Opus Magnum von AimaiLeafy ================================================================================ Kapitel 15: La Ténèbres et la Nuit - Opus VI -------------------------------------------- Ohne Youma vorzuwarnen, hatte Nocturn sie an einen anderen Ort teleportiert – einen Ort, den sein Begleiter nicht platzieren konnte, weshalb er sich verwirrt umsah, nachdem Nocturn ihn wieder losgelassen hatte. Sie waren in einer... Wohnung, wie es Youma vorkam; einer Wohnung, die in hellen, schlichten Farbtönen gehalten war, ohne viel Privates zu beinhalten. Eine Wohnung, die auf das Nötigste beschränkt war, ohne dabei ungemütlich zu wirken. Nur... nicht viel benutzt. „Wo hast du uns hingebracht?“, fragte Youma, einen neugierigen Blick in die kaum benutzt aussehende Küche werfend, die an das Wohnzimmer anschloss, während Nocturn den weißen Rosenstrauß auf dem niedrigen Stubentisch ablegte. „In mein Appartement. Ich brauchte einen eigenen Wohnsitz, den ich angeben konnte. Ich kann ja schlecht Rarias Haus als meinen Wohnsitz angeben, ansonsten hätte man uns ja schnell gefunden.“ Youma deutete ein Nicken an: „Ja, das verstehe ich...“ Er geriet ins Stocken, als Nocturn sich wieder zu ihm herum wandte und er bemerkte, dass er immer noch lächelte – nicht grundlos, nicht wegen irgendetwas, wie es Youma schien, sondern... wegen ihm. Er lächelte ihn an, er lächelte so, weil Youma ihn dazu brachte, genauso wie er wiederum Youma dazu brachte, zu erröten, ihm die Sprache verschlug. Was war nur...   Youma war völlig unvorbereitet für das, was plötzlich geschah. Nocturn hatte den Abstand zwischen ihnen verringert, nein, er hatte ihn völlig zunichte gemacht, hatte dafür gesorgt, dass es keinen Abstand mehr zwischen ihnen gab, der sie voneinander trennen konnte, als er seine Hände auf Youmas Brust legte und sie beide für einen kurzen Momente vereinte, als er seine Lippen auf Youmas legte.   Zu überrascht und überrumpelt um etwas zu tun, blieben Youmas Arme in der Luft hängen, unfähig zu begreifen, was gerade geschah, unfähig zu begreifen, dass Nocturn... dass Nocturn ihn küsste. Unbeholfen, mit kindlicher Unerfahrenheit und Unschuld.   Nocturn lächelte nicht mehr, als er die Vereinigung wieder auflöste, indem er den Kopf ein wenig zurückzog. Er blickte Youma abwartend, beobachtend, mit erröteten Wangen in die Augen, welcher nun langsam spürte, wie ihm die Erkenntnis das Blut in den Kopf rauschen ließ. Nocturn hatte ihn geküsst... Nocturn hatte... „Verzeih...“, flüsterte Nocturn und Youma spürte, wie dessen dürre Hände sich auf seiner Brust ein wenig verkrampften. „... ich hätte dich nicht überrumpeln dürfen. Ich hätte dich um Erlaubni-“ Da schnitt Youma Nocturn das Wort ab, indem er die Initiative ergriff; ohne, dass er es kontrollieren konnte, ohne, dass er überhaupt versucht hatte, es zu kontrollieren oder gar zu unterdrücken, schlang er die Arme in neugewonnener Zuversicht um Nocturns skelettartigen Körper, drückte ihn an sich, tat endlich das, was er schon die ganze Zeit hatte tun wollen, endlich--- und die Freude darüber, die ihn kurz zu einem lachenden Grinsen brachte, übermannte ihn, ehe es nun er war, der den ziemlich verblüfften Nocturn küsste; vielleicht ein wenig zu stürmisch, vielleicht ein wenig zu leidenschaftlich. Aber obwohl Nocturns Augen sich zuerst erschrocken weiteten, ließ er sich anstecken, schloss die Augen, schlang ebenfalls die Arme um ihn, gab sich ganz dem warmen Gefühl hin, welches er so verzweifelt versucht hatte, in seiner Musik einzufangen, es zu beschreiben und was sich jetzt so sehr intensivierte, dass Nocturn klar wurde, dass er es niemals in dieser Form hätte einfangen können. Es war so überwältigend, dass er das Gefühl hatte, dass seine Beine einsacken würden; dass er in sich zusammenfallen würde – aber das machte nichts, war nicht schlimm, denn Youma war da, um ihn zu halten. Sie hielten sich gegenseitig.   „Ich dachte die ganze Zeit...“, flüsterte Nocturn wieder, als wäre Flüstern die momentan einzig erlaubte Form zu sprechen; die einzige Art, die angebracht war, wenn man Youma so tief in die Augen blicken konnte wie in diesem Moment, als ihre Nasenspitzen sich berührten.   Seine schwarzen Augen leuchteten wieder... dabei gab es jetzt doch gar keine Sterne, die sich darin hätten spiegeln können. Wie kam das? Was brachte sie jetzt so zum Leuchten? Nocturn vergaß ganz, dass er etwas sagen wollte, als er sich so in Youmas Nachtaugen verlor, die sich nun wieder halb schlossen, als er Nocturn ein weiteres Mal zärtlich die Lippen küsste.   „Die ganze Zeit...“, begann Nocturn von Neuem, nachdem die beiden sich eine ganze Weile nur in den Augen des jeweils anderen verloren hatten: „...dachte ich, ich sei in White verliebt. Wegen dir weiß ich nun, dass ich es nicht bin, niemals war... ich habe mich nach etwas gesehnt...“ Etwas zögerlich hob Nocturn die Hand und legte sie an Youmas Wange, ohne den Augenkontakt abzubrechen: „... von dem ich gar nicht wusste, dass es existiert und mir nicht im Entferntesten vorstellen konnte, wie sich... dieses Gefühl anfühlt. White war für mich immer eine Verbildlichung dieser unergründlichen Sehnsucht... sie wurde zu dieser Sehnsucht. Aber sie war nicht das, wonach ich mich gesehnt habe. Das habe ich heute verstanden, als ich sie wieder sah. Sie und diesen Windwächter zusammen zu sehen... das hätte die Eifersucht in mir schüren müssen, aber das hat es nicht. Ich habe nichts in mir gespürt. Nur Überraschung, aber nicht mehr. Das war alles. Kein starkes Gefühl, kein mitreißendes Gefühl von Eifersucht, Wut oder Trauer... nicht einmal Bedauern.“ Es war wahrscheinlich nicht angebracht, aber diese Worte brachten Youma zu einem erleichterten Lächeln, welches sich auch auf Nocturns Gesicht ausbreitete, als er dessen Gesicht nun mit beiden Händen sanft umschloss. „Und umso länger ich dich anschaue, umso mehr Zeit ich mit dir verbringe, umso mehr Seiten ich an dir entdecke... umso mehr verstehe ich warum, Youma.“ Als einzige logische Antwort auf diese Worte, die Youma rührten, wie ihn schon lange nichts mehr gerührt hatte, näherte er sich wieder Nocturns Lippen, die er dieses Mal jedoch sehr langsam küsste, als müsse er jede Sekunde genießen… während Nocturn seinen Beinen nun erlaubte einzuknicken und die beiden Dämonen eng umschlungen auf die Knie gingen.           Keiner von ihnen sagte es, sie sprachen es nicht aus. Es war unnötig. In diesem Moment wussten sie, spürten sie im Einklang ihrer gleich pochenden Herzen, dass sie sich liebten.     Als sie sich wieder voneinander lösten, ließ Nocturn sich auf den Boden sinken, als wäre er erschlagen von den vielen Gefühlen und der Mächtigkeit dieser und als Youma ihn unter sich liegen sah, die Haare auf dem Boden ausgebreitet, die roten Wangen vom erleuchteten Eiffelturm erhellt, da kam Youma zum ersten Mal der Gedanke, dass er trotz all seiner hässlichen Charakteristika auch Momente hatte, in denen Youma es genoss, ihn anzusehen. Magisch von ihm angezogen konnte Youma nicht anders als sich zu ihm herunter zu beugen, dabei fast automatisch die Haare hinter sein Ohr schiebend. Der Wunsch Nocturn nah zu sein überspülte ihn, als er wieder die Augen schloss, um ihn zu küssen, Nocturn sich ihm sogar entgegenstreckte, als könne er nicht warten, bis dieser bei ihm angekommen sei – nein, es war nicht nur der Wunsch, ihm nah zu sein... es war der Wunsch, alles von ihm zu kennen, alles zu wissen, gänzlich ihm zu gehören, wie er wollte, dass Nocturn sein war.   Aber da war etwas. Er hörte es in seinem Tonfall, als Nocturn seinen Namen sagte, atemlos den Kuss unterbrach: „Youma... ich... ich weiß, was du willst.“ Wieder waren sie Nasenspitze an Nasenspitze, weshalb Youma tief in Nocturns Augen sehen konnte, aber auch ohne diesen intensiven Blickkontakt spürte der Halbdämon, dass da etwas war. War es, weil es Nocturn zu schnell ging...? Natürlich wollte Youma ihn nicht überrumpeln und es war ihm peinlich, dass Nocturn es so schnell bemerkt hatte, aber irgendetwas sagte ihm, dass das nicht der Grund war, weshalb Nocturns Tonlage sich verändert hatte. Er sah ihn nun auch nicht mehr an, sah weg. Seine Augen hatten das Strahlen verloren. „...du willst mit mir...“ Youma fiel ihm ins Wort: er wollte auf einmal nicht, dass es ausgesprochen wurde, er wollte nicht, dass darüber weiter gesprochen wurde, wenn das dafür sorgte, dass Nocturns Augen nicht länger strahlten: „Nein... nein, das möchte ich nicht. Du hast recht, es geht zu schnell...“ „Darum geht es nicht.“   Nocturn zog seine Beine unter Youmas hervor und richtete sich auf, verschränkte die Arme über der Brust, nein, schlang sie eher um sich und ging auf das große Fenster zu, das die gesamte Stubenwand einnahm und von wo aus man einen fantastischen Blick auf den Eiffelturm und Paris bei Nacht hatte. Youma hatte sich auch aufgerichtet, blieb aber auf Abstand. Er wollte nachfragen, was plötzlich mit ihm los war, aber auf einmal traute er sich nicht. Das gelbe Licht der Turmbeleuchtung ließ Nocturns Gesicht nun fahl und blass erscheinen und seine Stimme war ruhig, aber ernst, als er ihm plötzlich eine Frage stellte: „Du magst es, oder?“ Seine Frage klang ein wenig wie ein Vorwurf – aber auch so, als hätte er Angst. Wovor hatte er Angst? „Ja, ich... finde es sehr schön. Aber warum fragst du mich das? Das ist doch jetzt völlig unwichtig...“ Er wollte ihn trösten; er wusste nicht, warum er plötzlich ängstlich war, aber er wusste, dass er ihn so nicht sehen wollte. Youma ging daher auf ihn zu, aber gerade als er fast bei ihm angekommen war, drehte sich Nocturn plötzlich zu ihm herum und der Blick, mit dem er ihn bedachte, zerriss Youma förmlich das Herz. So viel Schmerz, so viel Trauer, so viel Bedauern... so viel schiere Verzweiflung hatte er selten auf dem Gesicht einer Person gesehen. Sofort wollte er ihn in die Arme schließen, irgendetwas sagen, irgendetwas tun, damit es ihm besser ging – was auch immer er tun musste, er würde es tun. Aber Nocturn kam ihm zuvor: „Youma... ich bitte dich um einen Gefallen.“ Der Angesprochene nickte sofort bestätigend.   „Bitte, wenn du dich gleich vor mir ekelst...“ Nocturn atmete tief ein, seine Stimme war brüchig: „... dann versuch, es zu unterdrücken.“   Youma wollte ihn sofort vom Gegenteil überzeugen, aber stattdessen ließ er Nocturn gewähren, sah schweigend, beinahe hypnotisiert dabei zu, wie Nocturn seinen Kragen lockerte, wie er seine dünne, rote Schleife öffnete und sie langsam auf den Boden gleiten ließ. Seine Hände wurden immer langsamer, immer zögerlicher, als er die Knöpfe seines Jacketts öffnete. Er geriet ins Stocken; Youma wollte ihn unterbrechen, aber er bekam keinen Ton heraus... da öffnete Nocturn auch schon die kleinen weißen Knöpfe seines Hemds, allerdings nur zwei – dann kniff er die Augen zusammen, wandte sein Gesicht ab, packte seine halbgeöffnete Kleidung mit seinen langen Fingern und riss sie herunter, womit seine nackte Schulter, sein Arm und ein Teil seines Brustkorbes freigelegt wurde.   In diesem Moment kam die kalte Erkenntnis in Youma hoch; in dem Moment, als er Nocturns Haut sah – eine Haut, die von Narben völlig entstellt war. Wächter und Dämonen setzten sich bei ihren Kämpfen sehr zu; es erschien Youma nicht abwegig, dass beide Seiten Narben als Andenken daran behielten. Vielleicht war das sogar normal. Aber das, was er da vor sich sah, war nicht normal. Nocturns Körper war übersät von Narben; Narben, die systematisch platziert zu sein schienen, so nach Schema in seine Haut eingeritzt, dass kein einziger Zentimeter frei blieb. Und das obwohl er noch nie am Krieg teilgenommen hatte.   „Siehst du?!“, rief Nocturn plötzlich, Youma aus seiner geschockten Starre weckend: „Siehst du das?! Willst du wirklich mit so jemandem wie mir, der so hässlich ist, das Bett teilen?!“ Nocturn hatte jedes Gebot des Schweigens vergessen; er schrie diese Worte voller Verzweiflung, voller Selbsthass, die Augen immer noch zusammengekniffen, die Hand in den Stoff seiner Kleidung gekrallt: „Ich habe sie überall, überall, an jedem Zentimeter meines Körpers; das willst du einfach nicht sehen, das willst du nicht... und ich will es auch nicht; ich will den Ekel nicht in deinen Augen sehen!“   Da riss Nocturn seine Augen plötzlich auf. In seiner Verzweiflung hatte er nicht bemerkt, wie Youma ihm näher gekommen war. Ansonsten hätte er es verhindert, ansonsten hätte er es verhindern müssen, denn niemand konnte das, was Youma gerade tat, freiwillig tun. Nocturn hätte jedem das ersparen wollen, dennoch war er unfähig, Youma davon abzuhalten; sich aus seinem Griff zu befreien, denn er war zu schockiert über das, was Youma tat: er berührte Nocturns spitze Schulter mit seinen Lippen; er küsste seine Narben, ihn dabei mit sanfter Stärke fest im Arm haltend. „Youma... hör auf...“, flehte Nocturn mit Tränen in den Augen, obwohl er nicht wusste, woher sie kamen: „Hör auf, das ist eklig, ich bin doch ekeler-...“ „Nein“, antwortete Youma mit fester Stimme, nachdem er Nocturns vernarbtes, deutlich hervortretendes Schlüsselbein küsste: „Du bist nicht ekelerregend. Die Person, die dir das angetan hat, ist es.“ Denn in diesem Moment, als Youma Nocturn fest an sich drückte, seinen Geruch in sich aufnahm und diese Narben sah, da verstand er plötzlich, weshalb Nocturn ihn bereits einmal so ängstlich angesehen hatte, damals beim Training. Es kam ihm bereits so vor, als wäre es lange her, dabei war es nur eine Woche her gewesen, dass Nocturn zufällig unter ihm gelegen hatte. Youma war abgelenkt gewesen, aber jetzt erinnerte er sich plötzlich daran, dass er kurz einen Funken Angst in seinen Augen gesehen hatte. Irgendjemand hatte ihn misshandelt… daher die Narben… die Angst in seinen Augen… die Albträume, von denen Raria ihm erzählt hatte.   Youma löste sich ein wenig von Nocturn, um seine Augen sehen zu können; Augen, die ihm in diesem Moment all seinen Schmerz offenbarten, die ihm zeigten, wie sehr er gelitten hatte – Schmerz, den er lindern wollte, mehr als alles andere in der Welt. „Ich könnte mich nie vor dir ekeln, Nocturn. Niemals. Ich weiß, du glaubst mir nicht, ich kann es in deinen Augen sehen, aber ich werde es dir beweisen und wenn ich jede einzelne deiner Narben küssen muss, um dich zu überzeugen.“   Diese Worte bewegten etwas in Nocturn; nein, sie lösten etwas in ihm. Etwas, was schon lange darauf gewartet hatte, gelöst zu werden – und es fühlte sich gut an, dieses Gefühl des... Auflösens. Er wollte sich in Youmas Armen auflösen, in viele kleine Einzelteile, Funken, Sterne, was auch immer – und nur Youma konnte und durfte ihn wieder zusammensetzen. Nur er hatte den Schlüssel.   „Du bist dir sicher, dass du es mit mir... machen willst?“ „Nocturn, ich habe dir doch schon gesagt, dass es...“ „Es gibt nur noch heute Abend. Übermorgen könnte alles vorbei sein.“ „Ich dachte, du vertraust dir?“   Nocturn grinste mit geschlossenen Augen; fast so, als würde er in sich hinein lachen. Als er die Augen dann wieder öffnete, spürte Youma, wie das Pochen seines Herzens sich beschleunigte und es schlug ihm fast bis zum Hals, als Nocturn bedächtig, aber doch bestimmt, seine Arme um seinen Nacken schlang und ihn zu sich nach unten zog, abermals küssend. Als Nocturn den Kuss wieder löste und unter ihm auf dem Teppichboden lag, hatte er sein Grinsen wieder gefunden:  „Viel wichtiger ist doch, dass ich dir vertraue.“ Während seine Augen immer noch auf Youma gerichtet waren, als ob sie in seine Seele hinein tauchen wollten, löste er seine Arme von seinem Nacken; allerdings nicht, um sie zurück zu ziehen, sondern um seine linke Hand durch Youmas schwarzes Seidenhaar gleiten zu lassen. Zuerst sehr zurückhaltend, nur eine Strähne mit den Fingern berührend, ehe er dann, als Youma nichts tat, um ihn davon abzuhalten, seine Hand in seinem Haar vergrub.   „Ich glaube nur... also ich befürchte es, dass ich dir kein guter Partner in diesem Bereich sein kann.“ Kurz machte er eine Pause, aber ohne dass seine Finger zum Stillstand kamen. „Raria hat es einmal provoziert... naja, sie wollte, dass ich meine eigenen Erfahrungen mache. Sie meinte, nur so würde ich… darüber hinweg kommen, aber...“ Zum ersten Mal wandte Nocturn seine Augen ab: „Das hier... ist eigentlich schon ein Problem für mich. Ich merke, dass mein Körper es nicht mag, unter einem anderen zu liegen.“ „Ich weiß, das ist mir aufgefallen...“ Youma wollte sich daher auch aufrichten, aber Nocturn hielt ihn fest; sowohl mit seiner Hand, als auch mit seinem Blick, aber er sagte nichts, fuhr fort, als hätte er Youmas Reaktion nicht bemerkt: „Nach einem langen Streit habe ich mich ihrem Willen gebeugt und habe zugestimmt, dass sie eine Frau für mich aussucht. Es war mir egal, ich war bockig und wollte es hinter mir haben.“ Nocturn lachte hohl, Youmas Haare bedächtig und vorsichtig durch seine Finger zwirbelnd: „Ich wünschte, ich könnte meine eigenen Erinnerungen löschen, aber ich konnte leider nur ihre löschen. Danach habe ich mich tagelang in meinem Zimmer eingesperrt und mich geweigert, zu musizieren oder zu essen. Das war das einzige Mal, dass ich eine Entschuldigung von Raria bekommen habe.“ „Was ist passiert?“Nocturn rührte sich unruhig, seine Gesichtsfarbe nahm eine Mischung aus rot und weiß an: „...Ich habe versucht, es so gut wie möglich zu verdrängen. Es war... sehr peinlich. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, ich verstand nicht, was sie von mir erwartete... aber ich verstand, dass mein Körper nicht so reagierte... wie er es normal tun sollte.“ Nocturn wählte es lieber zu schweigen und es ihm nicht zu erzählen, dass er danach wieder einem neuen Sturm von Albträumen ausgesetzt gewesen war, dass er gar keine Ruhe mehr bekommen hatte, sich vor sich selbst geekelt hatte, immer wieder duschen und baden gegangen war, obwohl eigentlich nichts weiter passiert war... weil nichts passieren konnte. Weil er immer wieder... weil er immer wieder...   Aber auch obwohl Nocturn es nicht sagte, spürte Youma es – er spürte seine Unruhe. „... ich verstehe dann nicht, warum du...“ Der Blick Nocturns festigte sich wieder, er drehte sich zu ihm und lächelte abermals dieses... ja, jetzt wusste Youma, was es für ein Lächeln war: es war ein verliebtes Lächeln. „Weil du nicht „irgendwer“ bist.“ Wieder hob er die Hand, ließ es durch Youmas Haar gleiten, der ihn genauso anlächelte wie umgekehrt, ehe seine Augen sich in Überraschung weiteten:         „Du bist so schön...“ Seine Stimme war wieder nicht mehr als ein Flüstern; ein verzaubertes Flüstern, denn das war er: verzaubert von dieser greifbaren Dunkelheit, von der Wärme, die er in sich spüren konnte, wenn Youma ihn berührte, die von ihm selbst ausging... Nocturn hatte Dunkelheit nie als etwas Schlechtes angesehen, sie nie gefürchtet, sie immer als ein Teil von sich selbst, von seinem Leben, seiner Welt gesehen. Die Dunkelheit, die kam, wenn die Nacht hereinbrach... die Zeit des Tages, wo die Inspiration am größten war, die Zeit der Geheimnisse, die Zeit der Verzauberung, der Magie. Der Gefühle. Der... Liebe.   Youma hatte sich zu Nocturn herunter gebeugt, seine Haare streiften seine Wange, Nocturn hatte bereits seine Augen geschlossen, bereit den Sprung zu wagen... als er Youmas Flüstern noch einmal hörte: „Nocturn... das Lied, was du heute Abend als Letztes gespielt hast... wie hieß das?“ Neckend breitete sich ein Grinsen auf Nocturns Gesicht aus und verspielt öffnete er das rechte Auge: „Ténèbres et la Nuit. Kannst du dir denken, was das bedeutet?“ „Ja“, antwortete Youma ebenfalls lächelnd, ehe sie beide ihr Lächeln vereinten. „Die Dunkelheit und die Nacht.“   Zum ersten Mal wagte Youma sich weiter vor und spürte sofort, dass das etwas war, was Nocturn nicht kannte; sein Körper versteifte sich kurz abwehrend. Youma wollte den Kuss schon abbrechen, doch Nocturn beruhigte sich, entspannte sich wieder, schien es sogar zu genießen, denn er zog Youma näher zu sich heran, womit sie nun eng umschlungen auf dem Boden lagen – und da bemerkte Youma auch, was Nocturn gemeint hatte; was er ihm mit seiner Erzählung hatte sagen wollen: anders als Youmas Körper reagierte Nocturns Körper nicht.   Nocturn sah ihn widerwillig an, als Youma den Kuss abbrach, aber er brauchte Gewissheit „Bist du dir wirklich sicher, Nocturn?“ Als Antwort himmelte er mit den Augen, zog ihn wieder zu sich und als müsste er seine Entschlossenheit irgendwie unter Beweis stellen, nestelte er an Youmas Kragen und an den Knöpfen seines Hemdes – Youmas Krawatte zerschnitt er doch tatsächlich sang- und klanglos mit seinen Fingernägeln. „Ich hoffe, das wolltest du so nicht wieder anziehen“, grinste Nocturn, nachdem Youma ihn ziemlich perplex angesehen hatte – aber nicht unbedingt negativ, sondern eher positiv überrascht. „Ich glaube, ich ziehe meine Kleidung lieber selbst aus, wenn du auf Zerstörung aus bist!“ „Nein.“ Nocturn stemmte sich hoch und beugte sich zu Youma vor, der ihn angesichts seiner festen Stimme erstaunt ansah: „Ich werde das machen. Das ist doch... normal, oder? Man zieht sich doch gegenseitig aus?“ Ein aufgeregtes Kribbeln jagte durch Youmas Körper, als Nocturn die Initiative ergriff und es diesmal er war, der ihn leidenschaftlich küsste. Völlig überrascht über die plötzliche Wendung fiel es Youma zuerst schwer, sich fallen zu lassen, die Berührungen Nocturns zu genießen. Aber dann... aber dann...   „Du musst mir sagen, wenn ich etwas falsch mache.“ Wie konnte er so etwas jetzt sagen? War er denn blind für die Röte in seinem Gesicht? Wie sehr er seine Stimme unterdrücken musste, das angenehme Zittern, das seinen Körper zum Erbeben brachte, als die Anzugsjacke auf den Boden glitt und Nocturn, weil er schnell lernte, indem er Youma nachmachte, mit seinen Lippen Youmas Hals berührte, während er wiederum seine Hände in Nocturns Haaren vergrub?   Aber das angenehme Stöhnen, das Youma nicht unterdrücken konnte, als Nocturn seine Haut berührt hatte – das bemerkte er und verwundert hob er den Kopf:                                                                                                                                                                                                                                                          „Oh, entschuldige, ich hätte dich vorher fragen sollen...“ Halb knurrend, halb grinsend erwiderte Youma mit hochrotem Kopf: „Du musst dich... für überhaupt gar nichts entschuldigen oder... um... Erlaubnis bitten.“ „Deine Stimme hört sich komisch an... und du atmest so komisch...“ „Das... ist normal. Das ist das... Zeichen dafür, dass du... alles richtig machst...“ Nocturn sah nicht sonderlich überzeugt aus; sondern eher besorgt, weshalb Youma fand, dass es an der Zeit war, dass er wieder die Führung übernahm. Nocturn hatte sich schon erstaunlich weit vorgewagt.     Aber zuerst tat Youma etwas anderes und er sah, wie Nocturn ihn erstaunt dabei beobachtete; er entfernte das Letzte, was seine Haut noch bedeckte – den Verband seiner linken Hand. „Warum tust du das? Ist sie schon verheilt?“ Youma antwortete nicht sofort, sondern konzentrierte sich kurz auf seine Finger, die er einen nach dem anderen in mehrere Richtungen bewegte; dann widmete er sich wieder Nocturn, seine Hand mit der linken nehmend: „Weil ich dich berühren will. Gänzlich berühren. Ich möchte, dass das erste, was ich mit meiner linken Hand berühre, du bist.“    Vorsichtig wechselte Youma die Position, achtete darauf, Nocturn nicht irgendwie... zu verängstigen oder zu verunsichern, aber trotz aller Vorsicht war das vorübergehende Selbstbewusstsein Nocturns wieder verschwunden, als Youma ihn auf seinen Schoß zog. Um ihn zu beruhigen, legte er seine linke Hand an Nocturns Wange und küsste ihn sanft auf die Stirn… seine Wangen… seine Lippen, während es nun seine Hand war, die Nocturns Rücken sanft streichelte, wobei ihm die Furchen seiner Narben nicht unbemerkt blieben. Das gleiche dachte Nocturn wohl auch, denn er brach den Kuss ab: „Reicht es nicht, wenn ich nur die Hose ausziehe und das Hemd anbehalte?“ „Nein“, erwiderte Youma mit Nachdruck, die letzten Knöpfe von Nocturns Hemd öffnend, dabei versuchend, seinen verunsicherten Blick nicht zu beachten und ihn stattdessen aufmunternd anzulächeln: „Wie soll ich denn so deine Narben küssen?“ Diese Worte brachten Nocturn zu einem Lächeln; eines was immer noch recht verunsichert wirkte, besonders in Anbetracht dessen, dass das Hemd, samt Jacke, nun langsam von seiner Schulter rutschte. Aber er zwang sich zu einem Grinsen: „Dann hast du aber viel vor...“   „Keine Sorge, die Nacht gehört uns“, erwiderte Youma lächelnd und schloss Nocturn in die Arme, womit die beiden sehr ungleichen, unbekleideten Körper sich nun berührten. Nocturn war immer noch sehr steif und in sich verkrampft, wollte sich am liebsten auflösen, sich vor sich selbst und seinem Körper verstecken, als er bemerkte, dass es... so unglaublich es ihm auch vorkam... aber es schien Youma zu gefallen. Er spürte, wie er ihn enger an sich drückte, spürte seinen Atem an seiner Haut, konnte sein Lächeln fast an dieser spüren... und langsam lockerte er auf, die Arme nun auch um Youma legend. „Nein, Youma...“, erwiderte Nocturn erleichtert lächelnd, als hätte er eine Mutprobe bestanden, Youmas Haare küssend: „Sie gehört ganz dir.“     „Unter diesen... Umständen werde ich... dir wahrscheinlich wehtun.“ Youma sah den grinsenden Nocturn unter sich liegen; er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, aber er war nervös. Er drückte Youmas Finger, die sich mit seinen verflochten hatten, fest; zu fest, es tat ein wenig weh, aber Youma beklagte sich nicht. Er wollte nicht, dass Nocturn wusste, dass er seine Nervosität bemerkt hatte. „Ich bin nicht aus Glas. Alles... gut.“ „Nocturn... ich meine es ernst... ich habe so gut wie keine... ach, was rede ich; ich habe keine Erfahrung in diesem Bereich... ich möchte dir nicht wehtun... wenn du Schmerzen hast... wenn es dir unangenehm ist... dann möchte ich, dass du das sagst... dann höre ich sofort auf.“       „Du hast nicht „Stopp“ gesagt! Du hättest es sagen müssen!“ Nocturn lachte herzhaft, als er Youmas Beschwerde hörte und rieb sich das Shampoo in die Haare, das heiße Wasser auf seiner Haut genießend, während Youma vor der Dusche mit verschränkten Armen an der Badezimmerwand lehnte – er hatte sich bereits wieder angezogen. Er hatte mit Nocturn zusammen duschen wollen, aber das hatte er vehement abgelehnt; er hatte genug von seiner Haut gesehen und es war eine Sache, sie im Dunkeln zu sehen, als im hellen Badezimmerlicht...  auf das Argument, dass sie Dämonen seien und dass Youma ausgezeichnet im Dunkeln sehen konnte, hatte Nocturn nur entschuldigend gegrinst und war unter die Dusche verschwunden, wo er sich nun das Shampoo aus den Haaren wusch. „Deine Stimme klingt ja wieder klar!“ „Das ist normal“, antwortete Youma hüstelnd, dabei wieder errötend und sich weiterhin beschwerend: „Du hättest es wirklich sagen müssen. Ich hätte aufgehört.“ „Ich weiß.“ Nocturn drehte das Wasser aus und Youma sah, wie er nach dem Bademantel griff, den er sich vorher zurechtgelegt hatte – und tatsächlich, erst als er sich diesen umgelegt hatte und sich sicher war, dass die Schleife absolut fest gezogen war, kam er heraus, sich die Haare mit einem extra Handtuch abrubbelnd. „Sowieso...“, begann Nocturn lachend, Youma spaßeshalber ein wenig nassspritzend, was dieser mit gespielter Empörung quittierte. „...es ist nach null Uhr. In ein paar Stunden muss ich weitaus schlimmere Schmerzen durchstehen als die, die du mir mit so was hättest zufügen können.“ Das eben noch belustigte Grinsen Youmas verschwand; sein Gesicht wurde wieder ernst und sofort bereute Nocturn seine unüberlegten Worte. Natürlich hatte Youma das nicht hören wollen.   Sie schwiegen kurz beide – und auch als Youma sich von den weißen Fliesen abfederte und Nocturn tonlos die Haare trocken rieb, sagte keiner von ihnen etwas. Erst als er fertig war und das Handtuch auf Nocturns Schultern rutschte, sahen sie sich an, Nocturn leicht besorgt, weil Youma plötzlich sehr ernst aussah. „Wir, Nocturn, wir. Ich lasse dich nicht alleine in den Kampf ziehen.“  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)