Konoha Gangs II: Game On von ximi (Das Spiel hat gerade erst begonnen) ================================================================================ Kapitel 20: Umbruch ------------------- Der Wind zerrte an diesem feuchten Aprilmorgen unerbittlich an den Baumkronen der Buchen, die den Pausenplatz des South Konoha Colleges säumten. Die Luft in ihren Lungen fühlte sich so rein an, dass jeder Atemzug eine Erfrischung war. Der wolkenverhangene Himmel wies auf weiteren Regen hin, jedoch hatte sie gerade Glück gehabt und für ihren Schulweg eine regenfreie Periode erwischt. Vor dem Eingangstor standen einige Grüppchen von Schülern, die allesamt nach diesen Ferien wieder ihren Weg zurück in die Schule gefunden hatten. Schon von Weitem konnte sie Inos blonden Haarschopf neben der gläsernen Eingangstür ausmachen. Nach einer kurzen Begrüssung begaben sich die Beiden in ihren Klassenraum, der heutige morgen würde leider Gottes mit Mathematik beginnen. Miss Yuuhi sass bereits an ihrem Pult und beugte sich über einen Stapel Papier, vermutlich die Prüfungen, die sie kurz vor den Ferien noch abgelegt hatten. Es geschah zwar in einer gefühlten Millisekunde, jedoch entging Sakura nicht, wie der Blick der Lehrerin musternd auf die beiden Mädchen fiel. Samstagnacht vor einer Woche war nach wie vor Hauptthema in den Medien. Sakura hatte nicht wirklich Zeit gehabt, sich damit herumzuschlagen, denn in der letzten Woche hatte ihr die Schule viel abverlangt. Sakura setzte sich neben Ino an ihren gewohnten Platz am Fenster. Hinata war noch nicht da, das hatte sie bereits beim Eintreten ins Schulzimmer erkannt. Erst, als der Zeiger auf halb acht vorrückte, erschien Hinata im Türrahmen. Sie sah aus wie immer, als ob nichts geschehen wäre – mit dem Unterschied, dass sie ihnen keines Blickes würdigte und sich in die vorderste Reihe setzte, anstatt neben sie. Es tat weh. Was um Himmels Willen hatte so einen Keil zwischen sie treiben können? Alles nur wegen diesen verfluchten Riots. Die Stunde schien sich ewig in die Länge zu ziehen und an Mathematik war kaum zu denken. In den kleinen Pausen verschwand Hinata jedes Mal, bevor Ino oder Sakura sie zu fassen bekamen. Deshalb warteten sie, bis zur Mittagspause – dort würde sie ihnen nicht entwischen. Natürlich versuchte sie es, doch Ino und Sakura nahmen sofort die Verfolgung auf. Schnellen Schrittes verliess Hinata das Schulgebäude durch den Haupteingang, wohlwissend, dass ihr jemand auf den Fersen war. Aber sie drehte sich nicht einmal um. Kurz vor dem grossen Metalltor, holten sie Hinata ein. «Hina!», rief Ino und versuchte mit aller Kraft ihre Verärgerung zu unterdrücken. «Jetzt halt doch mal an!» In diesem Moment blieb Hinata stehen und drehte sich um. Ihr Blick jagte Sakura einen kalten Schauer über den Rücken: Eiskalt. «Was?», fragte sie abweisend. «Wir wollen doch nur mit dir reden.», versuchte Sakura es so versöhnlich wie möglich. «Es gibt nichts zu bereden.» Sie machte einen Schritt vom Tor weg, sodass sie sich hinter einer der grossen Buchen befand. Das machte Sakura stutzig. Warum wollte sie nicht, dass man sie am Tor sehen könnte? «Warum versteckst du dich?» «Weil ich nicht mit euch gesehen werden will.», sagte sie ihnen ohne zu zögern direkt ins Gesicht. «Warum denn das? Schmeisst dich dein Lover aus der Gang, wenn du mit uns redest?», fragte Ino provokativ und so sehr Sakura ihren Zorn verstehen konnte, wünschte sie sich, Ino wäre etwas gelassener. Zudem wussten sie ja gar nicht wirklich, wie sie zu dem Riot-Leader stand. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, aber auf diese Aussage hin verfinsterte sich Hinatas Blick noch einmal mehr. «Red nicht von Dingen, von denen du nichts verstehst.» Der Wind strich durch ihr glattes, dunkles Haar, um welches Sakura sie immer so beneidet hatte. Wo war die süsse, unschuldige Hinata geblieben, dieses aufrichtige, liebe Mädchen? «Tut uns leid Hinata», beschwichtigte Sakura. «Eigentlich wollen wir dir nur sagen, dass wir dich vermissen. Wir wüssten halt nur gerne, warum du die Fronten gewechselt hast. Ist es wegen uns? Oder Naruto?» Sie hoffte, wenigstens ein schwaches Aufleuchten in Hinatas Blick zu erkennen, wenn Narutos Namen aussprach, doch da war nichts. «Ich sag euch jetzt mal was und das ist alles, was ich euch noch sagen werde: Ich bin bei den Riots, weil ich es will. Es kann euch vollkommen egal sein, warum, aber ich mache das freiwillig. In jederlei Hinsicht. Und noch was: Ich vermisse euch nicht im Geringsten. Keinen von euch. Im Gegenteil.» Ihre Worte waren Schläge ins Gesicht. Hart, unerbittliche Schläge. Was um Himmels Willen hatten sie falsch gemacht? Hinata drehte sich um und wollte schon davongehen, als Ino noch einmal ansetzte. «Ach und warum hast du den Riots dann nicht gesagt, dass du eine Inner-Kurama bist?» Urplötzlich hielt sie inne. So, als müsste sie kurz nachdenken, was sie antworten sollte. «Ich will euch nicht kaputt machen. Ich tue nur das, was ich tun muss.» «Damit dich deine Riot-Freunde mögen?! Bullshit!», fauchte Ino. «Zudem hast du schon reichlich Kaputt-Mach-Arbeit geleistet, indem du ihnen Infos gesteckt hast! Und Kankuro verraten hast!» Das war hart von Ino, aber Sakura konnte ihre Wut nachvollziehen. Auch sie wollte einfach nicht verstehen, was in Hinata gefahren war. Obwohl Kankuro noch gesagt hatte, dass Hinata keine Schuld trug, so wäre das vermutlich ohne sie nicht passiert. Der Gedanke war schrecklich, aber wahr. «Ich habe nichts mehr mit euch zu tun.», sagte Hinata ohne sich noch einmal umzudrehen und verschwand durch das Tor. Ino zitterte vor Wut. Die Beiden waren verletzt, wütend und zugleich traurig. Immer nur eine Frage kreiste in ihren Köpfen: Warum?   Die Beisetzung fand noch an diesem Montagabend statt und war für Sakura kaum auszuhalten. Der alte Mr. Watanabe schaffte es immer wieder, wunderbar mitfühlende und aufbauende Reden zu halten, zu Leuten, die er selber allesamt nur flüchtig gekannt hatte, war beeindruckend. Für ihn waren auch Gangmitglieder gleichwertige Menschen, die ein Recht darauf hatten, dass man ihre Existenz feierte und ihre Verluste betrauerte. Ganz im Gegensatz zum Rest der Bevölkerung in Konoha und vermutlich der ganzen Welt. Letzten Samstag waren die drei Outers beigesetzt worden, die ebenfalls gefallen waren. Schon da hatte Sakura es kaum ausgehalten. Aber jetzt bei Kankuro war es noch einmal anders. Sie hatte ihm näher gestanden. Sakura weinte an diesem Abend fast durchgehend. Sie alle versuchten, einander gegenseitig Halt zu geben, besonders Temari und Gaara, wobei Gaara eher abweisend und kühl war, doch das nahm ihm niemand übel. Er war noch nie ein grosser Freund von Körperkontakt und Mitleid gewesen. Auch die Grossmutter der drei war da, Chiyo, die die Trauerfeier auch mitgeplant hatte. Sie sah unglaublich traurig aus, jedoch merkte man ihr an, dass sie versuchte stark zu bleiben, um das alles für ihre verbleibenden Grosskinder erträglicher zu machen. Wie schlimm musste es sein nach dem eigenen Sohn und der Schwiegertochter, auch noch eines der Grosskinder zu verlieren? Sakura wünschte sich, es wäre doch nur ein schrecklicher Albtraum, auf dem sie alle gleich aufwachen würden. Doch Kankuro kam nicht mehr zurück. Nie mehr. Die Decke der Abdankungshalle war kurz davor, ihr auf den Kopf zu fallen. Da vorne war Kankuro – in einer kleinen, schlichten Urne, inmitten von schönen, bunten Blumen die so gar nicht zum Tod passten. Chiyo hielt noch eine kurze Rede, in der sie etwas aus Kankuros Kindheit erzählte. Die kleine Geschichte schloss sie mit den Worten: «Ich bin überzeugt, dass er nun mit Karura und Rasa da oben auf uns hinabschaut und traurig darüber ist, dass wir traurig sind.» Sakura erinnerte sich: Karura und Rasa waren die Namen der Eltern von Gaara, Temari und Kankuro. «Aber es wird ihn freuen, wenn wir wieder fröhlich sind, davon bin ich überzeugt. Und irgendwann werden wir ihn da oben wiedersehen. Wobei ich hoffentlich die Erste von uns sein werde, die sich zu ihnen gesellen wird.» Sich Kankuro vorzustellen, wie er da oben auf sie herabschaute, war schön, auch wenn es seinen Tod nicht im Mindesten besser machte. Aber so wie sie ihn kannte, würde er sie alle nicht traurig sehen wollen. Als sie nach draussen traten, war der Wind stärker geworden und sanfter Nieselregen fiel vom düsteren, wolkenverhangenen Himmel. Das Gang-Gemeinschaftsgrab befand sich ziemlich weit hinten, ein paar Meter neben einer schönen Eiche. Es war wunderschön gemacht, leider vermochten die Kuramas kein Einzelgrab. Sakura musste an Itachis Grab denken, das verhältnismässig ziemlich gross gewesen war. Vermutlich hatte Madara da ordentlich mitfinanziert. Schöne Blumen waren darauf gepflanzt worden, das kleine, erdige Rechteck wurde von schönen, hellgrauen Steinen umrahmt. Es brannten zwei kleine Laternen an den unteren Ecken. In der Mitte des Grabes erhob sich ein schöner Steinsockel für die Urne. Hinter dem Grab war eine Messingplatte angebracht, auf der die Namen aller hier Begrabenen standen. Der Unterste war Kankuro. Hinter seinem Namen standen wie bei den anderen Geburts- und Todesdatum. Er war viel zu jung gewesen, um zu sterben. Zwanzig Jahre waren nichts. Ihr Herz krampfte sich zusammen und der Kloss in ihrem Hals raubte ihr den Atem. Mr. Watanabe sprach schöne Worte, als sein Sohn die Urne auf den Sockel stellte. Daraufhin zog jeder Anwesende der Reihe nach eine weisse Rose aus einem Korb, den Mrs. Watanabe mitgebracht hatte und legte sie auf das Grab oder direkt neben die Urne auf den Sockel. Dabei durfte man tun, was man wollte, ob man noch etwas sagen oder einfach schweigen wollte, war einem selbst überlassen. Die meisten übermittelten Kankuro ihre letzte Botschaft nur leise oder sogar schweigend. Schlussendlich hatte jeder seine eigenen, ganz persönlichen Erinnerungen mit ihm und da gab es nun einmal Dinge zu sagen, die nicht jeder hören musste. Als Sakura eine weisse Rose aus dem Korb zog, waren nur noch wenige übrig. Langsam trat sie vor das Grab, kniete sich hin und betrachtete die Blumen, die Metallplatte und vor allem das Loch mit der Urne drin. Ihr Herz fühlte sich an, als würde es in Zeitlupe schlagen. Ihre Hand zitterte, als sie die Rose neben die Urne legte. «Mach’s gut, Kankuro. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen.», flüsterte sie, während ihr die Tränen unaufhaltsam über die Wangen liefen. Sie hatte ihre Hand vorsichtig auf die Urne gelegt. Alles war verschwommen, die anderen nahm sie gar nicht mehr wahr. Noch leiser, sodass es für andere nicht hörbar war sagte sie: «Du glaubtest an Hinata, nicht wahr? Dann werde ich das auch tun, egal, was sie tut, versprochen.» Ein kühler Windstoss liess Sakura aus ihrer Trance aufwachen. Der Friedhof um sie herum wurde wieder etwas realer. Kurzerhand erhob sie sich und trat zurück neben Choji, der ihr ihren Arm um die Schulter legte und sie sanft drückte. Es war schwer zuzusehen, wie Mr. Watanabe Junior die Asche in das Loch des Sockels entliess. Nun war Kankuro endgültig weg. Im Alter von 20 Jahren. Weg. Er hätte noch alles tun können. Berühmt werden. Reich werden. Glücklich werden. Heiraten. Kinder haben. Es war zum wahnsinnig werden. Kein einziger Sonnenstrahl drang mehr durch die Wolkendecke. Die düstere Atmosphäre passte zu den Geschehnissen. Sakura wollte nicht mehr. Sie wollte niemanden mehr zu Grabe tragen, gar niemanden mehr. Es reichte.   Die Chancen, dass dieser Horror endlich ein Ende hatte, standen schlecht. Seit jener Samstagnach terrorisierten die Riots die ganze Stadt. Fast jeden Tag war etwas in den Medien davon zu hören oder zu lesen und die Bevölkerung wurde immer wütender. Niemand wusste, woher die Riots diese Unmengen an Leuten hernahmen. Naruto vermutete, dass sie auch derzeit immerzu neue Mitglieder an Land zogen. Der Fakt, dass sie nun gegen die Regierung hetzten und die ganze Stadt ihre Wut spüren liessen, bescherte ihnen vermutlich noch mehr Anhänger. Konoha hatte zeitlebens ein Problem mit Strassenkindern, Obdachlosen, Gangs und allgemeiner Kriminalität gehabt. Man hatte es aber einfach ignoriert, die Bedürftigen bedürftig sein lassen. Ein grosser Fehler. Denn jetzt wurden die Auswirkungen davon für die Stadt erst richtig spürbar. «Probleme lösen sich selten von alleine», hatte Naruto treffend gesagt. «Schon gar nicht die der Regierung.» Und er hatte Recht. In ihren Aktionen machten die Riots immer wieder Äusserungen darüber, dass die Regierung sie lange genug wie Abschaum behandelt habe und dass nun ein anderer Wind wehe. Warum genau die Kuramas und Takas so urplötzlich nicht mehr ihr Hauptfokus zu sein schienen, verstand niemand so richtig. «Vielleicht ziehen sie endlich den Schwanz ein.» Jedoch schien Naruto selbst zu wissen, dass das ein wenig unwahrscheinlich war. Sie sassen mit Naruto im Mädchenschlafzimmer. Er sass am Boden und lehnte sich mit dem Rücken an das Gestell des Hochbettes. Sakura sass ihm gegenüber, hinter ihr lag Ino auf dem Bett, den Blick starr gegen oben gerichtet. Auch Tenten hatte sich dazugesellt, sie kniete hinter Naruto auf dem Bett. Heftiger Regen trommelte gegen die Fensterscheiben. «Aber jetzt müsst ihr mir sagen, was Hinata gesagt hat. Ihr habt sie doch getroffen, oder?» Ino seufzte. «Es war nicht wahnsinnig erfreulich, Naruto. Ich würd’s dir am liebsten gar nicht erzählen.» «Damit hab ich schon gerechnet.», sagte er, ziemlich gelassen. Ino schüttelte den Kopf. «Naruto, du musst wissen, was sie gesagt hat war… grausam.» Sie erzählten in Kurzfassung, wie das Gespräch mit Hinata abgelaufen war. Doch entgegen ihrer Erwartungen wirkte Naruto unbeeindruckt. «Das ist ja wirklich…heftig.», murmelte Tenten. «Blödsinn, was sie da verzapft. Aber es ist mir egal, was sie sagt, sie ist definitiv auf dem Holzweg.» Er spielte mit einem losen Faden an seinem T-Shirt herum. «Es muss einen guten Grund für ihre Wut geben, auch wenn das viele von uns noch nicht einsehen. Irgendwas ist da. Und deshalb werden wir nicht einfach aufgeben. Sie gehört schon zu lange zu uns.» Sakura suchte in seinem Gesicht einen Anflug von Zweifel, doch da war nichts. Jedenfalls nichts Sichtbares. «Weisst du, ich wollte auch an sie glauben, aber nachdem sie mir heute quasi ins Gesicht gesagt hat, dass wir ihnen nichts bedeuten… sie war so kalt. So wie Hinata noch nie in ihrem Leben war. Du hättest sie nicht wiedererkannt, Naruto…» Er nickte mitfühlend. «Aber sie hat nicht wortwörtlich gesagt, dass ihr für sie nicht bedeutsam seid. Wir werden schon noch rausfinden, was da läuft. Ich mache mir mehr Sorgen um sie… die Riots sind kein guter Umgang.» Sakura musste unwillkürlich lächeln. Das sollte ihm erst einmal einer nachmachen. Dieses Gottvertrauen, diese gewinnende Positivität, das war etwas, was nur Naruto konnte. Er erhob sich. «Danke für eure Hilfe. Ich muss jetzt Demon nochmal anrufen. Vielleicht gibt es ja etwas Neues und wenn nicht haben wir noch viel Mist zu besprechen.» Naruto hatte an jenem Abend lange mit Demon telefoniert, aber zu einem wirklichen Schluss waren sie nicht gekommen. «Kann ich mitkommen?», fragte Sakura sofort. Erstens wollte sie Naruto noch etwas fragen und zweitens interessierte es sie brennend, was die Jungs zu diskutieren hatten. «Klar, wer will kann kommen. Wird aber nicht wahnsinnig interessant werden.» Die Anderen meinten, dass man sie ja nach dem Telefonat auf den neusten Stand bringen könne. «Eure Gespräche sind zum Anhören nicht besonders angenehm. So wie ihr euch immer anschnauzt.», meinte Tenten grinsend. «Na, was soll ich denn mit ihm herumturteln?», brummte Naruto und verliess dann das Zimmer. Sakura ging direkt hinter ihm her. Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, fasste sie sich ein Herz. «Sag mal, Naruto. Wie stehst du eigentlich zu Hinata?» Er hielt inne. «Warum fragst du das jetzt?» Sakura seufzte. «Vielleicht sollte ich anders fragen. Weisst du, wie Hinata zu dir steht?» Er sah sie durchdringend an. «Du hast es auch gewusst.» «Was?» «Na, wie Hinata zu mir steht.» Also wusste er Bescheid. Hatte Konohamaru ihm das gesteckt? Denn wenn es niemand anderes getan hätte, dann hätte sie das jetzt übernommen. «Natürlich. Sie ist mit Ino meine beste Freundin.» «Ich hab’s nicht geschnallt», sagte er und starrte geradeaus den Gang entlang. «Warum habt ihr mir das nie gesagt?» Sakura musste lächeln. «Weil es offensichtlich war. Und weil wir gehofft haben, dass du selbst noch irgendwie draufkommst.» «Bin ganz schön blöd, was?» Er fuhr sich verlegen mit der Hand durch sein blondes Haar. Es war ihm ziemlich peinlich, er konnte sie kaum ansehen. «Nee. Du hast nur ‘ne elend lange Leitung, was solche Sachen angeht.» Sie boxte ihm sanft gegen die Schulter. «Und meinst du, ich hätte es verhindern können? Dass sie geht?» Er klang, als würde er etwas bereuen. Sakura schüttelte den Kopf. «Denk nicht über sowas nach. Es ist nicht mehr wichtig, was gewesen wäre. Es ist wichtig, was jetzt ist.» Sie beobachtete ihn. Er wirkte so unglaublich nachdenklich. «Und wie stehst du zu Hinata?» Er überlegte. «Ich weiss nicht. Bisher habe ich tausend andere Dinge im Kopf gehabt, als euch Weiber.» Sein Grinsen tat Sakura gut. «Aber ich werd’s herausfinden, okay?» Sakura nickte lächelnd. «Okay.» Er kramte sein Handy hervor. «Hab’s jetzt endlich über mich gebracht, Demons Nummer zu speichern.» Sie begaben sich in die Garage, wo derzeit niemand anzutreffen war und setzte sich einen grossen Tisch voller Werkzeug Putzlappen und weiteren Utensilien, die man für die Wartung von Motorrädern und Autos brauchte. Ihr stach von da aus sofort eine feuerrote Maschine ins Auge – Kankuros Motorrad. «Was macht ihr jetzt eigentlich mit dem Motorrad?», fragte sie leise. Schon der blosse Gedanke an Kankuro tat weh. «Weitervererben. Vielleicht ist Konohamaru ja irgendwann mal soweit.» Sakura stutzte. Hiess das denn nun, dass Konohamaru ein Kurama werden würde? Sie hatte schon gemerkt, dass sich Narutos Ansichten bezüglich des kleinen Wirbelwinds verändert hatten, aber ihn gerade in die Gang aufnehmen, nachdem er sich so lange über ihn genervt hatte? «Meinst du, es gibt ein Kurama aus ihm?» Naruto nickte. «Aber sag ihm das nicht, sonst muss ich es mir wohl wieder anders überlegen.» Sakura lächelte freudig. «Werde ich nicht. Aber ich finde das so toll! Woher denn der Sinneswandel?» Naruto sah etwas verlegen aus. «Ach, nichts weiter. Hab mir einfach überlegt, dass es sowieso langsam Zeit wird, die neue Generation zu rekrutieren. So viel Zeit haben wir gar nicht mehr.» Jetzt musste sie lachen. «Du klingst ja, als würdest du nächste Woche schon dreissig.» Naruto wurde ernst. «Es kann schnell gehen, Sakura. Viele verlassen die Gang auch schon früher.» «Und trotzdem.» Naruto wählte den Kontakt «Der, mit dem ich eigentlich nicht reden will» auf dem Display an und Sakura musste laut loslachen. «Was für ein Spitzname!» «Ich sehe es als meinen persönlichen, stillen Protest an. Es ist das Einzige, was mir noch bleibt, also lass mich einfach.» Er sagte das mit gespieltem Ernst. «Alles klar.» Er schaltete den Lautsprecher ein. Bis Sasuke ranging dauerte es eine Weile. «Big Fox. Was gibt’s?» Sakura freute sich ungemein, seine Stimme zu hören, liess sich das aber nicht anmerken. «Seid ihr schon zu ‘nem Schluss gekommen?» Es blieb eine Weile ruhig in der Leitung. «Nee. Es scheint als könnten wir tun was wir wollten, früher oder später hätte es negative Folgen für uns.» «Mhm. Genau das denke ich auch. Unser Ruf ist inzwischen so schlecht, dass wir uns hüten müssen.» «Du sagst es. Aber jetzt ‘ne andere Frage: Machst du dir nicht ein wenig Gedanken wegen dem Maulwurf? Wenn sie euch vollständig bei den Riots verpfeift, werdet ihr es schwer haben.» Narutos Blick verfinsterte sich. «Ich gaube nicht, dass das ihr Plan ist. Sonst hätte sie es längst getan. Aber wir holen sie uns zurück.» Pause. «Will sie denn zurückkommen?» Auf Narutos Gesicht stahl sich ein Grinsen. «Es ist nicht so, dass sie eine Wahl hat.» Am anderen Ende erklang ein trockenes Auflachen. «Klingt ganz nach Kurama. Aber irgendwas ist da auf jeden Fall faul. Ich bin ziemlich sicher, dass der Riot-Leader sie zur nächsten Konfrontation mitbringen wird, sie ist seine ultimative Waffe. Steht sie vornedran, drückt keiner von uns ab.» Im Rest des Gesprächs beschlossen die Beiden, Späher durch die Stadt zu schicken. Vielleicht gab es so eine Möglichkeit, die Riots auf frischer Tat zu ertappen. Aber mehr zu tun wäre riskant gewesen.   Hinata kam jeden Tag in die Schule, behandelte Ino und Sakura jedoch wie Luft. Aber die beiden trugen Narutos Zuversicht im Herzen und deshalb beirrte sie Hinatas Verhalten nicht, im Gegenteil, es motivierte sie sogar. Leider war die gegenwärtige Situation in Konoha alles andere als schön. Hatten sie gehofft, der allgemeine Gang-Hass würde bald abklingen, so hatten sie sich böse getäuscht. Es fühlte sich an, als würde es jeden Tag schlimmer werden. In den Zeitungen wurde von Demonstrationen vor dem Rathaus berichtet, von einer wütenden Bevölkerung, die sich die Scherereien mit den Riots nicht mehr bieten lassen wollten. Das Problem dabei war, dass sie keinen Unterschied zwischen Riots, Kuramas, Takas und jeder anderen Gang machten. Sie wollten einfach, dass man etwas gegen «die Gangs» tat. Und dabei nahmen sie kein Blatt vor den Mund. Als «Abschaum», «Nichtsnutze» wurden sie betitelt. Wegsperren sollte man sie, für immer. Inzwischen war die prekäre Situation in Konoha landesweit Thema. Im Fernsehen liefen andauernd Talkshows zum Thema Gangproblematik, in den Nachrichten wurde immer mindestens ein Beitrag dazu gesendet und die Zeitungen waren überfüllt mi Berichten und Interviews mit sogenannten Experten. Und genau das schien die Riots nur noch mehr anzutreiben. Sie wollten diese Krawalle, sie wollten die Aufmerksamkeit, die Aufruhr. Sie waren sensationshungrig. Und sie hatten ihr Ziel erreicht, sie hatten auf die Gangs aufmerksam gemacht, jedoch keineswegs im positiven Sinne. Was sie sich dabei dachten war für sie unerklärlich. Als an einem milden Maiabend Kiba und Shikamaru das HQ betraten, war ihnen gleich im Gesicht abzulesen, dass irgendetwas vorgefallen war. «Scheiss-Kinder!», brüllte Kiba und kickte wütend gegen Akamarus Spielball, der vor seinen Füssen auf dem Boden lag. Der Ball flog durch die Luft, prallte gegen die Wand und wurde gleich darauf von Akamaru gefangen. «Was ist den passiert?», fragte Sakura, die gerade in ihre Mathematikaufgaben vertieft am Tisch sass. «Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie ich diese Riots hasse! Die haben vielleicht was angerichtet!» «Kiba, raus mit der Sprache.» Naruto trat aus der Küche und sah nicht minder besorgt aus. «Wir waren auf der Glade’s, nachdem wir noch ein paar Sachen eingekauft haben», er wies mit der Hand auf die drei Sixpacks mit Bier und einem Beutel voll mit Knabberzeug, die sie beide mit sich trugen. «Und dann war da so ein blöder Balg. Hat mit dem Finger auf uns gezeigt und ja, ich weiss, ich sollte nicht mit sichtbarem Tattoo rumlaufen, aber es war nun mal ziemlich warm heute Nachmittag. Jedenfalls kommt dieses Kind und zeigt mit dem Finger auf uns. ‘Meine Mama sagt, ihr seid schlechte Menschen’, hat es gesagt. Mir war das eigentlich egal. Ich sagte also, dass mir eigentlich egal sei, was seine Mutter denke. Seine Mutter sass wenige Meter entfernt auf einer Bank und schaute zu. Dann hat doch dieser verfluchte Hosenscheisser Steine nach uns geworfen. Nicht dass es wehgetan hätte oder so, aber hallo?! Da könnte ja ich besser Kinder erziehen! Und die Mutter sass nebendran und hat nur dumm geschaut. Nach einer halben Ewigkeit hat sie dann gesagt, dass er zu ihr kommen soll, wir seien zu gefährlich.» «Kiba war kurz davor, dem Kind den Hals umzudrehen, aber wir haben uns natürlich zurückgehalten», ergänzte Shikamaru ruhig. «Wollen ja ihre Erwartungen nicht noch erfüllen.» Sakura verstand den Ärger der beiden nur zu gut. Schon das blosse Zuhören, liess sie vor Wut kochen. Was fiel dieser Mutter eigentlich ein? Die Beiden hatten nichts getan und sie liess ihr Kind Wildfremde mit Steinen bewerfen? «Es waren viele Leute dort und alle schienen mit dieser Rabenmutter einverstanden zu sein.» Kiba schmiss sich aufs Sofa. Naruto hatte bisher geschwiegen, aber er sah bedrückt aus. «Irgendwie haben wir früher viel mehr im Einverständnis mit der Bevölkerung gelebt, wenn man das so nennen kann. Im Sinne von Ich-lasse-dich-du-lässt-mich. Ich weiss nicht, was die Riots damit bezwecken wollen. Echt nicht. Und an uns scheinen sie irgendwie ein bisschen das Interesse verloren zu haben. Ich blicke nicht durch…» «Geht uns allen so», brummte Shikamaru und setzte sich zu Sakura an den Tisch. «Sakura, Logarithmus naturalis der Euler’schen Zahl ist 1», bemerkte er beiläufig. Sakura schaute verblüfft auf das Heft. «Ach ja, richtig…deshalb hat das nicht hingehauen.» Logarithmen hätten sie derzeit nicht weniger interessieren können. Aber sie bewunderte Shikamaru, der ihr in letzter Zeit des Öfteren bei ihren Mathematikarbeiten geholfen hatte. Er hätte locker einen Uniabschluss geschafft. Unter anderen Umständen. Wenn man ihn nicht als Abschaum und Nichtsnutz ansehen würde. «Reg dich jetzt nicht mehr auf, Kiba, das bringt nichts», meinte Naruto beschwichtigend, doch Kiba dachte nicht daran. «Mir bringt es aber was. Immerhin habe ich den Hosenscheisser in Ruhe gelassen.» Damit verschwand er aus dem Aufenthaltsraum. Sein Ärger war berechtigt. «Was sollen wir tun, Boss? Wir können uns ja nicht einfach den Schwanz einziehen und nirgendwo mehr hingehen», fragte Sai in seinem ruhigen, besonnenen Ton. Er hatte bis eben schweigend auf der Couch gesessen und das Szenario mitverfolgt. «Aber angreifen halte ich auch nicht für die beste Option. Ich meine, wenn wir nun wieder Battles starten, dann wird das die Bevölkerung noch mehr verärgern. Das Fass ist für sie bereits überlaufen.» Sakura fühlte eine Enge in ihrer Brust. Das alles schien so ausweglos zu sein. Die Riots hatten da etwas vom Zaun gerissen, das böse Folgen für sie alle haben würde, wenn das so weiterging. «Wie spät ist es eigentlich?», fragte Shika. «Halb sechs.», meinte Sakura nach einem Blick auf ihr Handy-Display. «In einer halben Stunde kommen die Nachrichten. Lass uns einmal sehen, wie die Lage genau ist.» «Aber vorher lasst ihr den Fernseher bitte nicht an. Sonst läuft womöglich noch irgendeine dämliche Talkshow in der sie über uns urteilen, ohne uns zu kennen.», brummte Naruto. «Hab heute eine gesehen. Was die da reden ist haarsträubend. Stellen uns dar wie wilde Tiere, die keine Ahnung von zivilisiertem Leben haben. Irgendwelche Psychologen und Sozialexperten, die ihr Leben in den höheren Schichten zugebracht haben. Zum Kotzen.» Das Gespräch hinterliess bei Sakura einen bitteren Nachgeschmack. Wenn Mathematik schon vorher mühsam gewesen war, dann konnte sie es jetzt genauso gut sein lassen. Die Logarithmen konnten ihr gestohlen bleiben. Um sechs warf Sai den Fernseher an, pünktlich zum Intro der Nachrichten. Die Moderatorin erzählte zuerst die Nachrichten aus dem Ausland, ehe sie zum Inland kam. Dann erzählte sie zuerst von weiteren Aktivitäten der Riots, die Sakura schon wieder sauer machten. Es war wirklich kein Wunder, dass sich die Zivilisten fürchteten, wenn man jederzeit damit rechnen musste, Opfer eines Verbrechens zu werden. Selbst die ganzen zusätzlichen Polizeipatrouillen schienen ihnen keinen Einhalt bieten zu könnten; da waren Gangs im Vorteil. Sie kannten Konoha wie ihre Westentasche. Jedes Schlupfloch, jedes noch so kleine Gässchen. Doch dann kam die verblüffendste Nachricht.  «Gerade heute wurde von diversen Mitgliedern des Sicherheitsdepartements bekundigt, dass sie ihren Präsidenten, Yohei Ito, nicht mehr für kompetent genug halten, mit der Situation umzugehen. Zu viel sei in den letzten Wochen passiert, zu wenig wurde unternommen. Die Zweifler sind dabei die nötigen Schritte einzuleiten, um eine Neuwahl des Präsidentenpostens zu verlangen. Aber auch in der Bevölkerung wächst der Unmut. So gibt es nur noch wenige Stimmen, die die Gangs zu verteidigen versuchen.» «Wer hat uns denn jemals verteidigt?», brummte Naruto. «Jedoch sind genau diese Stimmen sehr deutlich und laut. Einige junge Menschen solidarisieren mit den Gangs und ihren Handlungen. Durch sie wurde ein neuer Aspekt der gesamten Thematik ins Gespräch gebracht: Sind die Gangs und ihre gesetzlichen Widerhandlungen im Grundsatz ein Fehler des Staates?» «Ein Witz, dass erst jetzt einer auf diese Idee kommt. Ist doch offensichtlich ein Fehler des Staates!» Kiba war wiedererschienen und auch einige andere gesellten sich zu ihnen. «Wie wenn wir mit Absicht auf der Strasse gelandet wären!» Tenten lachte trocken. «Psst, ich will zu Ende hören!» «…steht es fest, dass es im Sicherheitsdepartement Veränderungen geben wird und dass von nun an immerzu mehr Polizeikraft in Konoha zugegen sein wird. Das Problem, das bisher immerzu unter der Oberfläche geschlummert hat, ist nun in immenser Kraft hervorgebrochen und verlangt unserer Stadt einiges ab. Für die Regierung ist klar: Die Gangproblematik eskaliert zum letzten Mal in diesem Ausmass.» Dann sprach sie noch etwas über das Wetter und gleich darauf waren die Nachrichten beendet. Sakura konnte sich kaum rühren. Während die anderen in Diskussionen ausbrachen, stahl sie sich leise davon, auf den Gang, dann zur Hintertür hinaus. Draussen schien die abendliche Maisonne und tauchte die Bootsanlegestelle in warmes Licht, jedoch zogen am Horizont Wolken auf. Sie musste jetzt mit jemandem reden, der Ruhe bewahrte. Jemand, der ihr die Sicherheit gab, die sie brauchte. Denn in ihr brodelte etwas. Sasuke ging nach dem zweiten Läuten ran. «Alles klar?», war das Erste, was er fragte. Für ihn war klar, dass etwas nicht gut sein konnte, wenn sie anrief, denn sie telefonierte nicht wahnsinnig gerne. «Hast du die Nachrichten gesehen?», flüsterte sie. «Wie jeden Tag, ja.» «Macht es dir nicht Angst?» Sie brachte kaum einen Ton heraus. Ihr Gefühl verkündete Unheil. Irgendetwas schreckliches würde passieren, sie ahnte es, doch in Worte fassen konnte sie es nicht. Eine Weile blieb es still in der Leitung. «Doch. Es beunruhigt mich. Sakura, irgendwas ist nicht okay mit dir oder?» Und wie recht er hatte. Sie zitterte. Sie fühlte sich bedroht. Die Vorfälle in Konoha schwebten wie ein Phantom über ihnen, bereit, zuzuschlagen. «Ich habe ein schreckliches Gefühl…», brachte sie hervor. «Aber vielleicht bilde ich mir es auch nur ein.» «Was für ein Gefühl, Sakura?» Seine Stimme klang bestimmt – er nahm sie ernst. «Ein ungutes. Irgendwas wird passieren, Sasuke. Diese ganzen Berichte sind nur die Vorboten von etwas Grösserem…» «Okay, Sakura. Wo bist du gerade?» «Im HQ.» «Ihr habt doch den Park, fast neben eurem Wohnblock. Möchtest du dorthin kommen? Dann kannst du mir alles erzählen.» Sakura nickte, bis sie merkte, dass er das ja nicht sehen konnte. «Ich mache mich auf den Weg.» «Bis dann.» Es klickte in der Leitung.   Sakura verabschiedete sich rasch von den anderen, sie hätte sowieso bald nach Hause gehen wollen, denn heute war Donnerstag. Morgen war ein ganz normaler Schultag und jetzt wo die Abschlussprüfungen bevorstanden lohnte es sich, dort anwesend zu sein. Die U-Bahnfahrt schien sich elend lange zu ziehen. Dabei versuchte sie, immerzu auf der Hut vor Riots zu sein, denn ihre rosa Haare waren leider Gottes nun einmal ein Merkmal, das auffiel. Als sie in eine der Downtown-Haltestellen einfuhren, erblickte Sakura sofort ein aufdringlich neongelbes Graffiti, das von den Riots stammte. «Ihr seid nirgends mehr sicher», stand da in grossen Buchstaben Sakura hatte die Kapuze ihres Pullovers zwar bereits oben, jedoch zog sie sie sich nun noch etwas weiter hinunter ins Gesicht. Irgendwie kam es ihr auch vor, als würden weniger Leute in dem Zug sitzen als sonst. Es war immerhin Feierabendzeit und trotzdem gab es noch freie Sitzplätze? Das war bestimmt kein normaler Zustand. Nun spürte sie dieses Gefühl von Bedrohung noch einmal mehr. Sie war heilfroh, als sie die U-Bahnstation bei sich zu Hause verlassen konnte. Schnell lief sie die Strasse entlang, am alten Fitnessstudio vorbei über die Strasse und betrat den Park. Er war so klein, dass sie schnell feststellte, dass Sasuke noch nicht da war. Am Feierabend durch die Downtown fahren war eine zeitaufwändige Aktivität. Inzwischen sah der Himmel aus, als bestünde er aus zwei verschiedenen Teilen, die über ihrem Kopf aufeinandertrafen. Vermutlich würde es bald regnen. Sakura setzte sich auf die Parkbank nahe des kleinen Brunnens. Das friedliche Plätschern des Wassers war ein angenehmes Hintergrundgeräusch, doch ihre Unruhe verschwand dadurch nicht. Obwohl sich im Park kaum Menschen befanden, schaute sie sich immer wieder um, weil sie sich fürchtete, dass sich ihr jemand von hinten nähern konnte. Hoffentlich kam Sasuke bald. Und er kam. Sie erschrak fürchterlich, als sie plötzlich hinter sich seine Schritte im Kies wahrnahm. In Windeseile hatte sie sich umgedreht und ihr Körper entspannte sich sogleich wieder, als sie ihn erkannte. Es war schon wieder einige Wochen her, dass sie sich gesehen hatte, für Sakura eine gefühlte Ewigkeit. Aber es war einfach schwierig. Dass sie in verschiedenen Gangs waren, machte es nicht gerade leichter. Ehe sie es sich versah, war sie aufgesprungen und ihm um den Hals gefallen. Wärme stieg in ihr auf und dieses wohlige Gefühl von Geborgenheit und Liebe breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Er erwiderte die Umarmung nicht minder bestimmt. Bevor sie sich von ihm löste, spürte sie seine Lippen auf ihrer Stirn. «Hey.» «Hey.» Er nahm sie bei der Hand und führte sie zurück zur Bank. Auch er hatte die Kapuze über den Kopf gezogen. Als Gangleader war er quasi das Gesicht der Takas, weshalb es ratsam war, sich nicht gleich zu erkennen zu geben. «Also, leg los.» Und sie legte los. Ihm von ihren Bedenken und diesem schlimmen, unheilverkündenden Gefühl zu berichten, war erleichternd. Er war jemand, mit dem sie sich stark fühlte. «Ich nehme an, ihr schaut die Nachrichten auch?» «Jeden Abend. Obwohl es kaum auszuhalten ist.» «Glaubst du nicht, dass da irgendetwas schlummert? Weisst du, zum Beispiel auch die Talkshows. Alle Welt scheint uns zu hassen.» Sasuke legte den Kopf schief. «Das war schon immer so, Sakura. Nur machen sie es jetzt publik.» Sie holte Luft, um etwas zu erwidern. Aber ihr wurde schnell bewusst, wie recht er hatte. Natürlich, die Leute waren nie Fans von den Gangs gewesen, aber dieser Hass, diese Schuldzuschreibungen und Betitelungen waren so unmenschlich und kalt, dass es Sakura kaum mehr für möglich hielt, dass das alles wirklich von Menschen ausging. «Ich spüre einfach diese unbändige Kaltherzigkeit in den Menschen. Und das löst in mir Dinge aus, die ich kaum beschreiben kann. Mein Gefühl sagt mir, dass wir aufpassen müssen. Denn irgendwas wird passieren.» «Kannst du das genauer beschreiben?» Sie schüttelte den Kopf. «Nein. Aber die gesamte Situation wirkt so bedrohlich auf mich. Als ob wir im Moment der grössten Bedrohung überhaupt gegenüberstehen würden.» «Wir bewegen uns derzeit auf dünnem Eis, da hast du recht. Was mich nun aber beunruhigt ist, dass dir dein Gefühl solche Sachen sagt. Weil ich deinem Gefühl vertraue.» Überrascht hob sie den Kopf. «Wie meinst du das?» «Du bist der wohl feinfühligste Mensch, der mir in meinem Leben begegnet bist. Du bist noch keine zwanzig, verstehst die Menschen aber wie keine andere. Das ist dir gegeben, Sakura, auch wenn du es nicht bewusst wahrnimmst.» Obwohl Sakura diese Äusserungen irgendwie nicht auf sich beziehen konnte, fühlten sie sich wirklich gut an. Dass er ihr eine solche Gabe zuschrieb, machte sie ein wenig stolz. «Itachi hatte auch immer solche Ahnungen. Und meistens traten sie früher oder später auch in irgendeiner Form ein. Und deshalb finde ich, dass sich das keineswegs komisch anhört.» Sakura stutzte. Es war wohl das erste Mal, dass er Itachis Namen einfach so in den Mund nahm. «Ich weiss einfach, dass Menschen ganz hässliche Dinge tun können, wenn sie sauer, traurig oder verängstigt sind. Oder verzweifelt, so wie du es vor ein paar Wochen gesagt hast. Wie damals im Dritten Reich. Und ich habe Angst, dass wir ihre Zielscheibe werden.» Und nach reiflicher Überlegung fügte sie an: «Itachi und Kankuro waren genug…» Das traf ihn. Obwohl er vorhin seinen Bruder selber erwähnt hatte, musste er leer schlucken. Sakura fragte sich, ob sie nun in ihrer emotionalen Unachtsamkeit eine Grenze überschritten hatte, die sie besser unangetastet gelassen hätte. Doch dann nickte er und sagte mit gedämpfter Stimme: «Ja, sie waren genug. Wir kriegen das hin, Sakura.» Sie legte den Kopf an seine Schulter und eine Weile sassen sie so da und dachten an ihre verstorbenen Lieben. Seine Worte beruhigten sie – wie erwartet. In letzter Zeit hatte sie ihn nie mehr nach Itachi gefragt. Wenn sie genauer darüber nachdachte, dann hatte sie Itachi beinahe vergessen. Dabei war es noch kein halbes Jahr her, dass Sasuke seinen Bruder verloren hatte. Aber sie war so mit sich selbst und in den letzten Wochen mit Kankuro und der Trauer um ihn beschäftigt gewesen, dass sie schlichtweg nicht mehr daran gedacht hatte. Wie egoistisch von ihr. «Wie geht es dir eigentlich?», fragte sie leise. Jetzt wo sie sich selbst ein wenig beruhigt hatte, wollte sie wissen, wie es um ihn stand. Er schaute sie überrascht an. Anscheinend hatte er nicht mit dieser Frage gerechnet. «Gut.» «Wie gut?» Er grinste leicht. «So gut, wie es einem nun mal geht, wenn man sich mit all dem Mist rumschlagen muss.» Sie spielte mit dem Gedanken, nach Itachi zu fragen, jedoch liess sie es bleiben. Ihr Gefühl sagte ihr, dass es einen besseren Zeitpunkt geben würde. «Ich würde jetzt ja gern sagen, dass das schön zu hören ist, aber irgendwie passt das nicht so recht», meinte sie lächelnd. Obwohl um sie herum das reinste Chaos herrschte, fühlte sich Sakura in seiner Gegenwart einfach nur wohl. Sie liebte seinen Geruch, die Wärme seiner Hände und den Klang seiner Stimme. Es war schon verrückt, wie sehr sie ihn liebte. Noch nie hatte sie einem Jungen gesagt, dass sie ihn liebte, bis er gekommen war. Bei ihm fiel es ihr leicht, das zu sagen, weil es für sie keine Zweifel gab. Kein Mann auf dieser Welt würde ihm je das Wasser reichen können, egal, welche Macken er hatte. Für sie war es wie ein Wunder, dass er tatsächlich sie gewählt hatte. Dabei war an ihr nichts Begehrenswertes. In einer Zeit wie dieser, in der jeden Tag etwas Schlimmes passieren konnte, wurde ihr das einmal mehr bewusst. Und sie wollte es ihn wissen lassen, denn so etwas wie die Garantie auf eine sichere Zukunft gab es für sie nicht. «Ich liebe dich», flüsterte sie in den Stoff seines Pullovers hinein. Damit hatte er nicht gerechnet, denn er wirkte mehr als überrascht – positiv überrascht. Er lehnte seinen Kopf an ihren und drückte ihr einen Kuss aufs Haar. «Ich liebe dich auch.» «Warum?», murmelte sie nachdenklich. Jetzt musste er lachen. «Dasselbe könnte ich dich zurückfragen. Ich finde es schwierig, das in Worte zu fassen. Es wird nie so klingen, wie es wirklich ist.» «Und wenn du es mir aufschreibst?» «Nur, wenn du dasselbe machst.» Er schien sich sichtlich über ihre Idee zu amüsieren. «Abgemacht. Ich werde es dir aufschreiben.» Sie fand Gefallen an der Idee. Sie teilte seine Ansicht: Es wirkte schnell etwas anders, wenn man nicht auf Anhieb die richtigen Worte fand. Und beim Schreiben hatte man Zeit. «Aber ich warne dich, ich bin nicht besonders schreibbegabt.» «Das spielt keine Rolle», flüsterte sie. Zum ersten Mal ertappte sie sich dabei, wie sie wirklich an die Zukunft dachte, an ihre Zukunft. Sie hatten keine einfache Geschichte. Sie kannten sich bald ein Jahr lang richtig, jedoch kam es ihr vor, wie wenn es schon viele Jahre wären. Würden sie auch in fünf Jahren noch so empfinden. Würden sie überhaupt noch zusammen sein können oder würde der Gangstreit sie wieder entzweien? Und wenn nicht, würden sie beide denn überhaupt genug verdienen, um ein anständiges Leben führen zu können? Würde Sasuke seine Alkohol- und Raucherprobleme hinter sich lassen können? Und würde sie jemals herausfinden, was sie in ihrem Leben wirklich wollte? Viele Fragen, keine Antworten. Aber es reichte, ihn hier neben sich zu haben, den Kopf in seiner Halsbeuge, seinen Atem zu hören, seinen Geruch zu riechen und seine Wärme zu spüren, damit sie sich sicher fühlte. Es gab immer einen Weg und sie hatten bisher schon einige Schwierigkeiten überwunden. Sie würden das schon hinkriegen. Es reichte ein Blick auf die wunderschönen Blumen im Park. Auch sie schafften es, nach diesem kalten, langen Winter zu gedeihen. Sakura hob den Kopf und suchte seine Lippen. Ihn zu küssen war jedes Mal wieder atemberaubend. Vielleicht lag es daran, dass sie ihn nicht allzu oft küsste. Wie auch immer, in diesem Moment hätte sie auf ewig verharren können. Aber die Realität rief.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)