Die Fürstenbraut des Westens von Hotepneith (Hochzeitsreise mit Schwierigkeiten) ================================================================================ Kapitel 1: Koromi ----------------- Koromi begriff sofort, dass sie verraten worden war. Noch während ihr Körper die Magiewelle spürte, die sich in der blauen Mondsichel auf ihrer Stirn zu bündeln schien, richtete sie den Blick vom Grab ihres Vaters zu dem weiter entfernten Schloss der Fürsten des Südens, hier am Rande des subtropischen Waldes. Das, was die junge weißhaarige Hundedämonin spürte, war eindeutig die Magie des legendären Halsbandes – Schutz des Südens und das Herrschersymbol des Fürsten. Nun, mehr als das. Wer immer es trug WAR Fürst, denn der Zauber dieses Schmuckstücks schützte seinen Träger vor jedem Angriff, sei es durch Magie oder Waffen, ihn und das gesamte Land. Jetzt brauchte sie sich nicht mehr fragen, warum ihre ach so liebe jüngere Schwester Sumi so darauf bestanden hatte, dass sie die letzten Trauerriten für ihren Vater noch rasch allein und persönlich ausführte, ehe sie das magische Band umlegte, das bis zu seinem Tod um Vaters Hals gehangen hatte. Diese kleine Verräterin hatte sich unterstanden ihre Abwesenheit auszunutzen und das Halsband zu stehlen! Selbst die Neugierigen in den Gärten des Schlosses, die ihr beim Setzen des Gedenksteines aus Entfernung hatten zusehen wollen, waren verschwunden. Ohne weiter nachzudenken nahm Koromi ihre wahre Gestalt als große weiße Hündin an und raste zurück in das zweistöckige Schloss, wo sie sich zurückverwandelte – nur, um festzustellen, dass sie Recht gehabt hatte. Die nur mehr wenigen Wachen hielten sie nicht auf, deren Aufmerksamkeit war offenkundig ebenso auf Vorgänge im Inneren gelenkt. So eilte sie, so rasch es ihr Rang erlaubte, in das gespenstisch leere Schloss, keinen Blick für die kostbaren Mosaiken und Intarsien an den Säulen und Wänden habend. Ihre kleine Schwester saß im großen fackelerleuchteten Empfangsaal auf Vaters erhöhtem Platz, das mit zwölf bläulich schimmernden Juwelen strahlende Halsband um die Kehle, alle dichtgedrängten Anwesenden vor ihr kniend. Selbst den weißen Kimono, den beide Schwestern zuvor zum Zeichen der Trauer um ihren Vater getragen hatten, hatte sie nun abgelegt und zeigte sich mit wertvoll bestickten Stoffe, die sie so doch noch nie besessen hatte. Koromi erstarrte, für einen Augenblick unfähig einen Gedanken zu fassen. Sumi lächelte fein: „Oh, liebe Schwester, kommst du mich zu beglückwünschen?“ Sie erhob sich mit ungewohnter Eleganz und Selbstsicherheit und schritt auf die bisherige Thronerbin zu, um leise zu sagen: „Du bist eine Närrin, Koromi. Dumm, stolz und ehrbar. Aber jetzt bin ich die Fürstin. Und du kannst nichts mehr dagegen tun. Das Halsband schützt nun mich.“ „Du hast es gestohlen!“ protestierte die Ältere prompt, auch, wenn ihr nur zu klar war, dass allein der Fakt zählte, und der hieß nun einmal, dass das Halsband um die Kehle Sumis lag und nicht um die ihre. Die uralte geheimnisvolle Magie darin schützte diese jetzt – und das südliche Fürstentum, wie seit Jahrtausenden bei jedem Fürsten. Das sagte ihr sonst so nüchterner Verstand, aber im Moment empfand sie nur das bittere Gefühl der Niederlage – und des Verrates. Wie hatte sie nur so töricht sein können dem Argument ihrer Schwester zu glauben, dass sie das Halsband erst umlegen dürfe, wenn Vater beerdigt wäre, ja, sie nach alter Tradition den Gedenkstein gesetzt hätte, es wäre ja kaum eine halbe Stunde....Aber sie wusste warum. Sie hatte für einen Augenblick, einen winzigen, fatalen Moment angenommen, ihre Schwester trauere um Vater ebenso wie sie. Sumi unterdrückte ihren Triumph nicht. So lange hatte sie zurückstecken müssen, solange hören müssen, dass ihre Schwester besser, stärker, schöner sei als sie, die Erbin und künftige Fürstin. In Vaters Augen war sie immer nur die Zweite gewesen: „Verehrte große Schwester, ich habe es genommen, da du nicht anwesend warst. Du musstest ja unseren verstorbene Vater noch so perfekt beerdigen. - Aber, keine Sorge. Die Fürstin des Südens wird für ihre Schwester auch schwesterlich sorgen.“ Das wagte Koromi zu bezweifeln. Sie wusste, dass sich ihre Schwester stets gegen sie zurückgesetzt gefühlt hatte. Aber sie bemühte sich um Selbstbeherrschung, denn in einem hatte Sumi leider Recht: durch das sie schützende Halsband war diese die anerkannte Fürstin und die Wachen und jeder andere Dämon im Süden würde nun sie selbst angreifen. Nicht einmal, wenn sie sie zum Kampf in ihrer wahren Gestalt forderte, hatte sie eine Chance. Als Welpe hatte sie einmal gesehen, wie ein großer schwarzer Hund den Fürsten zum Duell gefordert hatte und den beißen wollte. Die Steine des Halsbandes hatten so grell aufgeleuchtet, dass alle den Blick abwenden mussten. Danach war von dem schwarzen Hundedämon nur ein Häufchen Asche übrig geblieben. Man hatte ihr gesagt, er sei geläutert worden. Nur nach dem Tod des Fürsten oder leider der jetzigen Fürstin konnte das Schmuckstück wieder abgenommen werden. Bis sie wusste, wie das möglich wäre, müsste sie sich fügen. „Nun?“ Sie klang kühl. „Vater wollte dich als Erbin und hat mir einen...ehrenvollen Platz gesucht, genauer, mich an den Fürsten des Westens verheiraten wollen. Die Verhandlungen sind gerade erst abgeschlossen, aber da der Fürst keine von uns kennt, wird es ihm auch gleich sein, wenn du statt meiner gehst.“ Sumi bemerkte sehr wohl, dass ihre ältere Schwester zusammenzuckte. Ja, Koromi hatte stets gesagt, sie wolle nie heiraten, immer unabhängig sein. Dieser Hochmut! Wie amüsant war es nun den Spieß umzudrehen, zumal sie selbst jetzt in der Lage war sich den Mann zu nehmen, den sie liebte, sich und ihre Liebe nicht opfern zu müssen: „Ich werde daher unverzüglich Boten schicken, die ihn nicht nur von meiner Thronfolge sondern auch von meinem Wunsch unterrichten die Verhandlungen rasch durch deine Heirat abzuschließen.“ Niemals würde sie sich einem Mann außer ihrem Vater unterwerfen! Sie war eine starke Dämonin, viel mächtiger auch als alle Männer hier im Saal, Schwächlinge, die sie verachtete. „Und, falls ich nicht einverstanden bin...?“ „Ach, du liebe Güte...“ entkam es Sumi, ehe sie lächelnd und weiterhin leise meinte: „Dann handelst du einem fürstlichen Befehl zuwider. Ich würde dich auspeitschen und hinrichten lassen. Und glaube mir, große Schwester, ich kenne dich und deinen übergroßen Stolz. Dein Tod wäre schlimmer als alles, was du dir vorstellen kannst.“ Ja, das würde sie schaffen. Der Blick der enterbten Prinzessin glitt zu dem Mann, der scheinbar unauffällig auf der Seite des goldüberzogenen Throns stand. Ban. Sie hatte diesen glattzüngigen, braunhaarigen Hundedämon noch nie leiden können, ihn für einen Ehrgeizling gehalten. Nun hatte er es vollbracht, er war die Macht hinter dem Thron, oder eher, daneben. Und jetzt wusste sie auch, wer diesen hinterhältigen Plan ausgeheckt hatte. Sumi hatte ihre große Schwester stets beneidet, die Thronfolgerin – und so hatte er sich wohl an sie herangemacht. Leider half diese Erkenntnis nun nichts mehr. Das war die Fürstin und sie selbst hatte nichts mehr zu sagen. Ihre gesamte Zukunft lag in Trümmern. Durch Verrat ihrer eigenen Schwester. Wenn sie nicht wirklich grausam sterben wollte, musste sie zumindest zum Schein in diese Ehe mit dem unbekannten Fürsten des Westens einwilligen. Womöglich fiel ihr bis dahin ja etwas ein, wie sie sich das Halsband wieder beschaffen konnte, dann eben über die Leiche ihrer Schwester, oder gelang ihr die Flucht, irgendwohin. So neigte sie den Kopf: „Ich muss mich wohl ein wenig an den Gedanken gewöhnen, dass du die Fürstin bist....Natürlich werde ich dem Befehl gehorchen. - Darf ich mich entschuldigen? Ich trauere um meinen Vater.“ Die neue Fürstin schien entzückt: „Natürlich, geh nur. - Wachen. Begleitet Prinzessin Koromi zu ihren Gemächern.“ Erneut bekam die ehemalige Thronerbin den Eindruck, dass sie ihre Schwester bislang sträflich unterschätzt hatte. Sumi – oder Ban, ihren Berater. An Flucht war zumindest einstweilen kaum zu denken. Sumi würde es vermutlich mehr Vergnügen bereiten sie an ihrer Stelle als Fürstin des Westens einem brutalen Mann unterworfen zu sehen, der seinen Thron mit dem Schwert erobert hatte, als sie irgendwo zwischen den Fürstentümern als anonyme Streunerin leben zu lassen. Aber nichts verriet ihre Gedanken, als sie von vier Dämonenkriegern begleitet zu ihren Räumen schritt. Dort schickte sie ihre alte Zofe weg, die Einzige, die noch hier auf sie gewartet hatte. Alle anderen waren bereits um die neue Fürstin versammelt. „Miako, besorge mir alles, was du in der Bücherei über den Westen finden kannst.“ „Ja, Herrin. - Ist es wahr?“ Immerhin war die alte Hundedämonin seit ihrer Geburt um die junge Dame gewesen. „Sumi ist die Fürstin, ja.“ „Und sie will Euch an ihrer Stelle in den Westen schicken.“ „Du begreifst. Jetzt gehe. Ich benötige die Informationen.“ Da ihre Zofe endlich verschwand, ließ sich Koromi mit zitternden Gliedern auf eine Matte sinken. Erst jetzt gab ihre Selbstbeherrschung nach, begriff sie vollständig, was in den letzten zwanzig Minuten geschehen war, alles auf den Kopf gestellt hatte. Ihr Leben lang, nun, soweit sie sich zurückerinnern konnte, war sie als die Thronerbin gehandelt worden, sollte ihr Vater nicht doch noch einen Sohn erhalten. So war sie ausgebildet und erzogen worden. Sie hatte sich Sumi gegenüber immer überlegen gefühlt und hatte, deren Missgunst ihr gegenüber kennend, es durchaus geschätzt, dass Vater mit dem Fürsten im Westen einen Heiratspakt anstrebte. Und jetzt.... Sumi, oder wohl eher Ban, hatten in einem Augenblick zugeschlagen, als sie durch Gefühle abgelenkt war, einen Moment lang nicht auf Sachlichkeit geachtet hatte. Jetzt wusste sie, dass es wahrlich sinnvoller gewesen wäre sich erst das Halsband zu nehmen und dann Vaters letzte Riten zu begehen. Aber sie hatte eben, nur für einen Augenblick, geglaubt, dass Sumi ebenso an ihrem Vater gehangen habe wie sie selbst, den ebenso geachtet hätte...Und sie war überzeugt davon gewesen, dass die kleine, törichte Sumi nie gegen sie vorgehen würde. Zu spät. Das Halsband konnte erst nach dem Tod des Fürsten wieder entfernt werden – und sie würde kaum mehr an Sumi herankommen. Da gab es Wachen, ja, jeder Dämon im Lande würde sich ihr entgegenstellen, gleich, ob sie ursprünglich im Recht war oder nicht, und die Magie dieses Schmuckes würde sich selbst ihrer Macht widersetzen, Sumi decken. Und, viel schlimmer, falls dieser ominöse Herr des Westens nicht auf dem ursprünglichen Pakt bestand, ihre Schwester wollte, und nur diese, musste sie als Braut dorthin. Ein winziger Augenblick Gefühl – und solch verheerende Folgen. Nie wieder würde sie zulassen, dass ihre Emotionen ihren Kopf beeinflussten. Flucht war kaum möglich, darauf würden Sumi und Ban nur zu gut achten. Und die Alternative wäre ein grässlicher Tod – oder Selbstmord. Aber Koromi nahm an, dass man ihr diesen unmöglich machen würde. Dazu hasste ihre kleine Schwester sie wohl doch zu sehr. Die folgenden Tage, Wochen, wurden für die älteste, so stolze, Tochter des verstorbenen Fürsten des Südens mehr als unangenehm. Gleich, was immer sie wollte und sei es nur in den Garten gehen oder Bücher – sie musste stets die neue Fürstin kniefällig um Erlaubnis bitten. Als sie baden wollte und vergaß ausdrücklich um warmes Wasser zu bitten erhielt sie kaltes. Koromi nahm alles mit scheinbar gleichmütiger Miene hin, nicht bereit, Sumi und den um diese nun schwänzelnden Höflingen die Genugtuung zu geben sich gekränkt zu zeigen. Aber sie begriff, dass sie sich bei nicht nur einigen unbeliebt gemacht hatte, die es ihr nun zeigen wollten. Ihr Stolz war als Hochmut ausgelegt worden, ihre Überlegenheit hatte nicht nur bei ihrer Schwester Missgunst erweckt, keinen freiwilligen Respekt, wie sie selbst stets geglaubt hatte. Daraus konnte sie nur den Schluss ziehen, dass sie am Besten allein bleiben sollte. Der Stärkste hatte keine Freunde. In dieser Zeit suchte sie trotz allem möglichst unauffällig nach einer Möglichkeit zum Angriff oder wenigstens zur Flucht oder auch nur eine Gelegenheit zum Selbstmord, und fand weder-noch. Miako wurde, sobald sie ihre Räume verließ, detailliert durchsucht, ebenso bei ihrer Rückkunft. Mindestens einmal am Tag wurde ihr eigenes Zimmer gründlich durchkämmt. Keine Waffe, kein Gift, keine Kontaktaufnahme war so möglich, zumal die Wachen jeden Tag ausgetauscht wurden und Krieger waren, die sie nie zuvor im Schloss gesehen hatte. Sumi – und dahinter steckte mit Sicherheit Ban – ging kein Risiko ein. Überdies, wer würde es wagen, sich der regierenden Fürstin gegenüber zu stellen? Die Logik der Macht diente nun der jüngeren Schwester, und allein dieser. Da meldete ihr Miako Besuch – den ersten seit jenem verhängnisvollen Tag. Irritiert und auch etwas besorgt richtete sie sich gerader auf, erstaunt, in Kyo einen der Berater ihres Vaters zu erkennen, der sich höflich verneigte. „Ich bringe Nachricht der Fürstin, Prinzessin,“ sagte er. Natürlich, dachte Koromi verstimmt, winkte jedoch. Was blieb ihr anderes übrig. Aber sie fragte: „Warum hast du mich nicht gewarnt?“ „Vor was?“ gab der alte Berater zurück und ließ sich nieder: „Teure Prinzessin, ich erwartete natürlich nicht, dass Ihr Emotionen nachgebt, da Ihr dies Euer gesamtes Leben lang nicht getan habt. Auch, wenn Euch in der Tat die aufrichtige Trauer um Euren Vater ehrt – das ist für eine Fürstin untauglich.“ „Ich werde diesen Fehler nie wieder begehen.“ Sie klang kalt. Ihr war durchaus bewusst, wo ihr Missgriff gelegen hatte. Ja, sie hatte schon zuvor erkannt, dass Vater ihre Schwachstelle war – nur in einem kleinen Moment der Unaufmerksamkeit nicht darauf geachtet: „Was will Sumi?“ „Die Fürstin,“ betonte Kyo etwas: „Erhielt zuvor Nachricht, dass sich eine Gruppe Dämonenkrieger aus dem Westen auf dem Weg hierher befindet und um Gastfreundschaft bittet, um die Heiratsverhandlungen abzuschließen und Euch abzuholen.“ Koromi spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog. Jetzt schon? Andererseits: hier hatte sie keine Möglichkeit etwas zu unternehmen. Die Reise dauerte und sie konnte womöglich ihre unbekannten Begleiter täuschen, ein harmloses junges Mädchen spielen. Aber sie meinte nur sachlich: „Ich vermute meine Schwester hat dem zugestimmt. Wann wird das Geleit hier sein?“ „In drei Tagen. Ein geflügelter Bote brachte dies. - Die Fürstin lässt Euch daran erinnern, dass Ihr Euch zu fügen habt.“ „Keine Angst, ich werde sie nicht bloß stellen. Obwohl es eine reizende Versuchung wäre. - Ich denke an meinen Vater.“ „Und an Euer eigenes Leben. Eure Schwester würde gewiss keine Gnade mit Euch kennen, schon, um selbst gegenüber dem Herrn der westlichen Länder nicht das Gesicht zu verlieren. Überdies: Fürstin des Westens, womöglich später Fürstinmutter eines der reichsten Gebiete ist sicher ein angenehmerer Aufenthalt als hier.“ Kyo kannte den persönlichen Stolz der Prinzessin. Fürstinmutter klang in der Tat nicht schlecht – immerhin konnte ein Fürst mehrere Ehefrauen besitzen aber nur eine Mutter. Bedauerlicherweise lag etwas dazwischen, dass sie um jeden Preis zu vermeiden wünschte. Dennoch sollte sie ihre Rolle spielen und sei es nur um gefügig zu wirken. Überdies: ein möglicher Sohn hätte das Blut auch das Halsband zu beherrschen. Alles, was sie tun müsste, wäre, in Ruhe zu studieren wie man Sumi dazu bringen konnte es ihm zu überlassen. Eine hübsche Rache an der verräterischen Schwester: „Kyo, Ihr wisst vermutlich, wie alt der Herr des Westens ist?“ Das würden doch wohl alle Bräute fragen. Der Berater betrachtete die Prinzessin, die man unter Menschen für kaum Zwanzig gehalten hätte, vielleicht zwei Jahre älter als ihre Schwester. Aber unter Dämonen galten andere Zeiten. „Nicht genau. Älter als Ihr, denke ich. Ich sah ihn selbst nie, wie auch niemand außerhalb des Westens, hörte jedoch, er sei bei seinem Regierungsantritt vor über hundert Jahren der jüngste aller Fürsten gewesen. Er ist jedenfalls ein Hundedämon und wünscht sich schon darum mit dem Süden zu verbinden.“ Natürlich. Und irgendwie erleichterte es sie, dass der sicher raue Krieger wenigstens kein Greis war. „Hat er bereits Kinder?“ „Nein. Und auch keine Gemahlin. Euer Vater hätte Sumi...ich meine, die Fürstin, auch nie zu Verhandlungen angeboten, wäre sie nicht die Hauptfrau. Oder nun Ihr.“ Gut. Ihre Chancen Fürstinmutter zu werden waren soeben gestiegen. Natürlich musste sie dazu ein Kind, einen Sohn, bekommen – und das geschah nicht ohne Ursache, vor der ihr schauderte. Aber wozu jetzt schon darüber nachdenken. Drei Tage, ehe der Geleitzug hier war, sicher zwei Wochen, bis sie ankamen, da konnte viel passieren. Drei Tage später summte das Schloss plötzlich wie ein aufgeregter Bienenstock. Koromi erhob sich langsam. Bedeutete das, dass der Geleitzug bereits eingetroffen war? Diese Dämonenkrieger mussten sich beeilt haben. War der westliche Fürst so begierig nach einer Braut? Fand er sonst keine Dämonin, die ihm zu Willen war? Falls ja – aus welchem Grund? Ihre Zofe lief in ihr Schlafzimmer: „Rasch, Prinzessin, das müsst Ihr sehen!“ „Sagtest du nicht stets, dass einer Prinzessin keine Neugier ziemt, Miako?“ Aber sie ging mit zum Fenster. Durch die engen Gitter konnte sie sehen ohne gesehen zu werden. Dann wusste sie auch, was die Aufregung verursacht hatte. Vermutlich versehentlich hatte ein Wächter Alarm gegeben und nun versuchte der Burgvogt alles wieder zu beruhigen. In der Tat, der Zug an Kriegern, der da über die fruchtbare Ebene kam, sah mächtig aus, fast wie ein kleines Heer. Gewiss achtzig oder gar hundert Kämpfer. Der Vorausgehende, das konnte sie erkennen, trug eine schwere Rüstung und weiße Haare, war also sicher ein Hundedämon. Quer über seinen Rücken hing ein Schwert. Die Krieger dahinter in Zweierreihen waren offenbar von verschiedenster Art. Der Anführer hob die Hand und sofort erstarrten die fremden Krieger, setzten sich zu Boden, während er sein Schwert ablegte, etwas abseits seiner Männer, und allein auf das Tor des Schlosses zuschritt, vermutlich auf dem Weg zur Fürstin, um die Nachricht seines Herrn zu überbringen – und sie selbst einzufordern. Koromi spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte, wie sie es noch nie gespürt hatte, und rief sich zur Ordnung. Das dort war ihre Möglichkeit zur Flucht, ihre einzige Chance, diesem Gefängnis, zu dem das Schloss für sie geworden war, zu entfliehen. Sie machte sich keine Illusionen mehr: Sumi würde erbarmungslos mit ihr umgehen, kam diese Ehe nicht zustande. Und dieser Ban würde sie darin unterstützen. So wandte sie sich um: „Miako, besorge mir einen Kimono, mit dem ich dem Boten meines künftigen Gebieters gegenüber treten kann. Rasch.“ Denn allzu viel würde dieser Dämon kaum zu besprechen haben, nach Jahren der Verhandlungen. Und vermutlich musste sie noch etwas unterschreiben oder sonst etwas. Sie war nie bei einem solchen Abschied dabei gewesen. Sumi empfing den Anführer des Geleitschutzes im prachtvollen Saal, wie nun stets Ban neben ihrem Thron, zur Vorsorge auch Krieger an den fackelbeleuchteten Wänden. Nicht, dass sie sich vor dem Unbekannten gefürchtet hätte, sie bedachte mehr ihre Gegnerin. Koromi schien sich zwar ergeben zu haben, aber sie wartete sicher nur auf mangelnde Vorsicht. Es war wirklich besser, dass ihr große Schwester rasch hier verschwand. Ein Hundedämon, weiße Haare, schwere Rüstung, natürlich höflicherweise unbewaffnet. Er mochte so alt wie Ban sein, eher sogar jünger. Zwei seltsame Fellteile schienen aus seinen Schultern zu wachsen. Sumi entsann sich, dass das ein militärisches Abzeichen war, aber nicht, welches. Im Süden gab es wenig Militär, nur die Schlosswachen. Die Magie des Halsbandes schützte vor Überfällen feindlicher Gruppen. Sie bemerkte, dass sich Ban verneigte und richtete sich auf, als der Besucher leicht den Kopf neigte, ehe er sich vor ihr auf ein Knie niederließ und die Rechte an die Rüstung legte – militärischer Brauch, wie sie wusste, und wohl im Westen auch bei Hofe üblich. Das dort galt ja als recht kriegerisch, obwohl sie noch nie einen Dämon des Westens gesehen hatte. „Willkommen im Schloss des Südens,“ sagt Sumi: „Ich vermute, du bringst Neuigkeiten aus dem Westen? Bitte, setze dich.“ Auf ihren Wink brachte ein Diener eilig ein großes, rotes Samtkissen und legte dieses vor hölzerne Podest der Schlossherrin. „Danke, edle Fürstin.“ Der Krieger erhob sich und nahm Platz: „In der Tat darf ich Euch die Nachricht des Fürsten der westlichen Länder bringen, dass er seine Gemahlin baldmöglichst zu sehen wünscht. Sofern es Euch keine Mühe bereitet die vereinbarte Mitgift mitzuschicken. Manchmal geschieht Unerwartetes nach einem Regierungswechsel.“ Sumi, deren Mitgift über Jahre angesammelt worden war und die sie nun zur Verfügung hatte, meinte lächelnd: „Nein, das ist keine Mühe.“ Da brauchte wohl jemand überaus dringend Gold und Anderes um seine Finanzen wieder aufzurichten: „Wie ist dein Name?“ „Man nennt mich den Inu no Taishou.“ Nun, das war nicht gelogen, wenngleich ein Titel. Sumi wechselte mit Ban einen etwas überraschten Blick. Der Heerführer der Hunde? Dann war dies sicher die militärische Nummer Zwei im Westen, wohl auch mit dem Fürsten verwandt. Kein Wunder, dass der diesen zu einer derartigen Mission geschickt hatte. Die Braut und die Mitgift sollten ja heil ankommen. Zwischen dem Westen und dem Süden hatten lange keine persönlichen Kontakte bestanden, nun, auch mit den anderen Fürsten nicht. Es hatte da Unstimmigkeiten in der westlichen Thronfolge gegeben, manche nannten es gar Krieg, und niemand hatte sich mit dem falschen Fürsten einlassen wollen. Erst seit klar war, wer im Westen das Sagen hatte, dieser auch Boten gesandt hatte, hatte sich Vater zumindest auf diplomatischem Wege verständigt. Womöglich wäre eine persönliche Begegnung der beiden Fürsten bei ihrer Hochzeit zustande gekommen, aber Sumi beabsichtigte nicht ihr frisch erworbenes Fürstentum zu verlassen. Sicher war sicher. Ban stammte ja aus dem Westen und der hatte sie gewarnt. Im Verhältnis zum kultivierten Süden war das dort schon in seiner Kindheit ein Militärstaat gewesen, wie viel mehr nach den Jahren des Bürgerkriegs. Ban verneigte sich höflich: „Falls Ihr gestattet, meine Fürstin, und Ihr, Taishou, werde ich veranlassen, dass die Mitgift verpackt wird und bereits morgen zum Abtransport bereit steht.“ „Geh nur,“ meinte Sumi, die den Wink ihres Beraters verstanden hatte. Das Mitglied eines anderen Fürstenhauses zu duzen war ein peinlicher Fehler. „Ich werde meine Schwester davon in Kenntnis setzen lassen, dass Ihr eingetroffen seid, edler Taishou, und sie sich für morgen reisefertig machen soll.“ Der Inu no Taishou neigte ein wenig den Kopf, ehe er unbewusst sein langes, weißes Haar zurückstreifte: „Ich darf Euch, Fürstin, allerdings um einen kleinen Gefallen bitten, was die fürstliche Braut betrifft....?“ „Nun?“ „Missversteht es bitte nicht, aber die Verhandlungen gingen stets um Euch. Natürlich kommt für Euch als regierende Fürstin nun eine Ehe solcherart kaum in Betracht, aber....Nun, Ihr versteht, dass die Gesundheit einer möglichen Fürstin doch zu berücksichtigen ist.“ Sumi hätte fast aufgelacht, vermutete jedoch, dass das einer Fürstin unwürdig sei: „Nein, sie ist gesund, und ich vermute für einen Mann ein erfreulicher Anblick. Ihr wollt sie sehen? - Holt...ich meine, ich lasse die Prinzessin bitten sich hierher zu bemühen.“ Der Westen musste ja nichts von ihren kleinen Unstimmigkeiten erfahren. Ah, da kam Ban wieder. Mit ihm an der Seite fühlte sie sich doch sicherer. Seine Pläne waren vorzüglich – und andere Eigenschaften seinerseits auch. Sie liebte diesen fast doppelt so alten Hundedämon einfach. Und in den vergangenen Tagen und Nächten hatte er ihr bewiesen, dass es auch umgedreht so war. „Ich hoffe, Eurem Herrn, dem Fürsten, geht es gut? Es gab ja wohl einige...Lästigkeiten zu bereinigen nach dem Bürgerkrieg.“ „Eine Thronfolgestreitigkeit, edle Fürstin. Nur dies. Familieninterne Probleme, die rasch bereinigt waren.“ Obwohl die Antwort ruhig kam, wusste sich Sumi den Tadel zu deuten: „Natürlich. Ich dachte mehr an Steuern. Deren Ausfall nach kleinen Schwierigkeiten ist eine stetige, bedauerliche Folge....“ Es war unhöflich einem Fürsten zu unterstellen, dass er mit Problemen nicht fertig wurde. Sie war ja noch nicht lange Fürstin und hier im Süden hatten alle zu spuren, so ein politischer Besuch war der erste seiner Art. Aber was tat man nicht um Schwesterchen zu ärgern, oder genauer, in die Wüste zu schicken. Koromi wäre sicher lieber gestorben als zu heiraten. Hm. Ob sie dem Taishou diesbezüglich einen Wink geben sollte? Aber das würde Ban bestimmt machen. Er bedachte alles und war so höflich... Tatsächlich griff der Berater ein, bemüht, die Unerfahrenheit der jungen Fürstin nicht zu deutlich werden zu lassen. Er sprach über die benötigten Tragetiere, die Sänfte, schilderte die Vorbereitungen, ehe er abbrach: „Oh, die Prinzessin....“ Hatte Sumi sie kommen lassen? Dann bestimmt nur auf ausdrückliche Aufforderung des Taishou, hatte er ihr doch sehr davon abgeraten. Stand der so hoch in der Gunst seines Fürsten, dass er nach jahrelangen Verhandlungen eine Braut ablehnen konnte? Nun, sicher nur im Notfall, bei absoluter Eheuntauglichkeit, bedeutete das doch einen unerhörten Affront. Aber das deutete erneut darauf hin, dass das Militär im Westen viel zu sagen hatte, ja, der neue Fürst ein Krieger war. Aber den kannte ja niemand außerhalb seines Fürstentums. Umso schwerer wäre allerdings ein Umsturz und sein eigener Thronantritt. Der Taishou erhob sich, wandte sich um und verneigte sich, eine Geste, die Sumi etwas verärgerte, ehe sie daran dachte, dass das die protokollgerechte Begrüßung einer Fürstentochter war, und natürlich jemand aus dem Westen es sich kaum mit der künftigen Fürstin verscherzen wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)