Konoha Gangs II: Game On von ximi (Das Spiel hat gerade erst begonnen) ================================================================================ Kapitel 43: Feuer und Rauch --------------------------- 22:35 Uhr, Kellergewölbe Halle 3   Das Knistern der Flammen hatte fast eine beruhigende Wirkung auf ihn. Nachdem er und Hinata sich in dem aussichtslosen Befreiungsversuch die Arme wundgescheuert hatten, war ihre Wut und das Adrenalin in ihrem Blut einer seltsamen Ruhe gewichen. Vielleicht war es der Mangel an Sauerstoff, vielleicht die Tatsache, dass es aus ihrer Lage kein Entrinnen mehr gab. Und eigentlich war es auch egal. Naruto hätte nicht geglaubt, dass es einmal so mit ihm enden würde. In einer Gang musste man mit dem Tod rechnen. Aber Tod durch Ersticken? Das hatte er sich dann doch anders vorgestellt. Dass er im Kampf starb, während er Seite an Seite mit seiner Gang kämpfte und er für sie alles opferte, so in dieser Art. Und jetzt? Es war etwas ironisch, dass er nun in einem schmutzigen Keller an eine Säule gefesselt war, während ihm der Geruch von Rauch und Benzin in die Nase stieg und das vermutlich das Letzte war, was er jemals einatmen würde. Keine Möglichkeit, irgendetwas beeinflussen zu können, was passierte. Und doch wusste er, dass sein Tod eine Bedeutung haben würde. Nicht jene, die er sich ursprünglich ausgemalt hatte. Aber eine ganz andere, mit der er nicht gerechnet hatte. Was Hinata betraf, hatte er auf der ganzen Linie versagt. Als Gang-Leader und Freund. Sie hatte still vor sich hin gelitten und alles ertragen, was Crow ihr aufgebürdet hatte. Währenddessen hatten sie, die Kuramas und er, an ihr zu zweifeln begonnen. Ihr Schauspiel war überzeugend gewesen, doch eigentlich hätten sie es wissen müssen – wissen müssen, dass Hinata sie niemals aus freien Stücken verraten hätte. Und selbst als sie auf der Seite ihres Feindes gestanden hatte, war sie darauf fokussiert gewesen, ihre Gang so gut wie möglich zu schützen. Crow hätte sehr viel mehr Schaden anrichten können, hätte sie ihm alles gesagt, was sie wusste. Und er? Er hatte gezweifelt, bis ihm ein kleines Kind die Leviten gelesen hatte. Es hatte einen Zeitpunkt gegeben, an dem er keine Möglichkeit mehr gesehen hatte, sie zu retten. Und Konohamaru hatte ihn vom Gegenteil überzeugt. Das Schlimme daran war, dass er zu diesem Zeitpunkt wirklich geglaubt hatte, dass sie sie verraten hatte. Sein Ziel war es gewesen, sie wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Sein Vertrauen in sie war nicht stark genug gewesen. Und allein das war eine Schande. Er bereute auch seine Worte von heute. Als er ihr seine Zweifel ins Gesicht geworfen hatte, indem er vor allen ausgedrückt hatte, dass er nicht mehr sicher war, wo Hinata wirklich stand. Ja, er hatte versagt. Und dass Hinata mehr als nur Freundschaft für ihn empfunden hatte, war ihm auch entgangen. Dabei wäre es offensichtlich gewesen, das erkannte er im Nachhinein auch. Aber er hatte wohl viel zu sehr in seinem eigenen Film gelebt. Jetzt war ihm bewusst, was für eine beeindruckende Person Hinata Hyuuga war. Mit welcher Hingabe sie jene beschützen wollte, die ihr wichtig waren. Ihm war immer klar gewesen, dass sie ein wunderbarer Mensch war. Doch hatte er nie darüber nachgedacht, was er für sie empfand. Die Zeit, in der Hinata bei den Riots gewesen war, hatte ihn jedoch einiges über sich selber lernen lassen. Es war traurig und er sollte sich schämen dafür, aber erst durch diesen vermeintlichen Verrat hatte er sie erst richtig wahrzunehmen begonnen. Sie war nie die auffälligste Person gewesen und er hatte sie geschätzt, aber trotzdem war sie für ihn nicht mehr als nur ein Gangmitglied gewewsen. Und ihm war vollkommen bewusst, dass er sie damit verletzt hatte. Ja, vielleicht hätte sie ihn sogar um Hilfe gebeten, wenn er ihr signalisiert hätte, dass sie ihm nicht egal war. Vielleicht auch nicht. Es spielte keine Rolle, er hätte aufmerksamer sein müssen. Naruto hatte sie im Stich gelassen. Aber wenigstens jetzt, in ihrer dunkelsten Stunde, war er da. Sie hatte nicht gewollt, dass er mit ihr zu Crow kam. Doch die Zeit, in der sie sich diesem kranken Typen alleine stellen musste, waren vorbei. Auch wenn sie sterben würden, hatte es für ihn etwas Tröstliches, sie bei sich zu wissen. Und er hoffte, dass es ihr auch so ging. Hoffte, dass er ihre verbleibende Zeit nutzen konnte, damit sie auch etwas Trost erfahren durfte. Hinata neben ihm war ganz still geworden. Er konnte sich vorstellen, was in ihrem Kopf gerade alles passierte. «Es tut mir auch leid, Hinata.» Sie hatte sich vorhin bei ihm entschuldigt, dabei war es gar nicht an ihr gewesen, sich zu entschuldigen. Es schien, als habe er sie mit diesen Worten aus tiefen Gedanken gerissen. Sie brauchte einen Moment, bis sie antwortete. «Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest.» Die Reue und Resignation in ihrer Stimme waren unüberhörbar. «Doch. Ich weiss, dass ich in all der Zeit vor dieser ganzen Scheisse hier nicht wirklich… aufmerksam war. Ich lebte in einer Welt, in der es nur den ewigen Schlagabtausch zwischen Kuramas und Takas gab. Das war meine Priorität. Und alles andere, manchmal auch meine eigenen Leute, habe ich links liegen gelassen. Das war nicht gut.» Hinata schüttelte ganz langsam den Kopf. «Das stimmt nicht. Du warst immer bemüht um deine Leute. Mehr als jeder andere Leader. In dieser Hinsicht konnte dir Itachi das Wasser nicht reichen. Und Sasuke auch nicht.» Naruto hatte sich in vergangener Zeit nicht viel aus Frauen gemacht. Er hatte schlichtweg andere Dinge im Kopf gehabt. Und über Gefühle anderer zu reden, war für ihn eigentlich einfach. Aber über die eigenen… das war eine ganz andere Sache. «Falls du jemals geglaubt hast, du seist mir egal… dann tut es mir wirklich leid. Du bist mir nicht egal. Warst es nie.» Die Worte trafen Hinata unerwartet. Damit schien sie nicht gerechnet zu haben. «Und ich will ehrlich zu dir sein… du warst für mich eine Kurama wie jede andere – ein wichtiger Teil der Gang, unentbehrlich. Aber mir wäre nicht im Traum in den Sinn gekommen, darüber nachzudenken, ob da vielleicht noch mehr ist.» Der Rauch wurde langsam dichter. Naruto schwitzte, denn die Temperatur im Raum stieg stetig an. Auch auf Hinatas Gesicht glänzten Schweissperlen. «Ich weiss, es ist reichlich spät… oder eben zu spät.» Er nahm all seinen Mut zusammen und sah sie bei diesen Worten an, während er bisher nur vor sich in die Leere gestarrt hatte. «Aber ich habe durch die Ereignisse der letzten Zeit gesehen, was für eine aussergewöhnliche Person du bist. Nicht einfach eine Kurama. Sondern eine starke und unglaublich loyale Person, die alles daransetzt, dass es ihren Leuten gut geht. Ich weiss nicht, ob andere an deiner Stelle ausgehalten hätten, was du ausgehalten hast. Ob sie getan hätten, was du getan hast.» Hinata hielt den Blick gesenkt, doch sie wirkte mehr als nur überrascht. «Du sollst nur wissen, dass ich nicht mehr ganz so blind bin, wie noch vor einem halben Jahr.» Eine Weile lang sagte sie nichts. Neben ihnen knisterten die Flammen, die Luft wurde zusehends heisser und der Rauch dichter. Ein Blick zur Seite und er sah, dass ihre Augen glänzten. Wenn er irgendetwas hätte tun können, um ihr die Angst vor dem zu nehmen, was ihnen bevorstand, hätte er es getan. Aber er konnte nicht, weil er selber Angst hatte. Inzwischen kratzte sie der Rauch bei jedem Atemzug im Hals. Hinata hustete leise. Und dann sagte sie endlich etwas. «Ich fühle mich schmutzig, Naruto. Als ob ich mich selber verkauft hätte. Ich habe immer meine Komfortzone gehabt, die ich nie verlassen habe. Ich wollte immer die unschuldige Hinata sein, denn so fühlte ich mich wohl. Und jetzt bin ich die Maulwurf-Hinata. Jene, die die Riots in ihren Taten unterstützt hat. Ich habe Riots rekrutiert, einige habe ich trainiert und in die Gang eingeführt. Ich war kalt zu ihnen, habe zugesehen, wie sie gelitten haben, wenn Leute wie Runch sie geplagt haben. Und in meinem Ziel, Crows Vertrauen zu gewinnen, habe ich alles zugelassen. Alles, was er wollte.» Hinata schwitzte, aber Naruto sah deutlich, dass da auch Tränen waren, die im Licht der Flammen glänzten. «Ich habe mich selber aufgegeben. Mir meinen eigenen Wert abgesprochen, damit ich fähig war, das alles zu tun. Ich fühlte mich wie eine leere Hülle, gefüllt mit Stimmen, die mich in tausend verschiedene Richtungen bewegen wollten.» Sie unterdrückte ein Schluchzen. «Ich habe mich selber verloren. Und es war alles umsonst.» Naruto wollte etwas erwidern, aber ihre Worte trafen ihn tief. So tief, dass er sie zuerst wirken lassen musste. «Das alles hätte nicht so weit kommen dürfen. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen.» Sie sagte das fast zu ruhig. Aber wenn er es sich recht überlegte, brachte sie Verzweiflung auch nicht weiter. Denn hier kamen sie nicht raus, es sei denn irgendjemand schaffte es noch, sie hier rauszuholen. Und diese Hoffnung schwand mit jeder Sekunde. Feine Tränen hinterliessen Spuren auf ihren Wangen. Und Naruto war sich inzwischen nicht sicher, ob das dem Rauch oder ihrem bevorstehenden Schicksal geschuldet war, denn auch seine Augen brannten. Es half ein wenig, sie zu schliessen. «Ich nicht», war seine Antwort. «Du bist durch die Hölle gegangen. Und du würdest am liebsten rückgängig machen, was geschehen ist. Das verstehe ich und ich würde es für dich tun, wenn ich könnte. Aber die Dinge sind nun mal geschehen, verdammt. Und auch wenn du es jetzt noch nicht glaubst, Hina, dann werden die Kuramas stärker aus dieser Sache rauskommen, als sie je zuvor gewesen sind. Wir würden es auch. Aber wir sind nicht gerade in einer vielversprechenden Position.» Er dachte nach. «Konoha verändert sich, auch wenn das nur zu einem Teil Crows Verdienst ist. Und mit der Stadt verändern sich die Menschen.  Lass mich dir einfach sagen, dass nichts, was du getan hast, umsonst war. Denn am Ende macht alles einen Sinn. Da bin ich sicher.» Er machte eine kurze Pause. «Nur etwas stimmt nicht: Du solltest nicht hier sein. Dann könnte ich vielleicht sogar meinen Frieden mit dieser Situation schliessen. Denn du bist alles andere als schmutzig, auch wenn du dich so fühlst.» Jetzt gab auch er dem Hustenreiz nach. Inzwischen konnte er die Türen am Ende des Raumes durch die Rauchschwaden kaum mehr sehen. «Nein.» Sie schüttelte langsam den Kopf. Ihr Mund war zu einem bitteren Lächeln verzogen. «Das stimmt schon so.» Der Rauch vernebelte ihm langsam aber sich die Sinne. Er spürte, wie mit jedem Atemzug weniger Sauerstoff in seine Lungen gelangte. Nachdem er vorhin noch wie ein Wilder an seinen Ketten gezogen hatte, war daran nun kaum mehr zu denken. Er wurde träge. «Tust du mir nur einen Gefallen?», fragte sie so leise, dass er sie nur noch knapp verstand. «Klar. Wenn ich kann.» Sie hustete erneut und jetzt dauerte es einen Moment, bis sie sich wieder davon erholte. Er schaute sie erwartungsvoll an. Hinata bedachte ihn mit dem Blick einer Frau, die nichts mehr zu verlieren hatte. Er wusste gar nicht, wie ihm geschah, als sie sich langsam auf seine Seite lehnte, ihren Kopf zu ihm hochstreckte und ihn dann ganz kurz auf den Mund küsste. Es war ein flüchtiger Moment, fast schon glaubte er, er hätte sich das in seinem Rauchrausch nur eingebildet. Aber dieser ganz besondere Blick war immer noch da. Sie lächelte und er erkannte ein tiefes Bedauern darin. Aber irgendwie auch einen gewissen Frieden. «So muss ich wenigstens etwas nicht bereuen», sagte sie und war schon im Begriff, sich von ihm abzuwenden, als nun er die Initiative ergriff, sich zu ihr hinunterbeugte und wiederholte, wozu Hinata sich ein Herz gefasst hatte. Mit dem Unterschied, dass sie sich dieses Mal nicht gleich wieder voneinander lösten. Er genoss das Gefühl von Wärme und der Nähe zu ihr, auch wenn ihre Lage alles andere als kuschelig war. Er spürte ein Kribbeln in seinem Körper, das sich zwar gut anfühlte, aber ihm auch bewusst machte, dass es wohl die letzte schöne Empfindung war, die er in diesem Leben haben würde. Dann schaute er ihr wieder in die Augen. Sie weinte stille Tränen. Und auch ihm liefen Tränen über die Wangen. Aber das war wegen dem Rauch. Ganz klar. Hinata lehnte sich an seine Schulter und er legte seine Wange an ihr weiches Haar. Dieser seltsame Frieden überkam sie. Bis die Luft so dick war, dass sie nicht mehr atmen konnten.   22:39 Uhr, Zentrale   Für Kakashi Hatake war es vorbei mit dem ruhigen Sitzenbleiben. Wie ein nervöses Tier tigerte er in dem Van umher, dem die Zentrale der Operation innewohnte. Neben ihm sassen Sarutobi und Mitarashi an den Bildschirmen. Diese übermittelten die Aufnahmen von vier Kameras, die sie an verschiedenen Punkten der Mauer angebracht hatten, um wenigstens von aussen etwas zu sehen. Der Kampf war im Gange, doch er fand grösstenteils innerhalb von Halle 4 statt – und vermutlich darunter. Denn was sie zu sehen bekamen, war nur die Spitze des Eisbergs. Er fühlte sich schlecht bei dem Anblick. Da kämpften junge Frauen und Männer, die rein gar keine Verpflichtung hatten, auch nur irgendetwas gegen die Riots zu unternehmen. Sie riskierten ihr Leben, um dieser verfluchten Stadt aus der Klemme zu helfen. Und er? Er sass in dem bescheuerten Van und konnte nichts anderes tun, als zu warten. Und mit jeder Minute, die verstrich, stieg der Drang, sofort in die Situation einzugreifen. Doch Shikamaru Nara, der momentan das Kommando über die Gangs hatte, blieb hart. Solange er nicht wusste, wo Crows Druckmittel waren und ob er überhaupt noch welche hatte, verbot er den Profis, einzugreifen. Hatake konnte diesen Entscheid nachvollziehen. Schlussendlich hatte die Polizei auch nur wegen den Geiseln das Feld geräumt. Aber jetzt? In Hatakes Kopf leisteten sich zwei moralische Standpunkte einen Schlagabtausch. Wie viel war das Leben einer Geisel wert, wenn dabei so viele andere junge Menschen starben oder verletzt wurden? Ganz rational gesehen, müssten sie eingreifen. Das mit dem Risiko, eine Person zu verlieren. Aber Hatake wollte in dieser Hinsicht nicht rational denken. Bewusst jemanden für das grössere Wohl opfern? Das klang wie etwas, was Ayato Kirishima machen würde. Hatake konnte das schlichtweg nicht. Doch egal, was er machte, er würde verlieren. «Ganz ruhig, Kakashi», kam es von Anko, die in ihrem beruhigenden Singsang sprach. Sie hatte das Talent, selbst in den schlimmsten Situationen Ruhe zu bewahren. «Vertrau ihnen. Sie haben mehr Erfahrung in dem, als wir ihnen zutrauen. Sie können mehr, als sich in Bars und Clubs prügeln oder Unruhe stiften. Auch wenn wir sie von früher nur so kennen.» Sie hatte ja recht. Wenn das hier gelingen sollte, wenn dieses Monster heute Nacht erlegt werden sollte, dann nur, wenn er auf das Urteil seiner Mitstreiter vertraute. Seine Mitstreiter waren Gangkinder. Aber die Mehrheit von ihnen hatte bereits mehr in ihrem Leben gesehen, als die meisten anderen Menschen.   22:45 Uhr, Kellergewölbe, erstes Untergeschoss Halle 1   Sakuras ganzer Körper schmerzte, als sie auf dem Boden zu Yohei hin rutschte. Ihr Bein und ihr Arm fühlten sich an, als würden sie demnächst explodieren und ihr Rücken, der unter der zerschlissenen Jacke vermutlich mit Kratzern und Schnitten übersät war, brannte wie die Hölle. Selbst auf ihren Lippen schmeckte sie Blut. Yohei hatte sich gegen die kalte Betonwand gelehnt und die Augen geschlossen. Aber er atmete. In seinem Gesicht konnte sie Erleichterung lesen. Auch wenn sein Zustand alles andere als ein Anlass dazu war. Der Kampf hatte brutale Spuren hinterlassen. Eine aufgeplatzte Lippe, Kratzer an jeder Stelle, die nicht von Kleidern geschützt worden war, Platzwunden am Kopf und so viel Blut. «Yohei…», stiess sie zwischen zwei abgehackten Atemzügen hervor. Sie versuchte mit aller Kraft, ihr Schluchzen zu unterdrücken, doch das führte dazu, dass sie in eine Art Schnappatmung verfiel. Er nickte fast unmerklich, um ihr zu signalisieren, dass er noch da war. In ihrer Situation gab es keine Worte, die irgendwie beschrieben, was gerade passiert war. Nichts, dass sie beruhigen oder trösten konnte. Arrows lebloser Körper lag wie ein Mahnmal neben ihnen und Sakura versuchte, ihn nicht anzusehen. Er hätte uns beide getötet, redete sie sich ein. Das hätte er bestimmt. Oder? «Wir müssen hier raus…», murmelte Tomcat, auch wenn Sakura nicht wusste, wie sie das in ihrer Verfassung bewerkstelligen sollten. «Kannst du aufstehen?», kam es ihr leise über die zitterigen Lippen. Er zuckte mit den Schultern und nahm einen Anlauf, um auf die Beine zu kommen. Doch schon bei der ersten Bewegung zuckte er zusammen. Sakuras Kopf war im Moment nicht zu vielem im Stande, aber etwas wurde ihr dabei sofort klar. «Bist… du sonst noch irgendwo verletzt?» Er zuckte wieder die Schultern. Als ob er seinen eigenen Körper nicht mehr spüren würde. Rasch rutschte sie näher und musste dabei all ihre Kraft aufbringen, um nicht vor Schmerz zu wimmern. Im schummrigen Licht konnte sie nicht viel erkennen. Also streckte sie den Arm aus und tastete seine Schultern und seinen Oberkörper ab. Yohei liess es über sich ergehen, fast, als hätte er nicht die Kraft, auch nur irgendwie zu reagieren. Und dann, als sie in seine Bauchregion gelangte, spürte sie etwas Warmes. Nasses. Das Blut war auf seinem schwarzen Kapuzenpullover bei der schlechten Beleuchtung nicht zu sehen gewesen, aber sie spürte mit ihren eigenen Händen, dass unter einem Schnitt im Pullover eine grobe Wunde sein musste. Arrow hatte ihn also mit dem Messer erwischt. Sakuras Herz begann zu rasen, denn schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie in besserer Verfassung als Yohei war. Und dabei konnte sie nicht einmal richtig laufen. Sie riss seinen Pullover hoch, nur um die vermutete böse Stichwunde in ihrer ganzen Pracht zu sehen. Ein Verband würde nicht viel bringen, denn Yohei blutete somit bestimmt auch innerlich. Trotzdem zog sie den Reissverschluss ihrer Jacke runter, schnappte sich in Arrows Messer und schnitt einen ganzen Streifen davon ab. In dem Raum gab es allerlei Schutt und Müll, doch davon eignete sich nichts für einen Druckverband. Sie robbte zu Yoheis Rucksack, der etwas abseits im Gang lag und suchte noch während sie zurückrutschte bereits nach etwas Brauchbarem. Sie fand einen Geldbeutel, dessen Grösse und Gewicht etwa reichen sollte. Mit dem Beutel als Druckgegenstand, legte sie den Verband an und band ihn Yohei so gut wie möglich um den Oberkörper unter seinem Pullover. Ihr verletzter Arm tat zwar höllisch weh, aber sie konnte den Verband schlecht mit nur einem Arm anlegen. Danach schnitt sich noch einen zweiten Stoffstreifen vom Shirt ab, um ihn so zu fixieren, dass er hoffentlich Bewegung standhalten konnte. Zwei weitere Stoffstreifen wickelte sie sich mit zusammengebissenen Zähnen um die Schusswunde an ihrem Bein und um die Einstichstelle an ihrem Arm. Das Messer liess sie danach in der Tasche ihres Kombis verschwinden. Stünde sie nicht komplett unter Adrenalin und Schock, wäre sie vermutlich vor lauter Angst und Schmerzen zusammengebrochen. «Yohei, bist du noch da?», fragte sie. Er nickte. «Der Bauch, ja? Ich spüre es.» Sakura wurde auf einmal wieder gewahr, dass sie sich hier in einem Keller der Riots befanden und somit auch Gefahr liefen, dass sie entdeckt wurden. Und gegen weitere Gegner würden sie sich so auf keinen Fall zu Wehr setzen können. Sie lehnte sich gegen die Wand neben Yohei und versuchte, sich mit ihrem gesunden Bein Stück für Stück nach oben zu stossen und dabei auch nur den unversehrten Arm zu benutzen. Ihr Rücken brannte aufgrund der Reibung noch mehr und sie spürte, wie sich der übriggeblieben Stoff des Shirts in ihre Kratzwunden drückte. Es brannte wie Feuer. Doch am Ende stand sie. Zittrig und nur auf dem linken Bein, aber sie stand. Sie nahm Yoheis Rucksack auf den Rücken. Er schien inzwischen wieder etwas bei sich zu sein und griff nach der Waffe, die er sicherte und sich dann in die Hosentasche steckte. «Ich helfe dir jetzt hoch. Schaffst du das?» Er nickte erneut. In ähnlicher Manier wie sie vorhin schob er sich langsam an der Wand hoch und Sakura unterstützte ihn so gut sie konnte. Sein linkes Bein war von einem Messer verletzt worden, schien aber besser belastbar zu sein, als ihr rechtes Bein mit der Schusswunde. Deshalb stand er zwar schneller, aber er litt trotzdem sichtlich mehr Schmerzen und stand danach nicht stabil. In gebeugter Haltung lehnte er an der Wand und atmete schwer, unterdrückte so gut er konnte den Drang, seinen Schmerz hinauszuschreien. Er hielt mit einer Hand seine Bauchwunde, um sie nicht noch mehr als nötig zu strapazieren. Er stand nicht viel sicherer auf den Beinen als sie, aber wenn sie sich stützten, dann konnten sie es vielleicht schaffen. Sie legte einen Arm um ihn und gab ihm dadurch Halt an den Schultern, während er ihr so mit seinen kräftigeren Beinen einen sichereren Stand vermitteln konnte. Gemeinsam machten sie die ersten Schritte Richtung Tür, wobei Sakura mehr hüpfte, als dass sie ging. Sobald sie ihr Bein zu sehr belastete, sah sie vor lauter Schmerz nur noch Sternchen. Aber sie kamen voran. Zwar langsam, aber immerhin. Mit zusammengebissenen Zähnen kamen sie bis zur Tür, doch bereits da mussten sie einen kurzen Moment Pause machen, da sie sonst beide zusammengebrochen wären. Sakuras Herz setzte für einen kurzen Moment aus, als die Tür sich nicht öffnen liess. Wenn diese Tür verschlossen war, dann würde Tomcat hier unten verbluten. Und sie vielleicht auch. Doch beim zweiten Versuch ging die Tür auf – der Widerstand war dem Gewicht der Tür verschuldet gewesen. Sie hielten einander gegenseitig die Tür auf und zwängten sich durch. Ihre Erleichterung schwand rasch als sich ihnen der Blick auf eine Treppe eröffnete, die in ihrem Zustand vermutlich noch länger aussah, als sie effektiv war. Immerhin gab es ein Treppengeländer, an dem sie sich hochziehen konnten. Es war reine Tortur, doch ihr Wille liess sie nicht aufgeben. Sie keuchten beide, als sie oben ankamen. Sakura hätte sich beinahe auf den Boden übergeben, so übel war ihr vor Anstrengung und Schmerz. In ihrem Kopf hämmerte der Puls viel zu schnell. Ein Blick zurück zeigte eine Blutspur, die sie beide auf dem Beton der Treppe hinterlassen hatten. Doch Sakura war nicht imstande, an irgendetwas anderes als Yoheis Wunde zu denken. Sie mussten schleunigst zum Lazarett. Leute überleben andauernd Stichverletzungen. Vielleicht war der Schaden kleiner, als er aussah. Die Treppe mündete in Halle 1, die wie ausgestorben war. Zwar zeugten einige Bierdosen und anderer herumliegender Müll zwischen dem Schutt davon, dass hier von nicht allzu langer Zeit noch Leute gewesen waren. Aber jetzt konzentrierte sich die Ansammlung der Riots zu ihrem Glück auf einen anderen Ort. Yohei war kaltschweissig und seine Atmung ging schnell. Aber sein Blick war entschlossen. Und auf seltsame Weise friedlich. «Können wir weitergehen?», fragte sie ihn mit zittriger Stimme und er nickte. Sie gingen an Gerümpel, alten Kisten und verstaubten Regalen vorbei. Ganz langsam und immerzu nach Halt suchend. Sie konnten von Glück reden, dass ihnen bis jetzt noch keine Riots begegnet waren. Aber an diese Möglichkeit dachten sie beide im Moment nicht. Sie waren zu beschäftigt damit, einen Fuss vor den anderen zu setzen, möglichst keinen Laut von sich zu geben und nicht über Schutt und Müll zu stolpern. Sakura wünschte sich ein Kurama oder ein Taka her, der sie entdeckte und sie rausbringen konne. Aber es half nichts – sie waren auf sich allein gestellt. Denn wo keine Riots waren, hatten die beiden anderen Gangs auch nichts verloren. Sie befanden sich auf der Hälfte ihres Weges, mitten in der Halle, als Yoheis Gewicht auf einmal nur noch an ihr hing, weil seine Beine nachgaben. Sakura konnte ihm nicht standhalten und war gezwungen, ihr verletztes Bein auch voll zu belasten. Einen Schmerzenslaut konnte sie dabei nicht unterdrücken. Zwar konnte sie ihm nicht den nötigen Halt geben, um stehen zu bleiben, aber zumindest konnte sie seinen Fall abfangen und ihn langsam zu Boden gleiten lassen. «Yohei», flüsterte sie mit erstickter Stimme. «Yohei, geht’s?» Durch die schmutzigen Oberlichter drang Licht von entfernten Scheinwerfern. Darin konnte sie erkennen, dass sein Gesicht richtig bleich war. Sie tastete nach seiner Stirn – eiskalt. «Geht… geht gleich wieder…», murmelte er, doch seine Augen waren nur noch halb geöffnet. Sakura überkam Panik. Yohei war sehr viel schlimmer verwundet, als sie. Und wenn er nicht mehr gehen konnte, dann war es für sie in ihrem Zustand nicht möglich, ihn nach draussen zu bringen. «Es ist nicht mehr weit», sagte sie und ihr gelang es nicht ihre Angst nicht in ihrer Stimme durchdrücken zu lassen. «Komm, Yohei, wir kriegen das hin! Wir sind viel zu weit gekommen, als dass wir hier aufgeben können!» Er versuchte, wieder aufzustehen, doch es war, als wäre jegliche Kraft aus seinem Körper gewichen. Sakura tastete nach seinem Verband, der völlig von Blut durchtränkt war. Und in diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie nur eine Möglichkeit hatte: Sie musste ihn hier zurücklassen und es bis zum Tor schaffen. Dann konnte man ihnen helfen. Doch bis dahin war es noch ein ganzes Stück Weg. Wie sie das bewerkstelligen sollte, daran wollte sie gar nicht denken. Ich kriege das schon hin.   22:54 Uhr, Kellergewölbe, zweites Untergeschoss, Halle 2   Sasuke verfluchte diesen Keller und diese beschissenen Riots zum zigsten Mal in dieser Nacht. Vor ungefähr einer Viertelstunde war er mit seinen Leuten mitten in einen Kampf reingelaufen. Die Riots hatten ihn natürlich sofort erkannt und hingen auf einmal wie Magnete an seinen Fersen. Glücklicherweise waren hier auch noch andere Kuramas und Takas. Somit waren er und seine zwei Kurama-Begleiter nicht alleine. Doch der Kampf dauerte an und er forderte auch seinen Tribut. Sie hatten sie besiegt, ja das hatten sie, aber der Preis war fatal. Zwei Schwerverletzte, ein Leichtverletzter und zwei Tote. Dazu zehn kampfunfähige oder tote Riots. «Schafft sie hier raus. Alle, die noch leben», wies Sasuke sechs seiner Leute an. Seine Kurama-Begleiter waren zu stark verletzt, um ihn weiterhin auf der Jagd nach Sakura zu begleiten, deshalb wies er vier Takas an, mitzukommen. Darunter waren Shion und Sasori. Und es war nicht so, als würde keiner von ihnen bluten. Aber das waren kleine Wehwehchen im Vergleich zu den anderen. Sasuke hatte auch einiges abbekommen. Seine Stirn blutete, sein linker Arm schmerzte bei jeder Bewegung, weil einer der Riots ihn übel verdreht hatte. Überhaupt waren seine Arme zerkratzt und brannten, aber es war ihm egal. Noch waren sie hier nicht fertig. «Kontrolliert jeden Raum. Wenn sie da unten ist, finden wir sie», wies er seine Leute an. Er prüfte, ob seine Pistole noch Kugeln geladen hatte. Sie bogen in einen Gang ab, der in Richtung von Halle 1 führen musste, wenn ihn nicht alles täuschte. Und er war sich sicher, dass auf dem Weg noch weitere Gegner warteten.   22:56 Uhr, Schulung und Verwaltung   Der unterirdische Gang zum Verwaltungsgebäude und der Kantine waren gut versteckt – ganz im Gegensatz zu den Verbindungsgängen der einzelnen Hallen. Es verhielt sich dabei ähnlich wie mit den verstecken Eingängen zum zweiten Untergeschoss, er befand sich hinter einem Schrank, der nur eine Attrappe war. Sie liessen die Hallen hinter sich und bewegten sich schnell in Richtung der Verwaltung. Schliesslich hatte Crow nicht die Intention, Opfer seines selbstverschuldeten Chaos zu werden. Hinatas kleine Schwester neben ihm verhielt sich relativ still, was mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit an ihrem Schock und den Waffen lag, die sie mitführten. Nur zeitweise hörte er ein ersticktes Schluchzen. Dabei musste sie gar keine Angst haben – denn für Hanabi Hyuuga hatte Crow nichts anderes geplant, als dass sie hier ziemlich unversehrt rausging. Das wusste sie aber noch nicht. Und dann hatte sie vermutlich noch Angst um ihre Schwester – durchaus begründete Angst, wie er zugeben musste. Es war eigentlich ganz leicht, Feuer zu legen. Man brauchte nur Benzin und brennbares Material, an dem sich das Feuer nähren konnte. In den Kellergewölben gab es nicht besonders viel davon, zumal die Wände und Böden betoniert waren. Aber die Keller konnte er auch ausräuchern. Und die Hallen? Die bestanden aus schönem, altmodischem Holz, das sich wunderbar für sein Vorhaben eignete. Denn am Ende sollte hier alles lichterloh brennen. Diese Stadt sollte die Jaguar Riots nicht so schnell vergessen. Vor etwa fünf Minuten hatte er den Stream wieder unterbrochen. Er würde seinen Gegnern bestimmt nicht verraten, wohin er des Weges war. «Hast du den Befehl durchgegeben?», fragte Crow in Crackers Richtung. Dieser nickte bestätigend und Crow musste unwillkürlich grinsen. Ihre Kommunikation über alte Handys funktionierte verdammt gut. Die antiken Nokia- und Motorola-Modelle erweisen sich einmal mehr als sichere Wege der Kommunikation. Crow war bereit, seine ganze Wut auf diese Stadt loszulassen. Das hier war das letzte, was als Leader der Riots tun würde und er wusste, es war glorios. Wenn diese Nacht vorbei war und der Morgen anbrach, dann war er entweder tot oder im Knast. Aber bereuen würde er nichts. In einer düsteren Zeit wie dieser interessierten sich die Menschen nicht füreinander. Reiche wurden auf Kosten der Armen immer reicher. Diejenigen, die nichts hatten, kämpften ums Überleben und kein Schwein interessierte es. Die Unterdrückten brauchten jemand, der sich für sie stark machte. Viel zu lange war über die Missstände einfach nur diskutiert worden. Viel heisse Luft, aber nichts hatte sich getan. Doch wie sagte man so schön? Wer nicht hören will, der muss fühlen? Es gab nur eine Gruppe von Menschen, die wirklich etwas gegen Konohas Sumpf unternehmen konnte. Und war, weil sie dafür verantwortlich war. Wie bewegte man die Elite dazu, ihren Arsch hochzubekommen und etwas zu tun? Ganz sicher nicht mit ständigem Reden und Betteln. Nein, es musste irgendwie dafür gesorgt werden, dass es in ihr Interesse rückte, die Zustände in der Stadt zu verbessern. Die Elite musste Angst davor kriegen, von einer wilden Meute vom Thron gestossen zu werden. Viele Gedanken gingen Ayato Kirishima durch den Kopf, als sie das Verwaltungsgebäude erreichten und sie in den dunklen Keller eintraten. Die meisten richteten sich auf die Zukunft. Und einige bittere an die Vergangenheit. Wenn er über Vergangenes nachdachte, dann war meistens auch Suguha Kudo mit von der Partie. Er erinnerte sich an ihr langes, dunkles Haar und die schönen braunen Augen. Sie war trotz allem immer optimistisch gewesen. Ihren eigenen Schmerz hatte sie beiseitegeschoben, um für die anderen da zu sein. Und sie hatte trotz allem immer viel gelacht. Sugu würde nie Gerechtigkeit erfahren. Aber er konnte dafür sorgen, dass die Welt sich noch einmal an das erinnerte, was ihr zugestossen war. «Cracker, deck die Kamera ab und schalte den Stream wieder ein», sagt er, als sie die Treppe in Richtung Erdgeschoss erklommen. Ich werde jetzt ein bisschen mit der Bevölkerung plaudern.»   22:46 Uhr, zweites Untergeschoss, Verbindungsgang Halle 4 & 3   Yahiko war noch nie in seinem Leben so schnell gerannt, wie in diesem Moment. Und das sollte etwas heissen, denn Yahiko rannte oft. In Kämpfen oder auf der Flucht vor der Polizei. Doch jetzt wusste er, dass jede Sekunde darüber entscheiden konnte, was mit Big Fox und Hinata passierte. Der Outer hatte ihm rasch geschildert, was unterirdisch von Statten gegangen war, während Yahiko mit seinen Leuten oben an der Halle gegen die Riots angekämpft hatte. Die beiden waren aufgrund eines dritten Druckmittels in Crows Hand gelangt und dass der nicht vorhatte, mit ihnen gemütlich ein Kaffee zu trinken, brauchte er niemandem zu erklären. Entweder würde er sie töten oder ebenfalls als Geiseln führen – wobei Yahiko langsam wirklich nicht mehr wusste, wie Crow in einer solchen Schlacht ein derartiges Geisel-Management betreiben wollte. Hinter ihm lief Konan, gefolgt von einer Gruppe von zehn Kuramas und Takas. Sie alle keuchten vor Anstrengung, nachdem sie ohne Unterbrechung gegen ihre Feinde angekämpft hatten. Crow hatte noch einmal all seine Geschütze hochgefahren. Sie erreichten das Untergeschoss von Halle 3. Das erste, was er roch, war beissender Rauch. Taka-Pain kombinierte schnell. «Scheisse!», fluchte er vor sich hin. Von Weitem kam eine Flügeltür in Sicht. Sie war alt und nicht bündig mit dem Boden – der Rauch drang durch den Spalt zwischen Tür und Boden. «Allesamt Mund und Nase schützen», ordnete er an. Die Ausrüstung der Polizei beinhaltete schwarze Masken aus Stoff, die sich bis zur Nase hochziehen liessen. Wer keine dabei hatte, riss sich geistesgegenwärtig ein Stück Stoff von den Shirts unter den Uniformen. Die Tür waren nicht abgeschlossen. Zuerst kamen ihm Rauchschwaden entgegen und gleichzeitig sah er, wie Flammen in die Höhe schossen, genährt von dem zusätzlichen Sauerstoff. Yahiko konnte die Silhouetten zweier Personen bei einer Säule ausmachen. Er sah Konan an. Sie sah unter ihrer Maske entschlossen aus. «Ich und Konan gehen voraus. Ukon und Tayuya kommen mit. Ihr anderen steht Schmiere. Gib mir deine Axt, Ukon», ordnete er an. Sie holten noch einmal tief Luft und dann traten sie in den Raum ein. Sie rannten so schnell sie konnten, fanden die Treppe, die auf die niedrigere Ebene hinunterführte. Der Rauch brannte in ihren Augen, noch war es aber auszuhalten. Sie erreichten Big Fox und Hinata. Rasch suchten sie nach ihren Fesseln. Yahiko brauchte drei Anläufe, um sie zu durchtrennen. Gut, hatte er einen Ukon mit seiner Axt mitgenommen. Die Eventualität von Fesseln hatte er miteingeplant. Die Ketten lösten sich und landeten mit einem Klirren auf dem Boden. Ukon und Tayuya schnappten sich Hinata, er und Konan luden Big Fox auf. Der Rauch kratzte in ihren Hälsen und gab ihnen im Ansatz zu verstehen, was Big Fox und Hinata durchmachten. Von Naruto kam ein leises Husten, doch Hinata war blieb vollkommen reglos. Sie schleppten die beiden so schnell wie möglich raus und versuchten dabei, nicht selbst dem giftigen Rauch zu erliegen. Die anderen öffneten ihnen die Tür und schlossen sie rasch wieder. Das Feuer würde nicht auslöschen, da immer noch Sauerstoff durch den Spalt unter der Tür drang, aber wenigsten konnten sie so den Rauch ein wenig zurückhalten. Sie keuchten und husteten, doch Priorität hatten Hinata und Big Fox. Crow hatte sie tatsächlich hier unten ersticken lassen wollen. Zeigte nur noch einmal mehr, wie vollkommen durchgeknallt der Typ war. Hinata rührte sich nicht, doch Fox hatte die Augen offen, die ganz gerötet waren. Er hustete, klang dabei aber nicht gut. Die Reizungen in seinem Hals musste ziemlich schlimm sein. Er sagte etwas doch es klang eher wie ein Hecheln, weil seine Stimme versagte. Und während der etwas zu sagen versuchte, sah er aus, als würde er demnächst selbst in Ohnmacht fallen. «Crow…», stiess er hervor und es klang, als stünde er nur ganz kurz vor einem Lungenkollaps. «Ganz ruhig, Fox», sagte Konan. «Feuer… überall.» «Er will überall Feuer legen?», fragte Konan. «Also quasi uns und seine eigenen Leute bei lebendigem Leib rösten und räuchern», schlussfolgerte Yahiko und wandte sich an seine Leute. «Auf mit euch. Wir müssen die beiden hier rausbringen und zwar sofort!» «Hanabi», röchelte Fox. «Hinas Schwester…» «Alles klar.» Und ihm war wirklich alles klar. Und auch wenn ihre Situation sich im Moment nicht wirklich zum besseren wandte, so fokussierte er sich auf ihr Ziel. Ruhe ausstrahlen, wenn um ihn herum alles immer schlimmer wurde, das konnte er. Während ihm zwei seiner Leute Big Fox abnahmen, schnappte er sich das Funkgerät. Es war an der Zeit, alle zu warnen, die noch gewarnt werden konnten.   22:53 Uhr, Halle 1   Mit Mühe und Not hatte Sakura Yohei hinter eines der Regale geschleppt, wo er zumindest einigermassen sichtgeschützt war. Nur für den Fall, dass Riots auftauchten. «Halt durch, Yohei.» «Ist… schon gut, Sakura», flüsterte er. «Lass mich einfach hier…» «Aber nur, um Hilfe zu holen. Du kommst hier raus, dafür werde ich sorgen!» Yohei schmunzelte, aber sein Gesicht war kreidebleich. «Schau einfach… dass du rauskommst.» Sakura wollte sich gerade am Regal hochziehen, doch da hörte sie, wie die Tür unterhalb der Treppe öffnete und Schritte laut wurden. Ihr Herz klopfte, als würde es gleich aus ihrem Brustkorb springen. Sie duckte sich hinter dem Regal und versuchte nur ganz leise zu atmen, doch sie wusste nicht, ob das reichte. Die Stimmen waren ihr fremd, doch sie klangen aufgebracht. Sakuras Griff um ihr Messer wurde fester. Yohei zog ganz vorsichtig, doch mit zittriger Hand seine Pistole. «Schnell, wir sind schon im Verzug!», rief eine Frauenstimme «Was ist da unten passiert?», fragte ein junger Mann, der offensichtlich wissen wollte, warum dort unten drei ausgeschaltete Riots lagen. «Wir sind in einer Schlacht, verdammt. Was hast du erwartet?» Sie hörte ein leises Gluckern. «Mach einfach deinen Job!» Der Mann antwortete nichts. Sie hörte ein Gluckern, wie wenn etwas Flüssiges ausgeleert würde, ein leises Klicken und dann ein Zischen. Sakura konnte Eins und Eins zusammenzählen – sie setzten gerade die Halle in Brand. «Hey, siehst du das Blut da?» «Ja und? Das war auch auf der Treppe. Da hat sich irgendein angeschossener Typ aus der Halle geschleppt.» «Nein, die hört dort auf, sieh!» Sakura schrie ihre Angst und Wut in sich hinein. Warum zur Hölle hatten die Riots die verdammte Spur bemerkt? Warum konnten sie nicht dieses Mal Glück haben? Sie waren beide angeschlagen. Yohei soweit, dass er sich kaum mehr rühren konnte. Wie sollten sie sich wehren? Ein Lichtkegel wanderte in ihre Richtung und sie hörte, wie ein Riot mit einem Klicken eine Waffe entsicherte. Was sollten sie denn jetzt tun? Sich totstellen? Glaubwürdig würde es auf jeden Fall aussehen, doch bei genauerer Betrachtung würden sie auch ihre Atmung bemerken. Sie spürte etwas Kaltes an ihrer Hand. Es war die Pistole, die Yohei ihr in die Hand legte. Sakura erschauerte. Passierte das alles gerade wirklich? Das konnte doch nicht sein. Ein kurzer Blickwechsel. Seine Augen sprachen eine stumme Entschuldigung aus. Sakura kniff die Augen zusammen, doch als sie sie öffnete, war sie immer noch da. Wie hoch standen die Chancen, dass sie ein weiters Mal gegen die Riots bestehen konnten? In diesem Moment war Sakura bereits, alles zu tun, damit Yohei und sie überlebten. Sie würde diesen Abzug drücken, ohne zu zögern. Viel zu weit waren sie gekommen, als dass sie hier einfach verenden würden. Doch war das wirklich schlau? Sie hatte viel zu lange keine Waffe mehr in der Hand gehalten und sie zweifelte daran, treffsicher genug zu sein. Und wenn sie schoss, dann würden die anderen auch schiessen. Gab es eine Möglichkeit, das zu verhindern? Die Regale warfen im orangefarbenen Licht des Feuers gespenstische Schatten auf den Boden. Sie hörte, wie die Schritte näherkamen. «Komm raus, wenn du nicht schon längst verreckt bist», hörte sie die Frau sagen. In ihrer Stimme lag zwar eine Drohung, aber auch Unsicherheit, da sie nicht wusste, wo ihr Gegner war. Die Riot konnte sie genauso wenig sehen, wie Sakura sie. Und die Blutspur war wegen all dem Gerümpel hier hinten nur schlecht sichtbar. «Bitte, helft uns», hörte sie sich laut genug sagen, damit die Riots es hören konnten. Sie drückte die Waffe wieder in Yoheis Hand. Dieser war sowieso nur noch halblebendig, doch in seinem Gesicht sah sie ein einziges grosses Fragezeichen. Möglicherweise hatte sie gerade ihr Todesurteil gesprochen. «Ich habe hier Tomcat und er ist schwer verletzt.» Die Riot trat in ihr Sichtfeld, die Waffe erhoben. Ihr Blick wanderte verächtlich über ihr rosa Haar, dann über ihre geschundenen Körper. «Na, was haben wir denn da. Wenn das nicht der durchgeknallte Snob mit der Kurama-Prominenz ist.» «Bitte, bringt Tomcat hier raus. Er braucht medizinische Versorgung.» «Du auch, Kleine. Siehst ganz schön scheisse auf. Aber weisst du, wir sind nicht für euer Wohlergehen zuständig. Ganz im Gegenteil. Tomcat kriegt was ein Verräter verdient und du… von dir fange ich gar nicht erst an.» Sakura schaute ihr entschlossen in die Augen. «Ich bitte dich. Es geht hier nicht um den beschissenen Gangstreit. Tomcat kann sich nicht wehren. Das ist kein Kampf.» «Es geht um so viel mehr als den Gangstreit, da hast du wohl recht.» Hinter ihr stand jetzt der junge Mann, dessen Stimme sie vorhin gehört hatte. Er sagte allerdings nichts und schaute sie nur aus dunklen Augen an. Er konnte kaum älter als siebzehn sein. Sakura suchte den Blickkontakt mit ihm. «Ich traue euch zu, dass ihr nicht die rücksichtslosen Zerstörer seid, zu denen er euch macht. Das ist nicht eine Frage von irgendwelchen Feindschaften, sondern von Menschlichkeit, verdammt!» Die Riot lachte nur. «Komm, Makoto, mir wird es zu heiss hier drin. Wir gehen.» Sie wandte sich ab und Makoto tat es ihr gleich. Die Schritte entfernten sich und dann hörte sie die Hallentür ins Schloss fallen. Die Flammen schossen in die Höhe, genährt durch den Sauerstoff von draussen. Das Feuer breitete sich viel zu schnell aus. Sie konnte Tomcat so nicht alleine lassen, unmöglich. Er würde den Flammen zum Opfer fallen, bevor sie mit Hilfe zurückkehren konnte. An Aufstehen war in Yoheis Fall nicht mehr zu denken. Noch waren sie am Leben, was an ein Wunder grenzte, doch wenn sie hier nicht wie Hexen auf einem Scheiterhaufen enden wollten, mussten sie aus dieser Halle raus. «Yohei», rüttelte ihn ein wenig und er öffnete die Augen. «Gut… gemacht…», sagte er und lächelte. Ob er überhaupt noch realisierte, wo er war und was passierte? «Können wir es noch einmal versuchen mit dem Aufstehen? Bitte.» Yohei gab alles, das wusste sie. Doch er hatte die Kraft nicht. Um sie herum wurde es immer heisser. Nicht mehr lange und das Feuer würde ihnen den Weg nach draussen versperren. Sie versuchte auch, ihn an den Schultern über den Boden zu schleifen aber ihr fehlte dazu ein Bein und ein Arm. Sie hatte schlicht nicht die Kraft, dazu. Denn sobald sie ihr Bein belastete, wurde ihr fast schwarz vor Augen. Sakuras Augen füllten sich mit Tränen, als sie Yoheis eiskalte Hand packte. Nur noch so wenig Leben in diesem Körper. Es konnte doch nicht sein, dass es so endete. «Yohei», brachte sie zwischen zwei erstickten Schluchzern hervor. «Bitte, steh auf.» Auch wenn ihr klar war, dass er es nicht konnte. Yohei erwiderte sanft den Druck ihrer Hand. «Geh einfach…ja?» «Das werde ich nicht!» Er lächelte immer noch. «Es ist alles gut.» Nichts war gut. Gar nichts war gut. Warum sagte er das? «Du wirst sterben, Yohei.» «Ich weiss.» Sein Lächeln verschwand nicht. «Ich werde heute… sterben.» Jedes Wort kostete ihn Kraft. In Sakuras Ohren machten sie überhaupt keinen Sinn. «Ich habe gesagt, dass ich dich rausbringe… und wenn du nicht gehst, dann… dann war alles umsonst.» «Aber du…» «Ich hatte nie den Plan, diese Nacht zu überleben… Sakura.» Seine Worte trafen sie wie eine brutale Ohrfeige. «Und das will ich auch jetzt nicht…» «Warum?», stiess sie hervor. Ihre Gedanken rasten zurück zu den Gesprächen, die sie in dieser verhängnisvollen Nacht geführt hatten. Und sie realisierte, dass er nie auch nur irgendwie angedeutet hatte, dass er überleben wollte. Sakura hatte es einfach angenommen – weil sie wollte, dass er überlebte. Sie wollte, dass er wieder Fuss in der Gesellschaft fassen, Freunde finden und beweisen konnte, dass er nicht der kranke Typ war, zudem man ihn machte. Mit keinem einzigen Wort hatte er angedeutet, dass er etwas anderes wollte, als Sakura rauszubringen. Ganz im Gegenteil. Er schloss sich selbst da nicht mit ein. «Ich habe nichts mehr zu verlieren, Sakura. Und vielleicht kann ich zumindest noch etwas richtig machen, bevor es zu Ende ist.», hatte er gesagt. Erst jetzt fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Warum um Himmels Willen hatte sie den ernst der Lage nicht realisiert? «Aber da draussen…» «Du hast mir mehr als genug gegeben. Ich war nicht gut zu dir. Aber wenn du da rauskommst, dann kann ich mir selber wieder in die Augen schauen… dann habe ich meinen Frieden.» Seine Augen glänzten bei den Worten und seine Stimme versagte. Frieden. Etwas, was er sich sein Leben lang gewünscht hatte. «Du kannst auch lebend Frieden finden… Yohei, ich bitte dich», flüsterte sie. Ihnen lief die Zeit davon. Das Feuer frass sich bereits an den Dachbalken entlang. Der Rauch verdichtete sich zusehends und kratzte bei jedem Atemzug im Hals. «Du verstehst nicht, Sakura… ich werde meine Mutter wiedersehen… hoffentlich. Weiss ja nicht allzu viel übers Sterben.» Sakura konnte ihre Tränen nun beim besten Willen nicht mehr zurückhalten. «Nein…», flüsterte sie. «Tu mir nur einen Gefallen, Sakura. Behalt das Buch. Und die anderen Sachen. Mach etwas… Gutes damit.» Er stockte. «Du kannst vieles ändern… was nicht gut läuft hier…  wenn es jemand kann, dann du…» Er hustete. «Danke für alles.» Er drückte ihre Hand und sie drückte zurück, während sich schmerzhafte Schluchzer den Weg aus ihrem tiefsten inneren nach oben bahnten. Sie erschrak fürchterlich, als sie eine Hand an ihrer Schulter spürte und fuhr herum, das die Waffe gezückt. Sie hätte mit vielem gerechnet, aber nicht mit Makoto. Nicht mit dem Riot-Jungen, der sie hier zurückgelassen hatte. Makoto sagte nichts, sondern packte Tomcat an den Schultern. Sakuras Körper reagierte, bevor sie überhaupt erfassen konnte, was hier geschah. Makoto war kräftiger als er aussah. Gemeinsam stemmten sie Yohei hoch, der inzwischen näher an der Bewusstlosigkeit als am Wachzustand war. Sakuras Bein und ihr Arm schmerzten höllisch, doch in ihr bäumte sich das letzte bisschen Kraft auf, das sie zur Verfügung hatte. Makoto trug den grössten Teil von Yoheis Gewicht und trotzdem fühlte es sich für sie an, als stemme sie Tonnen. Erst jetzt realisierte Sakura vollends, in welch flammender Hölle sie sich befanden. Die Halle war aus absolut brennbarem Material gemacht und das Benzin tat sein Übriges, damit das Inferno innert kürzester Zeit den ganzen Raum eingenommen hatte. Die Rauchschwaden wurden dichter und sie husteten sich beinahe die Lungen aus den Leibern. Der Rauch brannte in den Augen, doch ihr Ziel kam näher. Alles in ihrem Körper schmerze und ihr Puls hämmerte laut gegen ihre Schläfen. Sie fühlte sich, als würde sie verbrennen, auch wenn sie keinen Kontakt zum Feuer hatte. Aber die Hitze war beinahe unerträglich und vermochte, ihre Haut zu versengen. Makoto stiess die Tür auf, was dem Feuer erneut einen kräftigen Schub gab, doch da waren sie schon draussen. Gierig sogen sie die frische Luft in ihre Lungen ein und schleppten sich weiter. Zu ihrem Entsetzen sah Sakura, dass nicht nur in Halle 1 Feuer gelegt worden war. Halle 3 sah sogar noch übler aus. Hier waren die Flammen schon bis aufs Dach gewandert. «Da drüben», sagte Makoto. Er wies auf die in Reih und Glied gepflanzten Bäume bei den Parkplätzen, die in einigermassen sicherer Entfernung von der Halle lagen. Mit letzter Kraft schafften sie es, schauten weder nach links, noch nach rechts. Alles was zählte war, die Bäume zu erreichen. Dort angekommen lehnten sie Yohei gegen einen der Stämme. Sakura war völlig ausser Atem. Sie fühlte sich, als wäre jegliche Kraft aus ihrem Körper gewichen. Ihr fiel zudem auf, wie Bleich ihre Hände waren. Auch sie hatte Blut verloren. Und zwar viel. Aber Yohei war jetzt wichtiger. «Makoto, kannst du mir noch einen Gefallen tun bitte?», fragte sie mit krächzender Stimme. Er nickte. «Bitte, geh zum Tor und hol Hilfe. Sag ihnen, Sakura Haruno schickt dich. Behalt die Hände einfach oben. Sie werden dir nichts tun.» Und zu ihrer Überraschung stand Makoto ohne zu zögern auf und lief in Richtung des Tores. Sakura wandte sich wieder Yohei zu. Dieser atmete noch, aber es glich mehr einem Röcheln. Seine Arme waren jetzt seltsam warm, war vermutlich von Verbrennungen herrührte. In dieser Dunkelheit konnte sie nichts erkennen. Spürbar war aber das Blut, das seine Kleider durchtränkt hatte. «Yohei, bist du noch da?» Panik überkam sie, als keine Antwort folgte. «Yohei!» Sie schlang ihre Arme um seinen Körper, der schnell wieder eiskalt war und legte ihren Kopf an sein weiches Haar. Sie konnte nicht mehr anders, als ungehalten zu schluchzen. Geh nicht. Bitte geh nicht. 23:00 Uhr, zweites Untergeschoss, Verbindungsgang Halle 1 & 2   Sasuke roch den Rauch, bevor er ihn überhaupt sehen konnte. Sich Crows Plan zusammenzureimen, war also nicht allzu schwer – er wollte sie alle abfackeln. Oder zumindest ausräuchern, denn der Beton würde nicht brennen und das wusste Crow. Der Sauerstoff in den Gängen sollte reichen, damit genug Rauch entstehen konnte, bevor die Feuer erloschen. Und wenn er im ersten Kellergeschoss auch Feuer legte, dann gab es dort sowieso genügend Luft, die durch die undichten Türen zog. Jedenfalls erklärte das, warum hier keine Riots mehr waren. Er spornte seine Leute an, schneller zu laufen. Sie suchten nach einem der Aufstiege, die sie in das erste Kellergeschoss bringen würde. Hier unten waren die Aufgänge leichter zu finden, da es keinen Grund gab, sie zu verstecken. Wer hier unten landete, war entweder in die schrägen Machenschaften der Firma eingeweiht gewesen oder hatte just in dem Moment etwas absolut Skandalöses entdeckt. Als der Rauch dichter wurde und sie sich schon Mund und Nase zudeckten zudecken mussten, stiessen sie auf einen kleinen Treppenschacht, der sich neben einem alten Liftschacht befand. Er war gerade breit genug, damit sie hintereinander durchpassten. Sasuke ging voraus, getrieben von Wut und Sorge. Hinter ihm gingen Shion und Sasori sowie zwei Taka-Outer-Jungs. Sie entriegelten eine Tür und landeten in einem stockfinsteren Raum, der viel zu klein war, als dass sie alle reingepasst hätten. Shion knipste ihre Taschenlampe an und sie stellen fest, dass sie sich in einer Art verstaubten Abstellkammer befanden. Jemand trat gegen einen alten Behälter mit abgestandenem Reinigungsmittel, was sie kurz zusammenfahren liess. Sie traten vorsichtig aus dem Schrank hinaus und schlossen vorher die Tür zum Treppenhaus. Doch auch hier oben sah es nicht viel besser aus. Eine weitere Tür mündete auf einen Gang, in dem auch bereits Rauchschwaden waberten. Bei genauerem Hinsehen, entdeckte er auf dem Boden die Silhouette eines Körpers, der ziemlich reglos dalag. Der Rauch war noch nicht dicht genug, als dass er bereits jemanden hätte umhauen können, der noch gut auf den Beinen war. Folglich musste hier also ein Kampf stattgefunden haben. Auch hier waren keine Riots mehr zu hören oder zu sehen, weshalb sie sich dem reglosen Körper näherten. Es war kein Taka und wie er schlussfolgerte auch kein Kurama, denn er trug keine Weste und keine Einsatzkleidung des KCPD. Weiter vorne lagen noch zwei weitere Körper, ebenfalls Riots. Hier musste ein wilder Kampf stattgefunden haben. Rasch liefen sie an den Körpern vorbei. Je weiter sie kamen, desto wärmer wurde es. Sie schwitzten richtiggehend, Sasuke erkannte keinen der Riots. Auf dem Boden waren grosse Blutflecken zu sehen, alle noch relativ frisch. Die Spuren führten zur Tür. Wer auch immer diesen Kampf gewonnen hatte, war ein Kurama oder Taka gewesen. «Da hoch», wies er seine Leute an. Als er die Flügeltür öffnete wurde ihm klar, woher die Hitze kam. Die Halle stand in Flammen. Rauchschwaden waberten unter den Dachgiebeln umher und machten auch ihnen hier unten das Atmen schwer. Das Holz gab den Flammen mit unheilverkündendem Knacken nach. Wenn sie sich beeilten, schafften sie es noch raus, bevor das ganze Gebäude in sich zusammenkrachte. Als sie in Richtung Tür rannten sah Sasuke, dass die Blutspur ebenfalls dorthin führte. Dass also noch jemand im Raum war, war unwahrscheinlich. Er stiess die Tür auf und sie drangen ins Freie. Schnell machte er sich ein Bild ihrer Lage. Anscheinend wollte Crow also die ganze Firma bis auf die Grundmauern niederbrennen. Da nahm er Bewegungen im Dunkeln wahr. Dort drüben bei den Bäumen kauerte jemand. Und dieser Jemand war für die Blutspur verantwortlich, die auch hier auf dem Asphalt sichtbar war. Das Feuer von Halle 3 warf einen orangefarbenen Schein auf die Umgebung und wirkte so der Dunkelheit entgegen. Inständig hoffte er, dass es sich dabei um Sakura handelte. Das war ein ziemlich brutaler Gedanke. Aber verletzt war besser, als in einem Keller eingesperrt zu sein, der sich mehr und mehr zu einem Ofen entwickelte. Trotzdem blieb natürlich die Hoffnung, sie unversehrt vorzufinden. Sie hatten da unten jeden Raum geprüft, an dem sie vorbeigekommen waren. Aber was, wenn sie am falschen Ort gesucht hatten? Dann war sie jetzt noch da unten im Rauch. Das würde sie nicht schaffen. Schon wollte er in Richtung der Gestalten loslaufen, doch da ertönte das laute Knallen einer abgefeuerten Waffe. Hinter ihm ging jemand zu Boden. In wenigen Sekunden hatte er seine Pistole gezogen und ihren Herkunftsort ausgemacht – da kam eine Gruppe von etwa sechs Riots auf sie zu gerannt. Sasuke feuerte zurück, einer ging zu Boden. Im Gegensatz zu ihnen hatten sie keine kugelsicheren Westen an. Und deshalb sprang Sasori hinter ihm auch wieder auf die Beine. Der Schuss musste wehgetan haben, aber die Westen waren von guter Qualität und die Kugeln vermochten es deshalb nicht, ihn kampfunfähig zu machen. Die Riots waren da und sogleich brach ein Nahkampf aus. Sasuke wurde attackiert und wenn er nicht selber so angeschlagen wäre, hätte er seinen Gegner vermutlich schneller besiegt. Doch sein Arm schmerzte höllisch und seine Kräfte liessen nach. Der Riot traf ihn mit der Faust im Gesicht, das sowieso schon voller Schrammen und Wunden war. Nun schmeckte er auch noch Blut auf der Zunge. Er schlug in einem günstigen Moment zurück und schaffte es, die Oberhand zu gewinnen und den Riot auszuschalten. Er wollte sich gerade seinem nächsten Gegner zuwenden, als er im Augenwinkel sah, wie sich zwei Riots aus der Gruppe gelöst hatten und sich in Richtung der vermuteten Kuramas oder Takas bewegte. Bei diesen schlechten Lichtverhältnissen jemanden aus dieser Distanz zu treffen war mit einer Pistole kaum möglich, es sei denn, er ballerte einfach wild darauf los. Aber damit würde er auch seine eigenen Leute gefährden, die dort offensichtlich angeschlagen unter dem Baum waren. Deshalb lief er los, so schnell er konnte. Shion folgte ihm, auch sie hatte die Gestalten bemerkt. Eine der Riots riss eine der zwei Personen hoch und verpasste ihr einen Schlag ins Gesicht, dann blitzte ein Messer auf. Und gleich darauf sah er die rosa Haare. Sakuras Körper sah selbst von weitem kraftlos aus, in ihren Bewegungen konnte er nicht das kleinste bisschen Widerstand erkennen. Was hatten sie mit ihr gemacht? Er war selten in seinem Leben so schnell gelaufen. Zu feuern war unmöglich, da die Riot Sakura viel zu nahe war. «Keinen Schritt näher, Demon, oder ich schlitze ihr die Kehle auf!», brüllte die Riot. Der andere musterte den Körper am Boden, der keinen Wank mehr machte und stellte sich danach neben Sakura. Und erst jetzt konnte er Sakura richtig sehen. Der Anblick liess ihm das Blut in den Adern gefrieren. Sie war kreidebleich und ihre Kleider waren durchtränkt von Blut. Behelfsmässige Verbände an Arm und Bein zeugten von Wunden, soweit er das erkennen konnte. Sie blutete aus dem Mund und ihr Gesicht war russverschmiert. Überall Schrammen. Und ihre Augen gerötet von Rauch und Tränen, der Ausdruck nur noch halblebendig. Und neben Sakura? Da lag Tomcat, der in noch üblerem Zustand war. Sakura reagierte bei seinem Anblick nicht. Fast, als nehme sie ihn gar nicht wahr. Er wollte sich nicht vorstellen, was sie alles durchgemacht hatte. Wenn er bis jetzt wütend gewesen war, dann wusste er nicht, wie er die Emotion nennen sollte, die er jetzt fühlte. Er war kurz davor, die Riots bei lebendigem Leib in der Luft zu zerreissen. «Was willst du?», fragte Sasuke und seine Stimme zitterte unkontrolliert. Er schaffte es nicht mehr die Fassung zu wahren, weil einfach alles an dieser Situation nicht zu fassen war. «Sie irgendwo hinschleppen, wo du dann trotzdem getötet wirst?» «Die Kleine und der Snob hätten in der Halle verbrennen sollen. Aber jetzt kann die Puppe hier noch von Nutzen sein. Sag deinen Leuten, sie sollen sich ergeben.» Sie wies auf die Gruppe hinter ihnen, die immer noch kämpften. Sasuke reagierte nicht sofort. «Boss, mach es», sagte Shion, weitaus gefasster, als er es war. «Sag es ihnen, Angel», antwortete er, unfähig, seinen Blick abzuwenden. Shion brüllte einen Befehl nach hinten, irgendetwas, dass sich die Takas sofort ergeben sollten. Und sie taten es. Zögerlich, aber sie hielten die Hände in die Luft. Die Riots fühlten sich schon wie die Sieger. «Ich sehe dich langsam aber sicher einknicken. Wer hätte gedacht, dass es irgendjemand schafft, Big Fox und Demon Eye in die Knie zu zwingen?» Sie lachte selbstgefällig. «Der Boss hatte sowas von recht. Ihr seid einfach nur schwache Kinder, die das Glück hatten, irgendwie an die Spitze einer Gang zu gelangen.» Sasuke schüttelte nur noch den Kopf. Sein einziger Gedanke war, Sakura da rauszuholen. «Was muss ich tun, damit du sie gehen lässt?» Die Riot lächelte. «Du könntest dir selber die Kugel geben.» Sasuke glaubte erst, er hätte sich verhört. Doch die Riot meinte es todernst. «Na, wie klingt das? Würdest du das für dein Schmusibusi tun?» Ihr offen zur Schau getragener Sadismus erinnerte ihn an Geschichten, die er von Suigetsu über Runch, Karins Mörder, gehört hatte. «Du könntest mich auch einfach abknallen.» Sie lachte. «Klar. Aber ich will dich und deine Elite-Gang leiden sehen.» Sasuke Griff schloss sich fester um seine Waffe. «Demon! Du wirst doch nicht etwa…» Shion konnte den Satz gar nicht zu Ende sagen. Der Schock stand ihr ins Gesicht geschrieben. «Komm schon Demon», sagte die Riot. Sie drückte das Messer gegen Sakuras Haut. Blut kam zu Vorschein. Sakura stöhnte leicht auf. Er ertrug es kaum, sie so zu sehen. Sie und Tomcat brauchten unbedingt einen Arzt. Hatte er noch eine andere Möglichkeit? Gab es irgendeinen Weg, dass er sich nicht selber umbringen musste, um Sakura zu retten? Und wer garantierte ihm dann, dass sie überlebte? Er fuhr zusammen, als direkt neben ihnen ein Schuss ertönte und der Riot neben der Sadistin tot am Boden landete. Sie war nur kurz unaufmerksam, aber es reichte, damit Sasuke mit einem schnellen Schritt bei ihr war, sie packen und ihr das Messer aus der Hand reissen konnte. Hinter ihnen ging der Kampf sofort weiter. Shion und er drückten die Frau zu Boden, die sich wand und laut fluchte. Kurz darauf war ein weiterer Taka da, der ihn ablöste. Sakura lag nicht mehr dort, wo sie liegen sollte. Sie hatte sich wieder zu Tomcat geschleppt, der eine Pistole in der Hand hielt. Jene Pistole, die ihm soeben den Arsch gerettet hatte. Er war nur noch bei halbem Bewusstsein und sah aus, als würde er jeden Moment wieder wegdriften. Sakura weinte und redet mit kaum hörbarer Stimme auf ihn ein. «Geh nicht… bitte geh nicht…» Sie rüttelte ihn an den Schultern als sich seine Augen wieder schlossen, auch wenn sie kaum mehr die Kraft dazu hatte. Tomcat hatte ein Lächeln auf den Lippen. Sakura schluchzte leise und schlang ihre Arme um ihn. Ihren Kopf hatte sie an seine Schulter gelegt. Es war untertrieben zu sagen, dass ihn das Szenario überraschte, aber das war jetzt nicht relevant. Denn vielmehr schockierte ihn, was er sah. Es erschütterte ihn bis auf die Knochen. Rasch war er bei Sakura und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie nahm ihn gar nicht wahr. «Geh nicht… bitte geh nicht…», wiederholte sie immer wieder, als ob dieses Mantra seinen Blutverlust stoppen könnte. Ihr verzweifelter Tonfall, jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Sie und Tomcat mussten sofort medizinisch versorgt werden. «Sakura», sagte er, doch sie hörte ihn nicht. «Sakura, ich muss dich hier wegbringen.» Seine Hände zitterten, als er sie langsam von ihm wegzog. Sie wehrte sich im ersten Moment, doch dann erschlaffte auch ihr Körper langsam. Ihre Augen waren nur noch halb geöffnet, als sie ihn endlich ansah. Und dieses Mal erkannte sie ihn. «Du musst… ihm helfen…», wimmerte sie. «Du musst ihn retten… Sasuke.» Ihre Augen fielen just in dem Moment zu, als er in der Ferne das Licht einer Taschenlampe wahrnahm. Er zückte reflexartig seine Waffe, doch da erkannte er, dass es keine Feinde waren. Da kam Hilfe. Die Sanitäter waren da und das schürte ein Fünkchen Hoffnung in ihm. Bei ihnen war ein seltsamer Junge, den er nicht kannte, aber das war ihm sowas von egal. «Ihr müsst ihr helfen!», er klang forsch, aber er hörte auch die Verzweiflung in seiner eigenen Stimme. Eine der Sanitäterinnen war Sanae. Sie kniete sich zu Sakura hin, während Sasuke ihren Kopf in seinen Schoss bettete und ihr unablässig über die blutverkrusteten Haarsträhnen strich. Fast, als könne er sie so am Leben erhalten. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wie auf Knopfdruck war er wieder im Dezember vor einem Jahr und hielt seinen todgeweihten Bruder in den Armen. Dann sah er sich selbst auf dem Dach der DDM, vor weniger als einer Woche und musste dabei zusehen, wie man ihm Karin wegnahm. Er dachte an all die Outers, die ihr Leben in diesen bescheuerten Schlachten gegen die Riots gelassen hatten. Und dann waren da wieder Bilder. Die Bilder aus jener Nacht in Otogakure, als seine Eltern in einer düsteren Gasse getötet worden waren. Völlig sinnlos und ohne Grund. Es konnte doch nicht sein, dass man ihm Sakura jetzt auch noch nahm. Endlich hatte er sich so etwas wie eine Zukunft vorstellen können, die nicht im Sumpf der Strasse Konoha stattfand. Er hatte nach etwas streben wollen, gemeinsam mit Sakura. Mit ihrer wunderbaren, sanften Art. Mit ihrem Mut und ihrer Stärke, die sich in so viel mehr zeigte, als reiner Körperkraft. Sie durfte jetzt noch nicht gehen. Ihre Zeit war noch nicht da. Viel zu vieles konnte sie noch bewirken. Nein, ein Mensch wie sie durfte nicht so jung schon gehen, schon gar nicht auf diese Weise. Und trotzdem all ihrer wunderbaren Eigenschaften, rang sie in genau diesem Moment mit dem Tod. Nach einer Erstversorgung durch Sanae und ihre Leute, wurden Tomcat und Sakura auf Tragen in Richtung Tor gebracht. Die Takas eskortierten sie als geschlossene Einheit. «Sanae, wird sie wieder?» Er hörte selber den flehenden Unterton in seiner Stimme. «Das kann ich dir nicht sagen, Sasuke. Sie hat eine Menge Blut verloren. Eine tiefe Schusswunde am Bein und eine Stichwunde im Arm. Dazu wüste Schrammen und Platzwunden am Hinterkopf und an der Stirn. Eine Gehirnerschütterung ist zu vermuten. Und ich weiss nicht, ob ihr Rücken auch etwas abbekommen hat.» Sie sah so ernst aus. Viel zu ernst. «Die Wunden sehen nicht gut aus. Die am Arm ist schon jetzt entzündet.» Sasuke wurde bei dieser Aufzählung übel. Er war normalerweise gut darin, Angst und alle anderen Gefühle zu verdrängen. Aber jetzt fürchtete er sich, wie schon lange nicht mehr. Einzig die Angst, die er bei der Ermordung seiner Eltern verspürt hatte, reichte an das heran, was er jetzt fühlte.   Er hatte es nicht geschafft, das zu beschützen, was ihm am wichtigsten war. Im Gegenteil. Er war nicht einmal in ihrer Nähe gewesen, als das alles passiert war. Sogar Tomcat hatte mehr zu ihrer Rettung beigetragen als er. Er hatte nicht mehr tun können, als ihre Blutspuren zu finden und sie zu verfolgen. Wie ein verdammter Leichenspürhund. Wenn Sakura in dieser Nacht starb, dann würde er sich das nie verzeihen. Und vor allem würde er es nicht aushalten – es würde ihn vollkommen zerstören. In seiner Brust verspürte er einen dumpfen Schmerz. War das hier der Anfang vom Ende? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)