Konoha Gangs II: Game On von ximi (Das Spiel hat gerade erst begonnen) ================================================================================ Kapitel 46: Wohin jetzt? ------------------------ Hinata   Hinata schlug hart mit ihrer rechten Seite auf dem Dach auf und schlitterte schier unaufhaltsam über die rutschigen Ziegel dem unteren Ende des Daches entgegen. Ihre Hände suchten erfolglos nach Halt und für einen kurzen Moment war sie sicher, dass sie Ayato gleich in den Tod folgen würde. Doch ehe sie über die Dachrinne hinausschlitterte, spürte sie eine Hand an ihrem Handgelenk, die es fest umschloss. Sie rutschte noch weiter, über die Rinne hinaus, ihre Beine nun vollkommen in der Luft, doch sie fiel nicht mehr. Naruto griff nun auch noch mit seinem anderen Arm nach ihr. «Hina, halt dich fest!», rief Naruto ihr zu. Der Schreck stand ihm ins Gesicht geschrieben. Hinata schloss ihre Hände nun auch mit dem letzten bisschen ihrer Kraft um seine Handgelenke. In dem Moment wurde ihr klar, dass sie in dieser Nacht nicht sterben würde, entgegen all ihrer Erwartungen. Trotz einer einst aussichtslosen Ausgangslage. Naruto versuchte, sie nach oben zu ziehen, doch auch seine Kräfte schwanden nach all den Strapazen endgültig. Dafür war Sasuke gleich zur Stelle, der ihren linken Arm packte und Naruto half, sie mit vereinten Kräften wieder aufs Dach zu ziehen. Die Jungs mussten selber aufpassen, dass sie nicht ihren Halt verloren, aber sie schafften es. Auf einigermassen sicherem Grund angekommen legte Naruto seine Arme um sie und drückte sie an sich als könnte sie jeden Moment wieder abrutschen. Sie umklammerte ihn genauso, als würden sie gleich wieder auseinandergerissen werden. Es tat gut, seinen Atem in ihrem Haar zu spüren, denn sie lebten. Sie atmeten. Sie würden weitergehen auf diesem Weg, der jetzt noch ins Ungewisse führte. Über Narutos Schulter weg blickte sie in Sasukes Gesicht, in dem eine Spur Erleichterung stand, doch vielmehr noch Unglaube und Schock. Was gerade passiert war, würde sich in ihre Köpfe einbrennen und sie nie mehr wieder ganz loslassen – das wussten sie schon jetzt. Die drei atmeten schwer, waren für den Moment unfähig, sich von der Stelle zu rühren. Der Regen prasselte auf das Dach, der Wind heulte weiter, als wäre nicht gerade für einige Sekunden die Welt stehen geblieben. Und doch erfüllte sie alle auf einmal eine seltsame Ruhe. Unten auf dem sicheren Boden wuselten Polizisten, Gangmitglieder, Feuerwehrleute. Letztere waren dabei, das von Crow verursachte Inferno zu löschen. Der Regen half ihnen dabei. Es war für sie schwer zu realisieren, dass es jetzt vorbei war. Seit so langer Zeit sehnten sie alle sich danach, dass endlich wieder so etwas wie Normalität einkehrte und nun hatten sie erreicht, was sie hatten erreichen wollen. Gleichzeitig fühlten Hinata sich leer, gebrandmarkt und gezeichnet von dem, was in dieser Nacht passiert war. Noch kannten sie das effektive Ausmass der Katastrophe nicht und hatten auch nicht die Intention, das in den nächsten Minuten in Erfahrung zu bringen. Für einen Moment mussten sie einfach sein, im Hier und Jetzt, ohne einen Gedanken an die Zukunft oder die Vergangenheit. «Es wird alles gut», hörte sie Naruto wie ein Mantra in ihr Ohr flüstern. Immer und immer wieder. Im Augenwinkel erkannte sie, wie sich ihnen von der Terrasse aus übers den Rand des Daches Leute näherten, die ihnen helfen wollten. Hinata vergrub ihren Kopf an Narutos Schulter. Nur noch ein paar Sekunden in diesem kostbaren Augenblick verharren. Und dann würde sie den Abstieg in eine Realität antreten, die alles andere als schön war.   Naruto   Auf der Dachterrasse wurden sie von ihren Leuten in Empfang genommen. Pain sah zwar nach wie vor verärgert aus, jedoch wurde dieser von Erschütterung und gleichzeitiger Erleichterung über die Ereignisse der letzten zehn Minuten überschattet. Naruto entdeckte drei Riots, zwei Mädchen und ein Typ, die mit Handschellen gefesselt worden waren und nun von Choji und Redhead abgeführt wurden. Vier weitere Männer lagen am Boden, darunter erkannte er Cracker. Sie schienen einen Kampf gewählt zu haben, den sie nicht hatten gewinnen können. Das erfüllte Naruto einerseits mit Wut, andererseits mit Reue und auch einer gewissen Schwere. Diese vier hatten wie viele andere ihr Leben Ayato Kirishimas Sache verschrieben und sie waren dafür ins Grab gegangen. Eigentlich war es verrückt, doch zeigte es einmal mehr, wohin tiefe Verzweiflung den Menschen treiben konnte. Zurück auf dem Dach herrschte Schweigen. Ein bitteres, fassungsloses Schweigen, das niemand zu brechen vermochte. Die Riots wurden abgeführt, die Verletzten versorgt. In ihrem letzten Kampf hatten Cracker und Konsorten noch einmal alles gegeben, zumal sie auch nichts mehr zu verlieren gehabt hatten. Naruto nahm den hinkenden Kiba wahr, der aus einer tiefen Stichwunde am Bein blutete. Da war Deidara, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht eine blutverschmierte Hand über sein linkes Auge hielt, Zetsu, der aus mindestens vier Wunden blutete. Neji, der in gekrümmter Haltung von der selber blutenden Tenten nach unten begleitet wurde. Die Sanitäter waren urplötzlich da, scharten sich um sie alle wie ein emsiges Bienenvolk. Und selbst während der ganzen Versorgung hielt Naruto weiterhin Hinatas Hand fest in seiner. Denn mit jeder Sekunde wurde ihm mehr bewusst, wie viel Halt sie alle von nun an brauchen würden. Sie beide liessen sich brav ihre Wunden desinfizieren und verbinden, nur Sasuke hatte andere Pläne. «Wo willst du hin, Demon?», fragte Naruto, als Sasuke sich mehr schlecht als recht in Richtung des Treppenhauses bewegte. Es kam keine Antwort und eigentlich war Naruto schnell klar, wohin es den angeschlagenen Leader der Takas zog. Naruto wollte ruckartig aufstehen, doch seine Beine machten nicht mit. Das Adrenalin hatte nachgelassen und liess ihn seinen pochenden Kopf, seinen entzündeten Hals und all die Wunden und Prellungen an seinem Körper in voller Wucht spüren. Dazu kam noch das Gewicht, das auf all ihren Seelen lastete – die Erlebnisse dieser Nacht und die Ungewissheit darüber, welcher Schaden sie vorfinden würden, wenn sie dieses Gebäude verliessen. «Demon!» Pain war einer der wenigen, die noch einigermassen beieinander waren. Rasch war er bei Sasuke und redete leise auf ihn ein, doch Sasuke machte keine Anstalten, sich erst von den Sanitätern versorgen zu lassen. Sie schienen sich zu einigen, als Pain ihm einen Arm um den Oberkörper legte, um ihn nach unten zu begleiten. Wahrscheinlich das Schlauste. Denn Sasuke in seiner wilden Entschlossenheit zu etwas anderem zu zwingen, war ziemlich kontraproduktiv. Pain würde schon hinkriegen, dass er sich versorgen liess. Die Sanitäter fuhren mit der Erstversorgung weiter und Naruto liess es geschehen. Er fühlte sich, als hätte man ihn durch den Fleischwolf gedreht. Alles war irgendwie surreal, sein Verstand war benebelt und sein Körper schmerzte von oben bis unten. Sein Sanitäter injizierte ein Schmerzmittel intravenös. Naruto schloss die Augen und hoffte, dass es bald wirkte. Ansonsten würde er nicht mehr lange bei Bewusstsein bleiben. Er und viele andere hatten ihre Grenzen in dieser Nacht bei weitem überschritten. Und jetzt, ohne Adrenalin, spürten sie die Konsequenzen davon. Er fühlte, wie er langsam wegdriftete. Und er wehrte sich nicht dagegen, denn er spürte, wie die Last dieser Nacht einem dumpfen Vergessen wich, das sich erlösend anfühlte. Seine letzte Empfindung war Hinatas Hand in seiner.   Sasuke   Sasuke schritt voran, schön einen Fuss nach dem anderen. Du bist zu langsam, fluchte er innerlich. Sein ganzer Körper war eine einzige Explosion von Schmerzen. Seine Wunden brannten wie Feuer, seine Sicht verschwamm von Zeit zu Zeit, wobei ein kurzes Zusammenkneifen der Augen half, damit sie sich wieder für einige Sekunden klärte. Seine Beine fühlten sich an wie Gummi, was vermutlich von dem ganzen Blut kam, dass sich innerhalb seines Körpers befinden sollte, jetzt aber über seine Beine, seinen Oberkörper und sein Gesicht lief oder sonst irgendwo auf dem Gelände verteilt war. «Demon, du musst dich versorgen lassen», ermahnte Pain ihn noch einmal. Er hatte nur eingewilligt, ihn nach unten zu begleiten, wenn er sich da versorgen liess. Sasuke sagte daraufhin nichts und humpelte konzentriert weiter die Treppenstufen hinunter. In seinem Kopf fuhren die Gedanken Achterbahn. Die erste Erleichterung nach Crows Entscheid war einem Entsetzen gewichen. Und nun wich das Entsetzen über Crow dem Entsetzen über das, was in dieser Nacht alles passiert war. Er fürchtete sich davor, zu erfahren, was Crows Explosionen für Schaden angerichtet hatten. Er fürchtete sich davor, über Tote in den eigenen Reihen informiert zu werden. Und er fürchtete sich davor, dass Sakura ihren Kampf bereits verloren haben könnte – ohne ihn. Denn er hatte gesehen, was mit Tomcat passiert war. Und niemand konnte ihm versichern, dass Sakura nicht in derselben Gefahr schwebte. Wenn sie denn überlebt hatte. Es machte ihn beinahe wahnsinnig. Und deshalb musste er jetzt weitergehen, auch wenn alles in ihm danach schrie, sich hinzusetzen und medizinische Versorgung anzunehmen. Das Treppenhaus kam ihm viel länger vor als noch zuvor bei ihrem Aufstieg. Es zog sich elend lange hin und mit jeder Stufe fühlte er sich ein wenig näher am kompletten Zusammenbruch. Doch irgendwann erreichten sie das Erdgeschoss und die Tür nach draussen. Es erwartete sie ein schauriger Anblick. Überall Ambulanzen und Einsatzfahrzeuge der Polizei und der Feuerwehr. Leute, die einander Dinge zuriefen und hin- und herrannten.  Verletze, wimmernde Menschen, die am Boden kauerten oder von Sanitätern umsorgt wurden. Das einzige, was er wirklich klar und deutlich sah, waren seine Leute und die Kuramas. In ihren Gesichtern stand weder Erleichterung, noch Freude. Nur Resignation, Unglaube, Schock und Erschöpfung. Nichts von dem grossen Triumpf, den sie sich so sehr erhofft hatten. Denn heute Nacht würde niemand die Korken knallen lassen. Und er schon gar nicht. Die ganze Hektik wurde schnell wieder zu einem verschwommenen Bild. Nichts, worauf er sich noch fokussieren konnte. In seinem Kopf hämmerte der Puls gegen die Schädeldecke. Es verlangte ihm alles an Konzentration ab, weiterzugehen. «Demon, die Sanitäter sind da drüben», erinnerte ihn Pain an etwas, was er längst wusste. Nur war sein Ziel eben keine Ambulanz. «Demon, entweder du lässt dich jetzt freiwillig versorgen oder wir zwingen dich dazu.» Pain drohte mit einer Gelassenheit in der Stimme, die er nur allzu gut kannte. Dabei wusste er genau, dass mit dem Vize nicht gut Kirschenessen wat. Doch er war der Leader und sein Vize hatte ihm gar nichts zu drohen; Sasuke ignorierte ihn. Er konnte jetzt nicht. Er musste wissen, wo sie war und wie es ihr ging. Er hörte ein schrilles Pfeifen direkt neben sich, das von Pain ausging. Er suchte den Blick seines Vizes und funkelte ihn an. Pain blieb ungerührt im Angesicht seines Killerblicks. Und gleich darauf spürte er, wie ihn zwei weitere Typen packten. Er konnte Kisame und Juugo ausmachen, die ihn an den Armen ergriffen und ihn in Richtung eines Ambulanzfahrzeugs schleifen wollten. Sasuke platzte innert Sekunden der Kragen. Seine Gang setzte sich über ihren Leader hinweg. Und das war nicht einmal das grösste Problem. Nein, während sie ihn hier festhielten, konnte Sakura bereits sonst wo sein. «Lasst mich los», sagte er in dem gebieterischsten Ton, den er noch aufbringen konnte, aber es klang ziemlich erbärmlich. «Ich habe dich gewarnt», hörte er Pain sagen. In Sasuke loderte Zorn auf. Was fiel Pain eigentlich ein? Er mobilisierte all seine verbliebenen Kräfte, spannte seine Muskeln an und riss sich los. Natürlich war es zwecklos, denn er konnte sich inzwischen kaum noch alleine fortbewegen und schon gar nicht gegen drei andere durchsetzen, die ihm kräftemässig ebenbürtig waren. Sasuke sah nichts anderes mehr, als den Weg, der zum Lazarett führte. Er schlug wild um sich, denn in seiner Verfassung war er nicht mehr im Stande, strategisch zu denken. Das Resultat war, dass die Griffe um ihn nur noch fester wurden und ihn schlussendlich ganz zu Boden drückten. Sasuke knurrte und wehrte sich so gut er konnte, aber es war aussichtslos. «Was zur Hölle?», brüllte er, immer noch fassungslos von der Handlung seiner eigenen Leute. «Du bist nicht mehr bei Sinnen Demon», sagte Pain in ruhigem Tonfall, doch seine Stimme zitterte ein wenig. Jemand, der ihn nicht kannte, hätte es nicht gemerkt. Sasukes Kopf wurde jetzt auf den Asphalt gedrückt. Von der Seite her sah er, wie Sanitäter und Polizisten angerannt kamen. Reflexartig bäumte er sich auf und schaffte es, seinen Arm noch einmal freizukriegen. Er rammte seinen Ellbogen in Kisames Seite, dieser stöhnte laut auf. Auf einmal waren jetzt auch noch Polizisten da, die den angeschlagenen Gangmitglieder abzulösen. «Was ist los?», hörte er Hatakes Stimme unter seinem eigenen Fluchen. «Er braucht dringend medizinische Hilfe, hat aber andere Pläne.». «Lasst mich los, ihr verdammten Schweine!», brüllte er und nun machte sich Verzweiflung breit. Wussten diese Idioten denn nicht, worum es ihm hier ging?! «Yahiko…» presste er hervor. «Wenn ich jetzt nicht gehe, ist es vielleicht zu spät!» «Demon, wenn du jetzt gehst, dann ist es wahrscheinlich für dich zu spät.» Pain verstand es einfach nicht. Pain wusste nicht, wie sich das anfühlte, hatte keine Ahnung, dass diese Nacht für ihn alles, aber wirklich alles kaputtmachen konnte. Sasuke fuhr erneut wie eine wild gewordene Bestie hoch, doch die Polizisten drückten ihn erbarmungslos zu Boden und dann spürte er ein unangenehmes Brennen an seinem Hals. Er realisierte sofort, was es war, als er den Sanitäter neben sich ausmachen konnte. Tatsächlich hatte er eine Spritze in der Hand. «Ihr Schweine…», stiess er voller Verzweiflung und Zorn hervor. «Verdammte Hurensöhne…» Und schon wurde seine Wahrnehmung langsam aber sicher weicher. Sein Körper entspannte sich, obwohl Sasuke sich auf keinen Fall entspannen wollte. Er konnte nichts mehr sagen, als sein Kopf auf dem Boden liegenblieb. Nur noch ein Blick voller Vorwürfe und Verachtung in die Richtung von Yahiko, Kisame und Juugo, gespickt mit der Frage: Warum? Dann wurde alles schwarz.   Shikamaru   Shikamaru fühlte sich, als befänden sie sich in einer furchteinflössenden Parallelwelt, die so gar nichts mit ihren wirklichen Leben zu tun hatte. Temari, er und seine Leute hatten Crows Sturz vom Dach beobachtet und ihm jagte bei dem blossen Gedanken daran immer noch ein kalter Schauer über den Rücken. Und jetzt versuchten er und Temari gemeinsam mit der Polizei und den verbliebenen, einigermassen unverletzten Gangmitgliedern irgendwie Ordnung in das schier endlose Chaos zu bringen. Der Anblick auf dem Gelände war einfach nur niederschmetternd. Es herrschte absolute Fassungslosigkeit, die sowohl den Ereignissen hier auf dem Gelände, aber auch denen in der Stadt galt. Noch kannten sie das Ausmass der Katastrophe in der Stadt nicht und das war auch besser so. Ein Schock nach dem anderen, dachte er trocken. Kurama-Genius spürte eine tiefe Trauer und Hoffnungslosigkeit, wenn er sich das Szenario anschaute. Überall waren Sanitäter, die bei Verletzten waren und dafür sorgen, dass sie ins City Hospital gebracht wurden. Er beobachtete, wie die verbliebenen Takas und Kuramas vom Kantinendach zu den Ambulanzen geführt wurden. Ihm fiel vor allem Taka-Deidara auf, der eine wüste Verletzung am Auge zu haben schien, da die Sanitäter der Erstversorgung ihm einen Verband angelegt hatten. Bei ihm war eine junge Taka, die den Kopf an seine Schulter gelegt hatte. Caramelle, wenn er sich recht erinnerte, stand der Schock immer noch im Gesicht. Und auch die anderen hinkten, bluteten, sahen absolut fertig aus. Shikamaru ging nicht zu ihnen hin. Sprechen konnten sie später noch, jetzt mussten sie erst einmal ins Krankenhaus. Die Leichtverletzten kauerten im Beisein von ihren Gangmitgliedern am Boden und warteten darauf, dass Hilfe kam. Doch sie wussten, dass sie keine Priorität hatten. Das schlimmste an dem Anblick war diese tiefe Resignation, die aus all ihren Gesichtern sprach. Es war, als schwebe ein dunkler Schatten über der ganzen Stadt und auch ihren Gemütern. Sie hatten auf einen glorreichen Sieg gehofft, einen Befreiungsschlag von den Riots, die seit mehr als einem Jahr die ganze Stadt schikanierten. Doch was sie bekommen hatten, war nicht im Ansatz mit Freude in Verbindung zu bringen. «Wie geht es jetzt weiter, Genius?», fragte Termari neben ihm. Auch sie war verletzt, aber sie dachte nicht daran, die Zeit eines Sanitäters oder Notarztes für ihre vergleichsweise kleinen Wunden zu beanspruchen. «Ich weiss es nicht», sagte er. Schon wieder hatte er auf diese Frage keine Antwort. Dabei war er der Stratege der Gang, der auf so eine Frage immer antworten können sollte. Aber jetzt blieb ihm ganz einfach die Luft weg. Er war verzweifelt, wütend, traurig und teilte damit die Gefühle aller anderen Gangmitglieder. Temaris Blick wanderte zu der Stelle, an der Crows lebloser Körper unter einer Abdeckung lag. «Er hat bis zum Schluss die Kontrolle behalten. Hat uns einmal mehr bewusst gemacht, dass es in einem Krieg kein Happy End geben kann.» «Es gibt immer nur Verlierer», knüpfte er an. «Nur solche, die weniger oder eben mehr verlieren.» Sein Blick wanderte über den Platz. Einige Gangmitglieder befanden sich in kritischem Zustand, Sakura gehörte dazu, wie er mit Schrecken vernommen hatte. Todesfälle gab es laut den Meldungen bisher nur im Outer. Unter ihnen war Sora, der anscheinend in einem Zweikampf den Kürzeren gezogen hatte. Shikamaru wurde übel bei dem Gedanken, dass ihr langjähriger Outer-Boss diese letzte Schlacht nicht überstanden hatte. Und was seine Trauer noch verstärkte, war, dass seine Leiche irgendwo in den verbrannten Trümmern der Hallen lag. Möglicherweise würde man ihn nicht einmal mehr identifizieren können. «Wir kannten alle das Risiko», murmelte er. «Und doch waren wir eigentlich nicht bereit dafür.» Termari lachte bitter. «Glaubst du, dass man jemals für so etwas bereit sein kann?» Er schüttelte langsam den Kopf. Sie hatte ja recht, doch besser machte es das nicht. Sie waren schmutzig, stanken nach Rauch und Schweiss. Innerlich fühlten sie sich leer, nach all dem was sie in dieser Nacht gesehen hatten. Noch vor gut einem Jahr hatten die Gangs von Konoha ihr wildes Leben geführt, in ihrer ganz eigenen Welt. Nie hätten sie auch nur daran gedacht, dass sie irgendwann hier stehen würden und gemeinsam mit der Polizei gegen Rebellen sondergleichen kämpften. Dass sie in einen Krieg von diesem Ausmass involviert sein würden. Es war einfach unfassbar. Und genau deshalb gab es einfach keine Worte, um zu beschreiben, wie sie sich fühlten – und was noch auf sie zukommen würde. Die verhängnisvolle Nacht nahm im lodernden Schein von Feuer und dem beunruhigenden Heulen von Sirenen ihren Lauf. Sanitäter, Polizisten und Feuerwehrleute kämpften weiter, während die Gangs ihren eigenen Krieg beendet hatten. Niemand wollte von einem Sieg sprechen, denn sie hatten nicht gewonnen. Es fühlte sich viel eher an, als hätten sie alles verloren. Sie standen vor einer Zeit voller Ungewissheit und Schmerz. Und trotzdem bestand die leise Hoffnung, dass Konoha nach dieser Nacht endlich zu heilen beginnen würde. Und so ungern es viele zugeben wollten, hatte Crow mit seinem Wahnsinn diese Hoffnung erst entfacht. Heute Nacht waren Dinge gesagt worden, die dazu beitragen konnten, die Ungerechtigkeit in einer Metropole von Unterdrückung und Klassenunterschieden zu mildern. Noch wusste niemand, ob die Riot-Bewegung wirklich geschlagen war. Der Tod ihres Masterminds und das Verschwinden dessen engsten Gefährten riss ihr das Herz heraus, doch das bedeutete nicht, dass Ayato Kirishimas fragwürdige Ideale nicht von anderen weitergetragen wurde. Der gesellschaftliche Kampf würde weitergehen, so viel stand fest. Die Frage war nur, wie.   Ami   Der nächste Morgen brach an, als wäre nichts gewesen. Die Menschen gingen ihren Alltagsbeschäftigungen nach, fuhren zur Arbeit, schickten die Kinder zur Schule, gingen einkaufen. Shina und Takahiro hatten nach dem Aufstehen nicht schlecht gestaunt, als das ganze Wohnzimmer voller Leute gewesen war. Ami war froh, war heute Kindergarten und Schule, denn es gelang ihr kaum, ihre Gedanken auf irgendetwas anderes zu lenken, als die Ereignisse in Konoha. In den Medien wurde die ganze Sache breitgeschlagen, man las zu kaum mehr anderem irgendetwas. Ami behielt es sich vor, nur die Informationen von KCTV ernst zu nehmen, zumal diese sich bisher im Umgang mit den Gangs als relativ vertrauenswürdig erweisen hatten und weitaus am wenigsten sensationstolle Schlagzeilen verfasst hatten. KCTV war auch als einzige Quelle der Medien gestern vor Ort gewesen. Inzwischen war auch das Ausmass von Ayato Kirishimas Anschlägen in der Innenstadt bekannt. Glücklicherweise waren fast alle Gebäude leer gewesen, doch insgesamt dreiundzwanzig Passanten waren schwer verletzt und zwei Menschen hatten die Explosionen nicht überlebt. Das waren zu viele, doch nicht so viele, wie es hätten sein können. Experten waren sich sicher, dass Crows Hauptintention nicht gewesen war, möglichst viele Leute da mitreinzuziehen. Sonst hätte er die Anschläge auch am helllichten Tag verüben können. Diverse psychologische Fachleute veröffentlichten bereits ihre Meinung zu der ganzen Sache in den Medien und waren sich weitgehend einig, dass Crow vor allem die Unantastbarkeit der dominanten Klasse in Frage stellen wollte. Dies war ihm auch gelungen. Während man die Filiale einer Beauty-Firma noch eher infiltrieren konnte, wurde das bei einer Bank oder einer Anwaltskanzlei dann doch deutlich schwieriger. Interessant war auch, dass Crow in den Berichten relativ zweiseitig porträtiert wurde: Viele sahen ihn als furchtlosen Revolutionär, der sich mutig auflehnte – etwas, was wohl viele Bewohner der Stadt insgeheim auch gerne getan hätten. Wiederum andere nannten ihn einen menschenverachtenden, rücksichtslosen Mörder. In Amis Augen lagen beide Seiten falsch. Schwarzweissdenken hatte noch funktioniert, denn Menschen waren zu vielschichtig, als dass man sie auf etwas so Plakatives reduzieren konnte. Ami machte Noriko und den anderen ein gutes Frühstück. Bereits zum siebten Mal rief sie danach zuerst Sasukes und dann Sakuras Handy an, doch sie erhielt keine Antwort. Das beunruhigte sie jedes Mal mehr, auch wenn sie alle sich gegenseitig Hoffnung zu machen versuchten. Vielleicht waren ihre Handys jetzt nur noch verkohlte Leichen in den rauchenden Ruinen der Transportfirma. Vielleicht waren sie nicht in der psychischen Verfassung, einen Anruf entgegenzunehmen. Vielleicht hatten sie immer noch alle Hände voll damit zu tun, zu helfen. Es gab einen Haufen möglicher Gründe und doch beschlich Ami immer wieder der Gedanke, dass ihnen etwas zugestossen war. Im Fernsehen wurden noch keine Zahlen und Fakten zum Verbleib der Gangs mitgeteilt. Im Moment waren Crows Suizid und seine Ideologie sehr viel präsenter. Zwei Stunden und drei weitere Anrufe später, hielt sie es nicht mehr aus. «Können wir ins City Hospital fahren, Haru? Jetzt?» Haru hatte durchweg versucht, sie etwas zu beschwichtigen und zu beruhigen. Aber auch er sah ein, dass sie sich selber ein Bild von der Sache machen mussten, damit sie Klarheit hatten. Noriko und Inaho erklärten sich bereit, auf Shina und Takahiro aufzupassen, wenn diese nach Hause kamen. Die anderen machten sich fürs Erste auf den Weg nach Hause. Eine Viertelstunde später sassen die Iwasawas im Auto und machten sich auf den Weg nach Konoha, voller Hoffnung, aber auch voller Angst. Auf der Fahrt schalteten sie das Radio bewusst aus, da es beinahe unerträglich war, ständig die wiedergekäuten Ereignisse der letzten Nacht mithören zu müssen. Ami hatte Haru das Fahren überlassen, zumal sie derzeit gedanklich nicht wirklich bei der Sache war. Zur Ablenkung beobachtete sie die Landschaft und den wolkenverhangenen Himmel draussen. «Was glaubst du, was mit ihnen ist, Haru?», fragte sie nach einer guten Stunde Fahrt. Bis nach Konoha dauerte es jetzt noch etwa eine halbe Stunde. Haru schwieg und überlegte sich seine Antwort gut. Er sprach stets bedacht und nicht einfach darauf los, das war schon immer eine seiner besten Qualitäten gewesen. Dass seine Antwort aber erst gute zwei Minuten später kam, lag wohl eher am Inhalt ihrer Frage. «Ich habe keine Ahnung. Die Bilder von letzter Nacht haben nicht gut ausgesehen. Und es haben bestimmt nicht alle überlebt. Doch auf der Übertragung von KCTV waren auch viele Überlebende zu sehen. Möglicherweise sind sie auf einfach verletzt, Ami. Wenn das der Fall ist, würde es auch erklären, warum sie derzeit keine Anrufe annehmen.» Ami nickte. Natürlich wusste Haru nicht mehr als sie. Und doch hatte sie wissen wollen, ob sie die gleichen Gedanken hatten. «Egal, was es ist, wir stehen das wie immer gemeinsam durch, ja?», sagte er und griff mit seiner freien Hand nach ihrer. Ami drückte ganz fest zu. Sie brauchte diesen Halt mehr denn je. Denn ob sie es wollte oder nicht, Sasuke und Sakura waren für sie mehr als nur Bekannte. Ihre schicksalshafte Begegnung hatte ein ganz besonderes Band zwischen ihnen geschaffen. Und sie hätte die beiden so gerne noch besser kennengelernt. Sie hätte Sasuke mit grosser Freude noch ein bisschen mehr von der heilen Welt gegeben, die er nie hatte. So etwas wie Verwandte, vielleicht sogar Familie, auf die er sich verlassen konnte. Und nun hing das alles in der Luft. Vielleicht war es für das alles bereits zu spät. Tsunade Tsunade stand nachdenklich vor der Glasscheibe, die das Zimmer vom Rest der Intensivstation trennte. Auf dem Monitor wurden stabile Werte angezeigt, es schien, als erhole sich der Patient gut. Nachdem sie die ganze Nacht bei Sakura gewesen war, die zwar auch stabil, jedoch soporös war, hatte sie etwas frische Luft gebraucht und war nach draussen gegangen. Im Park des Krankenhauses hatte sie Jiraiya getroffen, dem es ähnlich ergangen war. Gemeinsam hatten sie eine Zigarette geraucht – wobei Tsunade zugab, dass sie das Rauchen eigentlich bereits Ende ihrer Zwanziger an den Nagel gehängt hatte. Aber im Moment war es ihr einfach egal. Nach den Ereignissen der letzten Nacht, einem schwierigen Telefonat mit Mebuki und dem immer noch währenden Kampf mit ihren Schuldgefühlen, hatte sie nicht noch die Kraft, in pingeligster Weise auf ihre Gesundheit achtzugeben. Jiraiya und sie hatten einander in den Armen gelegen, sich Mut zugesprochen. Das hatte ihrem mitgenommenen Gemüt wirklich geholfen, die Gesamtsituation hatte es aber nicht geändert. Sakura war nach wie vor nicht weckbar. Ihr Körper hatte in der vergangenen Nacht nie dagewesene Strapazen erlitten. Tsunade hatte es beinahe den Magen umgedreht, als sie all die Blutergüsse, Wunden und Prellungen an ihrer Nichte gesehen hatte. Das alles hätte verhindert werden können, wenn sie nur strenger gewesen wäre, die Situation richtig eingeschätzt hätte. Aber das hatte sie nicht getan. Und Mebuki tat recht daran, ihr Vorwürfe zu machen. Sakura war zwar volljährig, aber als ihre Tante hier vor Ort wäre es ihre Pflicht gewesen, besser auf Sakura aufzupassen. Und nun stand sie wieder auf der Intensivstation, dieses Mal aber nicht bei Sakura. Hinter der Scheibe lag ein schlafender Sasuke. Auch er hatte in der letzten Nacht gelitten, seelisch und körperlich. Man hatte ihr erzählt, dass er sein eigenes Leben beinahe aufgegeben hatte, nur um Sakura sehen zu können. Bisher war ihr die gesamte Situation mit dem Taka-Leader und ihrer Nichte immer ein wenig suspekt gewesen, auch wenn sie es nach bestem Wissen und Gewissen zu relativieren versucht hatte. Aber sie hatte jahrelange Gangstreitereien mit den Takas erlebt, die in ihr einfach Vorurteile hatten entstehen lassen, die sich nicht so leicht abbauen liessen. Wenn ihr aber in der letzten Nacht etwas definitiv klargeworden war, dann das: Sasuke würde Sakura nie mehr Leid zufügen. Sie wusste, dass es da einen Zwischenfall gegeben hatte, im Frühling, kurz bevor Sakura mit ihm für einige Tage verschwunden war. Doch der junge Mann war an diesem Tiefpunkt gewachsen, das hatte sie in der letzten Nacht sehen können. Echte Sorge, echte Gefühle, sehr viel Liebe. Das alles hatte er Sakura entgegengebracht und das tat er immer noch. Und trotzdem hatte er noch einmal den Mut gefasst, zurück in den Kampf zu gehen. Was sie vor gut einem Jahr als Schwärmerei eines jungen Mädchens abgetan hatte, erkannte sie heute als echte Zuneigung. Sie hatte gedacht, dass Sakura das Fremde, Unbekannte reizte, dass Sasuke sie mit seinem verwegenen Charme um den Finger gewickelt hatte und sich Vorteile davon versprach. Und während sie sich im ersten Moment bestätigt gefühlt hatte, so war ihr auch schnell klargeworden, dass Sakura nicht so leicht von ihm abzubringen war. In Anbetracht der gegenwärtigen Situation fühlten sich all ihre damaligen Sorgen unnötig an. Die Ärzte hatten gesagt, dass er bald auf die Abteilung verlegt werden konnte. Tsunade war wirklich froh, dass er die letzte Nacht überstanden hatte. Ja, er war angeschlagen aber er kam wieder auf die Beine. Und das war das Wichtigste. In diesem Moment regte sich Sasuke. Tsunade winkte rasch einem der Pfleger, der sofort das Zimmer betrat, um sich nach Sasukes Wohlergehen zu erkundigen. Sie überliess die beiden einander und machte sich wieder auf den Weg zu Sakuras Koje.   Sasuke   Sasuke öffnete die Augen und starrte erst einmal gegen eine öde weisse Decke, an der mehrere Neonlampen hingen. In seinem Kopf herrschte ein Wirrwarr. Er wusste in etwa, was passiert war, doch irgendwie drangen diese Ereignisse nicht wirklich an ihn heran. Fast, als hätte man ihn in Watte gepackt. Er wusste, dass er Angst und Wut verspüren sollte, doch da war nichts. Er sollte wütend sein. Auf Crow und seine Riots, Hatake, Yahiko, Kisame und Juugo, den Notarzt, der ihm die Spitze gesetzt hatte – doch da war nichts. Als hätte man ihm mit diesem Beruhigungsmittel seine Gefühle einfach abgestellt. An seiner Seite tauchte ein Krankenpfleger auf, der sein Wachsein bemerkt hatte. «Guten Tag Mr. Uchiha. Wie fühlen Sie sich?» «Was haben die mit mir gemacht?», fragte er und wollte wütend klingen, doch seine Stimme blieb ruhig. Der Pfleger nickte. «Ihnen wurde ein Beruhigungsmittel verabreicht, dass Sie hat schlafen lassen.» «Ich weiss. Aber ich fühle mich so… weit weg.» «Das ist normal. Das Mittel dämpft auch gewisse Gefühlsregungen ab, aber der Effekt wird in ein paar Stunden nicht mehr zu spüren sein. Ich würde Ihnen empfehlen, noch ein wenig zu schlafen. Ausser Sie haben Hunger oder Durst?» Sasuke schüttelte den Kopf und schloss die Augen wieder. Eigentlich war es doch ganz schön so. Er fühlte sich leicht und unbelastet, irgendwie frei. Es war beinahe erholsam. Als er wieder eingeschlafen war, träumte er von seinem Trip nach Otogakure im letzten Frühling. Das friedliche Dorf hatte in ihm den ungeahnten Traum von einem friedlichen Leben ausserhalb Konohas geweckt. Und seine Reise mit Sakura hatte ihm mehr als nur die Augen geöffnet – sie hatte ihm gezeigt, was er wirklich wollte. Und deshalb erschien in seinen Träumen oft das Haus der Iwasawas, ihr Garten, die schönen Wohnquartiere, das Schulhaus und die vielen Wiesen, die das Dorf umgaben. Und Sasuke liess sich gerne in diese heile Welt mitnehmen. Gerade jetzt, da in seiner Welt nichts mehr heil war.   Naruto   Husten, Kopfschmerzen, Müdigkeit. Und er hatte sich heute Morgen zweimal übergeben, was seinen ohnehin schon gereizten Schleimhäuten nicht gutgetan hatte. Die Ärzte hatten Naruto eine schwere Rauchvergiftung attestiert und ihm erklärt, dass er noch eine Weile im Krankenhaus bleiben müsse. Durch die angegriffenen Schleimhäute war er anscheinend stark infektionsgefährdet, doch bisher hatte man keine weiteren Folgen der Vergiftung feststellen können – wobei diese auch erst zeitverzögert auftreten können, aber nicht müssen. In etwa so hatte es seitens der Ärzte geklungen. Die Krankenschwestern versorgten ihn mit allerlei Medikamenten und Pastillen für seinen gereizten Hals. Beim Sprechen hörte er sich heute noch viel mehr wie ein Kettenraucher an, aber das sollte das kleinste Problem sein. Natürlich hatte er sich bereits nach den anderen erkundigt und mit einem Stich im Herzen erfahren müssen, dass Sora den Kampf nicht überlebt hatte. Sora alias Shadow war quasi sein Vize-Vize gewesen, sein Outer-Leader, dem er blind vertraut hatte. Und er war überzeugt, dass es keinen besseren als ihn gegeben hatte. Es schmerzte und machte ihn so unglaublich wütend. Gleichzeitig fühlte er sich hilflos gegenüber der Situation, in der sie sich alle befanden. Hinata ging es laut den Informationen von Shizune gut, bezüglich Rauchvergiftung ähnlich wie ihm. Allerdings hatte sie einen Psychologen zu ihr geschickt, der eine erste Bestandesaufnahme machen sollte. Die Ereignisse hatten laut der Ärztin für Hinata ein besonders hohes Trauma-Potenzial, zumal sie sich über mehrere Monate in einem Erpressungsverhältnis befunden hatte. Noch wusste niemand, was genau sie unter Ayato erlitten hatte und welche Folgen das für ihre Psyche nach sich ziehen würde. Naruto wäre gerne zu ihr gegangen, doch er vertraute auf Shizunes Anweisungen, ihr Ruhe zu gönnen. Hanabi hatte Shizune sofort an die Kinderärzte weiterverwiesen, ein Kinderpsychologe kümmerte sich um sie. Sasuke hatte man vor Kurzem von der Intensivstation auf ihre Abteilung verlegt. Anscheinend war er zum Eigenschutz betäubt worden und man hatte ihn überwachen müssen, solange das Betäubungsmittel ausschwemmte. Er war wie auch Naruto stark verletzt, hatte aber definitiv mehr Blut verloren. Und von Sakura wollte Naruto gar nicht erst anfangen. Der blosse Gedanke daran schnürte ihm die Kehle zu. Bisher hatte er von Shikamaru und den anderen nur Gerüchte darüber gehört, was Sakura letzte Nacht erlebt hatte. Anscheinend hatte auch Tomcat in der ganzen Sache eine wichtige Rolle gespielt. Fakt war, dass auch sie auf der Intensivstation lag. Naruto hatte versucht, sich den Begriff zu merken, denn Shizune verwendet hatte: Präkoma. Sakura schlief und war nicht weckbar. «Und was ist dann der Unterschied zum Koma?», hatte er gefragt. «Sie weist noch Reflexreaktionen auf. Das wäre beim Koma nicht mehr der Fall.» Naruto hatte sich kaum getraut, Fragen nach der Prognose zu stellen. Shizune meinte darauf, dass sie im Moment stabil sei. Sie werde mit diversen Mitteln behandelt, darunter Antibiotika aufgrund von Infektionen, die von ihren Schnitt- und Schusswunden ausgingen sowie Bluttransfusionen aufgrund des hohen Blutverlustes. Jedoch sei im Moment noch alles offen, was ihren Gesundheitszustand angehe. Ärzte hatten bei ihr weiter diverse Prellungen, Blutergüsse, Schürf- und Kratzwunden sowie zwei gebrochene Rippen festgestellt. «Wie geht es Tsuna?», hatte er gefragt, selber unfähig, diese Informationen für sich einzuordnen. Shizune schüttelte nur den Kopf. «Das kannst du dir vermutlich denken. Sie ist am Boden zerstört und macht sich riesige Vorwürfe.» Naruto hatte nichts erwidert. Wer Tsunade kannte, konnte sich das tatsächlich ohne weiteres selber vorstellen. Jetzt lehnte er sich in seinem Bett zurück und versuchte, diese ganzen Dinge irgendwie sinnvoll zu ordnen. Im Bett gegenüber schnarchte Kiba friedlich vor sich hin, etwas, worum er ihn in diesem Moment beneidete. Zetsu lag gleich daneben und schlief um einiges ruhiger. Beide waren zur Überwachung hierbehalten worden und würden nach einer letzten Arztvisite entlassen werden. Dann würde er alleine in dem Zimmer sein. Nicht, dass er darüber jammern wollte. Er hatte bereits heute einen Haufen Besuch bekommen. Von Jiraiya über Shikamaru bis hin zu Hatake und Sarutobi. Nein, sein Problem war nicht die Langeweile, sondern die Sorge. Natürlich hatte man ihm auch berichtet, welches Ausmass Crows gestrige Anschläge angenommen hatten. Den Effekt, den dieser kranke Typ auf Konoha gehabt hatte, war einfach nur abartig. Doch er konnte nicht mehr, als wütend und traurig sein. Denn das alles war geschehen und liess sich nicht mehr rückgängig machen. Wenn er könnte, dann würde er die Zeit zurückdrehen und die unschuldigen Zivilisten retten, die ins Kreuzfeuer dieses Konflikts geraten waren. Würde alles versuchen, um Crows Plan zu verhindern. Doch es war zu spät und nun mussten sie mit der Realität klarkommen, die man ihnen beschert hatte. Und die Bilder von Ayatos letzten Sekunden hatten sich in seinen Kopf eingefressen, sich wie Widerhaken in seiner Erinnerung festgestochen. Kirishima war bereit gewesen, dem Tod entgegenzutreten, ohne das kleinste bisschen Reue zu verspüren. Ein Zeichen dafür, wie kalkuliert das alles gewesen war. Er hatte seinen letzten Auftritt bewusst angetreten und noch einmal alles rausgeholt, was rauszuholen war. Eine unerbittliche Schlacht, Anschläge, Gebäude in Flammen aufgehen lassen und nicht zuletzt seine Worte an die Bevölkerung Konohas via Livestream. Er hatte die Nacht und auch sein Leben mit einem lauten Knall beendet, ohne dass ihn irgendjemand hätte aufhalten können. Die ganze Sache war ein Trauerspiel, das Naruto unmöglich in Worte fassen, geschweige denn wirklich begreifen konnte. Zurück blieb Angst, Trauer, Wut, Müdigkeit und Verzweiflung.   Sasuke   Es war schwierig, es in Worte zu fassen. Es war überhaupt schwierig, irgendetwas von alledem zu begreifen. Kimimaro hatte ihm seine Fragen zwar mit allergrösster Sorgfalt beantwortet, doch es gab keinen Weg, die Ereignisse der letzten Nacht in angenehmen Worten zusammenzufassen. Sasuke fühlte sich zu schwach, um in Rage zu geraten, auch wenn er liebend gerne das ganze Zimmer auseinandergenommen hätte – vielleicht lag er deshalb in einem Einzelzimmer. Sasukes Welt war in dieser Nacht zusammengebrochen und erst jetzt hatte er die Zeit, das wirklich zu begreifen. Die Wirkung des Medikaments hatte rasch nachgelassen und nun brachen all diese furchtbaren Informationen wie ein Sturzbach über ihn herein. Das Gefühl war ihm nicht unbekannt. Es war, als verliere man jeglichen Halt und suche trotzdem verzweifelt nach irgendetwas, woran man sich festklammern konnte. Doch es gab einen Unterschied: Als seine Eltern gestorben waren, hatte er sich an Itachi halten können. Als Itachi gestorben war, hatte er sich an Sakura gehalten. Und jetzt? Woran konnte er sich denn noch halten? Itachi war tot. Karin war tot. Und Sakuras Leben hing an einem Seidenfaden, der zu reissen drohte. Er würde immer seine Gang haben. Aber das war nicht dieselbe Art von Halt. Nein, eine solch sanfte und liebevolle Hand, die sich nach ihm ausstreckte, gab es ohne Sakura nicht mehr. Und das war nicht einmal das grösste Problem, denn Sakura MUSSTE leben. Da gab es gar keine Alternative. Denn sie war zu gut, um diese Welt vorzeitig zu verlassen. Sie konnte in dieser Welt viel Wärme schenken und sie hatte es verdient, ein langes und glückliches Leben zu leben. Und jetzt stand einfach alles, aber wirklich alles auf der Kippe. «Kann ich sie sehen?», fragte er, als es der Kloss in seinem Hals wieder zuliess. Und auch wenn er den kurzen Anflug von Zweifel in Kimimaros Gesicht sah, meinte dieser nur: «Wenn du das willst, dann kannst du das.» Natürlich wollte er, auch wenn er wusste, dass ihn dieser Anblick endgültig in den Abgrund reissen konnte. Kimimaro begleitete ihn, denn er wusste, dass es keinen Zweck hätte, ihn aufzuhalten. Sasukes ganzer Körper schmerzte bei jeder Bewegung und ihm fiel auf, wie viele Verbände er am Körper trug. Doch das war ihm jetzt wirklich egal. Sein Begleiter griff nach dem Infusionsständer, mit dem Sasuke immer noch über Schläuche verkabelt war, damit Sasuke sich mit seinem momentanen Scheuklappenblick nicht selbst den Venenzugang rausriss. Als Sasuke aufstand bemerkte er sogleich, dass sich seine Beine nach letzter Nacht und der langen Ruhezeit wie Gummi anfühlten. Er zitterte wie ein alter Mann, als er sich erhob. «Willst du dich erst umziehen?» Kimimaro wies auf einen Plastiksack auf dem Stuhl in der Ecke. «Konan hat heute Morgen allen Takas im Krankenhaus Kleider gebracht.» Sasuke hätte gerne aufgrund seiner Eile darauf verzichtet, aber das bescheuerte Patientenhemd war nicht gerade praktisch. Also liess er sich von Kimimaro die Infusionen abstöpseln, damit er sich rasch umziehen konnte. Eine graue Jogginghose und ein labbriges schwarzes Shirt waren definitiv besser. «Können wir die ganze Suppe nicht weglassen?», murmelte er und wies auf die Infusionsflaschen am Haken. «Wenn du innerhalb der nächsten halben Stunde wieder Schmerzen haben willst, dann nur zu. Ich les’ dich nicht auf, wenn du dann kollabierst», war die trockene, jedoch Sinn machende Antwort. Also liess Sasuke sich wieder mit verkabeln. Der Infusionsständer bot wenigstens etwas Halt für ihn. Jetzt machten sie sich endlich auf den Weg. Draussen auf dem Gang wuselten Pfleger und Schwestern geschäftig hin und her und der Geruch von Desinfektionsmittel schlug ihm entgegen. Kein Wunder, denn letzte Nacht war ein Schwall an Patienten ins Krankenhaus eingeliefert worden. Die Leute bedachten ihn und Kimimaro mit kurzen Blicken, manche sogar sehr aufmunternd. Gangs im Krankenhaus zu haben, das war eigentlich auch eher ein Ausnahmezustand. Sasuke hatte nur Augen für den Weg, der vor ihm lag. Am Ende des steril weissen Flures warteten zwei Lifttüren auf sie, beide dunkelblau eingefärbt in dem Versuch, etwas Farbe in die Blässe des Krankenhauses zu bringen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie dort ankamen, da Sasukes Beine einfach nicht schneller vorwärts gehen wollten und weil sein Körper an gefühlt jeder Stelle wehtat. Im Lift drückte Kimimaro auf den EG-Knopf. Die ganze Fahrt nach unten schwiegen sie – es gab ja auch nichts zu sagen. Als sich die Türen wieder öffnetn, blendete ihn das helle Licht der Neonröhren an der Decke beinahe. Seine Augen waren immer noch im Schlafmodus und hatten sich noch nicht wirklich an die Helligkeit gewöhnt. Kimimaro öffnete mit einem Badge die Glastür, deren Flügel nun zur Seite schwangen und den Blick auf die Intensivstation freigaben. Vor ihnen lag ein Stationsbüro, auch hier wuselte das Personal wie in einem Bienenstock herum. Die Pflegepersonen nahmen sie wahr, musterten ihn teilweise sogar ziemlich neugierig, aber da Kimimaro, einer der Oberärzte, dabei war, sagte niemand irgendwas. Er erntete auch einige mitfühlende Blicke, die er aber nicht haben wollte. Zudem war er ohnehin darauf konzentriert, nicht über die eigenen Füsse zu stolpern. Sakuras Koje lag etwas weiter hinten, eigentlich war es die letzte auf diesem Gang, Nummer 15. Er prägte sich die Zahl ein. Die Koje wurde von einer Wand mit einem langen Glasfenster vom Gang getrennt, die Tür befand sich rechtsseitig. Seine Augen fanden sogleich ihr Ziel und er merkte, dass dieser Anblick noch viel schlimmer war, als er es sich vorgestellt hatte. Da lag sie, zugedeckt von einer weissen Decke, die Arme frei. Sie war mit allerlei Monitoren verkabelt, die ihn an jene aus dem Lazarett erinnerten. Durch einen Schlauch wurde ihr über die Nase Sauerstoff zugeführt. Würde sie nicht an solchen Apparaten hängen, könnte man glatt meinen, sie schliefe einfach friedlich. Er betrat die Koje, die bereits nach Sakura roch. Er erschrak als er die blauen Flecken, die leichten Schwellungen und die Schürfwunden in Sakuras blassem Gesicht sah. Und das war nur das Gesicht. Die anderen Wunden wurden von der Decke oder ihrem Nachthemd verdeckt. Sasuke konnte nichts sagen, wollte nichts sagen. Und deshalb näherte er sich langsam dem Bett. Sie sah so verletzlich aus. Als brauche es nur noch einen kleinen Stoss, damit ihr Körper endgültig aufgab. Er erinnerte sich noch viel zu gut daran, wie sie letzte Nacht ausgesehen hatte. Voller Blut, am Ende ihrer Kräfte und voller Verzweiflung. Nun streckte er seine Hand nach ihrer aus. Sie war kühl, aber noch spürte er Körperwärme. Mechanisch streichelte er sie, versuchte, sich an all die Momente zu erinnern, in denen er ihre zarte Haut auf seiner gefühlt hatte. Jeder Gedanke an sie war geprägt von Liebe und Zuneigung. Was, wenn sie nicht mehr aufwachte? Er setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett. Der Raum um ihn herum verschwamm, er wusste nicht einmal mehr, ob Kimimaro noch da war. Nichts spielte für ihn noch eine Rolle, bis auf die Person, die vor ihm war. Denn wenn Sakura das nicht überlebte, würde er auch das letzte bisschen Halt in seinem Leben verlieren. «Was ist passiert?», flüsterte er, wohlwissend, dass sie ihn nicht hören konnte. «Was um Himmels Willen ist in diesen scheusslichen Kellern passiert?» Seine Stimme war schwach, mehr ein Flüstern. Sasuke hatte nur Vermutungen und gewisse Indizien dafür, was Sakura in den Kellern der Transportfirma widerfahren war. Tomcat hatte damit zu tun, aber nicht im negativen Sinne. Die beiden mussten die Flucht ergriffen und sich herausgekämpft haben. Aber nur zwei Personen wussten, was sich da wirklich abgespielt hatte. Eine war tot und die andere nicht bei Bewusstsein. Wenn er sich recht erinnerte, dann war da auch noch ein junger Riot gewesen, der die Sanitäter für Sakura und Yohei gerufen hatte. Aber wo der sich derzeit aufhielt, wusste er nicht. «Ich brauche dich hier noch», flüsterte er und drückte ihre Hand. «Halte durch, ja? Ich bitte dich.» Sasukes Kehle war auf einmal wie zugeschnürt und seine Augen brannten, als die Verzweiflung erneut wie eine Welle über ihm zusammenschlug. In seinem Kopf spielten sich schreckliche Szenarien ab. Die Vorstellung an ein Leben ohne Sakura, die nun so sehr zu einem Teil seiner vorsichtigen Zukunftspläne geworden waren, machte ihn beinahe wahnsinnig. Er verspürte den Drang, sich auf dem Boden wie eine Katze zusammenzurollen. Und er spürte ein Bedürfnis nach Trost, das er kaum kannte. Könnte ihn nur irgendwer in den Arm nehmen und ihm versichern, dass alles gut werden würde. «Es tut mir so leid», sagte er und vergrub das Gesicht in den Händen, um sich selber von diesem Anblick zu verstecken. Es war so feige und schwach von ihm, aber er hatte jegliche Kraft dazu verloren, sich gegen seine eigene Schwäche zu wehren. Und dann verharrte er einfach so. Eigentlich wollte er gar nicht mehr zurück, denn so war er zumindest bei ihr. Denn auch wenn er sich mehr als alles andere davor fürchtete, wollte er bei ihr sein, falls sie diese Welt verliess. Seine Brust krampfte sich bei dem Gedanken schmerzhaft zusammen und das Atmen fiel ihm schwer. Passierte das alles hier wirklich? Es konnte einfach nicht sein.   Tsunade   Kimimaro und sie standen still und ergriffen vor der Glasscheibe zu Sakuras Koje. Gerade war sie noch einmal an der frischen Luft gewesen. Und bei ihrer Rückkehr hatte sie Kimimaro entdeckt, der vor Koje 15 gestanden hatte. Er hatte nur einen Finger an die Lippen gelegt, um ihr zu signalisieren, dass sie gerade nicht unterbrechen durfte, was da drin vor sich ging. Tsunades Herz fühlte sich an wie zusammengeschnürt, als sie Sasuke am Bett sitzen sah. Noch nie hatte sie ihn so verletzlich gesehen, wie in diesem Moment. Seine Körperhaltung hatte nichts mehr von einem stolzen Taka-Leader. Zusammengesunkene Schultern, das Gesicht versteckt hinter den Händen, der ganze Körper verkrampft. Tsunade stiegen unwillkürlich die Tränen in die Augen, da sein Anblick sich direkt und ohne Umschweife durch den dünnen Schutzschild bohrte, den sie aufrechtzuerhalten versuchte. Ihr wurde einmal mehr bewusst, wie viel Sasuke an Sakura lag und dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte. Warum um Gottes Willen hatte sie dem einst im Weg stehen wollen? «Dr. Kaguya? Miss Senju?», fragte auf einmal eine Stimme hinter ihr. Sie waren so gefesselt von der Szene gewesen, dass sie die junge Krankenschwester hinter ihr kaum bemerkt hatten. Sie hielt ein Telefon in der Hand. «Da ist eine Frau am Empfang, die sich nach Mr. Uchiha und Miss Haruno erkundigt.» Kimimaro stutze. «Und wie heisst die Dame?» «Ihr Name ist Ami Iwasawa. Sie ist sehr besorgt um Mr. Uchiha.» Der Arzt dachte angestrengt nach, aber schien zu keinem Schluss zu kommen. «Ich kenne keine Ami Iwasawa.» Tsunade wusste auch nicht, wer diese Frau war. Gab es jemanden ausserhalb der Gangs, der sowohl Sasuke und Sakura kannte? «Dürfte ich die Dame Mal sprechen?», fragte sie die Krankenschwester, welche ihr bereitwillig den Apparat reichte. Sie stand etwas von der Koje weg, damit sie Sasuke nicht störte – sie wusste nicht, wie schalldicht die Wand war. Die Empfangsdame gab den Hörer ihrerseits weiter. Tsunade meldete sich mit ihrem Namen und ergänzte «Ich bin Sakura Harunos Tante. Wie kann ich Ihnen helfen, Mrs. Iwasawa?» «Guten Tag, Miss Senju», antwortete die warme aber besorgte Stimme einer Frau. Rein anhand der Stimme schätzte sie Tsunade auf dreissig bis vierzig Jahre alt. «Mein Name ist Ami Iwasawa. Sie kennen mich nicht. Jedoch habe ich letzten Frühling die Ehre gehabt, Ihre Nichte kennenlernen zu dürfen.» Tsunade war ziemlich perplex. «Sakura hat nie etwas erzählt.» «Das kann ich mir vorstellen. Es ist auch eine wahrlich lange Geschichte. Dürfte ich Sie in der Cafeteria treffen, damit ich Ihnen die ganze Sache etwas genauer schildern kann?» Tsunade war natürlich sehr neugierig auf diese Person, die Sakura anscheinend kannte, aber nie von ihr erzählt hatte. Und deshalb willigte sie ein. Falls es irgendwelche neugierigen Presseleute sein sollten, konnte sie diese immer noch abwimmeln. «Ich bin in fünf Minuten bei Ihnen.» Schon von weitem sah Tsunade das junge Paar am Empfang stehen. Beide braunhaarig, sie in einen schönen blauen Stoffmantel, er in einem schwarzen. Die Frau drehte sich zu ihr um und lächelte freundlich, auch wenn die Anspannung ihr ins Gesicht geschrieben stand. Sie schüttelten sich die Hände, der Mann entpuppte sich als Ehemann von Ami Iwasawa. Gemeinsam begaben sie sich in die Cafeteria und dort erzählten die Iwasawas ihr Unglaubliches. Die Geschichte war verrückt, aber sie glaubte den beiden alles. Denn ihre Beschreibung von Sasuke und Sakura passte wie die Faust aufs Auge. Tsunade erklärte ihnen in der Folge auch, wie es um die beiden stand. Anhand ihrer Reaktionen war zu sehen, dass die beiden in nur kürzester Zeit ein Band mit Sasuke und Sakura geschmiedet hatten, das schon fast familiär anmutete. Die beiden waren zudem wahnsinnig sympathisch und Tsunade war gerührt von ihrer Anteilnahme. Eigentlich war es schon verrückt, dass dieses Paar eher dagewesen war, als Sakuras eigene Mutter. Mebuki hatte zwar sofort ihren Rückflug von den Bahamas umgebucht, damit sie eher hier sein konnte. Morgen würde sie am City Airport landen. Von Mebuki waren viele Vorwürfe, aber kaum Worte der Anteilnahme gekommen. Das war typisch für sie, machte es aber alles in allem auch schwieriger für Tsunade, die sich selber schon genug mit Vorwürfen plagte. Nach einem längeren Gespräch entschieden sie sich, auf der Intensivstation einen Besuch abzustatten. Ob Sasuke allerdings noch dort war, wusste Tsunade nicht mit Sicherheit. Aber ihr Bauch sagte ihr, dass dieser junge Mann Sakura nicht mehr von der Seite weichen würde, solange er nicht musste.   Hinata   Nach dem langen Gespräch mit Mr. Gasai, dem ihr zugeteilten Psychologen, war Hinata zurück in ihrem Zimmer. Sie war müde und ihre Rauchvergiftung half nicht gerade, dass es ihr besser ging. Kopf- und Halsschmerzen sowie Schwindel begleiteten sie, seit sie aufgewacht war. Ihr gereizter Hals hatte dazu geführt, dass sie das Gespräch immer wieder für kurze Pausen unterbrochen hatten, damit sie trinken konnte. In Gegensatz zu den anderen lag sie auf der Abteilung des psychiatrischen Dienstes im Konoha City Hospital. Dieser befand sich im Ostflügel und war vom Ambiente her etwas freundlicher und bunter gestaltet. Hinata hatte zugestimmt, sich hier unterbringen zu lassen. Nachdem der Adrenalinkick der letzten Nacht sie umhüllt hatte wie ein Mantel, der sie funktionstüchtig gemacht hatte, war sie an diesem Morgen wieder in den ihr bekannten Mustern aufgewacht. Dazu kamen die schrecklichen Erlebnisse von vergangener Schlacht. Besonders ihr eigener Beinahe-Tod und Ayato waren letzte Nacht mehrmals in ihren Träumen aufgetaucht. Er hatte ihr Sachen erzählt von seiner Ideologie, seinen Zielen und warum er sie dazu zwang, ihm dabei zu helfen. Der Sprung vom Dach war auch dabei gewesen, nur hatte Ayato im Traum noch um Hilfe gerufen, als ob er seinen Körper gar nicht alleine zu diesem Sprung bewegt hätte. Mehrmals war sie schweissgebadet und schreiend aufgewacht, hatte immer noch die Hitze des Feuers auf ihrer Haut gespürt. Die Pfleger und Schwestern hatten ihr beruhigende Medikamente verabreicht und hatten jeweils bei ihr ausgeharrt, bis sie wieder eingeschlafen war. Und auch jetzt im Wachzustand verging keine Sekunde, ohne dass Hinata an alles dachte, was im vergangenen Halbjahr mit den Riots und ihr passiert war. Es fühlte sich scheusslich an, wieder damit konfrontiert zu sein. Bei den Riots hatten ihre Überlebensinstinkte die Führung übernommen, doch jetzt, wo sie «in Sicherheit» war, brachen all ihre Ängste schonungslos über sie herein. Sie hatte Mr. Gasai alles erzählt. Die ganze Geschichte, die sie Naruto und den anderen noch schuldete. Von der Erpressung, über ihren Versuch, Ayato davon zu überzeugen, dass sie ihn liebte, um Hanabi, sich selber und die Kuramas zu retten… und die Tatsache, dass sie sich selber in diesem Unterfangen verloren hatte. Von den Tagen, an denen Realität und Wunschdenken in ihrem Kopf verschwommen waren und sie selber nicht mehr hatte sagen können, was nun wahr war und was nicht. Von dem Punkt, an dem sie nicht mehr wirklich gewusst hatte, ob sie Ayato nun liebte oder verabscheute. Sie hatte sich selber so lange immer wieder eingeredet, was sie tun musste, damit Hanabi nichts angetan wurde, dass sie das nicht mehr von ihren wahren Empfindungen hatte trennen können. Mr. Gasai wusste auch von den Stimmen in ihrem Kopf, die sie zeitweise gehört hatte und die ihr immerzu lautstark Vorwürfe gemacht hatten, ihre eigene Gang zu verraten. Mr. Gasai hatte ihr aufmerksam zugehört. Er meinte, er könne zu diesem Zeitpunkt nichts diagnostizieren. Und das sei auch nicht das wichtigste. Er hatte ihr erklärt, dass diese Reaktionen die Folge von einer massiven Überbelastung ihrer Psyche und ihrer emotionalen Kapazität seien. Er erwähnte auch, dass er Aspekte des Stockholm-Syndroms bei ihr vermutete – dass sie also mit Ayato als ihrem Peiniger zu sympathisieren begonnen hatte. Was der Psychologe sagte, machte für sie durchaus Sinn. Sie hatte durchweg einen inneren Konflikt mit sich selber ausgetragen. Einerseits den sehnlichen Wunsch, wieder zu ihren Freunden zurückzukehren, andererseits diese besondere Beziehung, die sie zu Ayato aufgebaut hatte. Sie hatte ihm vieles vorgetäuscht – heute wusste sie mit ziemlicher Sicherheit, dass er ihr das nicht wirklich abgekauft hatte und einfach ihre emotionale Zuwendung ausgekostet hatte. Immer, wenn sie mit ihm zusammen gewesen war, hatte sie sich Naruto an seiner Stelle vorgestellt. Doch irgendwann hatte sich das zu verändern begonnen und Naruto war immer mehr verblasst und die Person geworden, die für sie durch ihre Taten ausser Reichweite gekommen war. Er war Teil eines anderen Lebens gewesen. Alles in allem war es sehr einfach zusammenzufassen: Sie hatte sich selber verloren. So, wie sie es Naruto gestern Nacht, kurz vor ihrem vermeintlichen Tod beschrieben hatte. Hinata lehnte sich auf ihrem Bett zurück und starrte zum Fenster hinaus. Draussen befand sich ein schöner Park mit hohen Laubbäumen, deren Blätter sich langsam aber sicher alle verfärbten. Der Himmel war grau und wolkenverhangen, trotzdem zog es sie irgendwie raus. Vielleicht konnte sie in einer halben Stunde, wenn sie Hanabi treffen durfte, mit ihr ein wenig raus. Mr. Gasai hatte organisiert, dass das Treffen im ersten Schritt im Beisein des Kinderpsychologen erfolgen würde, denn Hanabi würde Zeit brauchen, um das alles zu verarbeiten. Ihre arme kleine Schwester war noch so jung und hatte letzte Nacht bereits ein brutales Trauma davongetragen. Selbstvorwürfe waren ein weiteres Gewicht, das auf Hinata lastete. Manchmal wusste sie gar nicht mehr, wo sie damit anfangen sollte, sich schlecht und schuldig zu fühlen. Und deshalb weinte sie viel, um den ganzen Druck irgendwie aus ihrem Körper rauszubekommen. Gerne hätte sie auch Naruto gesehen. Mr. Gasai hatte ihr gesagt, dass er ihr empfehle, zwischen ihren Kontakten immer Pausen einzulegen, damit sie sich selber nicht emotional total überfordere, zumal sie gegenüber fast all ihren Freunden tiefgreifende Schuldgefühle hegte. Das Treffen mit Hana war deshalb um 15 Uhr angesetzt. Und Naruto würde sie vielleicht am Abend noch sehen können. Sie vermisste ihn und gleichzeitig machte sie sich Sorgen. Möglicherweise hatten auch seine Gefühle sich verändert. Letzte Nacht hatten sie sich in einer absoluten Grenzsituation befunden, in einem objektiveren Moment sah die ganze Sache vielleicht wieder anders aus. Ihr Handy vibrierte. Eine Nachricht von ihrem Vater, der sich derzeit auf dem Rückflug von London befand. Als er über den Zustand seiner beiden Töchter informiert worden war, hatte er den erstbesten Flieger genommen, um möglichst schnell bei ihnen zu sein. Hinata freute sich wahnsinnig auf ihren Vater und gleichzeitig machte sie sich auch hier Sorgen, ihm von ihren Verstrickungen und ihrer Rolle in der ganzen Gangangelegenheit zu beichten. Wie das mit ihr weitergehen sollte, wusste sie nicht. Nachdem sie in einem ersten Moment erleichtert über ihre Befreiung von den Riots gewesen war, so hatte jetzt die Ernüchterung eingesetzt. Es gab viel zu klären. Viele Entschuldigungen auszusprechen. Der blosse Gedanke daran überforderte sie. Und als ihr dann auch Sakuras lebensbedrohlicher Zustand wieder in den Sinn kam, war es aus mit ihrer Selbstbeherrschung. Sie rollte sich weinend auf ihrem Bett zusammen und vergrub ihr Gesicht in der Decke, um sich von der niederschmetternden Realität zu verstecken.   Sakura   «Und wie lange gedenkst du denn, so weiterzumachen?», fragte Yohei sie in einem ruhigen Moment. Sie befanden sich immer noch in dem Wald, den Sakura als Kind so geliebt hatte. Gerade hatten sie den kleinen Bach gefunden, der sich leise plätschernd zwischen den Baumstämmen hindurchschlängelte. Sakura hatte kein Gefühl für Zeit und wusste deshalb auch nicht, wie lange sie schon an diesem wunderschönen Ort umhergingen. «Mal sehen», sagte sie nur und schlenderte weiter durch das weiche Gras. Die Lichtung zu verlassen war eine hervorragende Idee gewesen – diesen Wald wiederzusehen löste in ihr ein wohliges Gefühl von Geborgenheit aus. Es war, als befänden sie sich in einem seltsamen Vakuum, das den Fortschritt der Ereignisse einfach angehalten hatte. Und hier in diesem Wald waren sie sicher von jeglichem Leid. Sakura hatte vergessen, was passiert war. Sie hatte Freunde und Familie, das wusste sie, doch ihre Gesichter waren schnell verschwommen und jetzt nur noch schwache Erinnerungsfetzen. Glasklar war jedoch die Tatsache, dass Yohei hierblieb, solange sie hierblieb. Yohei machte das Spiel mit und schien eigentlich ziemlich ungerührt für jemanden, der sie immer wieder darauf aufmerksam machte, dass er nicht mehr lebte. «Fantasie ist besser als Realität», meinte er. «Aber es ändert nichts daran, dass sich Ersteres komplett in deinem Kopf abspielt und nicht echt ist.» «Es kann dir ja egal sein. Wenn du ja nicht echt bist, sollte es dich auch nicht stören, hier zu sein.» Yohei schmunzelte und tauchte seine nackten Zehenspitzen ins Wasser, das sich mit einem Plätschern seinen Weg um das neue Hindernis herum suchte. «Gibt es da nicht Leute, die auf dich warten?» Sakura zuckte mit den Schultern und verspürte wieder diesen kindlichen Trotz. «Ich glaube schon, aber die leben ja alle noch.» «Und deshalb geht es ihnen gut?» Sakura zog einen Schmollmund. Sie erinnerte sich ja nicht einmal mehr daran, WER da irgendwo auf sie wartete. Warum sollte sie von hier wegwollen? Sie fühlte sich federleicht und spürte den Frieden des Waldes tief in sich drin. Alles war gut hier. Was sollte sie daran auch etwas ändern? «Kümmert es dich denn nicht, dass sie dich gerne zurückhaben wollen?» Sakura wollte ihm nicht sagen, dass sie sich gar nicht so genau erinnerte, von wem Yohei da sprach. «Ich weiss, dass es mir richtig schlecht ging, bevor ich in diesen Wald kam. Und dahin zurück gehe ich doch nicht freiwillig.» Yohei legte den Kopf schief, wohlmerkend, dass irgendetwas nicht stimmte. «Aha. Dann sind sie dir also egal?» Langsam aber sicher nervte sie sich über ihn. Er konnte ihr doch eigentlich dankbar sein, dass sie ihn an diesem schönen Ort verweilen liess. Etwas ertappt zupfte sie einige Blätter von einem Busch und liess sie auf den weichen Waldboden rieseln. «Erinnerst du dich denn an sie, Yohei?» Er lachte, dieses Mal viel lauter. «Hast nicht du gerade gesagt, dass ich nicht echt bin? Nur Teil von deiner Fantasie? Wie soll ich mich an Dinge erinnern, an die du selbst dich nicht erinnern kannst?» Sakura wandte verstohlen und etwas beschämt den Blick ab. «Dann eben nicht.» Yohei erholte sich wieder. «Tut mir leid.» Sein Blick wurde ernster. «Aber ganz ehrlich: Du erinnerst dich nicht an sie? Das ist nicht gut.» Ihr war vollkommen klar, dass er recht hatte. Und doch konnte sie an ihrem Gefühlsstand nicht wirklich etwas ändern. «Vielleicht sehnst du dich einfach so sehr nach Ruhe, dass du gar nicht mehr zurück willst? Du möchtest all den Emotionen aus dem Weg gehen, die dich dort erwarten, oder?» Sakura zuckte mit den Schultern auch wenn sie genauso gut hätte nicken können. «Keine Ahnung, wie das überhaupt gehen soll.» «Aufwachen?» «Ja.» Er legte den Kopf schief und überlegte. «Ich weiss nicht, ob du aufwachen kannst, wenn du es tief drinnen gar nicht willst.» Sakura blickte zu Boden. «Und wie bitte soll ich mich dazu bringen, es zu wollen?» Es folgte erst keine Antwort. Yohei betrachtete seine nassen Zehen und für einen Moment war nur das sanfte Rauschen der Brise in den Baumkronen und das friedliche Plätschern des Wassers zu hören. «Ich weiss es nicht», sagte er schliesslich. «Wenn du es nicht weisst, weiss ich es auch nicht. Weil ich eigentlich du bin, verstehst du?» Das alles war höchst kompliziert, aber Sakura verstand. Sie träumte und führte im Grunde genommen ein Gespräch mit sich selber. Aber es fühlte sich nicht an, als spräche sie mit sich selber, sondern mit Yohei und das machte es anders, besser. «Aber ich denke, wir wissen eines: Von diesem Ort aus gibt es genau zwei Wege, die eingeschlagen werden können. Entweder, du wachst auf und befreist dich von deiner Angst vor der Realität.» Er stoppte kurz und holte noch einmal Luft. «Oder, du kommst auf den anderen Weg – den, den ich gehen werde.» «Und wohin gehst du?», fragte sie ihn und spielte die Unwissende, um sich das alles selber nicht eingestehen zu müssen. «Das weisst du ganz genau», sagte er ein wenig nachdenklich, aber ruhig und gelassen. «Ich kann nicht mehr zurückkehren.» Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)