9 mm - Blut und Schweiß von Luca-Seraphin ================================================================================ Kapitel 5: 5 ------------ „Mach das Fuck-Radio aus, Mann!“, wiederholte Jens mit aller Schärfe, zu der er fähig war. Leider klang es in seinen Ohren nur nach einem quengelnden Kind. Er hasste sich dafür. „Sonst was? Schießt du?“ Christoph klang so unerträglich selbstsicher und kalt. Ihn schien die Pistole kein bisschen zu erschrecken. Was war in dem Kopf des Mannes so kaputt, dass er nicht wenigstens zusammenzuckte? Jens lief ein Schauder über den Rücken. Der Typ war emotionslos und abgebrüht. Vielleicht hätte Jens sich besser nicht auf ihn einlassen sollen. Dabei hatte Christoph vor der Raststätte angenehm ruhig ausgesehen, wie jemand, mit dem sich auskommen ließ … Jens schluckte. Seine Hand wurde feucht. Er krampfte die Finger fest um den Griff der Waffe. Eigentlich war sie lächerlich klein, aber sie wog viel. Seltsam. Vor ein paar Stunden, als er sie aufgehoben und eingesteckt hatte, war sie ihm wesentlich leichter vorgekommen. Vielleicht eine Sinnestäuschung? In dem Moment hatte seine Körper reines Adrenalin durch die Adern gepumpt. Er wusste ohnehin nur schemenhaft, was passiert war. Eine Reihenfolge in den Ereignissen gab es in seiner Erinnerung nicht. Alles lief ineinander. Gedanken, Gefühle und Wahrnehmung gerannen zu einem dunklen, schattigen Nebeltanz ohne Konsistenz. Unheimlich … „Ich schieße, wenn …“ Christoph fiel ihm ins Wort. „Dann rauscht mein Truck führerlos irgendwo rein. Das ist sicher nicht in deinem Sinn.“ Er klang so entsetzlich rational … Jens blieb nichts übrig, als notgedrungen zuzustimmen. Er spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. Hitze verteilte sich mit feinen Stichen direkt unter seine Haut. Ihm trat Schweiß auf die Stirn. Das verlief überhaupt nicht gut. Christoph drehte das Radio noch lauter, sodass die Stimme des Sprechers die ganze Fahrerkabine ausfüllte und sich als zusätzliche Vibration in Boden und Tür fortsetzte. „Zum Schluss bittet die Münchner Polizei um Mithilfe. Im Zusammenhang mit dem Doppelmord an einer Polizistin und einer Zivilperson in München Giesing wird ein unbekannter Täter gesucht.“ Die Worte elektrisierten, rannen wie Lava durch Jens‘ Adern in seinen Verstand und explodierten in seinen Schläfen. „Zeugenaussagen zufolge ist der Tatverdächtige zwischen 18 und 28 Jahren alt, etwa 1,75 bis 1,85 Meter groß und schlank. Er trägt ein auffälliges, helles T-Shirt mit Aufdruck, helle Hosen, Turnschuhe und ist vermutlich der Schwulen – und Punk-Szene zuzuordnen. Möglicherweise ist er mit einem gestohlenen braunen Lada Niva unterwegs, Amtliches Kennz…“ Jens schlug mit dem Kolben auf die flachen Knöpfe des Radios ein, bis der Druck in seinem Schädel nachließ und nur noch das Brummen des Motors zu hören war. Selbst danach konnte er nicht aufhören. Zerstören, das Ding für immer zum Schweigen bringen! Irgendetwas riss seine Hand auf. Blut spritzte auf das Display. Egal, wenigstens schwieg dieses Scheiß-Radio endlich. Jens sank zurück. Er fühlte sich zittrig und erschöpft. Zugleich glaubte er zu spüren, wie sich der Boden unter ihm auftat. Er fiel – endlos tief. Grauenhaft. Gab es aus dieser Situation einen Ausweg? Christoph schwieg. Er fuhr stur weiter, ohne mit der Wimper zu zucken. Wahrscheinlich hatte sein Gesicht nicht einmal Farbe verloren, aber das ließ sich bei der einsetzenden Dämmerung nicht sagen. Gab es überhaupt etwas, das diesen Kerl erschütterte? Plötzlich wandte Christoph den Kopf. Kalte Wut lag in seinem Blick. „Der Truck gehört mir und ich bin kein besonderer Fan davon, dass du mir die Armatur zerschlägst.“ Seine Stimme klang ruhig. Sie zitterte kein bisschen. Für einen Moment war Jens versucht klein beizugeben. Dieser Typ schüchterte ihn ein. Christoph war eiskalt und schien Gefahren vollkommen anders wahrzunehmen als jeder andere. War er verrückt oder wirklich so tough? Wahrscheinlich gab sich Christoph nur überlegen. Er konnte nicht so abgebrüht sein. Langsam entspannte sich Jens und ließ sich in den Sitz fallen, ohne die Waffe aus der Hand zu legen. Er zielte sogar absichtlich auf Christophs Seite. Vielleicht machte ihn das nervös. „Mir egal. Du solltest dir lieber Sorgen machen, dass wir ausreichend schnell nach Berlin kommen!“ Christoph lachte humorlos auf. „Klar! Ich fahre einen Vierzig-Tonner. Mal schauen, ob ich den nächsten PKW überholen kann.“ Mit einem spöttischen Seitenblick fügte er hinzu: „Du hast dich in der Wahl deines Fluchtwagens geirrt; nicht nur mit der Krücke von Lada, sondern auch mit meinem LKW. Ich kann aus einem voll beladenen Wagen, auf dem Zollfracht ist, nicht mehr rausholen als das, was ich gerade fahre. Bei 90 Stundenkilometern ist Sense.“ Vermutlich hatte Christoph recht. Jens war aufgefallen, wie langsam der Truck vorhin vom Rastplatz gerollt war. Die Maschine hatte zu arbeiten und es ging über weite Strecken bergauf. Er stöhnte. „Scheiße!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)