9 mm - Blut und Schweiß von Luca-Seraphin ================================================================================ Kapitel 2: 2 ------------ Christoph blieb noch einen Moment im Eingang des Rasthofes stehen und sah Dariusz nach, der aus dem Lichtkegel der Laterne in den Schatten zwischen den LKWs trat. Der Arbeitsalltag begann. Auch für ihn wurde es Zeit, sich auf den Weg zu machen. So früh am Morgen würde der Verkehr Richtung Berlin sicher gut laufen. Hier unten, in der Nähe von München, hielt ihn nichts mehr. Er schnippte den Zigarettenstummel auf den Asphalt und trat ihn aus. Nachdenklich sah er zu Dariusz hinüber, der in seine Zugmaschine kletterte und die Tür hinter sich zuwarf. Sein Partner saß im blassen Schein der Innenbeleuchtung, zündete sich eine Zigarette an und sog daran. Die Helligkeit wich, nur das orange-rote Glühen hinter dem Lenker blieb. Dann erwachten Scheinwerfer und Armaturenlicht. Dariusz‘ flächiges Gesicht bekam durch den fahl grünen Schein etwas Geisterhaftes. Er startete den Motor seines Actros. Die kraftvollen Erschütterungen setzten sich im Asphalt des Parkplatzes fort. Langsam rollte der Sattelzug aus der Lücke. Dariusz schlug den Lenker ein und nickte Christoph zum Gruß zu. Einen Moment später Versank die Fensterscheibe auf der Beifahrerseite in der Tür. Dariusz lehnte sich nach drüben. „Treffen wir uns zum Frühstück am Rasthof Nürnberg Feucht?“ Christoph nickte, obwohl er keinen Appetit hatte und Dariusz ungern beim Essen zusah. Vielleicht konnte er sich noch ein wenig mehr Zeit verschaffen. Er hob die Hände. „Ich gehe trotzdem erst mal duschen, kann also sein, dass ich etwas später da bin.“ Dariusz winkte ab, setzte dazu an etwas zu sagen, verkniff sich den Kommentar aber. Kopfschüttelnd fuhr er das Fenster wieder hoch und rollte langsam über die Zufahrt zur Autobahn. Zum Gruß ließ er noch einmal die Warnblinkanlage aufflackern, bevor er Gas gab. Christoph wandte sich ab. Er wollte den Dreck der unruhigen, warmen Nacht und den Gestank der Koje in seinem Truck abspülen. Langsam ging er über den Parkplatz und blieb auf der Beifahrerseite stehen. Er griff in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel und öffnete. Rasch kletterte er ins Führerhaus, suchte er seine Sachen zusammen und schob sie mit Rasierzeug, Duschgel und Handtüchern in seinen Reisesack. Draußen quietschte ein Zahnriemen. Das Geräusch näherte sich von der Tankstelle und wurde lauter. Er hob kurz den Blick. Ein altersschwacher, schmuddeliger Lada Niva, vermutlich aus den beginnenden 90ern, kroch heran und bog auf den PKW-Parkplatz ein. Lang würde es der Motor nicht mehr machen, bis er hinüber war. Christoph schüttelte den Kopf und sprang aus seinem Truck. Vorsichtshalber überprüfte er, ob die Zugmaschine verschlossen war, umrundete den Trailer und sah sich die Plombe an der Hecktür an. Alles schien gut zu sein; Zeit, duschen zu gehen. Als Christoph aus dem Rasthof in die laue Luft trat, fröstelte er. Aus seinem Zopf rann ein stetiger Bach Wasser und sickerte in sein Shirt. Er sah er zu dem alten Lada hinüber. Der Wagen stand verlassen da. Ob das Fahrzeug überhaupt noch einmal startete? Christoph bezweifelte es fast. Er ging zu seinem Truck, zog die Schlüssel und öffnete. Die Blinker flammten synchron auf. Er öffnete die Tür. Gerade als er sich hochzog, knirschten Steinchen unter Schuhen. In Christophs Nacken richteten sich die Härchen auf. „Hallo?“, rief eine jung klingende Männerstimme aus dem Schatten. Christoph kniff die Augen zusammen. Zwischen den Zügen stand jemand; gerade noch außerhalb der Reichweite der Innenbeleuchtung und der Laterne. Christoph spürte die Kälte seines nassen Hemdes noch stärker. Hatte er in München vielleicht mit seinen Fragen die falschen Leute auf sich aufmerksam gemacht? Er kniff die Lider zusammen und versuchte den Mann zu erkennen. Der Kerl hielt einen Rucksack in der Hand. Da er den Blick auf den Boden richtete und ein Hoody trug, unter dessen Kapuze der steife Schirm eines Basecaps herausragte, konnte Christoph kaum mehr als den rot stoppeligen, spitzen Kiefer des Fremden sehen. Verdächtig war kein Ausdruck. Wenn das nicht nach Ärger roch! Andererseits waren solche Kleider typisch für Hip Hopper und Skater; vielleicht doch nur ein ganz normaler Typ? Mühsam verdrängte Christoph das schlechte Gefühl. Überzureagieren war genauso unklug wie die Vorsicht außer Acht zu lassen. „Was ist?“, fragte Christoph. Glücklicherweise spiegelte sich in seiner Stimme nichts von seiner Unsicherheit wieder. Der Mann reagierte nicht. Er hielt den Kopf gesenkt. Ärger! Wie zur Warnung zog die Schussnarbe auf seiner Brust und die runde Brandverletzung an seiner Schläfe kribbelte. Prickelnd schoss ihm das Blut in die Wangen. Instinktiv griff er in seinen Hosenbund – nichts. Seine Waffe lag in der Sporttasche unter der Koje. Mist, Dariusz war bereits unterwegs! Wenn es zu einer Prügelei kam, standen Christophs Chancen gut. Er war größer, massiger und – hoffentlich – kampferprobter. Christoph zog sich bewusst ruhig auf den Sitz und ließ den Rucksack neben sich fallen. Er nahm das Handy aus der Gesäßtasche. Hatte er zuletzt mit Dariusz oder Jürgen telefoniert? Egal wen, einen Notruf absetzen … „Wohin fährst du?“, fragte der Mann unvermittelt. Seine Stimme klang rau. Christoph verlor den Gedanken. Er sah hinunter. Der Fremde trat in das schwache Licht des Wagens. Der Mützenschirm überschattete noch immer seine Züge. „Berlin“, entgegnete er. „Nimmst du mich mit?“ In der Stimme lag ein unterschwelliges Flehen. Jetzt hob der Mann den Kopf. Jung traf zu. Er konnte höchstens Anfang, Mitte zwanzig sein. Seine Wangen waren eingefallen und grau, die großen, runden Augen lagen tief in den Höhlen. Dunklen Schatten hatten sich darunter eingegraben. Seine Lippen wirkten voll, aber sehr trocken und spröde, sodass sich Hautschüppchen unter den Snakebites hochgeschoben hatten. Anhand der Bridge in der Nasenwurzel und anderen Piercings in Nase und Braue war er kein Hip Hopper, sondern eher ein Punk. Der rot-schwarze Kommunistenstern auf seiner Brust unterstrich seinen Eindruck. Jung und fertig, der typische Punk, der auf Daumentaxi weiter kam. Er machte den Eindruck, übernächtigt zu sein. Langsam senkte der junge Mann den Blick wieder. „Sorry, dass ich dich angequatscht habe, okay?“ Er klang enttäuscht. Chris knurrte ärgerlich. Was konnte ihm jemand antun, der rund zwanzig Jahre jünger war? In einem ernst gemeinten Kampf würde er definitiv unterliegen. Christoph atmete tief ein und deutete zur Beifahrertür. „Auf, rein mit dir!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)