Der Traum von Kawaiibooker ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es ist die dröhnende Stille nach einer Schießerei, die Booker DeWitt fertigmacht. Die Gewalt, das Blutvergießen... Daran war er nach Jahren als Soldat, dann als Privatdetektiv gewöhnt. Erst in dem Moment, wenn sich das rationale Denken wieder meldet – nach langen Minuten, in denen das laut pochende Herz und Adrenalin herrschten – und man die angstverzerrten Gesichter der Zivilisten wieder wahrnimmt, die sich hinter verbarrikadierten Fenstern und Türen verstecken – dann merkt man, dass die Last der eigenen Sünden um ein Stück schwerer geworden ist. Schwer atmend streicht sich Booker mit dem Handrücken den Schweiß aus den Augen und schaut sich um. Elizabeth kommt aus ihrem Versteck hinter einer Wand hervor, das Gesicht kreidebleich und die Augen weit aufgerissen. Egal, wie viele Lakaien Comstocks bereits gefallen sind, sie trifft der Tod weiterer Soldaten immer noch hart. „Wir sollten uns umsehen... Schauen, was sich noch finden lässt“, sagt sie, als sie neben ihm stehen bleibt. Sie kreuzt ihre Arme. „Unsere Vorräte gehen zur Neige.“ Booker nickt und zeigt auf die Gebäude zu seiner Linken. „Ich übernehme diese Seite. Bleib‘ in der Nähe“, befehlt er und macht sich an die Arbeit. Mit geübten Augen entdeckt er versteckte Munition, Verbandskästen und andere nützliche Dinge in den mittlerweile verlassenen Gebäuden. Erst danach geht er zu den Leichen, durchsucht auch dort Hosentaschen und Waffenholster nach Brauchbarem. Booker seufzt. Die Ausbeute ist eher mager. Er ist auf dem Weg zurück zu Elizabeth, die in irgendeiner Kiste am anderen Ende des Platzes wühlt, als er den Soldaten mit merkwürdig ausgebeulter Kleidung sieht. Etwas zögerlich geht er näher an den Getöteten heran, denn nach den Rabenmännern, dem Handyman und anderen gestörten Kreaturen, denen er während seines kurzen Aufenthaltes auf Columbia begegnet ist, wundert ihn gar nichts mehr. Mit einem der Haken seines Skyhooks hebt er vorsichtig die zerschossene Weste an, um darunter... eine Ananas zu finden? Verdutzt stupst Booker den unerwarteten Fund an – es scheint eine stinknormale Ananas zu sein. Nun ja, so normal eine tropische Frucht auf einer fliegenden Insel in mitten eines Schlachtfeldes sein kann. Essen ist Essen, denkt sich der frühere Detektiv und nimmt die Ananas an sich. Wer weiß, wie knapp ihre Ressourcen noch werden, da kann ein bisschen Vitamin C nicht schaden. Mit ein bisschen Gewalt wird die Frucht also neben Munition und Salzen in seine Tasche gestopft und der Vorfall vorerst vergessen. <> <> <> Der Raum ist versteckt, mehr oder weniger warm und ausreichend beleuchtet. Was will man mehr, denkt Booker grimmig, stellt die Gitarre, die er an einem Stuhl angelehnt fand, zur Seite und setzt sich mit einem erschöpften Seufzen hin. Elizabeth wirft ihm einen kurzen Blick rüber und beschäftigt sich dann weiterhin mit dem Kind, welches sich zitternd unter der Treppe versteckt. Nachdem sich Booker der sperrigen Waffen und weiterer Ausrüstung, die er momentan nicht braucht, entledigt hat, nimmt er das Instrument wieder zur Hand und lässt experimentell ein paar Töne erklingen. Elizabeth summt leise mit und streckt dem Kind mit einem Lächeln die Hand entgegen. Die Musik, kombiniert mit der unschuldigen Freundlichkeit der jungen Frau vor ihm, lässt ihn schließlich aus seinem Versteck kommen und schüchtern zurücklächeln. Nach einem kurzen Zögern winkt er zum Abschied und geht hastig seines Weges, wahrscheinlich zurück zu seinen Eltern nach Shantytown. Elizabeth fängt an, ihnen ein kleines Lager aufzubauen, findet hier und da ein paar kaputte Decken und einigermaßen bequem aussehende Kissen. Nach einer Weile schläft sie, dick in eine Decke eingemummelt, ein und wacht nur kurz auf, als Booker ausversehen die Gitarre beim Wegstellen gegen eine Kiste schlägt. Auch er macht es sich gemütlich und will eigentlich Wache halten – eigentlich, denn die Augen nach ein paar Stunden noch offenzuhalten erweist sich als unmöglich. Nach und nach döst er ein, nach wenigen Minuten ist auch er im Reich der Träume. Booker läuft durch den Jahrmarkt anlässlich des 6. Julis, beobachtet die unbesorgten Bürger Columbias, die bei Spielbuden mit zu gewinnenden Preisen und Demonstrationen von neuen Erfindungen stehenbleiben und nach Aufforderung lachend mitmachen. Hier und da rennen Kinder mit Zuckerwatte und anderem Süßkram herum, die besorgten Eltern sind dicht hinterher. Obwohl ihn das Gefühl nicht loslässt, dass irgendwas in dieser Stadt nicht ganz richtig ist, ignoriert er das Gefühl der Falschheit erstmal und schlendert an den Essensständen vorbei. „Tag, Seemann! Aus welchem Hafen kommst du denn?“, tönt eine Stimme hinter ihm. Booker greift instinktiv nach seiner Pistole, bis ihm einfällt, dass er sie auf dem Weg nach Columbia verloren hat, und dreht sich um. Ein Mann, ungefähr in seinem Alter, vielleicht ein wenig jünger, mit Sonnenhut und dem Columbia-typischen Anzug, lächelt ihn verschmitzt an. Seine Augen wandern einmal von Bookers Gesicht über seinen ganzen Körper bis zu den Schuhen und zurück, dabei nickt er anerkennend. „Herrscht da gerade Sturm? Du verstehst, was ich meine, oder?“ Eine Antwort darauf ist entfällt Booker, so verblüfft ist er von den Auftreten seines Gegenübers. Wurde... wurde er gerade angebaggert? Warum Seemann? Welcher Hafen? Dem Mann scheint seine Verwirrung nichts auszumachen, im Gegenteil: Er kommt näher, viel näher und rückt mit geschickten Fingern Bookers Krawatte zurecht. „Moment mal“, protestiert Booker grummelnd, wenn auch ein wenig spät, doch auch das beirrt den Kerl nicht – einen Moment später befindet sich eine Hand in Bookers Haar und die andere um seine Hüfte. Er kann sich aus unerfindlichen Gründen nicht so frei bewegen wie sonst und sich daher auch nicht vor den ungewollten Avancen wehren. Er hat einen Auftrag zu erledigen, verdammt noch mal! Was fällt diesem Burschen eigentlich ein? Sein ganzes Blickfeld ist mit dem Gesicht des Fremden ausgefüllt, der ihm tief in die Augen schaut und Booker zu sich zieht. Booker spürt eine Sekunde später Lippen auf seinen eigenen und möchte abermals Worte des Protests loswerden, nur um eine willige Zunge in seinem Mund vorzufinden. Der Mann hat Talent, das muss man ihm lassen, auch wenn die ganze Situation völlig absurd ist – er schmeckt nach etwas exotischem, etwas leicht säuerlichem, nach... Ananas? Booker nimmt mit einem Rauschen in den Ohren den Fremden wieder wahr, traut seinen Augen kaum: Vor ihm steht der gleiche junge Mann, doch seine Kleidung... Er ist äußerst leicht bekleidet, trägt ein kurzes, gelbes Kleid und sein Hut ist zu einer gewächsartigen Krone geworden– Mit einem Keuchen erwacht Booker aus dem Schlaf. Es war alles... ein Traum? Sein Herz pocht wild in seiner Brust und sein Gesicht fühlt sich merkwürdig warm an. Das Gefühl der Verwirrung, welches ihn durch den Traum wie einen roten Faden begleitet hat, sitzt tief in seiner Magengrube. Ein kurzer Blick zu seiner Rechten versichert ihn, dass Elizabeth noch sorglos weiter träumt und nichts von seiner Eskapade bemerkt hat. Ein paar Minuten verstreichen, in denen Booker sich sammelt und sich schließlich die Frage stellt, aus welcher Ecke seines Unterbewusstseins dieser Traum entsprungen ist. Warum eine Ananas? Wer war der Fremde? ...Warum träumt er davon, einen Mann zu küssen? <> <> <> Ein paar Stunden später döst Elizabeth, kurz vor dem vollen Bewusstsein, als ein lauter Schuss ertönt. Die junge Frau richtet sich schlagartig auf und stößt einen kurzen Schrei aus, um schließlich den Blick auf die Quelle des Lärms wandern zu lassen: Booker, ihr stets grimmiger Begleiter, steht mit zerzaustem Haar und Dreitagebart mit einer noch rauchenden Pistole in der Hand... vor einer Ananas, die nun durch ein großes Loch in ihrer Mitte verziert ist. Ein paar Momente der Stille vergehen, dann bemerkt Booker, dass sie wach ist. Mit einem genervteren Blick als sonst sagt er: „Frag einfach nicht“, nimmt die durchlöcherte Ananas und wirft sie mit Schwung in die Ecke. Diese zerspringt in mehrere Einzelteile und ward nie wieder gesehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)