Konoha Gangs II: Game On von ximi (Das Spiel hat gerade erst begonnen) ================================================================================ Kapitel 45: Unantastbar ----------------------- Lazarett   «Das kannst du nicht machen, Yohei», hörte sie sich sagen. Ihre Stimme war zittrig und ihr Kopf wollte und konnte nicht wahrhaben, was er ihr gerade mitgeteilt hatte. Er lächelte nur, was Sakura beinahe wahnsinnig machte. «Hör auf zu lächeln!», rief sie laut und konnte ihrer Wut dabei kaum Einhalt gebieten. «Es gibt keinen Grund dazu!» Er schüttelte den Kopf. «Es ist nicht so, als könnte ich die Situation noch irgendwie ändern. Das will ich gar nicht.» Die Gedanken an ihre Erlebnisse im Untergrund der Transportfirma kamen wieder auf. Da war Blut, da war Schmerz. «Nach all dem, was wir riskiert haben, um da rauszukommen?» «Dich da rauszubringen war mein einziges Ziel.» «Und meines war, dass wir beide da rauskommen! Warum also, gibst du einfach auf?» Es war, als könne ihn nichts mehr erschüttern. Vor ihr stand ein Mensch, der im Reinen mit sich selber war. Der nichts und niemandem Rechenschaft schuldete. «Ich weiss, du hattest ein hartes Leben», redete sie trotzdem weiter auf ihn ein. «Ich weiss, wie brutal dein Vater zu dir war. Ich weiss, wie sehr dich der Tod deiner Mutter getroffen hat und wie sehr du leidest. Aber wir hätten dir helfen können. Die Kuramas oder die Takas… da bin ich ganz sicher.» Er lächelte wieder. «Ich danke dir.» «Wofür denn?!» Inzwischen war sie vollkommen verzweifelt. Sie kam mit Vernunft nicht mehr an ihn heran. «Genau dafür.» Sakura konnte nur noch den Kopf schütteln. Sie verstand nichts von alledem, wollte nichts verstehen. Es durfte ganz einfach nicht sein. «Dafür, dass dir meine Mom nicht egal ist. Dafür. Dass ich dir nicht egal bin.» Wenn sie es sich genau überlegte, dann hatte sich in seinem Leben wohl wirklich nie jemand für ihn und seine Familie als Personen interessiert. Nein, das Interesse der Öffentlichkeit galt rein dem Geld und dem Einfluss, den die Murakamis seit Generationen auf die Finanzwelt und die Stadt hatten. «Du bist ein Mensch, Yohei. Du verdienst es, wahrgenommen zu werden. Du verdienst andere Menschen, die sich für dich interessieren. Genau wie wir alle.» Er lächelte wieder. Nach kurzem Schweigen fragte sie ihn: «Warum sehe ich dich denn noch, Yohei? Warum sprichst du noch mit mir? Wenn du ja…» «Ich weiss nicht, Sakura. Bist nicht du es, die mich sieht? Die mit mir spricht?» Hier war alles surreal, das war ihr längst bewusst. Was sie hier vor sich sah, war alles ein Produkt ihrer Gedanken, ihrer Fantasie. Sie träumte. Und doch fühlte es sich viel zu echt an, als dass sie es einfach abtun hätte können. In ihr sträubte sich alles dagegen, auch nur das kleinste bisschen von dem, was hier gerade passierte, zu akzeptieren. Und wenn das hier alles ihr Werk war, dann hatte sie doch auch die Kontrolle darüber, oder? «Recht hast du», flüsterte sie. «Und deshalb bleibst du hier, okay?» Sein Lächeln wich einem ernsteren Gesichtsausdruck. «Du weisst, dass das nicht gut für dich ist.» «Was?» «An etwas festzuhalten, das bereits verloren ist.» «Vielleicht ist es ja noch nicht verloren.» Sie glaubte sich selber nicht, als sie das sagte. Aber in ihr kam ein gar kindlicher Trotz auf, den sie zulassen wollte. Er schüttelte den Kopf und bedachte sie mit einem vielsagenden Blick. Doch Sakura weigerte sich, ihm zuzustimmen. Sie hatte hier die Kontrolle. Einmal die Augen geschlossen und wieder geöffnet, befanden sie sich wieder auf der Waldlichtung. «Siehst du?», sagte sie mir einem leisen Triumph in der Stimme. «Ich entscheide, was hier passiert. Und deshalb bleibst du hier.» Er seufzte leise. In seinem Gesicht sah sie nur Mitgefühl. Und eine Prise Neugierde.   23:44 Uhr, Seiteneingang Kantine   Sasuke schwitze. Der auffrischende Wind trieb die heisse Luft der Feuerherde über das Gelände weg zu ihnen hin. Noch befanden sie sich nicht in Hörweite von Crow, da sie schlecht einfach mit dem Kastenwagen an das Kantinengebäude hatten heranfahren können. Sie waren eine grosse Truppe, doch momentan bewegten sie sich in zwei kleineren Gruppen um das Verwaltungsgebäude herum, mit dem Ziel, das Kantinengebäude durch den Hintereingang zu stürmen. Problematisch war, dass sie keine Möglichkeit hatten, an die Geisel heranzukommen, ohne sich direkt und mit voller Kraft in die letzte verbliebene Riots-Hochburg zu stürzen. Wobei der Begriff «Hochburg» wohl reichlich übertrieben war. Denn inzwischen konnten es kaum mehr als zwanzig Riots sein, die sich noch in dem Gebäude befanden. Nach Hinatas Schätzungen waren zu Beginn der Nacht etwas über sechzig Riots auf dem Gelände stationiert gewesen. Laut Hatake gab es eine erstaunliche Anzahl Riots, die sich der Polizei freiwillig gestellt hatten, nachdem Crow sein Chaos entfacht hatte. Anscheinend war nicht allen wirklich bewusst gewesen, in welche Scheisse sie sich geritten hatten. Vierzehn Riots konnten kampfunfähig gemacht und der Polizei übergeben werden, zusammen mit den elf Fliehenden waren das schon fünfundzwanzig. Und dann gab es noch eine Dunkelziffer von Toten. Es kostete Sasuke alle Kraft, seine Gedanken bei dem einen Ziel zu behalten, das sie seit so langer Zeit verfolgten. In seinem Kopf gaben sich Bilder von Sakuras Verletzungen und von Tomcats letzten Minuten abwechselnd die Klinke in die Hand. Nichts von alledem machte Sinn und doch handelte es sich um Tatsachen. Er versuchte, diese Fassungslosigkeit in Wut und Stärke umzuwandeln, die ihn ein für alle Mal kurzen Prozess mit Ayato machen lassen würde. Das war nicht Ayato, wie er ihn noch aus Iwagakure kannte. Es war ein kranker, von Rachsucht und Zorn zerfressener Schatten eines kleinen Jungen, der in seinem Leben immer wieder am falschen Ort gelandet war. Direkt hinter ihm waren Zetsu, Kisame, Angel, Sasori, Hidan, Deidara und Konan. Sie schritten rasch voran, immer darauf bedacht, möglichst leise zu bleiben. Doch Konfrontation war in diesem Stadium der Schlacht nicht mehr zu vermeiden. Kurz vor der Hausecke hielt er inne und lauschte. Er hörte entfernt Crows Stimme, schnappte jedoch nur einige Worte auf. Es war ihm auch egal, was er sagte. Sie brauchten einzig und allein die Bilder des Live-Streams, die Sasori auf dem Smartphone der Polizei verfolgte. Der Stream gab zwar nur wenig Auskunft über die verbliebene Anzahl Riots und ihre Aufenthaltsorte, aber dafür über Hanabi. Im orangeroten Licht des Feuers nickte Sasori ihm zu, was so viel bedeutete, dass die Lage sich nicht verändert hatte, seit sie den Panzerwagen verlassen hatten. Sasuke griff nach seinem Funkgerät und kontaktierte Pain, der sich mit der Kurama-Delegation auf der anderen Seite befand. Da Big Fox kaum mehr in der Lage war, eine Mission anzuführen und weil Genius als Vize die Aufgabe hatte, das ganze Szenario hier zu koordinieren, hatte Yahiko bei den Kuramas den Lead übernommen. Niemand der Kuramas hatte dagegen protestiert – es wäre in Anbetracht der Situation auch ein Witz gewesen, wenn ihnen die Gang-Streitereien auch noch auf den letzten Metern in die Quere gekommen wären. «Wir sind in Position», sagte er. Yahikos Antwort war kurz. «Gib uns noch ‘ne halbe Minute. Wir sind ein bisschen in Verzug.» Sasuke fragte nicht, weshalb. Wenn es wichtig gewesen wäre, hätte Yahiko es ihm mitgeteilt. Er vermutete irgendeinen Disput zwischen Naruto und Hinata, die sich beide nicht davon abbringen liessen, bei diesem letzten Kampf mit dabei zu sein. Stattdessen nutzte er also diese kurze Wartezeit, um tief durchzuatmen und sich auf das zu konzentrieren, was noch kam. Sie hatten keine Ahnung, was sie da oben erwartete. Ein Blick auf seine Leute genügte, damit ein seltsames Gefühl von Nostalgie und Wärme in ihm aufkam. Er kannte sie alle schon so lange. Zu viele Kämpfe hatten sie zusammen gekämpft, als dass er sich noch an alle hätte erinnern könnten. Sie hatten so viel Mist gebaut. Sich so viele Nächte um die Ohren geschlagen. Wild gelebt. Itachi war nicht mehr da. Sniper war nicht mehr da. Die Takas waren unvollständig und würden es immer bleiben. Doch jetzt in diesem Moment fürchtete er sich davor, dass jemand von diesen Menschen hier nicht mehr aus dem Kampf zurückkehren würde. Dabei sprach nichts als Entschlossenheit und Zuversicht aus ihren Gesichtern. Ihm wurde wieder einmal bewusst, welche guten Qualitäten der sogenannte Abschaum der Gesellschaft mitbrachte. Allen voran Loyalität und ein unbändiger Mut. Etwas, wovon viele Menschen nur träumen konnten. Die anderen bemerkten seinen Blick. Zestu und Kisame nickten ihm zu. Deidara hob siegessicher seine Faust und Hidan grinste selbstsicher. Angel rang sich ein Lächeln ab, auch wenn Sasuke ihr ansah, dass auch sie der Gedanke an Tomcat nicht losliess. Redhead verfolgte aufmerksam, was sich auf dem Bildschirm des Smartphones abspielte oder eben nicht abspielte. Und Konan legte Sasuke die Hand auf die Schulter und drückte ihn. Die Berührung hatte etwas Mütterliches. Konan hatte diese Nacht auch einstecken müssen. Sie war verschrammt, hatte Russ im Gesicht und sie sah müde aus. Er hatte mit ihr nie mehr über Itachi gesprochen. Dabei musste sie genauso mit dem Schmerz kämpfen wie er. Wenn sie das hier überlebten, dann würde er es tun. Das nahm er sich fest vor. Gemeinsam warteten sie also ab. Warteten darauf, mit allem was sie hatten ihrem Schicksal entgegen zu rennen.    23:45 Uhr, in Deckung   «Ihr da draussen glaubt, dass ihr unverwundbar seid. Aber niemand ist unverwundbar, nicht einmal die allerreichsten Arschlöcher, die hier rumlaufen. Ihr denkt, ihr könnt euch verschanzen. Sogar jetzt zeigt ihr euch nicht, sondern lasst jemand anderen für euch die Schlacht ausfechten. Und wen habt ihr dazu engagiert?» Shikamaru beobachtete inzwischen auf dem Bildschirm eines Smartphones, wie Crow seinen Blick über das Gelände schweifen liess. «Gangs.» Danach lachte er kurz. «Wie praktisch. Zwei Fliegen mit einer Klappe, oder wie? Nun, mit den Kuramas und Takas habe ich einen persönlichen Konflikt, weswegen es mir gelegen kam, dass ihr sie engagiert habt. Sie jedoch haben sich in der ganzen Sache weniger intelligent angestellt. Sie dürsten nach einer zweiten Chance, einer Möglichkeit, wie ihr zu werden. Sie wollen ihren Namen reinwaschen. Denn sie wollen keine wirkliche Veränderung. Nur eine für sich.» Choji neben ihm sog scharf die Luft ein. Es machte ihn wütend, dass Crow die Gangs des Egoismus beschuldigte. Und Shikamaru verstand das, ihm ging es ähnlich. Doch wenn er es ganz objektiv betrachtete, konnte er Crow nicht verübeln, dass er den Gangs diesen Vorwurf machte. Denn im Endeffekt konnten die Intentionen der Gangs ganz verschieden interpretiert werden. In Shikamarus Augen, kämpften die Kuramas und Takas in diesem Moment genauso für eine bessere Welt, wie die es Crow zu tun vermeinte. Nur war es aus ihrer Sicht das Beste, Crow auszuschalten, weil er nur Leid brachte. Und weil er ein Bild von Gangs vermittelte, hinter dem sie nicht stehen konnten. Für die Kuramas und Takas brauchte es für wirkliche Veränderung auch einen neuen Blickwinkel auf Gangs. Nicht so für Crow. Im vergangenen Jahr war immer wieder deutlich geworden, dass er eine komplette Neuordnung der Gesellschaft wollte. Dass er eine Revolution in Gang gebracht hatte, die ganze Strukturen in wilder Manier auf den Kopf stellen sollte. Und aus seiner Sicht waren die Kuramas und Takas Egoisten, die sich um ihr Image und ihren Status scherten. Und damit hatte er Recht. Doch das war nicht die ganze Wahrheit. Shikamaru schüttelte den Kopf, um sich selber aus seinen Gedanken zu reissen. Er musste sich jetzt konzentrieren und den ganzen Mist hier koordinieren. «Ja, ich weiss was ihr denkt», sagte Crow. «Der labert zu viel.» Er grinste in die Kamera. «Ich denke, dass ich jetzt gar nicht mehr viel sagen muss. Ich habe euch drei Beispiele von Monstern genannt. Nur drei von Tausenden, die sich hier in dieser Stadt befinden. Aber es ist ein Fehler, zu glauben, dass Monster unantastbar sind. Wir kommen sehr wohl an sie ran, auch wenn sie ständig von Security umringt sind. Vielleicht einfach nicht so, wie sie erwarten.» Er stütze sich mit den Händen auf das rostige Eisengeländer. Einer seiner Leute nahm Hanabi zu sich und legte ihr das Messer an die Kehle. Danach drehte er sich noch einmal zur Kamera um. «Ihr solltet alle zittern. Die Riots machen nicht nur Radau in der Strasse. Nein, sie sind durchaus fähig, Gebäude zu infiltrieren. Sich an Orte rein zu schleichen, wo sie nicht hingehören. Und dort alles vorzubereiten, damit diese Nacht perfekt wird. Eine Putzfrau bei der Bank… eine Riot? Ein Hauswart in einer Anwaltskanzlei? Oder gar eine ganz simple Verkäuferin in den Filialen von Sayuri Tanaka?» Er grinste wieder. «Während ihr beschäftigt damit wart, euch über die Krawalle in den Strassen zu nerven, waren wir auch im Verdeckten aktiv.» Er zog ein Handy hervor. Und Shikamaru dämmerte jetzt, was Crow vorhatte. Das schlimmste daran war, dass er nichts mehr dagegen tun konnte. Niemand konnte noch etwas dagegen tun. Weil sie alle hier waren. Inklusive den stärksten Polizeieinheiten. Dabei, und das dämmerte ihm im Bruchteil einer Sekunde, war das Gelände hier nur eine von mehreren Bühnen, die sich Crow zu Eigen gemacht hatte. Und die nächste Vorstellung begann jetzt. «Mister Murakami! Wir beginnen mit Ihnen. Kurz zusammengefasst: Sie sind ein dreckiges Arschloch. Ein Mann, der seine eigene Frau in den Suizid getrieben hat. Der seine Familie und tausende von anderen Menschen endloser Gewalt ausgesetzt hat.» Crow grinste ihn von seinem Smartphone aus an. Und dann begann er, von zehn rückwärts zu zählen. Die Unruhe unter seinen Leuten wurde grösser, auch wenn für Shikamaru keine Zweifel bestanden, dass ihnen ausgerechnet an diesem Ort hier, in diesem Moment, keine Gefahr drohte. «Drei!» Nichts als Vorfreude im Gesicht des Riot-Leaders. «Zwei!» Shikamaru wollte etwas tun, irgendetwas, um ihn aufzuhalten. Doch er war machtlos. «Eins!» Shikamaru schloss instinktiv die Augen.   23:45 Uhr, South   Ein junger Mann ging nach einigen harten und langen Überstunden für seinen Arbeitgeber seines Weges. Er verliess den Hauptsitz von Murakami Credits durch den Seiteneingang für Personal und knöpfte sich sofort seinen Mantel zu, als ihm der frische Wind entgegen schlug. Es wurde langsam aber sicher kühler und wenn ihn nicht alles täuschte, dann würde es heute noch regnen. Hinter ihm verriegelte die Sicherheitstür automatisch – er war der Letzte, der Feierabend machte. Sogar das Reinigungspersonal und der Hausmeister waren bereits weg. Auf der Strasse waren auch um diese Zeit immer noch Leute unterwegs. Wobei sich die Zahl der Nachtschwärmer definitiv verringert hatte, seit dieses ganze Gang-Debakel seinen Lauf genommen hatte. Er wusste nicht so recht, was er von der ganzen Sache halten sollte und beliess es deshalb dabei, sich um seinen eigenen Kram zu kümmern. Jetzt nur noch nach Hause und dann ins Bett. Morgen würde wieder ein langer Tag werden. Direkt neben der Bank befand sich eine Bushaltestelle und von weitem sah er auch schon den Bus um die Ecke biegen. Perfekt. Er hatte den Unterstand noch nicht erreicht, da zerriss ein ohrenbetäubendes Knallen die Luft. Er wusste nicht, wie ihm geschah, als ein Regen aus Glassplittern sich über seinen Kopf ergoss. Panische Schreie und das Quietschen von Autoreifen erfüllten die Luft. Als keine Splitter mehr fielen, raffte er sich sofort auf. Er schaute nicht nach rechts und nicht nach links als er über die Strasse rannte, auf der der Verkehr zum Erliegen gekommen war. Beinahe stolperte er über Schutt, konnte sich jedoch gerade noch fangen und erreichte die andere Strassenseite. Er suchte nach der nächstbesten Deckung, einer Litfasssäule. Und kaum hatte sie erreicht, erfolgte eine weitere Explosion. Mit Entsetzen stellte er fest, dass die Explosionen das Gebäude betrafen, in dem er vor fünf Minuten noch vor einem Computerbildschirm gesessen hatte. Es erfolgten weitere Detonationen, dieses Mal in viel zu kurzen Abständen. Sie liessen die Glas aus den Fenstern springen und Schutt über den Gehsteig und die Strasse herabregnen. So etwas hatte er noch nie gesehen. Aus den Fenstern züngelten bereits Flammen, als eine Abfolge von Explosionen den Hauptsitz von Murakami Credits von innen heraus zerstörte. Und als es auf einmal still war – viel zu still – wusste der junge Mann, dass sein Feierabend gelaufen war. Rasch rappelte er sich auf, griff nach seinem Telefon und wählte die Notfallnummer. Dann machte er sich auf die Suche nach Verletzten, während in seinem Kopf die Gedanken Purzelbäume schlugen.   23:46 Uhr, in Deckung   Man hatte die Explosionen bis hierhin gehört. Und das liess fast nur eine Schlussfolgerung zu: Der im South stationierte Hauptsitz von Murakami Credits war mit Bomben von innen heraus attackiert worden. Über Funk spielte alles verrückt. Sie wurden darüber informiert, dass Hatake sofort die höchste Warnstufe ausgerufen hatte, insbesondere für alle Menschen, die sich in der Nähe von der Kanzlei von Takashi Watanabe, von Sayuri-Tanaka-Filialen oder deren Hauptsitz befanden. Doch Crow dachte nicht daran, ihnen Zeit für eine Evakuierung der Bevölkerung zu geben. «Miss Tanaka! Sie als dreckige Schlampe zu bezeichnen ist beinahe untertrieben. Gegen innere Hässlichkeit hilft auch das beste Make-Up nicht.» Und dann zählte er wieder. Jetzt nur noch von Fünf rückwärts. «Wir müssen etwas tun!», sagte Sora neben ihm. Der Outer-Leader war angeschlagen, aber trotzdem noch voller Energie. Shikamaru war kurz davor, Pain und Demon die Erlaubnis zum Zugriff zu geben, auch wenn er wusste, was auf dem Spiel stand. Doch wenn er sich die Situation so rational wie möglich vor Augen führte, war das zwecklos. Crow schien zwar das Signal für die Detonationen zu geben, aber er war es nicht, der sie auslöste. Er glaubte nicht daran, dass die Riots Fernzünder von solchem Kaliber besassen. Egal, was sie auch machten, die Bomben würden explodieren. Sie konnten nur noch retten, was zu retten war. Crow war bei null angelangt. Dieses Mal war keine Explosion zu hören – wo auch immer die Bombe hochgegangen war, sie war zu weit weg. Es machte ihn sprachlos, wie sehr Crow einmal mehr die Überhand behielt. Und das trotz seiner klar unterlegenen Position. Crow lächelte schadenfreudig in die Kamera. Seine Belustigung war dem Blick eines eiskalten Revolutionsführers gewichen, der keine Grenzen kannte. Ayato Kirishima wusste, welche Macht er hatte. Und er nutzte sie bis zur letzten Minute aus. «Soviel zu Tanaka», sagte Crow. «Und jetzt noch zu dem Untermenschen, der dafür sorgt, dass Unterdrücker an der Macht bleiben, egal, welches Verbrechen sie sich auch zu Schulden kommen lassen. Aber hier kannst du niemanden, geschweige denn dich, mit Argumenten oder gut platziertem Geld raushauen.» Seine Stimme triefte vor Verachtung. Und erneut zählte er, jetzt nur noch von drei an rückwärts. Es war auch dieses Mal nichts zu hören, als die Bomben hochgingen. Crow hielt die gespenstische Stille auf dem Platz wie ein Meister aus. Nur das Knistern von Flammen im Hintergrund. Und dann zuckte er mit den Schultern, während er die Kamera weiterhin voller Verachtung anstarrte. «Ihr verdient nichts anderes. Leute wie ihr verdient nichts anderes. Ganz einfach. Und deshalb rufe ich alle Unterdrückten zum Widerstand auf. Wir sind nicht machtlos, das haben wir heute bewiesen. Und wir holen uns, was ihr uns verweigert: ein Leben!» Es war immer noch still auf dem Platz. Die Ereignisse der vergangenen Minuten sassen den Gangs tief in den Gliedern. Und noch tiefer in den Herzen. Ihnen war noch nicht klar, wie gross der Schaden war, ob und wenn ja wie viele unschuldige Menschen in diese ganze Sache hineingezogen worden waren. Aber ihre Vorstellungskraft reichte, um sich das Schlimmste auszumalen. Ihre eigene Machtlosigkeit angesichts der Situation wirkte lähmend auf die Gangs. Das Gefühl, wieder einmal von Crow an der Nase herumgeführt worden zu sein, war vernichtend. Während ganz Konoha die Augen auf die Transportfirma gerichtet hatte und ein Grossteil an Ressourcen der Polizei, der Feuerwehr und der Rettungsdienste auf sie konzentriert gewesen waren, hatte Crow seine Revolte gegen die Elite bereits in die nächste Runde geschickt. Shikamaru und alle anderen hatten gewusst, dass Crow ihnen Schaden wollte, zumal sie für ihn eine eigene Elite bildeten. Aber nicht im Traum wäre er darauf gekommen, dass Crow schon wieder an anderen Zielen arbeitete. Sie hatten geglaubt, sie würden Crow in seinen letzten Zügen erwischen. Und das hatte sich als richtig herausgestellt. Doch es war einfach nur naiv gewesen zu glauben, dass Crow sich einfach so von der Landkarte wischen liess, ohne seine Message noch einmal mit allem Nachdruck in die Welt hinauszutragen. Kiba neben ihm rührte sich nicht. Inzwischen betrachtete er nicht einmal mehr den Bildschirm des Smartphones sondern hielt seinen Blick starr auf seine Hände gerichtet. Shikamaru ging es ähnlich. Seine Glieder fühlten sich schwer an und in seinem Kopf rasten die Gedanken. Noch vor einigen Minuten hatte er daran geglaubt, dass sie siegen konnten. War überzeugt gewesen, dass sie die nötige Durchschlagkraft hatten, um das hier zu beenden. Aber wenn er es sich genau überlegte, dann konnten sie diese Nacht nicht mehr gewinnen. Vielleicht gelang es ihnen, Ayato Kirishima und sein Gesindel dingfest zu machen. Doch der wahre Gewinner dieser Nacht war erneut Crow mit seinen Riots. Er hatte alles erreicht, was er erreichen hatte wollen. Shikamaru wurde beinahe übel bei dem Gedanken. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er keinen Plan. Nicht einmal den Hauch einer Idee, was sie jetzt tun sollten. Er spürte eine Hand an seiner Schulter – es war Temari. Da war immer noch Feuer in ihren Augen, eine Entschlossenheit, mit der er im Moment nicht nachvollziehen konnte, ihm aber so etwas wie Hoffnung gab. «Wie geht es weiter, Genius?», fragte sie, als wären nicht gerade mindestens drei Gebäude in dieser Stadt, inklusive der Menschen darum herum und eventuell sogar darin, zum Opfer gefallen. Temari hatte erfasst, worum es ging. Hatte sich nicht von der niederschmetternden Realität unterkriegen lassen. «Ich weiss es nicht», brachte er nur noch hervor. Dann nahm sie ihm das Funkgerät sanft aus der Hand und kontaktierte Hatake. Und er wartete darauf, was Crow noch zu sagen hatte.   23:54 Uhr, Otogakure   Inzwischen scharten sich neun Personen im Wohnzimmer der Iwasawas. Nachdem die Sache mit dem Livestream begonnen hatte, waren die News voll mit Updates und Nachrichten vom aktuellen Geschehen in Konoha gewesen. Sasukes ehemalige Schulkollegin Noriko hatte sie in der Hoffnung, mehr zu erfahren, per Telefon kontaktiert. Schliesslich hatte Ami den besten Kontakt zu Sasuke und Sakura. Die ganze Sache hatte darin geendet, dass Ami die jungen Leute zu sich eingeladen hatte, damit sie diese Tortur gemeinsam durchstehen konnten. Alle sieben waren sie gekommen; Noriko, Inaho, Yui, Rima, Yasuo, Kaito und Suki. Es war rührend zu sehen, wie sehr sie Anteil am Leben ihres ehemaligen Schulkameraden nahmen. Und wenn sie nicht absolut ausser sich gewesen wäre und die Sorgen sie nicht beinahe zerfressen würden, dann hätte sie ihnen das auch gesagt. Aber im Moment zerquetschte sie Harus Hand bei jedem noch so kleinen Update. Inzwischen waren Hubschrauber von KCTV unterwegs, die sich Konoha aus der Vogelperspektive ansahen. Und es war nicht schön. Ami war beinahe das Herz stehen geblieben, als sie von den drei Anschlägen gehört hatte. Noch war unklar, ob es Tote gab, doch Verletzte hatte die Stadt allemal zu beklagen. An den Orten der Attentate trafen die ersten Rettungswagen ein. Es war ein teuflischer Schachzug, Attentate auf den Besitz reicher Menschen in dem Wissen zu verüben, dass Zivilisten dabei zu Schaden kommen würden und Hilfe derzeit eher Mangelware war – zumal sich der Fokus der Retter derzeit auf das Schlachtfeld konzentrierten. Und parallel dazu verfolgten sie den Livestream der Riots auf Harus Laptop. Takahiro und Shina waren im Bett und schliefen friedlich. Ami war dankbar, dass sie von alledem nichts mitbekamen. «Kann mir eigentlich mal jemand sagen, warum die Gangs das machen müssen?», fragte Rima auf einmal. In ihrer Stimme schwang Unverständnis und Frustration mit. «Sie können doch nichts dafür, dass die Riots diesen ganzen Mist bauen.» «Das weisst du doch», brummte Kaito. «Man gibt ihnen so die Chance, ihren Namen ‘reinzuwaschen’. So ein Schwachsinn.» «Theoretisch müssen sie es nicht machen. Praktisch hingegen…», murmelte Noriko. «… praktisch hingegen haben sie kaum eine Wahl oder? Zumindest nicht, wenn sie wollen, dass sie noch eine Chance in der Gesellschaft haben.» Yasuo schüttelte den Kopf. Ami nickte. «Ihr habt schon recht. Das ist ungerecht. Aber ich denke, dass nicht jedes Gangmitglied abgeneigt war, sich gegen diesen Crow zu stellen. Schliesslich wurden sie auch attackiert.» Sie seufzte. «Und es zeigt sich hier und heute, dass Crow keinen Unterschied zwischen dem Kampf gegen die Gesellschaft und dem Kampf gegen die Gangs macht.» Ami versuchte, Ruhe auszustrahlen, auch wenn sie eigentlich kaum ruhig sitzen konnte, sosehr zerriss sie die Sorge um Sasuke, Sakura und um ihre Freunde. Der Gedanke, dass die beiden vielleicht gar nicht mehr am Leben waren, verdrängte sie mit Nachdruck. Und da erhob Crow im Live-Stream erneut seine Stimme. Bitte, hör auf, flehte Ami still. Bitte, lass sie endlich in Ruhe. Was in Konoha passierte, lag jenseits ihrer Vorstellungskraft. Und eigentlich wollte sie sich gar nicht vorstellen, wie sich Sakura und Sasuke fühlen mussten. Sie waren gefangen in diesem Krieg, der als ihrer begonnen hatte und nun in unfassbare Dimensionen ausgeartet war. Dabei hatten diese jungen Menschen in ihrem Leben bereits genug stemmen müssen. Sie würde nach Konoha gehen, das stand fest. Denn sie musste wissen, was aus Sasuke und Sakura geworden war.   23:54 Uhr, Seiteneingang Kantine   Sie alle hatten auf dem Bildschirm mitverfolgt, was geschehen war. Und sie hatten die Explosion von Murakami Credits sogar gehört. Der Schock sass ihnen in den Knochen. Und solange Shikamaru keinen Befehl zum Vormarsch gab, konnten sie nichts anderes zu tun, als in der Stille zu hocken und sich zu fragen, wie zur Hölle diese ganze Scheisse so hatte ausarten können. Aus den Gesichtern seiner Mitstreiter sprach pure Enttäuschung über sich selber. Und ihm ging es genauso. Was zur Hölle hatten sie in dieser Nacht eigentlich erreicht? Sie hatten Crow einen Schauplatz gegeben, sich von ihm bekämpfen lassen und zu allem Übel waren nur wegen ihnen jetzt die Ressourcen der Stadt richtig mies verteilt. Er hatte Hatake vorhin per Funk übermittelt, dass sie verdammt nochmal alle Rettungskräfte an Crows Tatorte schicken sollten, sofern sie nicht hier gebraucht wurden. Natürlich hätte Hatake das sowieso gemacht. Aber er wollte nicht, dass seinen Leuten nun plötzlich auch noch die Schuld für die Ressourcenknappheit in der Stadt zugeschoben wurde. Realistisch betrachtet hatte Crow immer die Überhand gehabt. Denn er überschritt Grenzen, die weder sie noch die Polizei jemals überschreiten würden. Mit seinen Geiselnahmen und Bombenanschlägen spielte er in einer anderen Liga, in derjenigen eines cleveren Terroristen. Er hatte Charisma und wurde von seinen Leuten auf Händen getragen. Mit herkömmlichen Methoden war er kaum zu besiegen. Und das hatte er auch heute wieder gezeigt. Sasuke hatte bis vorhin nicht mehr zusehen wollen, wie Crow seinen Triumph auskostete. Jetzt winkte ihn Redhead aber zu sich und den anderen. «… von meiner Seite her ist alles gesagt», hörte er Crow in die Kamera sagen. «Für alle von uns, die hier sind, ist diese Nacht bald vorbei. Wir werden in irgendwelchen Gefängnissen verschwinden oder sterben. Aber alle Riots, die noch da draussen sind werden nicht einfach ruhen. Alle, die denken wie wir: Begehrt auf. Und denkt daran, die Elite ist nicht unantastbar.» Er überlegte kurz. «Und liebe Elite, ihr habt’s gehört. Das hier ist ein Aufbegehren gegen euch. Wähnt euch nicht in Sicherheit, nur weil das hier mein Ende ist, denn sicher seid ihr nie. Geld ist nicht kugelsicher.» Er lächelte mit einer seltsamen Befriedigung im Gesicht. Er wirkte ruhig und zufrieden. «Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, werte Leute aus Konoha. Es war mir eine Ehre, euch durch diesen Abend zu führen. Auf dass Konoha erkennt, wer die wahren Gangster in seiner Mitte sind.» Und da brach der Stream ab. Schwarzer Bildschirm. Fertig aus. Sasuke hätte beinahe das Smartphone gepackt und gegen die Wand geschmissen. Das war es also? Führte sie hier den ganzen Abend an der Nase herum, verübte seinen Coup und dann machte er Feierabend?! Das Smartphone wäre jetzt kaputt, hätte sich nicht plötzlich jemand per Funk gemeldet. «Hier ist Lioness von den Kurama Foxes», hörte er eine weibliche Stimme sagen. Er wusste, wer Lioness war. Eine blonde Kurama mit ziemlich viel Biss. «Ich spreche für Genius. Crow hat Hanabi losgelassen. Es sind keine Waffen mehr auf sie gerichtet.» Just in diesem Moment hörte er Crows Stimme, jedoch verstand er nicht, was er den Kuramas und Takas unter sich zurief. «Er hat gesagt, dass er keine Verwendung mehr für Hanabi hat und sie laufen lässt. Sie sollte jetzt auf dem Weg nach unten sein. Die Riots werden nicht von selber nach unten kommen. Möglicherweise will Crow einen Kampf bis zum Schluss.» «Den kann er haben», knurrte Sasuke und nahm Kontakt mit Pain auf.   23:56 Uhr, Dachterrasse Kantine   Zufriedenheit war gar kein Ausdruck für das Gefühl, welches Ayato Kirishima überkam. Es war Genugtuung, Erleichterung, Dankbarkeit, alles gleichzeitig. Zu wissen, dass er seine Mission zu Ende gebracht hatte, stimmte ihn ruhig im Angesicht dessen, was ihm bevorstand. Vieles an seinem Plan hätte schiefgehen können und doch hatte alles geklappt. Ein Blick in die Gesichter seiner Leute reichte, um zu erkennen, dass es ihnen genau so ging. Sie waren zufrieden mit dem Ergebnis dieser Nacht. Ihre Macht war begrenzt und doch hatten sie es geschafft, damit eine ganze Stadt in ihren Bann zu ziehen – sowohl im positiven als auch im eher negativen Sinne. Er nickte seinen Leuten zu, denn irgendwie fehlten ihm zum ersten Mal seit er sie anführte die Worte. Die Reaktion der Anwesenden war ähnlich. Purple wischte sich sogar verstohlen über die Augen. Cracker, Pokerface wie immer, jedoch konnte Ayato beobachten, wie er sich aufrichtete und Haltung annahm. Als ob er dem Ende seiner Freiheit mit Stolz entgegentreten wollte. «Wir haben getan, was wir konnten. Ihr seid frei, zu entscheiden, ob ihr euch von der Polizei in Gewahrsam nehmen lassen wollt oder ob ihr den anderen Weg wählt. Eure Strafen werden bestimmt milder ausfallen als meine. Ich würde euch deshalb am Ende dieser Nacht gerne lebend wissen. Aber es ist eure Wahl.» Ayato wusste, dass die meisten von ihnen Gefangenschaft wählen würden. Miranda, Purple und viele seiner engsten Vertrauten hatten ihm das bereits gesagt. Cracker hatte sich noch nicht entschieden. Unten im Haus wurde Aufruhr hörbar. Die Kuramas und Takas waren da. «Vor Gericht dürft ihr mir alle Schuld geben, wenn ihr das wollt. Denn gelogen wäre es nicht wirklich.» Er bedachte diese Menschen, die loyaler nicht sein könnten, ein letztes Mal mit einem sanften Blick. «Ich werde mir jetzt noch ein letztes Mal unser Werk ansehen. Ihr habt meinen tiefsten Respekt und aufrichtigsten Dank für alles, was ihr getan habt. Der Kampf geht weiter, wenn auch ohne uns. Aber seit versichert, dass ihr diese Stadt in ihren Grundfesten erschüttert habt und den Weg für Veränderungen freigemacht habt. Wir nehmen die Schande und den Hass auf uns – für eine bessere Zukunft.» Inzwischen weinte Purple wie ein kleines Kind. Sie war schon immer eine der emotionalsten seiner Leute gewesen. Miranda hielt sich wacker, Dandy, Skull und Cracker nickten ihm nur zu. «Danke dir», schniefte Purple und setzte sich dann auf den Boden. Die Kuramas und Takas würde sie mit erhobenen Händen empfangen. Crow hingegen wandte sich wieder gegen die Dachterrasse. Von weitem hörte er Hubschrauber und Sirenen von Feuerwehrautos und Polizeiwagen, die jetzt auf den Platz geschossen kamen. Hanabi musste inzwischen von den Gangs gesichert worden sein. In der Ferne hörte er den Hubschrauber von KCTV starten. Der Wind trieb ihm den aufgekommenen Nieselregen ins Gesicht. Es fühlte sich erfrischend an, fast wie eine Reinigung nach all den unschönen Dingen, die er in dieser Stadt verbrochen hatte. Er schloss die Augen uns saugte dieses Gefühl von Frische und Sauberkeit in sich auf. Und als er sie wieder öffnete, liess er seinen Blick über das Inferno gleiten, welches er mit seinen Riot verursacht hatte. Die Hallen waren drauf und dran, in sich zusammenzustürzen. Schwarzer Rauch stieg von den lodernden Ruinen eines einst florierenden Unternehmens auf. Das hier niederzubrennen hatte für ihn etwas ähnlich reines, wie der frische Regen auf seiner Haut. Der Ort, an dem er sein Werk vollendet hatte, wurde in diesem Moment von der Landkarte gebrannt. Es würde nicht mehr viel von der ganzen Sache übrigbleiben. Irgendwann würden hier neue Gebäude stehen. Vielleicht solche von Elitären, wie es geplant war. Und vielleicht auch nicht. Doch die Bilder und Filmaufnahmen der brennenden Transportfirma würden für die Ewigkeit bestehen. Er schwang sich auf die Brüstung der Terrasse und fühlte sich für einen Moment, als stünde er an der Grenze zwischen dieser und der nächsten Welt. Ein Sturz von hier oben war nicht zu überleben. Rasch kletterte er auf der anderen Seite wieder runter. Seine Füsse fanden halt auf den Ziegeln des Schrägdaches, an denen er nun langsam emporkletterte. Die Ziegel waren von Regen glitschig und aufgrund unterlassener Reinigung auch von Moos überwachsen. Er rutschte mehrmals mit den Füssen ab, fand den Halt aber schnell wieder. Er war jetzt völlig angstfrei, denn passieren konnte ihm nichts mehr. Nichts, womit er nicht rechnete. Nichts, was er nicht plante. Er zog sich an einem der zwei Schornsteine hoch und erreichte in schwindelerregender Höhe den First. Von hier oben hatte die Stadt etwas Friedliches, wenn man die drei weiteren Rauchsäulen ausser Acht liess. Der Wind zerrte an seinen Kleidern und seinen Haaren, die inzwischen durchnässt vom stärker werdenden Regen waren. Er kletterte nun am First entlang zum Ende des Daches, wo er sich hinsetzte und mit den Händen festhielt. Der Anblick der Stadt jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Aber nicht ein unangenehmer. Er atmete tief ein und wieder aus. «Na, Sugu?», fragte er leise in die Nacht hinaus. «Ich weiss, dass du das niemals gewollt hättest. Ich mache es deshalb auch nicht für dich.» Er fuhr mit seinen Händen über die nassen, moosigen Dachziegel. In diesem Moment fühlte er sich so lebendig wie noch nie zuvor. Er spürte den Herzschlag in seiner Brust, hörte die Geräusche einer erschütterten Stadt. Die Sirenen waren inzwischen aus – brachte ja auch nicht wirklich mehr was. Die Luft in seinen Lungen fühlte sich erfrischend an. Bei jedem Ausatmen nahm sie seine Traurigkeit, seine Wut und seine Schandtaten mit. «Ich habe es wegen mir gemacht. Wegen der Wut und der Trauer. Die haben viel mit dir zu tun. Aber du bist nicht für das hier zu verantworten, ja?» Natürlich bekam er keine Antwort. «Du warst das Einzige, was mich vorangetrieben hat, damals. Und als du gegangen bist, da musste ich einen neuen Antrieb haben. Es hat nicht wirklich etwas mit Rache zu tun, das weisst du, oder? Auch wenn man mir das andauernd unterstellt. Mehr damit, dass mein Weg zur Veränderung dieser Stadt gerne mit Rache verwechselt wird.» Unten auf dem Platz wuselten inzwischen Polizisten. Unter ihm kamen die Kuramas und Takas immer näher. Er hörte Schüsse und laute Stimmen. «Sei mir nicht böse. Du warst viel zu friedliebend für das hier. Deshalb bin ich auch froh, dass du es dir nicht ansehen musst.» Auch von der Dachterrasse her waren jetzt laute Stimmen zu hören. Es war gleich so weit. «Vielleicht sehen wir uns da drüben wieder. Vorausgesetzt, du kannst mir das vergeben, was ich hier gemacht habe. Konoha hat uns beinahe untergekriegt. Und jetzt haben wir Konoha beinahe untergekriegt. Und vielleicht, Sugu, vielleicht wird sich endlich etwas ändern. Damit niemand anderes dein Schicksal erleiden muss.» Auf der Terrasse waren inzwischen Leute, doch aus der Ferne erkannte er nur Schemen. Sie suchten anscheinend nach ihm. «Es ist so weit», sagte er nun mehr zu sich selbst. Eine der Gestalten entdeckte ihn. Ohne zu zögern sprang sie über die Brüstung aufs Dach. Die Person hatte lange Haare. Er wusste bereits, wer sie war, bevor er ihr Gesicht sah. Direkt hinter Hinata war ein Mann, vermutlich Big Fox. Die beiden hatte noch eine offene Rechnung mit ihm. Zumal sie das Feuer im Keller überlebt hatten. Big Fox und Hinata waren aber nicht alleine. Vom Balkon aus zielten drei Leute mit einem Gewehr auf ihn, sofern er das erkennen konnte. Nicht, dass es noch irgendeinen Unterschied gemacht hätte.   24:00 Uhr, Dach Kantinengebäude   Hinatas wilde Entschlossenheit war beinahe beängstigend. Wenn er an die schüchterne und ruhige Kurama zurückdachte, die er kannte, dann war das hier kein Vergleich mehr. Nachdem sie Hanabi unten in Empfang genommen hatten, war es bereits Hinas feste Absicht gewesen, mit nach oben zu kommen. Naruto hatte gehofft, sie würde sich entscheiden, bei ihrer Schwester zu bleiben, doch das war anscheinend von Anfang an keine Option für sie gewesen. Er hatte beschlossen, dass er in keiner Position war, sie aufzuhalten, zumal er selber nur noch mehr schlecht als recht auf den Beinen war. Zumindest konnte er das mit ihr gemeinsam durchziehen. Während die anderen da unten mit dem Kampf gegen die letzten verbliebenen Riots beschäftigt gewesen waren, war sie schnurstracks nach oben gelaufen. Er hatte sie noch nie auf diese Weise kämpfen gesehen – sie war stärker geworden. Als sie über die Brüstung der Dachterrasse gesprungen war, hatte er erneut daran gezweifelt, ob er da wirklich Hinata vor sich hatte. Diese Entschlossenheit, dieser Mut, das hatte er bei ihr noch nie gesehen. Und nun kletterte die fest entschlossen auf Crow zu, der ihnen in stiller Erwartung vom First aus entgegensah. Pain, Blue und Tenten hielten von der Dachterrasse aus ihre Gewehre auf Crow gerichtet. Sasuke hatte sich bereits über die Brüstung geschwungen und bewegte sich in einigem Abstand hinter ihnen. Pain war stinksauer, das wusste er. Schliesslich hatten Hinata und Naruto die Formation gebrochen. Es war nicht vorgesehen gewesen, dass die zwei mit Rauchvergiftung Crow sicherten. Nichtsdestotrotz hatte sich Pain blitzschnell der Situation angepasst und unterstützte sie nun von unten. Er würde sowohl von Hatake als auch allen anderen eine kräftige Standpauke einfahren, aber das war ihm jetzt gerade egal. Naruto wusste, wie wichtig das für Hina war. Und ihr ging es wie ihm – von seinen Verletzungen merkte er im Moment nichts. Dafür sorgte das Adrenalin in ihren Adern. Sie hatten ihre eigenen Grenzen beide längst überschritten und konnten trotzdem nicht aufhören. Nicht jetzt. Er kletterte so nahe er konnte hinter Hinata, denn er Regen machte das alte Dach rutschig und er wollte nicht, dass ihr etwas passierte. «Komm runter!», rief Hinata und in ihrer Stimme schwang ein Fauchen mit. Crow bedachte sie nur mit einem undurchsichtigen Blick. Damit bestätige sich ihr Verdacht: Ayato Kirishima war es inzwischen scheissegal, was mit ihm passierte. Er fürchtete den Tod nicht oder zumindest nicht mehr. Und das machte ihn beinahe unverwundbar. Hina, getrieben von ihrer Wut, kletterte weiter. «Dann muss ich dich wohl eigenhändig vom Dach werfen», hörte er sie über das Geräusch des Regens zu sich selber sagen. «Ihr seid zäh», kommentierte Crow das Geschehen und verwies dabei wahrscheinlich auf ihren Beinahe-Tod im Feuer. Er strich sich die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. «Habe ich mir schon gedacht.» «Du krankes Arschloch», fauchte sie als sie den First erreichten. Nun «standen» sie einander gegenüber, wobei Hinata eher in der Hocke war und Crow mehr oder weniger auf dem First sass. Naruto hielt sich unterhalb von Hinata, um sie notfalls auffangen zu können. «Was macht ihr hier oben?», fragte Crow. «Wenn ihr mich doch einfach abknallen könnt.» Selbst jetzt wich die Belustigung nicht aus seiner Stimme. Hinatas Blick war eiskalt. Naruto konnte das Ganze nur beobachten und war erneut absolut nicht fähig, diese «neue» Hinata einzuordnen. «Das würde dir so passen», sagte sie. «Du weisst, dass du den Menschen, die du getötet und verletzt hast Rede und Antwort stehen musst.» «Natürlich», sagte er, ohne den geringsten Sarkasmus in der Stimme. «Hanabi, Naruto, die Kuramas, Takas, die Polizei, die Zivilisten… glaubst du, du kannst diese Stadt kitten, indem du Menschen einfach aus der Welt räumst?! Ihnen den Schock fürs Leben bescherst?!» «Du weisst, dass es nicht um einen Schock geht. Du warst mehrmals Zeuge von meinen Intentionen.» Hinatas Körper bebte vor Wut. «Was gibt dir das Recht, dir einfach zu nehmen, was du willst?» «Niemand hat dieses Recht. Und ich habe mich nie auf ein Recht berufen, wenn du dich erinnerst.» Hinata wollte etwas erwidern, doch Crow war noch nicht fertig. «Nach all der Zeit, die wir zusammen verbracht haben, solltest du eigentlich eines wissen: Ich habe jegliche Form von Moral ganz bewusst abgelegt. Ansonsten wäre das hier gar nicht zu bewerkstelligen gewesen. Es erübrigt sich also, mit mir über Moral zu diskutieren.» Staunen und purer Zorn gaben sich für Naruto hier die Klinke in die Hand. Das gefährliche und auch gruselige an Crow war, dass er jede seiner Taten mit einem absoluten Bewusstsein für jedwede mögliche Konsequenz auszuführen schien. Er nahm jedes Opfer ganz bewusst in Kauf. Es war nicht schwer zu erkennen, wie er seine Pläne und Vorhaben gegenüber seinen Leuten begründen konnte, als wären sie absolut rational. Denn auf Crows ganz eigene kranke Weise waren sie das auch. Hinata war drauf und dran, ihn am Arm zu packen doch er mache blitzschnell einen Rückzug. «Vorsicht», sagte er. «Ich habe nicht die Intention, mich von euch holen zu lassen.» «Und was hast du jetzt vor? Willst du da oben versauern?», fragte sie mit einem bitteren Unterton in der Stimme. «Nachdem du gewonnen hast?» «Für mich gibt es nicht mehr viel zu tun», sagte er. «Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Ihr könnt aber etwas tun.» «Noch mehr Gebäude in die Luft jagen?», fragte Naruto und gab sich keine Mühe, seinen Sarkasmus zu unterdrücken. «Wenn ihr das als sinnvoll anseht, nur zu», antwortete er. «Aber ob ihr es einsehen wollt oder nicht, die heutige Nacht macht Veränderungen möglich. Doch dazu muss sie jemand vorantreiben.» «Ich glaube nicht, dass wir unter ‘guter Veränderung’ dasselbe verstehen», knurrte Naruto. Inzwischen waren sie alle bis auf die Knochen durchnässt. Immerhin wusch ihnen der Regen den Russ aus dem Gesicht. Ayato grinste. «Da wäre ich mir nicht so sicher.» Jetzt erhob er sich. Naruto war drauf und dran, ihn wieder zum Sitzen zu befehligen, aber ihm wurde wieder bewusst, dass Ayato auch geladene Waffen keinen Eindruck mehr machen konnten. «Sie sieht Sugu ähnlich, nicht wahr, Sasuke?» Narutos Kopf fuhr herum und er bemerkte, dass Sasuke direkt hinter ihm war. Blut lief ihm in wässrigen Rinnsalen aus einer Platzwunde an der Stirn und aus dem Mund über das Gesicht. Mehrere der Riots da unten hatten sich noch gewehrt, aber Naruto wusste nicht mehr, ob es sich um frische Wunden handelte oder ob er die bereits vorhin gehabt hatte. Jedenfalls sah er auch nicht viel besser als sie aus. «Da hast du wohl recht», antwortete Sasuke. «Hast du Hinata deshalb zum Ziel gemacht?» Ayato zuckte mit den Schultern. «Eine Reihe von Zufällen waren der Grund dafür. Wobei das natürlich auch ein praktischer Zufall war.» «Glaubst du, Suguha hätte das hier gewollt?» Ayato schüttelte entschlossen den Kopf. «Natürlich nicht.» «Wenigstens ist dir das klar.» Sie schwiegen kurz. Ayato lachte auf einmal. «Ihr braucht mich nicht alle so böse anzusehen. Wir sind nicht geboren worden, um für immer und ewig Abschaum der Gesellschaft zu sein. Euch fehlt wie immer der Blick für das grosse Ganze.» Ein Windstoss fegte über das Dach und brachte Ayato beinahe um sein Gleichgewicht. Doch er fing sich beinahe elegant wieder. «Und ihr wisst das genauso gut wie ich.» Der Hubschrauber von KCTV näherte sich dem Dach, doch blieb in sicherem Abstand, um nicht noch mehr Wind zu erzeugen. «Das unterscheidet uns», sagte er und machte einen Schritt rückwärts. Er war jetzt gefährlich nah am Ende des Daches. «Ihr seid Gangs, die überleben wollen. Wir sind Rebellen, die Gerechtigkeit wollen. Das kann man nicht vergleichen. Denn selbst jetzt verfolgt ihr im Kern egoistische Intentionen.» Die antworteten nichts, denn dem gab es nicht allzu viel entgegenzusetzen. «Du kannst uns dafür verurteilen», sagte Hinata bestimmt. «Aber wir stehen dazu, dass wir nicht bereit sind, über die Leichen von unzähligen Menschen zu gehen, um etwas zu verändern.» Er nickte, als könnte er das nachvollziehen. «Wenn ihr einmal den Punkt erreicht, an dem ihr alles verloren habt, dann seid auch ihr dazu bereit. Doch dazu muss es nicht kommen.» «Komm von dem verdammten Rand weg!», brauste Naruto auf, als sich Crow noch einen weiteren Schritt in Richtung seines sicheren Todes bewegte. Als Naruto Anstalten machte, in Ayatos Richtung zu klettern, machte dieser noch einen weiteren Schritt zum Rand hin. «Bleib wo du bist», sagte er nur. «Ayato», sagte Hinata nun viel sanfter als zuvor, als ihr in aller ihrer Wut bewusstzuwerden schien, worauf das hier hinauslaufen sollte. «Willst du dich wirklich so aus der Affäre ziehen?» Er schüttelte wieder den Kopf. Sein Blick wurde für einen Moment sanft, als ob er auf ihren Stimmungswechsel antwortete. «Diese Stadt soll ihre Elite kritisieren, damit die sich verantworten muss. Eine weitere Hassfigur ist Ablenkung. Und das ist nicht das, worauf wir hingearbeitet haben.» Selbst sein Tod plante Ayato voll und ganz im Sinne seiner Revolution. Und Naruto wurde bewusst, dass dieser Mensch wirklich nichts mehr anderes hatte, als diese eine Mission. Er war völlig losgelöst von jeglicher Gebundenheit an dieses Leben und die Menschen darin. Und tief drinnen empfand Naruto zum ersten Mal so etwas wie Mitgefühl mit ihm. Wenn es seiner Sache besser gedient hätte, wäre Ayato ohne zu zögern in den Knast gegangen. Da bestanden keine Zweifel. Aber seine Argumentation machte Sinn. Wenn er lebendig war, dann würde der Hass der Bevölkerung noch lange auf ihm haften. Und wenn er nicht mehr lebte, würde er irgendwann abflauen und hoffentlich auf die übergehen, die Ayato in den Boden gestampft sehen wollte.   00:14 Uhr, Kantinendach   In Hinata tobten seit Monaten Konflikte. Zu lange war sie mit ihren eigenen Gedanken, ihrer Angst und ihren Schuldgefühlen alleine gewesen. Deshalb war sie sich die innere Unruhe eigentlich schon fast gewohnt, wenn man das überhaupt so nennen konnte. Aber hier und jetzt fühlte sie sich mehr als je zuvor hin- und hergerissen. Sie hasste diesen Menschen. Ayato hatte sie und Naruto auf brutale Weise umbringen wollen. Hatte ihre kleine Schwester gekidnappt und sie Sachen durchstehen lassen, die kein Mensch und schon gar kein kleines Mädchen durchstehen sollten. Und er hatte sie selbst fürs Leben gebrandmarkt und Schäden angerichtet, die nichts so schnell zu kitten sein würden. Ja, sie hatte jeden Grund, ihn bis aufs Blut zu hassen. Und das tat sie auch. Aber da war eine leise Stimme in ihr, die bei Ayatos selbstmörderischer Absicht aufschrie. Nein, sie wollte nicht, dass Ayato sich umbrachte. In all der Zeit, wenn auch unfreiwillig, war sie ihm nahegekommen und hatte den Menschen in ihm durchscheinen sehen. Sie verstand seine Motivation. Sie konnte sein Wesen nachvollziehen, aber nicht im Geringsten verstehen. Und eines wusste sie mit Sicherheit: Sie wollte nicht, dass Ayato Kirishima von diesem Dach sprang und sich das Leben nahm. Begründen konnte und wollte sie es nicht, aber ihr Gefühl drängte sie dazu, ihn aufzuhalten. «Ayato. Mach es nicht.» «Du musst hier niemanden retten, Hinata. Du solltest dir ein dickeres Fell zulegen. Sonst wirst du auch deinen schlimmsten Feinden und Peinigern immer wieder vergeben wollen.» Seine Worte gingen ihr durch Mark und Bein. «Vergebung denen, die Vergebung verdienen», fügte er an und machte einen weiteren kleinen Schritt rückwärts. Er stand mit den Füssen links und rechts des Firsts auf den rutschigen Dachziegeln. «Hör auf, Ayato. Ich bitte dich.» Regen peitschte gegen ihr Gesicht. «Weisst du, warum ich mich nicht bei dir entschuldige, für all das, was ich dir angetan habe?», fragte er und erwartete darauf keine Antwort. «Weil ich weiss, dass ich nicht in der Position dazu bin. Und es nichts als eine Heuchelei wäre. Denn alles, was ich gemacht habe, ist mit Berechnung passiert.» Sasuke und Naruto hinter ihr wollten sich Ayato nähern, um ihn zumindest für den Fall des Abrutschens auffangen zu können. Doch Ayato hob drohend die Hand, als er es bemerkte. «Ihr bleibt besser zurück. Denn wie schon so oft in diesem Spiel, könnt ihr nichts tun, womit ich nicht gerechnet hätte.» Er wandte sich wieder an Hinata. Seine Worte waren ehrlich und echt. «Alles, was ich sagen kann ist Folgendes: Keine einzelne meiner Taten war je persönlich an dich gerichtet. Die Lebenszeit der Riots war eine durchgetaktete Show mit viel Berechnung des Regisseurs. Du warst lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort.» Sein Blick wurde weich. «Ich habe eine gute Zeit mit dir verbracht. Auch wenn du jeglichen Affekt nur gespielt oder aus anderen Gründen gezeigt hast – wären die Umstände anders, wären wir vielleicht sogar Freunde geworden. Wer weiss.» Dieses Plädoyer traf Hinata hart. Denn Ayato sprach aus, was ihr tiefstes Inneres auch dachte. Wären sie zwei normale Menschen im normalen Alltag gewesen, dann hätten sie sich bestimmt gut verstanden. Aber nichts an ihren Umständen war normal. «Es war mir eine Freude, Hinata Hyuuga.» Er schenkte ihr ein ehrliches Lächeln und nickte ihr zu. Fast, als wolle er ihr seine Anerkennung ausdrücken. Ein Schritt zurück und er stand vollkommen am Abgrund. Ein kräftiger Windstoss würde reichen, um ihn aus der Balance zu bringen. Auf dem Platz unten war inzwischen die Hölle los. «Big Fox, denk immer daran: Ihr seid eine Elite-Gang. Und nur ihr könnt daran was ändern.» Er wandte sich an Sasuke. «Demon, das gilt auch für dich. Ich werde Suguha Grüsse von dir ausrichten. Sofern ich nicht in der Hölle lande, aber an den Quatsch glaube ich nicht.» Es atmete tief ein uns wieder aus. «Das hier ist das Ende der Show. Es war mir eine Freude, mit euch zusammenzuarbeiten. Und vielleicht ertappt ihr euch irgendwann in der Zukunft mal, wie ihr an meine Worte denkt. Die Riots haben Konoha verändert, ob ihr es einsehen wollt oder nicht. Die Stadt ist nicht mehr, was sie vor einem Jahr war. Und sie wird in einem Jahr nicht mehr dieselbe sein, wie jetzt. Das ist meine Vision. In meiner Hand liegt es jedoch nicht mehr.» Inzwischen zitterte seine Stimme. Das erste Mal konnte Hinata Angst in seinen Augen sehen. Denn was nach diesem Leben kam, entzog sich selbst seiner Intelligenz und Voraussicht. «Ayato… ich bitte dich…», sagte sie und hörte ihre eigene Stimme versagen. Naruto und Sasuke machten nun doch einige Schritte vorwärts, die Ayato zwar registrierte, aber nicht direkt reagierte – er wusste, dass es zu spät war. «Denkt an das Vermächtnis der Jaguar Riots», sagte er. «Denn von jetzt an wird nichts mehr sein, wie es gewesen ist.» Ein Anflug eines zufriedenen, ruhigen Lächelns. Hinata hechtete nach vorne, rutschte auf den Dachziegeln aus, fiel hin, stand wieder auf und streckte ihre Hand nach Ayatos Arm aus. Sie spürte an ihren Fingerspitzen den Stoff seines Ärmels, der ihr entglitt, als Ayato übertrat und auf einmal aus ihrem Sichtfeld verschwunden war. In ihren Ohren dröhnte das Heulen des Windes, als sie hart auf dem Dach aufschlug und nun jeglichen Halt verlor.   00:21 Uhr, auf dem Weg an einen unbekannten Ort   In einem Bruchteil von Sekunden rasten Ayato Kirishima Millionen von Gedanken durch den Kopf. Bilder aus seiner Kindheit, von den schönen, aber auch den vielen dunklen Zeiten. Am meisten sah er Suguhas wunderschönes Lächeln. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so frei gefühlt wie kurz vor seinem Tod. Es war, als könne er fliegen. Er fühlte sich leicht wie eine Feder und bis ins tiefste Innerste zufrieden. Keine Reue, keine Trauer, keine Wut. Nicht von alledem war noch wichtig. Denn jetzt war es endlich vorbei. Endlich konnte er ruhen, in dem Wissen, dass er gekämpft hatte. Gekämpft für ein besseres Konoha, vielleicht sogar für eine bessere Welt. Und das erfüllte ihn mit so viel Ruhe. Er fiel Suguha entgegen, die ihre Arme mit einem warmen Lächeln im Gesicht nach ihm ausstreckte. Er hatte nie ein zu Hause gehabt. Und jetzt? Es war wie nach Hause kommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)