Konoha Gangs II: Game On von ximi (Das Spiel hat gerade erst begonnen) ================================================================================ Kapitel 47: Die Uhr tickt ------------------------- Sasuke   Raum und Zeit hatten für ihn jegliche Bedeutung verloren. Er sass einfach auf dem Stuhl, hatte den Kopf auf den Bettrand gelegt und hielt seine Augen geschlossen. Zum Schlafen war er zu aufgewühlt, um den Kopf zu heben fehlte ihm schlicht die Energie. Verworrene Bilder zogen an seinem geistigen Auge vorbei, ein Durcheinander aus Erinnerungen. Wann immer er auch gemeint hatte, er habe seinen tiefsten Punkt erreicht, er hatte sich getäuscht. Er war noch nie weiter unten gewesen als in diesem Moment und er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er je wieder raufkommen sollte, wenn Sakura das nicht überlebte. Alles fühlte sich schwer an. Seine Glieder, seine Augenlider, seine Gedanken. Es war ein verdammtes Loch und er konnte sich nirgendwo halten, um da wieder raus zu klettern. Mehrmals kamen Schwestern rein. Beim ersten Mal fragten sie ihn noch, ob sie ihm helfen oder etwas Gutes tun können, doch nach durchgehenden Verneinungen hörten sie damit auf. Eine der Schwestern stellte ihm irgendwann ein Glas mit Wasser hin, zumindest dem Geräusch nach zu urteilen. Er schätzte ihre Bemühungen wirklich, aber es half einfach alles nichts. Sie wachte nicht auf.   Naruto   Naruto war schon wieder ganz gut zu Fuss unterwegs, aber Shizune hatte nichts anbrennen lassen wollen und ihm Choji zur Seite gestellt, der ihn auf seiner «Besuchstour» begleitete. Naruto hatte zuerst bei seinen Leuten vorbeigesehen, bei den Outers und danach bei Sai, Neji, Gaara und Tenten. Sie würden alle wieder werden und das war das Wichtigste, doch ihnen war anzumerken, dass die letzte Nacht auch seelisch nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen war. Die Stimmung war gedrückt, die Gespräche drehten sich vor allem um das Gefühl der Fassungslosigkeit und Ohnmacht von letzter Nacht. Bei Tenten im Zimmer traf er zudem auf Ino, die ihm richtiggehend um den Hals fiel. Er drückte sie ganz fest an sich, denn wie er selber bemerkt hatte, gab es im Moment nichts besseres, als Gesten des Mitgefühls. Ino erzählte ihm auch von seinem nächsten Ziel – Sakura. Heute Morgen war sie bereits auf der Intensivstation gewesen, um Sakura zu besuchen und Tsunade zumindest ein bisschen eine Stütze zu sein. Ihr Bericht war ernüchternd, da Sakura derzeit keinen Wank machte. Kurzerhand beschloss Ino, ihn zu begleiten, was er dankend annahm. «Dann geht ihr beiden», meinte Choji. «Es sollten nicht so viele Leute dort sein.» Er hatte recht, denn es brachte überhaupt nichts, wenn sich ein Haufen Leute um die schlafende Sakura scharte. «Ist das okay für dich?», fragte Ino noch einmal nach und Choji nickte. «Klar. Richtet ihr aber von mir aus, dass sie unbedingt aufwachen muss, ja?», sagte er mit erstickter Stimme. «Und von den anderen auch. Die machen sich auch echt alle Sorgen.» Naruto nickte. Es gab kein Gangmitglied der Kuramas, das in den letzten Stunden nicht nach Sakura gefragt hatte. Jeder hatte inzwischen von ihrem Zustand gehört und das erschütterte sie alle. Gerade Sakura, die eigentlich gar nicht als Kämpferin in der Schlacht involviert gewesen war, war am schwersten von allen verletzt worden – kaum zu glauben. Auf dem Gang begegnete ihnen Pain, der sie kurz über den neusten Stand bei den Takas informierte. Auch bei ihnen gab es viele Outer-Verletzte, aber auch einige Inners, darunter Zetsu, Deidara, Sasori und Shion. Und natürlich Sasuke. Dieser hatte sein Bett aber anscheinend schon wieder verlassen, was Naruto nicht wunderte. Ihm war klar, wo sie ihn antreffen würden und ehrlich gesagt fürchtete er sich von seinem Anblick fast genauso wie vor Sakuras. Denn er kannte Demon nur als den kühlen, gefassten Gangleader und er hatte den Verdacht, dass sie ihn gleich anders erleben würden. Ihm fiel auf, wie gross das City Hospital eigentlich war. Der Weg zur Intensivstation dauerte eine ganze Weile, was vielleicht auch daran lag, dass ihm beim Laufen alles wehtat. Auch seine Atmung begann schon nach kurzer Anstrengung schneller zu werden und Ino musste mit ihm immer wieder Pausen einlegen. Endlich unten angekommen erkundigten sie sich nach Sakuras Koje, die ganz am Ende des Ganges lag. Eine der Schwestern wies sie darauf hin, dass Sakura im Moment noch Besuch hatte, sie aber gerne hineingehen durften. «Seien Sie einfach behutsam», meinte sie noch und Naruto konnte sich schon vorstellen, was sie damit meinte. Ausser Sasuke war im Moment niemand bei Sakura, sogar Tsuna war ausgeflogen. Inos Griff schloss sich fest um sein Handgelenk, als sie den zusammengesunkenen Sasuke neben dem Bett entdeckten, wie er Sakuras Hand immer noch fest umklammert hielt. In ihren Gesichtern stand nun Anspannung, denn der Anblick war nicht schön, schon fast surreal. Demon war beinahe nicht zu erkennen, so ungewohnt war seine Körperhaltung. Ino wischte sich verstohlen über die Augen, denn das hier war schlichtweg eine Tragödie, in jederlei Hinsicht. Naruto legte ihr den Arm um die Schulter und drückte sie, doch er selbst wusste nicht, woher er die Kraft nehmen sollte, das hier zu ertragen. Es gab genau zwei Möglichkeiten, wie sich das entwickeln konnte – Sakura wachte auf oder nicht. Und was passieren würde, wenn nicht, konnte und wollte er sich nicht vorstellen. «Können wir ihm irgendwie helfen?», flüsterte ihm Ino eine Frage zu, die er sich vorher selber gestellt hatte. «Ich weiss nicht wie», antwortete er wahrheitsgemäss. Das hier hatte nichts mit den Gangs zu tun. Die Unterschiede zwischen ihnen waren da, doch hatten sie ganz einfach kein Gewicht mehr, nachdem, was sie alles durchgemacht hatten. Aber er wusste wirklich nicht, was er für Sasuke tun konnte. Gab es denn irgendetwas, was diese Situation für ihn besser machen konnte? Völlig in seinem Gedankengang versunken, merkte er nicht einmal, dass Ino nicht mehr neben ihm stand. Sie hatte sich auf leisen Sohlen zum Eingang der Koje geschlichen und trat nun etwas geräuschvoller ein. Sasuke hatte sie mit Sicherheit gehört, machte aber keinen Wank. Wahrscheinlich hielt er sie für jemanden vom Pflegepersonal. Ino trat neben Sasuke und nun wandten sie beide Naruto den Rücken zu. Es wurde nicht gesprochen, aber Sasuke musste inzwischen realisiert haben, dass die Person neben ihm keine Krankenschwester war. Eine Weile verharrte Ino im Stand, betrachtete die schlafende Sakura. Es dauerte einen Moment, bis Ino ihre Hand ganz sanft auf Sasukes Schulter legte. Es war eine simple Geste, die wohl mehr als alles andere Halt ausdrücken sollte. Die Erfahrung zeigte, dass Sasuke in Grenzsituationen sehr unterschiedlich reagieren konnte. Es konnte sein, dass ihm genau diese Hand auf der Schulter jetzt zu viel war. Aber so wie er Ino kannte, rechnete auch sie damit. Doch eine abweisende Reaktion blieb aus. Naruto bemerkte, wie sich Sasukes Atmung veränderte. Sein Brustkorb hob und senkte sich auf einmal sichtbar, da er jetzt tiefere Atemzüge nahm. In Narutos Augen ein Zeichen der Entspannung, das er nun auch bei sich feststellte. Auch Ino bemerkte es und er beobachtete, wie ihre Hand in eine feine Streichelbewegung überging. Sasuke liess es geschehen. Ino flüsterte etwas, das Naruto nicht verstehen konnte – vermutlich Worte des Trostes. Und seine Körpersprache drückte aus, dass er Inos Geste schätzte. Der Anblick jagte Naruto einen Schauer der guten Art über den Rücken. Nichts war mehr, wie es gewesen war. Es begann beim Verhältnis der Takas und Kuramas. Vielleicht war die Zeit gekommen, in der sie ihre Differenzen begraben konnten. Denn so abgedroschen es klang: In der letzten Nacht hatten sie gemerkt, dass sie zusammen viel stärker waren. Und er war sich sicher, dass ihnen das die kommende Zeit noch einmal aufzeigen würde.   Sakura   Sakura ging voller Leichtigkeit durch den Wald und sog seinen wunderbraren Duft nach Tannennadeln und feuchter Erde ein. Jedes Detail an diesem Ort erinnerte sie in irgendeiner Weise an ihre Kindheit und die viele Zeit, die sie hier mit ihren Eltern verbracht hatte, bevor das alles auseinandergefallen war. Da waren umgestürzte Bäume, über deren Stämme sie gerne balanciert war, kleine Bäche, in denen sie wie kurz zuvor Yohei ihre Füsse gebadet hatte. Ab und zu sah sie aus der Ferne ein Reh oder ein Fuchs. Die Tiere nahmen sie erst wahr, wenn sie nur noch wenige Meter von ihnen entfernt war und huschten dann eilig davon. Nicht zum ersten Mal betrachtete sie verwundert ihre rechte Hand, die ganz warm war. Viel wärmer als die linke. Fast, als würde sie von der Sonne beschienen, während der Rest ihres Körpers im Schatten stand. Doch da waren keine Sonnenstrahlen und an ihrer Hand war auch optisch nach wie vor nichts Ungewöhnliches festzustellen. Wirklich seltsam. Es war, als strahle diese Wärme auch ein wenig in ihren Brustkorb aus, was eigentlich sich eigentlich angenehm, fast schon wohlig anfühlte. Yohei ging neben ihr und betrachtete ziemlich beeindruckt das kleine Paradies um ihn herum. Gerade vorhin hatte er ihr erklärt, dass die Natur in seiner Kindheit vor allem aus sauber gepflegten Pärken bestanden hatte und er selten bis nie einen Wald gesehen hatte. Umso schöner musste es für ihn sein, sich jetzt hier zu bewegen. Yohei hatte seit geraumer Zeit kein Wort mehr über seinen laut ihm unvermeidlichen Weg verloren und auch nichts mehr von den Menschen ohne Gesichter erwähnt, die anscheinend auf sie warteten. Fast, als könne er ihre Gedanken lesen meinte er jetzt: «Du kannst nicht ewig durch diesen Wald spazieren und dich vor der Realität drücken, Sakura.» «Woher willst du das wissen?» «Ich weiss es einfach.» «Sehr überzeugend.» Yohei zuckte mit den Schultern. Es war, als könne ihn nichts mehr erschüttern. Als wäre er komplett im Reinen mit sich selber. «Du wirst den gleichen Weg gehen, den ich bald gehen werde, wenn du dich dem nicht stellst.» «Ist das denn so schlimm?» Für Sakura fühlte sich der Gedanke an den Tod nicht schlimm an. «Ja», antwortete er direkt. «Weil du noch die Wahl hast.» «Glaubst du eigentlich, ich lasse dich hier einfach zurück? Falls du es vergessen hast, bestimme ich, wo du bist.» «Ich bin schon längst nicht mehr dort, wo du mich haben möchtest», sprach er eine Wahrheit aus, die sie nicht abstreiten konnte. «Du willst es einfach anders. Und da du das alles hier kreierst, kannst du auch so tun, als wäre ich nicht schon längst woanders.» «Ich will es nicht hören, Yohei», sagte sie und ging weiter. Er seufzte. «Das mit deiner Hand», er schloss wieder zu ihr auf, «das ist kein Zufall.» «Ach ja?» «Ich glaube, da gibt es Leute, die Kontakt zu dir aufnehmen wollen.» «Wer denn?», fragte sie und lachte bitter. «Die, an deren Gesichter ich mich nicht erinnern kann?» «Ganz genau. Du solltest daran arbeiten, dich wieder an sie erinnern zu können.» Sakura gab zu, sie würde sich gerne wieder an sie erinnern. Das Problem lag bei ihrer unguten Vermutung, dass sie Yohei dann endgültig verlieren würde. Denn ein Erinnern könnte gleich der Weg zurück in diese schlimme Realität sein, von der sie hier endlich sicher war.   Hotaru   Seit heute Morgen sass Deidara einfach nur da und starrte die meiste Zeit ins Leere. Seit er wach geworden war, hatte er keinen Ton mehr von sich gegeben, was für ihn selbst in schlimmen Situationen ungewöhnlich war. Und sie konnte es verstehen, denn sie litt mit. Fast, als ob sie das selber durchmachen müsste. Denn Deidara hatte es schwer getroffen. Körperlich, aber wahrscheinlich noch viel mehr seelisch. Mehrmals beobachtete sie ihn dabei, wie seine Hand zum Verband über seinem linken Auge wanderte und ihn ungläubig abtastete. Immer und immer wieder. Heute Mittag beim Verbandswechsel hatte er in den Spiegel geschaut und da war sein Blick noch leerer geworden. Es war richtiggehend zu beobachten gewesen, wie in ihm etwas zerbrochen war. Sein Leben lang war Taka-Womanizer ein Draufgänger gewesen und hatte sein wildes Leben gelebt. Es hatte scheinbar nichts gegeben, was ihn hätte aufhalten können, nichts, was sein Selbstvertrauen und seinen Optimismus hätte dämpfen können. Und jetzt war das alles auf einen Schlag verpufft. Sein Auge hatte irreparable Schäden erlitten, doch er konnte nicht mehr sagen, wie es passiert war. Das hatte er zumindest heute mit einem Nicken auf diese Frage geantwortet. Jedenfalls musste ein Messer im Spiel gewesen sein, denn die Schnittwunden um das Auge herum sprachen Bände. Die Folge davon war erstens, dass er nichts mehr sehen konnte – er war auf seinem linken Auge komplett erblindet. Optisch hatte sein Augapfel Deformationen erlitten, die mit zunehmender Heilung vielleicht etwas weniger werden, aber nie verschwinden würden. Und auch die genähten Wunden rund um das Auge würden verheilen, aber dicke Narben zurücklassen. Kurz und gut, er würde nie mehr so aussehen, wie er es bisher getan hatte. Kimimaro hatte ihr gegenüber von einer «Entstellung» gesprochen, aber Hotaru hatte dieses Wort von Anfang an gehasst. Das waren Kriegsnarben, verdammt. Sie waren ein Zeichen von Mut und Stärke. Aber das Deidara klarzumachen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Aussehen war ein Teil der Identität jedes Menschen. Aber Deidara hatte sich wesentlich über sein hübsches Gesicht und die schönen hellblauen Augen definiert. Aussehen war sein Kapital gewesen, nicht umsonst trug er den Bandennamen «Womanizer». Er hatte seine Reize stets einzusetzen gewusst, was ihm und Hotaru so manchen Konflikt beschert hatte. Ihre Beziehung war nie wirklich ein klarer Fall gewesen, die meisten hatten es als «On-Off» oder «Freunde mit Vorzügen» betitelt. Sie beide hatten kein Bedürfnis gehabt, da ein Label drauf zu klatschen. Nie gefehlt hatte aber die gegenseitige Zuneigung. Zu wissen, dass durch diese Verletzung auch Deidaras gesamtes Ich bis in die Grundfesten erschüttert worden war, setzte ihr zu. Und nebst seinem Aussehen würde die einseitige Einbusse seiner Sicht auch vieles schwieriger machen, was er gerne machte oder gut konnte. Kämpfen, schiessen, sprayen, Motorrad fahren. Das alles erforderte eine gute räumliche Wahrnehmung, die er sich hoffentlich mit Übung und Gewohnheit wiederholen konnte. Aber jetzt? Jetzt lag er am Grunde eines tiefen Lochs und zum Hochklettern fehlte ihm die Kraft. Die Ereignisse der letzten Nacht hatte jeden einzelnen Taka und Kurama erschüttert. Deidaras Zustand zeigte das allzu schmerzlich auf. Sie, die jahrelang die Strassen dieser Stadt dominiert hatten, waren kompletter Hilflosigkeit zum Opfer gefallen, während Crow ganz Konoha weiter in Angst und Schrecken versetzt hatte. Er hatte geschafft, was noch keiner geschafft hatte: Er hatte die Kuramas und die Takas gebrochen. Ihnen ihren Kampfgeist genommen, als er sie in einem aussichtlosen Kampf hatte antreten lassen. Hotaru seufzte. Sie stand bestimmt schon gute zehn Minuten da, die Hand an der Türklinke. Deidaras Anblick würde sie erneut erschüttern und das nicht wegen seiner Verletzung. Hidan war vor gut einer Stunde bei ihm gewesen und hatte ihr mitgeteilt, dass er nicht sprach, nicht bei ihm, nicht bei Yahiko. Und wenn er das nicht einmal bei seinem besten Kumpel und seinem Vize-Boss machte, malte sie sich auch nicht allzu viele Chancen aus. Aber ein Versuch war es wert. Sie klopfte an und drückte die Klinke nach unten. Deidara hatte eines der wenigen Einzelzimmer erhalten, wofür sie sehr dankbar war. Jetzt stand Deidara am Fenster. Leise schloss sie die Tür hinter sich wieder und ging auf ihn zu, doch er nahm keine Notiz von ihr. Sie hatte sich bestimmt zwanzig verschiedene Möglichkeiten überlegt, ein Gespräch zu starten, doch nun kamen ihr alle unpassend vor. Und so folgte sie ihrem allerersten Impuls, wohlwissend, dass sie damit auch jede Chance auf eine Reaktion seinerseits verspielen konnte. Deshalb erfüllte erst einmal Schweigen den Raum. «Ich bin so froh, bist du am Leben bist, Deidei», flüsterte sie und fasste sich damit ein Herz. Diesen Spitznamen hatte sie ihm mit etwa vierzehn Jahren gegeben und zog ihn auch heute noch gelegentlich damit auf. Er schwieg und starrte mit seinem gesunden Auge weiter nach draussen zu den herbstlich verfärbten Laubbäumen. Langsam griff sie nach seiner Hand und drückte sie. Zahlreiche Kratzer und blaue Flecken zierten seine Arme. «Ich bin so dankbar, du bist noch da.» Sie spürte den dicken Kloss in ihrem Hals. Ihre Augen brannten. «Mir ist es wirklich scheissegal ob du Narben im Gesicht hast oder nicht. Du bist ein Taka und musst einfach bei uns bleiben, okay? Bitte rede mit mir.» Wieder verstrich Zeit. Sie wusste nicht, wie lange sie so dastand und einfach nur hoffte, dass er ihr eine Antwort gab Siekonnte  hören, wie er tief ausatmete und dann drehte er seinen Kopf zu ihr und fixierte sie. Der Anblick brach ihr beinahe das Herz, denn seit sie ihn kannte, hatte er noch nie so viel Schmerz in seinem Blick gehabt. «Ich weiss nicht mehr, wer ich bin.» Wo war der Schalk und das Selbstvertrauen in seiner Stimme hin verschwunden? Hotaru unterdrückte ein Schluchzen und wischte sich die Tränen aus den Augen. «Aber ich weiss es noch ganz genau. Daran ändert doch ein kaputtes Auge nichts.» «Ich bin jetzt nutzlos für die Takas, Hotaru.» «Nein bist du nicht! Du kannst dich auch daran gewöhnen, mit einem Auge Motorrad oder Auto zu fahren. Oder Graffitis zu machen.» Er schwieg. Diesen Weg konnte er im Moment nicht sehen, aber das würde er ganz bestimmt bald, da war sie sich sicher. «Du lässt dich nicht von solchen Sachen unterkriegen. Das hast du noch nie.» Hotaru erinnerte sich doch noch viel zu gut an den Deidara, der sich nie von irgendetwas hatte runterziehen lassen. Seine spitzbübische Art, seine zeitweise bewusst abgelegte Reife, das alles hatte ihn stärker gemacht als es viele andere Takas waren. Wieder Stille, bis er erneut das Wort ergriff. «Du hast unter den Verband gesehen. Du weisst, wie verkrüppelt ich bin.» Hotaru setzte zu einer Antwort an, aber er kam ihr zuvor. «Jedes andere Körperteil. Aber nicht das Gesicht», sagte er mit erstickter Stimme und wandte seinen Blick ab. Jetzt legte sie ihre Arme um ihn und drückte in an sich. Es war ihr egal, dass er die Umarmung nicht erwiderte. «Ich habe dir gesagt, dass es mir egal ist. Du bist wunderschön, mit oder ohne Narben. Weil du eben du bist. Glaubst du eigentlich, ich finde dich nur wegen deinem Gesicht gut?» Sie lachte leise. «Quatsch. Ich mag es, dass du manchmal zu einem nervigen Kleinkind mutierst, auch wenn ich das vielleicht nie gesagt habe. Du bist klug und verspielt. Mir geht es immer gut, wenn ich mit dir zusammen bin. Da ist mir doch dein Gesicht schnuppe.» Sie legte ihren Kopf an seine Brust und meinte trotzig: «Zumal ich Narben übelst sexy finde. Auch die im Gesicht.» Jetzt erwiderte er die Umarmung mit einer Inbrunst, die sie nicht erwartet hätte. Er vergrub sein Gesicht an ihrem Kopf, sein ganzer Körper war gespannt wie ein Bogen. «Lass einfach los, Deidei», murmelte sie und nach einer kurzen Pause fügte sie an: «Ich glaube, unsere alten Ichs sind letzte Nacht sowieso gestorben. Was jetzt passiert, macht uns zu den neuen, noch viel besseren Ichs. Wir nehmen das Beste vom Alten und spicken es mit nur den besten neuen Sachen.» Sie streichelte ganz sachte seinen Rücken und drückte ihm unter Tränen einen Kuss auf die Wange. «Wenn du willst, besorge ich dir eine Augenklappe. Glaub mir, das gibt ‘nen Imagewandel, mit dem du nicht in den kühnsten Träumen gerechnet hättest.» Und jetzt hörte sie es. Ganz leise und nur kurz. Kaum hörbar, aber er lachte. Da war ein Funken Leben, der wieder entzündet werden würde.   Sie hatten alle Verluste erlitten, geliebte Menschen, körperliche Fähigkeiten und manche sogar ein Stück ihrer Identität. Aber die Takas und Kuramas würden aus diesem Loch wieder rauskommen. Sie mussten einfach.   Ami   Ihr Herz hämmerte lauter als jemals zuvor gegen ihren Brustkorb. Der Weg zur Intensivstation zog sich ewig hin. Wenn das so weiterging würde sie Haru noch die Hand abdrücken. Nach ihrem klärenden Gespräch mit Sakuras Tante Tsunade hatte diese beschlossen, sie direkt zu Sasuke zu bringen. «Vielleicht habt ihr eine Chance, zu im durchzudringen. Ich glaube er braucht ganz dringend Halt, aber ich weiss nicht, wer ihm das jetzt wirklich geben kann. Vielleicht ja ihr beide», hatte sie gesagt. Die Neuigkeiten zu Sasukes und Sakuras Zustand waren entgegen aller Hoffnung vernichtend gewesen. Noch immer konnte sie nicht wirklich realisieren, wie schlimm es um Sakura und im Zuge dessen auch um Sasuke stand. Zumal dieser auch verheerende Verletzungen erlitten hatte. Auf der Intensiv angekommen, entdeckte sie bereits am Ende des Ganges, auf den sie zusteuerten, einen jungen Mann. Er stand vor einer der Kojen, doch es war nicht Sasuke. Er war blond und Ami meinte, in ihm den Anführer der Kuramas wiederzuerkennen, dessen Gesicht sie bereits öfters in den Medien gesehen hatte. Er bemerkte sie auf halbem Wege und man sah ihm an, dass er in ihnen beiden jemand Bekanntes zu erkennen versuchte, jedoch erfolglos blieb. Tsunade stellte sie ihm kurz vor, doch das Fragezeichen auf seinem Gesicht blieb. Er erinnerte Ami so gar nicht an Sasuke, nein. Er hatte eine sehr warme Aura, doch der Kummer war auch ihm anzusehen. Erst jetzt fiel der Blick auf das Szenario hinter der Glasscheibe. Da war eine junge blonde Frau, die Sasuke tröstend eine Hand auf die Schulter gelegt hatte. Sasuke sass auf einem Stuhl, vollkommen zusammengesunken. Es schockierte sie, denn sie hatte ihn seit letztem Frühling nicht mehr gesehen. Sie erinnerte sich noch gut an sein kühles, subtil dominantes Auftreten und diese ganz bestimmte Unantastbarkeit, die er immer ausstrahlte. Davon war nichts mehr übrig. Und um das zu erkennen musste sie ihn nicht einmal von vorne sehen. Seine Körperhaltung sprach Bände. Kein Wunder hatte er Handy nicht abgenommen. Naruto winkte nun vorsichtig die junge Frau heraus, die Sasuke zum Abschied noch einmal die Schulter drückte. Sie staunte nicht schlecht, als sie all die Leute vor der Koje entdeckte. Wie sich herausstellte war Ino eine von Sakuras besten Freundinnen und ein Mitglied der Kuramas. Sie lächelte freundlich, doch die dunklen Ringe unter den roten, leicht geschwollenen Augen waren selbsterklärend. Tsunade wies Naruto und Ino an, ihr zu folgen und nickte ihr zum Schluss noch ermunternd zu, bevor sie sich entfernten. Und nun standen sie da im Angesicht einer Geschichte, wie sie dramatischer nicht mehr hätte werden können. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass sie einmal hier stehen würden, weil sie eine kleine Rolle im Leben eines Gangleaders übernommen hatten. Es kostete Ami Überwindung, sich Sasuke überhaupt anzusehen. Von Sakura ganz zu schweigen. Leise betraten sie die Koje. Bis auf das Piepen der Monitore und dem gleichmässigen Blubbern der Sauerstoffzufuhr war nichts zu hören. Sakuras geschundenes Gesicht jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Wie würde erst der Rest ihres Körpers aussehen? Erst jetzt bemerkte sie, dass auch Sasuke an einer Infusion hing. Sasuke verbrachte also die Zeit, die er für die eigene Heilung benötigen würde, hier bei Sakura. Bereits dieser Gedanke trieb ihr die Tränen in die Augen. Da sollte noch jemand behaupten, die Jugend von heute kenne keine Liebe mehr. «Sasuke?», sagte sie leise, aber gut hörbar für ihn. Er rechnete nicht mit ihnen und sie wollte ihn nicht völlig überraschen, weshalb sie sich für eine zeitige Ankündigung entschieden hatte. «Wir sind es.» Haru blieb in respektvollem Abstand stehen. Er wollte ihn nicht gleich überfordern. Sasukes Reaktion blieb aber erst aus. Ami machte noch zwei Schritt auf ihn zu. «Wir wollten nach euch sehen, nachdem wir euch nicht erreicht haben.» Jetzt hob er tatsächlich den Blick. Seine dunklen Strähnen hingen ihm wirr ins Gesicht, auf dem einige neue zukünftige Narben zu sehen waren. Um seinen Kopf war ein Verband angebracht. Sasukes Augen waren rot, es war offensichtlich, dass er still vor sich hin geweint hatte. Als sein Blick sie traf zerbrach in ihr etwas. In ihm lag eine Verletzlichkeit, die sogar nicht dem Bild entsprach, das er sonst von sich vermittelte. Dieser Junge hatte sein ganzes Leben lang Mist erlebt. Man nahm ihm seine Eltern, seinen Bruder, viele seiner Freunde. Aufgewachsen als Strassenkind in den Fängen einer unerbittlichen Stadt voller Kriminalität und Kaltherzigkeit. Bei Sakura hatte er Halt gefunden und eine Liebe, die bedingungslos war. Eine tiefe Verbundenheit, die er so dringend gebraucht hatte. Er sah gebrochen aus. Da war keine starke Aura mehr, kein kühler, durchdringender Blick, sondern einfach nur noch eine Mischung aus Verzweiflung und kompletter Apathie. Jetzt erhob er sich langsam, doch es war ihm anzusehen, dass er kaum noch Kraft fand, um aufzustehen. Ami brachte das letzte bisschen Distanz zu ihm hinter sich und schloss ihn in die Arme. Seine letzte Umarmung in Otogakure war verhalten gewesen. Doch jetzt spürte sie, wie er sich mit all seiner verbleibenden Kraft an sie klammerte. Sein ganzer Körper war angespannt und zitterte. «Wir sind da, Sasuke», presste sie mit weinerlicher Stimme hervor. Sie drückte ihn noch fester an sich und mit einer Hand streichelte sie beruhigend seinen Rücken. Jetzt bahnten sich schwere, schmerzhafte Schluchzer an die Oberfläche. Er klammerte sich an sie, wie es Takahiro und Shina taten, wenn sie Angst oder Kummer hatten. Er brauchte so dringend Halt und den wollte sie ihm um jeden Preis geben. Haru kam jetzt dazu und drückte Sasukes Schulter. Er weinte nicht oft, aber jetzt waren auch seine Augen feucht. «Wir gehen nicht weg. Versprochen.» Ami hatte die schwere Vermutung, dass sie Sasuke so verletzlich erlebten, wie es selten jemand zuvor getan hatte. Seine ganze Schale war aufgesprungen und gab den Kern des Strassenjungen frei, der nichts anderes als Liebe und Sicherheit suchte. Sicherheit, die ihm diese Welt partout nicht geben wollte. Dass sie das Haus in Oto trotz allem gekauft hatten, war nicht naiv oder gefühlsduselig gewesen, dachte Ami. Und ein Zufall schon gar nicht. Das alles hatte einen tieferen Sinn gehabt, den sie zu verstehen geglaubt hatte. Aber erst jetzt wurde ihr endgültig klar, dass Sasuke in ihr Leben getreten war, um weitaus mehr als eine flüchtige Bekanntschaft zu sein. Sie waren so etwas wie eine Familie, die sich erst spät im Leben gefunden hatte. Und da spielte es keine Rolle, ob sie sich nun erst ein halbes Jahr oder schon zehn Jahre kannten. Sie würden ihn nicht hängen lassen. Auf gar keinen Fall. So standen sie da. Sasuke geschüttelt von krampfartigen Schluchzern, Ami und Haru unter Tränen versuchend, zumindest seine schlimmsten Wunden irgendwie zu verschliessen.   Kakashi Hatake   Schnellen Schrittes ging der amtierende Polizeichef Konohas den weissen Krankenhausflur entlang. Das City Hospital war eines der grössten Krankenhäuser im Land und verfügte über einen Gefängnistrakt für Patientinnen und Patienten in Inhaftierung. Und dort kam er her. Die verbliebenen Riots hatten grösstenteils geschwiegen, eines der Mädchen hatte dieses Schweigen jedoch gebrochen. Miranda Yuki war ein langjähriges Mitglied des inneren Riot-Kreises gewesen und war wie ihre Gangmitglieder nur zur Versorgung und Überwachung ins Krankenhaus gebracht worden. Ihre Verletzungen hielten sich in Grenzen, zumal sie sich auch widerstandslos ergeben hatten. Und auch jetzt hatte sie mehr Informationen über Crows Machenschaften preisgegeben, als er erwartet hatte. Die Waffen, die ganzen Granaten und Sprengsätze hatten sie direkt von Orochimaru, einem bekannten Gangster und Dealer, der es immer wieder schaffte, ihnen durch die Lappen zu gehen, so auch jetzt. Bei einer Razzia in seinem Hauptquartier hatten sie nur noch gähnende Leere angetroffen und es gab kein Indiz, wohin sich dieser Kerl verkrochen hatte. Orochimarus Involvierung hatten sie ja bereits vermutet. Interessant war jedoch, dass laut Miranda Yuki auch der ehemalige Polizeichef Zabuza Momochi die Riots aus seiner eigenen Haft heraus noch unterstützt hatte. Anscheinend hatte er einige V-Männer, die nach wie vor innerhalb des Polizeidepartements für ihn arbeiteten. Über sie hatte er seine Beziehungen mit einigen Gleichgesinnten in der Armee spielen lassen und den Riots diese Menge an Sprengstoff und Waffen besorgt. Miranda hatte sogar einige Namen nennen können, was es einfacher machte, diese Leute nun auch zu enttarnen. Er hätte wissen müssen, dass Momochi alles daransetzen würde, ihn zu sabotieren, nachdem er ihn in aller Öffentlichkeit gemeinsam mit Sakura Haruno entlarvt hatte. Eigentlich verrückt, dass seine Gier und sein Hass so weit reichten, dass er die Riots weiterhin unterstützte, nachdem sie ihn nach gemeinsamer Sache ohne Kommentar ins Gefängnis hatten wandern lassen. Sie hatten keine der Anschuldigungen nur im Ansatz abzustreiten versucht und ihren Komplizen einfach auflaufen lassen. Nun, Momochi würden sie dafür zur Rechenschaft ziehen. Er war in diesem Moment nur froh, hatte er all seine Operationen selbst innerhalb des Departements unter absolute Geheimhaltung gestellt, sodass nur seine engsten Kollegen davon wussten. Zudem hatte er jede Person, die mit Momochi im engeren Sinne zu tun gehabt hatte, vollkommen von den Gang-Operationen ausgeschlossen. Mitgewirkt hatten hier nur seine vertrauenswürdigsten Kollegen und deren jeweilige Abteilungen. Wer weiss, was sonst hätte passieren können. Denn laut Miranda Yuuki hatte es keine Info vom aussen gegeben, die die Riots auf den Angriff der letzten Nacht hätte vorbereiten können. So beeindruckend und gleichzeitig erschreckend es auch war, Crow war einfach verdammt gut vorbereitet gewesen und hatte ein Talent für das Kalkulieren der Handlungen seiner Gegner gehabt. So gut die Entwicklungen in dieser Richtung auch waren, er konnte sich kaum darüber freuen. Die ganze Nacht war eine einzige Tortur gewesen. Seine Polizisten waren angeschlagen, unter ihnen drei, deren Leben diesem Gangterror zum Opfer gefallen waren. Es gab Schwer- und Leichtverletzte, doch sah es für sie alle relativ gut aus. Und dann waren da noch die Gangs, die diesen Kampf zu einem grossen Teil alleine hatten ausfechten müssen, entgegen aller Planung. Sie waren die, die wohl am meisten abbekommen hatten. Er selbst sah sich verantwortlich für all die Dinge, die in der letzten Nacht schiefgelaufen waren. Sie hatten Crow einiges zugetraut, aber dass er gezielte Anschläge auf Gebäude und Menschen verübte, während eine Schlacht im Gange war, die er objektiv nicht gewinnen konnte, war einfach nur verrückt. Der Junge war überdurchschnittlich intelligent gewesen. Hatte seine perfiden Spiele auf dem Schlachtfeld gemanagt und gleichzeitig seine geplanten Anschläge in die Tat umgesetzt. Gerne hätte er sich mit diesem jungen Mann unterhalten, doch er hatte sich aus dem Spiel genommen, bevor man ihn hatte zur Rechenschaft ziehen können. Und er konnte nicht leugnen, dass ihn der Suizid von Ayato Kirishima tief erschüttert hatte, genau wie alle anderen auch. Mit dieser Stadt, dieser Gesellschaft stimmte so vieles nicht und Ayato war lediglich ein Produkt dieser ganzen Probleme. Gegenüber den Gangs hegte er nun tiefe Schuldgefühle, da sie in diesem Kampf im Endeffekt auf sich alleine gestellt gewesen waren, nachdem man immerzu davon gesprochen hatte, den Riots gemeinsam entgegenzutreten. Er hatte nicht wirklich eine Wahl gehabt und doch konnte er sich nicht von seinem schlechten Gewissen freimachen. Die gedrückte, verzweifelte Stimmung unter den Gangs trug auch nicht gerade dazu bei, dass er sich besser fühlte. Aber im Grunde genommen ging es auch gar nicht darum, wie er sich fühlte. Was geschehen war, das war nun einmal geschehen. Es galt jetzt, den Schaden zu begrenzen und nach neuen Möglichkeiten für die Gangs zu suchen. Dazu hatte er bereits einige Ideen, die Frage war nur, wie diese bei den verantwortlichen Personen ankommen würden. Er war jedenfalls fest entschlossen, alles in seiner Machtstehende zu tun, um den Gangs zu helfen, sich in dieser fast schon «neuen» Realität zurechtzufinden. Denn eines war ihm klargeworden: In diesen beiden Gangs sammelte sich eine Menge Potenzial, das es zu entfalten gab.   Hinata   «Ab jetzt wird alles gut, das verspreche ich dir.» Zum Abschied drückte sie ihre kleine Schwester so fest sie konnte an sich. Nach eineinhalb Stunden Zeit zusammen, war es für Hanabi an der Zeit, für das Abendessen auf ihre Abteilung zurückzukehren. Die Psychologen hatten ihr empfohlen, mit Hanabi eine Möglichkeit zur Aussprache zu schaffen, nachdem sich ihrer Schwester sehr viel offenbart hatte, von dem sie nichts gewusst hatte. Von Hinatas Rolle in der Sache ganz zu schweigen. In diesem Gespräch hatte sie sich bestimmt tausendmal entschuldigt, aber Hanabi hatte ihr nicht das geringste bisschen Schuld zugewiesen. Sie war einfach nur froh gewesen, ihre grosse Schwester gesund zu wissen und so hatten sie einander lange in den Armen gelegen. Hinata hatte Hanabi auch nicht jedes Detail zu ihrem Erpressungsverhältnis mit Crow erklärt – alles hatte seine Zeit und sie wollte sie nicht überfordern. Morgen würde ihr Vater Hanabi holen kommen, damit sie nach Hause konnte. Denn Crow hatte ihr körperlich kein Haar gekrümmt. Wie es bei ihr selber aussah, konnte Hinata noch nicht sagen. Aber sie rechnete nicht mit einer baldigen Entlassung. Für Hanabi war es so wichtig, wieder in die Normalität zurückzukehren und ihr Trauma parallel dazu mit einer Fachperson aufzuarbeiten. Und irgendwann würde Hinata dazustossen können, damit sie vielleicht wieder so etwas wie eine Familie sein konnten. Gerade war ein Pfleger dagewesen, um ihr Essenstablett abzuholen. Hinata hat nicht wirklich Hunger gehabt, sich aber trotzdem dazu überwunden, etwas zu essen. Im Moment fühlte sie sich müde, aber die Medikamente hielten ihre Hals-, Lungen- und Kopfschmerzen in Schach, wofür sie sehr dankbar war. Jetzt klopfte es erneut und Hinata rechnete mit jemandem von der Pflege, doch schlussendlich war es Naruto, der eintrat. Ihr Herz blieb für einen Augenblick stehen, denn sie hatte wirklich nicht mehr mit ihm gerechnet. Sofort stürzten wieder all diese Erinnerungen auf sie ein, die sie für den Moment sorgfältig von sich weggeschoben hatte. Wie ging es Sakura und den anderen? Wie ging es ihm? Wie böse war ihre Gang auf sie? Wie böse war Naruto auf sie? Würde es jemals wieder einen Weg in die Normalität für sie geben? Naruto schloss leise die Tür hinter sich. Inzwischen wurde es dunkel draussen, Hinata hatte aber nur ihre Nachttischlampe eingeschaltet, die jetzt einen goldenen Schein auf den Kurama-Anführer warf. «Hi», sagte er leise. Seine Stimme war kratzig und rau, genau wie ihre. Sie hätte gerne geantwortet, aber sie brachte keinen Ton heraus. Als ob die Worte in ihrem gereizten Hals steckengeblieben wären. Sie konnte ihren Blick nicht von ihm nehmen. Er war an verschiedensten Stellen bandagiert, hatte blaue Flecken, Brandwunden und alle möglichen Male, die so eine Schlacht hinterlassen konnte. Es gelang ihr nicht, sich dafür nicht in irgendeiner Weise schuldig zu fühlen. Sie hatte Crow mehr Macht gegeben und ihre eigenen Leute behindert und noch mehr gefährdet. Trotzdem war sie froh, dass er da war. Nach dem Treffen mit Hanabi hatte das wilde Gedankenkarussell in ihrem Kopf wieder eingesetzt und der Kontakt mit anderen half dabei, es zu bremsen. Zudem würde niemals mehr abstreiten, wie gerne sie ihn hatte. «Wie geht es dir?», fragte er und kam langsam auf sie zu. Hinata war überrascht, wie klar in ihrem Kopf alles wurde, wenn er da war. Als lichtete sich dieser scheussliche Nebel, der ihr immer wieder zuflüsterte, wie viele schlimme Fehler sie gemacht hatte. «Gut», antwortete sie jetzt mechanisch. Die Offensichtlichkeit dieser Falschaussage liess sie beide verlegen lächeln. «Ich denke, unsere Definition von ‘gut’ hat sich in der letzten Zeit einfach verändert.» Sie nickte und wies auf den Stuhl neben ihrem Bett «Setz dich doch.» Er tat wie geheissen und Hinata rutschte an die Bettkante. «Wie geht es Saku?», fragte sie ihn nach einer Zeit des Schweigens mit erstickter Stimme. «Unverändert. Nicht weckbar, aber stabil. Allerdings weiss niemand, wohin das führen wird.» Es war nicht so, als hätte sie etwas anderes erwartet. Und trotzdem war da wohl diese klitzekleine Hoffnung gewesen, bessere Neuigkeiten zu erhalten. Das Leben einer ihrer engsten Freundinnen hing an einem Seidenfaden. Und sie konnte nicht anders, als sich wieder Vorwürfe zu machen. «Ich wusste nichts von diesem Plan», sagte sie leise. «Ich hatte keine Ahnung von alldem. Da hat er mich immer sauber rausgehalten.» Naruto nickte, wohlwissend, von wem sie sprach. «Dir gibt niemand die Schuld daran, was mit Sakura passiert ist. Crow wollte sie als Druckmittel benutzen, aber Yohei Murakami scheint einen absoluten Sinneswandel gehabt zu haben, denn er hat Sakura anscheinend geholfen, aus den Kellern zu entkommen. Keine Ahnung, wie viel Eigennutz Yohei dabei gesehen hat oder ob da tatsächlich gute Intentionen im Spiel gewesen sind. So wie es Angel von den Takas geschildert hat, schien Sakura sehr darauf gepocht zu haben, dass Yohei gerettet wird. Deshalb tippe ich darauf, dass wir Yohei vielleicht zu wenig zutrauen.» Er seufzte. «Was wirklich geschehen ist, kann uns jetzt nur noch Sakura sagen.» «Was hat Shoto Murakami eigentlich zum Schicksal seines Sohnes gesagt?» «Noch nicht viel, soweit ich weiss. Allerdings steht Murakami Credits das Wasser nun bis zum Hals. Genau wie Tanaka und Watanabe. Nachdem Ayato sie alle letzte Nacht an den Pranger gestellt hat, sind nun auch aus der Bevölkerung Vorwürfe gegen sie alle und noch weitere grosse Persönlichkeiten erhoben worden. Die Leute trauen sich endlich, ihre Erfahrungen zu teilen. Ayato hat die Hemmschwelle erheblich gesenkt, indem er aufgezeigt hat, dass jeder Typ, egal wie einflussreich und wohlhabend, verwundbar ist.» Hinata schüttelte langsam den Kopf. «Es ist schon verrückt, weisst du?» «Was meinst du?» «Ayato hat immer gesagt, er würde die Stadt in Asche legen. Das ist natürlich im übertragenen Sinn zu verstehen. Und weisst du, was er auch gesagt hat?» Naruto sah sie fragend an. «Was denn?» «Dass aus der ganzen Asche etwas Neues wachsen wird.» Jetzt war es an ihm, den Kopf zu schütteln. «Manchmal weiss ich wirklich nicht mehr, ob er verrückt oder einfach nur wahnsinnig gut darin ist, zu kalkulieren. Aber ich glaube, dass jemand mit seinen Fähigkeiten und Idealen auch etwas verrückt sein muss. Er hat das Unmögliche versucht und das muss man ihm anrechnen.» «Und dann schaut man sich all die Verluste und Verletzen an und hat nichts anders für ihn übrig als Wut», fuhr Hinata fort. «Ganz genau.» Das darauffolgende Schweigen war ganz und gar nicht unangenehm. Eher beruhigend und ein Weg, die Worte wirken zu lassen. Doch irgendwann begann diese eine Frage sie wieder zu quälen. Und sie musste sie stellen, sonst würde sie vielleicht nie eine Antwort erhalten. «Sag mal», begann sie leise. «Hast du… ich meine letzte Nacht, im Keller… hast du das wirklich so gemeint?» «Was genau meinst du?», frage er verwundert. Sie schluckte und fasste sich ein Herz. «Alles. Ich meine, alles was du gesagt hast… waren das nicht nur Aussagen in der Hitze des Gefechts?» Jetzt lachte er leise. «Nein. Das habe ich alles zu hundert Prozent so gemeint.» Hinata stiegen Tränen in die Augen, doch sie wandte ihren Blick ab und blinzelte sie weg. «Ich kann es dir noch einmal sagen: Ich mache dir nicht den geringsten Vorwurf. Und deshalb war auch alles, was ich gesagt habe, ernst gemeint.» «Es wäre alles viel einfacher gewesen, wenn ich nicht als Geisel gedient hätte. Die Schlacht wäre eher gewonnen gewesen, wer weiss, vielleicht hättet ihr die Riots schon eher bezwungen, wenn ich ihnen nicht Informationen geleifert hätte!». In ihr bäumte sich etwas auf – ihr eigener Selbsthass. «Ohne mich würde Kankuro noch leben! So viele Outer-Standorte wären nicht aufgeflogen, wenn ich sie nicht verpfiffen hätte! Ich habe den Riots Macht gegeben, die sie nie hätten haben dürfen!» Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus und die Selbstverachtung in ihrer Stimme war wohl kaum mehr zu überhören. «Falsch», sagte Naruto ruhig. «Das alles wäre nicht passiert, wenn Crow nicht ein kleines Mädchen zu einem Druckmittel und dich damit zu einer Erpressten gemacht hätte. Du hattest keine Möglichkeit, dich dagegen zu wehren, weil er dich pausenlos überwacht hat. Die Nacht, in der ich dich bei deinem Block gesucht habe – auch da bist du bewacht worden oder? Da ist mir auf dem Rückweg so ein vermummter Typ entgegengekommen.» Sie nickte, hielt ihren Blick aber immer noch abgewandt. «Das war Shark. Einer meiner vielen Bewacher.» «Was ich damit sagen will: Du hast Schadensbegrenzung betrieben, indem du Crow etwas vorgemacht hast. Dass du nur eine Outer seist, dass du ihn… nun ja, lieben würdest. Du hast uns nach Kräften geschützt. Und das verdient eigentlich mehr Lob als irgendeinen Vorwurf.» «Ich weiss aber manchmal nicht mehr, was von alledem wirklich gespielt war… ich meine was Letzteres betrifft. Ich stand total neben mir… ich habe mich selber nicht mehr gekannt. Und bin selber verrückt geworden. Deshalb liege bin ich auch hier und nicht im normalen Krankentrakt.» Ein Schluchzer bahnte sich seinen Weg nach oben. «Du solltest mich hassen.» «Tu ich aber nicht», sagte er unverblümt, mit dieser bübischen Überzeugung in Stimme und Ausdruck. «Ganz im Gegenteil.» Hinata vergrub den Kopf in ihren Händen. «Ich weiss nicht, womit ich das verdient haben sollte.» «Nun, du wirst es wissen. Wenn du dich selbst nicht mehr verachtest. Denn du wirst dir selber verzeihen. Und du wirst einen Weg zurück in die Normalität finden. Aber das braucht Zeit. Denn ob du es wahrhaben willst oder nicht: Du bist eine derjenigen, die am meisten Schaden davongetragen hat. Und es braucht Zeit, sich davon zu erholen.» Sie spürte, wie er mit seiner warmen Hand nach ihrer griff. «Ich verspreche dir und uns allen, dass sich das alles irgendwann anfühlen wird, als läge es Lichtjahre zurück. Dass es alles nicht mehr so schwer sein wird. Und für Sakura hoffen wir, so fest wir können. Wir müssen in ihre Stärke vertrauen. So, wie wir das bei den Kuramas immer machen.» Hinata konnte jetzt nicht mehr anders, als ihre Arme um ihn zu schliessen. Wie sehr hatte sie sich in den letzten Monaten danach gesehnt, endlich wieder Teil ihrer Gang zu sein. Und nach Naruto sowieso. Ihm so nahe zu sein hatte sie sich gewünscht, seit sie der Gang beigetreten war. Sie liebte ihn schon so lange. Er erwiderte ihre Umarmung inbrünstig. «Ich werde es immer wieder sagen, bis es endlich soweit ist», murmelte er. «Alles wird gut.» Sie spürte, wie seine Hand zärtlich über ihr Haar strich und langsam an ihre Wange wanderte. Er suchte ihren Blick und ehe sie sich versah, hatte er sie geküsst. Und für einen flüchtigen, wunderschönen Moment hob sich die Last der vergangenen Monate von ihren Schultern. Es war wunderbar. Und noch viel schöner, als sie es sich vorgestellt hatte. Danach verharrten sie noch lange in ihrer Umarmung, bis eine der Schwestern Naruto dazu aufforderte zurück auf seine Station zu gehen. Anscheinend hatte man ihn dort schon vermisst und zudem wartete noch eine Dosis Schmerzmittel auf ihn. Er küsste sie zum Abschied noch einmal, doch dann war er weg. Und da sank das Gewicht langsam wieder auf ihre Schultern herab. Zurück blieb ein Prickeln auf ihren Lippen. Sakura   Der auffrischende Wind riss Blätter von den Baumkronen, die jetzt wild in der Luft umherwirbelten. Ein Blick nach oben zeigte, dass sich der Himmel verfinstert hatte und dunkelgraue Wolken aufgezogen waren. «Ein Gewitter?», fragte Sakura verwundert gen Himmel. In ihr regte sich eine altbekannte Furcht, aber noch hatte sie die Kontrolle darüber. «Sieht so aus», meinte Yohei. «Können wir uns irgendwo verkriechen?» Gleich, nachdem sie die Frage gestellt hatte, fiel ihr ein, wie dämlich das war. Yohei kannte diesen Wald nicht einmal. Wenn sie es sich genau überlegte, musste es hier in der Nähe einen umgestürzten Baum geben, der mitsamt Wurzeln aus dem Boden gerissen worden war. Als Kind hatte sie sich dort gerne versteckt, da die abstehenden Wurzeln einen gewissen Schutz boten. Yohei folgte ihr ohne zu fragen und tatsächlich lag der Baum noch genauso da, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Was auch irgendwie logisch war, denn sie bewegte sich wohl oder übel in ihrer eigenen Erinnerung. Kaum hatten sich die beiden unter die Wurzeln des Baumes gekauert, brach das Unwetter über sie herein. Die Schleusen waren geöffnet und der Regen prasselte in Sturzbächen auf sie hinunter, begleitet von ohrenbetäubendem Donnerschlag und einem Lichtspektakel aus Blitzen am Himmel. Sakura presste sich gegen den Baumstrunk, doch gegen die Angst half es nicht. Der Regen war ihr egal, aber hier draussen, mitten im Wald einem Gewitter ausgeliefert zu sein, half ihr nicht. Der Boden unter ihnen sog sich langsam mit Wasser voll und wurde matschig, denn die Wurzeln schützten sie in erster Linie vor dem Wind und nicht vor dem Niederschlag. Yohei neben ihr war ganz ruhig, auch wenn er selber schon bis auf die Knochen durchnässt war. Sein blondes Haar hing ihm in tropfnassen Strähnen ins Gesicht. Das Gewitter zog erst nach einer gefühlten Ewigkeit weiter, aber es hörte nicht auf zu regnen. «Bist du sicher, dass du hierbleiben willst?», fragte er irgendwann. Sakura hatte ihre Arme fröstelnd um die Knie geschlungen. «Es stimmt etwas nicht, oder?» «Du meinst, dieses Paradies hier hat einen Haken?», versuchte er, aus ihren Worten schlau zu werden. Sie nickte. «Ich fühle mich nicht mehr gut. Nicht so wie vorhin. Als sollte ich nicht hier sein.» «Irgendwas will dich zum Gehen bewegen», meinte Yohei und bedachte dabei den Himmel, der aussah, als wäre das nächste Gewitter schon im Anmarsch. «Ist deine Hand immer noch warm?» Sakura schüttelte den Kopf und versuchte, die Angst zu unterdrücken, die in ihr aufkam. «Vielleicht habe ich den Kontakt verloren», murmelte sie. Sakura realisierte in diesem Moment, wie sehr sie sich davor fürchtete, die Menschen zu verlieren, die auf sie warteten. Auch wenn sie sich nicht an ihre Gesichter erinnern konnte, so war da etwas, was sie in ihre Richtung zog. «Vielleicht ist es an der Zeit, dass du dich entscheidest, in welche Richtung du gehen willst», sagte er. «Die Uhr tickt, Sakura.» «Aber ich weiss doch noch nicht einmal, wie ich da rauskomme!», brauste sie auf. «Ich habe keine Ahnung, was ich machen muss!» Keine Antwort. Und als sie sich umdrehte, war er verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Ein Anflug von Panik bewog sie dazu, aufzuspringen. «Yohei!» Jetzt suchte sie das Gelände rund um den umgestürzten Baum ab. «Yohei!», brüllte sie erneut, doch sie erhielt wieder keine Antwort. Er war weg. Auf einmal. Und sie blieb vollkommen durchnässt in Kälte und Regen zurück. Alleine an diesem Ort, über den in Kürze das nächste Gewitter einbrechen würde. Dieser paradiesische Ort hatte sich innert kürzester Zeit in ihren schlimmsten Albtraum verwandelt. Und als sie losrannte, um in diesem Wald nach Yohei oder irgendetwas anderem zu suchen, dass ihr einen Anhaltspunkt, eine Richtung gab, suchten sie Yoheis Worte immer und immer wieder heim. Ihre Uhr tickte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)