Geld genug hatte er ja. Das Schwachsinn in einer Familie gehäuft auftrat, war kein Geheimnis, aber das hieß nicht, dass der andere Kaufmann wirklich schwachsinnig werden würde. Dem Bürgermeister zufolge hatte es bisher wohl auch keine Anzeichen für diese Annahme gegeben. „Ihr sagtet, er und seine Mutter seien schnell zu Reichtum gekommen. Also sammelten sie Geld an, als seine Mutter noch lebte. Das passt nicht zu Eurer Vermutung, dass er der Dieb sein könnte. Und woher wisst Ihr so genau, dass er nach dem Tod seiner Mutter in den Elgarianis-Wald ging?“ Bentilas war einen Moment sprachlos und suchte nach Worten, nur um dann Scheinargumente vorzubringen. Ravinia fragte schließlich nach den Bestohlenen und deren Eigentum. In welchem Verhältnis er zu diesen stehe, ob er die gestohlenen Gegenstände gesehen habe und ob die Opfer eine besondere Beziehung zueinander hatten. Als Bentilas schließlich ging, war es bereits spät. Das Abendmahl würde wohl bald serviert werden. Die junge Frau beendete ihre Aufzeichnungen und sah dann noch einmal auf das Pergament mit der Liste der Bestohlenen. Sie hatte hinter jedem Namen ein Zeichen gemacht, ob der Kaufmann eine freundschaftliche oder geschäftliche Beziehung mit ihnen hatte oder ähnliches. Sie stutzte. Der Großteil der auffälligen Diebstähle betraf jene Bürger, von denen er angegeben hatte, sie hätten mit Antures in Verbindung gestanden oder galten als seine Freunde. Wie es schien, hatte sich der Kaufmann gerade sehr belastet. Allerdings musste sie auch seine Aussagen prüfen, die Diebstähle hätten nach dem Tod der Mutter seines Rivalen zugenommen und er wäre nachts im Wald gewesen. Sie rieb sich müde die Augen, packte schließlich ihre Pergamente zusammen und begab sich auf ihr Zimmer, das ihr ein Bediensteter zeigte, um sich vor dem Abendmahl noch einmal frisch zu machen. Das Essen an dem Abend war köstlich und die Stimmung am Tisch heiterte Ravinia wieder etwas auf. Die Frau des Bürgermeisters war eine etwas fülligere Dame, die sich nicht ganz so auffallend reich kleidete wie ihr Mann. Die beiden Kinder, zwei Mädchen, fragten sie begeistert aus, wie es denn so als Grafentochter sei und wie sie an ihre Aufgabe gekommen wäre, Streitigkeiten im Namen des Grafen zu beenden. Am nächsten Vormittag, nach dem Frühstück hatte Ravinia die ersten Bürger befragt, saß sie wieder im Arbeitszimmer und ging ihre Aufzeichnungen durch. Schon jetzt war ersichtlich, dass sich die aufgebrachten Bürger, welche die beiden Kaufleute des Mordes beschuldigten und sich gegenseitig an die Kehle gehen wollten, grob in drei Lager einteilen ließen. Da waren zunächst jene, die diese Beschuldigungen anhand der Ereignisse ausgesprochen hatten. Leute, welche die Beschuldigten mit dem Toten hatten streiten sehen, die um das Begehren der Kaufleute wussten, in den Stadtrat gewählt zu werden und die noch andere Gründe hatten anzunehmen, dass diese beiden des Mordes verdächtig waren, wäre es denn Mord gewesen. Nachdem sie erfahren hatten, dass ein Elfenheiler als Todesursache eine unbekannte schwere Krankheit festgestellt hatte, waren sie bereit gewesen, ihre Proteste und Anschuldigungen ruhen zu lassen, bis Ravinia ihre Untersuchung abgeschlossen hatte. Dann gab es jene Leute, welche die Beschuldigungen teils aus den gleichen Gründen wie die erste Gruppe vorgebracht hatten, teilweise aber auch aus Missgunst. Sie wollten auch nicht so recht glauben, dass Jasperson an einer Krankheit gestorben war und verlangten Beweise. Die Aussage des Elfen würde ihnen genügen. Das Wort eines Elfen wog schließlich schwer und bisher hatte man nie einen Grund zum Zweifeln an den Elfen gehabt. Auch diese Leute erklärten, mitunter murrend, dass sie sich zurückhalten würden. Und dann waren da die wenigen Leute, die das größte Problem darstellten. Jene, die aus Rache oder Missgunst den Finger erhoben hatten und keine Beweise oder Aussagen hören wollten und den Versuch einer Vertuschung witterten. Von ihnen war kein Zugeständnis zu einer Art Waffenruhe zu bekommen gewesen. Allerdings hatten die meisten von ihnen laut gebrüllt und würden es hoffentlich erstmal dabei belassen. Diese Gruppe konnte noch immer für einen Aufstand sorgen. Ravinia würde sich über diese Leute mit dem Bürgermeister unterhalten müssen, damit die Stadtwachen sie im Auge behielten. Es klopfte an der Tür, die erst nach einer Aufforderung zum Eintreten geöffnet wurde. Ein Mann mittleren Alters mit flachsblonden, schulterlangen Haaren trat ein und verbeugte sich. Seine Kleidung wies ihn als wohlhabenden Bürger aus. „Erbgräfin Ravinia, ich bin Antures. Ihr wolltet mit mir über die Geschehnisse in der letzten Zeit sprechen.“ „Ich danke Euch für eure Zeit. Bitte setzt Euch. Wie ist Euer Verhältnis zu Bentilas und warum habt Ihr ihn des Mordes an Jasperson bezichtigt?“ „Es ist kein Geheimnis, dass Bentilas und ich Rivalen sind. Wir streiten uns auch oft, was nicht verwunderlich sein sollte wenn man bedenkt, dass wir fast die gleichen Waren feilbieten. Er glaubt nicht, dass ich nur durch harte Arbeit meiner Mutter und mir zum Wohlstand verhelfen konnte. Es war auch etwas Glück dabei. Ein gutes Geschäft mit gefärbten Tuchen, die ich über die Zwerge an die Elfen verkaufen konnte. Die Elfen zahlen gut für sauber verarbeitete und gefärbte Stoffe. Ich wäre bereit, einen Haufen Geld zu bezahlen, damit Bentilas nicht in den Stadtrat gewählt wird, das gebe ich zu. Aber er denkt nicht an die Stadt oder die Bürger, die hier leben. Er denkt nur an Macht und Geld und dafür geht er über Leichen.“ Antures zögerte einen Moment, als ob er sich nicht sicher war, ob er weiter reden sollte. Oder bereitete er eine Lüge vor? In solchen Situationen musste man die Aussagen der Betroffenen genau prüfen, denn im Zweifelsfall ging es um den Gang zum Scharfrichter. Es ging hier auch um viel Macht durch eine Position im Stadtrat und viele lukrative Aufträge. „Erbgräfin, ich habe Bentilas einen Mörder genannt, weil er einer ist. Genau das waren meine Worte, ich habe nicht behauptet, dass er Jasperson ermordet hat. Dafür gibt es genug Zeugen! Seine Tat betrifft aber die Familie von Jasperson. Elwynia, seine Witwe, trug ein Kind unter dem Herzen. Bentilas hat Elwynia ein Gift verabreicht, das ihr Kind getötet hat. Sie hat ein totes Kind geboren!“ „Könnt Ihr Eure Anschuldigung auch beweisen? Kindstötung ist ein äußerst schwerer Vorwurf. Gibt es Zeugen?“ Ravinia war entsetzt. Wenn diese Aussage stimmte, konnte diese Enthüllung ebenso einen Lynchmob lostreten. Sie musste sich daran erinnern, dass sie Beweise dafür brauchte. Gerade sie durfte nicht auf eine eventuelle Lüge hereinfallen. „Bentilas weiß es natürlich und Jasperson muss es auch gewusst haben. Ich habe gesehen, wie Elwynia mit einem Priester zu ihm in den Laden ging, nachdem er schließen wollte.“ „Wisst Ihr den Namen des Priesters oder wo sie entbunden hat? Habt Ihr das Grab des Kindes gesehen?“ Der Priester war an das Beichtgeheimnis gebunden. Der würde nichts sagen. Ein Grab oder eine andere Person, die einen einwandfreien Leumund hatte und bei der Geburt zugegen war, wären besser. Sie musste jede Information hinterfragen, so wie jetzt, denn sie konnte eine Lüge sein. Von ihren Entscheidungen hing zu viel ab. Als sie noch unerfahren war, hatte sie solche Fragen, die sie zu stellen gelernt hatte, offen ausgesprochen und damit viele Probleme verursacht. Beinahe wäre damals ein Unschuldiger im Verlies gelandet. Ihr Vater hatte ihr erklärt, sie müsse lernen, welche Fragen sofort von dem Befragten zu beantworten waren und welche sie selber mit sich oder eigenen Nachforschungen prüfen musste. Nicht jede Frage durfte offen gestellt werden. „Wolsen war der Priester, der bei ihr war, da bin ich mir sicher. Ich glaube, sie haben das Kind in ihrem kleinen Garten begraben. Dort wächst ein Immergrün und Jasperson hasste Immergrün.“ „Ich werde die Angelegenheit prüfen. Solltet Ihr mich angelogen haben, so werde ich Euch wohl kaum vor dem Galgen bewahren können.“ Was für ein Gift könnte es auch gewesen sein, dass die Mutter unversehrt ließ, aber das Kind im Leib tötete? Und woher kam es? Nun, zumindest letzteres war mit dem Schwarzmarkt erklärbar. „Es ist die Wahrheit.“ Antures sah blass aus und knetete seine Hände. „Was könnt Ihr mir über die Diebstähle und die gestohlenen Gegenstände, sowie über deren Besitzer sagen?“ Der Kaufmann erzählte, was er wusste. Während Ravinia seine Aussagen über die Bekanntschaft mit den Angaben von Bentilas verglich, stellte sie eine auffällige Häufung sich widersprechender Aussagen fest. Bei einer ganzen Reihe von Personen, die Bentilas als Freunde oder engere Bekannte seines Rivalen angegeben hatte, gab der blonde Mann an, nicht mit ihnen befreundet zu sein und benutzte auffällig oft die Vergangenheit. Mit den Diebstählen wollte er nichts zu tun haben. „Ihr sprecht von einer Vielzahl an Leuten, als wären sie mal Freunde oder enge Bekannte gewesen, heute aber nicht mehr. Wieso?“ „Weil sie es nicht mehr sind. Als meine Mutter begann, von Dämonen zu reden, habe ich jene Leute um Rat ersucht oder um Hilfe gebeten. Helfen wollte mir niemand, weil sie nicht mit einer Schwachsinnigen in Berührung kommen wollten, als habe sie eine ansteckende Krankheit. Je mehr sich ihr Zustand verschlechterte, desto mehr von ihnen kehrten mir den Rücken zu. Ich blieb fast alleine mit ihr und der zusätzlichen Arbeit. Man braucht keine Feinde, wenn man die zu Freunden hat.“ Antures sprach zunehmend mit Verbitterung. Ravinia dachte an die Worte des Bürgermeisters, dass er sich nicht erinnern könne, dass der Kaufmann um Hilfe gebeten hatte. Als Bürgermeister war er vielleicht zu weit weg gewesen, um es zu registrieren, aber wenn einige der Bestohlenen Antures den Rücken gekehrt hatten, hatte er ein Motiv, sich an ihnen zu rächen. Der Kaufmann sah nervös aus dem Fenster. „Wenn es Euch nichts ausmacht, Erbgräfin, würde ich jetzt gerne gehen. Ich muss noch ein paar Tiere versorgen. Falls Ihr noch mehr Fragen haben solltet, stehe ich Euch selbstverständlich wieder zur Verfügung.“ „In Ordnung. Ich werde mich melden, wenn ich weitere Fragen habe.“ Antures erhob sich, deutete eine Verbeugung an und verließ das Zimmer. Ravinia seufzte. Dieser Kaufmann war zwar freundlicher und schien ein vernünftiger Mensch zu sein, jedoch machten sie einige Dinge stutzig. Sie sah nun ebenfalls aus dem Fenster. Die Abenddämmerung brach herein. Vielleicht war es Zeit, diejenigen zu befragen, die alles sahen und nicht gesehen wurden. Sie erhob sich, nahm ihre Aufzeichnungen und ging auf ihr Zimmer, um sich umzuziehen. Sie zog einen zerschlissenen grauen Unterrock an und warf ein dreckiges, geflicktes, graues Kleid darüber. Danach trat sie an den Kamin und bedeckte ihr Gesicht, die Haare und ihre Hände mit genug Asche, um als Bettlerin gelten zu können, wenn man sie nicht kannte. Damit ihre Tarnung nicht versehentlich aufflog, kletterte sie mit Hilfe eines Seils aus dem Fenster. Entscheidende Informationen bekam sie oft, wenn man in ihr nicht die Tochter des Grafen sah. Vorsichtig schlich sie sich hinter dem Rathaus und der Kirche entlang, bevor sie in den verwinkelten Gassen verschwand und sich auf die Suche nach den Bettlern machte. Es dauerte eine Weile, bis sie die ersten Verschläge sah. Ein Mann und eine Frau saßen um ein kleines Feuer. Langsam ging sie auf die beiden zu, grüßte freundlich und setzte sich auf den Boden ans Feuer. Die meisten Armen kümmerten sich nicht um zu viel Höflichkeit, aber Stolz waren sie oft schon. Ravinia begann nach einer Weile über die beiden Kaufleute herzuziehen, die derzeit das Tagesgespräch der Stadt waren. Die Frau hakte sich direkt ein und fluchte, dass Bentilas sie erst am Morgen geschlagen habe, weil sie ihm auf seinem Weg zum Fluss im Weg gestanden hatte. Im weiteren Verlauf ihrer Schimpftirade blieb kein Zweifel daran, dass der Kaufmann genau den miesen Charakter hatte, den die Grafentochter bisher von ihm hatte. Als die Frau geendet hatte, begann der Man zu erzählen, dass der andere Kaufmann, Antures, nicht mehr so war wie früher. Verschlossener sei er und abweisender. Er hatte selber mit seiner Mutter am Rand der Stadt gelebt, bevor er zu Geld gekommen war. Daher behandelte er die Armen der Stadt mit mehr Respekt, als es die übrigen Bürger taten. Ravinia fragte, ob die beiden glaubten, dass einer der beiden der Mörder sei, von dem alle redeten. Bentilas trauten die beiden es zwar zu, aber sie hatten schon gehört, dass der Stadtrat an einer Krankheit gestorben sei. Nach einer Weile verabschiedete sich Ravinia und zog weiter. Wo sie auch hinkam, die Aussagen der Bettler waren sehr ähnlich. Das war schon ungewöhnlich, hatten viele normalerweise nicht viel für die wohlhabenderen Bürger übrig. Aber scheinbar war Antures ein guter Mensch gewesen, der sich aber nach dem Tod seiner Mutter in sich zurückgezogen hatte. Als sie gerade die Gassen zur Hauptstraße entlang ging, stellte sich ihr plötzlich ein alter Mann in den Weg. Es war bereits dunkel, aber es war einfach, ihn als Bettler zu identifizieren. Sonst trieb sich niemand um diese Zeit in diesem Teil der Stadt herum. „Is nich grad gesund für so ein hübsches, reiches Ding wie dich, hier so allein rumzulaufen.“ „Nun, jetzt bin ich ja nicht mehr allein.“ „Ich hab da was für dich. Du suchst doch nach Sachen, wegen dem alten Stadtrat, nich?“ „Wenn du was für mich hast, dann habe ich auch was für dich.“ Ravinia ließ ihre Hand in die Rocktasche gleiten. Sie hatte immer ein paar Münzen für Fälle wie diesen dabei. „Antures war mal einer von uns. Jetz isser aber anders. Geht ständig in der Dämmerung zum Wald.“ Der Mann streckte eine Hand aus und wartete. „Was meinst du mit ständig? Was macht er da?“ „Ständig, jeden Tag. Nimmt immer Milch und Eier mit. Hat da irgendwas bei nem Baum versteckt. Ganz nah am Waldrand.“ Ravinia runzelte die Stirn. Milch und Eier im Wald? Damit versorgte er wohl kaum Tiere. Sie drückte dem Mann zwei Münzen in die Hand und wollte weitergehen, als er sie zurückhielt. „Du solltest ihm nich folgen Kindchen. Hat jetzt manchmal so ne Katze dabei. Wild mit orangenen Augen. Richtiges Mistvieh.“ „Wann genau geht er immer zum Wald?“ Der Alte sagte nichts, sondern deutete zur Hauptstraße. Dort sah sie gerade noch den Kaufmann hinter einem Haus verschwinden. Sie drückte dem Mann noch zwei Münzen in die Hand und setzte ihrem neuen Ziel nach. Es war gar nicht so leicht, ihm unerkannt zu folgen. Er hatte einen Korb bei sich und kletterte nun über die Mauer. So konnte er also die Stadtwachen am Tor, das mittlerweile geschlossen sein dürfte, umgehen. Als Antures verschwunden war, lief Ravinia zur Mauer. Es gab hier einige Schäden im Mauerwerk. Grade genug, um jemandem mit etwas Geschick das Überwinden dieses Hindernisses zu erlauben. Schnell kletterte sie rauf und sah gerade noch den Schatten zum Wald huschen. Es gab keine Deckung bis zum Waldsaum. Sie musste das Risiko eingehen und so schwang sie sich von der Mauer und rannte dem Schatten hinterher. Am Waldsaum angekommen versteckte sie sich hinter einem Baum und sah vorsichtig um den Stamm herum. Sie sah Antures gerade zwischen ein paar Bäumen verschwinden und folgte ihm, nun besonders darauf bedacht, keine unnötigen Geräusche zu verursachen. Ravinia holte ihn ein, als er schließlich an einem Baum angehalten hatte. Er sah sich verstohlen um und holte dann etwas aus dem Gebüsch. Die Frau hörte ein fauchen, dann etwas, das tatsächlich wie das Brechen einer Eierschale klang, gefolgt von schlürfenden Lauten. Sie rührte sich nicht und plötzlich begann Antures leise zu fluchen. „Ich wünschte, ich wüsste wie man dich wieder loswird! Nichts als Kummer hast du mir gebracht. Das sollte doch so nicht sein.“ Es folgte ein Geräusch, das wie höhnisches Spotten klang. Nach einer Weile endeten auch die Schlürfgeräusche und der Kaufmann platzierte das Etwas wieder im Gebüsch. Er sah sich erneut um und huschte dann aus dem Wald heraus zurück zur Stadt. Ravinia wartete noch einen Moment, bis sie sich zu der Stelle begab, an der Antures vorher gewesen war. Vorsichtig bog sie die Zweige des Busches zur Seite und entdeckte einen Kasten, der aus einem Ihr unbekannten Holz gefertigt war. Rund und hell mit einer glatten Oberfläche, in fast gleichmäßigen abständen schien es, als seien zwei dieser Hölzer ineinander gesteckt worden. Nur dass sie es nicht waren. Es war immer ein Holzstab, aber eben mit dieser nahtartigen Unterbrechung. Auch Blätter und Amulette waren an der Kiste befestigt. Als sie über eines der Amulette strich, fauchte es plötzlich aus der Kiste heraus und sie rappelte. Erschrocken wich Ravinia zurück und stieß dabei gegen jemanden. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter und sie zog instinktiv den Dolch aus der versteckten Scheide an ihrem linken Arm. Ruckartig drehte sie sich um und wollte den Dolch an den Hals des Unbekannten bringen, doch ihre Hand wurde abgefangen. Erschrocken starrte sie in das fremde Gesicht. Helles, langes Haar mit Flechten…und spitze Ohren. „Ich bin nicht Euer Feind, Erbgräfin Ravinia. Aber der da schon.“ Der Elf nickte zu der merkwürdigen Kiste. „Wer seid Ihr?“ „Mein Name ist Selbian. Wir haben uns ein paar Dinge zu sagen, doch zunächst sollten wir den da loswerden.“ „Was ist das?“ „Wir nennen es einen Bajang. Ein blutrünstiger Dämon, der im Körper eines totgeborenen Kindes wächst und von Hexen oder Zauberern befreit und dienstbar gemacht werden kann.“ „Ein…totgeborenes Kind?“ Arbeiteten die beiden Kaufleute etwa zusammen? „Ich weiß, Ihr habt viele Fragen, aber wir sollten uns wirklich erst um den Bajang kümmern.“ „Und wie?“ Ravinia sah den Elfen skeptisch an. In dem kleinen Kasten sollte ein blutrünstiger Dämon stecken? „Wir fällen seinen Baum und verbrennen ihn.“ Mit diesen Worten erhob sich der Elf und hob eine Axt vom Boden auf, die er wohl mitgebracht haben musste. „Und woher wissen wir, welcher Baum seiner ist? Der hier doch wohl nicht, oder?“ Sie deutete auf den Baum, neben dem der Kasten versteckt worden war. „Nein, der nicht. Zum Glück ist Euer Kaufmann schlau genug gewesen, den Bajang in der Nähe seines Baumes zu verstecken, auch wenn er seine Bedeutung nicht kannte.“ Der Elf hob die Axt und schlug gegen den Stamm des Baumes, der hinter dem Versteck gewachsen war. Mit einem Mal ertönte ein furchtbares Fauchen aus dem Kasten und was auch immer dort gefangen war, versuchte sich zu befreien. Es dauerte, bis der Elf den Baum schließlich gefällt hatte, während der Dämon immer stärker gegen sein Gefängnis ankämpfte. „Wenn Ihr mir kurz zur Hand gehen würdet, dann sind wir ihn los, bevor er sein Gefängnis zerstört. Das könnte nämlich ein Problem werden.“ Der Elf deutete auf den gefällten Baum und gemeinsam zogen sie ihn hinaus auf die Wiese vor dem Waldsaum. Nur einen Moment später hatte der Elf den Baum in Brand gesetzt. Das Fauchen und Heulen nahm weiter zu. Während der Baumstamm schneller zu verbrennen schien, als er sollte. „Elfenfeuer ist ein bisschen zerstörerischer als das, was ihr Menschen so entfacht. Aber nehmt Euch in Acht, noch kann der Dämon“, doch weiter kam Selbian nicht. Sie hörten ein Krachen und ein Zischen und plötzlich schoss eine verkrüppelte, untersetzte Kreatur mit orangenen Augen, blass brauner Haut und dünnen Haaren aus dem Wald hervor. Im Schein des Feuers wirkte der weite, lippenlose Mund nicht nur wie eine höhnische Fratze, sondern auch unheimlich bedrohlich. Ravinia warf ihren Dolch nach dem Dämon und traf eines seiner Augen. Mit einem wilden Heulen stürzte das Wesen zunächst zu Boden, nur um sich gleich wieder zu erheben. Der Elf warf seine Axt nach der Kreatur, doch in diesem Moment gab der Baumstamm ein letztes Knacken von sich, bevor er zu Asche zerfiel und der Bajang löste sich unter unheimlichem Geheule in einem Feuerball auf. Mit einem Schlag war es still und die ansonsten ruhige Nacht wirkte auf Ravinia einfach nur bedrohlich. „Damit hättet Ihr den schlimmsten Teil Eurer Aufgabe wohl erfüllt“, sagte Selbian und ging zurück zum Wald, um die Überreste des Dämonengefängnisses aufzusammeln. Als der Elf zu Ravinia zurückkehrte, starrte sie noch immer auf den Fleck, wo noch einen Augenblick zuvor ein Dämon auf sie losgegangen war. Ihr Dolch war nur noch ein Klumpen Metall. „Kommt, gehen wir. Ich werde Euch alles erzählen, was ich weiß.“ Die junge Frau nickte nur. Sie bekam kaum mit, wie der Elf Einlass in die Stadt verlangte und mit ihr schließlich zum Rathaus ging. Dort angekommen ging sie schnurstracks ins Arbeitszimmer, das sie in den letzten Tagen benutzt hatte und ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Ihr seid mir eine Erklärung schuldig“, sagte sie matt und sah den Elfen an, als wäre all das nur ein böser Traum. Selbian lächelte. „Dann fange ich mal am Anfang an. Wie Ihr wisst, war ich es, der den Leichnam des Stadtrates untersucht hat. Ich hatte damals keine Erklärung für die seltsame Krankheit, die ihn das Leben gekostet hatte. Nachdem ich meine Arbeit hier getan hatte, suchte ich unseren Ältestenrat auf. Sie sagten mir, dass eine solche Krankheit schon einige Male aufgetreten sei. Immer tödlich und immer Nahe einer Zeit, zu der ein totes Kind geboren war. Und jedes Mal hatte eine Hexe oder ein Zauberer einen Bajang aus dem toten Leib befreit. Es gab Gerüchte, dass sich seit einiger Zeit ein Hexer beim Schwarzmarkt auf der Waldlichtung herumtrieb und so ging ich der Sache nach. Ich spürte den Hexer auf und wurde Zeuge, wie er Eurem Kaufmann erklärte, wie er den Bajang kontrollieren könne.“ „Eier und Milch.“ „Richtig. Der Bajang tötete den Stadtrat, nachdem Antures ihn beschworen hatte ohne überhaupt genau zu wissen, was er da beschworen hatte.“ „Also tötete er den Stadtrat?“ Ravinia sah ihn entsetzt an. Sie hätte nicht erwartet, dass dieser Mann jemanden töten könnte. „Nein. Der Bajang tötete ihn. Wie ich bereits sagte, Euer Kaufmann wusste nicht, was er da beschwor. Als der Hexer ihm erklärte, wie er den Bajang zum Stehlen erziehen konnte, wollte Antures nicht. Er wollte alles rückgängig machen und flehte den Hexer an, das Geschehene ungeschehen zu machen. Er habe das so nicht gewollt. Der Hexer lachte nur, schalt ihn einen Narren, dass er ihm geglaubt habe, er würde aus einem totgeborenen Kind nur einen Poltergeist beschwören und dass der Kindsvater sein Kind getötet habe, indem er seine Frau vergiftete.“ „Aber…das bedeutet, Bentilas hat das Kind nicht getötet. Aber wer dann?“ „Niemand. Das Kind, so traurig es auch ist, war bereits vor der Geburt tot. Niemand trug Schuld daran, am allerwenigsten die Mutter und erst recht nicht der Vater. Es war nur eine Lüge des Hexers, damit er den Kaufmann dazu bewegen konnte, den Bajang zu beschwören.“ „Aber wieso sollte dieser Hexer das nicht selber machen? Wenn ich das richtig verstehe, wollte er ihn doch kontrollieren, oder etwa nicht? Als seinen persönlichen Dieb.“ „Ja und nein. Er wollte die Fähigkeiten des Bajang nutzen ohne ihn ständig im Zaum halten zu müssen. Eier, Milch, der Kasten aus exotischem Holz mit seinen Blättern und Amuletten. Das wollte er sich nicht antun. Dadurch, dass er Antures verschwieg, dass der Bajang töten kann, provozierte er eine Situation, in der ein paar unbedachte Worte den Bajang dazu bringen würden, jemanden zu töten, damit der Hexer den Kaufmann erpressen konnte.“ „Wartet, das bedeutet, Antures hat irgendwas gesagt, woraufhin dieser Bajang den Stadtrat tötete?“ Ungläubig starrte Ravinia den Elfen an. Welch ein teuflisches Spiel wurde hier getrieben? „So ist es leider. Soweit ich die Klagen Eures Kaufmanns mitbekommen habe, hatte der Stadtrat ihm verboten, weiterhin Waren abzubieten. Das wäre für ihn der sichere Ruin gewesen. In seinem Zorn warf er Jasperson an den Kopf, er möge dafür einen grauenvollen Tod erleiden. Der Bajang war in der Nähe und hat diesen unbedachten Worten nur zu gerne Taten folgen lassen. Mit dem Glauben, er habe einen Menschen getötet, wurde Antures durch den Hexer gezwungen, den Bajang zum Stehlen zu nutzen und ihm so eine Art Schweigegeld zu bezahlen. Ich versichere Euch, was Ihr heute Nacht gesehen und gehört habt, ist die Wahrheit. Antures ist selbst nur ein Opfer. Er hätte es niemals fertig gebracht, einen Menschen zu töten oder dessen Tod anzuordnen. Sein Gewissen ist die wohl schlimmste Strafe, denn er wird das Geschehene nie vergessen können.“ Im Zimmer wurde es still. Erst jetzt bemerkte Ravinia, dass eine kleine Feuerkugel Licht spendete. „Was ist mit Bentilas? Hat er dann ebenfalls keine Schuld?“ „Nun, ich vermute, der Hexer hatte mit ihm als Opfer gerechnet. Der Streit zwischen den beiden Kaufleuten war dafür der Nährboden. Schuldig ist er nur für das, was er tatsächlich getan hat. Das Kind starb ohne sein Zutun.“ „Verstehe. Und was ist mit dem Hexer? Wo ist er?“ Jetzt hieß es, den wahren Täter zur Rechenschaft zu ziehen. „Tot. Er wurde zu gierig und glaubte, er könne die Unsterblichkeit eines Elfen stehlen. Aber so funktioniert Hexerei nicht. Jeder Zauber hat seinen Preis und wer die Unsterblichkeit will, der wird nur den Tod finden. Ich fand ihn letzte Nacht kurz hinter der Grenze unseres Reiches.“ „Ich danke Euch, Selbian. Ohne Euch hätte ich wohl einen Unschuldigen verurteilt. Wieder einmal.“ „Ihr seid zu hart zu Euch, Erbgräfin Ravinia. Ihr habt die Wahrheit aus Antures‘ Mund gehört und den Bajang gesehen. Den Rest hättet Ihr auch noch herausgefunden, wäre der Bajang nicht gewesen. Der musste vernichtet werden, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten und nur daran hättet Ihr scheitern können, aber nicht im Finden der Wahrheit.“ „Sind alle Elfen so freigiebig mit aufmunternden Worten?“ Ein Lächeln huschte über Ravinias Züge. „Ich sage nur die Wahrheit. Wenn Ihr wünscht, helfe ich Euch dabei, die Wahrheit den Bürgern mitzuteilen. Das Urteil könnt Ihr ja alleine sprechen.“ Der Elf lächelte und Ravinia wurde bewusst, dass er Recht hatte. Sie hatte gehört, was Antures gesagt hatte. Es würde nur nicht leicht werden. Nach ein paar letzten Worten verabschiedete sich die Frau von dem Elfen und zog sich zurück. Am nächsten Tag ließ sie zunächst nur Selbian, den Bürgermeister und die beiden Kaufleute zu sich kommen, um ihnen von ihren Ergebnissen zu berichten und von dem Elfen bezeugen zu lassen. Antures war weinend zusammengesunken und flehte um Vergebung für seine Taten. Bentilas, schockiert darüber, dass ein Kind zu solch einer Beschwörung missbraucht worden war, mit einem Geflecht aus Lügen, sank auf einen Stuhl. Er hatte dazu beigetragen, dass es überhaupt dazu gekommen war, indem er Antures immer wieder hatte vorführen wollen. Für Ravinia gab es nur ein Urteil für jeden von ihnen: Keiner hatte einen Mord begangen oder willentlich herbeiführen wollen. So kaltherzig waren sie beide nicht. Zwar hatte Antures die Diebstähle quasi in Auftrag gegeben, aber nur, weil er erpresst wurde. Antures Strafe war sein Gewissen und so trug die Grafentochter ihm auf, seinen Wohlstand dazu zu verwenden, den Armen zu helfen, wenn er denn auf einer Strafe bestand. Wer konnte schon besser beurteilen, was die Armen brauchten als einer, der mal zu ihnen gehörte? Bentilas hingegen hatte zumindest wissentlich das Leben und die Geschäfte seines Rivalen erschwert. Er sollte bis an sein Lebendsende auf ein Amt verzichten, dass höher war als das von Antures. Doch Bentilas wollte nicht mehr Stadtrat werden. Das Wissen, das er durch seine Gier und seinen Machthunger dazu beigetragen hatte, dass aus einem Kinderleichnam ein Dämon beschworen werden konnte, hatte ihn zutiefst erschüttert. Er wollte sich in ein Kloster zurückziehen, bis er sich selbst dafür vergeben konnte und wusste wer er wirklich war und was sein neues Ziel im Leben sein sollte. Das alles hatte eine alte Wunde in ihm aufgerissen, denn er hatte seinen Zwillingsbruder an einen Wasserdämon verloren, als sie noch Kinder waren. Seitdem war sein Herz kalt gewesen und nun war es ein weiteres totes Kind, das sein Leben erneut verändert hatte. Das Urteil und die ganze Geschichte wurden der Bevölkerung kundgetan, denn Ravinia entschied, das auch die Bürger eine Teilschuld traf, indem sie vorschnell geurteilt hatten und sich in der Not von Freunden abgewendet hatten. Ihre Strafe war die Wahrheit. Was sich dadurch ändern würde, war noch nicht abzusehen. Einen Aufstand oder Krieg würde es hier jedenfalls so schnell nicht geben. Als sich Ravinia zwei Tage später auf den Heimweg machen wollte, trat ein Zwerg an sie heran. „Hör mal, Mädchen. Das hier ist von einem Elfen. Ich soll’s dir geben. Er meinte, er schulde dir was.“ Erstaunt nahm Ravinia das Kästchen entgegen und öffnete es. Im Inneren lag ein kunstvoll geschmiedeter Elfendolch. „Ich danke Euch, Herr Zwerg.“ „Schon gut. Wer weiß, wo wir ohne Euch jetzt stünden. Gute Reise und passt auf Euch auf.“ Mit einem Lächeln verabschiedete sie sich und machte sich auf den Weg zurück nach Hause. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)