Kaizoku no Kokoro von Rajani (Das Herz des Piraten) ================================================================================ Prolog: Arashi -------------- Hitotsu no bara ni yuki Nanika ugoku Hitotsu no arashi no akeru Kokoro no aku Sakura no hana no ame Arashi no hajimaru... °*~.~*°°*~.~*°°*~.~*° Eine Rose im Schnee Etwas bewegt sich Ein Sturm zieht auf Das Herz öffnet sich Es regnet Kirschblüten Der Sturm bricht los... Kapitel 1: Sento no Oshiba-shima -------------------------------- Chosokabe starrte grimmig auf die Insel vor sich. Da war er nun mit seinem Kriegsschiff so weit über die Inlandsee gekommen nur um vor dieser kleinen Insel anhalten zu müssen. Er stand am Bug und sah auf das Land hinab. Es stimmte wohl doch, dieser alte Mori wusste, wie man geschickt Krieg führte. Er hatte seine Leute auf dieser kleinen Insel postiert und womöglich ankerten in Reichweite dahinter die Kriegsschiffe. Eines allein würde Chosokabe noch lange nicht schaden, aber alle zusammen könnten seinem riesigen Schiff durchaus Schaden zufügen. Nun gut, der Schaden würde nicht reichen, um es zum Sinken zu bringen, aber er müsste abziehen. Andererseits war der alte Mori sicher so schlau, dass er Chosokabes Denken mit einbezog und vielleicht für die Flucht vorgesorgt hatte. Er wandte sich zu einem seiner Männer um. „Hey du Landratte! Sieh nach ob man uns umzingelt!“, blaffte er. „Sofort, Aniki!“, sagte er Junge, der noch nicht allzu lange an Bord war, und flitzte über die Planken davon. Nickend drehte sich Chosokabe wieder zu der Insel und den Soldaten Moris am Strand um. Er kniff die Augen zusammen. Der halbe Strand war mit ihnen übersät. Sie standen in mehreren Reihen. Welch einfache Taktik. War die erste Reihe ausgelaugt, kam die zweite dran und mit der verfuhr man genauso, bis dann die dritte Reihe kam. In der Zwischenzeit konnte die erste Reihe sich bereits erholen, Tote und Verletzte bergen und kleine Wunden behandeln lassen. Chosokabe sah sofort die am Waldrand zwischen den Bäumen versteckten Feldärzte. Wie durchschaubar. Aber effektiv. Würde er seine Leute dort einfach so an Land schicken, würde sich das seichte Wasser am Strand sofort rot verfärben. Das könnte er nicht zulassen. Und Mori würde solch unüberlegtes Handeln auch gar nicht erst von ihm erwarten. Dazu war der Mann zu gerissen. Er rechnete damit, dass sich Chosokabe etwas einfallen lassen würde. Und ob er das tat. „Aniki, ich habe noch keine Schiffe Moris gesehen, aber das schließt ihre Anwesenheit nicht aus! Was tun wir?“, fragte der Junge, der inzwischen zurückgekommen war. Chosokabe drehte sich halb zu ihm um. „Besorg mir die Bogenschützen und eimerweise Pech!“ Der Junge runzelte die Stirn. „Und Feuer! Jetzt mach schon!“ Er nickte hastig und verschwand wieder, während Chosokabe seine Aufmerksamkeit wieder auf die Insel richtete. Oshiba. Diese, im Gegensatz zu Omishima und Teshima, sehr kleine Insel, sollte es also entscheiden. Nagut, wenn Mori es so wollte, dass ein Blutbad vor seiner Haustür stattfand, dann sollte er es so haben. Hinter sich hörte er die Bogenschützen Stellung beziehen und Eimer auf die Planken knallen. Er sah sich um und winkte die Männer an seine Seite. Jeder nahm sich einen Eimer voll Pech, die Jungen mit den Fackeln folgten ihnen. Sie postierten sich so, dass sie die Insel und den Strand voll im Blick hatten. „Zielt auf den Strand. Ich will sie nur vom Wasser weg haben und nicht umbringen! Den Spaß will ich meinen Leuten nicht nehmen! Wenn wir an Land sind, dann könnt ihr auch auf die feindlichen Linien schießen!“, knurrte Chosokabe. Die Bogenschützen nickten. Sie ließen die Pfeilspitzen kurz im Pech versinken. Das dickflüssige schwarze Zeug blieb daran kleben, sodass die Fackelträger die pechgetränkten Pfeilspitzen entzünden konnten. Dann schossen sie. Chosokabe sah zufrieden zu, wie Moris Soldaten zurückwichen. „Nachsetzen!“, befahl er. Die Bogenschützen schossen ihre Pfeile und die feindlichen Soldaten wichen noch weiter zurück. Er ging hinter die Bogenschützen wo bereits die anderen standen. „Fertig machen! In die Boote! Wir greifen an!“, brüllte er. Die Männer sahen sich verwundert an. „An Land?“, fragte einer von ihnen. Chosokabe sah ihn fixierend an. „Was sonst? Oder sollen wir unsere ganzen Pfeile für eine geringe Trefferchance in die Luft schießen? Die Jungs am Bug treffen auf jeden Fall, aber wir ganz sicher nicht! Ab in die Boote und schwingt eure Waffen, das werdet ihr ja wohl noch können, oder seid ihr alle zu Fischen geworden?!“, knurrte er. „Aber Aniki, wir müssen durch das Wasser um an Land gehen zu können. Das Wasser ist eiskalt! Es ist Winter!“, jammerte ein anderer. Der Fürst setzte einen ebenso kalten Blick auf, wie die Temperatur des Meeres womöglich war. „Ich sagte, wir gehen an Land! Wer Angst vor einem Schnupfen hat, der kann ja hier bleiben! Diejenigen werden dann aber, wenn wir zu Hause sind, keinen Fuß mehr auf die Planken meines Schiffes setzen!!“ „Jawohl!“, ertönten die Stimmen im Gleichklang und dann rannten sie los zu den Booten, die sie ans Land brachten. Chosokabe sprang schwungvoll in sein eigenes Boot und ließ sich hinter seinen Leuten übersetzen. Grimmig sah er zu, wie seine Leute, geschützt durch ihre nassen Hosenbeine, über ein paar vereinzelt in Flammen aufgegangene Holzstücken sprangen und Moris Soldaten mächtig zusetzten. Wie gut, dass er ein paar kluge Köpfe unter ihnen hatte, die wussten, dass man sich klatschnass nicht verbrennen konnte. Als er sah, dass seine Leute wieder zurückgedrängt wurden, sprang er selbst ins Wasser und tauchte dabei einmal kurz ab. Es war tatsächlich verflucht kalt, aber er wäre nicht ein stolzer siegreicher Pirat, wenn er das nicht aushalten würde. Sein Papagei hingegen flog hastig zurück zu der kleinen Nussschale und blieb dort an Bug sitzen. Chosokabe ging zielstrebig an Land, an ein paar brennenden Pfeilen und Holzstücken vorbei und hetzte wie ein Berserker in das Schlachtgetümmel. Mori stand weit im Schatten der Zedernbäume und sah zu, wie die Piraten seine Männer zurückdrängten. Sein Vater hatte das alles geplant und während der alte Mann auf seinem Kriegsschiff hockte, stand er, Mori Motonari, hier zwischen den Bäumen und beobachtete das Spektakel. Er musste sich zurückhalten, denn seine Bogenschützen sollten erst später zum Einsatz kommen. Und dabei hätte er sich so gerne mit ihnen in die Schlacht gestürzt. Sein Vater jedoch verbot es ihm ständig. Ein zukünftiger Fürst hatte in einer Schlacht an vorderster Front schließlich nichts zu suchen. Motonari sah das anders. Gerade als Fürst sollte er, der seine Truppen in den Kampf führt, wissen, was er tat und in welche Gemetzel er die Männer schickte. „Junger Herr, ist alles in Ordnung?“, fragte einer der alten Soldaten neben ihm. Mori sah ihn verwirrt an. „Ja, warum fragst du das?“ Der Alte neigte verstehend den Kopf und sah dann, wie Mori, auf das Schlachtgetümmel. „Ihr schaut so verbissen auf den Kampf. Mir scheint, ihr würdet gern selbst dort unten stehen.“, meinte er. „Und ob ich das will!“, knurrte Mori. „Hmm...“, machte der Alte neben ihm und zwirbelte seinen Bart zwischen den Fingern. Mori beachtete ihn nicht weiter und sah nur zu, wie langsam eine Bresche in die Mauer ihrer Soldaten geschlagen wurde. Wie konnten diese Piraten, die auf Schiffen den Großteil ihres Lebens verbrachten, solch starke Krieger sein? Seine Faust ballte sich fest um den Griff seiner Waffe, sodass ein leises Klirren zu hören war. „Junger Herr... Es gäbe eine Möglichkeit, aber ich möchte mich ungern Fürst Mori widersetzen.“, sagte der Alte. „Was meinst du damit? Sollten wir die Bogenschützen vielleicht jetzt schon angreifen lassen?“, fragte Mori. „Das habe ich nicht gemeint. Ich meinte, dass es eine Möglichkeit gibt, Euch an dieser Schlacht mehr teilhaben zu lassen, als nur als Zuschauer und Befehlshaber.“ Mori wandte sich endlich zu dem alten Soldaten um. Er sah ihn fragend an. Der grinste und deutete zu dem Feldlager, wo die Verletzten waren. Mori folgte seiner Deutung, doch er runzelte die Stirn. „Ich versteh nicht.“, meinte Mori. Der Alte ging voran und Mori folgte ihm. Immer noch verwirrt sah er zu, wie der Ältere die Zeltplane beiseite schob und suchend die Reihen abging. Hier und da ertönten schreckliche Schmerzensschreie. Etwas weiter hinten wurde gerade ein Soldat an der Schulter verbunden. Der Alte ging auf ihn zu. „Du! Kannst du noch laufen und ein Schwert heben?“, fragte er, während Mori gerade neben ihm ankam. Der Verletzte zuckte kurz vor Schmerz zusammen und sah dann verdutzt zu den beiden Männern auf. „Kannst du oder nicht?“, wiederholte der Alte die Frage. Die Frau, die dem Soldaten gerade die Schulter verband, sah die beiden grimmig an. „Ihr seht doch, dass er verletzt ist! Mit einer ausgerenkten und aufgeschürften Schulter kann er kein Schwert mehr heben!“, blaffte sie. „Ausgerenkt also... Lasst mich das machen.“, entgegnete der Alte, nahm ihr die Stoffbahnen weg und wickelte den Verband wieder ab. „Das ist doch harmlos.“, murmelte er. Die Frau stand fassungslos daneben und wollte eigentlich gerade loszetern, als sie sah, dass der alte Soldat wohl doch etwas Ahnung haben könnte. Der Alte hob den Arm des Jüngeren an, drehte ihn ein paar Mal um herauszufinden, wie er ansetzen musste und dann winkte er Mori auf die andere Seite des Mannes, der verwirrt und ängstlich zwischen ihnen hersah. „Haltet dagegen, mein Herr.“, sagte der Alte und wandte sich dann an den Soldaten. „Bei drei tut es kurz weh.“, sagte er. Der Jüngere nickte und Mori sah von ihm zu dem Älteren. Der stellte sich in Position. „Eins.“, sagte der Ältere und fast im selben Moment gab es einen heftigen Ruck, der Soldat schrie auf und Mori hielt ihn dagegen. „Jetzt können Sie ihn verbinden.“, sagte der Alte und die Frau sah ihn grimmg aber auch ungläubig an. Während sie den Verband rasch anlegte, bedankte sich der junge Soldat nuschelig. „Ja ja, schon gut. Du musst uns einen Gefallen tun.“, sagte der Alte. Der junge Soldat nickte und hörte sich völlig überrascht die Bitte des Veteranen an. Die Pfeile flogen nur so um ihn herum. Von allen Seiten schepperten die Schwerter gegeneinander oder auf die metallenen Teile der Rüstungen und Helme. Schreie waren zu hören, links und rechts von ihm wurden, so schnell es ging, die Verwundeten weggezogen. Manchmal waren sie bereits tot. Manche blieben einfach liegen, weil man nicht mehr an sie herankam ohne selbst zu sterben. Er bemerkte, dass das Bergen der Leute langsam verebbte. Dieser verfluchte Piratenfürst behielt immer mehr die Oberhand. Hier und da konnte er einen guten Schlag mit dem Schwert erzielen, doch die Pfeile die ständig über seinen Kopf rauschten, machten es schwer zu sehen, wo der nächste Gegner war. So war es rasend schnell passiert, dass er Schwerthiebe auf den Rücken und gegen die Brust bekam. Zum Glück hielt die Domaru den größten Schaden ab. Er konnte die Angreifer wieder loswerden, doch als er sich umdrehte sauste gerade ein Pfeil auf ihn zu. Ausweichen konnte er nicht mehr, nur noch so weit, dass der Pfeil in seinem Arm landete. Er konnte von Glück reden, dass dieser Pfeil nicht mehr mit brennendem Pech getränkt war. Er entsann sich daran, dass herausreißen falsch war und brach deshalb nur den Schaft ab. Hastig suchte er nach einem seiner Leute, der an seiner Seite bleiben sollte. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis er ihn kurz hinter sich sah. Eilig lief er zu ihm und rief etwas, was in dem Lärm völlig unterging. Er packte ihn an der Schulter und schrie laut, doch der andere schien ihn nicht zu verstehen. Deshalb steckte er ihm hastig etwas in einem seidenen grünen Tuch unter die Rüstung und schob ihn weg. Dann sah er sich um und ging weiter. Während er voranging trafen ihn erneut Schwerthiebe und dann spürte er, wie die eigentlich sehr festen Seidenkordeln nachgaben. Der nächste Hieb ging quer über seine Brust. Es war nicht tief, aber ausreichend, dass sich die vielen zerrissenen Seidenkordeln rot färbten. Von hinten spürte er einen weiteren Hieb, der ebenfalls durch die bereits malträtierten Platten ging. Fast zeitgleich wurde er von seinem Angreifer hinter sich ein Stück herumgerissen und ein weiterer Pfeil traf ihn. Diesmal in die linke Schulter. Er taumelte wie benommen vor Schmerz vorwärts. das letzte, was er noch wahrnahm, war ein weiterer Pfeil in seinem rechten Bein und ein heftiger Schlag auf den Kopf... Zufrieden sah Chosokabe zu, wie Mori abzog. Die Schiffe des Gegners traten ihren Weg zurück an das Festland an. Chosokabe stand mit seinen Männern noch am Strand von Oshiba. Heute wollte er ihnen nicht die Möglichkeit lassen, ihre Toten einzusammeln. Normalerweise ließ er seinen Feinden diesen Dienst, aber heute war er dazu nicht in der Stimmung. Sollten sie doch morgen nochmal in See in stechen oder sie einfach liegen lassen. Seine Leute hatten diesmal auch nicht den Willen, das Schlachtfeld nach Beute zu durchsuchen. Es war eiskalt, ihre Füße und Beine waren nass und sie froren dadurch noch mehr. Chosokabe konnte da mitreden, immerhin war er völlig durchnässt und die Kälte drang auch durch seine Kleider. Und außerdem hatten sie hier gegen einfache Soldaten gekämpft. In den seltensten Fällen waren deren Rüstungen noch zu gebrauchen, geschweige denn dass sie wertvoll gewesen wären. Als Ersatzteil hätte so manches Stück wohl noch gedient, aber die Kälte tat ihr Übriges und warum hätte Chosokabe sie wegen einer mageren Ausbeute noch länger in der Kälte ausharren lassen sollen. „Abzug!“, knurrte er seinen Mitstreitern zu, die sich auf den Weg zu ihren Booten machten. Er selbst blieb noch stehen und warf einen Blick auf das Schlachtfeld. Im Sand lagen viele von Moris Soldaten. Dazwischen sah er auch einige von seinen Leuten. Er hatte zwar nicht so viele verloren, wie Mori, aber Chosokabe seufzte. Es war kein leichtes Los mit dem Meisterstrategen Mori. Wie jedes Mal setzten sie sich gegenseitig heftig zu, aber heute hatte Mori mehr Leute erwischt, als Chosokabe gehofft hatte. Er warf einen Blick auf die Boote hinter sich. Sie waren nur noch halb voll. In Anbetracht dessen, dass er aber den größten Teil seiner Männer auf dem Schiff und den kleineren Schiffen verteilt hatte, war das eigentlich ein geringer Verlust. Dennoch konnte er nicht umhin noch einen Blick auf den blutgetränkten Sand und die Männer dort zu werfen. Er hatte die Inlandsee ein weiteres Mal auf heftigste verteidigt und er würde sie behalten. Er bemerkte, wie die ersten kleinen Schneeflocken vom Himmel rieselten. In kurzer Zeit wurden es mehr und auch der Wind frischte auf. Er war froh, dass es erst jetzt schneite. Hätte es früher begonnen, hätte er die Bogenschützen nicht mehr einsetzen können, weil sie ihre Ziele nicht mehr hätten sehen können. Tja Mori... Strategie schön und gut, aber manchmal braucht man auch das Glück auf seiner Seite. Und heute war es auf meiner... Plötzlich hörte er ein leises Rascheln. Erst dachte er, es wäre einer der Aasvögel die für gewöhnlich die Schlachtfelder als erste abgrasten, doch er hatte noch keinen gesehen. Er sah sich um, doch er konnte das Geräusch nicht ausmachen. Dann ging er voran und tat etwas, dass er noch nie getan hatte. Er sah den Toten in die Gesichter, in die Augen und ein eisiges Gefühl beschlich ihn. Nicht weil der Wind zunahm und seine nassen Kleider beinahe gefrieren ließ. Das Gefühl war anders. Dennoch ging er weiter, denn das Rascheln war noch zu hören. Je näher er dem Geräusch kam, desto deutlicher hörte er auch ein schmerzerfülltes Stöhnen. Während er weiter die Gesichter der Toten betrachtete, wäre er beinahe über einen Arm gestolpert. Chosokabe blieb stehen. In dem Arm steckte ein Pfeil. Dann sah er ein paar Sekunden lang in das Gesicht eines Mannes. Seine Augen waren geschlossen und Chosokabe wollte schon weitergehen als er das schwere Atmen verbunden mit dem schmerzlichen Stöhnen hörte. Er hielt inne und beugte sich herunter. Der Mann hier war nicht tot. Jedenfalls noch nicht. Es war sein Arm in dem ein Pfeil steckte oder was davon noch übrig war. Er schien so klug gewesen zu sein, den störenden Schaft abzubrechen. Seine Rüstung, mit dünnen teilweise zerfetzten Eisenplatten und Seidenkordeln bedeckt, war blutgetränkt und sein Helm saß schlecht auf dem Kopf. Vermutlich hatte er eine ordentliche Beule. In seiner Schulter und seinem Bein steckten noch Pfeile, dieser aber mit Schaft. Er hatte es wohl nicht mehr geschafft, sie abzubrechen. Chosokabe tastete nach dem Puls den Mannes und war überrascht, dass er noch einen halbwegs spürbaren Puls fand. Zu welcher Seite der Mann gehörte, konnte er bei soviel Blut nicht mehr erkennen, denn unter seinen Männern waren auch einige, die die Domaru trugen. Aber ob der Mann nun Freund oder Feind war - Chosokabe dachte darüber nicht nach, als er den Verletzten auf die Arme hob und aus dem Totenfeld trug. Als er auf sein Boot zuging, sah ihn der Mann darin völlig verwundert an. „Aniki, was...“, stammelte er. „Stell keine Fragen! Zurück zum Schiff!“, knurrte Chosokabe und trieb ihn zur Eile an. Wieder an Bord jagte Chosokabe den nächstbesten Mann zum Schiffsarzt Kisho. Der Ältere kam knurrend an Deck, wo der Fürst gerade lauthals brüllend aus seiner Kajüte kam. „KISHOO!“ „Um Himmels Willen, mein Fürst! Was ist denn?“, gab Kisho grimmig zurück. Chosokabe schob den Arzt energisch in seine Kajüte. Etwas verwundert betrachtete Kisho den leblos wirkenden Körper auf dem Lager des Fürsten. „Was zum-?“ „Kümmer dich um ihn! Er lebt noch! Sofort!“, blaffte Chosokabe. „Lasst mich kurz mit ihm allein. Ich möchte seine Wunden in Ruhe ansehen.“, sagte Kisho knirschend und schob Chosokabe hinaus. Kapitel 2: Chi, arakku ya habu ------------------------------ Chosokabe hörte, wie die Rüstungsteile auf dem Boden landeten und wie Kisho leise vor sich hin murmelte. Nach ein paar Minuten kam er aus der Kajüte und sah Fürst Chosokabe betreten an. „Was ist?“, fragte Chosokabe. „Ich glaube nicht, dass er das überlebt. Er hat viel Blut verloren.“, sagte Kisho. „Aber er lebt doch noch!“ „Ja sicher tut er das. Die Frage ist, wie lange noch. Oder besser, wie lange überhaupt, wenn ich seine Wunden trotzdem behandle. Was zum Henker liegt Euch an ihm? Das ist ein einfacher Soldat! Wir wissen ja nicht einmal, ob er nicht einer von Moris Leuten ist!“ „Ich weiß selber nicht, warum mir das wichtig ist... Trotzdem wirst du ihn behandeln!“ Kisho schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich kann nicht viel für ihn tun. Ich kann nur versuchen, die Wunden zu reinigen und zu verbinden, aber der Blutverlust wird ihn wohl dahinraffen. Und wenn es das nicht ist, dann eine Wundinfektion! Ich weiß nicht, was ihr Euch davon versprecht...“ „Tu, was du kannst. Und sag mir, was ich tun soll, immerhin hab ich ihn an Bord gebracht. Was auch immer mich dazu bewogen hat...“, meinte Chosokabe. Kisho seufzte tief, hob kopfschüttelnd die Hände und ließ sie wieder fallen. „Sorgt dafür dass ich warmes Wasser bekomme. Mehrere Schalen, wenn es geht. Und viele saubere Tücher, sie dürfen nicht mit schmutzigen Händen angefasst werden! Meine Kräuter hole ich mir selber!“, sagte er und verschwand. Chosokabe suchte nach einem Jungen, der keine Waffen, Seile oder Ketten angefasst und saubere Hände hatte. Nach ein paar Sekunden hatten er einen der Neulinge gefunden und ihm befohlen, zu besorgen, wonach Kisho verlangt hatte. Wieder in der Kajüte warteten sie auf die Tücher und das Wasser, welches nur in Etappen gebracht werden konnte. Chosokabe war dankbar für die warme Kajüte, die einer der Neulinge am Morgen schon aufheizen sollte. Kisho fing derweil an, sich die Wunden genauer anzusehen. Er würde wohl einiges zu tun haben und das für eine so geringe Überlebenschance. Was war nur mit dem Piratenfürsten los? Kisho begutachtete den abgebrochenen Schaft des Pfeils und die Wundumgebung. Kopfschüttelnd wandte er sich der großen Schnittwunde auf der Brust zu. Die Wunde war noch blutig, die Ränder fingen langsam an zu verkrusten. Dann besah er sich die zweite Pfeilverletzung. Der Pfeil war noch komplett mit Schaft und steckte in der linken Schulter. Wenn er richtig sah, dann unter dem Knochen und ganz knapp neben dem Schultergelenk. Im rechten Bein steckte ebenfalls noch ein Pfeil komplett mit Schaft, doch der dürfte die geringsten Probleme verursachen. Er strich sich nachdenklich über den grau gewordenen Bart. „Aniki. Hilf mir mal. Ich will ihn auf die Seite drehen.“, sagte er. Chosokabe griff nach dem Arm des Verletzten und Kisho drehte ihn vorsichtig auf die Seite. „Wunderbar...“, seufzte Kisho sarkastisch. „Was ist denn?“ „Er hat auf dem Rücken auch eine Wunde. Haltet ihn, dann kümmere ich mich darum als erstes.“, sagte Kisho und holte eine Schale warmes Wasser sowie ein paar Tücher. Chosokabe hielt ihn fest, während Kisho das erste Tuch ins Wasser tauchte, auswrang und anfing die Wunde abzutupfen. Es dauerte nicht lange, bis das Wasser in der Schale vom Blut rot war. Wieder seufzte Kisho und übernahm den Patienten. „Holt mir bitte den Arrak. Steht auf der Kommode.“, meinte Kisho und es war deutlich zu hören, dass er sich für das ganze Vorhaben nur wenig Chancen ausrechnete. Chosokabe stand auf und ging zur Kommode wo eine Flasche mit einer glasklaren Flüssigkeit stand. Er öffnete sie und sofort stieg ihm ein extremer Geruch in die Nase. „Du willst doch jetzt keinen Alkohol trinken?!“, fauchte er Kisho an, als er ihm die Flasche reichte. „Natürlich nicht! Auch wenn mir angesichts der Situation durchaus danach wäre... Habt Ihr denn noch nie von Arrak gehört?“ „Nein.“ Chosokabe setzte sich wieder ihm gegenüber und hielt den Verletzten, während Kisho etwas vom Flascheninhalt auf ein Tuch träufelte. „Arrak ist ein starker Alkohol. Das macht sich ideal um die Wunden zu reinigen. Er kann von Glück reden, dass er bewusstlos ist. Das brennt wahnsinnig.“, erklärte er und tupfte damit die Wunde ab. Chosokabe rümpfte die Nase. Der Geruch war wirklich unangenehm stark. Dann kam Kisho mit einer zweiten Schale auf seine Seite, stellte sie ab und legte ein sauberes Tuch hinein. Dann zwang er Chosokabe etwas Platz zu machen und setzte sich dicht neben ihn. Mit dem nassen Tuch säuberte er nun auch die Wunde auf der Brust. Die zweite Schale Wasser färbte sich blutrot und als die Wunde endlich sauber war, blutete es trotzdem noch etwas. Kisho träufelte wieder diesen Arrak auf ein weiteres sauberes Tuch und tupfte auch diese Wunde ab. Chosokabe drehe sich weg. Es roch einfach zu stark und das wo er mit Alkohol, speziell mit Sake, eigentlich keine Probleme hatte. „Haltet ihn auf der Seite. Ich muss den Verband vorbereiten.“, sagte Kisho und ging zu seinem Sammelsurium von Salben und Tinkturen, die er in einem Korb hergebracht hatte. Auf zwei große Tücher strich er eine Flüssigkeit und Chosokabe hörte ihn etwas von Bienenharz murmeln. „Richtet ihn vorsichtig auf. Ich verbinde ihn jetzt.“, sagte Kisho. Chosokabe bemühte sich, so vorsichtig wie möglich den Verletzten in eine sitzende Position zu bringen und ihn zu halten. „Ein bisschen die Arme anheben, sonst komm ich nicht herum und bitte haltet kurz die Tücher.“, bat Kisho und legte auf die beiden Wunden je ein getränktes Tuch. Chosokabe folgte den Anweisungen und Kisho band die Tücher auf den Verletzungen fest. Dann holte er ein Kissen, dass er auf den Futon legte und gemeinsam ließen sie den Soldaten vorsichtig wieder sinken. „Nun zu den Pfeilen.“, brummte Kisho und besah sich den Pfeil in der Schulter. Er tastete drumherum und bewegte den Schaft ein wenig. Dann stand er auf und holte ein paar Holzstäbchen, die vorn wie eine gebogene Schaufel waren. „Was hast du damit vor?“, fragte Chosokabe irritiert. „Damit spreize ich die Wunde und versuche die Pfeile herauszuholen. Ihr werdet die Sparren halten müssen.“, erklärte Kisho, dann setzte er die schaufelförmigen Seiten in die Wunde. Dann bedeutete er dem Fürsten die zwei Stäbchen auf dessen Seite zu halten, während er zwei weitere auf seiner Seite hielt. Chosokabe war sichtlich verwirrt über dieses Vorgehen, hielt aber die dünnen Holzstücken in der Position, wie Kisho sie angelegt hatte. Kisho hingegen nahm den Pfeilschaft und bewegte ihn erneut ein bisschen. Mit einem prüfenden Blick in die Wunde und viel Feingefühl gelang es ihm nach ein paar Minuten den Pfeil aus der Wunde zu ziehen. Grimmig sahen die beiden den Pfeil und die kleine Spitze an. „Nun wissen wir, dass Ihr einen Feind an Bord gebracht habt. Moris Pfeile sind etwas größer!“, sagte Kisho. „Das tut jetzt nichts zur Sache!“, knurrte Chosokabe. Kisho schüttelte den Kopf und tupfte auch diese Wunde mit einem mit Arrak getränkten Tuch ab. Dann nahm er dem Fürsten die Holzstäbchen ab, die er zusammen mit den anderen zweien in eine kleine Schale legte und den Alkohol darüber goss. Während die Stäbchen darin liegen blieben, beträufelte Kisho ein weiteres Tuch mit Bienenharz und band es um die Schulter fest. Nachdem das erledigt war, nahm er die Stäbchen wieder aus dem Alkohol, trocknete sie ab und kam zu Chosokabe hinüber, wo er auch hier die Wundumgebung abtastete, bevor er die Stäbchen erneut zum Einsatz brachte und Chosokabe wiederum zwei davon halten musste. Doch den abgebrochenen Pfeil konnte er nicht so leicht herausmanövrieren. Diesmal dauerte es länger, bis er es endlich geschafft hatte. Grimmig präsentierte er auch diesen Pfeil, dessen Spitze die gleiche war, wie beim ersten Pfeil. „Ich sag es Euch, dieser Mann ist unser Feind! Er ist besser dran, wenn er das hier nicht überlebt!“ Chosokabe schwieg darauf. Ihm war selbst nicht klar, warum er diesen Mann überhaupt aus dem Schlachtfeld getragen hatte. Warum war er überhaupt zwischen den Toten entlanggegangen? Weil er plötzlich Gewissensbisse bekommen hatte? Und warum hatte er ihn dann mitgenommen? Weil er noch lebte? Er hätte ihn auch dort liegen und sterben lassen können. Kisho hatte inzwischen die Wunde verbunden und wandte sich nun dem letzten Pfeil zu. Auf die gleiche Weise wie zuvor entfernte er auch diesen und verband die Stelle. Mürrisch betrachtete er das Fläschen mit dem Bienenharz und packte dann die unbenutzten Utensilien wieder ein und die Holzstäbchen in eine neue Schale mit Alkohol. Dann drehte er sich zum Fürsten um. „Prüft bitte die Temperatur.“, bat er. „Wie mache ich das?“, fragte Chosokabe, aus seinen Gedanken gerissen. Kisho sah ihn prüfend an. Woher sollte der Fürst das auch wissen, wenn er sowas noch nie gemacht hatte. „Legt Eure Hand oder das Handgelenk auf seine Stirn. Besser wäre jedoch, wenn Ihr die Temperatur mit Eurer eigenen Stirn messt. Wenn seine der Euren gleicht, ist alles in Ordnung, ist sie höher sinken seine Überlebenschancen noch weiter.“ Chosokabe sah den Verletzten an, dann beugte er sich langsam vor und legte seine Stirn gegen die des Fremden. Sie war wärmer als seine, wie er Kisho betreten mitteilte. Kisho nickte nachdenklich. „Er wird es wohl nicht überleben... Ich glaube nicht daran.“ Der Fürst erhob sich wieder und sah ihn fest an. „Unter diesen Umständen kann ich nicht glauben, dass er das überleben sollte!! Aber wenn Ihr unbedingt Eure Energie für einen halb Toten aufwenden wollt, dann wechselt täglich die Verbände, reinigt die Wunden, lagert ihn und achtet auf das Fieber!!“, bellte Kisho ärgerlich und wandte sich grummelnd seinem Arzneikorb zu. „Kisho...“, setzte Chosokabe an. „Was ist, mein Fürst?“, knurrte der Arzt. „Was für Zeug soll ich auf die Verbände machen?“, fragte der Fürst. Kisho seufzte verärgert. Dieser störrische Fürst meinte das tatsächlich ernst! „Bienenharz. Das Problem ist nur, dass es fast leer ist. Ich werde wohl mit einem Eurer Expeditionsschiffe aufbrechen müssen, um Neues zu besorgen. Die sind schneller in Yu ni kori als dieses riesige schwerfällige Schiff. Bis dahin lasse ich Euch den Arrak und den Kamillensud hier. Verwendet den Arrak nur solange er bewusstlos ist! Sollte er entgegen meiner Erwartung doch aufwachen, nehmt bloß nicht den Arrak! Ich habe einmal erlebt, was dabei passiert! Sobald er bei Bewusstsein sein sollte, spült die Wunden nur noch mit dem Kamillensud! Ich lasse Euch auch noch Eukalyptus hier. Verbrennt ihn hier damit der Duft im Raum ist.“ Chosokabe war aufgesprungen. „Wie bitte? Du willst auf ein Expeditionsschiff? Du kannst nicht einfach gehen, du bist der Schiffsarzt!“ „Ich brauche aber neues Bienenharz. Und was Ihr zu tun habt, habe ich Euch gesagt. Und ich habe auch gesagt, dass ich nicht an sein Überleben glaube. Spielt es da also noch eine Rolle ob ich hier bin oder nicht, wenn Ihr ihn sowieso spätestens übermorgen über Bord werft?“, sagte Kisho ernst und düster. Chosokabe warf einen Blick auf den Fremden. Warum mache ich das...? Werde ich plötzlich sentimental? Er seufzte. Er wusste nicht, was er glauben sollte. Konnte der Fremde es schaffen oder würde er wirklich innerhalb der nächsten Tage, vielleicht sogar Stunden, an den Verletzungen sterben? Dann hätte er ihn umsonst aus dem Feld der Toten getragen, wenn seine Bemühungen keine Früchte tragen sollten. Er wollte es dennoch versuchen, wenngleich er sich noch immer nicht erklären konnte, warum er das überhaupt getan hatte. „Fahre. Besorge dieses Harz. Ich werde mich schon um ihn kümmern.“, erwiderte Chosokabe mit der gleichen Ernsthaftigkeit, wie Kisho über den bevorstehenden Tod des jungen Soldaten gesprochen hatte. Der Arzt nickte und versprach ihm, dass er einen der Landratten, einen Neuling, mit kaltem Wasser und Tüchern schicken würde, damit der Fürst das Fieber senken konnte. Stolpernd ging Kisho hinaus und Chosokabe verstaute rasch die beiden Flaschen so, dass sie nicht umfallen und zerbrechen konnten. Das Schiff hatte angefangen zu schwanken, also hatte der Seegang wohl zugenommen. Er hatte das schon geahnt, denn der Schnee fiel aus dicken schweren Wolken herab die eindeutig einen Sturm versprochen hatten. So würden sie Yu ni kori allerdings nicht in einigen Stunden erreichen. Auf diese Weise konnten sie die Segel nicht hissen und sie würden wohl auch vom Kurs abkommen. Sie würden diesmal wohl ein paar Tage brauchen, wenn sie die Segel nicht schleifen wollten. Kisho allerdings würde sich trotzdem noch auf eines seiner Expeditionsschiffe übersetzen lassen können. So stark war der Seegang dann doch noch nicht. Chosokabe setzte sich neben den Verletzten und nahm ein paar Minuten darauf eine Schale kaltes Wasser mit einem Tuch darin von einem der Neulinge entgegen. Während dieser stolpernd die Kajüte verließ, saß der Fürst völlig unbeeindruckt neben dem Futon. Als die Tür geschlossen war, stand er auf und ging zu einem kleinen Schrank. Erst jetzt erlaubte er sich, das Zittern zuzulassen. Er hatte bis jetzt noch die nasse kalte Kleidung getragen. Er streifte sie endlich ab und zog einen dicken Wollkimono aus dem Schrank und eine Decke. In den Kimono gehüllt und die Decke über den Füßen ließ er sich wieder neben dem Futon sinken und betrachtete den Mann darauf. Er hatte nackenlanges Haar, das im Licht der Laterne bräunlich schimmerte. Sein Gesicht zeugte davon, dass er noch recht jung war, aber anscheinend aus gutem Hause stammen musste. Chosokabe konnte keine Narben oder rauhe Stellen erkennen. Die Rüstung, die inzwischen in Einzelteilen in einer Ecke der Kajüte lag, gab tatsächlich keinen Aufschluss darüber ob er nun Freund oder Feind war. Sicher, die Pfeile, die in seinem Körper gesteckt hatten, waren die von Chosokabes Bogenschützen, doch wer sagte ihm, dass sie nicht auch ihre eigenen Leute getroffen hatten. Auch von seinen Männern wurden welche von den Assistenten Kishos wegen Pfeilverletzungen behandelt und manche hatten die eigenen Pfeile abbekommen. Bei dem Durcheinander auf dem Schlachtfeld war das auch kein Wunder. Auch Chosokabe war einigen Pfeilen entgangen. Sein Blick ging zurück zu dem Fremden. Dann legte er die Decke zu dem Futon über ihn, wrang das Tuch aus und legte es ihm auf die Stirn. Sie fühlte sich warm an, wärmer als seine eigene, aber nicht zu warm. Vielleicht hatte er gar kein Fieber, sondern Chosokabe war einfach nur unterkühlt. Was es auch war, Chosokabe wechselte noch ein paar Mal das Tuch, bevor er das Licht löschte, sich gegen die Wand lehnte und letztendlich einschlief. Kapitel 3: Kibo to nayami ------------------------- Als Chosokabe erwachte, hörte er ein geschäftiges Treiben vor seiner Kajütentür. Doch sein mürrischer Blick galt als erstes dem Patienten auf seinem Futon. Der schien zu zittern. Hastig war er bei ihm, prüfte die Temperatur, die im Gegensatz zu dem Zittern überraschend hoch zu sein schien. Trotzdem legte er seine Decke über die Futondecke und ein frisch ausgewrungenes kaltes Tuch auf die Stirn des Jüngeren. Dann stand er auf, riss die Kajütentür auf und wollte eigentlich sofort losbrüllen, doch der Anblick des Decks verschlug ihm den Atem. Schnee! Ja, das hatte er ja gestern gesehen, aber dass der Schnee so stark fallen und auch noch liegen bleiben würde hatte er nicht erwartet. Schon gar nicht auf seinem Schiff! Die Temperaturen hier auf der Seto-Naikai und auf der Insel waren für gewöhnlich selbst im Winter sehr mild im Vergleich zum Norden. Schnee blieb jedenfalls nie liegen, wenn er überhaupt auf die Erde fiel. Chosokabe hatte das noch nie gesehen. Das Deck war schneeweiß und ein paar seine Männer schlitterten unbeholfen zur Takelage. „Was zum-“, setzte er völlig perplex an. „Es hat die ganze Nacht geschneit. Und es ist kälter als letztes Jahr. Sowas habe ich noch nie erlebt.“, sagte einer der Männer, die mit Katsuragi dafür zu sorgen hatten, dass sie ihren Kurs hielten. Chosokabe betrachtete verwirrt das schneeweiße Deck. „Sind wir überhaupt noch auf Kurs?“, fragte er. „Nein, aber wir können nicht weit ab sein, der Wind hat sich gestern recht schnell wieder gelegt. Wenn die Sonne durchkommt, können wir den Kurs neu berechnen.“, war die Antwort. „Na wunderbar...“, knurrte Chosokabe und fügte noch hinzu: „Hol mir einen von Kishos Assistenten. Er soll warmes Wasser und Tücher mitbringen. Fünf Tücher zum Verbinden, die Binden und Tücher zum Wunden reinigen.“ „Sofort, Aniki.“ Zufrieden verkroch sich Chosokabe wieder in der Kajüte und beobachtete das stetige auf und ab der Brust des Verletzten. Immerhin sah er jetzt deutlich, dass er atmete – dass er lebte. Wenngleich das stetige Atmen dem Jüngeren schwer zu fallen schien. Er musste Fieber haben. Chosokabe tauchte das erstaunlich schnell warm gewordene Tuch wieder in das kalte Wasser und legte es erneut auf die Stirn. Kurze Zeit später kam der Assistent mit dem Wasser und den Tüchern. Mit seiner Hilfe gelang es Chosokabe die Wunden frisch zu verbinden. Mit ihm zusammen ließ er sich auch einen Trick für die Wunde auf dem Rücken einfallen. Damit er nicht die ganze Zeit auf der großen Schnittwunde lag, hatte Chosokabe einfach zwei nicht allzu dicke Rollen an die Wundränder gelegt und der junge Assistent von Kisho verband ihn dann. Während der Assistent die blutigen Tücher und Binden in eine Schale warf, überlegte Chosokabe, wie er das Fieber senken konnte. Dann erinnerte sich daran, wie seine Mutter bei ihm einmal hohes Fieber gesenkt hatte. Damals hatte sie die ganze Zeit seine Beine in kalte Tücher geschlungen. Er wusste nicht mehr, wie lange es gedauert hatte, bis sein Fieber gesunken war aber lange konnte es nicht gewesen sein. Wobei er sich auch daran erinnerte, dass er damals nur krank war und keine Wunden hatte. Wie sollte das also hier funktionieren? Aber was sollte er anderes tun? „Hol mir Schnee und Eis hierher.“, sagte er dann und hielt dem Assistenten eine der leeren Schalen hin. Der sah verdutzt darauf hinab und dann zu Chosokabe. Der Fürst wiederholte seine Bitte und wortlos ging der Assistent das Gewünschte holen und kehrte mit der Schale voll Schnee zurück. Zum Glück hatte der Jüngere mehr Tücher mitgebracht, als sie tatsächlich gebraucht haben. Einige davon hatte Chosokabe beiseite gelegt und nahm ihm die Schale ab. „War es das dann?“ Chosokabe entließ ihn murrend und überlegte, wie seine Mutter das gemacht hatte. Da die Tücher wohl nicht für beide Beine ausreichen würden, wie er es sich gedacht hatte, legte er den Schnee auf eine Hälfte der Tücher, klappte sie zu und legte je eines davon auf ein Bein. Und hoffte, dass es helfen würde... Stunden später stellte Chosokabe zufrieden fest, dass der Jüngere wieder ruhiger atmete. Das Fieber war wieder gesunken. Er besah sich die Verbände, die sich nach dem Verbandswechsel erneut rosa gefärbt hatten. Es war aber nicht viel und es hatte aufgehört. Ein weiteres gutes Zeichen wie Chosokabe fand. Jetzt konnte es nur besser werden. Von wegen, er überlebt das nicht! Er stand auf und ging aus der Kajüte. Draußen war der Schnee inzwischen fast geschmolzen und der Himmel war klar. Er ging auf die Brücke zu seinem General Katsuragi am Ruder. „Der Kurs?“, fragte er nur. „Wir segeln wieder auf Kurs nach Iyo, Aniki.“ „Sehr gut. Was ist mit den Narutos? Haben wir die schon passiert?“ „Ein paar werden noch kommen, nehme ich an. Ich kenne diese Route noch nicht, also kann überall einer auftauchen.“ Chosokabe nickte. Diese Narutos waren wirklich eine Plage, aber man konnte nichts machen. Auf ihrer Route nach Oshiba wussten sie wo sie waren, denn sie kamen immer nur an bestimmten Stellen. Aber so abgetrieben wie sie waren, kannten sie diese Route noch nicht. Sie wussten zwar, wie sie zurück nach Iyo und dann nach Tosa kamen, aber eine unbekannte Route barg eben Gefahren. Besonders hier in der Seto-Naikai. Aber Katsuragi war der Beste und er vertraute ihm. „Aniki...“ „Hmm?“ „Die ganze Mannschaft spricht schon davon... Wer ist dieser Fremde in deiner Kajüte und was sucht er hier?“, fragte Katsuragi. Chosokabe wartete einen Moment bevor antwortete. „...Kisho meint, er wäre einer von Moris Leuten. Nur weil er drei unserer Pfeile abbekommen hat... Ich habe keine Ahnung, wohin er gehört... Gesehen habe ich ihn noch nie, aber das heißt ja noch nichts. Und jetzt frag du nicht auch noch, warum er hier ist! Ich weiß nicht, warum!“ Katsuragi runzelte vielsagend die Stirn. „Aber du hast ihn doch hergebracht.“ „Ja... Was weiß ich warum. Ich habe keine Ahnung, warum ich das gemacht habe. Aber vielleicht hat das ja alles einen Sinn. Sagen doch die Mönche immer.“ Katsuragi konnte ein Lachen nicht unterdrücken und Chosokabe stimmte mit ein. Dennoch fragte er sich noch immer, was ihn zu diesem Handeln bewogen hatte. Er legte eine Hand auf Katsuragis Schulter, nickte ihm zu und ging dann zum letzten verbliebenen Schnee, den er mit den Händen einsammelte. Unter Katsuragis fragenden Blicken verschwand er damit in der Kajüte und ließ den Schnee in einen Becher rutschen den er aus der Kommode nahm. Er wartete bis er geschmolzen war und tauchte dann ein sauberes kleines Tuch hinein. Damit betupfte er die gesprungenen Lippen seines Patienten. Er wusste, dass Kisho einmal gesagt hatte, eine Weile ohne Essen auszukommen sei machbar, aber nicht ohne Wasser zu trinken. Er hoffte, dass es auch was brachte. Während er mit dem Tuch tupfte und nachdachte, berührten seine Finger plötzlich statt des Tuchs die Lippen. Chosokabe hielt inne. Er konnte an nichts denken und wie von selbst strichen seine Finger über die aufgesprungene raue Haut, die durch das Wasser langsam aufweichte. Es war ein eigenartiges Gefühl. Ein wenig kratzig aber irgendwie kribbelte es auch. Warum tat es das? Er hatte selbst auch schon raue Lippen und da hatte es nie gekribbelt, wenn er mit den Fingern darüber gestrichen hatte. Er zog die Hand weg und sah den Fremden an. Das Gesicht wirkte ruhig. Geradezu schön. Schön? Was dachte er denn da? Verwirrt stand er auf. Und wusste nicht, wohin er gehen sollte. Würde er jetzt an Deck gehen, würde man ihn fragen, was los war. Blieb er hier, war er gezwungen, das hübsche Gesicht des Jüngeren anzusehen. Er seufzte. Was hab ich mir da nur eingebrockt... Er atmete tief ein und sah zurück zu dem fremden Soldaten. Doch er wusste nicht, was er denken sollte. Bei seinem Anblick war sein Kopf wie leer gefegt. So war das auch plötzlich auf dem Totenfeld. Hatte sich da etwas anderes als sein Gehirn eingeschaltet? Seufzend setzte er sich wieder. Er konnte nicht denken, wenn er ihn ansah, aber er musste ihn ansehen. Schließlich wollte er Kisho beweisen, dass der Fremde nicht zum Tode verurteilt war, nur weil er verletzt war! Während der Piratenfürst Chosokabe mit seinen Schiffen abgezogen war, hatte Fürst Mori Hiromoto befohlen mit seinem Hauptschiff zurück nach Oshiba-shima zu segeln um ihre Männer auf das Festland zu holen, wo sie begraben werden konnten. Als sie ankamen fiel Schnee und Fürst Mori trieb seine Männer zur Eile an, da der Schneefall immer dichter wurde. So schnell es ging, liefen sie durch die Reihen und trugen einen nach dem anderen die armen Seelen auf das Schiff. Fürst Mori und der dienstälteste Soldat und sein Vasall namens Sano gingen voran. Der Fürst hoffte, seinen Sohn zu finden. Statt tot lieber lebendig, doch das konnte er nicht beeinflussen. Sano schritt voran, während der Fürst einige Männer nahe am Wasser betrachtete. Und dann sah er die Rüstung. Es war eine der älteren Domarus, wie sie viele Soldaten hatten. Eine von denen, die aus mehreren Einzelteilen selbst zusammengebaut und gebunden war. Er beschleunigte sein Tempo ein wenig. Als er ihn erreicht hatte, ging er in die Knie, die ihm bei der Kälte ungeheuer schmerzten. Er schob den Helm hoch und erschrak. Quer über das Gesicht des Soldaten zog sich eine blutende, aber nicht allzu tiefe Schnittwunde, auf der Wange war eine Verbrennung deutlich zu sehen. Dort musste einer der letzten brennenden Pfeile ihn getroffen haben. Seine Nase jedenfalls war gebrochen, doch das dürfte den armen Jungen wohl kaum noch interessieren. Seine Brust hob und senkte sich nicht mehr und Sano konnte auch keinen Puls mehr spüren, als er am Hals danach suchte. Er öffnete mühselig die Rüstung und fand fast sofort das grüne Seidentuch mit dem Dokument, das mit dem fürstlichen Siegel gebunden war. Dieses Dokument sollte den jungen Herrn Mori als diesen ausweisen. Dann sah Sano erneut in das Gesicht des Toten und begutachtete es einen Moment lang. Er zog die Stirn kraus, während er jeden Zentimeter des Gesichts musterte. „Mein Fürst!“, rief er und Fürst Mori kam herbei. Er stürzte neben seinen Vasallen und sank auf die Knie. Sano beobachtete dessen Minenspiel, doch er sah nichts als Trauer. Natürlich, er liebte seinen Sohn. Wenngleich der Ältere, Meister Okimoto, den Vorrang bei der Nachfolge haben würde. Der junge Herr hätte erst nach Meister Okimotos Tod Anspruch auf den Fürstentitel. „Bringt ihn an Bord... und dann lasst uns heimkehren...“, sagte Fürst Mori mit leiser brüchiger Stimme. „Aber unsere Männer...“, setzte Sano an. „Was interessieren mich die anderen?! Ich habe meinen Sohn gefunden und das war alles was ich wollte. Die anderen können wir holen, wenn der Schnee wieder weg ist!“, brüllte der Fürst. Sano sah die Tränen in den Augen des alten Mannes glitzern und nickte verständnisvoll. Er konnte ihn verstehen. Wer wollte denn schon seinen Sohn verlieren? Er wusste, wie der Fürst sich fühlte. Auch er hatte einen seiner Söhne in einem der zahlreichen Kriege gegen diese Piratenfürsten von Iyo und Tosa verloren. Gemeinsam mit einem der anderen Soldaten hoben sie den Toten hoch und trugen ihn zum Schiff. Der alte Fürst, der jetzt noch deutlich älter wirkte, trottete mit hängenden Schultern und gebeugtem Haupt hinterher. Während Mori Motonari in den Bauch des Schiffes neben die anderen Toten und das grüne Seidentuch auf seine Brust gelegt wurde, schloss sich Fürst Mori in seiner Kajüte ein. Sano blieb davor stehen und hörte ein leises Klirren. Er seufzte. Der Fürst goss sich gerade Sake in seinen Porzellanbecher. Seit dem Tod von Motonaris Mutter hatte er das oft getan. Viel zu oft, wie Sano fand. Und es würde noch viel schlimmer werden. Sano ahnte schon, dass der Fürst ihm eine Bürde auferlegen würde, die er lieber dem Fürsten selbst überließe. Aber wenn Fürst Mori vor lauter Trauer in Sake und Einsamkeit versank und Meister Okimoto seinem Ziel, Fürst zu werden, einen Schritt näher kam, würde das unweigerlich an ihm hängen bleiben. Einer musst es übernehmen. Der Fürst hatte eigens für seine Söhne hübsche Mädchen auf die Burg bringen lassen, die von den älteren Konkubinen unterwiesen wurden und einmal die Söhne heiraten sollten. Für Motonari hatte er ein Mädchen aus den umliegenden Dörfern geholt. Auf der Burg erhielt sie einen neuen Namen: Myokyu. Sie wurde nicht nur ein schönes Mädchen, sondern zwischen ihr und Motonari geschah etwas, was sonst fast nie vorkam. Sie mochte den jungen Herrn und er war ihr auch nicht abgeneigt. Sano kam ein beißender Gedanke. Das zarte Band der beiden ist nun unweigerlich zerrissen... Seufzend ging er. Denn er würde es ihr sagen müssen. Spätestens morgen würde Fürst Mori ihn darum bitten. Solange wollte er ihr Seelenheil noch nicht angreifen. Es würde sie ohnehin schwer genug treffen. Kapitel 4: Fukai ni ryoko ------------------------- Ein weiterer Tag war an Bord vergangen. Ein Tag an dem Chosokabe auf den jungen Soldaten aufgepasst und ihm immer wieder die Lippen befeuchtet hatte, damit er Flüssigkeit bekam. Und trotzdem fand er, dass es zu wenig war. Aber etwas anderes konnte er nicht tun, solange der Jüngere noch nicht bei Bewusstsein war. Chosokabe hatte sich eine weitere Nacht an die Wand gelehnt und recht unruhig geschlafen. Ein Klopfen riss ihn aus seinem leichten Schlaf. Murrend ließ er den Störenfried eintreten. „Katsuragi kann die Küste bereits erkennen!“ Chosokabe setzte sich auf. „Ich komme gleich.“, sagte er und warf einen prüfenden Blick auf den Jüngeren. Seine Augen zuckten unter den Lidern wild umher. Chosokabe hoffte, dass er bald aufwachen würde. Zumindest hatte er dieses Augenzucken bisher noch nicht getan. Vielleicht war das ein gutes Zeichen. Er strich ihm ein paar feuchte Haare aus dem Gesicht und ging dann an Deck zu Katsuragi. Der stand oben vor dem Ruder und sah durch ein Fernrohr zu der noch weit entfernten Küste, die mit bloßem Auge noch nicht sichtbar war. „Wann werden wir da sein?“, fragte Chosokabe. Katsuragi schob das Fernrohr zusammen. „Ich denke, wir werden Yu ni kori heute Abend erreichen. Vielleicht schon früher, wenn das Wetter sich hält.“ „Sehr gut. Ich freue mich schon auf die heißen Quellen.“ Katsuragi grinste. „Oh ja, das glaube ich. Wie geht es deinem Gast?“ „Mir scheint, er erlangt langsam sein Bewusstsein zurück. Zumindest hoffe ich das.“ „Du hoffst...?“ Chosokabe sah Katsuragi mit einem boshaften Grinsen an. „Kisho hat prophezeit, ich würde ihn nach wenigen Stunden tot über Bord werfen. Dem werd' ich's zeigen! Kisho werden die Augen rausfallen, wenn er ihn auf meiner Burg umherlaufen sieht!“ „Und wenn er doch unser Feind ist?“ „Das werde ich sehen, wenn er aufwacht und es mir sagt. Bis dahin steht er unter meinem Schutz! Dass mir das jede Landratte hier auf meinem Schiff weiß!“, fauchte Chosokabe, gab Katsuragi ein freundschaftliches Schulterklopfen und ein Lächeln und ging zurück in die Kajüte. Sein Patient lag noch immer ruhig auf seinem Lager. Er betrachtete ihn einen Moment, dann setzte er sich neben den Futon. „Wer bist du...“, fragte er ins Leere. Die Lider des Jüngeren zuckten wieder. Chosokabe saß daneben und beobachtete ihn. Wacht er etwa auf? Er tränkte das Tuch erneut in der Wasserschale und tupfte die Lippen des Fremden ab. Sah er gerade richtig? Er öffnete den Mund ganz leicht! Chosokabe schluckte, drückte aber noch etwas mehr Wasser aus dem Tuch. „Komm... Wach auf...“, sagte Chosokabe angespannt. Wie ein Flackern bewegten sich die Lider in dem hübschen Gesicht und Chosokabe hoffte darauf, dass er aufwachte. „Komm schon...“ Mit dem feuchten Tuch wischte er ihm über die Stirn und die Haare blieben auf der Haut kleben. Mit der Hand schob er sie weg und prüfte gleichzeitig die Temperatur. Sie war zum Glück nicht erhöht. Ein Grund mehr zu hoffen, dass er aufwachte. Doch das Flackern erstarb wieder und Chosokabes Patient lag völlig ruhig da. Als würde er schlafen. Chosokabe seufzte, tupfte noch einmal mit dem feuchten Tuch über die Lippen des Jüngeren und erhob sich. Ich brauch frische Luft... Und er vermutlich Ruhe vor mir... Nachdenklich lehnte er sich über die Reling und warf einen Blick auf das eisgraue Einerlei vor sich. Zwischen Meer und Horizont konnte man kaum unterscheiden. Das war einer der Gründe, warum Katsuragi am Ruder stand. Mit diesem Wetter hatte er eindeutig die besseren Erfahrungen als Chosokabe. Die Heimatinsel war bereits deutlich erkennbar, dafür brauchte man kein Fernrohr mehr. Er freute sich auf die Heimat, auch wenn er das Meer und das Leben auf dem Schiff noch mehr liebte. Aber was soll's, jedes Schiff braucht einen Hafen und ich freue mich, mal wieder zu Hause zu sein. Nur... Er sah zurück zur Kajüte. Um nach Hause auf seine Burg nach Tosa zu kommen, müssten sie noch einen mehrstündigen Ritt hinter sich bringen. Die Wehrburg an der Küste war jedenfalls nur spärlich eingerichtet und entsprechend ihrer Funktion eher mit Waffen als mit einer Dienerschaft ausgerüstet. Aber mit dem Verletzten in der Kajüte dürfte der Ritt deutlich erschwert sein. Zumindest wenn er nicht aufwachte. Er wollte nicht darüber nachdenken und ging eilig zu Katsuragi hinauf. „Und? Was macht der arme Kerl?“, fragte Katsuragi grinsend. „Ach hör auf... Ich dachte grad, er wacht auf...“ „Wäre praktisch. Wir werden bald ankommen, wenn der Wind so bleibt.“ „Ist mir auch klar. Ich kann ihn allerdings schlecht wachrütteln!“, knurrte Chosokabe sarkastisch. „Natürlich nicht. Mir scheint, du hast dir darüber schon Gedanken gemacht, Aniki.“, sagte Katsuragi und sah ihn an. „Immerhin ist die Wehrburg hauptsächlich mit Waffen bestückt und nicht sonderlich komfortabel.“ „Ich weiß. Wir werden demzufolge nach Tosa reiten.“ „Mit ihm?? Du bist verrückt...“ Chosokabe sah ihn mit einem breiten Grinsen an. „Wenn ich das nicht wäre, hätten wir Shikoku doch schon längst verloren.“ Katsuragi lachte laut los. „Oh ja, das hätten wir wohl!“ Sie lachten eine Weile, dann sahen sie wieder ernst auf das tosende Meer vor ihnen. Vereinzelt flog eine Möwe an ihnen vorbei, manchmal setzten sie sich auf die Reling und stießen ihren Möwenschrei aus. Währenddessen sprang das Meer an den Planken hinauf und klatschte dann wieder auf die Wasseroberfläche. „Und du meinst, das klappt, Aniki?“, fragte Katsuragi. „Es muss. Ich hoffe, er wacht auf, bevor wie anlegen. Aber egal wie es steht, wir werden reiten. Allerdings nicht alle. Nur du, ich und der Junge und ein paar Leute, die du aussuchst. Ich will nicht, dass wir mehr als sechs Pferde brauchen.“ Der Mann am Ruder musste wieder lachen. „Sei ehrlich, es sind gar nicht mehr Pferde in der Wehrburg!“ Chosokabe klopfte ihm lachend auf die Schulter. „Und ob da noch mehr Pferde sind! Aber wie sieht das für unsere Landsleute aus, wenn ein ganzes Heer Landratten durchs Land streift? Belassen wir es dabei, wir reiten zu siebt vor, der arme Tropf in meiner Kajüte wird bei mir mitreiten. Die anderen können ja Stück für Stück nachkommen. Diesen Winter werden wir jedenfalls nicht nochmal in See stechen. Jedenfalls nicht mit diesem Schiff.“ „Wie du meinst. Dann geh mal nachsehen, ob der arme Tropf da unten mal langsam aufwacht.“ Sie grinsten sich an und Chosokabe verließ das Deck wieder um einen Blick in die Kajüte zu werfen. Sein Patient war noch immer ruhig, er tupfte ihm erneut die Lippen feucht und streifte dann über sein Schiff. Er konnte nicht ständig auf ihn aufpassen. Aber nun gut, einen Blick auf seine eifrige Mannschaft zu werfen, dauerte ja auch keine Ewigkeit. Schmerz... Ihm tat alles weh... Warum? Der Rücken schmerzte ihm schrecklich und der Kopf tat ihm auch weh. Er bekam die Augen nicht richtig auf, doch das was er gelegentlich erkennen konnte, kam ihm alles unbekannt vor. Und es war auch recht dunkel. Es roch jedoch angenehm. Dennoch täuschte es nicht darüber hinweg, welche Schmerzen ihn quälten. Plötzlich nahm er Licht war, eine Tür die geschlossen wurde und es war wieder dunkler. Dann hörte er Schritte, das Rascheln von Stoff und ein Seufzen. Er konnte seinen Kopf nicht bewegen, nur seine Augen, deren Lider ihm noch immer nicht gehorchen wollten, versuchten etwas zu erkennen. Aus dem Augenwinkel nahm er eine Gestalt war. Sie schien auch etwas zu sagen, doch er nahm es nicht richtig wahr. Plötzlich spürte er etwas kühles auf seinen Lippen und die Flüssigkeit war angenehm. Er hatte Durst, seine Kehle schmerzte und fühlte sich so trocken an, wie der Feldsand im Hochsommer. Der Schmerz drang wieder vor und es fiel ihm schwer, sich auf die Umgebung zu konzentrieren. Und er war müde... zu müde, um sich auf die Person neben ihm zu konzentrieren... „Nein... Nicht wieder einschlafen. Bleib wach!“, sagte Chosokabe. Gerade als er seinen Rundgang an Bord beendet hatte und in die Kajüte gekommen war, hatte es den Anschein, als würde der Fremde aufwachen. Die flackernden Lider und der Versuch die Augen zu öffnen waren ein deutlicher Fortschritt. Chosokabe träufelte noch einmal Wasser auf seine Lippen, doch es gelang dem Jungen nicht aufzuwachen. Enttäuscht strich er ihm über die Haare. „Du solltest langsam aufwachen...“ Es war bereits Abend geworden, als Chosokabe und Katsuragi zusahen, wie die Mannschaft ihre Habe zusammenpackte und sich für die Landung bereit machte. Katsuragi war wie Chosokabe einer der wenigen, die kaum etwas Persönliches mitnahmen, wenn sie das Schiff betraten. „Aniki? Ist dein Schützling schon wach?“, fragte Katsuragi, als der Anker in Position gebracht wurde. „Ich hoffe es. Vorhin hatte er ganz kurz die Augen offen. Ich gehe gleich und hole ihn, ob er nun wach ist oder nicht.“ Katsuragi nickte und Chosokabe ging nach ein paar Sekunden zur Kajüte zurück. Leise ging er hinein und nahm noch ein wenig von dem verbrannten Eukalyptus wahr. Er setzte sich neben den Futon und beobachtete das Gesicht des Jüngeren. Seine Augen bewegten sich und hin und wieder öffnete er sie für eine Sekunde. „Na los, wach auf.“, sagte Chosokabe und träufelte wieder etwas Wasser auf die Lippen des Fremden. Er schien zunehmend wacher zu werden. Die Sekunden, in denen er die Augen offen hielt, wurden immer länger. „Ja gut so!“ Die dunklen Augen schafften es endlich, Chosokabe zu fixieren und mit wenigem Blinzeln den Blick zu halten. „Na endlich...“, seufzte Chosokabe erleichtert. „Gerade rechtzeitig.“ Er bekam jedoch keine Antwort. Nur die Mandelaugen sahen ihn an. „Du hast bestimmt Durst.“, sagte er und hob die Schale mit dem Wasser in das Blickfeld des anderen. Die Mandelaugen blinzelten einmal. „Ja?“, hakte Chosokabe nach und er blinzelte er erneut. Chosokabe griff in den Nacken des Jüngeren und hob ihn ein wenig an, was ein schmerzverzerrtes Gesicht zur Folge hatte. Trotzdem wollte er trinken, also hielt Chosokabe ihm die Schale an die Lippen und sah zufrieden zu, wie er trank. „Gut so.“, freute er sich und stellte die Schale beiseite. „Leider muss ich dich weiter ärgern. Wir müssen das Schiff verlassen und dazu muss ich dich irgendwie hier rauskriegen.“ Erschöpft sah der Jüngere ihn an und blinzelte dann einmal. Chosokabe nickte und holte zunächst einmal wärmere Sachen aus seinem Schrank, die er seinem Patienten überzog. Er selbst warf sich nur einen Mantel über, dann setzte er sich nachdenklich neben den Futon. „Gut... Wie mach ich das am besten...“, überlegte Chosokabe laut. Sein Blick fiel auf die langen Tücher die auf der anderen Seite des Raumes lagen. „Du wirst noch nicht so viel Kraft haben, dich an mir festzuhalten... da bleibt mir nur eins.“, sagte er und holte sich eines der Tücher. Damit band er die Handgelenke des Fremden in einem gewissen Abstand zueinander mit dem Tuch zusammen. „Keine Angst, dass ist nur, damit ich dich tragen kann.“ Dann hob er den Oberkörper das anderen an, legte sich seine Arme mit dem Band zwischen den Handgelenken über den Kopf und hob ihn auf die Arme. Wieder wurden die Mandelaugen zusammengekniffen und das Gesicht schmerzlich verzogen. „Tut mir Leid, anders geht es nicht. Ich hoffe, du frierst nicht so schnell, draußen ist es kalt.“, sagte Chosokabe und irgendwie gelang es ihm, die Kajütentür zu öffnen. Die Mannschaft draußen warf ihm überraschte Blicke zu und er spürte ganz deutlich Katsuragis Blick über sich. „Anlegen und an Land gehen! Katsuragi, du hilfst mir. Ich bin grad etwas eingeschränkt.“, sagte er laut und die Anweisung an Katsuragi mit einem breitem Grinsen. „Geht klar, Aniki.“, tönte Katsuragi über ihm. Die Mannschaft ging von Bord, Katsuragi und Chosokabe mit seinem Patienten waren die letzten. Katsuragi steuerte die kleine Nussschale auf das Land zu während er Chosokabe und den Fremden musterte. „Und?“, fragte er nur. „Das kriegen wir schon hin. Hast du dir schon überlegt, wer uns begleitet?“ „Habe ich. Ich hab sie als erstes losgeschickt, damit sie schon alles vorbereiten können und es nicht so lange dauert, Aniki.“ Chosokabe nickte zufrieden. „Gut. Ich habe mir überlegt, dass der Rest der Mannschaft zur Sicherheit doch hier bleibt. Ich weiß nicht, aber ich glaube, Mori wird das kalte Wetter wohl nicht stören...“ „Das würde ich eher dir zutrauen als dem alten Mori. Aber sicher ist sicher.“, sagte Katsuragi. Der nasse kalte Sand knirschte unter dem kleinen Boot, als sie den Strand erreichten. Die Wehrburg war sofort zu sehen und sie hatten sie recht schnell erreicht. Die sechs Pferde waren bereits gesattelt und die anderen vier Männer packten gerade die Taschen mit Proviant voll, als Chosokabe und Katsuragi mit dem Verletzten ankamen. Auch sie sahen den Fürsten verwirrt an. Dass er einen überlebenden Soldaten von Oshiba-shima mitgenommen hatte wusste ja das ganze Schiff, aber dass er es tatsächlich bis jetzt überstanden hatte und der Fürst ihn auch noch mitnehmen wollte, das wussten sie nicht. Und schon gar nicht, wie er das anstellen wollte. „Alles bereit?“, fragte Chosokabe. „Ähm... Ja, Aniki... aber wie...“, setzte einer von ihnen an. „Das wirst du gleich sehen. Katsuragi! Hilf mir mal.“, antwortete Chosokabe. Katsuragi folgte ihm zu seinem Pferd. Chosokabe setzte den Jüngeren auf die Füße, hielt ihn aber an der Hüfte fest. Katsuragi band dessen Handgelenke los und Chosokabe übergab den Fremden kurz an ihn. Dann stieg er auf sein Pferd und Katsuragi half ihm, den Fremden vor sich in den Sattel zu heben, möglichst ohne ihm Schmerzen zu bereiten. Chosokabe band ihn an sich fest und befahl den anderen ebenfalls aufzusitzen, damit sie losreiten konnten. Es würde nicht gerade leicht werden, denn der junge Soldat mit den schönen Mandelaugen war wieder bewusstlos geworden. Dennoch ritten sie los. Sie würden ungefähr einen halben Tag brauchen, aber da sie mit einem Verletzten reisten, würde es etwas länger dauern. Außerdem ritten sie erst jetzt am Abend los und würden bald einen Rastplatz finden müssen. Katsuragi hatte dafür bereits einen der Männer vorausgeschickt um einen Bauernhof zu finden, der sie aufnehmen konnte. Sein Blick ging derweil zu Fürst Chosokabe und dessen Schützling hinüber. Der Kopf des armen Jungen hing schlaff an Chosokabes Schulter, der ihn mit einem Arm über dem Oberkörper festhielt und mit der anderen das Pferd lenkte. Das Haar des jungen Soldaten war etwas zerzaust, demnach musste es Chosokabe doch am Hals kitzeln. Doch der Fürst ließ sich davon jedenfalls nichts anmerken. Sie ritten in gemäßigtem Tempo los, damit sie nicht zu sehr durchgeschüttelt wurden, was dem Verletzten sicher nicht gut bekäme. Nach einer Weile erreichten sie mithilfe des vorausgeschickten Mannes einen Hof, wo sie übernachten konnten. Die Sonne war gerade untergegangen, als sie dort ankamen. Genau rechtzeitig also. Allerdings mussten sie sich mit Pferdestall abfinden. Bei den Leuten, die dort wohnten war kein Platz und der Stall war der einzige Ort, der einigermaßen annehmbar war. Also stellten sie ihre Pferde dort unter und während einer von ihnen Wache hielt, legten sich die anderen ins Stroh. Kalt war es jedenfalls nicht, von den Pferden ging genügend Wärme aus. Chosokabe breitete seinen Mantel aus, damit das Stroh seinem Patienten nicht in die Wunden stach. Er selbst legte sich dicht daneben. Früh am nächsten Morgen ritten sie weiter, damit sie am Nachmittag die Burg in Tosa erreichten. Während des Ritts aßen sie ein paar getrocknete Pflaumen als Frühstück. Kurz darauf schien Chosokabes Schützling wieder aufzuwachen. Er bewegte den Kopf und blinzelte. Trotz des langsamen Tempos schien ihn jeder Schritt des Pferdes zu schmerzen. Aber noch langsamer konnten sie nicht reiten. „Hast du Durst?“, fragte Chosokabe. Ein Murren war die Antwort, was Chosokabe als ja auffasste. Er fischte aus der Satteltasche eine Art Flaschenkürbis in dem Wasser war und hielt sie ihm an den Mund. Langsam trank der Jüngere. Nachdem Chosokabe das Wasser wieder verstaut hatte sah er zurück zu dem Haarschopf an seiner Schulter. Er atmete hörbar aus und ließ seinen Kopf mit dem Gesicht zu Chosokabe an die Schulter sinken. „Katsuragi. Schick einen der Männer vor, damit wir bald Pause machen.“ „In Ordnung.“ Es war bereits später Nachmittag als sie endlich die Burg erreichten. Sie hatten alle Hunger. Bei der letzten Pause hatten sie jeder einen getrockneten Fisch gegessen und noch einmal einige Pflaumen. Mit Mühe hatte Chosokabe den jungen Soldaten dazu bekommen, wenigstens an einer Pflaume zu knabbern. Obwohl das mehr ein Lutschen war, als alles andere. Scheinbar war er noch zu schwach. Eigentlich kein Wunder, wenn man seit fast drei Tagen nichts gegessen hatte und dazu noch mit Verletzungen flach gelegen hatte. Es war also nur allzu verständlich, dass Chosokabe unbedingt Essen aufgetischt haben wollte, nachdem sie angekommen waren. Die Pferde waren bereits untergebracht und die Männer saßen zusammen um einen niedrigen Tisch, Chosokabes Schützling saß an dessen Seite. Währenddessen tischten die Diener heiß dampfende Misosuppe, gegrilltes Gemüse, gedünsteten Fisch und gebratenes Fleisch mit Soßen und Reis auf. Die Suppe konnte der Fremde gut essen, sodass er davon wenigstens einigermaßen satt wurde, wie Chosokabe es sich erhofft hatte. Nachdem der Hunger gestillt war, brachte Chosokabe den Jungen in seine Räume. Er richtete seinen Futon her und einen zweiten, wo der Fremde schlafen sollte. Dort legte er ihn nieder und setzte sich daneben. „Geht es dir besser?“, fragte er dann. Ein Nicken. „Meinst du, du kannst schon reden?“ Ein Krächzen kam als Antwort. Doch nach einigem Räuspern klang die Stimme bereits klarer. Sie war angenehm. Ein wenig tiefer als seine eigene. „Hast du starke Schmerzen?“ „Es... geht.“, brachte der Fremde hervor. Chosokabe nickte. „Wie heißt du?“ Der andere sah ihn einen Moment an, dann sah er auf seine Hände. „Ich... weiß nicht...“ Chosokabe sah verdutzt drein. „Wie? Du weißt nicht? Weißt du denn wenigstens, was passiert ist? Warum du verletzt bist?“ Wieder schaute der andere ihn nur an. „Nein. Warum?“ „Oje...“, seufzte Chosokabe. „Was ist denn?“, fragte der Fremde und sah Chosokabe fragend an. „Wir waren in einer Schlacht. Du hast es gerade so überlebt.“ Darauf erhielt Chosokabe keine Antwort, nur einen starren Blick. Er berührte die Schulter des Jüngeren. „Du hast es überlebt. Du bist hier in Sicherheit.“ Später am Abend ging Chosokabe zu Katsuragi. Der saß gerade in einem der kleineren Gärten. Er ließ sich neben dem Mann nieder. „Aniki... Du hier? Solltest du nicht bei deinem Schützling sein?“, fragte Katsuragi. „Er schläft. Und ich hab ein kleines Problem.“, antwortete Chosokabe. „Das da wäre?“ „Er weiß nicht, wer er ist. Er weiß auch nicht, warum er so verwundet ist.“ Katsuragi sah ihn perplex an. „Oje! Auch das noch!“ „Und was mach ich jetzt? Hast du eine Idee?“ „Gib ihm einen Namen. Früher oder später wird er sich hoffentlich an seinen richtigen Namen erinnern. Bis dahin...“ Chosokabe nickte. Was anderes würde ihm wohl nicht übrig bleiben. „Wie wäre es mit Nobuchika?“ Katsuragi warf ihm ein breites Grinsen zu. „Da weiß man doch sofort, wo er hingehört!“ Chosokabe lachte. Er blieb noch eine Weile bei Katsuragi sitzen, trank noch etwas Sake mit ihm und ging erst sehr spät zurück zu dem Fremden. Dem jungen Soldaten, der ab jetzt Nobuchika heißen sollte, bis er sich an seinen richtigen Namen erinnerte. Kapitel 5: Okimoto ------------------ Sano schloss die Shoji hinter sich, doch Myokyus Schluchzen hörte er immer noch. Er ließ den Kopf hängen, seufzte schwer und ging den Terrassengang entlang zu einem anderen Zimmer. Vor diesem atmete er tief ein, ging in die Knie und atmete wieder aus, bevor er seine Stimme erhob. „Meister Okimoto...“ „Was gibt es?“, war die Stimme von innen zu hören. Sano öffnete die Shoji und rutschte in den Raum hinein. Okimoto saß auf einem niedrigen Stuhl, zu seinen Füßen hockte seine Frau. Ihr Kimono rutschte ihr auf einer Seite von der Schulter und das lange schwarze Haar fiel wie Seide über ihren Rücken. „Was gibt es so wichtiges, dass du mich störst?“, raunte Okimoto. „Meister Okimoto. Ihr habt es sicher schon gehört, aber ich wollte es Euch persönlich sagen. Dem Gesinde ist doch nicht zu trauen, nicht wahr.“, begann Sano. „Sprich endlich! Siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin?!“ „Sehr wohl. Euer Bruder, der junge Herr Motonari, ist bei der Schlacht ums Leben gekommen. Wir haben ihn von Oshiba mitgebracht.“ Okimotos Frau schnappte leise hörbar nach Luft und sah ihren Mann an. Der junge Motonari war immerhin ihr Schwager und dieser sanftmütige Mann sollte im Kampf gestorben sein? Okimoto hingegen sagte nichts dazu. Seine Mundwinkel zuckten und Sano erkannte ein Lächeln in seinem Gesicht. „Meister Okimoto...“ „Was denn noch?“ „Meine Tochter und meine Enkelin...“, setzte Sano an. Okimoto winkte mit der Hand. „Darum kümmern wir uns, wenn ich meinen kleinen Bruder gesehen habe. Nun geh!“ Sano nickte und verbeugte sich tief, während er das Zimmer verließ und die Shoji schloss. Er stand auf und ging durch den Garten hinüber auf die andere Seite des Terrassenganges. Hoffentlich war Fürst Mori noch nicht zu sehr betrunken. Seit sie zurückgekommen waren und seit er wusste, dass sein Sohn tot war, trank der Fürst viel zu viel. Vornehmlich Sake und das den ganzen Tag lang, wenn ihn niemand davon abhielt. Man konnte im Übrigen von Glück reden, dass Sano ihn dazu bekam, wenigstens etwas zu essen. Sano ging hinauf zu den Gemächern des Fürsten und klopfte an den Shoji des Fürsten. „Mein Fürst?“, rief Sano. Er hörte nur ein undeutliches Brummen, dass womöglich zustimmend klingen sollte. Also schob er die Shoji auf und ging hinein. Ihm kam der boshafte Gedanke, dass sich der Sohn des Fürsten, Okimoto, bereits herrschaftlicher benahm, als sein Vater, Fürst Mori, es jemals getan hatte. Der Fürst hatte Menschen wie Sano nie auf den Knien in den Raum rutschen lassen, wie Okimoto. Wie dem auch sei, hoffentlich hörte Fürst Mori ihm zu und verstand ihn auch. „Mein Fürst.“ „Ja...“ „Wie viel habt ihr schon getrunken?“, fragte Sano. Der Fürst machte eine wegwischende Handbewegung und murrte genervt. Sano seufzte und setzte sich ihm gegenüber. Die kleine Karaffe Sake stellte er beiseite. „Ich muss mit Euch reden.“ „Dann redet schon.“, knurrte der Fürst. „Es geht um Eure Söhne, mein Fürst.“ Der alte Mann sah auf. Gut, er verstand ihn also. „Ich war gerade bei Eurem Sohn Okimoto, um ihm zu sagen, was mit seinem Bruder passiert ist.“ „Und?“, fragte Fürst Mori, ohne interessiert zu klingen. „Er lächelte.“, antwortete Sano. Fürst Mori sah ihn prüfend an. Soviel Sake schien er doch noch nicht getrunken zu haben, fand Sano. „Sano... Was willst du mir sagen? Durch Motonaris Tod ist er doch sowieso mein Nachfolger, was soll er also sonst noch wollen?“ Sano nickte. „Vielleicht... will er das ja beschleunigen. Das wäre nicht das erste Mal...“, gab er zu bedenken. Wieder sah der Fürst ihn durchdringend an. „Sano. Du sagst mir nicht die ganze Wahrheit.“ Der Ältere senkte den Kopf. Vielleicht sollte ich es ihm sagen. Vielleicht kann er mir ja helfen. „Mein Fürst... Dass der junge Herr in der Schlacht war, ist meine Schuld. Ich habe seinen Willen gesehen, dort unten zu stehen.“ „Du hast was?!“, fauchte Fürst Mori. Sano hob abwehrend die Hände. „Hört mir doch zu. Euer Sohn Okimoto hat mir das aufgetragen, weil er von diesem Willen wusste. Er wollte es. Er wusste auch, dass der junge Herr noch keine reelle Kampferfahrung hatte und er hoffte, dass er dabei sterben würde.“ „Okimoto?“ Der Fürst sah nachdenklich zur Seite. „Ja mein Fürst. Er hat veranlasst, dass ich den jungen Herrn in die Schlacht schicke. Es tut mir aufrichtig Leid, aber ich hatte keine andere Wahl. Aber ich konnte das nicht einfach so tun. Ich habe einen Soldaten gefunden, der ihm ähnlich sieht und mit dem habe ich den jungen Herrn die Domaru tauschen lassen. Ich konnte wirklich von Glück reden, dass die Domaru des jungen Herrn noch nicht fertig war und er eine andere, einfache Domaru trug.“, erklärte Sano mit gesenktem Kopf. Der Fürst sah ihn ausdruckslos an. „Soll das heißen, das da unten ist nicht mein Sohn, der dort aufgebahrt liegt?!“ „Mein Fürst, das weiß ich noch nicht. Das Gesicht ist entstellt, ich muss ihn mir erst noch genauer ansehen, aber ich bin noch nicht dazu gekommen, da ich Myokyu erst informiert habe.“, sagte Sano. „Ja und bei Okimoto warst du auch noch vorher!“ „Ja, das war ich. Verzeiht, ich werde sofort hinunter gehen und mir den Leichnam genauer ansehen.“ „Das will ich hoffen!“, fauchte der Fürst. Sano senkte den Kopf erneut, nickte und verließ dann das Zimmer. Er ging vom Terrassengang weg und in der Burg nach unten. Dort, in einem verschlossenen Raum, wurde der Leichnam des vermeintlichen jungen Herrn Motonari aufgebahrt. Sano hatte ihn sich zwar auf der Insel schon angesehen, doch er war sich nicht sicher gewesen, ob es Motonari oder der junge Soldat gewesen war. Als er unten ankam waren die Shoji jedoch geöffnet. Sanftes Licht erhellte den Raum und war durch den Spalt zu sehen. Sano ging langsam heran und spähte hinein. Okimoto schlich um den aufgebahrten Leichnam herum und begutachtete ihn. Dann fluchte er leise. Sano sprang lautlos beiseite und in den Schatten neben die Shoji. Fast im selben Moment riss Okimoto die Shoji auf und stürmte hinaus. Nach ein paar Sekunden hörte Sano ihn oben nach seinem Vater brüllen. Sano ballte resigniert die Fäuste, dann entschloss er sich doch hinein zu gehen. Der Leichnam lag auf der Bahre umringt von getrockneten weißen Chrysanthemen. Sano schritt heran und bevor er ihn ansah, schaute er zur rechten Seite, wo das winterliche Sonnenlicht mit feinen Staubkörnchen spielte. Eigentlich wünschte er sich, dass es nicht der junge Herr wäre, aber welche Folgen würde das dann haben? Und dann würde sich auch die Frage stellen, wo der richtige Fürstensohn war. Seufzend wandte er sich dem Leichnam zu. Es wurde Zeit, dass er ihn sich genauer ansah. Die Haut sah bereits grau aus und er fing an etwas dicker zu wirken, als er lebend gewesen war. Spätestens morgen würden sie sich um die Beerdigung kümmern, denn sonst würde es sehr unschön werden. Das Gesicht war weiß, die Wunde im Gesicht wirkte schwarz durch das verkrustete Blut. Die Haare machten einen ähnlichen Eindruck und durch das verklebte Blut daran, wirkten sie wie dicke Strähnen. Sano richtete seine Aufmerksamkeit aber auf das Gesicht. Doch die Wunde machte eine eindeutige Identifizierung nicht möglich. Ihm blieb nur noch eine Möglichkeit. Die blutverfärbte und teilweise aufgerissene Domaru war ihm nicht ausgezogen worden. Sano öffnete die Seidenkordeln und spähte unter die Rüstung. Trotz des vielen getrockneten Blutes erkannte er den Verband. Er band die Kordeln wieder zusammen und seufzte. Es war nicht der junge Herr. Was Okimoto vielleicht am Gesicht erkannt hatte, musste er durch den Verband feststellen, den der junge Soldat wegen der ausgerenkten Schulter bekommen hatte. Trotzdem stellte sich nun die Frage, wo der Fürstensohn Motonari sich jetzt befand. Und vor allem, was Okimoto vorhatte. Sano verließ das Zimmer und ging wieder hinauf. Er wollte zum Fürsten um ihn zu informieren, doch er ahnte, dass Okimoto das wohl bereits getan hatte. Er hörte schon die Stimmen der beiden. Neben dem Zimmer wartete er und versuchte zu verstehen was sie sagten, doch Okimoto sprach zu leise. Also musste er warten. Er lehnte sich gegen die Wand und als die Shoji aufgingen erschrak er beinahe. Okimoto sah ihn sofort und warf ihm einen wütenden Blick zu. Fast im selben Moment stand er dicht vor ihm und hatte ihn am Kragen gepackt. Er sagte jedoch nichts sondern ließ ihn ruckartig los und verschwand. Sano sah ihm schockiert nach. Wäre ich doch nur sofort runter gegangen... Mit gesenktem Kopf betrat er das Zimmer des Fürsten. „Sano. Willst du mir sagen, dass das da unten nicht Motonari ist?“, sagte der Fürst, ohne ihn anzusehen. Sano nickte. Der Fürst sah zu ihm. „Das weiß ich schon. Okimoto hat es bereits bemerkt!“ „Ich weiß mein Fürst, ich habe ihn gesehen. Verzeiht, ich hätte wirklich sofort hinunter gehen sollen.“ „Das hättest du! Schaff ihn da raus! Und dann werden wir nach Shikoku segeln, ich will meinen Sohn zurück! Okimoto wird nicht eher mein offizieller Nachfolger, bis nicht bewiesen ist, dass Motonari tot ist!“, forderte der Fürst und stürzte die kleine Sakekaraffe in sich hinein. „Aber mein Fürst, es wird schwierig werden, dort anzukommen. Es ist Winter und dieses Jahr fällt überraschenderweise Schnee. Das kommt sonst nur im Norden vor.“, entgegnete Sano. „Wir segeln sobald es geht!“, knurrte der Fürst. „Sehr wohl.“, sagte Sano ergeben. Kapitel 6: Homon de kaigan -------------------------- Chosokabe war bereits wach und aß etwas, als sein Gast die Augen aufschlug. „Guten Morgen.“, sagte er mit einem Lächeln. „Guten Morgen.“, erwiderte der Jüngere müde. „Konntest du schlafen?“, fragte Chosokabe. „Es ging... aber jetzt tut mir wieder alles weh. Besonders der Rücken.“ Chosokabe stellte sein Frühstück weg und half ihm vorsichtig, sich zu setzen. „Geht es?“ „Ja.“ „Gut. Ach... Du hast gestern gesagt, du weißt deinen Namen nicht...?“ Er nickte langsam und sah auf seine Hände, die nutzlos in seinem Schoß lagen. Er versuchte sie anzuheben, doch der Schmerz war unerträglich. Besonders in der linken Schulter. Chosokabe berührte seinen Arm. „Nicht. Du hattest Pfeile im Arm und der Schulter. Das dürfte ziemlich schmerzen.“ „Tut es auch.“, sagte der Jüngere mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Wegen deinem Namen... Ich dachte mir, solange du dich nicht daran erinnerst, gebe ich dir einen anderen Namen.“ „Und welchen?“ „Was hältst du von Nobuchika?“, fragte Chosokabe. Er nickte. „Und wie darf ich dich nennen?“ Chosokabe sah ihn einen Moment lang an. Er hatte noch nicht darüber nachgedacht, aber er wollte wenigstens einmal nicht als Fürst angesprochen werden. „Ich bin Motochika.“ „Motochika...“, wiederholte Nobuchika. Chosokabe Motochika spürte ein Kribbeln im Nacken, als Nobuchika seinen Vornamen aussprach. Was zum Teufel ist nur mit mir los? Auf dem Schiff vorgestern auch schon... „Möchtest du etwas essen?“, fragte er und war überrascht, dass er nicht so verunsichert klang, wie seine Knie sich gerade anfühlten. Nobuchika nickte und Chosokabe ließ sich noch Reis mit Fleisch und etwas Gemüse sowie den Rest Misosuppe bringen, den er extra für ihn hatte aufheben lassen. „Ich wusste nicht, was du essen würdest, also hab ich dir von allem etwas bringen lassen.“, sagte Chosokabe. „Das ist in Ordnung, ich habe Hunger...“, meinte Nobuchika, sah dann aber auf seine Hände. „Oh, natürlich. Ich helfe dir.“, sagte Chosokabe und nahm ein Stück Fleisch mit den Stäbchen. Nobuchika nahm das Stück entgegen und kaute genüsslich. Chosokabe reichte ihm so fast das gesamte Essen, dass er gerade bekommen hatte. Nach dem letzten Happen schenkte Nobuchika ihm ein dankbares Lächeln. Wieder spürte Chosokabe dieses Kribbeln im Nacken. Das Kribbeln endete jedoch abrupt, als es an den Shoji klopfte. „Was gibt es?“, fragte Chosokabe, leicht genervt klingend. Die Shoji öffneten sich ein Stück und ein dunkler Schopf lugte hinein. „Ein Bote ist gerade gekommen. Meister Kisho ist auf dem Rückweg und wird heute Nachmittag ankommen.“ Chosokabes Augen leuchteten schelmisch. „Kisho, sagst du? Das ist ja erfreulich! Sag allen anderen, er soll noch nichts von meinem Gast erfahren! Ich will sehen, wie sein Gesichtsausdruck entgleist, wenn er ihn sieht!“, sagte er grinsend. „Sehr wohl.“ Die Shoji schlossen sich, Chosokabe lachte leise und Nobuchika sah ihn fragend an. „Was ist so lustig? Und wer ist dieser Meister Kisho?“ „Oh, du wirst verstehen, warum ich mich so freue, wenn er erst einmal da ist. Er ist übrigens derjenige, der deine Wunde versorgt hat und mir gesagt hat, was ich tun muss.“, erklärte Chosokabe. „Dann sollte ich ihm wohl danken.“ „Überleg dir das. Er war es nämlich, der dir keine Überlebenschancen ausgerechnet hat und meinte, ich würde dich nach wenigen Stunden tot über die Reling werfen.“ Nobuchika sah ihn mit einer Mischung aus Entsetzen und Nachdenken an. „...Wenn … Wenn ich es nicht geschafft hätte... hättest du mich dann wirklich ins Meer geworfen?“ Chosokabe schluckte schwer. Er staunte nicht schlecht über diese ernst gemeinte Frage. „Nein, hätte ich nicht.“, antwortete er, überrascht wie schnell und ehrlich die Antwort war. Nein, er hätte es nicht getan. Er hätte ihn wenigstens in der Nähe der Wehrburg an der Küste beerdigt, aber ins Meer geworfen hätte er ihn nicht. Nur dann, wenn sie noch wochenlang auf See gewesen wären, aber das waren sie nicht. Nobuchika lächelte erleichtert, Chosokabe ebenfalls. Dann erhob sich der große Mann, beugte sich zu Nobuchika herunter und sah ihm kurz in die Augen. „Du musst dich bewegen. Ich stütze dich.“, sagte Chosokabe und griff unter Nobuchikas rechten Arm und an seine linke Hüfte. Nobuchika verzog das Gesicht schmerzlich, als der andere ihn so auf die Beine hob. Schwankend taumelte Nobuchika direkt in Chosokabes Arme. „Das tut weh, muss das sein?“, knirschte er an dessen Schulter. Chosokabe brauchte einen Moment um ihn wieder aufzurichten. Während er realisierte, was gerade passierte und Nobuchika vorsichtig wieder aufrichtete, atmete er tief ein. Nobuchikas Duft war trotz der Verletzungen angenehm. Vielleicht lag das an dem Kamillensud, mit dem er die Wunden jeden Tag behandelt hatte. „Ist das besser?“, fragte er, als Nobuchika mit seiner Hilfe gerade stand. „Ja... Aber wie soll ich laufen?“ „Ich sagte doch, ich helfe dir. Ich überlege nur gerade, wie.“ Nobuchika verzog das Gesicht. „Hättest du das nicht vorher machen können? Es tut weh. Meine Schulter tut mir weh.“ „Tut mir Leid... Entschuldige. Ich werde wohl doch Kisho fragen, wie wir das machen.“, sagte Chosokabe und setzte Nobuchika wieder auf sein Lager. Als Kisho am Nachmittag eintraf, dämmerte es bereits. Kaum, dass er unten empfangen wurde, sagte man ihm gleich, dass der Fürst auf ihn warten würde. Kisho grinste und ließ sich zu ihm bringen. War doch klar, dass der Junge das nicht überlebt... Kishos Begleiter klopfte an den Shojis und meldete Kisho an. „Sehr schön, er soll reinkommen.“, war Chosokabe zu hören. Kisho runzelte die Stirn über den Tonfall des Fürsten. Es klang so überhaupt nicht nach einem Eingeständnis, dass er Recht gehabt hatte. Er ging hinein und sah sich einem breit grinsenden Fürsten gegenüber. „Kisho! Schön, dass du wieder hier bist. Das ging ja doch schneller, als erwartet.“, sagte Chosokabe. „Aniki...“, grüßte Kisho ihn und deutete eine Verneigung an. „Was gibt es, warum hast du mich sofort rufen lassen?“ „Wie war das noch? Ich würde ihn schon bald tot über die Reling werfen? Was sagst du jetzt?“, sagte Chosokabe triumphierend und tat einen Schritt beiseite, sodass Kisho einem etwas verwirrt dreinblickenden Nobuchika ins Gesicht sah. „Wie... Wie hast du das denn gemacht?!“, fragte Kisho unübersehbar überrascht. „Ich habe mich an deine Anweisungen gehalten, sonst nichts.“ Kisho kratzte sich perplex am Kopf. „Das...“ Chosokabe klatschte die Faust in den Handteller. „Ich wusste, du würdest sprachlos sein! Und jetzt hilf uns bitte. Ich weiß, er muss sich bewegen, aber es geht nicht.“ Der Schiffsarzt löste sich aus der Starre und besah sich den jungen Mann eingehend. Er wickelte die Verbände ab, ließ neues Verbandsmaterial bringen und sah sich währenddessen eingehend die Wunden an. „Das sieht soweit gut aus.“ Dann bewegte er die Arme und das verletzte Bein. Den größten Schmerz äußerte Nobuchika, als Kisho seinen linken Arm bewegte. Die Schulterverletzung sah äußerlich gut aus, aber Kisho ahnte, dass hier doch mehr war, als gedacht. Er schickte den Jungen, der die neuen Verbandsmaterialien gebracht hatte noch einmal los um ein Tuch zu holen, dass sie als Schlinge benutzen konnten. „Der Arm gehört in eine Schlinge. Die Muskulatur ist betroffen. Wenn der Arm einfach nur hängt, zerrt das an den Muskeln. Die Schlinge entlastet die Muskeln der Schulter. Der andere Arm und das Bein sehen gut aus. Das heißt, dass er sich bewegen muss. Wenn nicht, dauert es umso länger, bis er wieder vollständig genesen ist. Das ist wichtig, ich habe schon gestandene Männer gesehen, die gestorben sind, weil sie damit zu lange gewartet haben!“, erklärte Kisho. „Apropos vollständig genesen... Wir haben noch ein weiteres Problem.“, sagte Chosokabe. „Das da wäre?“ „Er kann sich an nichts erinnern. Nicht einmal an seinen Namen, deswegen haben wir uns solange auf Nobuchika geeignet.“ Kisho sah Chosokabe an. „Es kann sein, dass es für immer so bleibt, aber genauso gut kann es bald wieder vorbei sein und er erinnert sich wieder. Das kann ich aber nicht sagen.“ Chosokabe betrachtete Nobuchika einen Moment. Der hatte ihnen natürlich zurgehört, doch er sagte nichts dazu. Was hätte er auch sagen sollen. Kisho legte Nobuchika die Schlinge um, nachdem der Bote sie endlich gebracht hatte. „Du kannst die andere Hand da ruhig mit reinlegen, wenn dir das lieber ist. Probiere es aus. Ansonsten heißt es bewegen. Aniki wird dir helfen. Am Anfang wird es schwer sein, da du jetzt mehrere Tage lang gelegen hast und die Wunde am Bein dürfte schmerzen. Aber da beide Arme verletzt sind kann ich dir keine Krücke zumuten.“, sagte er. Nobuchika nickte und Kisho stand auf um sich dann Chosokabe zuzuwenden. „Na dann los, zeig ihm mal alles.“, sagte er an ihn gewandt und gab ihm einen Klaps auf die Schulter. Chosokabe grinste und sah ihm nach, während Kisho das Zimmer verließ. Lächelnd wandte er sich Nobuchika zu. „Mir alles zeigen? Was ist alles?“, fragte dieser. „Nun ja... Alles ist ein wenig weitläufig. Das geht nicht sofort. Erstmal zeig ich dir das Zimmer und nachher den Garten. Ich will dich ja nicht quälen. Ich weiß, wie das ist, wenn der Schmerz zu viel wird.“, sagte Chosokabe augenzwinkernd. Nobuchika zeigte ein Lächeln und der sonst so wilde Piratenfürst hoffte inständig, dass er nicht gleich auf die Knie ging, weil dieses Lächeln seine Knie völlig aufweichte. Was ist bloß los mit mir? Warum reagiere ich so darauf...? Unter Aufbietung großer Willenskraft trat er näher und versuchte möglichst vorsichtig Nobuchika auf die Beine zu helfen. Ganz ohne Schmerzen war es aber nicht möglich. Dennoch stand der etwas kleinere Nobuchika dicht vor ihm. Nur die Schlinge, in der sein linker Arm jetzt lag, verhinderte, dass er noch näher an Chosokabes Brust war. „Du wolltest mir das Zimmer zeigen...“, meinte Nobuchika einen Augenblick später. „Ja... Gut, was heißt zeigen...“, sagte Chosokabe und Nobuchika verstand sofort, was er meinte - zu zeigen gab es wenig, es war ein Zimmer und Nobuchika hatte es bereits gesehen. Schließlich lag er seit gestern hier. Chosokabe überlegte kurz, wie er es anstellte, sie beide vorwärts zu bewegen und trotzdem dabei Nobuchika zu stützen ohne ihm weh zu tun. Die Wunden an Arm und Schulter lagen so ungünstig, dass er ihm nicht unter die Arme greifen konnte. Die Schwerthiebe auf Brust und Rücken machten es ihm auch nicht leichter. Er konnte ihn nur vorsichtig an der Hüfte stützen. Irgendwie gelang es ihnen den ersten Schritt zu machen. Als Nobuchika aber das verletzte Bein aufsetzte, hörte Chosokabe wie er sich dagegen wehrte, den Schmerz laut herauszuschreien. Er zwang sich den anderen Fuß einen Schritt weiter aufzusetzen, was den Schmerz wieder nachlassen ließ. Entweder gewöhnte sich Nobuchika an das Aufflammen oder es ließ mit jedem Schritt nach, denn sie konnten in immer kürzeren Abständen einen Schritt weiter gehen, bis sie die Shoji zur Terrasse erreichten. Chosokabe öffnete sie und ein kalter Luftzug wehte herein. Nobuchika fröstelte, aber der schneeweiße Garten sah trotz der hereinziehenden Kälte schön aus. „Den zeige ich dir nachher, wenn es dir nicht zu kalt ist. Jetzt ist es erstmal genug, glaube ich. Meinst du, du schaffst es zurück?“, sagte Chosokabe. „Ich versuche es.“ Chosokabe half ihm, doch nach ein paar Schritten ging es nicht mehr weiter. Kurzerhand nahm Chosokabe den Jüngeren auf die Arme und brachte ihn zu dem Futon zurück. Das sorgte natürlich wieder für einen schmerzverzerrten Gesichtsausdruck, doch was hätte er sonst tun sollen. Chosokabe schloss die Shoji wieder und legte die Decke über Nobuchika. Als Nobuchika am Nachmittag schlief, kam ein Bote. Leise berichtete er Chosokabe, dass man Moris Schiff gesehen hatte. „Was? Ich habe zwar vorgesorgt, aber ehrlich gesagt, habe ich nicht damit gerechnet. Das ist völlig untypisch für ihn...“, meinte Chosokabe und folgte dem Boten nach draußen. „Was soll ich ausrichten?“, fragte dieser. „Ich komme so schnell ich kann. Hol mir Kisho!“ Der Bote nickte und flitzte sofort los. Kisho war in wenigen Minuten bei Chosokabe. „Kisho, du musst bei Nobuchika bleiben. Ich muss an die Küste zurück. Ich nehme Katsuragi mit und beeile mich. Pass du auf ihn auf. Wehe ich finde ein gekrümmtes Haar!“, sagte Chosokabe und war auch schon verschwunden. Kisho sah ihm stirnrunzelnd nach, während der Bote sich mühte, hinterherzukommen. Kopfschüttelnd betrat er den Raum. Nobuchika war gerade aufgewacht. „Wo ist Motochika?“, fragte er müde. Er nennt ihn beim Vornamen? Aha... „Der sattelt wohl gerade sein Pferd um an die Küste zu reiten. Keine Angst, er kommt bald zurück.“ „Was will er da?“, fragte Nobuchika. Gut, verwirrt ist er nicht... Das spricht schon einmal dafür, dass der Zustand nicht von kurzer Dauer ist. „Es ist ein Schiff aufgetaucht und da unser Land sich seit einiger Zeit im Streit mit dem Festland befindet, ist es seine Aufgabe dort zu sein.“ Nobuchika nickte. „Motochika ist ein Krieger...“ „Oh ja, das ist er! Mit Leib und Seele.“, antwortete Kisho. Er hat ihm nicht gesagt, dass er der Fürst von Shikoku ist? Vielleicht traut er ihm doch nicht. Vielleicht weil er sich nicht erinnern kann... Schlau, Aniki, schlau. Solange du nicht weißt, ob er Freund oder Feind ist, offenbarst du lieber nicht, wer du bist. Wirklich schlau... „Sag mal... Woran kannst du dich erinnern?“, fragte Kisho. „Ich bin auf einem Schiff aufgewacht und Motochika war da.“ „Und davor?“ Nobuchika schüttelte den Kopf. „Irgendetwas?“ „Nein, ich weiß nur, was Motochika gesagt hat. Dass ich in einem Kampf war und verletzt wurde. Ich kann mich aber weder daran, noch an irgendwas anderes erinnern. Ich weiß ja nicht einmal wer ich bin...“, sagte der Jüngere niedergeschlagen. Kisho seufzte leise. „Nun gut, momentan bist du Nobuchika, bis du dich wieder an alles erinnerst. Weißt du... Ich sag es dir ehrlich. Ich bin der Meinung, dass du unser Feind bist. Alle Pfeile, die dich getroffen haben, waren unsere eigenen. Aber nun gut... Du bist hier und du kannst dich an nichts erinnern, welchen Vorwurf sollte ich dir also machen können. Sobald dein Gedächtnis zurück ist, werden wir sehen, ob ich oder er Recht haben.“ Nobuchika sagte nichts dazu. Von welchem Feind auch immer die Rede war, er wusste es ja nicht einmal. Kisho griff gekonnt und hob ihn ohne Vorwarnung auf die Beine. „Jetzt wird sich bewegt.“, sagte er und führte ihn sicher vorwärts, bis er entschied, dass Nobuchika sich wieder ausruhen konnte. Mit Katsuragi an seiner Seite jagte Chosokabe sein Pferd zurück zur Wehrburg an der Küste. Am nächsten Morgen in den frühen Stunden erreichten sie das Dorf, das den Schutz der Burg genoss. Kurz vor den Toren sah Chosokabe bereits, dass die Kanonen schon in Anschlag gebracht worden waren. Auch das Schiff konnte er bereits sehen. „Das ist nur ein Schiff... Warum schickt er nur ein einziges Schiff?“, fragte er sich laut. „Ich weiß nicht.“, entgegnete Katsuragi. „Wenn Fürst Mori damit etwas bezwecken wollte, dann erscheint es mir unlogisch, nur mit einem Schiff zu kommen. Er weiß doch von deiner Wehrburg und dass ein Schiff allein hier keine Chance hat.“ „Ja, das weiß er... Aber wenn er keinen ernsthaften Angriff vorhat, was will er dann?“ „Wir werden sehen.“ Katsuragi spornte sein Pferd an, ebenso Chosokabe und sie ritten durch das offene Tor in die Burg. Nachdem sie abgesprungen waren, wurden die Pferde sofort weggeführt und sie liefen hinauf auf die Wehr. Von dort war das Schiff gut zu sehen. „Wann ist er hier?“, fragte Katsuragi. „Gute Frage, General... Momentan ankert er.“, war die Antwort. „Er liegt vor Anker? Seit wann?“, fragte diesmal Chosokabe. „Noch nicht lange.“ „Er scheint abzuschätzen, ob er eine Chance haben könnte oder nicht.“, meinte Katsuragi. Chosokabe lachte leise. „Er hat keine... Aber das können wir ihm gerne zeigen. Macht eine Kanone klar, wir erleichtern Mori die Entscheidung.“ Hinter ihm wurde eine Kanone ausgerichtet und gestopft. Wenige Sekunden später knallte es ohrenbetäubend laut, die Kanone schlug nach hinten aus und Chosokabe sah eine Wasserfontäne vor dem Bug des Schiffes aufragen. „Sehr gut... Nun, Mori? Was beliebst du nun zu tun?“, fragte Chosokabe leise. Katsuragi stand hinter ihm und beobachtete ebenfalls das Schiff. Nichts außer ein paar Männern an Deck rührte sich. Nach einer Weile wurde der Anker eingeholt und Mori trat mit einem Kanonenschuss den Rückzug an. Die Kanonenkugel landete weit entfernt vom Ufer ebenfalls im Wasser. Chosokabe richtete sich auf und betrachtete stirnrunzelnd diese Farce. Katsuragi hatte einen ähnlichen Gesichtsausdruck. „Was war das?“, fragte Chosokabe. „Was auch immer... er zieht ab.“ „Kampflos?? Das ist gar nicht Moris Art... Was soll mir das sagen?“ Chosokabe sah fragend auf das Meer und das Schiff, dass langsam in der grauen Linie zwischen Meer und Horizont verschwand. Katsuragi und die anderen sagten nichts dazu und sahen ebenfalls zu, wie das Schiff verschwand. „Aniki... Wie seid ihr, du und General Katsuragi, so schnell hierher gekommen? Ihr müsst die Pferde gescheucht haben.“, fragte einer der Soldaten. „Oh ja, das haben wir. Und nur wenige Stunden geschlafen.“, antwortete Chosokabe. „Dann esst erst einmal etwas. In der Küche gibt es noch Reis und Suppe.“ Katsuragi und der Fürst sahen sich an und mit einem Nicken entschieden sie, das Angebot anzunehmen. „Aber danach reiten wir zurück. Das mit Mori hat sich ja nun erledigt.“ Sie aßen etwas und währenddessen ließ Chosokabe von den Stalljungen die Pferde wieder aufzäumen. Dann ritten sie wieder los. Während sie diesmal etwas gemächlicher ritten, war der Fürst recht ruhig. Katsuragi musterte sein nachdenkliches Profil, bis er ihn endlich ansprach. „Aniki... was ist los? Du bist so ruhig.“ „Ich überlege, was Mori wollte, wo er gar nicht angegriffen hat. Und warum er überhaupt hier war...“, antwortete Chosokabe. „Eigenartig, das ist wohl wahr.“ Der Fürst nickte und ritt stillschweigend weiter. Was wollte er hier? Einen Angriff hat er nicht durchgeführt. Wahrscheinlich nicht einmal geplant. Aber das ist überhaupt nicht Moris Art... Sollte es etwa etwas mit... Nein, das ist Blödsinn! Wegen einem einfachen Soldaten macht sich Mori nicht auf den Weg zu mir. Es sei denn... Nein! Das ist ja noch größerer Blödsinn... Mit einem Seufzen verwarf Chosokabe die Gedanken an Moris Gründe. Kapitel 7: Seikatsu ni modotte ------------------------------ Am späten Nachmittag hatten sie Chosokabes Burg erreicht. Wieder wurden ihm und Katsuragi die Pferde abgenommen. Chosokabe ging sofort hinauf zu seinen Zimmern. Dort fand er Kisho und Nobuchika gerade dabei vor, wie der Arzt ihn beim Gehen stützte. Als Nobuchika ihn bemerkte, warf er ihm ein Lächeln zu. Chosokabe spürte wieder, wie seine Knie weich wurden und jetzt gesellte sich auch noch ein Gefühl im Bauch hinzu, dass das Gefühl in den Knien nur noch schlimmer machte. Er hatte alle Mühe stehen zu bleiben. Jetzt hatte auch Kisho ihn bemerkt. Er führte Nobuchika zurück zum Futon und begrüßte Chosokabe fast unmerklich. „Du bist schon zurück? Ich hatte erwartet, dass es länger dauern würde.“ Er fasste sich wieder und kam ins Zimmer. „Diesmal nicht. Wie man ja sehen kann. Da wusste jemand sein Schiff zu schützen.“ Kisho lachte. „Bei drei Kanonen auf der Wehrburg würde ich es mir auch überlegen.“ Der Fürst lächelte ebenfalls. „Wie ich sehe, habt ihr hier in der Zwischenzeit Fortschritte gemacht?“ „Ja, ich kann schon besser laufen.“, sagte Nobuchika lächelnd. „Das sehe ich. Dann kann ich dir ja den Garten zeigen.“ „Nun mal langsam. Es ist kalt draußen. Es ist für die Wundheilung nicht unbedingt von Vorteil, wenn er auch noch krank wird.“, versetzte Kisho. Chosokabe kam näher und Kisho übergab Nobuchika in dessen Hände. Der Fürst stützte den Jüngeren und führte ihn zum Futon zurück. Kisho hingegen verabschiedete sich und ging, während Chosokabe sich neben Nobuchika setzte. „Wie geht es dir?“, fragte er. „Es schmerzt alles noch, aber Kisho sagt, das geht vorbei. Meine Schulter tut mir nicht mehr so sehr weh, seit er mir die Schlinge umgebunden hat.“ Chosokabe lächelte ihn an. „Gut. Dann wirst du bald wieder gesund sein. Dann zeige ich dir alles andere.“ „Darf ich dich etwas fragen?“ „Nur zu.“ „Ist das hier eine Burg?“, fragte Nobuchika. Chosokabe runzelte die Stirn. Da er ihm nicht gesagt hatte, dass er der Fürst von Tosa und fast ganz Shikoku war, hatte er ihm auch nicht gesagt, dass sie sich hier auf seiner Burg befanden. „Was meinst du denn, wo du bist?“, entgegnete er leicht herausfordernd, aber lächelnd. „Nun ja... Das Essen wird gebracht, draußen ist ein Garten, du bist an die Küste geritten, um ein Schiff zu verjagen...“, zählte Nobuchika auf. „Du hast Recht, das hier ist eine Burg.“, gab Chosokabe zu. Doch die erwartete Frage, ob er der Fürst der Burg sei, blieb aus. „Zeigst du mir auch alles außerhalb der Burg, wenn ich wieder normal laufen kann?“, fragte er stattdessen. „Ja natürlich.“ Nobuchika schenkte ihm ein weiteres Lächeln. Nach einer Weile ließ Chosokabe das Abendessen bringen und wenig später lag Nobuchika schlafend auf dem Futon. Die täglich mehrfachen Gehübungen die Kisho angeordnet hatte, forderten ihn doch mehr, als Chosokabe gedacht hätte. Aber auch ihm forderte diese neue Situation einiges ab. Jedes Mal wenn Nobuchikas braune Augen ihn ansahen und ein Lächeln in seinem Gesicht auftauchte, hatte er das Gefühl, seine Knie wären aus weichem Lehm, der jeden Moment unter dem Gewicht seines restlichen Körpers nachgeben würde. Jedes Mal musste er alle Kraft aufbieten, um das zu verhindern. Wie lächerlich würde es aussehen, wenn er als Piratenfürst schwach auf die Knie ging, nur weil ein hübscher junger Mann ihn mit strahlenden Augen anlächelte. Leise lachend schüttelte er den Kopf über diese Gedanken. Dann sah er zu Nobuchika, strich ihm ein paar Haarsträhnen aus der Stirn und seine Hand verharrte über seinem Gesicht. Dann berührte er dessen Lippen ganz sanft. Da war es wieder, dieses Kribbeln. Genauso wie auf dem Schiff, bevor sie angelegt hatten. Er zog die Hand weg und löschte die kleine Laterne in der Mitte des Raumes. Er wartete ab, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, dann legte er sich neben Nobuchika auf den Futon. Eine Weile lang starrte er die Decke an, bis er doch noch einmal zu dem Jüngeren neben sich schaute. Nach einem weiteren Moment drehte er sich zu ihm um und legte sich ein Stück näher an ihn. Die Tage vergingen. Fast jeden Tag kam Kisho und beobachtete, welche Fortschritte Nobuchika machte. Nach einer Woche entschied er, dass Chosokabe Nobuchikas Arm bewegten sollte, aber Nobuchika dabei nichts tun sollte. Kisho zeigte Chosokabe in Ruhe die Bewegungen, mit der er den Arm des Jüngeren beüben sollte. „Und er soll gar nichts machen?“, hakte Chosokabe nach. „Nein, nichts. Wenn er selbst den Arm bewegt, verzögert das den Heilungsprozess. Er darf den Arm auf keinen Fall bewegen. Nicht, solange es ihm Schmerzen bereitet. Wenn kleine Bewegungen kein Problem sind, dann kann er selbst anfangen. Aber soweit sind wir noch nicht. Jetzt beübst du erstmal die Schulter und dann sehen wir weiter... Ach und denk dran, dass er sich sicher auch waschen möchte. Die Wunden sind jetzt soweit verheilt, dass er sich richtig waschen kann. Du wirst ihm helfen müssen, Aniki.“ Chosokabe stand da, als hätte man ihn gerade gebeten, in die Küche zu gehen und zu kochen. „Ich soll was? … Das mit dem Beüben hab ich verstanden, aber wie soll ich ihm schmerzfrei beim Waschen helfen?“ Kisho lachte und klopfte ihm kräftig auf die Schulter. „Beübe erstmal die Schulter deines Schützlings. Wenn du das gemacht hast, dann wirst du ihm auch beim Waschen helfen können. Du kannst ja mit ihm baden gehen, das geht auch schon.“ Mit diesen Worten ging er und Chosokabe ging zurück zu Nobuchika. „Es wird ernst.“, meinte Chosokabe und warf dem Satz ein Lächeln nach. „Wie meinst du das?“, fragte Nobuchika. „Kisho hat mir gezeigt, wie wir deine Schulter wieder in Gang kriegen.“ Nobuchika setzte sich gerade auf. „Was soll ich machen?“ „Nichts.“, war Chosokabes grinsende Antwort. „Das mache alles ich. Sonst dauert es nur umso länger, bis du deinen Arm wieder wie früher bewegen kannst. Kisho sagte, wenn du den Arm bewegst bevor du einigermaßen schmerzfrei bist, dann verzögert das den Heilungsprozess.“ Nobuchika nickte verstehend. Chosokabe nahm Nobuchikas Arm aus der Schlinge und bewegte ihn so, wie Kisho es ihm gezeigt hatte. Um festzustellen, welchen Spielraum er hatte, bewegte er ihn so weit, bis Nobuchika ihm sagte, dass es schmerzte. In diesem Bewegungsrahmen hob, senkte, streckte und drehte er den Arm des Jüngeren einige Male hin und her. Dann legte er ihn in die Schlinge zurück. „Kisho sagt, dass sollen wir jetzt ein paar Tage lang machen, dann kommt er nochmal um zu sehen, ob du den Arm schon selbst bewegen kannst.“ „Hoffentlich kann ich das bald. Ich möchte mich bewegen...“, sagte Nobuchika. Chosokabe lächelte. „Weißt du was? Ich glaub ich kann dich überraschen. Warte kurz.“, sagte er und stand auf. Unter dem fragenden Blick von Nobuchika verließ er den Raum. Er ging ein wenig den Gang entlang, bis er einen Boten fand. „Hey, lass mir ein Pferd satteln. Ich bin gleich unten.“ Der Junge nickte und stobte davon. Chosokabe ging zurück zu Nobuchika und sammelte einige Kleidungsstücke und Tücher ein. „Was machst du da, Motochika?“, fragte Nobuchika. Chosokabe schloss die Augen als er seinen Namen hörte. Der Klang gefiel ihm. „Eine Überraschung.“, sagte er nur und packte die Sachen in ein Reisetuch um sie leichter zu tragen. Dann hob er Nobuchika auf die Beine, nahm den Beutel in die Hand und führte den Jüngeren hinaus. „Wo willst du mit mir hin?“, fragte Nobuchika. „Eine Überraschung. Habe ich doch gerade gesagt. Nur soviel, dir wird endlich mal wieder frischer Wind um die Nase wehen.“ Nobuchika verstand nicht ganz, doch das Lächeln in Motochikas Gesicht, entlockte auch ihm ein Lächeln. „Dann werde ich mich wohl überraschen lassen.“ Nachdem sie im Hof angekommen waren, wo bereits ein Pferd stand, runzelte Nobuchika die Stirn. „Wir reiten? Meinst du das geht schon?“ „Und ob das geht. Wir können uns Zeit lassen, es ist nicht weit. Nur zum Laufen wäre es für dich zu weit.“ Mit diesen Worten hob er ihn auf das Pferd, band den Beutel am Sattel fest und stieg hinter Nobuchika auf. Er griff um ihn herum nach den Zügeln und musste dabei seine Brust ein wenig gegen Nobuchikas Rücken drücken. Dabei atmete er auch seinen Duft ein. Einen Duft gänzlich ohne Parfum, so wie dieser Mann vor ihm ganz natürlich duftete. Natürlich, nach dem Bad würde er noch viel angenehmer duften, aber so war das eben, wenn man nur eine Katzenwäsche genießen konnte, statt einem ausgiebigen Bad. Nobuchika versuchte hinter sich zu schauen und seine Nase traf beinahe die von Motochika. Er schluckte und sah sofort wieder gerade aus. „Reiten wir?“, fragte er. „Ja. Wir reiten.“, sagte Motochika und brachte das Pferd in einen ruhigen Trab. Der leichte Wind brachte Nobuchikas Duft immer wieder in seine Nase. Und der wankende Trab des Pferdes, das nun bergab laufen musste, ließ Nobuchika immer wieder sanft gegen ihn prallen. Motochika legte seufzend den Kopf in den Nacken. Zum Glück ist es nicht so weit... Nach wenigen Minuten trabte das Pferd in einen Zedernhain. Die Zweige bogen sich tief unter dem Schnee, der auf ihnen lag und in der Abendsonne glitzerte. Nobuchika sah sich staunend um, während das Pferd weiter lief. Motochika zügelte es, als er das Ziel sah. Er stieg ab und band es an einen der Zedernbäume. Dann half er Nobuchika vorsichtig vom Rücken des Tieres hinunter. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen, die Zedern und ihre Zapfen verströmten einen angenehmen Duft. Motochika nahm Nobuchikas Hand und führte ihn hinunter, wo bereits aufsteigender Dampf zu sehen war. Dort angekommen standen sie vor einer heißen Quelle. Die Sonne ging gerade unter und die Sterne fingen an zu leuchten. Nobuchika sah vom Himmel zum dampfenden Wasser. In der Mitte der Quelle ragte ein Felsblock heraus. Er glänzte vom Dampf und dem kondensierenden Wasser. Nobuchika sah zu Motochika. „Das ist...“ Motochika lehnte sich gegen eine Zeder und sah von der Quelle zu seinem Gast. „Schön... nicht wahr? Wenn ich von den Landratten da oben mal die Nase voll habe, dann komme ich hierher.“, sagte er. „Landratten?“ Motochika lachte und kam wieder an seine Seite. „Ja, ich nenne sie oft so. Manchmal sind das richtige Weicheier. Dabei verbringen wir die meiste Zeit auf dem Meer.“ Nobuchika grinste und Motochika musste auch lachen. Er hatte eigentlich Fragen erwartet, aber die kamen nicht und so war es wohl auch besser. „Also. Dann mal rein.“, sagte er und fing an, seine Sachen auszuziehen. Aus dem Beutel zog er zwei Tücher, von denen er eines Nobuchika reichte. Das andere band er sich um die Hüfte. Dann sah er zu Nobuchika und es fiel ihm wieder ein. Der Jüngere konnte sich ja im Moment nicht selbst ausziehen. Er half ihm dabei und band ihm dann das Tuch um. Den Arm ließ er in der Schlinge und dann führte er ihn an die Quelle. Er ging voran und half Nobuchika in das warme Wasser. Motochika ließ sich bis zum Kinn ins Wasser sinken, während Nobuchika nur bis zur Brust ins Wasser tauchte. Stillschweigend saßen sie eine ganze Weile im Wasser, während der Himmel schwarz wurde und die Sterne immer heller. Der Mond kroch auch über die Zedern. Endlich erhob sich Motochika und zog einen Zedernzapfen vom Baum. „Wusstest du, dass man die Kerne essen kann?“ Nobuchika runzelte die Stirn. „Davon? Was ist das?“ „Das sind Zedern. In den Zapfen sind kleine Nüsse, die man essen kann. Da es Winter ist, werden hier kaum noch welche drin sein, aber mal sehen.“, erklärte Motochika und brach einige Stücke vom Zedernzapfen ab. Nobuchika schaute ihm dabei zu und ein Lächeln stahl sich in sein Gesicht. Dieser Mann vor ihm war offensichtlich ein General oder Ähnliches und durchaus ein harter, starker Mensch. Aber dass er ganz genüsslich und geradezu sanft an diesem Zapfen herumzupfte und versuchte ein paar dieser seltsamen Nüsse zu finden und herauszuholen – das amüsierte ihn. Er sah … ja wie sah er aus? Niedlich... „Ah! Glück gehabt! Ich hab eine!“, sagte Motochika und präsentierte stolz eine winzige Zedernuss. Nobuchika brach in Lachen aus. Sein Gegenüber runzelte die Stirn und sah von der Nuss zu ihm, zu dem zerstückelten Zapfen und dann wieder zu Nobuchika. „Warum lachst du?“ „Du sahst so … süß aus, wie du diese Nuss da rausholen wolltest.“, antwortete Nobuchika lachend. „Süß??“ Nobuchika nickte grinsend. „Ich bin doch nicht süß!“, ereiferte sich Motochika und sprang auf, dass das Wasser schwappte. Der Jüngere sah zu ihm hoch und im hellen Mondlicht, dass vom Schnee noch reflektiert wurde, sah er deutlich die Wasserperlen, die an Motochika herunter rannen. „Ja... süß...“, wiederholte er. Motochika ließ sich mit dem Zapfen in der Hand in das Wasser zurücksinken. Der Zedernzapfen schoss aus dem Wasser und landete dann platschend auf der Oberfläche. Nobuchika lächelte ihn an und seine Wangen waren rot. Motochika sah ihn gespielt grimmig an, bevor er lachte. Dann sahen sie sich an und Nobuchika sah die Hand des anderen aus dem Wasser auftauchen. Als sie seine Wange berührte, war sie angenehm warm. Er sah darauf und dann zu Motochika. „Du hast ganz rote Wangen... Ich glaube wir machen uns langsam auf den Rückweg.“ Nobuchika nickte und er spürte, wie seine Wangen nicht nur rot sondern sicher auch glühend heiß waren. Doch als Motochika aufstehen wollte, besann er sich wohl anders. Er sank zurück ins Wasser und lächelte Nobuchika an. „Ich glaube, wir bleiben noch einen Moment.“, grinste er. Verdammt! Das hat mir noch gefehlt! Motochika beobachtete das belustigte Gesicht des Jüngeren. Das darf doch alles nicht wahr sein... Keine Frau, die mir je vor die Nase gesetzt wurde, hat das geschafft! Er bringt mich zum Lachen, beschert mir weiche Knie und... Er zog langsam eine nasse Hand über sein Gesicht und wünschte sich dabei, dass das Wasser eiskalt wäre. Das würde sein heiß gewordenes Blut wenigstens sofort abkühlen. „Ist alles in Ordnung, Motochika?“ Der Fürst tauchte augenblicklich ins Wasser ab. „Motochika? … Motochika!“ Dann tauchte er nach Luft schnappend wieder auf. Fast im selben Moment nahm er die warme, etwas kleinere Hand auf seiner Schulter wahr. Er wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und den Augen und sah ihn an. „Was machst du denn da?“, fragte Nobuchika, besorgt klingend. Statt zu antworten atmete Motochika angestrengt mehrmals tief ein und aus. „Lass uns zurück.“, sagte er dann knapp und stieg schnell aus dem Wasser. Nobuchika drehte sich halb um und sah, dass der andere schon fast wieder angezogen war. Er stand auf und wollte aus dem Wasser treten, als er mit dem Fuß wegrutschte. Zum Glück hatte Motochika es gesehen und gerade noch rechtzeitig nach ihm gegriffen. „Vorsicht! Manche Steine sind rutschig.“, sagte er und half ihm aus dem Wasser. „Das habe ich gemerkt.“ Motochika warf sich seinen Umhang über und half dann seinem Schützling beim Anziehen. Stillschweigend hob er ihn auf das Pferd und stieg dann wieder hinter ihm auf. Er war froh, dass der Schreck gerade eben seinen Kopf wieder leer gefegt und die kalte Nachtluft seine Haut abgekühlt hatte. Nobuchikas feuchte Haare streiften seine Wange als er nach den Zügeln griff. Er spürte, wie seine Knie schon wieder weich wurden, riss sich aber zusammen. Wie ist das nur passiert...? Ich hätte niemals damit gerechnet, dass mir ausgerechnet das passiert! Keine Frau hat bis jetzt geschafft, was du geschafft hast, Nobuchika... In keine der Frauen, die ich bis jetzt gesehen habe, habe ich mich jemals verliebt... Und ausgerechnet du schaffst das. Ein Mann! Er seufzte und wortlos ritten sie zur Burg zurück. Kapitel 8: Borokire ni omoide to kanjo -------------------------------------- Seit dem Abend in der warmen Quelle waren ein paar Tage vergangen. Nobuchika konnte inzwischen allein laufen. Nur der Arm in der Schlinge durfte noch nicht bewegt werden. Kisho kam jeden Tag, um zu sehen, wie die Wundheilung und die Beübung vorangingen. Motochika hingegen war sehr still seit diesem Abend. Er sprach nur das nötigste, verhielt sich aber sonst wie immer. Sein Lächeln sah gleich aus, sofern er es denn zeigte. Seit dem Abend hatte er es kaum getan. Jedem anderen um sie herum fiel anscheinend nichts auf, doch Nobuchika spürte und sah, dass etwas an dem Älteren nagte. Er wusste nur nicht was es war. Und schon gar nicht, ob er ihn darauf ansprechen sollte oder nicht. Als er wieder einmal darüber nachdachte, während Motochika gerade nicht da war, fasste er einen Entschluss. Er musste ihn fragen. Dass, was an Motochika nagte, machte auch ihm immer mehr zu schaffen. Er ging zu den Shoji, die zum Garten führten und lugte durch einen Spalt hinaus. Es war kalt und Schnee fiel in dicken Flocken herab. Der kleine Garten war mit einer dicken Schneedecke bedeckt und der Teich am hinteren Ende war völlig zugefroren. Motochika hatte ihn beruhigt und ihm erklärt, dass da keine Fische drin waren, wie in den anderen Gärten. Er war zu selten hier um sie füttern zu können. Sein gelber Vogel hingegen begleitete ihn aufs Meer und solange Futter bereitstand, nahm der Papagei sich das, was er brauchte. Er hörte Schritte und fast im selben Augenblick, wie die Shoji vom Flur sich öffneten, hatte auch er sich umgedreht. Motochika kam herein und eine der Dienerinnen der Burg brachte eine dampfende Wasserschale mit sich. Wortlos hieß Motochika sie, die Schale abzustellen und dann zu gehen. Nobuchika betrachtete die Szene mit fragendem Blick und kam zu ihm. „Was hast du vor?“, fragte er. „Heute ist Waschtag. Zur Quelle können wir nicht, ich will keines meiner Pferde sterben lassen, weil es ausrutscht.“, sagte Motochika. Nobuchika nickte verstehend und setzte sich neben die Wasserschale. Motochika nahm ein Tuch, tauchte es in das aufgekochte Wasser und ließ es darin liegen, während er Nobuchika aus dem grün gefärbten Yukata half. Nobuchika saß mit dem Rücken zu ihm. Er sah die rosafarbene frische Haut auf dem Schwertschnitt und beinahe hätte ihn die Versuchung übermannt, sie zu berühren. Stattdessen griff er in das heiße Wasser und zwang sich die Temperatur zu ignorieren, während er das Tuch auswrang. Vorsichtig wusch er Nobuchikas Rücken und ärgerte sich bereits darüber, dass die Frauen das Wasser mit Jasmin aufgekocht hatten. Natürlich machte man das gelegentlich so, besonders die Frauen, damit das Badewasser herrlich duftete. Dennoch konnte er nicht umhin, sich vorzustellen, wie es sein würde, wenn Nobuchika heute Abend im Bett lag und der ganze Raum nach ihm und Jasmin duften würde. Er seufzte. Das halte ich nicht aus... „Dreh dich um.“, sagte er leise. Nobuchika tat wie ihm geheißen und Motochika bemühte sich um ein möglichst normales wenn nicht sogar regungsloses Gesicht. Wortlos wusch er ihn weiter. Dann nahm er den Arm aus der Schlinge, hielt beides soweit hoch, dass er überall herankam und legte den Arm wieder zurück. Schwieriger wurde es allerdings mit der unteren Hälfte von Nobuchikas Körper. Er überlegte, während er das Tuch noch einmal mit dem warmen Wasser spülte und auswrang. Dann drückte er es Nobuchika in die Hand. „Den Rest schaffst du selbst.“ Nobuchika nickte, nahm den Lappen und wusch den Rest seines Körpers. Motochika hatte sich derweil abgewandt und warf einen Blick in den verschneiten Garten. Nach ein paar Minuten hörte es leise hinter sich plätschern und dann rascheln. „Motochika?“ „Hmm?“ „Ich muss dich was fragen.“ „Dann frag.“ Einen Moment herrschte Stille, nur das leise Rascheln verriet, dass der Jüngere näher kam. Er sah den braunen Schopf, als er neben ihm stand. „Du redest kaum ein Wort mehr mit mir. Ist etwas passiert?“, fragte Nobuchika. „Nein... Das ist es nicht.“, antwortete Motochika. Und ob etwas passiert ist! Mach dir doch nichts vor! „Liegt es an mir? Du bist fast immer hier, schränke ich dich in deinen Pflichten zu sehr ein?“, bohrte Nobuchika weiter. Motochika sah ihn an. „Nein...“ Natürlich liegt es an ihm! Mach dir nichts vor! Und ihm auch nicht! Nobuchika runzelte die Stirn. „Wirklich? Du bist so anders, seit...“ „Seit wann?“, hakte Motochika, etwas schärfer als gewollt, nach. Das dunkle Augenpaar neben ihm fixierte ihn leicht verwirrt. „Seit... dem Tag, wo du mir die heiße Quelle gezeigt hast.“ Motochika atmete tief ein und mit einem Seufzen wieder aus. Ja... seit diesem Tag... Seit diesem Tag weiß ich, dass ich... mich verliebt habe... In dich... Er sah ihn einen Moment lang an, dann rief er die Dienerin herein, die die Waschutensilien wegbrachte. „Motochika!“ Der Angesprochene warf seinen Kopf zu ihm herum und sah ihn fest an. Doch sein Blick wurde schnell wieder weicher. Nobuchika zog fast unmerklich eine Augenbraue hoch. Bis zu dem Abend war er immer freundlich zu mir. Seitdem ist er so distanziert. Und jetzt? Auf der einen Seite kümmert er sich weiter um mich, auf der anderen entzieht er sich. Irgendetwas plagt ihn... Oder sorgt er sich um etwas? Er kam näher und setzte sich neben ihn. Motochika jedoch stand auf und zündete das Kohlebecken in der Ecke und die Laterne an. Als er zurückkam, hielt ihn Nobuchika am Ärmel zurück. Als Motochika ihn ansah, wirkte sein Blick wie resigniert. Nobuchika legte die Stirn fragend in Falten und zog den Älteren zu sich herunter. „Was hast du? Seit diesem Tag bist du völlig anders.“, fragte er noch einmal. „Hör auf zu fragen... Das macht es auch nicht leichter.“ Für Motochika war das Thema für den Abend erledigt. Nobuchika aber dachte noch eine Weile darüber nach. Sogar noch, als Motochika schon längst schlief. Er betrachtete dessen schlafendes Gesicht. Er sieht aus, als wäre nie etwas passiert. Er lächelt sogar ein bisschen... Aber irgendetwas muss passiert sein. Was auch immer es war, er wirkt so kühl. Ein Lächeln schlich sich in sein Gesicht. Hoffentlich ist das bald vorüber. Seine Fürsorge ist mir lieber... Er legte sich auf den Futon und schloss die Augen. ...Sirrende Pfeile. Tosender Lärm. Das rauschende Meer. Schreie. Klirrend aufeinander treffende Schwerter. Das Reißen von Rüstungen. Überall Blut, der süße Geruch von Metall und Salz. Der beißende Gestank von Rauch und Feuer. Die kalte Luft. Der Schmerz... Nach Luft ringend schreckte er hoch. Der Schmerz schoss sofort in die lädierte Schulter. Mit der anderen Hand griff er sofort danach und presste die Zähne mit einem zischenden Laut zusammen. Neben ihm tauchte das besorgte Gesicht Motochikas auf und seine Hand berührte vorsichtig die verletzte Schulter. „Was ist? Tut dir etwas weh?“, fragte Motochika besorgt. „Nein... Ja doch, die Schulter...“, antwortete Nobuchika geknirscht und nach kurzem Überlegen fügte er hinzu: „Ich habe geträumt...“ Motochika rückte näher. „Was hast du geträumt?“ „Es waren... Geräusche, Gerüche... Schmerzen...“ Sein Gegenüber runzelte die Stirn. „Was für Geräusche?“ „Lärm... Schreie... so etwas wie Wasser... vielleicht Pfeile...“ Motochika dachte einen Moment nach, dann fiel ihm etwas ein. „Ich glaube, du fängst an, dich wieder zu erinnern. Das klingt nach einem Kampf und das Schlachtfeld, auf dem ich fand, war am Meer.“ „Glaubst du? Aber ich habe so gut wie nichts gesehen, es war alles verschwommen.“ „Vielleicht ist das normal. Du solltest weiter schlafen. Es ist noch mitten in der Nacht.“, sagte Motochika und legte sich wieder hin. Nobuchika nickte und schaute ihm nach. Dann, ohne nachzudenken, griff er nach seiner Hand. „Was, wenn ich wieder davon träume?“ Motochika drückte sie. „Für deine Erinnerung ist das hilfreich, denke ich. Und außerdem bin ich auch hier. Jetzt schlaf weiter.“, sagte er und ließ seine Hand dann los. Nobuchika ließ sich auf seinen Futon zurücksinken und mit einem Blick auf Motochika schloss er wieder die Augen. In der Hoffnung, nicht noch einmal von diesem Schlachtlärm und -gerüchen zu träumen. Die folgenden Nächte waren unterschiedlich. In den ersten beiden Nächten träumte er nicht davon. Dann wiederum träumte er dasselbe wie beim ersten Mal. Doch diese Nacht war es anders... ...Wieder dieser Lärm. Schwerter, Pfeile, Rüstungen, Schreie... Diese Gerüche. Rauch, Blut, Metall, Sand, Salzige Meeresluft. Nichts war zu sehr verschwommen, es waren Umrisse erkennbar. Die Bewegungen. Die vereinzelten Brandherde vom Strandgut. Aber alles war so unkenntlich, dass nichts eindeutig erkennbar war. Keine Rüstung, die man zuordnen konnte. Kein Gesicht, das erkennbar war. Irgendetwas flog durch den Himmel. Dann traf es. Es schmerzte. Plötzlich ein Hieb von hinten, noch ein Pfeil und dann ein Hieb von vorn. Alles verschwamm noch mehr. Dann noch ein Pfeil, der sein Ziel traf. Noch mehr Schmerz. Die Erlösung folgte mit einem weiteren Schmerz. Der rasende Kopfschmerz ging so schnell, wie er kam. Alles wurde schwarz. Nur der salzige Meeresduft und der metallisch süße Geruch von Blut hallte noch einen Augenblick nach... Motochika war irgendwann aufgewacht. Er hatte sich zu Nobuchika umgedreht und ihn beobachtet. Jetzt sah er, wie sein Brustkorb sich schneller hob und sank, sein Atem ging schneller. Unter seinen Augenlidern zuckte es wild und dann hörte er seine Stimme. Motochika schluckte. Das leise Stöhnen bedeutete nur eines: Nobuchika träumte schlecht. Er setzte sich auf und beobachtete ihn weiter. Vielleicht legte sich das von selbst wieder. Nach einer Weile war Motochika aber vom Gegenteil überzeugt und der Beweis folgte umgehend, als ihm die Decke ins Gesicht flog und er einen halb erstickten Schrei hörte. Hastig zog er den Stoff weg und sah, wie Nobuchika nach Luft ringend im Bett saß. Der Arm war aus der Schlinge gerutscht und er konnte im fahlen Mondlicht sehen, wie Nobuchika das Gesicht schmerzverzerrt verzog. Motochika half ihm, den Arm wieder in die Schlinge zu legen. Im selben Moment handelte er, ohne nachzudenken und zog den Jüngeren in seine Arme. Er spürte, wie sein Herz raste. Spürte seinen heißen Atem an seinem Hals. Fühlte die schweißnassen Haare in seinem Nacken. Er schluckte, während er Nobuchikas Rücken streichelte. Was hab ich mir dabei nur gedacht...Ich bin verrückt geworden... Nur langsam beruhigte sich Nobuchikas Atem und auch sein Herz. Motochika rührte sich nicht, strich weiter über dessen Rücken und Kopf. „Was hast du geträumt?“, fragte Motochika. „Wie das letzte Mal... All die Geräusche... Pfeile...“ „Etwas neues?“ „Schmerzen... meine Schmerzen...“ „Wegen der Pfeile?“, hakte Motochika nach. Er spürte Nobuchikas Nicken an seinem Hals. „Wie viele?“, fragte Motochika weiter und hörte, wie seine Stimme rau klang. „Drei...“ „Was noch?“ „Schwerthiebe... zwei...“ Motochika schob ihn ein Stück von sich weg und versuchte sein Gesicht zu erkennen. „Du hast also von dem Kampf geträumt. Das waren die Verletzungen die du hattest. Du fängst an, dich zu erinnern. Hast du noch etwas gesehen?“ „Ich hab nichts weiter erkennen können...“ Motochika nickte nur und für einen Moment saßen sie schweigend dicht beieinander. Plötzlich nahm Motochika das Zittern des anderen wahr und kurz darauf die Kälte, die ins Zimmer kroch. Das Kohlebecken war fast ausgegangen und die wenige Wärme reichte nicht mehr aus, um das Zimmer zu beheizen. Er stand auf und legte eilig etwas nach. Wieder zurück bei Nobuchika setzte er sich ihm dicht gegenüber. Er sah ihn noch einen Moment lang an, dann zog er ihn wieder in seine Arme zurück. Er legte die Decke über Nobuchikas Rücken und hielt ihn solange fest, bis das Zittern nachließ. Nachdem einige Minuten stillschweigend vergangen waren und der Raum sich nur langsam wieder erwärmte, schob Motochika den Jüngeren wieder ein Stück von sich weg. Sein Kopf war noch immer wie ausgeschaltet und so handelte er auch. Langsam beugte er sich ein Stück vor, sodass er Nobuchikas Atem spüren konnte und im fahlen Mondlicht sogar seine Augen erkennen konnte. Die blickten ihn fragend an, wie er feststellte, doch er wollte jetzt nicht nachdenken. Das hatte er die ganzen Tage zu genüge getan, seit der Situation in der Quelle. Seine Hände legten sich beinahe wie von selbst an Nobuchikas Wangen und dasselbe geschah mit seinen Lippen, die im nächsten Moment Nobuchikas berührten. Zurückhaltend ließ Nobuchika es zu und genoss den sanften Kuss. Kapitel 9: Kitsune no mura o tsuka suru toki -------------------------------------------- Die Tage nach der Rückkehr aufs Festland zogen sich hin. Fürst Mori war anfänglich rasend vor Wut und dann wieder völlig niedergeschlagen. Mal bekam Sano es zu spüren, mal die Diener, selten auch Okimoto. Manchmal schien es so, als wäre er krank. So als wäre er nicht mehr Herr seiner Sinne, doch gleich darauf wusste er genau, was er sagte oder tat. Sano hatte das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte, aber er wusste nicht was. Okimoto wiederum hatte sich ganz schlau aus dem Höllenschlund gestohlen und war auf seinen Landsitz geflohen. Er musste geahnt haben, welche Wutausbrüche und sonstige Gefühlslagen von Fürst Mori noch kommen würden. Er hatte nur ein paar seiner Diener und natürlich seine Frau mitgenommen. Die anderen seiner persönlichen Diener waren hier geblieben. Sano ahnte bereits, dass Okimoto nicht nur die paar Diener und seine Frau bei sich hatte – nein, er würde mit Sicherheit auch Sanos Tochter und Enkelkind bei sich haben, wenn er sie nicht von vornherein schon auf seinem Landsitz gefangen hielt. Seufzend blieb er auf der Terrasse stehen und sah hinüber zum Zimmer des Fürsten, aus dem schon wieder eine Schimpftirade ertönte. Er fragte sich noch immer wie es Okimoto nur gelingen konnte, seine Tochter zu entführen. Und was er tun konnte, um nicht noch größeren Schaden anzurichten, als er es bereits getan hatte. Er ging zum Fürsten hinein. „...zum Teufel mit dem Tee!!“, brüllte der Fürst wütend und schleuderte die Teekanne weg. Die Dienerin sprang rechtzeitig beiseite, sodass sie sich nicht verbrühte und japste erschrocken. Dann sah sie zu Sano, der ungerührt die Situation betrachtete. „Mein Fürst, ich bitte Euch... Das war doch nicht nötig.“, sagte Sano. „Uninteressant!“, fauchte Fürst Mori. Mit einem Kopfnicken komplimentierte Sano die junge Frau hinaus und ließ sich neben dem Fürsten nieder. „Gebt mir bitte Eure Hand.“, bat er ruhig. Der Fürst drückte ihm unsanft seine Hand entgegen. Sano nahm sein Handgelenk, legte zwei Finger auf die sichtbare Arterie unter der Haut und zählte leise. „Das ist zu schnell... Mein Fürst, bitte beruhigt Euch jetzt wieder. Was kann ich Euch bringen?“, fragte Sano. „Sake... und meinen Sohn!“ Sano seufzte. Beides konnte er ihm nicht bringen. Sake nicht, weil er das nicht tun wollte. Und den jungen Herrn Mori konnte er ihm auch nicht bringen, weil er nicht wusste, wo er war. „Ihr seid sehr blass. Ihr solltet wirklich Euren Tee trinken.“ Der Fürst sah ihn durchdringend an. „Ich bitte Euch...“ Dann sah der Ältere zu dem dunklen Fleck auf den Tatamimatten. „Dann solltest du dafür sorgen, dass ich neuen Tee bekomme!“, murrte er grimmig. „Sehr wohl.“, entgegnete Sano und verließ den Raum. Draußen fand er sofort einen Diener und schickte ihn Tee holen. Währenddessen stand Okimoto in seinem Landsitz auf der Terrasse und sah ins Tal hinunter. Dort unten war der Fürstensitz seines Vaters. Er lächelte. Auch wenn er nicht da war, sein Plan würde funktionieren. „Genjiro!“, rief er. Lautlos landete ein Ninja an seiner Seite, der schweigsam auf seine Befehle wartete. „Ort: Shikoku, die Burg von Chosokabe. Suche meinen Bruder und dann kommst du zurück!“, befahl Okimoto. Ebenso lautlos wie zuvor verschwand der Ninja wieder. Okimoto ging hinein und gab seiner Frau einen Kuss. Nobuchika erholte sich zusehends. Der Arm, der am schlimmsten verletzt war, konnte immer besser bewegt werden. Motochikas abweisende Haltung hatte sich seit jener Nacht wieder verflüchtigt. Stattdessen bemühte er sich mit allen Mitteln um Nobuchikas Gesundheit. Gerade hatte er dafür gesorgt, dass es heute ein deftiges Essen gab, als Katsuragi an die Shoji klopfte. „Komm rein.“, sagte Chosokabe. „Aniki. Es gibt Neuigkeiten aus dem Dorf. Ich dachte, du solltest es wissen.“, begrüßte er sie. „Was gibt es denn?“ Chosokabe richtete sich auf und sah ihn an. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass ein Dieb sich im Dorf herumtreibt. Es hat ihn bisher noch niemand gesehen, aber es kann auch niemand sicher sagen, ob er nicht zu dem ständig umherlaufenden Gesinde gehört. Letzteres scheint aber sinnvoller zu sein, da hauptsächlich Lebensmittel verschwinden. Die Leute sind trotzdem besorgt, so etwas kam noch nie in dem Maß vor.“, berichtete Katsuragi. Nobuchika sah, wie Motochika die Stirn runzelte. „Meinst du, wir sollten etwas unternehmen?“, fragte er dann. „Es wäre anzuraten, wenn es so weitergeht. Die Leute nennen ihn schon den Fuchsgeist. Bevor es aus dem Ruder gerät, sollten wir das beenden.“ Chosokabe nickte. „Aber es ist doch ungewöhnlich. Stiehlt unser Fuchsgeist denn nur Lebensmittel?“ Katsuragi setzte sich ihm gegenüber. „Nein, ich habe auch etwas von Decken gehört. Also alles in allem Dinge, die ein Landstreicher gut gebrauchen könnte.“ „Genau deshalb. Wenn der Landstreicher hier in unserem Dorf umherschleicht und klaut... dann müsste man doch jemanden finden können, der die gestohlenen Dinge bei sich hat. Jedenfalls die, die man nicht essen kann.“ Nobuchika sah zwischen ihnen hin und her. Doch irgendwie wollte ihm noch nicht aufgehen, was Motochika und sein Freund gerade planten. Denn das taten sie auf jeden Fall. „So sieht es aus. Aber genau das scheint das Problem zu sein. Niemand hat einen Menschen gesehen, der auch nur eines der gestohlenen Dinge bei sich hatte.“ „Das heißt er stiehlt und versteckt sie. Dann werden wir uns die nächsten Tage auf die Suche machen, Katsuragi.“, sagte Motochika. Katsuragi lachte. „Nach einem Fuchsgeist... Na dann werden wir das wohl tun.“ „Nobuchika, möchtest du mitkommen? Dann siehst du wieder einmal etwas anders.“ „Ja gerne.“ Die Suche nach dem Dieb, der inzwischen tatsächlich den Namen Fuchsgeist bekommen hatte, begannen Chosokabe, Katsuragi und Nobuchika am nächsten Tag. Sie ritten ins Dorf hinunter und ließen sich Zeit, damit der Fuchsgeist nicht gleich aufgescheucht würde. Wie nebenbei befragten sie die Dorfleute. Doch niemand schien genau zu wissen, wie er aussah. Und bei jeder Beschreibung sah er anders aus. Katsuragi schüttelte nach der fünften Beschreibung den Kopf. „So wird das nichts...“, meinte er. „Du hast wohl recht. Lass uns zurück reiten.“, sagte Chosokabe. Während sie zur Burg ritten, dachte auch Nobuchika nach, wie sie den Dieb kriegen konnten. Kurz bevor sie ankamen hatte er eine Idee. „Vielleicht sollten wir zu verschiedenen Zeiten durch das Dorf gehen? Auch immer ein anderer, vielleicht kriegen wir ihn dann?“, schlug er vor. Chosokabe und Katsuragi sahen ihn einen Moment und dann sich an. „Gute Idee.“ Selbiges wurde auch zwei Wochen lang durchgezogen. Motochika beorderte mehrere seiner Soldaten für den Dienst. Mal ging jemand morgens, mal am Tage oder sogar nachts. Doch nie entdeckten sie jemanden, der der Dieb sein konnte. Niemand stahl Brotlaibe, Fische oder Decken. Zumindest nicht, wenn die Soldaten oder Katsuragi im Dorf umhergingen. Und das trotz ihrer Verkleidung oder ihren normalen alltäglichen Kleidern. Da Motochika seinen Schützling nicht allein lassen wollte, noch ihn selbst allein ins Dorf schicken wollte, blieb er mit ihm in der Burg. Katsuragi erstattete ihm regelmäßig Bericht, doch es wahr jedesmal aufs selbe nicht zufriedenstellend. „Lassen wir es bleiben. Was auch immer die Leute gesehen haben, irgendjemand wird ihnen etwas gestohlen haben und sie haben sich mal wieder etwas ausgedacht. Diebstahl kommt ganz einfach vor. Belassen wir es dabei, unsere Männer haben auch besseres zu tun als gelangweilt durchs Dorf zu schleichen.“, sagte er nach zwei Wochen erfolglosem Suchen. Katsuragi nickte. „Wir lassen es. Heute Abend der letzte Ritt und dann war es das.“ Motochika nickte. „Gut, dann reiten wir heute Abend noch einmal zusammen. Wer weiß, vielleicht läuft er uns ja heute doch noch über den Weg.“ Doch auch dieser Ausflug ins Dorf war erfolglos. Müde kehrten sie mit dem Sonnenuntergang zur Burg zurück. Katsuragi warf einen Blick die Mauern entlang und stoppte sein Pferd. Motochika hielt inne und auch Nobuchika hielt sein Pferd an. „Was ist?“, fragte Motochika. „Da ist jemand am hinteren Tor. Ich gehe nachsehen, bringt ihr schon die Pferde hinein.“, antwortete Katsuragi. Er stieg ab und gab Nobuchika die Zügel. Motochika ritt voran und Nobuchika folgte ihm, den Fuchs Katsuragis führend. Katsuragi hingegen ging ans hintere Tor. Es war nur ein kleines Holztor, durch das gelegentlich die Diener kamen und gingen. Doch er hatte sofort erkannt, dass die Person dort nicht zum Burgpersonal gehörte. „Was machst du da? Wer bist du?“, fragte er barsch, als er sah, dass der Mann mit lumpigen Kleidern hier herumlief. „Ich... Ich suche etwas zu essen...“ Katsuragi musterte ihn von oben bis unten, dann wurde sein Blick etwas weicher. „Warte hier. Ich hole etwas zu essen. Aber dann verschwindest du!“ Der Mann nickte und Katsuragi ging durch das Holztor. Nach einigen Minuten kam er mit einem Beutel mit Brot, getrocknetem Fisch und etwas Gemüse zurück, den er dem Bettler gab. „Vielen dank, danke... Darf ich Euch noch etwas fragen, Herr?“ „Was denn?“ Der Bettler, was er wohl war, wie Katsuragi annahm, sah zum Haupttor. „Sagt, wer war das an der Seite des Fürsten?“ Katsuragi folgte seinem Blick für eine Sekunde, dann sah er zurück zu ihm. „Das war ein Gast. Ihr verschwindet jetzt besser.“, antwortete er. „Natürlich, natürlich...“, katzbuckelte der Bettler, zeigte ein Grinsen und verschwand dann in Richtung des Dorfes. Katsuragi schüttelte den Kopf und ging hinein. Chosokabe und sein Schützling Nobuchika waren bereits auf ihrem Zimmer, als Katsuragi bei ihnen ankam. „Da bist du ja, ich habe schon in der Küche Bescheid gegeben. Wir essen heute zusammen.“, sagte Chosokabe und bat Katsuragi, sich zu ihnen zu setzen. Es dauerte nicht lang, bis Fisch, Fleisch, Gemüse und Reis sowie Tee und Sake kamen. Während sie aßen, kam Chosokabe auf den Unbekannten am Tor zu sprechen. „Ein Bettler sonst nichts. Er wollte etwas zu essen.“, sagte Katsuragi. „Wie? Das war alles? Ungewöhnlich, dass er dann um die Burg schleicht...“, meinte Chosokabe. „Ja allerdings... Ungewöhnlich war auch die Frage, die er gestellt hat.“ „Was für eine Frage?“ Chosokabe runzelte die Stirn. „Er hat nach ihm gefragt.“, antwortete Katsuragi und sah Nobuchika an. Der Jüngste sah verdutzt drein. „Nach mir? Warum? Ich weiß doch selbst noch nicht einmal wer ich bin...“ „Darum habe ich auch nur gesagt, dass du ein Gast bist und er verschwinden soll.“ Die beiden nickten nur und dann aßen sie weiter. Nach dem Sake ging Katsuragi und Motochika wandte sich Nobuchika zu. Der Bericht über den Bettler, der nach ihm gefragt hatte, hatte die Unwissenheit über seine Persönlichkeit wieder aufflammen lassen. Betrübt schaute Nobuchika auf seine Hände. „Ich kann mich zwar an die Pfeile und das alles erinnern, aber … Ich weiß noch immer nicht, wer ich bin. Seit den Träumen vom Kampf hatte ich keinen solchen Traum mehr... Ob ich mich je daran erinnern werde, wer ich bin?“, fragte er und sah Motochika hilfesuchend an. „Was ist, wenn ich mich nie mehr daran erinnere?“ Motochika legte seine Hände auf Nobuchikas Wangen und sah ihm in die Augen. „Du wirst dich schon erinnern. Es hat doch schon angefangen. Und wenn du dich nicht erinnerst, dann bleibst du eben Nobuchika und du hast ja mich.“, sagte er und küsste ihn. Es vergingen Wochen, bis Okimoto endlich Bericht erhielt. Es war bereits Abend, als sein Ninja lautlos neben ihm landete. „Bericht.“, befahl Okimoto barsch. „Er lebt.“ „Wo?“ „Bei Fürst Chosokabe.“ Okimotos Kopf ruckte zu ihm herum. „Wie bitte?“ Keine Antwort. „Das ist ja interessant...“, meinte Okimoto. Der Ninja blieb lautlos sitzen und wartete. Okimoto ging hinein und warf ihm dann von drinnen einen kleinen Stoffbeutel zu. Der Inhalt klimperte. „Dein Lohn!“, sagte er und schob die Shoji zu. Der Ninja verschwand ebenso lautlos, wie er gekommen war. Okimoto hingegen lief durch das Zimmer und in seinem Kopf fasste er bereits einen Plan. Er rief seine Diener und ließ die Sachen packen. Der Aufenthalt war kurz aber das war nebensächlich. Er hatte, was er wollte, also konnte er zurückkehren. Auch wenn ihn die Nebenwirkungen seines Planes dann wieder gehörig auf die Nerven gehen würden. Die Rückreise dauerte auch nicht lange. Nach wenigen Stunden erreichte er die Burg seines Vaters. Kaum, dass er mitten in der Nacht angekommen war, sah er sich Sano gegenüber. „Zu so später Stunde noch wach?“, fragte er. „Dasselbe könnte ich Euch fragen, Herr.“, gab Sano zurück. Ein Lächeln zeigte sich auf Okimotos Gesicht. „Nun ja. Ich habe Informationen bekommen und das kann nicht warten. Natürlich kann es bis morgen früh warten, aber nicht noch länger. Wie geht es meinem Vater?“ Sano beäugte ihn misstrauisch. „Ich weiß nicht, was er hat, aber es geht ihm jeden Tag anders. Mal geht es ihm besser, dann wieder nicht... Was habt Ihr für Informationen? Ich werde es ihm gleich morgen früh sagen.“ „Oh vielen Dank, aber das werde ich ihm lieber selbst sagen.“, entgegnete Okimoto. Ohne weitere Worte ließ er Sano im Gang stehen. Sano sah ihm nach. Ihr habt den jungen Herrn gefunden... Was sonst solltet Ihr dem Fürsten unbedingt selbst sagen wollen... Schlimme Dinge werden jetzt auf uns zukommen. Und ich kann nichts tun, um es zu verhindern. Nicht, ohne meine Tochter zu gefährden. Oh junger Herr, hoffentlich könnt Ihr noch rechtzeitig etwas tun. Wo auch immer Ihr seid... Er ist der einzige, der den Fürsten noch retten kann. Meister Okimoto wird ihn umbringen, ich weiß es... Eines Nachts schreckte Katsuragi aus seinem Traum. Es war ein verwirrender Traum gewesen. Aniki kam darin vor, aber auch Nobuchika und als das Grinsen des Bettlers auftauchte, war er aufgewacht. Dabei war der Tag, als er den Bettler wieder weggeschickt hatte, bereits über eine Woche her. Warum musste gerade dieses zahnlose Grinsen... Moment zahnlos? Das war gar nicht zahnlos... Verdammter Mist, das war kein Bettler! Warum fällt mir das erst jetzt auf?! Er sprang auf und rannte sofort zu Chosokabes Zimmer. Ohne zu fragen riss er die Shoji auf und stürmte herein. „Aniki!“, rief er und registrierte, wie der Angesprochene sich müde von Nobuchikas Rücken löste und ihn dann beide müde und verwirrt ansahen. „Katsuragi? Was ist denn los? Ist was passiert?“, fragte Chosokabe. „Ja allerdings... Mir ist jetzt erst etwas aufgefallen, was mir schon längst hätte auffallen sollen! Dieser Bettler...“ Jetzt saß Chosokabe kerzengerade und hörte zu. „Was ist mit dem?“ „Das war kein Bettler...“ Nun richtete sich auch Nobuchika auf. „Aber was war er denn dann?“ „Er hatte ein tadelloses Gebiss. Ich habe noch nie einen Bettler gesehen, der so saubere und gesunde Zähne hatte! Entweder war das ein Spion oder ein Ninja.“, sagte Katsuragi. „Aber von wem?“, fragte Chosokabe mehr sich selbst, als Katsuragi. „Mori... Sonst fällt mir kein anderer ein. Mit deinen Nachbarn auf Shikoku haben wir keine Probleme.“, sagte Katsuragi. Chosokabe nickte. Erst jetzt schien Katsuragi wirklich bemerkt zu haben, was hier gerade passiert war. Immerhin war er mitten in der Nacht einfach in Chosokabes Zimmer geplatzt. „Ich … gehe jetzt besser... Mir fiel das nur gerade ein... Tut mir Leid, Aniki, wenn ich euch geweckt habe.“, stammtelte er. Chosokabe sah auf. „Was sollte dir daran leid tun, das war wichtig.“ „Nein, trotzdem. Schlaft weiter, ich … gehe jetzt.“, wiederholte Katsuragi und verließ das Zimmer. Als die Shoji geschlossen waren, lehnte er sich dagegen, den Kopf in den Nacken gelegt. Warum habe ich das gemacht...? Es hätte mich doch sonst was erwarten können. Aber... Denk nicht darüber nach, Katsuragi! Er atmete einmal durch und ging dann zurück zu seinem Zimmer. Allein die Erkenntnis, dass ihm das Detail an diesem scheinbaren Bettler entgangen war, ärgerte ihn. Und noch ein anderes Gefühl schlich sich in seinen Bauch hinein. Mit einem Gefühl, dass er sich nicht recht erklären konnte, legte er sich zurück auf seinen Futon und schlief wieder ein. Kapitel 10: Hanami ------------------ Nachdem ein letzter heftiger Schneesturm mit viel Matsch über das Land gezogen war, war es nun wärmer geworden. An den Bäumen zeigten sich die ersten frischen Triebe und im Dorf ging es mittlerweile immer geschäftiger zu. Das Kirschblütenfest stand bald bevor und es wurde bereits das Holz für die Stände geschlagen. Nobuchika stand im Garten und lauschte den Geräuschen, als Motochika zu ihm kam. „Wir werden uns an den Vorbereitungen beteiligen, das haben wir schon immer gemacht.“, sagte Motochika. „Oh gerne. Ich würde auch gerne etwas sehen, aber die Mauer ist zu hoch.“ Motochika lächelte. „Viel wirst du nicht sehen, aber wenn du willst, kann ich dich hochheben.“ „Was? Nein... Motochika!“, japste Nobuchika, doch sein Lebensretter war schneller und hatte ihn in Windeseile auf die Schultern gehoben. So konnte er über die Mauer hinweg schauen und sah die Dorfleute wie kleine Ameisen umher laufen. Es wurden Baumstämme aus den umliegenden Wäldern geholt. Irgendwo weiter hinten sah er Tierhäute in den Gerbereien trocknen und in Richtung des Meeres stieg Rauch von den Fischerhütten auf. Dort wo die Kirschbäume standen waren schon ein paar wenige kleine Hütten errichtet worden. „Und? Siehst du das Dorf?“, fragte Motochika. „Ja... Lässt du mich wieder runter?“ Motochika setzte ihn wieder sanft auf dem Boden ab und sah ihm in die Augen. „Und wie helfen wir bei den Vorbereitungen?“, fragte Nobuchika. „Wir helfen beim Aufbauen, liefern den Reis... Sorgen für Sicherheit...“, sagte Motochika und statt zu reden, hätte er lieber etwas anderes getan. Seine Hand strich durch Nobuchikas dunkles Haar und seine Augen blieben an den seinen hängen. So dunkel und geheimnisvoll. Genauso wie seine Identität. Er gab ihm einen Kuss, doch eine Bewegung bei den Shojis ließ ihn Abstand nehmen. Es war Katsuragi der leise das Zimmer betrat und auf dem Terrassenboden stehenblieb. „Ich wollte nur Bescheid sagen, dass wir ab morgen beim Aufbauen helfen. Ich nehme an, du kommst mit, Aniki?“ „Natürlich. Nobuchika kommt auch mit.“ Katsuragi nickte. „In Ordnung. Zieht euch bequem an. Du weißt, warum, Aniki.“ „Oh ja... Danke, dass du mich jedes Jahr aufs Neue daran erinnerst...“, grinste Motochika. „Das werde ich auch weiter tun.“, sagte Katsuragi lachend. Mit einem Winken verschwand er wieder. Nobuchika wandte sich an den Älteren. „Was meinte er damit gerade?“ Motochika seufzte gespielt. „Oooh, das willst du nicht wissen.“ „Doch, das will ich.“ „Na schön, das erste Mal als wir entschlossen hatten, zu helfen, da war ich noch jünger. Ich hatte das noch nie gemacht. Als wir einen der Stände aufgebaut haben, habe ich es irgendwie geschafft meinen Kimono festzunageln. Was dann passiert ist, kannst du dir denken...“, erzählte Motochika. Nobuchika prustete los und hielt sich die Hand vor den Mund, damit es nicht zu sehr nach Lachen klang. Doch es brachte nichts, Motochika warf ihm ein böses Grinsen zu. „Du wagst es!“, knurrte er lachend. Dann warf er sich auf Nobuchika und beide lachten, bis sie sich in einem liebevollen Kuss verloren. Ein Frühlingssturm fegte über die Seto-Naikai. Das würde ihre Ankuft verzögern, aber das war Okimoto egal. Hauptsache sie erreichten die feindliche Insel überhaupt. An Land würden sie auf jeden Fall schnell genug vorankommen. Sein Blick fiel auf die schwankende Teetasse vor sich. Sie war für den Fürsten, er selbst trank nur selten Tee. Er rührte ihn ein wenig um und beobachtete wie der dunkle Absatz sich mit den kleingestoßenen Teeblattpulver vermischte und eine Weile in einem Wirbel in der Tasse tanzte. Dann rief er seinen Diener und befahl ihm den Tee dem Fürsten zu bringen. „Jetzt? Aber Meister Okimoto, der Fürst ist gerade sehr aufgebracht.“, stammelte der Jüngere. „Gerade deshalb sollst du ihm den Tee bringen!“, knurrte Okimoto und sah dem Diener nach, wie er mit dem Tee hinausschlurfte. Was habe ich eigentlich für Diener? Ich bezahle sie nicht dafür, dass sie mich in Frage stellen sondern, dass sie tun, was man ihnen sagt! Draußen an Deck stolperte der Diener mit der Tasse so gut es ging zur Kajüte des Fürsten. Es gelang ihm sogar, keinen Tropfen Tee zu verschütten. Er betrat die Kajüte und stellte den Tee in eine dafür vorsorglich eingekerbte Vorrichtung. „Mein Fürst. Euer Tee.“ „Verfluchter Tee! Verschwinde!“, fluchte Fürst Mori. Wortlos und beinahe lautlos verzog sich der Diener. Sano stand an der Wand und schwieg. Stattdessen beobachtete er nur. Ich glaube, ich ahne, was hier gespielt wird. Der Fürst griff nach der Tasse und beim herüberschwenken tropfte einiges auf den Boden. Sano beobachtete es genau. Fürst Mori stürzte den inzwischen lauwarmen Tee hinab. „Mein Fürst, Ihr solltet wirklich ein wenig aufpassen. Ihr habt Euren Tee verschüttet.“, sagte Sano und ging zu der Stelle, wo Tee auf die Planken getropft war. Bevor er es aufwischte, wischte er erst mit dem Finger darüber und leckte ihn ab. Er schmeckte wie ein Sencha und roch auch danach, doch irgendetwas stimmte hier gar nicht. Da war sich Sano sicher. Plötzlich hörte den Fürsten hinter sich schwer seufzen. „Mein Fürst, was habt Ihr?“, fragte Sano besorgt. Fürst Mori hatte den Kopf auf eine Hand gestützt und seufzte. „Ich weiß es nicht... Vielleicht das Schiff... Mein Kopf fühlt sich an, als würde er bald platzen. Alles dreht sich und mir ist übel...“, murmelte er langsam. Sano war sofort bei ihm. „Kommt mit mir an Deck.“, sagte er und half ihm auf die Beine. Jeder Schritt kam ihm so langsam vor, als wäre der Fürst zehnmal älter, obwohl dem nicht so war. Es dauerte erheblich lang, bis sie endlich vor der Kajütentür standen. Draußen hatte sich der Sturm zwischenzeitlich beruhigt, doch die Wolken versprachen eine schlaflose Nacht mit starkem Seegang. Auf jeden Fall war es an Deck heller, sodass Sano den Fürsten genauer betrachten konnte. Und was er sah, gefiel ihm gar nicht. Die Haut des Fürsten hatte eine unnatürliche Färbung, die im Halbdunkel der Kajüte bisher überhaupt nicht aufgefallen war. Er war sehr blass, um nicht zu sagen grau wie die Wolken. „Ihr seht überhaupt nicht gut aus.“, stellte Sano fest. „Ich fühle mich auch nicht gut...“, sagte der Fürst und schob eine graufaltige Hand auf seinen Bauch. Sano verstand sofort und führte ihn in den Schiffsbauch, wo sich die Toiletten befanden. Okimoto hingegen beobachtete sie vom Oberdeck aus, bis sie durch eine der Decktüren verschwunden waren. Ein Lächeln umspielte sein Gesicht, doch dann wandte er sich wieder dem Bootsführer zu, der das Kriegsschiff durch den Wellengang Richtung Shikoku manövrierte. Bald würden sie die Küste erreichen, weit war es nicht mehr. Bei Sonnenaufgang herrschte bereits reges Treiben im Dorf, als Chosokabe, Nobuchika und Katsuragi mit einigen weiteren Helfern auf dem Weg ankamen, der von Sakura-Bäumen gesäumt war. Die Knospen glänzten bereits rosa und einige Holzstände waren schon aufgebaut. Die Männer trugen einfache aber bequeme Kleidung, mit der sie die Stände aufbauen konnten, ohne sich zu verheddern oder am Ende des Tages schweißgebadet dazustehen. Chosokabe, Nobuchika und Katsuragi verteilten ihre Leute und machten sich dann gemeinsam mit den Dorfleuten daran, auch die restlichen Verkaufsstände und ein Becken für kleine Goldfische aufzubauen. Dort wo der große Platz war sollte am letzten Tag des Festes ein Feuerwerk entzündet werden. Das dafür vorbereitete Schießpulver wurde sorgfältig in einer der Holzhütten gelagert. Während der Arbeit im hellen Sonnenlicht wurde den meisten so warm, dass sie das Oberteil ihrer Jimbeis auszogen und mit freiem Oberkörper weiter arbeiteten. Auch Chosokabe gehörte zu ihnen. Katsuragi sah, wie Nobuchika ihn beobachtete. Er selbst konnte den Blick auch nicht abwenden. Der Fürst war in jeder Hinsicht einen Blick wert. Dann schweifte sein Blick jedoch zurück zu dem dunkelhaarigen Nobuchika und dann wieder zu Chosokabe. Dessen Haare stachen in ihrem hellen weiß vor allen anderen hervor. Allerdings galt dasselbe für Nobuchikas weiche Züge. Katsuragi konnte noch immer nicht so recht glauben, dass dieser junge Mann ein Soldat sein sollte. Alle seine Leute hatten eher herbe Gesichtszüge. Selbst die, die gutaussehend waren, hatten immerhin eine feste und dunkle Haut. Nobuchikas Haut schien ihm eher weich zu sein und sie war hell. Wenn er also kein Soldat war, wer war er dann? Er seufzte und seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf beide Männer, statt nur einen. Ob Soldat oder nicht, ob Fürst oder nicht – beide sahen gut aus. Und er, Katsuragi, konnte von sich selbst behaupten, dass auch er durchaus gutaussehend war. Nicht umsonst wurde ihm oft genug das Schwärmen junger Mädchen aus dem Dorf zugetragen. Er hatte rabenschwarzes Haar, dass ihm bis zu den Schulterblättern reichte. Meistens bändigte er es, doch wenn er sie offen trug, rahmten sie sein Gesicht ein. Eigentlich war seine Haut hell, aber wenn er vom Meer kam, war sie meist eine Zeit lang etwas dunkler. Diesmal war das nicht der Fall, da sie im Winter über die Seto-Naikai gereist waren. Während er den Fürsten und seinen Gast beobachtete und so über sie und sich nachdachte, schlug er Nägel in ein Brett für den letzten Stand. Ausgerechnet beim letzten Nagel, als er noch einmal einen Blick auf die beiden lachenden Männer warf, schlug er mit dem Hammer daneben und auf seinen Daumen. Sein Schmerzensschrei war zumindest in der näheren Umgebung mehr als deutlich zu hören. Chosokabe und Nobuchika sahen auf und liefen dann zu ihm. „Was machst du denn da?“, fragte Chosokabe besorgt und nahm Katsuragis Hand. Ein Seufzen ertönte. „Schon gut, ich habe nicht aufgepasst.“, knirschte Katsuragi. „Das ist sonst nicht deine Art.“, entgegnete Chosokabe grinsend. „Wohl wahr, aber ich muss wohl auch einen komischen Moment in der Historie der Hanami-Vorbereitungen für mich beanspruchen. Du hattest deinen immerhin schon, Aniki.“ Chosokabe lachte laut, Nobuchika zeigte ein verhaltenes Lächeln und Katsuragi konnte nicht anders, als mitzulachen. Immerhin dämpfte die Ablenkung den pochenden Schmerz in seinem Daumen. Chosokabe sorgte dafür, dass sein General und Vertrauter den Daumen kühlen konnte und so war Katsuragi für den Rest des Tages mit kühlen beschäftigt. Trotzdem sollte er am Abend noch zu Kisho gehen müssen, um sich einen festen Verband mit kühlenden Kräutersalben binden zu lassen. Während Katsuragi also vorgab die Vorbereitungen zu beobachten, füllte sich der Platz und die Kirschbaumallee mit den Ständen, die nun eingerichtet wurden. Die Holzhütten wurden bunt angemalt. Bunte Decken wurden über die Auslagenbereiche geworfen. Kleine Lampignons wurden aufgehangen und Origamiblumen zu Girlanden gebunden, die dann an den Ecken der Stände befestigt wurden. Das Holzbecken für die Goldfische wurde mit Wasser gefüllt. Das würde der größte Spaß für die Kinder werden. Das Befüllen übernahmen Chosokabe und Nobuchika und Katsuragi musste lachen, als die beiden sich mit dem Wasser gegenseitig nass machten. Je länger er sie beobachtete, desto weniger dachte er darüber nach, was er für sie empfand. Denn er wusste, dass es so war, obwohl er sich nicht sicher war, was und für wen genau. Als die Sonne unterging wurden Getränke und Essen für die Helfer verteilt, während einige Köstlichkeiten bereits für den ersten Festtag vorbereitet wurden. Während die Dorfleute noch beisammen saßen und weitere Leckereien vorbereiteten, verließen Chosokabe, Nobuchika und Katsuragi die Leute und gingen zur Burg zurück. Im beleuchteten Hof nahm Chosokabe Katsuragis Hand und berührte vorsichtig den geschwollenen Daumen. Ein Zischen und ein verzogenes Gesicht des Generals bestätigte seine Vermutung. „Du solltest zu Kisho gehen.“, meinte er. „Vielleicht.“ „Nicht vielleicht! Du wirst gehen!“ Katsuragi sah ihn schweigend an. „Katsu!“, knurrte Chosokabe. „In Ordnung, ich gehe zu Kisho. Morgen früh.“, meinte Katsuragi. Chosokabe hielt ihn fest, als er sich umdrehte um zu gehen. „Jetzt.“ Im Halbdunkel schaute Katsuragi zu ihm und er sah in seinem Blick, dass er es ernst meinte. Doch dann stahl sich ein Grinsen in Chosokabes Gesicht. Katsuragi wusste nur zu gut, dass das vor einigen Monat nicht geschehen wäre. Nobuchika, der junge Mann ohne Gedächtnis, tat ihm offensichtlich gut. „Du gehst jetzt sofort. Wenn du es nicht tust, dann trage ich dich persönlich zu Kisho!“ Nobuchika unterdrückte ein Lachen. Allein die Vorstellung musste schon komisch sein. „Das will ich sehen.“, entgegnete Katsuragi. „Kannst du haben. Nobuchika, du wartest hier. Ich bring nur mal eben meinen ungehorsamen Freund zu Kisho.“ Jetzt musste er doch lachen und nickte dann zur Bestätigung. „Das machst du doch nicht wirklich? Ich gehe doch zu Kisho!“ „Ja morgen, hast du gesagt. Und ich sage, du gehst jetzt.“, sagte Chosokabe und schnappte sich Katsuragi. „Was-?! Aniki! Lass mich runter! Was machst du??“ Chosokabe lachte und ging langsam los. Nobuchika sah in Katsuragis Gesicht und auch wenn das Licht gedämpft war, so konnte er doch sehen, wie er rot anlief. Ein Grinsen stahl sich auf Nobuchikas Gesicht und Katsuragi fluchte laut weiter. Nobuchika hörte sie noch, als sie längst aus seinem Blickfeld verschwunden waren. Motochika kehrte kurze Zeit später zurück und gab Nobuchika einen Kuss. „Weißt du, ich mag Katsuragi sehr, aber manchmal muss ich ihn dazu zwingen, das zu tun, was ich sage. Wie heute.“ „Das machst du aber nicht bei allen hier oder?“, fragte Nobuchika lächelnd. „Natürlich nicht. Ich glaube Katsuragi ist der einzige, der gelegentlich in diesen Genuss kommt. Und du neuerdings...“ Nobuchika lächelte und ein leichter Hauch von Rot zierte seine Wangen. Motochika lächelte und gemeinsam gingen sie hinauf zur oberen Etage der Burg, die Motochika so gut wie allein bewohnte. Die meisten, die auf der Burg lebten, schliefen heute lange. Der Tag zuvor war zwar schön gewesen, da alle gemeinsam die letzten Hütten aufgebaut und gestrichen und dekoriert hatten, doch für viele war die Nacht länger gewesen, als gut war. Auch Motochika und Nobuchika hatten lange geschlafen, sodass sie erst nach dem Mittagessen zusammen mit Katsuragi ins Dorf gingen, wo bereits reges Treiben herrschte. Alles war bunt und die Kirschbäume blühten in einem zarten rosa. Sogar die Leute waren bunt gekleidet. Ihre Kimonos strahlten in verschiedenen Farben. Motochika trug einen violetten Kimono mit einigen goldgelben und dunkelblauen Stickereien. Für Nobuchika hatte er einen dunkelgrünen Kimono mit goldgelben Drachenstickereien auftreiben können. Katsuragi hingegen trug einen blauen Kimono mit einem grau gesticktem Wellenmuster. Seine Haare hatte er nur halbherzig gebändigt, sodass einige dicke Strähnen sein Gesicht rahmten. Die Blicke der Mädchen und Frauen flogen ihnen allen dreien gleichermaßen zu. Chosokabe fiel allein schon wegen seiner weißen Mähne auf, Nobuchika durch seine Zurückhaltung und weil man wusste, dass er der Unbekannte ohne Gedächtnis war und Katsuragi, weil er neben ihnen das Wilde zu verkörpern schien. Dabei war es eigentlich Chosokabe dem diese Rolle am besten stand, wie jeder zu gut wusste. Gemeinsam kauften sie sich frisch zubereitete Dangos, die in grün, rosa und weiß auf ein Holzstäbchen gespießt waren. Chosokabe liebte diese Dangos, die fast nur zum Hanami so zubereitet wurden. Das grüne Dango war mit grünem Tee gemacht, das rosane mit roten Bohnen und Kirschblättern und das weiße war das reine Reismehl und alles mit Zuckerguss überzogen. „Iss nicht so viel davon, Aniki.“, sagte Katsuragi, als Chosokabe sich gleich noch zwei kaufen wollte. „Warum nicht?“, entgegnete Chosokabe. „Weil du sonst nachher kein Hunger auf das Fleisch haben wirst, dass sie nachher grillen. Und du kriegst Bauchschmerzen von soviel Zucker. Erinnere dich an die letzten Jahre und hör wenigstens einmal auf mich.“ Nobuchika lachte. „Ich würde auf ihn hören.“ „Du auch noch!“ Sie lachten und Chosokabe beließ es bei einem Stäbchen mit drei Dangos, welches er dafür aber umso genüsslicher verspeiste. Später, bevor die Sonne unterging traten ein paar junge Frauen in schönen weißen Kimonos mit zartrosa aufgestickten Kirschblumen auf und sangen das Sakuralied, welches seit einiger Zeit jedes Jahr auf allen Hanami überall in Nihon vorgetragen wurde. Die drei Frauen schritten bedächtig auf ein hölzernes Podest und begannen zu singen: Sakura, sakura sakura sakura noyama mo sato mo miwatasu kagiri kasumi ka kumo ka asahi ni niou sakura sakura hana zakari sakura sakura yayoi no sora wa miwatasu kagiri kasumi ka kumo ka nioi zo izuru izaya izaya mi ni yukan ~*~|~*~ Sakura, sakura Sakura, Sakura, in den Feldern und Hügeln und den Dörfern So weit das Auge reicht. Wie Nebel, wie Wolken. leuchtend in der aufgehenden Sonne, Sakura, Sakura Die Blütezeit Sakura, sakura, der Frühlingshimmel So weit das Auge reicht. Wie Nebel, wie Wolken. Der Duft und die Farben, gehen wir, gehen wir Uns am Anblick erfreuen Noch während die drei sangen, kam einer der Booten auf Chosokabe, Nobuchika und Katsuragi zu. Doch ehe er den Fürsten erreichen konnte, hatte Katsuragi ihn bereits bemerkt und fing ihn ab. „Was machst du hier? Ist etwas passiert?“, fragte er sofort. „An der Küste wurde Moris Schiff gesehen.“ „Wieder nur mit einem?“, fragte Katsuragi und zog eine Augenbraue hoch. Was soll das Spiel? „Nein, er hat mehrere Schiffe dabei. Ich habe auch gehört, dass ein kleines Boot weiter im Norden angelegt habe. Aber es konnte mir niemand sagen, ob es zu Moris Schiffen gehört oder nicht.“ Katsuragi sah nachdenklich an dem Boten vorbei. „Eigenartig... Es scheint eher unwahrscheinlich, dass das Boot nichts mit Mori zu tun haben sollte... Sag, wann ist es gelandet?“ „Ich glaube gestern. Zumindest habe ich es eben so erfahren, vielleicht ist es auch schon früher gelandet.“ „Der Weg von der Nordküste hierher ist nicht allzu weit. Und das Wetter war gut... Danke, ich werde die Augen aufhalten, falls hier ein unbekanntes Gesicht umherstreunt. Und gib mir sofort Bescheid, wenn Mori seinen Fuß an unsere Küste setzt!“ „Jawohl!“, salutierte der Bote und flitzte wieder davon. Katsuragi kehrte nachdenklich zu der Bühne zurück, deren Anblick mit den Kirschblüten durch die jetzt untergehende Sonne in ein warmes rosarotes Licht getaucht wurde. Doch Chosokabe und Nobuchika waren nicht mehr zu sehen. Er sah sich um, doch er fand den weißen Haarschopf nicht einmal an einem Dangostand. Er und sein Schützling waren wie vom Erdboden verschluckt. Aber er wollte auch nicht nach ihnen suchen, er wusste, dass Aniki sich sehr gut allein verteidigen konnte. Doch die Sache mit Moris Flotte, so klang die Beschreibung jedenfalls, beunruhigte ihn. Mori war eher selten der Mann, der angriff. Meistens war es Chosokabe, der Anspruch auf das Festland erhob. Mori war darüber hinaus auch schon recht alt, als dass er noch unbedingt um jeden Preis Shikoku haben wollte. Es wäre deutlich wahrscheinlicher, wenn einer seiner Söhne dieses Unterfangen in Angriff nähme. Über den Jüngeren, der erst kürzlich den Namen Motonari erhalten hatte, wussten sie noch so gut wie gar nichts. Okimoto hingegen war kein unbeschriebenes Blatt mehr. Ihn hatten sie vor einiger Zeit bereits gesehen. Diesem Mann war, für Katsuragis Dafürhalten, alles zuzutrauen. Wenn ich nur wüsste, was hier vor sich geht... Was will Fürst Mori denn hier? Was gibt es hier, was er haben wollen würde? Oder führt Okimoto die Flotte an? Weil er jetzt Shikoku an sich reißen will? Aber warum jetzt? Sollte Fürst Mori... aber das hätten wir doch mitbekommen... Mist aber auch, wenn man dich mal braucht, Aniki... Wo steckst du? Im goldfarbenen Sonnenuntergang glühte das rosa der Kirschblüten geradezu und der Blütenteppich auf dem Rasen hatte die gleiche Farbe. An der Hand führte Motochika den Jüngeren einen Hügel hinauf. Hier standen die Kirschbäume so dicht, dass man vom Dorf aus wenig sehen konnte, doch von hier oben hatte man einen wunderschönen Blick auf den Festplatz der von den Kirschbäumen wie ein Kunstwerk eingerahmt wurden. Die Lampignons überall strömten warmes Licht aus und ließen die zarten Blüten der Bäume leuchten. Die bunten Hütten strahlten ebenfalls und die Kimonos der Leute bewegten sich bunte Punkte. „Das ist schön.“, sagte Nobuchika. „Ich weiß. Den Platz hier oben kennt kaum jemand. Wenn das Hanami vorbei ist und die Bäume grün werden, dann ist es hier oben ziemlich langweilig. Kaum einer kommt auf die Idee, dass man von hier aus so einen schönen Blick hat.“ Nobuchika lächelte. „Und es gibt noch etwas schönes...“, flüsterte Motochika. „Von dort unten kann man uns hier oben nicht sehen.“ Nobuchika schloss die Augen und genoss die sanfte Berührung die er gerade an seinen Schultern spürte. „Und das bedeutet?“, fragte er leise, die Antwort bereits ahnend. Der hauchzarte Kuss in seinem Nacken jagte ihm wohlige Schauer über den Rücken und Motochikas warmer Atem sorgte dafür, dass dieses Gefühl über seine gesamte Haut jagte. „Das wir hier völlig ungestört sind...“ Nobuchika genoss das wohlige Gefühl, als Motochikas Hand unter seinen Kimono wanderte und seine Finger sanft kreisten. Er nahm es fast gar nicht wahr, wie Motochikas andere Hand den Kimono langsam vom Obi befreite. Selbiger landete lautlos auf dem Boden. Dann drehte er Nobuchika zu sich um und ließ ihn seinen Obi abnehmen, während er ihn küsste. Langsam zog Motochika den Kimono des Jüngeren Schicht für Schicht beiseite. Nobuchika tat es ihm etwas zögerlich gleich. Dann landete der seiden glänzende violette Kimono auf dem Boden. Noch bevor Nobuchika Zeit hatte, Motochika eingehend zu betrachten, hatte dieser ihn schon auf den ausgebreiteten Kimono gebettet. Die weißen Haare und seine Lippen flogen so hauchzart wie Federn über Nobuchikas Haut und dessen Seufzen bestätigte ihn in seinem Tun. Nobuchika wusste genau, dass er so etwas garantiert noch nie gefühlt hatte. In seinem Bauch kribbelte es und er hatte das Gefühl, doppelt soviel Luft zu holen als sonst. Motochika hingegen schien die Ruhe in Person zu sein, obwohl es Nobuchika vorkam, als wären dessen Hände gleichzeitig überall. Motochika genoss es, wie der Jüngere auf jede Berührung reagierte. Nobuchika spürte den Mann über sich sehr deutlich. Wie sehr er das wollte, war unmöglich nicht zu bemerken. Und Nobuchika ging es keineswegs anders. In der Zeit, die er hier mit Motochika verbracht hatte, hatte er sich in ihn verliebt. Seine Fürsorge, sein Humor und dieses Unwiderstehliche an ihm – als dass hatte sehr schnell dazu geführt. Offenbar war es Motochika nicht anders gegangen. Als Motochika sich langsam und vorsichtig gegen ihn drängte, tat es für einen Moment weh. Der Ältere machte ein beruhigendes Geräusch und sein Atem strich über Nobuchikas Hals. „Nicht anspannen, lass dich fallen...“, flüsterte Motochika. Nobuchika schloss die Augen und bemühte sich, seine Muskeln zu entspannen. Was tatsächlich nicht so einfach war. Er versuchte es immer wieder und Motochika spürte bald, wann er sich vorwagen konnte. Ganz langsam gelang es ihnen, sich so nah wie nur irgend möglich zu sein. Lächelnd strich Motochika über Nobuchikas Wange und küsste ihn. Dann begann er sich zu bewegen und Nobuchika genoss das Gefühl. Motochika atmete tief ein und wieder aus, rhythmisch zu seinen Bewegungen. Der Duft der Kirschblüten, der sie umfing, war geradezu benebelnd. Aber er genoss es, denn zusammen mit Nobuchikas ganz eigenem Duft war es unbeschreiblich. Es fiel ihm jedoch gerade deshalb umso schwerer, all seine Gefühle zurückzuhalten. Er wollte es genießen, doch Nobuchika war es, der ihm nur noch wenig Zeit zu lassen schien. Dessen Atem ging schneller als zuvor und sein Blick war genießerisch auf ihn, Motochika, gerichtet. Sein Kuss war überraschend fordernd und kostete Motochika alle Mühe, es noch ein bisschen länger hinzuziehen. Es war zu schön, als dass es gleich vorbei sein sollte. Er hielt an und wartete einen Moment. Nobuchika schaute ihn fragend an. „Ich will nicht, dass es schon vorbei ist...“, erklärte Motochika beinahe atemlos und küsste ihn. Nobuchika lächelte in den Kuss hinein, während das Kribbeln im Bauch ein wenig abebbte. Doch es flammte wieder auf, als Motochika sich langsam wieder bewegte. Diesmal hielt Motochika nicht inne. Ihr Atem ging schneller und Motochika war überrascht, Nobuchikas Stimme einmal anders zu hören. Im selben Moment, als der Wind einen Augenblick lang auffrischte, erstickte Motochika den süßen Aufschrei des Jüngeren mit einem Kuss. Zarte Kirschblütenblätter rieselten auf ihre Köpfe herab und sie mussten lachen. Für einen Moment blieben sie liegen, bis sie sich in ihre Kimonos hüllten. Noch immer auf dem Gras liegend betrachteten sie noch einige Minuten lang die Kirschblütenblätter, die wie Regen herab rieselten und die wie die Sterne am Himmel einer nach dem anderen auftauchten. „Wir sollten langsam zurück gehen. Nicht, dass wir noch vermisst werden.“, sagte Motochika nach einer Weile. „Ja, mir wird auch langsam kalt.“, meinte Nobuchika. Kapitel 11: Kara yoru made yoake -------------------------------- Katsuragi stand im Hof, als Chosokabe und Nobuchika zurückkamen. Es war dunkel, bis auf die wenigen Lichter, die aus vereinzelten Zimmern schienen. „Wo wart ihr? Ich habe euch gesucht!“, begrüßte er sie grimmig. „Tut mir Leid, ich hab Nobuchika meinen Lieblingsplatz während es Hanami gezeigt.“ „So lange? Aniki, ich hab euch beide gesucht, seit sie das Sakura-Lied aufgeführt haben!“ „Warum regst du dich so auf? Ich kann doch auf mich allein aufpassen.“ Katsuragi seufzte. „Ja kannst du... Aber darum allein geht es mir nicht, Aniki.“ Chosokabe stutzte. „Um was dann?“ „Kümmere dich erstmal um Nobuchika, er sieht ziemlich müde aus. Danach können wir reden.“, meinte Katsuragi mit einem Seitenblick auf Nobuchika. In dessen Haaren sah er Kirschblütenblätter und er ahnte, was tatsächlich so lange gedauert hatte. Chosokabe hingegen berührte Nobuchika an der Schulter und schob ihn sanft ins Innere der Burg. Katsuragi folgte ihnen und blieb vor den Shoji stehen, die ihn von Chosokabes Zimmer trennten. Er erwartete, dass es eine Weile dauern würde, doch der Fürst kam erstaunlich schnell zu ihm zurück. „Was ist denn nun passiert?“, fragte Chosokabe. Katsuragi legte eine Hand auf seinen Arm. „Komm mit. Nicht hier auf dem Flur.“ Chosokabe runzelte die Stirn, folgte ihm aber bis in dessen Zimmer. Er war überrascht wie akkurat Katsuragi alles zu liegen hatte, was er besaß, was in der Tat nicht viel war. Hier gab es keine unnütze Dekoration, keine Banner mit Weisheiten, bis auf eines, welches ein Zitat aus dem Bushido war. In der Mitte stand ein niedriger Tisch mit einem Kissen auf der Seite, von wo aus der Blick auf das Banner gerichtet war. Neben den Shoji zu der Terrasse mit einem winzigen Stück Garten stand eine rundliche Laterne. Alles war im Mondlicht, dass durch die Shoji hindurch drang, gut erkennbar. Katsuragi ging zum Schrank, fischte ein Kissen hervor und legte es neben das bereits vorhandene. Dann setzte er sich und bat Chosokabe neben sich. „Also... Was ist nun?“, fragte der Fürst. Katsuragi sah ihm einen Moment in die Augen. „Bevor ich darauf zu sprechen komme... Hast du... mit ihm...?“ Chosokabe schaute einen Augenblick lang verwirrt, doch dann verstand er. „Warum ist das auf einmal wichtig? Was wäre denn, wenn ich es getan habe?“ „Vergiss, dass ich gefragt habe... Viel wichtiger ist, was ich erfahren habe, bevor ihr verschwunden seid.“, entgegnete Katsuragi. „Was hast du erfahren?“ „Mori ist wieder an der Küste aufgetaucht.“ „Schon wieder? Will er sich wieder eine Kanonenkugel einfangen?“ „Wohl nicht, er ist nicht nur mit einem Schiff gekommen. Mir wurde zugetragen, dass er mit mehreren Schiffen vor Anker liegt.“, berichtete Katsuragi. Chosokabe sah nachdenklich zur Seite. Dorthin wo die Laterne stand. „Was hat das wieder zu bedeuten? Er hätte doch keinen Grund, jetzt anzugreifen... Und warum hast du kein Licht angemacht?“ „Das erkläre ich dir gleich. Mich hat die Nachricht nämlich auch verwundert. Entweder ist es Mori selbst, weil er etwas sucht oder es ist einer seiner Söhne, weil sie Anspruch auf Shikoku erheben.“ „Seine Söhne? Aber wenn es einer von ihnen, oder von mir aus auch beide wären, dann würde es ja bedeuten, dass Mori entweder krank ist, im Sterben liegt oder schon tot ist...“ „Dachte ich mir auch, aber all das ist noch nicht das, was mich am meisten überrascht hat.“ „Sondern?“ „Ich habe obendrein noch erfahren, dass an der Nordküste, also gar nicht weit weg von hier, ein kleines Boot gelandet ist. Ich könnte schwören, dass es mit Moris Flotte zusammenhängt, aber das konnte mir keiner sagen...“ Chosokabe sah nachdenklich aus. „Ein Boot... Wann?“ „Das weiß ich nicht, vielleicht ist es schon ein oder zwei Tage her. Der Weg von dort ist nicht weit bis hier her. Ein Ninja oder Bote könnte den Weg in wenigen Stunden schaffen. Ich wüsste nur nicht, was er suchen sollte...“, sagte Katsuragi. Aber ich habe da eine Ahnung... „Ich weiß es auch nicht... Es war mir schon ein Rätsel, dass Mori mitten im Winter mit nur einem Schiff aufgetaucht ist. Ich nehme an, er wollte sich herantasten oder etwas herausfinden. Ich frag mich nur was...“ Katsuragi räusperte sich, stand auf und überprüfte das gesamte Zimmer sowie den Garten, bevor er sich wieder setzte. „Ich will dir nicht zu nahe treten, Aniki, aber denk mal genau nach. Eine Sache gäbe es, auch wenn ich nicht weiß, welchen Sinn es für Mori hat.“ Er sah Katsuragi fragend an. „Wie meinst du das?“ „Nun ja, mir schien es so, als wäre Mori nur mitten im Winter herangekommen um uns auszukundschaften. Im Nachhinein betrachtet, könnte er das aber jederzeit tun und soweit ich mich erinnere, ist es wohlbekannt, dass an unserer Küste genau dort wo er hätte landen können, eine Wehrburg steht. Wenn er das doch wusste, warum dann? Und warum dieses fremde Boot jetzt an der Nordküste, während eine Flotte wie aus dem Nichts, ohne Kriegserklärung, auftaucht? Es bleibt nur eins: Entweder sucht er etwas oder er will etwas zurück haben... Und letzteres scheint am ehesten Sinn zu machen.“ Chosokabe sah ihn im Dunkeln an und Katusragis Gesicht war nur schemenhaft im fahlen Mondlicht zu sehen. „Willst du mir allen Ernstes sagen, dass sich hier zum einen ein Spion oder Ninja von Mori herumtreibt und ich zum Anderen etwas habe, dass er haben will? … Aber was habe ich ihm denn...“ Katsuragi sah ihn ausdruckslos an, während Chosokabe offenbar ein Licht aufging. „Du meinst also... Weil ich vom Schlachtfeld einen Soldaten mitgenommen habe, der sich nicht erinnern kann, wer er ist, ist Mori jetzt gegen uns ins Feld gezogen? Wegen eines Mannes, von dem wir uns nicht sicher sein können, zu wessen Seite er gehört?“ „Aniki... Keiner von unseren Leuten kennt ihn. Kisho hat von Anfang an gesagt, dass der Junge zum Feind gehört... Sieh es ein, Nobuchika ist ein Soldat in Moris Sold.“ „Aber er weiß es doch nicht! Und überhaupt, warum sollte Mori sich für einen Soldaten in solchem Maße einsetzen??“ „Das frage ich mich ja auch... Entweder er ist neuerdings übermäßig sozial oder aber, Nobuchika ist nicht einfach nur ein Soldat.“ Chosokabe stöhnte verärgert auf. Dann erinnerte sich an eine Eingebung, die sich nach Moris erstem Auftauchen in ihm geregt hatte. Damals hatte er tatsächlich für einen Moment gedacht, dass es dem alten Mann vom Festland um den Unbekannten gehen könnte. Aber es war so abwegig gewesen, dass er es sofort wieder vergessen hatte. „Meinst du... Nobuchika ist kein Soldat? Aber was dann? Wer dann, dass er solchen Aufwand von Fürst Mori erwarten kann?“ „Ein Soldat ist er ganz sicher nicht, ich habe ihn mir in den letzten Tagen genauer angesehen, ihn etwas beobachtet. Für einen Soldaten hat er zu feine Züge. Er ist zu sanftmütig. Meiner Meinung nach ist er weder Soldat noch General. Wenn er denn überhaupt etwas mit Waffen zu tun hat...“ Chosokabe fuhr sich seufzend mit der Hand über das Gesicht. „Nein... Ich sag dir, es geht um die Insel... Ich glaube nicht, dass es mit Nobuchika zu tun haben soll. Vielleicht ist es wirklich so, dass einer seiner Söhne die Flotte führt...“ „Glaubst du das selbst? Glaubst du wirklich, dass dieser fremde Mann in deinem Zimmer, der sich an nichts erinnern kann, nicht der Grund für das alles ist? Damit hat doch erst alles angefangen. Erinnere dich an den angeblichen Bettler! Er hat nach ihm gefragt! Ich sage dir, der weiß, was hier los ist! Wer er ist!“, fluchte Katsuragi leise und deutete mit der Hand in Richtung von Chosokabes Zimmer. Der schaute ihn nur an. Aber warum... Wer ist Nobuchika wirklich, dass es diesen Aufwand rechtfertigt? Katsuragi seufzte und legte eine Hand auf Chosokabes Arm. „Du willst nicht, dass er zu Mori gehört, oder?“ „Würdest du es denn wollen?“, murrte Chosokabe. „Wenn ich an deiner Stelle wäre... nein.“ Es herrschte für eine Weile Schweigen im Zimmer. Katsuragis Hand lag noch immer auf Chosokabes Arm. Chosokabe spürte die Wärme, die von ihr ausging. Doch dass Katsuragi im Gegensatz dazu ein elektrisierendes Kribbeln empfand, das konnte er nicht wahrnehmen. Katsuragi hingegen gab sich für diesen einen Augenblick dem Gefühl hin. „Weißt du was... Solange wie keiner von uns weiß, wer Nobuchika wirklich ist, will ich mir darüber auch nicht den Kopf zerbrechen. Wir werden sehen, was Mori tut.“, sagte Chosokabe und stand auf. „Schlaf jetzt lieber... Wenn Moris Flotte tatsächlich an unserer Wehrburg vorbeikommt, dann sollten wir gewappnet sein.“ Katsuragi nickte und Chosokabe verließ sein Zimmer. Seufzend holte er sein Bettzeug aus dem Schrank und legte sich hin. Er ist verliebt... Er sieht nicht, dass Nobuchika gerade zur Gefahr für uns alle geworden ist... Er will es nicht sehen. Wieder seufzte er und legte einen Arm über seine Augen. Unter diesen Umständen... wie soll ich da je eine Chance haben... Es war mitten in der Nacht, als es an Okimotos Kajütentür leise klopfte. Knurrend drehte er sich um und bat den nächtlichen Gast herein. Es war sein Ninja Genjiro. Wortlos bedeutete er ihm, ihm in einen Nebenraum zu folgen. Er hatte ihn vom Schiff aus vor drei Tagen schon ausgeschickt, weitere Erkundigungen einzuholen und erwartete nun gespannt seinen Bericht. „Was hast du herausgefunden?“ „Euer Bruder wohnt tatsächlich zur Zeit in Chosokabes Burg. Offenbar weiß er nicht, wer er ist. Er wird dort Nobuchika genannt. Es ist höchst interessant, wie er zu dem Piratenfürsten steht.“ „Berichte.“ „Sie haben ein Verhältnis. Ich habe sie beobachtet.“ „Sehr interessant...“, murmelte Okimoto. „Allerdings weiß man in der Burg bereits, dass Moris Flotte an der Küste landet.“ „Das ist nicht wichtig, ich habe nichts anderes erwartet. Hier dein Lohn.“, sagte Okimoto und holte aus einer Schublade einen kleinen Lederbeutel, den er Genjiro zuwarf. So leise, wie Genjiro gekommen war, verschwand er wieder. Okimoto hingegen blieb in dem kleinen Raum stehen. Ein Verhältnis... das kommt mir ja sehr gelegen... Und dann auch noch Gedächtnisverlust... Es wird mir ein Vergnügen sein, dir deine Erinnerung wieder in den Kopf zu dreschen, kleiner Bruder! Ein überlegenes Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. Gerade das spielte ihm jetzt erst recht in die Hände. Und die Angelegenheit mit ihrem Vater würde er auch noch regeln müssen. Er warf einen Blick in die zweite Schublade, die er aufschloss. Dort lag ein kleiner Beutel. Er war sich sicher, dass er ihn zugebunden hatte, doch selbst wenn er es nicht getan hatte, so war doch die Schublade abgeschlossen gewesen. Der Inhalt war ein silbergraues Pulver. Er band das Beutelchen wieder zu, schloss die Schublade ab und ging zurück zu seiner Frau. Sano wanderte früh am Morgen über Deck. Es war etwas neblig, aber die Wehrburg an der Küste hob sich deutlich sichtbar darüber hinweg. Er warf einen Blick zu den Kajüten. Ein Diener brachte eine Teekanne in Okimotos Kajüte, aber sonst war nichts zu sehen. Aber es war ungewöhnlich für Okimoto, Tee zu trinken. Vor allem um diese Zeit. Und wieder fand sich Sano darin bestätigt, was er bereits ahnte. Okimoto war Schuld an Fürst Moris Zustand, welcher sich immer weiter verschlechterte. Er lag nur noch im Bett. Sano wusste nicht, was genau es war, aber er wusste, dass es im Tee sein musste. Immer wenn der Tee gebracht wurde, war es einer von Okimotos Dienern. So auch heute, als er gerade zu Fürst Mori in die Kajüte ging. Der Tee wurde gerade abgestellt und der Diener huschte wieder hinaus. Sano warf einen Blick in die Tasse. Es sah aus wie Tee und es roch auch so. Kopfschüttelnd wandte er sich dem Fürsten zu. Er wusste inzwischen, dass Okimoto ein eigenartiges Pulver bei sich verwahrte. Er hatte einen der Diener bestochen, damit er bei Okimoto heimlich herumschnüffelte. Zum Glück hatte es auch Erfolg gehabt. Allerdings hatte Sano noch keine Zeit gehabt, sich Gedanken darüber zu machen. Fürst Moris Zustand hatte seine Zeit und die einiger Diener sehr in Anspruch genommen. Da der Fürst nur noch im Bett lag und sich fast nur noch bewegte, wenn er von Krämpfen und Schmerzen geschüttelt wurde, blieb es nicht aus, dass sie ihn immer wieder sauber machen mussten. Sano setzte sich an die Seite des Fürsten. Dessen Haar sah so dünn aus, seine Haut war aschgrau und sein Atem ging wie rasselnde Ketten. Sano seufzte. Es war nur noch eine Frage der Zeit. „...Mein Tee...“, krächzte der Fürst. „Mein Fürst, ich bitte Euch. Nicht...“ „Gib mir den Tee...“ „Aber...“ Der Fürst drehte sich um. „Sano...“ Ergeben seufzend brachte Sano ihm die Tasse und beobachtete traurig, wie er trank. Und dann fiel es ihm ein. Das Pulver wurde natürlich mit dem Tee gemischt. Sencha war normalerweise nicht so dunkel, wie der Tee, den der Fürst ständig bekam. Es blieb nur eine Möglichkeit, um was es sich handeln konnte. „Blei...“ „Was?“, fragte Fürst Mori verwirrt. „Blei. Gebt mir den Tee!“ „Blei? Wovon sprichst du?“, fragte Fürst Mori mit verlangsamter Stimme. „Davon, dass Euer Sohn Okimoto Euch mit Blei umbringen will! Um Himmels Willen, es geht Euch zusehends schlechter und Euer ältester Sohn ist Schuld!“, brauste Sano auf. Fürst Mori sah ihn verständnislos an. „Sano, was redest du da?“ Wütend sprang Sano auf und verließ die Kajüte. Er lief unruhig über das Schiff und ließ sich eine Weile lang nicht blicken. Stattdessen dachte er darüber nach, was passieren würde, wenn der Fürst starb. Verflucht, Okimoto hat für alles einen Plan... Wenn der Fürst stirbt, übernimmt er vorläufig die Klanfolge, weil der junge Herr Motonari nicht da ist. Er wird sehr wohl wissen, dass ich davon weiß, was er getan hat, also wird er mich auch umbringen. Auf welche Weise auch immer. Und meine Tochter... Itsuko... und Megumi... er wird sie nicht frei lassen. Sano schüttelte traurig den Kopf. Er wird sie töten, wie den Fürsten... Ja und dann wird er Motonari töten... Oh Chosokabe... warum konnte ich nicht bei unserem letzten Aufeinandertreffen schon sterben? Er atmete tief durch und ging zurück zur Kajüte des Fürsten. „Mein Fürst, bitte verzeiht mir... Ich wollte Euch nicht anschreien.“, sagte er leise und trat näher. Doch der Fürst reagierte nicht auf ihn. Sano trat näher und hockte sich neben ihn. Er ahnte es bereits, doch er wollte sicher gehen. Er hielt die Hand unter die Nase des Fürsten und wartete einen Augenblick. Er wartete noch ein paar Sekunden länger, doch dann ließ er die Hand wieder sinken. Er seufzte schwer. „Und ich war nicht bei Euch...“ Dann stand auf. Er musste mit Okimoto sprechen. Auch wenn er ihn nicht mochte, ihn sogar hasste, wenn man es genau nahm, so war er doch der Sohn des Fürsten und er hatte das Recht es zuerst zu erfahren. Motonari konnte er es nicht sagen, er war nicht hier. Also straffte Sano sich und ging hinaus auf den Gang. Auf der gegenüberliegenden Seite, etwas weiter den Gang entlang lag Okimotos Kajüte. Davor holte er noch einmal tief Luft und klopfte an. Ein genervt klingendes Geräusch bestätigte ihm, dass er eintreten durfte. Langsam ging er hinein. „Was gibt es denn am frühen Morgen?“, knurrte Okimoto. Sano verneigte sich, dann sprach er. „Mein Herr... Euer Vater-“ Okimoto richtete sich auf. „Was ist mit meinem Vater?“ „...Er ist soeben...“, begann Sano, sprach das Unvermeidliche jedoch nicht aus – Okimoto verstand ihn auch so. Seine Frau hob erschrocken die Hand vor den Mund und sah Sano mitleidig an. Okimotos Blick hingegen verdunkelte sich wie bei einer Raubkatze, die die Witterung aufgenommen hatte. Er wusste, was dies bedeutete – er war seinem Ziel einen weiteren großen Schritt näher gekommen. Nun fehlte nur noch eines. „Ich will ihn sehen.“, sagte er mit rauher Stimme. Sano nickte und wusste zugleich, wie viel Schauspielkunst er in diese Stimmlage gelegt hatte. Gemäßigten Schrittes führte er Okimoto zur Kajüte des verstorbenen Fürsten. Kaum, dass sie allein dort waren, ging Okimoto zum Leichnam und prüfte, ob wirklich kein Atem und kein Puls mehr zu spüren waren. Als er sicher war, erhob er sich wieder und sah Sano durchdringend an. „Sag den Männern, sie sollen sich bereit machen. Wir werden angreifen. Du wirst dich um meinen Vater kümmern, einer meiner Diener wird bei dir bleiben und dir helfen. Wenn du fertig bist – und ich rate dir, dich zu beeilen! - dann kommst du sofort zu mir. Du wirst mich begleiten!“, sagte Okimoto ernst und tief und rauschte aus der Kajüte. Sano stand betreten da, den Blick auf den toten Fürsten gerichtet. Als der Diener eintraf, stand er noch immer so da. „Meister...“, erinnerte der Diener Sano daran, was getan werden musste. Sano seufzte noch einmal, dann ging er um den Futon herum. „Wir tragen ihn ins unterste Deck, da ist es kühl.“ Der Diener nickte und gemeinsam brachten sie den toten Fürsten so gut es ging in den Futon und ein Leinentuch gewickelt in den Schiffsbauch. Der Diener war fast sofort wieder verschwunden und Sano ging von Deck zu Deck und trommelte die Soldaten zusammen. Zuletzt klopfte er erneut an die Tür von Okimotos Kajüte. „Komm rein!“ Sano gehorchte und trat ein. Okimotos Frau war nirgendwo zu sehen, dafür Okimoto und ein Diener, der ihm dabei half seine Domaru anzuziehen. Das Metall glänzte dunkelgrün, fast schwarz. Wie die Wälder in Aki. „Sind die Männer bereit?“, fragte Okimoto, ohne ihn anzusehen. „Sie sind bereit und warten auf Eure Befehle.“ Okimoto nickte, dann war er fertig und wandte sich ihm zu. „Sehr gut. Die Kanoniere fangen an. Sie schleifen die Burgmauern. Die Soldaten setzen seitlich über, dann haben Chosokabes Leute nur wenig Zeit. Du kommst mit mir und einer weiteren Gruppe Soldaten, wir gehen weiter entfernt an Land. Für uns werden dort Pferde bereitstehen.“ Sano runzelte die Stirn. „Was habt Ihr vor?“ Sein Gegenüber sah ihn mit einem boshaftem Lächeln an. „Das wirst du sehen... Es wäre ja keine Überraschung mehr, wenn ich es dir verraten würde! Jetzt zieh deine Rüstung an und dann komm an Deck!“ Sano nickte und verschwand. Es war noch mitten in der Nacht, als Motochika in sein Zimmer zurückkehrte. Was Katsuragi gesagt hatte, nagte an ihm. Natürlich war ihm auch aufgefallen, dass Nobuchika wenig soldatische Züge an sich hatte. Aber er hatte es verdrängt. Immerhin hatte er ihn auf dem Schlachtfeld in einer ziemlich ramponierten Domaru gefunden. Leise betrat er das Zimmer, doch seine Gedanken verflogen sofort. Er hörte Nobuchikas Atem, der ganz und gar nicht nach einem ruhigen Schlaf klang. Er setzte sich neben ihn und beobachtete ihn. Nobuchikas Augen wanderten wild umher unter ihren Lidern. Ihm standen kleine Schweißperlen auf der Stirn die mit jedem Ruck seines Kopfes beiseite geschleudert wurden. Motochika legte vorsichtig eine Hand auf Nobuchikas Arm. „Wenn ich wüsste wovon du träumst...“ Nur Sekunden später saß Nobuchika heftig atmend aufrecht. Motochika berührte ihn ein weiteres Mal am Arm. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er. Nobuchika ließ sich in die Arme Motochikas sinken und nickte. „Was hast du geträumt?“ „Wie vor kurzem... Nur diesmal habe ich noch einen alten Mann und ein Lazarett gesehen. Und meine Domaru. Wo ist die eigentlich?“ „Deine Domaru? Oh... die haben wir entsorgt, weil sie völlig unbrauchbar war. Zerfetzt und verbeult.“, erklärte Motochika. Ein Lächeln stahl sich auf Nobuchikas Gesicht. „So eine Domaru will glaub ich niemand mehr...“ „Nein. Definitiv nicht.“, bestätigte Motochika. „Weißt du denn, wer der alte Mann war, den du diesmal im Traum gesehen hast?“ „Ich weiß nicht... er kam mir bekannt vor, aber ich weiß es einfach nicht.“ Motochika strich ihm durch das Haar. „Das wird kommen... Jetzt lass uns noch schlafen. Morgen werden wir etwas probieren, bevor wir noch einmal auf das Fest gehen.“ „Was denn?“ „Das siehst du morgen...“, flüsterte Motochika und gab ihm einen sanften Kuss. Nobuchika genoss ihn und statt doch noch einmal danach zu fragen, legte er sich in Motochikas Arm und schlief rasch wieder ein. Diesmal jedoch ruhiger, da Motochika ihn fest umschlungen hielt. Kapitel 12: Kogeki ------------------   Als Nobuchika am Morgen darauf erwachte, war Motochika nicht neben ihm. Offenbar hatte er länger geschlafen als die Tage zuvor. Was wohl nicht verwunderlich war, wenn er bedachte, dass er letzte Nacht wieder einmal einen dieser Träume gehabt hatte. Trotzdem konnte er den letzten Traum nicht zuordnen. Ihm wollte einfach nicht einfallen, wer der alte Mann war. Seufzend stand er auf und zog sich an. Gerade als er fertig war, kam Motochika über die Terrasse in das Zimmer. „Du bist schon wach?“ „Gerade eben.“, lächelte Nobuchika. „Gut, dann komm mit in den Garten.“ Nobuchika nickte und folgte ihm. In dem kleinen Garten mit dem Teich am Ende war nichts anders, als sonst. Doch als er sich umdrehte und auf die Terrasse sah, lagen dort zwei Bokuto. „Was hast du denn damit vor?“, fragte Nobuchika. „Das ist die Überraschung. Was hältst du von einem Trainingskampf? Für dich ist es doch schon eine ganze Weile her, nehme ich an.“, sagte Motochika und nahm die Bokuto auf. Eines warf er Nobuchika auf, der es geschickt auffing. „Wenn du den Schwertkampf einmal erlernt hast, vergisst du das nicht einfach. Das solltest du also trotz allem noch können, auch wenn du im Moment nicht weißt, wer du bist.“, sagte Motochika lächelnd und ging in Position. Doch Nobuchika ließ ihn warten. Schließlich wurde kein Trainingskampf einfach aus dem Nichts begonnen. Er hielt das Bokuto waagerecht vor sich und betrachtete es musternd. Mit der rechten Hand hielt er den Griff fest, mit der linken strich er über das Holz. Die hölzerne Schneide war mindestens dreimal so breit aber genauso lang wie ein Katana. Dafür aber umso stumpfer. Was bei einem Katana eine tödlich scharfe Klinge war, war bei einem Bokuto eher rund. Nur die Spitze war tatsächlich etwas gefährlicher, da sie doch etwas scharfkantiger war. Langsam fuhr seine Hand über das sorgsam glatt geschliffene Holz. Es war offensichtlich ganz neu, denn es war absolut kein Span, kein Splitter, keine Delle zu finden. Es war noch nie benutzt worden. Seine Hand fuhr von der Spitze zurück zum Griff. Motochika beobachtete ihn dabei. Es war interessant, wie Nobuchika das Bokuto betrachtete. Wie seine Hand das Holz fühlte, als wäre es seine Haut. Er schluckte, doch bevor seine Gefühle den Trainingskampf vorzeitig beendeten, schaltete sich sein Kopf ein. „Dann lass uns anfangen!“, sagte er und riss fast im selben Moment das Bokuto über seinen Kopf und stürmte los. Nur einen Wimpernschlag später zog Nobuchika sein Bokuto nach rechts in die Höhe. Es ertönte ein heller Klang, als die Hölzer aufeinander trafen und für einen Augenblick vibrierten sie. Als Nobuchika den wachsenden Druck wahrnahm, schob er sein Bokuto mit höherem Druck gegen Motochikas und nach rechts in Richtung des Rasens. Er spürte sofort, dass Motochika seinen nächsten Zug machen wollte und drängte ihn dann mittig wieder nach oben. Die Bokutos rieben scharrend aneinander. Der Klang war nichts im Vergleich zu den Katanas, deren Sirren hell und klar klang. Hätten sie solche Katanas benutzt, wäre Nobuchikas Klinge gefährlich nahe an Motochikas Hand gelangt. Hastig zog Motochika sein Bokuto noch höher, woraufhin Nobuchika einen Schritt rückwärts ging. Ihre Bokuto kreuzten sich nun an der Spitze und beide standen sich in der gleichen Position gegenüber. Motochika zeigte ein Lächeln. „Gut. Sehr gut.“, sagte er anerkennend. Sein Gegenüber ließ ein kaum merkliches Lächeln sehen. Dann sprang er noch einen Satz zurück und die Bokuto lösten sich voneinander. Nobuchika verlagerte sein Gewicht ein wenig nach hinten in einen tieferen Stand, das Bokuto hielt er entschlossen in Motochikas Richtung. Katsuragi trat leise an die Shoji heran und hielt sich zurück. Er wollte sie nicht stören. Er selbst hasste es, wenn man sein Training unterbrach, also schaute er nur stillschweigend zu. Nur Sekunden später setzten sie sich wieder in Bewegung. Es war kaum auszumachen, wer angefangen hatte. Die Bokuto schlugen gegeneinander und es klang wie ein Trommelrhythmus. Katsuragis Blick war so geschärft, dass er selbst die abgerissenen Grashalme wahrnahm, die unter den Füßen der beiden in alle Richtungen wirbelten. Während Nobuchika mit heftigen Schlägen Chosokabe rückwärts drängte, fegte er einige kleine Ahornblätter von ihren Stängeln. Doch er wurde kurz darauf wieder zurückgedrängt. Ihre Hakama bauschten sich auf, wie Segel und fielen wieder in sich zusammen. Katsuragi schluckte. Die beiden waren beinahe gleich stark, wenngleich bei Nobuchika langsam zu bemerken war, dass er aus der Übung war. Was nicht verwunderlich erschien, wenn man die lange Zeit bedachte, in der er nicht trainieren konnte. So war es auch nicht verwunderlich, dass Chosokabe letztlich den Sieg davon trug und die Spitze seines Bokutos auf Nobuchikas Brust zum Stillstand kam, die sich heftig hob und senkte. „Das hast du gut gemacht. Ich bin überrascht, wenn man bedenkt, wie lange du außer Gefecht warst... Ich glaube, unser Zuschauer sieht das genauso.“, sagte Chosokabe und warf Katsuragi einen Blick zu, der halb hinter den Shoji stand. Nobuchika drehte sich um und sah ihm direkt in die Augen. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Und? Siehst du es auch so?“ Katsuragi trat auf die Terrasse und nickte. „Allerdings. Ich habe es ja nun mit angesehen und mit solch einer Leistung hätte ich wirklich nicht gerechnet.“ Nobuchika senkte lächelnd den Blick und murmelte ein Danke. Chosokabe legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Aber ich glaube, bevor wir auf das Fest gehen, ruhst du dich nochmal aus und wir essen vorher etwas. Sonst kriege ich wieder Ärger mit Katsuragi, wenn ich nur Dangos esse.“ Katsuragi grinste und dann mussten alle drei lachen.   Es war früher Nachmittag, als sie erneut gemeinsam zum Dorf gingen. Dort wurde wieder Musik gespielt, an fast jeder Ecke waren Süßigkeiten zu bekommen und in der Mitte des Geschehens versuchten einige Kinder mit Hilfe ihrer Eltern kleine Fische zu fangen. Neben dem Holzbecken standen kleine, sehr eng geflochtene Körbchen. Sie waren mit großen Lotusblättern ausgelegt und mit Wasser gefüllt. Chosokabe vermutete beinahe, dass einige der Fische wohl heute Abend frittiert auf dem Tisch landen würden. Doch statt sich damit zu befassen, ging sein Blick direkt zum besten Dango-Stand des Festes. „Aniki! Willst du schon wieder futtern? Es gab doch gerade erst zu essen.“, lachte Katsuragi. „Katsu... Ich bitte dich, diese Hofnarren können doch gar keine Dangos zubereiten! Die hier sind einfach unschlagbar!“, jammerte Chosokabe. Katsuragi seufzte. Wie konnte er es ihm verbieten? Vor allem, wenn er ihn so nannte und geradezu darum bettelte, sich Dangos zu kaufen und sie genüsslich zu verspeisen. „Gewonnen!“, grinste Chosokabe und kaufte sich gleich zwei Dango-Spieße. Nobuchika sah zwischen beiden hin und her und lachte. Katsuragi fiel mit ein, während Chosokabe genießerisch die Dangos vor ihren Nasen aß. Obwohl sie gestern bereits über den gesamten Festplatz gegangen waren, taten sie es heute noch einmal. Und wieder kaufte Chosokabe nicht nur Dangos sondern auch wieder Kamaboko. Davon aber nur eines, da dieses unscheinbar wirkende Teigfischchen mit einer süßen Bohnenpaste gefüllt war und somit unheimlich schnell sättigte. Trotzdem genoss es Chosokabe. Katsuragi wusste nur zu gut, in was für ein Süßmaul sich der Fürst verwandelte, sobald das Hanami vor der Tür stand. Nach einer Weile nahm Motochika Nobuchika unauffällig an der Hand und führte ihn an den Rand des Geschehens. Katsuragi war schon zuvor bei einem der Schmiede stehen geblieben um sich ein neu geschmiedetes Katana sowie das dazugehörige Wakizashi anzusehen. Motochika konnte ihn noch sehen, denn Katsuragis Schopf ragte ein Stück über die anderen hinaus – so wie auch sein eigener. Mit einem Lächeln wandte er sich Nobuchika zu und gab ihm einen hauchzarten Kuss hinter das Ohr. Nobuchika seufzte tonlos und warf ihm ein Lächeln zu. Motochika wollte gerade mit ihm auf die Anhöhe gehen, wo sie gestern den Abend verbracht hatten, als irgendwo von hinten Lärm zu hören war. Noch war nichts zu sehen, doch ein paar wenige rannten panisch durch die Massen. Die, die nichts sahen, nichts ahnten, standen da und sahen den flüchtenden Menschen verwirrt nach. Sie schrien etwas, doch selbst Motochika verstand sie nicht. Er sah zu Nobuchika, der mindestens genauso verständnislos drein sah. Dann ließ er seinen Blick über all die Menschen gleiten, auf der Suche nach Katsuragi. Er fand ihn, immer noch an dem Stand des Schmieds stehend, das Katana in der Hand wiegend. Doch auch dessen Aufmerksamkeit war auf die panischen Leute gerichtet, die an ihm vorbei rannten. Und als hätte er Motochikas Blick gespürt, wandte sich Katsuragi genau zu ihm um. Sie sahen sich ein paar Sekunden lang in die Augen. Ebenso verwirrt, wie alle anderen. Doch dann schienen sie fast gleichzeitig eine dunkle Ahnung zu befallen. Katsuragi steckte das Katana in seine Scheide und rannte los. Der Schmied rief ihm lauthals etwas nach. Motochika vermutete, dass es um die nicht erfolgte Bezahlung ging, doch sein Blick folgte dem davonjagenden Katsuragi. Der bahnte sich einen Weg durch die Massen. Motochika wusste, wohin er wollte. Seine Soldaten befanden sich in der Burg. Als er Katsuragi aus dem Blick verlor, wandte er sich wieder Nobuchika zu. „Was ist das?“, fragte Nobuchika und deutete auf die andere Seite des Festplatzes. Dort war plötzlich eine riesige Staubwolke zu sehen. Da es die letzten Tage nicht geregnet hatte, war der Boden staubtrocken. Es war nicht zu erkennen, was da auf sie zu kam, aber es war eindeutig nichts Gutes. Auch wenn die zarten rosafarbenen Kirschblütenblätter, die inmitten dieser Staubwolke umhergewirbelt wurden, diese Tatsache Lügen straften. „Ich weiß es nicht...“, antwortete Motochika, doch als er genauer hinsah konnte er die Ohren eines Pferdes und dessen metallene Rüstungsplatten ausmachen. „Katsuragi holt schon die Soldaten. Lass uns gehen, die Leute hier wissen gar nicht, was für eine Gefahr da auf uns zukommt!“, sagte Motochika. Nobuchika sah verwirrt auf die Staubwolke und dann zu Motochika. Dessen Blick war auf die Menschenmenge gerichtet. Langsam setzten sie sich in Bewegung, als sie endlich erkannten, was gerade geschah. Motochika zog Nobuchika mit sich und kam dass sie die Menschen erreicht hatten, erhob er laut seine Stimme. „Zur Burg! Lauft zur Burg!“, rief er. „Nobuchika, geh mit ihnen!“, sagte er, an den Jüngeren neben sich gewandt. „Nein, ich bleibe hier.“ Motochika sah ihn eine Sekunde lang ungläubig an, doch dann musste er grinsen, bei soviel Übermut, den er da in den Augen erkennen konnte. „Gut, aber du bleibst an meiner Seite.“ Nobuchika nickte und half ihm, die Leute in Richtung Burg zu leiten. Doch die Staubwolke kam so schnell näher, dass sie nur wenig ausrichten konnten. Die Leute drängten sich den Weg zur Burg hinauf und viel zu viele waren noch mitten in der Schneise dieser Staubwolke, die sich inzwischen als berittene Soldaten entpuppt hatte. Motochika fluchte leise und brüllte noch lauter, damit sich seine Leute endlich beeilten. Doch es half alles nichts, Katsuragi war noch immer nicht mit den Soldaten zu sehen und Nobuchika ruckte plötzlich mit dem Kopf hinter sich und dann sofort auf die andere Seite. Motochika hatte es auch bemerkt. Von den Seiten her kamen Fußsoldaten auf sie zu. Wieder fluchte Motochika laut, doch er konnte nichts tun. Um sich herum hörte er die Schreie und sah die Pferde jetzt deutlich. Auf dem ersten saß ein Mann in einer beinah waldgrün lackierten Rüstung. Vorn prangte in weiß ein Wappen: drei ausgefüllte Kreise mit einem Balken darüber. Hinter ihm trugen einige Reiter ebenfalls dieses Wappen in grün auf weißen Flaggen. Motochikas Blick verfinsterte sich, während Nobuchika die Stirn kraus zog. Der vorderste Reiter zog seine Kriegermaske hoch und zeigte sein Gesicht, in dem ein Grinsen prangte. Er beugte sich vor und sah genau auf die beiden Männer die zwischen den flüchtenden Menschen hin und her geschubst wurden. Dann erhob er sich wieder und mit seinem Körper auch seine Stimme, die tief und klar zu ihnen herüberdrang, trotz des Lärms um sie herum. „Sieh an, sieh an! Fürst Chosokabe... Ihr habt ihn gefunden.“, sagte der Reiter und gab ein Handzeichen hinter sich. „Wen gefunden?!“, blaffte Motochika gereizt zurück. In dem Moment sah er aus dem Augenwinkel, wie einer der feindlichen Soldaten nach Nobuchika griff. Er wurde weggezerrt und Motochika sah, wie er unsanft gegen die Rüstung des vordersten Pferdes gestoßen wurde. Bevor er beiseite oder zurück taumeln konnte, wurde er von dem anmaßenden Reiter in den Haaren gepackt. „Meinen kleinen Spion!“, zischte der Reiter gerade laut genug, dass Motochika es hören konnte und mit Hilfe der Soldaten zog er Nobuchika vor sich auf das Pferd. Motochikas Augen verengten sich, aber er sagte nichts. Er stand einfach nur in der Menge, wurde immer wieder hin und her geschoben und sah zu, wie Nobuchika einen Schlag in den Nacken bekam und wie ein nasser Sack Reis in den Armen des Reiters zusammensank. Erst jetzt schien er fähig zu reagieren. Er befreite sich aus der Menge und rannte in Richtung der Reiterei. „Nobuchika!!“ Der Mann in der grünen Rüstung gab ein weiteres Handzeichen, wendete sein Tier und ritt mit einer wirbelnden Staubwolke davon. „Nobuchikaaa!“ Hinter sich hörte er seine Leute laut rufen und gegen den Feind ziehen. Doch seine Aufmerksamkeit galt nur dem in der Ferne im Staub verschwindenden Pferd, auf dem Nobuchika gerade vor seinen Augen entführt wurde. Dann spürte er eine Hand auf seiner Schulter. „Aniki.“ Motochika reagierte nicht darauf. „Aniki?“ Katsuragi trat so an seine Seite, dass er das Gesicht seines Fürsten sehen konnte. „Ist etwas passiert?“ Motochika wiederholte erneut den vertraut gewordenen Namen. „Was ist mit ihm? Wo ist er?“ „Er hat ihn mitgenommen...“ „Was?? Wer?“ „Mori.“, antwortete Motochika düster. Katsuragi sah ihn an und dann auf das Getümmel um sie herum. Dann nahm er seinen Fürsten am Arm und zog ihn zur Burg. Er hatte alle Mühe damit, denn Chosokabe starrte weiter wie gebannt auf die Stelle wo er eben noch Nobuchika gesehen hatte und ließ sich nur schwer von der Stelle bewegen. „Ich hätte es wissen müssen!“, fluchte Katsuragi, als sie etwas abseits des Geschehens standen. Mit flinken Blicken verfolgte er, wie die eigenen Soldaten gegen den Feind strömten und einige weiter die Dorfleute in die sichere Burg leiteten. Allerdings gelang es ihnen nur sehr sehr langsam die Oberhand zu gewinnen. Und mit herben Verlusten, wie Katsuragi bereits ahnte. Als die Dämmerung einsetzte gelang es ihnen endlich, die Feinde doch in die Flucht zu schlagen. Widerwillig zogen sie sich zurück. Jeder wusste, dass die Gefahr keineswegs vorüber war. Eilig wurden die Überlebenden und Verletzten in die Burg geschafft. Chosokabe und Katsuragi beobachteten alles, bis es zu dunkel wurde, um Einzelheiten zu erkennen. Katsuragi beorderte Wachposten und Boten an die Mauern der Burg und in einem Umkreis darum und begleitete dann Chosokabe zu seinem Zimmer. Stillschweigend standen sie sich gegenüber. Dann sah Chosokabe im Zimmer umher. Katsuragi bemerkte wie sein Blick auf einer Sakekaraffe ruhte. Wie aus dem Nichts stürmte Chosokabe darauf zu, packte die Karaffe und warf sie wutentbrannt auf die Tatamimatten. „Aniki!“ „Was verdammt!?“, schrie Chosokabe und trat ungeachtet der Scherben ein paar Schritte auf ihn zu. „Was machst du da?“, fragte Katsuragi, obwohl es keineswegs einer Antwort bedurfte. Er ging zu Chosokabe und hielt ihn an den Schultern fest. Chosokabe sah ihn wütend an. „Dieser Kerl hat Nobuchika mitgenommen!“, fluchte Chosokabe laut. „Ja, das hast du mir schon gesagt. Ich hab es aber nicht mitbekommen. Wer hat ihn mitgenommen? Fürst Mori oder einer seiner Söhne?“ „Der Alte war es nicht. Keine Ahnung, wer von beiden es war...“, antwortete Chosokabe und hob dabei einen seiner Füße an. Katsuragi folgte seinem Blick und sah trotz der zunehmenden Dunkelheit die rote Verfärbung der Tabi. Sofort zwang er den Fürsten sich auf einen nicht mit Splittern übersäten Teil der Tatami zu setzen, dann zog er ihm die Tabi aus. An beiden Fußsohlen blutete er aus kleinen Schnitten. Sie waren nicht tief aber beim Laufen würden sie ihn die nächsten Tage bestimmt stören. Katsuragi schüttelte den Kopf und ging, nur um mit Kisho zurück zu kommen. Mindestens genauso verständnislos mit dem Kopf schüttelnd kümmerte er sich um die kleinen Schnitte. Chosokabe hätte gelacht, wenn er nicht so wütend gewesen wäre. „Was machst du nur schon wieder für Dummheiten...“, seufzte Kisho, als er fertig war. „Ach verschwinde...“, knurrte Chosokabe. Kisho warf einen Blick zu Katsuragi, der wiederum nur mit dem Kopf schüttelte und Kisho wieder hinaus brachte. Dann kam er zurück und setzte sich neben Chosokabe. „Da ist noch mehr, oder? Er hat ihn nicht einfach nur mitgenommen...“, sagte Katsuragi. „Nein... Er sagte, ich hätte ihn gefunden... Seinen Spion...“ „Wie bitte?“ Chosokabe sah ihm jetzt doch direkt ins Gesicht. „Du hast richtig gehört...“ Katsuragi sagte nichts dazu, sondern senkte den Blick. „Willst du mir jetzt sagen, dass du den Mist glaubst?“, knurrte Chosokabe. „Nein...“ „Was dann?“ Katsuragi schaute nun doch zu Chosokabe. „Falls du dich an unser Gespräch erinnerst... Ich hatte den Verdacht, dass Nobuchika zu Mori gehört. Auf welche Art auch immer. Lass mich reden! Wenn ich das jetzt höre, dann bestätigt das doch nur diesen Verdacht. Es wäre doch ein Leichtes für ihn gewesen, jederzeit Nachrichten an einen Boten zu geben. Sogar von der Burg aus. Nachdem er wieder gesund war, konnte er sich doch frei bewegen.“, sagte er. „Er ist kein Spion! Ich war fast immer bei ihm und wenn ich es nicht war, dann Kisho oder du! Ich wette darauf, dass es eine Lüge ist!“, entgegnete Chosokabe. „Und wenn es das nicht ist? Was ist, wenn das Ganze alles von Fürst Mori eingefädelt wurde, um dich zu schwächen? Um dein Urteilsvermögen und deine Entscheidungsfähigkeit zu schwächen? So sehr, dass du beim nächsten Aufeinandertreffen Fehler machst, weil du blind vor Wut bist?“ Katsuragi sah ihn an und wartete auf eine Antwort, doch die ließ auf sich warten. Offenbar zog der Fürst diese Möglichkeit nun auch einmal in Betracht. „Nein... Ich glaube das nicht. Mir und auch sonst niemandem ist irgendetwas aufgefallen. Es gab keinen Hinweis, dass er etwas Ungewöhnliches getan hat. Ich glaube das nicht!“, antwortete Chosokabe energisch. „Bist du dir wirklich sicher? Bist du dir sicher, dass er dir nicht alles vorgespielt hat?“ „Er hat mir nichts vorgespielt!“ „Wollen wir es hoffen. Wenn du daran glaubst, dass Nobuchika unschuldig ist, dann glaubt dir auch die Mannschaft... Und du machst keine Fehler...“ Chosokabe nickte grimmig. „Und ich hoffe, du hast wirklich recht...“ ...denn alle Anzeichen stehen dagegen. Hoffentlich endet das nicht in einer Katastrophe... Katsuragi wollte wieder gehen, doch Chosokabe hielt ihn auf, als er gerade die Shoji erreichte. „Katsu?“ Seine Stimme klang belegt, missmutig. Katsuragi drehte sich um und betrachtete sein traurig wirkendes Gesicht im leicht flackernden Schein der kleinen Laterne. Es brach ihm fast das Herz, ihn so zu sehen, aber konnte nicht einfach hingehen und ihn in den Arm nehmen. Der Fürst liebte einen anderen. Vermutlich einen Spion und Verräter, wer wusste das schon genau. Die Aussage stand nun einmal vage im Raum und sie wussten beide, dass der junge Mann ohne Gedächtnis entweder log oder tatsächlich die Wahrheit sagte. „Ja, Aniki?“ „Was ist deine persönliche Meinung? Von allen rangpflichtigen Ansichten einmal abgesehen... Was glaubst du?“, fragte Chosokabe. Dass er lügt... Aber eigentlich hoffe ich das doch nur... „Ich glaube nicht, dass er lügt. Aber Glauben und Wissen sind zwei ungleiche Brüder. Und ich weiß nicht mehr als du, also muss ich glauben, was mein Gefühl mir sagt.“, antwortete Katsuragi. Chosokabe nickte noch einmal. „Bleib hier, bitte.“ Katsuragi stutzte. „Wie...?“ „Bleib einfach da. Bitte. Ich möchte nicht allein sein.“ Wortlos beobachtete Katsuragi wie Chosokabe mühevoll sein Nachtlager ausbreitete und sich unter der Decke verkroch. Dann erst setzte er sich in gebührenden Abstand daneben und lehnte sich gegen die Wand, das unbezahlte Katana fest im Griff und Augen und Ohren nach draußen gerichtet. Ein nächtlicher Überfall schien ihm genau genommen gar nicht so abwegig.     Kapitel 13: Shizukesa mae ni arashi -----------------------------------   Geräusche drangen an sein Ohr. Stimmen. Worte, Sätze. Er verstand nur wenig. In seinem Kopf hämmerte es wie verrückt. Sein Nacken schmerzte, als hätte er die Bekanntschaft mit einem Holzbalken gemacht. Er drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme kam. Fell kitzelte seine Nase und er schlug die Augen auf. Braunes Ziegenfell war das erste was er erkannte, alles andere wirkte noch wie unter Wasser: verschwommen. Er blinzelte ein paar mal, versuchte sich von dem riechenden Fell wegzudrehen. Dabei nahm seine Umgebung endlich klarere Umrisse an. Er war in einem Zelt. Draußen schien es bereits dunkel zu sein, dennoch hörte er noch die Geräusche, die für ein Kriegslager sprachen. Klapperndes Geschirr, klirrende Waffen, Rufe, gebrüllte Befehle und Schmerzensschreie aus dem Lazarett. Im Zelt sah er nur eine hängende Öllaterne, deren Geruch sich breit machte und einen breitschultrigen Mann in dunkelgrüner Rüstung der ihm noch den Rücken zukehrte. Es gelang ihm, seinen Oberkörper aufzurichten. Der Schmerz blieb jedoch und vernebelte ihm für einen Augenblick die Gedanken. Den Moment, den er brauchte um wieder klar zu denken, nutzte auch der andere Mann im Zelt. Er hatte bemerkt, dass er wach war und richtete seine Aufmerksamkeit nun vollständig auf ihn. „Aaah, du bist wach. Das wurde aber auch Zeit...“, schnarrte der Mann in der Rüstung. Er rieb sich den Nacken und versuchte ein paar verknotete Strähnen auseinanderzuziehen, während er blinzelte. „Die Prinzessin braucht noch einen Moment...“, fügte der andere auf diese Missachtung hin vor Sarkasmus triefend hinzu. „Prinzessin? Wovon redest du?“, knirschte er. „Schau dich doch mal an.“ Er sah an sich herunter, während er das schmutzige Leinentuch beiseiteschob. Er trug einen hellblauen, seidenschimmernden Kimono mit aufgestickten Kranichen. „Du siehst aus, wie ein Waschweib!“, sagte sein Gegenüber und stand auf. „Zieh dich um.“, fügte er blaffend hinzu und zog ein sauberes Leinentuch von einer Rüstung weg. Von dem hellblauen Kimono sah er auf und auf die Rüstung. Sie glänzte grün. Nicht so dunkel wie die des Mannes neben ihr, aber sie gefiel ihm besser. Die großen Platten wurden mit braunen Kordeln zusammengehalten. An den Ärmeln waren blaue und gelbe Streifen lackiert – wie das Meer an der Küste und die Sonne über den Bergen. Über die grasgrüne Weste, deren Polsterung aus Papier nicht sichtbar war, hingen lederne Gurte, die noch einen zusätzlichen Halt für die Ärmelplatten boten und ein Höchstmaß an Beweglichkeit garantierten. Die bauschigen Hosen waren reinweiß, wie die Wolken am Himmel. Die Stiefel waren tiefschwarz wie die Nacht und glänzten. Dahinter sah er Metall im Licht der Öllaterne in einem Bogen schimmern. Er stand auf und ging darauf zu. „Hast du jetzt auch noch die Stimme verloren? Ich dachte, es wäre nur dein Gedächtnis!“, höhnte der andere. Doch auch darauf nicht reagierend, ließ er den Kimono von sich heruntergleiten und zog die leichten Rüstungsteile an. Dann schlüpfte er nacheinander in die Ärmel und gurtete sie vor seiner Brust fest. Zum Schluss zog er die Stiefel an. Den Helm missachtete er, schließlich benötigte er ihn jetzt nicht. „Schau an, ich dachte schon, ich müsste dir helfen.“ „Wobei? Ich werde ja wohl meine eigene Rüstung anziehen können. Immerhin habe ich sie so haben wollen.“, antwortete er endlich. „Du weißt also, dass es deine Rüstung ist... Gut. Weißt du auch wieder wer du bist? Wer ich bin?“ „Ja das weiß ich... mein lieber Bruder. Du brauchst dir keine Mühe zu geben... Wo ist mein Vater?“ Okimotos Gesicht verzog sich. „Dein Vater? ...“ Die Zeltplane öffnete sich und beide drehten sich um. Vor einem sternenfunkelnden schwarzen Himmel tauchte die Gestalt eines alten Mannes auf. „Ah Sano!“, begrüßte Okimoto ihn und bat ihn hinein. Der Alte zog eine Augenbraue hoch, trat jedoch bis zu ihnen in die Mitte des Zeltes. Als er den Jüngsten sah und ihn erkannte, riss er die Augen auf. „Junger Herr Motonari!“, japste er und fiel auf die Knie. Motonari beäugte ihn und schaute dann finster zu Okimoto. „Was ist hier los? Wo ist Vater?“ Okimoto hob zunächst Sano auf die Beine und sah dann den Jüngeren an. „Komm, setz dich.“, sagte er und bat Motonari auf eine der mit Fell bedeckten Truhen. Sano führte er ebenso dorthin, ließ ihn jedoch stehen, während er sich seinem jüngeren Bruder gegenüber setzte. „Weißt du... Vater ist nach der Schlacht noch einmal auf die Insel gegangen. Er und Sano haben einen Leichnam gefunden, der deine Rüstung trug und brachten ihn zurück auf das Festland. Es stellte sich jedoch heraus, dass das nicht du warst. Also blieb nur noch eines. Chosokabe musste dich in seiner Gewalt haben. Vater war außer sich vor Wut und reiste noch mitten im Winter mit einem Schiff bis an die Küste dieses... Piraten! Dass er mit einem einzigen Schiff keine Möglichkeit hatte, an zu Land zu gehen ohne Schaden zu nehmen, war klar. Also kehrte er zurück. Mit dem Wissen um die Reichweite der Kanonen, die Chosokabe auf seiner hübschen kleinen Wehrburg postiert hatte. Wir waren verdammt zu warten und... Wie soll ich sagen? Der Gedanke, du könntest bei diesem Piraten leiden oder gar schon längst getötet worden sein... Vater hat das nicht verkraftet. Er mochte ja schon immer den Alkohol, aber seit du verschwunden warst, vermutlich sogar schon tot, da hat er ihm zu sehr zugesprochen. Sano wird es dir bestätigen können.“, erzählte Okimoto und warf Sano einen Seitenblick zu. Sano nickte kurz, hielt aber seinen Blick weiter auf Motonari gerichtet. Der betrachtete ohne jegliche Regung seinen Bruder und hörte ihm weiter zu. „Dann kam der Augenblick an dem wir es erneut versuchen konnten. Ich war so schon erstaunt, dass Vater noch immer in der Lage war zu laufen und gelegentlich einmal klar zu denken. Aber dass er auch auf diesen Feldzug mitkommen wollte und es auch tat, das hat mich überrascht. Er war nicht gerade in einer guten Verfassung, solltest du wissen.“ „Komm auf den Punkt!“, forderte Motonari. Bis jetzt decken sich die wenigen Gemeinsamkeiten... Aber ich kenne dich, Okimoto! Irgendwas planst du... „Noch bevor wir an Land gingen...“, setzte Okimoto an, doch er schluckte schwer und warf einen Blick zu Sano und dann wieder zu Motonari. Der folgte seinem Blick und sah Sano ganz genau an. Dessen Mimik war ihm vertraut und so erkannte er sofort die fast unmerklich hochgezogene Augenbraue. Ein Zeichen dafür, dass er Okimoto offenbar eine grandiose Schauspielerei unterstellte. Nicht ungewöhnlich für diesen Mann, wie Motonari wusste. „Er starb an dem Morgen, an dem wir an Land gehen wollten...“, sagte Okimoto und sah seinen Bruder mit einem Blick an, der tiefe Trauer und Mitleid für den Jüngeren auszudrücken schien. Motonari hatte bereits geahnt, dass sein Vater tot war. Doch es aus Okimotos Mund zu hören, heuchlerisch ausgeschmückt, erschütterte ihn. Gleichzeitig spürte er Wut in sich aufsteigen, denn dass der Alkohol seinen Vater umgebracht haben sollte, wollte er nicht glauben. Er wusste, dass sein Vater diesem flüssigen Unheil nicht gerade abgeneigt war, aber sich totunglücklich zu betrinken, war nicht die Art, die er von seinem Vater erwartet hatte. Er sah zu Sano und suchte in dessen Gesicht nach einer Bestätigung. Er fand sie auch, denn der alte Mann schloss schmerzlich die Augen. Doch gleich darauf warf er Okimoto einen Blick zu und Motonari konnte ihn diesmal nicht einordnen. Auch wenn er die Mimik des Mannes kannte, diesen Blick hatte er noch nie gesehen. „Ich lasse dich einen Augenblick allein.“, sagte Okimoto, warf Sano einen Blick zu und verließ mit ihm das Zelt. Motonari blieb auf der Truhe sitzen. Seine Finger gruben sich in das weiche Fell, die Knöchel traten hell hervor und seine Muskeln schmerzten nach einigen Minuten. Dann sprang er auf und warf eine Tonkaraffe wütend zu Boden, wo sie zersprang. Er sank auf die Knie und starrte die Scherben an. Motochika... Du hast gesagt, meine Erinnerung würde wieder kommen... Aber warum so? Mein Vater ist tot, Okimoto führt irgendwas im Schilde und ich weiß nicht was... Ich weiß nicht einmal, wo genau ich hier bin! Und ich wette darauf, dass mein Bruder sehr genau aufpasst, was ich tue... Dabei hat er was er will. Wir könnten wieder abreisen. Die Fehde zwischen uns können wir auch zu Hause austragen, aber irgendetwas hat dieser Bastard vor! Er stand langsam wieder auf und warf einen Blick aus dem Zelt. Einige Zelte waren noch von Öllampen erleuchtet, die Geräusche allerdings waren leiser geworden. Es musste tief in der Nacht sein. Er verließ das Zelt und ging leise und vorsichtig durch die Zeltreihen der Soldaten. Irgendwo musste doch Sano zu finden sein, er konnte doch nicht ständig an Okimotos Rockzipfel hängen, wie ein angekettetes Äffchen. Nach einer Weile fand er seinen Bruder nahe des Lazarettlagers. Er verließ es gerade in Richtung des Kommandantenzeltes. Motonari versteckte sich hinter einem der anderen Zelte und wartete, bis Okimoto außer Sicht- und Hörweite war und kroch dann eilig in das Lazarettzelt. Hier war das Licht stark gedämmt. Es reichte gerade einmal um die Wunden einigermaßen zu erkennen und verbinden zu können. Die meisten Soldaten waren entweder schlafend, im Dämmerzustand oder tatsächlich im Delirium – wenn nicht sogar schon tot. Ganz hinten konnte er endlich Sano entdecken und eilte zu ihm. Er packte ihn an der Schulter und zerrte ihn ein wenig unsanfter als gewollt zu sich herum. „Junger Herr!“, japste Sano beinahe tonlos und zog ihn hastig in die Schatten des Zeltes. „Was macht Ihr hier?“ „Ich will wissen, was Okimoto plant... Und ich glaube, dass du ziemlich genau Bescheid weißt. Erzähl mir die Wahrheit!“ Sano seufzte schwer. „Das kann ich nicht.“ „Was soll das heißen?“ „Dass ich es nicht kann... Es tut mir Leid.“ Motonari sah ihn durchdringend an. „Warum nicht?“ Der alte Mann sah ihn gequält an und wirkte dabei um weitere Jahre gealtert. Er senkte den Blick. „Euer Bruder... er schreckt vor nichts zurück. Er hat meine Tochter und meine Enkelin... Ich weiß nicht, wo sie sind oder wie es ihnen geht. Und ich will nicht, dass ihnen etwas geschieht. Deshalb kann ich nichts sagen... Bitte versteht mich.“ Motonari seufzte. Er sah auf die Betten des Lazaretts. Viele der weißen Tücher, auf denen die Männer hierher getragen wurden, waren rot und braun vom Blut. Gelegentlich war ein schmerzerfülltes Stöhnen zu hören. Eine junge Frau stand auf der anderen Seite des Zeltes und zerrieb gerade einige Kräuter. Es roch stark nach Pflanzen und Sake. Ihre weiße Schürze war blutbesudelt und ihre Haare fielen ihr in Strähnen ins Gesicht. Trotz der Dunkelheit war ihr ausdrucksloses Gesicht erkennbar. Motonari sah ebenso auf die Verwundeten zurück. Einige kamen ihm bekannt vor, doch es war besser, ihre Schicksale nicht zu sehr an sich heran zu lassen. Dann sah er wieder zu Sano zurück, der gerade an ihm vorbei trottete. Er ging zum ersten Patienten. Motonari folgte ihm und dann versuchte er es einfach. „Hat er meinen Vater getötet?“, fragte er. Sano betrachtete den Verwundeten. Er atmete ruhig und schlief. Sano nickte und ging dann weiter. Motonari folgte mit wenigen Schritten. „Gift?“, fragte Motonari leise. Sano schaute auf ein blutnasses Lager und den Patienten. Er hielt ihm die rechte Hand unter die Nase und mit der linken tastete er nach einem Puls. Doch da war nichts mehr. Kein Atem, kein Puls. Er schüttelte den Kopf und rief die junge Frau her. Dann ging er weiter, Motonari lief hinter ihm. „Etwas anderes?“ Sano warf diesmal einen eher raschen Blick auf den nächsten Patienten. Das er lebte, sah er, denn er schaute ihn flehend an. Doch die Schmerzen, die er litt, konnte Sano ihm nicht nehmen – nur die Ohnmacht würde ihn fürs Erste erlösen können. Doch statt ihm das zu sagen, nickte er nur zuversichtlich und schritt weiter. „Er will die Insel einnehmen?“, fragte Motonari nachdem Sano an mehreren gerade behandelten Soldaten vorbei lief und sich nun der anderen Seite des Zeltes zuwandte. Gleich beim ersten nickte er ernst. Ob der Mann überleben konnte, war nicht sicher, die Verletzungen waren ernst, aber noch schlug sein Herz. Er ging weiter. „Will er mich auch loswerden?“ Der Arzt blieb bei einem der schwer verwundeten Generäle stehen. Sein Kopf schwankte hin und her, als würde er überlegen. Doch der Zustand des Patienten war kritisch. Das Blut auf dem Laken sah frisch aus. Aber die Verbände schienen schon eine Weile lang angelegt zu sein, es klebte bereits geronnenes Blut daran, dass durchgesickert war. „Ich glaube nicht, dass er es schafft... Er ist zu schwer verwundet. Es hört einfach nicht auf zu bluten.“, sagte er. Motonari trat an seine Seite. „Er hat sicher tapfer gekämpft. General Matsumoto hat sich nie unterkriegen lassen... Und ich werde das auch nicht tun!“ Sano wandte sich von dem General ab, der bald sterben würde und schob Motonari in den Gang. Die Feldschwester war nicht mehr im Zelt. Sie war offenbar gerade draußen zwei Soldaten holen, die den Toten aus dem Lazarett holen sollten. „Junger Herr... Euer Bruder will die Clanfolge übernehmen. Seid darauf gefasst. Ihr kennt ihn gut genug, ebenso wie ich.“, sagte er. Motonari nickte und sah dann zum Zeltausgang, wo die Nacht schwarz hereindrang. „Eure Antworten habt ihr hoffentlich gefunden...“, fügte Sano leise hinzu, als die Schwester gerade mit den beiden Soldaten hereinkam und sie zum Totenlager führte. Motonari bedachte den Arzt mit einem kurzen Blick, nickte und verließ das Zelt. Inzwischen war es ruhiger geworden. Die meisten kleinen Feuer und Öllampen waren gelöscht und Motonari schlich sich vorsichtig durch die Zelte zum noch immer erleuchteten Kommandantenzelt seines Bruders. Leise öffnete er die Plane und schlüpfte hinein. „Wo warst du?!“, donnerte Okimoto wütend los. „Ich habe mich umgesehen. Das werde ich doch noch dürfen.“ Okimoto schnaubte wütend und sah ihn nach ein paar Sekunden wieder an. „Ich habe mir Sorgen gemacht.“, knirschte er. „Du hast bis vorhin noch unter Gedächtnisverlust gelitten!“ Motonari schaute ihn nur an. So? Sorgen hast du dir also gemacht? Vermutlich eher Sorgen darum, dass ich das Lager verlasse und Motochika den Aufenthaltsort verrate, oder wie? ... Hätte ich das bloß getan! „Ich bin doch hier, was regst du dich so auf. Außerdem habe ich nach den Verletzten gesehen. Dort hätte man mir durchaus helfen können, wenn etwas gewesen wäre.“, entgegnete er. Sein Bruder zog die Stirn kraus. „Du warst im Lazarett? Wozu? Die meisten dort sterben sowieso.“ „Ich weiß.“, meinte Motonari und sah sich um. Sein Lager aus Fellen war gegen einen leichten Futon wie auf Okimotos Seite ausgetauscht worden. Er ging darauf zu und zog einen Teil seiner Rüstung aus. Auf dem Feld schlief man oft mit der ganzen Rüstung, doch die Teile die er ablegte, konnte er leicht selbst wieder anlegen, sofern es nötig würde. „Du wirst das Zelt hier nicht mehr allein verlassen.“, sagte Okimoto. „Wie bitte?“ „Du hast mich verstanden.“ „Das heißt, du willst mich hier gefangen halten. Sag es doch.“, knurrte Motonari. Okimoto sah ihn durchdringend an. „Wenn du das so empfindest, Oni-san, dann ist das wohl so.“ Motonari wich seinem Blick nicht aus und auch das unmerkliche Kräuseln um die Lippen seines Bruders entgingen ihm nicht. Dann stand Okimoto auf und Motonari beobachtete wie er ein Glöckchenband um die runde Waffe an den Zeltpfahl band. Ein Grinsen tauchte in dessen Gesicht auf als er Motonari ansah. „Wir wollen doch nicht, dass ein Unglück geschieht, nicht wahr? Das wäre tragisch, wo doch unser Vater schon verstorben ist.“ Motonari warf ihm ein ebenso sarkastisches Grinsen zu. „Natürlich nicht... Es wäre tragisch, wenn das Heer seinen Kommandanten verlieren würde. Wenn ich meinen Bruder verlieren würde...“ „Wir verstehen uns also.“, sagte Okimoto und löschte die Öllampe. Okimoto schlief recht schnell ein. Motonari hingegen warf einen Blick zum Zelteingang. Dort stand plötzlich ein Wachposten. Ich bin also tatsächlich ein Gefangener. Ich hab auch nichts anderes erwartet... Er sah zurück zu der runden Waffe, die schon seit sie ihm gehörte Vollmond-Klinge nannte. Er wusste wie scharf diese Klinge war. Doch das Glöckchenband würde ihn sofort verraten. Ich könnte es versuchen, aber der Knoten ist ein Problem. Ohne Geräusche kann ich ihn nicht öffnen und wenn ich das Band zerschneide, wenn ich es denn könnte, würden die Glöckchen sofort runterfallen. Und zu dunkel ist es auch. Er sah zurück an die Zeltdecke und seufzte. Ihm fiel Sano wieder ein. Der alte Mann ist ein echtes Schlitzohr. Ohne zu reden hat er mir alle Antworten gegeben. Ich hätte auch selbst wissen können, dass Okimoto meinen Vater getötet hat. Nur wie, wenn es kein Gift war? Eine Waffe kann es nicht gewesen sein und die Nummer mit dem Alkohol kauf ich ihm nicht ab. Ich glaube, ich sollte überhaupt nichts von ihm annehmen. Ihm fiel auf, dass von draußen auch nichts mehr zu hören war. Es herrschte absolute Stille, mal von den üblichen nächtlichen Geräuschen der Natur abgesehen. Er musste zugeben, dass es ein wenig andere Geräusche waren, als in den Wäldern von Aki. Shikoku war in mancher Hinsicht anders. Die Menschen hier liebten ihren Fürsten, die Bewohner der Burg halfen bei Festlichkeiten. Es wurde früher warm als in Aki. Nagut, dass sind keine Gründe, die Insel einzunehmen, aber dabei geht es grundsätzlich nur um Landbesitz. Um was sonst... Motochika... Für einen Überraschungsangriff konnte er es sehr gut abwehren. Er ist gut aufgestellt, aber noch einmal? Ich bezweilfe, dass Okimoto es ein zweites Mal schafft, aber es wird verlustreich für Motochika...Okimoto würde es nicht schaffen, aber das werde ich ihm ganz sicher nicht sagen. Soll er doch ins offene Messer laufen. Fragt sich nur, was er dann mit mir macht, wenn er es überlebt. Motochika wird ihm kein gutes Haar lassen. Aber zuzutrauen ist Okimoto alles, also werde ich ihm kein Stück weit trauen. Er wird mich garantiert umbringen, wenn ich nicht schneller bin. Aber im Moment ist er im Vorteil. Es sei denn, Motochika hat schon einen Plan. Vielleicht ist er auf dem Weg hierher und sucht mich... Er seufzte. Motochika... Wenn ich dich doch nur auf meine Seite ziehen könnte. Wenn du deinen Fürsten verlassen würdest... für mich. Dann hätten wir eine Chance. Aber das tut er nicht. Ich glaube nicht daran. Aber es wäre so schön... Plötzlich drängten sich seine Kopfschmerzen wieder in den Vordergrund, die er in den letzten Stunden erfolgreich verdrängt hatte. Müde schloss er die Augen und schlief ein. Kapitel 14: Uso no geijutsu ---------------------------   „Wie bitte! Er will was!?“ Motochika war wütend und brüllte laut. Katusuragi stand im Rahmen der Shoji und zuckte zusammen. „Er will Verhandlungen führen... Er wartet vor den Toren.“, wiederholte Katsuragi. Motochika schnaubte verächtlich. Der kann was erleben! „Lass ihn rein! Dem werde ich gleich zeigen, was ich von seinen Verhandlungen halte!!“ „Aniki... Das bringt doch nichts.“, versuchte Katsuragi ihn zu beruhigen. „Oh doch, das wirst du gleich sehen!“, versetzte Motochika. Seufzend ging Katsuragi, um einen Soldaten zu schicken, der den selbsternannten Fürsten Mori in den Empfangsraum bringen sollte. Er hingegen würde auf dem Weg nach unten versuchen, Fürst Chosokabe von seiner plötzlich aufgetretenen Mordlust abzubringen. Er war selten so sehr aufgebracht, dass Katsuragi erschrocken zusammenzucken musste, wenn er wütend etwas sagte. Sogar als sie unten im Flur vor dem Empfangsraum ankamen, war Chosokabe noch am zetern. „Aniki, bitte. Hör ihn doch erst einmal an.“, bat Katsuragi ruhig. Chosokabe fuhr wütend herum. „Was gibt es da anzuhören?! Er hat Nobuchika entführt! Entweder er lässt ihn frei – und das vermutlich nur im Tauschhandel gegen mein Land – oder er tötet ihn! Ganz gleich was davon, abziehen tut er ganz bestimmt nicht einfach so! So viel Spielraum gibt es also nicht, Katsu!“ Katsuragi packte ihn am Arm und hielt ihn zurück. „Du wirst doch nicht wegen einer einzigen Person unser Land hergeben!?“ Chosokabe sah ihn an, als hätte er ihn ins Gesicht geschlagen. „Was denkst du eigentlich von mir? … Aber kampflos überlasse ich ihm Nobuchika auch nicht!“ Katsuragi seufzte schwer. „Du verlierst das Wesentliche aus den Augen! Es geht nicht mehr nur um Nobuchika, es geht um unser Land!“ „Das weiß ich!“ Der General zog plötzlich Chosokabes Kopf so nah an seinen heran, dass sich ihre Stirn berührten. „Vergiss das nicht, auch wenn du ständig nur an Nobuchika denkst! Bleib jetzt bitte ruhig. Alles andere will er doch nur! Er will, dass du wütend bist, also gib ihm nicht auch noch die Befriedigung, genau das erreicht zu haben!“, sagte er eindringlich. Motochika schloss die Augen und seufzte. Er hatte ja Recht. Wenn er jetzt ausrastete, würde er weder erfahren, wo Nobuchika war noch über dessen Freilassung und den Abzug der feindlichen Armee verhandeln können. Katsuragi ließ ihn los und er straffte tief atmend die Schultern, bevor er die Shoji öffnete und mit Katsuragi hinter sich dem Feind gegenübertrat. Der Feind war ein Mann mit dunklen kurzen Haaren. In seinem Gesicht zeichnete sich ein Bart ab und Chosokabe schätzte seine Statur zwar kräftig aber kleiner als sich selbst ein. Doch seine Augen waren am einprägsamsten. Sie sahen braun und dunkel aus, an und für sich vertrauenerweckend. Doch der Blick, mit dem Chosokabe bedacht wurde, sprach eine ganz andere Sprache. Er zeugte von Triumph und Überlegenheit. Ein Blick, den Chosokabe selbst sehr gut beherrschte, doch jetzt machte ihn das fast rasend, auch wenn er mit aller Macht um seine Beherrschung kämpfte. „Sprich! Du willst verhandeln.“, brachte er knurrend hervor. „Wie schade. Ihr begrüßt mich gar nicht.“, entgegnete Fürst Mori. „Ich sehe keinen Grund dazu. Außerdem bevorzuge ich die schnelle Variante, wozu also groß reden.“ Mori nickte. „Dann eben unzivilisiert... Hier ist ja schließlich noch Euer Territorium.“ „Sag, was du willst!“ „Nun... Was werde ich wohl haben wollen? „ Chosokabe knurrte. „Mein Land...“ „Kluger Bursche.“, lobte Mori hämisch. Die Hand des Piratenfürsten ballte sich zusammen. Katsuragi beobachtete es von den Shoji aus und auch seine Hand lag bereits fest um den Schwertgriff. Aniki, lass dich nicht provozieren! Das will er doch! „Was bietest du uns an?“, fragte Chosokabe. Katsuragi fühlte sich, als würde sein Herz einen Augenblick lang aussetzen. Er ist drauf und dran, unser Land aufs Spiel zu setzen! Und das nur für Nobuchika?! Doch er konnte nichts tun. Es war nicht sein Recht einzugreifen und außerdem war noch nichts weiter geschehen. Er beruhigte sich wieder. Chosokabe lotete lediglich die Möglichkeiten aus, die er hatte. „Nun... Das ist eine gute Frage. Eine berechtigte Frage...“, begann Mori. „Sag, was du zu bieten hast!“ „Ich dachte mir, eine nette kleine Auslöse für deine Landsleute würde reichen. Für dich und deine Burgbewohner habe ich andere Pläne.“ „Welche?“, knurrte Chosokabe. „Nun ja... Ihr gebt mir das Land und dafür dürft Ihr wählen.“ „Was wählen?“ Mori beugte sich vor und sah ihn eindringlich an, mit diesem bösartigen Grinsen im Gesicht, dass von nahem betrachtet, mit diesen kleinen Augen, wie ein böser Fuchsgeist anmutete. „Euren Tod!“ Chosokabe sagte nichts darauf und sah ihn nur an. Katsuragi hingegen schluckte schwer. Von Nobuchika war noch kein Wort gefallen. Er hörte deutlich Chosokabes Atem, der schwerer geworden zu sein schien. „Ihr könnt wählen, ob wir Euch und eure Leute hängen, köpfen, foltern, verbrennen oder ob Ihr euren Leben selbst ein Ende bereitet. Harakiri... Gift... Das Meer... Die Wahl ist groß.“, fügte Mori hinzu. Für einen Augenblick herrschte Stille, in der das Atmen noch deutlicher zu hören war. Genauso wie das Vogelgezwitscher und der Wind unerträglich laut wurden. „Das ist nicht das, worüber ich verhandeln will.“, sagte Chosokabe nach einer Weile und überraschend ruhig. „Nicht... Nun, dann sehe ich mich gezwungen, die Burg und Euer Land mit aller Gewalt einzunehmen! Und ich kann meine Soldaten nicht davon abhalten, zu töten und zu schänden. So eine große Armee, da verliert man schon einmal den Überblick. Ihr wisst sicher, was ich meine.“ Chosokabe schloss für einen Moment die Augen und atmete durch. Eine schreckliche Vorstellung, dass die Menschen auf der Burg entweder sterben oder alle Leute im Land durch die Übermacht einer Armee leiden sollten. Aber war dieser selbsternannte Fürst überhaupt noch übermächtig? Immerhin hatten sie ihn gestern erst erfolgreich zurückschlagen können. Und was war mit Nobuchika? „Ich werde nicht über den Tod meiner Leute verhandeln. Mich interessiert gerade nur, wo mein Gast hin ist!“, sagte er. „Euer Gast?“ „Du weißt ganz genau, von wem ich rede! Wo ist Nobuchika?!“ „Ach, dieser Gast... Wisst ihr, ich glaube, ich bin Euch da eine klitzekleine Erklärung schuldig.“ „Soll heißen?“ „Nun, Ihr seid da in eine überraschend gut ausgeklügelte Falle getappt, würde ich sagen.“ Chosokabe zog die Augenbrauen zusammen. „Was soll das heißen?“ „Seht... Ihr habt ihn auf dem Schlachtfeld aufgelesen. Was, wenn das gewollt war? Wenn Ihr ihn finden solltet? So war das nämlich geplant. Er sollte von Euch gefunden werden und er sollte Euch den armen Jungen ohne Gedächtnis vorgaukeln. Nun, dass es so gut funktionieren würde, dass ausgerechnet Ihr, ein Piratenfürst ohne Sitte und Anstand, sich in ihn verliebt... Damit hatte ich auch nicht gerechnet. Aber ich glaube, genau das macht es umso spannender, wenn er sich Euch gegenüberstellt und an meiner Seite für Euren Tod sorgen wird!“, erklärte Mori. Chosokabe saß wie versteinert da. Sein Atem war noch mal um einiges schwerer geworden und Katsuragi sah seine geballte Faust zittern und weiße Stellen hervortreten. Er war rasend vor Wut, versuchte aber mit aller Macht die Beherrschung nicht zu verlieren. Noch ein Wort und genau das würde passieren. Erneut beugte sich Mori weit vor und sah Chosokabe mit diesem Grinsen an. „Du wirst mir dein Land nicht kampflos überlassen, oder?“ „Niemals!“, knurrte Chosokabe wütend. „Dann wird er dich töten, mach dich darauf gefasst.“ Chosokabe gelang es endlich dem Blick des feindlichen Fürsten zu begegnen. „Warum sollte irgendein dahergelaufener Soldat mich, einen Fürsten, töten sollen?“, fragte er. Fürst Mori erhob sich, als wären die Verhandlungen damit abgeschlossen und ging zu den rückseitigen Shoji. Dort drehte er sich grinsend noch einmal um. „Weil er kein dahergelaufener Soldat ist, mein lieber Fürst Chosokabe.“ „Wer dann?“ „Er ist mein Bruder. Mori Motonari! Und er wird dich hassen und dafür töten, was du ihm angetan hast!“, anwortete Fürst Mori giftig und verließ mit knallenden Shoji das Zimmer. Chosokabe saß da und war nicht fähig, sich zu bewegen. Selbst Katsuragi brauchte einen Moment, bevor er vorsichtig zum Fürsten ging und ihm eine Hand auf die Schulter legte.   „Guten Morgen ...Prinzessin!“, fauchte es an Motonaris Ohr. Müde öffnete er die Augen und sah sich seinem Halbbruder gegenüber. Erschrocken saß er sofort aufrecht. „Hör auf, mich so zu nennen!“ „Warum sollte ich?“ Motonari stand auf. „Weil ich keine Prinzessin bin, wie du es ausdrückst!“, sagte er, während er die am Abend zuvor abgelegten Rüstungsteile wieder anlegte. Okimoto sah ihn einen Augenblick lang an, dann musste er lauthals lachen. „Nein, überhaupt nicht...“, dröhnte er sarkastisch. Motonari zögerte nicht lange, es reichte ihm. Er stürmte auf seinen Halbbruder zu und drängte ihn bis an die Zeltwand, den Arm gegen seine Kehle gedrückt. „Lass den Mist!“, knurrte er. Okimoto grinste. „Du vergisst, dass ich meine Augen überall da haben kann, wo ich will! Ich weiß ganz genau, was passiert ist. Und deshalb bist du eine Prinzessin!“ „Wie meinst du das?“, fragte Motonari stirnrunzelnd. „Lass mich los und ich sag es dir.“, forderte Okimoto. Motonari gehorchte und ließ ihn los. „Setz dich. Es wird dir nicht gefallen.“, sagte Okimoto und wartete, bis sein jüngerer Bruder sich auf sein Lager niedergelassen hatte und ihn wartend ansah. „Gehen wir einmal zum Anfang zurück... Ich wusste, wie gerne du an der Front mitkämpfen wolltest. Ganz entgegen den Wünschen unseres Vaters. Also bat ich Sano, dass er dich irgendwie in den Kampf einschleuste. Irgendwie musstest du ja Erfahrung sammeln, nicht wahr? Sano ist es tatsächlich sehr gut gelungen, dass du an die Front gehen konntest. Sehr schlau von ihm, deine Rüstung mit der eines anderen zu tauschen. Nur dumm, dass er nicht wusste, dass dein Doppelgänger ein Spion des Feindes war! Keiner wusste es, erst mein Ninja hat es herausgefunden. Jedenfalls hat dieses Manöver ziemlich gut geklappt, wie wir ja wissen. Und das im doppelten Sinne. Ich und Sano konnten dir deinen Wunsch erfüllen aber der Feind konnte dich dadurch auch in die Finger kriegen. Ganz, wie es vom Feind gewollt war. Du solltest gefunden werden, verstehst du. Du solltest sein Druckmittel gegen uns sein! Diesem Piratenfürsten war es dabei egal, ob sein Spion stirbt oder nicht. Letzteres war natürlich besser, aber keine Garantie, dass es nicht auffällt. Wäre auch etwas eigenartig nicht wahr? Wie sollte ich denn meinen eigenen Bruder nicht erkennen?“, erklärte Okimoto. Motonari ließ ein abfälliges Lächeln erkennen, doch in seinem Kopf ratterte es. Konnte das so stimmen? Warum sollte es nicht möglich sein? „Sicher, das Manöver hätte genauso gut auch völlig schief gehen können, aber dein Doppelgänger war bewusst so gewählt worden, dass er dir sehr ähnlich sieht. Aber das ist ja noch gar nicht mal das Interessanteste... Wie ich ja bereits sagte, weiß ich das von meinem Ninja. Und von dem weiß ich noch so manch andere... Dinge.“, sagte Okimoto. „Was für Dinge?“, hakte Motonari nach, als Okimoto nicht weitersprach. Sein Bruder kam seinem Gesicht sehr nahe. „Zum Beispiel den Grund, warum ich dich Prinzessin nenne! War es schön?!“, zischte Okimoto nahe Motonaris Ohr. Schauer jagten ihm über den Rücken. Aber keine angenehme, denn Okimotos Stimme verhieß nichts Gutes. Für einen Moment sah Motonari ihn zögernd an. „Was geht dich das an?“ „Oh eine ganze Menge! Ich bin dein Fürst und dein Bruder! Also!? War es schön, diesem Piraten deinen Hintern hinzuhalten?!“ Angewidert wich Motonari ein Stück zurück. „Das geht dich überhaupt gar nichts an...“, meinte er. Mit einem angeekelten Geräusch ließ Okimoto für einen Augenblick von ihm ab, bevor er ihn erneut mit diesem überlegenen Blick taxierte. „Was wohl deine Verlobte dazu sagen wird... Nun... dann willst du wohl auch nicht den Rest der Wahrheit hören, nehme ich an?“ Motonari schwieg darauf. „Wenn das so ist... Irgendwo hier im Lager finden sich bestimmt ein paar ausgehungerte Soldaten, die sich über eine Prinzessin wie dich so richtig freuen würden. Sollen sie ihren Spaß haben, ich bin ja kein Unmensch... Aber eins solltest du wissen, wenn die fertig sind, werde ich dich aus dem Weg räumen!“, sagte er kalt, seine Klinge plötzlich auf Motonari gerichtet. „Es sei denn, du möchtest doch lieber die Geschichte zu Ende hören und überleben.“, fügte er knurrend hinzu. Motonari saß in der Falle. Seine Waffe war noch immer festgebunden mit diesem verdammten Glöckchenband. Rechtzeitig erreichen und einsetzen würde er sie sowieso nicht können. Entweder er ergab sich, hörte sich den Rest an und überlebte diesen Abend oder er blieb stur und würde dafür die wilde Fleischelust ausgehungerter Soldaten ertragen müssen und dann auch noch von seinem Halbbruder ermordet werden. Letzteres war keine Option, ganz und gar nicht. Aber auch die erste schien einen riesigen Haken zu haben. „Erzähl weiter...“ „Klug, Oni-san, klug... Aber leider muss ich jetzt deine schöne romantische Geschichte endgültig in einen Haufen Asche verwandeln.“, sagte Okimoto. Motonari sagte nichts dazu, sondern wartete auf die Fortsetzung. „Wir wissen ja schon, dass du mit einem Spion ausgetauscht wurdest. Der Spion sah ganz bewusst so aus wie du. Fehler ausgeschlossen. Ein Hinweis, dass genau du es sein solltest, den der Feind entführen wollte. Ich vermute mal, das genau darauf geachtet werden sollte, dass du nicht zu sehr verletzt wurdest. Hauptsache du kommst irgendwie an Bord des Piratenschiffs.“, sagte Okimoto. „Was dein Ninja wohl nicht wusste, war, dass ich gerade so überlebt hatte, oder? So gut scheint der Plan wohl nicht gewesen zu sein.“, warf Motonari dazwischen. „Du sitzt hier. Ist das nicht Beweis genug, dass es dennoch gelungen ist? … Was ist nun? Kommst du von allein drauf?“ „Worauf soll ich kommen?“, knirschte Motonari. Okimoto warf ihm eine Art verächtliches Lächeln zu, Motonari konnte es irgendwie nicht richtig deuten. „Während du dein Gedächtnis verloren hattest, wusste dein Geliebter ganz genau, wer du wirklich bist und was er da tat! Auch wenn es schändlich ist... Was für ein Triumphgefühl muss es für ihn gewesen sein. Besonders an dem gestrigen Abend. Da oben, zwischen den Kirschbäumen...“ Motonari war entsetzt. In seinem Kopf wirbelten Bilder und Gedanken wahllos durcheinander. Das meinte er die ganze Zeit... Er weiß davon! Es dauerte einen Moment, bis er wieder klar denken konnte. Und Okimoto schwieg um die Stille wirken zu lassen, während er das Wechselbad der Gefühle im Gesicht seines Bruders beobachtete und genoss. Motonari hingegen nahm ihn nicht mehr genau wahr. Motochika wusste es? Es war geplant? … Das kann ich nicht glauben... Aber, … vielleicht hat Okimoto ja wirklich Recht... Motochika hat mir nie seinen Rang und auch nie seinen ganzen Namen gesagt. Alle haben ihn nur Aniki genannt, außer mir. Ich sollte ihn Motochika nennen. Und wer genau Katsuragi ist, weiß ich auch nicht. Ein Freund? Ein General? Ein Berater des Piratenfürsten? … Hat Motochika mir wirklich alles vorgelogen? Aber wenn er wusste, wer ich war, warum habe ich mich dann nie als Gefangener gefühlt? Von Verhandlungen habe ich auch nie etwas mitbekommen. Nicht einmal Feindseligkeit von all den anderen, die ich kennengelernt habe... „Du lügst! Es gab weder Verhandlungen, noch habe ich mich jemals als Geisel oder irgendwie unwohl gefühlt! Diese dämliche Geschichte mit dem Spion hast du dir doch nur ausgedacht!“ „Was für eine blühende Fantasie, Oni-san. Aber...“ „Was aber?“, blaffte Motonari und stand mit einem einzigen Satz vor Okimoto. „Aber... es nützt nichts, mich einen Lügner zu nennen. Das solltest du lieber deinem geliebten Motochika an den Kopf werfen!“ „Warum sollte ich das tun?“ „Weil er es ist, der dir nicht die ganze Wahrheit gesagt hat... Oder weißt du, wer er wirklich ist?“, antwortete Okimoto und ging zum Zelteingang. Dort drehte er sich noch einmal um und sah ihn mit diesem heuchlerischem Blick an. Motonari fragte sich eine Sekunde lang, ob er Mitleid ausdrücken sollte, doch das konnte nicht sein, dazu spiegelte sich zu viel Häme darin wider. „Dein geliebter Motochika... ist Chosokabe Motochika! Fürst von Shikoku und unser Feind!“ Mit diesen Worten verließ er das Zelt und die Stille hüllte Motonari erbarmungslos ein. Die Geräusche des Feldlagers verschwanden plötzlich und nur noch das Rauschen seines eigenen Blutes in seinen Ohren war überlaut. Zu keinem klaren Gedanken fähig sank er auf die Knie. Seine Hände ruhten auf dem Boden, unfähig zu irgendeiner Bewegung. Ausdruckslos starrte er auf den sandigen Boden. Fürst Chosokabe Motochika... Wenn Okimoto Recht hat, dann hat er mich die ganze Zeit belogen. Alle haben mich belogen! Er hat mir ganz bewusst weder seinen Namen noch meinem gesagt. Er wusste wohl, dass ich mich dann auf jeden Fall hätte erinnern können... Das war wohl ein Risiko, dass er nicht eingehen wollte, wenn er mich als Druckmittel einsetzen wollte. Vielleicht habe ich auch deshalb keine Verhandlungen mitbekommen. Weil es nie welche gegeben hat, da er auf den richtigen Augenblick warten wollte... Weil er wollte, dass mein Vater hierher in sein Territorium kommt, wo er ihn mit Sicherheit schlagen konnte. Ganz ohne Verhandlungen... So ergibt das natürlich alles Sinn, was Okimoto gesagt hat... Motonari erhob sich und starrte auf das verhasste Glöckchenband an seiner Vollmond-Klinge. Dann riss er es mit einem einzigen Ruck ab, sodass die kleinen goldenen Glöckchen in alle Richtungen des Zeltes fielen und ihr klares Klingen lautstark zu hören war. Du wirst dafür büßen, dass du mich belogen und benutzt hast, Motochika! Mit der Vollmond-Klinge fest in der Hand stürmte er aus dem Zelt ins warme Sonnenlicht. Okimoto stand nur wenige Schritte vor dem Zelt und sah gerade auf die Armee hinab, die sich vor ihm versammelte. Motonari warf einen Blick in ihre Richtung. Die Rüstungen schimmerten und die Waffen glänzten in der Sonne, während Okimoto zufrieden die Männer betrachtete und dann zu Motonari sah. Er lächelte ihm zu und wandte sich dann an die Armee vor ihnen. „Seid ihr bereit, einem Haufen Piraten in den Hintern zu treten und ihnen den Garaus zu machen?!“ Ein Brüllen und das laute Klirren der Schwerter rollte wie eine Welle durch das Lager. „Wir mögen gestern geschlagen worden sein, aber wir sind immer noch in der Überzahl! Wir greifen sie frontal an, damit werden sie nicht rechnen!“, sagte Okimoto laut. Ein erneutes Brüllen war die Zustimmung der Armee. Nachdem es wieder ruhiger wurde, ließ Okimoto zwei Pferde bringen, auf denen er und Motonari aufsaßen. Nachdem die Männer bereit waren, ritten sie im Schritttempo los in Richtung der feindlichen Burg. Kapitel 15: Kaizoku no kokoro -----------------------------   Es dauerte, bis Chosokabe Katsuragis kühle Hand auf seiner Schulter endlich wahrnahm. Moris Worte und das Knallen der Shoji hallten noch immer in seinen Ohren. Nobuchika ist einer der Mori-Söhne... Motonari... Und alles, was er gesagt oder getan hat, soll gelogen gewesen sein? Das kann ich nicht glauben... „Aniki... Komm. Er wird nicht lange auf sich warten lassen. So weit entfernt sind sie nicht, wie ich erfahren habe... Er wird bald wieder hier sein, wir müssen die Männer bereit machen.“, sagte Katsuragi mit sanftem Druck auf Chosokabes Schulter. „Katsu?“ „Ja?“ „Hattest du jemals das Gefühl, dass Nobuchika uns allen etwas vorgespielt hat?“, fragte Chosokabe. Katsuragi überlegte einen Moment. „Nein... Eigentlich nie... Aber sollte es so gewesen sein, dann hat er es unglaublich gut gemacht...“ Chosokabe stand auf. „Und genau deshalb glaube ich diesen Schwachsinn auch nicht! Er kann das nicht monatelang alles gespielt haben! Nicht so lange, ohne dass es irgendwie auffällt. Er hätte nie Gelegenheit gehabt, irgendwann irgendwo einen Boten zu treffen. Er war nie allein, einer von uns war immer bei ihm und draußen stehen genug Wachen, die ihn gesehen hätten.“ Katsuragi nickte. „Und trotzdem kannst du nicht bestreiten, dass er Mori Motonari sein muss. Für einen Soldaten war er zu... nun ja, zart ist vielleicht die falsche Beschreibung...“ „Das ist vielleicht das einzig Wahre an dieser ganzen Geschichte, die dieser Möchtegern-Fürst uns da aufgetischt hat.“ „Und leider auch das größte Problem.“, fügte Katsuragi hinzu. „Warum?“ Katsuragi bedachte den Fürsten mit einem mitfühlenden Blick. „Naja, das kommt darauf an, was Motonari für eine Version zu hören bekommt oder bekommen hat. Wenn diese hier schon gelogen war – warum sollte dieser Möchtegern-Fürst, wie du ihn nennst, dann ausgerechnet seinem Bruder die Wahrheit sagen?“ „Weil sie Brüder sind?“, meinte Chosokabe und runzelte fragend die Stirn. „Genau deshalb eben nicht. Denk mal drüber nach, es war nicht der alte Mori, sondern sein ältester Sohn, der sich selbst mit dem Fürstentitel angemeldet hat. Das bedeutet, dass der Alte entweder verhindert oder womöglich schon tot ist. Und das wiederum heißt, dass zwischen den Brüdern vermutlich der Kampf um die Clanfolge begonnen hat. Wenn nicht schon all die Geschehnisse der letzten Monate dazu gehört haben...“, erklärte Katsuragi. „Aber wenn er der ältere Sohn ist... und Motonari der Jüngere... Wieso macht er das dann? Er wäre doch sowieso der Nachfolger.“, entgegnete Chosokabe, „Nun ja... Das weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. So gesehen hätte er keinen Grund dazu, aber es muss einen geben. Vielleicht will er seinen Bruder sofort loswerden, ohne darauf zu warten, dass er ihm irgendwann die Clanfolge streitig machen wird. Oder es gibt noch einen anderen Grund. Vielleicht hat der alte Mori bestimmt, dass der jüngere Sohn die Clanfolge übernehmen soll.Was auch immer es ist, es ist Grund genug für ihn, seinen Bruder in diesen schmutzigen Kampf zu ziehen... Und uns gleich mit. Zwei Fliegen mit einer Klappe sozusagen.“, erklärte Katsuragi. Chosokabe war überrascht, dass sein Freund und General nicht nur strategisch ein Meister seines Fachs war, sondern auch eine derartige Weitsichtigkeit hatte. „Vielleicht hast du Recht. Was auch immer er vorhat, es geht uns und Motonari zu Lasten...“ Dann stand er auf und gemeinsam gingen sie, um die verbliebenen Soldaten zu mobilisieren, die noch stehen und eine Waffe halten konnten.   Es war fast Mittag. Die Sonne brach in sanften Strahlen durch das Blätterdach aus Kirschblüten über ihren Köpfen. Chosokabes leicht dezimierte Armee stand auf dem menschenleeren Festplatz, auf dem gestern noch fröhlich das Hanami gefeiert wurde. Heute jedoch zeigte sich das Ausmaß des gestrigen Überfalls. Die Verkaufshütten lagen fast alle in Trümmern. Bunte Leinen, Lampignons und verwelkte Blumen lagen zerfetzt auf einem Teppich schmutziger zertrampelter Kirschblüten, vermischt mit dunklem Sand. Ihre schöne zarte Farbe hatte jetzt die des Schmutzes angenommen: braun und teilweise sogar schwarz von geronnenem Blut. Und dann kamen sie. In dem ganz und gar nicht passenden, von den Blüten rosa schimmernden Sonnenlicht, ritt der Feind heran. An der Spitze die Mori-Söhne. Chosokabe schluckte schwer. Der Anblick des jüngeren, seines Nobuchikas, in dieser waldgrünen Rüstung war wunderschön aber verstörend zugleich. Denn Nobuchika war ab jetzt Mori Motonari und damit sein Feind. Der Gedanke schmerzte, doch eine Wahl hatte er nicht. Nicht als Fürst von Shikoku. Er schluckte den Schmerz hinunter und fixierte stattdessen den Bruder, der sich selbst bereits als Fürst betrachtete. Dessen Gesichtsausdruck zeugte von Überheblichkeit, während Motonari grimmig wirkte. Es war Katsuragi, General in Diensten des Fürsten Chosokabe, der ein paar Schritte nach vorn ritt. Dies hatten sie vereinbart, da Chosokabe nicht Motonari gegenübertreten wollte. Zumindest nicht auf diese Art. Beim Feind war es der selbsternannte Fürst Mori höchstpersönlich, der ihm bis in Hörweite entgegenritt. Choskabe hörte hämische und überhebliche Wort von ihm. Katsuragi hingegen entgegnete ihm ruhig und gelassen und ritt dann zurück. Mori Okimoto tat es ihm mürrisch gleich. Sowohl Chosokabe und Katsuragi, als die Mori-Brüder zogen sich zurück und gaben den Befehl zum Angriff. Wortlos gaben sich Chosokabe und Katsuragi ein Zeichen und jeder ritt auf einen der sich gegenüber liegenden Hügel, sodass sie von zwei Seiten aus das gesamte Geschehen beobachten und den jeweils anderen ebenfalls sehen konnten. Beide spähten hinunter auf die beginnende Schlacht. Chosokabe beobachtete konzentriert, wie die Frontlinien sich innerhalb kürzester Zeit immer wieder vor und zurück schoben – geschuldet der Taktik des Nachrückens. Vielleicht sollte er sich bald etwas neues einfallen lassen. Doch er wäre ja kein Pirat, wenn er nicht mindestens eine Überraschung parat hätte. Als gab er ein Zeichen, dass er mit Katsuragi und zwei weiteren Männern genau abgesprochen hatte. Katsuragi sah es und tat es ihm gleich. Nur Sekunden später stürmten aus den Büschen im angrenzenden Wald Männer hervor und auf die feindlichen Soldaten. Es waren bis an die Zähne bewaffnete Dorfbewohner und sie brachten die Mori-Soldaten völlig aus dem Konzept. Da der Überraschungsangriff den gewünschten Erfolg gebracht hatte, hielt Katsuragi nun Ausschau nach den Brüdern. Doch er konnte sie nirgendwo entdecken. Sein Verstand schrie nach einer Falle, die gerade zuschnappte, doch wo konnten sie sein? Hektisch suchte er die Ränder des Schlachtfeldes ab. Dann endlich sah er Okimoto. Er stand schräg gegenüber und warf einen heimtückischen Blick auf einen Weg, der zwischen den Bäumen entlang zum Hügel führte. Katsuragi erkannte den Weg. Dort ist Aniki mit Nobu-... Motonari vorgestern auf den Hügel gegangen. Einen anderen Weg gibt es nicht, jedenfalls keinen, der nicht zugewachsen ist. Was hat er vor? Sein Blick raste zum Hügel hinauf, wo Chosokabe stand. Doch es war außer ihm niemand zu sehen. Plötzlich hörte er hinter sich ein leises Rascheln. Er zog hastig das Katana und in der selben Bewegung drehte er sich um, zum Angriff bereit. Er sah sich einem alten Mann in einer ebenso alten Rüstung gegenüber, der rasch die Hände abwehrend hob. Katsuragi sah sofort, dass er zum Feind gehörte. „Bitte! Hört mich an, bevor Ihr mich tötet!“, bat er und bemühte sich, leise zu sein. Katsuragi runzelte die Stirn. Was soll das werden? Er ließ zögerlich das Katana etwas sinken, aber nur soweit, dass er jederzeit noch einen Angriff abwehren konnte. „Redet.“ „Ihr solltet auf Euren Fürsten acht geben. Ich konnte es nicht mehr aufhalten.“ „Was aufhalten? Wovon redet ihr?“ „Mein Herr... Meister Okimoto, hat das alles geplant. Alles, was seit dem Kampf auf Oshiba-shima passiert ist, hat ihm im Kampf um die Clanfolge in die Hände gespielt. Seine einzigen Handgriffe waren das Einschleusen des jungen Herrn Motonari in den Kampf und...“, begann der Alte und sah an Katsuragi vorbei. „Und was?“, zischte Katsuragi. „Und sein Intrigieren zwischen seinem Bruder, dem jungen Herrn Motonari, und Eurem Fürsten... Sein einziges Ziel ist es, allein die Clanfolge anzutreten. Idealerweise sollte das Reich Eures Fürsten gleichsam in seine Hände übergehen...“ Erneut zog Katsuragi eine Augenbraue hoch, doch dann schien er langsam zu verstehen. „Ihr versteht mich also...“, meinte der Alte. „Aber er ist der Ältere... Hätte er nicht sowieso das Recht die Clanfolge anzutreten? Wozu dann dieses Schauspiel?“, fragte Katsuragi. Der Alte lachte ein freudloses Lachen. „Nein... eben nicht. Er ist zwar der Sohn des Fürsten Mori und auch älter als der junge Herr Motonari... aber seine Mutter war nicht von Stand. Sie gehörte nicht zum Hof, eine Dirne aus dem Dorf. Der junge Herr hingegen ist der Sohn des Fürsten und seiner Frau. Demzufolge ist es ihm beschieden, die Clanfolge anzutreten und so wurde es auch festgelegt... Natürlich passt das seinem älteren Bruder nicht. Ihr könnt Euch wohl selbst vorstellen, warum der Fürst nicht erschienen ist, sondern sein ältester Sohn.“ Katsuragi antwortete nicht. Sollte ihn das hinhalten? Oder war er einfach so, dass er Informationen nur häppchenweise preisgab? „Er hat ihn vergiftet noch bevor wir an Land gingen. Blei. Und nun setzt er darauf, dass der junge Herr Motonari und Euer Fürst sich gegenseitig umbringen.“ Katsuragis Hand schloss sich fester um das Heft des Katana. Er war erstaunlicherweise wenig überrascht. Er hatte beinahe mit so etwas gerechnet. „Er muss auch ihm Lügen aufgetischt haben... Euer junger Herr glaubt ihm hoffentlich kein Wort!“ „Leider doch...“ Katsuragi wandte sich hastig um und entdeckte auf dem gegenüberliegenden Hügel den jüngeren Mori-Sohn, der bis gestern Abend noch Nobuchika gewesen war. Chosokabe schien ihn bemerkt zu haben und drehte sich ebenfalls zu Mori Motonari um. Katsuragi schluckte schwer. Was ist nun wahr? Hat Motonari uns etwas vorgespielt oder hatte er wirklich sein Gedächtnis verloren? Sagt der Alte die Wahrheit und dieser Okimoto führt hier Regie? Ich muss zu Motochika! Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass Motonari sich nicht von seinem Bruder beeinflussen lässt! Er sah nach unten in das Schlachtgetümmel. Es würde ihn Zeit kosten, aber er musste sich dort durch kämpfen, denn um die Soldaten herum zu laufen würde noch mehr Zeit kosten – und die hatte er nicht mehr...   Motochika beobachtete die sich ständig verschiebende Frontlinie, als er hinter sich das Rascheln von Blättern hörte. Katsuragi konnte es nicht sein, der stand auf der anderen Seite. Also konnte es nur einer der beiden Brüder sein. Er drehte sich hastig um und atmete erschrocken tief ein. Ihm gegenüber stand- „Nobuchika!“, japste er erleichtert. Doch dieser sah ihn ausdruckslos an, bevor er reagierte. „Tu nicht so scheinheilig!“ „Was? Wie bitte?“, fragte Motochika verwirrt. „Du weißt genau, was ich meine!“ „Nein... Das weiß ich nicht. Was ist los mit dir?“ Motonari kam einen Schritt näher, sodass die grüne Rüstung im Sonnenlicht glänzte. „Was mit mir los ist? Ich erinnere mich endlich wieder! Aber scheinbar muss ich dir ja nichts mehr sagen!“ Motochika sah ihn völlig verwirrt an, doch er war nicht in der Lage zu denken. Die Worte des Jüngeren ergaben keinen Sinn. Warum sollte er mir nichts mehr sagen müssen? Ich verstehe gar nichts mehr... „Du wusstest doch alles! Du wusstest doch ganz genau, wer ich bin!“, zischte Motonari wütend. „Nein... Ich wusste das nicht.“, sagte Motochika mit einem verständnislosen Blick. „Lüg mich nicht schon wieder an!“ „Ich lüge dich nicht an. Und was heißt 'schon wieder'?“ „Du hast mich doch die ganze Zeit angelogen! Du hast mir nicht gesagt, wer ich wirklich bin! Und wer du bist, das hast du mir auch die ganze Zeit verschwiegen!! Du hast mir ja nicht einmal ehrlich gesagt, dass ich aus Aki stamme!“ Motochika schüttelte den Kopf. Das lief alles völlig schief. Er wusste, dass Motonaris Bruder ihm eine Lüge aufgetischt haben musste und es umgekehrt genauso gelaufen sein musste. Aber dass Motonari seinem Bruder offenbar glaubte, damit hatte er nicht gerechnet. Zumindest hatte er gehofft, dass das nicht passieren würde. „Weil ich es nicht wusste.“, sagte er. Motonari ließ ein abfälliges, ungläubiges Schnauben hören. „Wir konnten alle nur Vermutungen anstellen. Wie Kisho, der ja von Anfang an behauptet hat, du wärst ein Mori-Soldat! Aber wie hätte ich das bedingungslos glauben sollen? Deine Rüstung war mit Blut und Dreck besudelt und sah fast genauso aus, wie die meiner eigenen Männer! Der einzige Grund, warum du zu Mori hättest gehören sollen, war der, dass dich niemand meiner Leute kannte! Was mich aber trotzdem nicht davon abhielt, dir das Leben zu retten! Ich hätte dich auch ins Meer werfen können, wie Kisho gesagt hat. Der hat dir nämlich fast gar keine Überlebenschancen ausgerechnet!“ „Das ändert nichts an der Tatsache, dass du mir verschwiegen hast, dass ich ein Mori bin und du Fürst Chosokabe!“, fauchte Motonari. „Verdammt, ich wusste nicht, dass du ein Mori bist!“ Motonaris Blick verfinsterte sich. „Hör auf zu lügen...“ Genauso wie Motonari hatte auch Motochika langsam genug. „Wenn ich die ganze Zeit lüge... was ist dann mit dir? Wer sagt mir denn, dass nicht du mich die ganze Zeit belogen hast? Uns allen nur vorgespielt hast, dass du dein Gedächtnis verloren hast? Wer kann mir garantieren, dass du nicht irgendwann unbeobachtet Boten zu deinem Bruder geschickt hast, damit er weiß, wann er hier auftauchen kann? Damit er weiß, wann ich verliebt genug bin, um jede Vorsicht fahren zu lassen? Sag's mir!“ „Fang jetzt nicht an, die Tatsachen zu verdrehen! Du warst es, der mich belogen und benutzt hat! Nicht ich!“, schrie Motonari wütend. „Benutzt?“, hakte Motochika stirnrunzelnd nach. „Was soll es denn sonst gewesen sein?! Kaum außer Lebensgefahr war ich doch das perfekte Druckmittel gegen meinen Vater, das du haben konntest!! Du musstest doch nur noch warten, dass er hier auftaucht! Und damit ich mich in der Zwischenzeit nicht erinnere: Bloß keine Namen nennen!“ Wieder schüttelte Motochika den Kopf. „Was hat dein Bruder dir nur erzählt? Hast du allen Ernstes die Wochen hier mit uns, bevor du dich wieder erinnert hast, völlig vergessen?“ „Ich habe das nicht vergessen... Motochika...“, antwortete Motonari und die Betonung seines Namens klang nicht gerade wohlgesonnen. „Mein Bruder hat mir das alles nur aus einem völlig neuen Blickwinkel gezeigt und mir die Augen geöffnet!“ Motochika trat seufzend einen Schritt vor, doch Motonari ging sofort in Angriffsstellung. „Er hat dir nicht die Augen geöffnet, er hat dir eine Lügengeschichte erzählt!“ „Es reicht! Halt den Mund!“, brüllte Motonari und stürmte, die Vollmond-Klinge voran, auf Motochika zu. Motochika ging in Abwehrhaltung und sein Hand schloss sich fest um den langen Griff seiner Ankerwaffe. Motonaris Waffe geriet jedoch so in einen Sonnenstrahl, dass ihr Schein gleißend hell reflektierte und ihn blendete. Er war gezwungen, kurz die Augen zu schließen und zu blinzeln und somit Motonari für eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Eine Sekunde, die für Motonari ausreichte, um Motochika trotz der Abwehrposition zu treffen. Der Schmerz schoss wie ein glühendes Schwert sofort in seine linke Gesichtshälfte und fast sofort nahm er hintergründig den Ruck der sich entfernenden Klinge wahr. Er sah in Doppelbildern Motonaris Rundklinge vor sich, von der Blut tropfte. Sein Blut. Mit lautem Brüllen sank er auf die Knie. Seine linke Hand presste er heftig atmend auf die Wunde, doch er wusste bereits, dass es nur wenig bringen würde. Die rechte griff ins Gras und die Finger bohrten sich in die trockene feste Erde unter dem Grün, während der Schmerz wie ein Schmiedehammer in seinem Kopf dröhnte. Es betäubte seine Sinne zunehmend. Motonari, der direkt vor ihm stand, begann allmählich zu verschwimmen. Doch er konnte und wollte ihn nicht einfach so gehen lassen – es war noch nicht alles gesagt. „Du hast mich benutzt und obendrein auch meine Ehre in den Dreck gezogen! Dafür wirst du bezahlen!“, hörte er Motonari sagen, während dieser für den Todesstoß wieder ein paar Schritte rückwärts ging. Motochika zwang sich, heftig atmend, aufzustehen. Es kostete ihn alle Anstrengung, dazu auch noch seine Ankerwaffe fest in der Hand zu halten und er taumelte wie benommen. Er nahm verschwommen wahr, dass Motonari seine runde Klinge positionierte und stürmte brüllend vor. Motonari hingegen war so überrascht, dass seine Waffe ins Schlingern geriet. Als Motochika ihn erreicht hatte und Motonari erschrocken nach Luft schnappte, schnappte seine Klinge gleichzeitig durch das Schlingern wie eine Falle zu. Beide waren im Inneren Ring der Waffe eingeschlossen, welche in Motochikas Ankerwaffe auch noch fest verhakt war. Motonari war für eine Sekunde verärgert, doch als er Motochikas überraschend feste Griffe an seinem freien Handgelenk und seinem Nacken spürte, wich der Ärger rasch der Angst. Ein Schauer jagte ihm über den Rücken, als Motochika seinen Kopf so dicht an den eigenen zog, das Motonari die blutverschmierten Haare an seiner Stirn spürte und die schreckliche Wunde sah, die unaufhörlich blutete. Er schluckte schwer und zwang sich, auf Motochikas unverletzte Gesichtshälfte zu schauen. Er begegnete einem glasigen Blick, der ihn jedoch entschlossen fixierte. Motonari versuchte vehement sich zu befreien, oder die Klinge zu bewegen, doch es ging nicht. Dann hörte er Motochikas Stimme nahe an seinem Ohr. „Du vergisst... ein Detail... Hätte ich... von Anfang an gewusst,... wer du bist... dann hätte ich dich... gar nicht erst mitgenommen... Ich hätte dich dort... liegen gelassen... dich einfach sterben lassen...!“ Motonari schluckte. „...hab ich aber nicht... Und ganz egal, was du... denkst, fühlst, tust... oder getan hast...“, ein schmerzverzerrtes Lächeln umspielte seine Lippen. „... dein Herz... gehört trotzdem mir... Und meines... dir... Nur zu,... erlöse mich... Dann ist es endlich vorbei... Aber es ändert nichts daran,... dass ich dich liebe...“ Motonari zögerte eine Sekdunde, bevor er etwas sagte. „...Wenn das so ist,... warum hast du mir nicht gesagt, dass du der Fürst von Shikoku bist?“, knurrte er zittrig. „Weil ich... manchmal... kein Fürst sein will...“, antwortete Motochika leise. Motonari hörte wie Motochikas Atem schwerer ging und sein Druck nachließ und riss sich los. Der Fürst von Shikoku verlor den Halt und seine Ankerwaffe und sank schwer zu Boden. Motonari sah auf ihn herab und tat langsam ein paar Schritte rückwärts, bevor er in den Wald zu seinem Pferd flüchtete und hastig davon ritt. Und dann erst hörte er erneut die schrecklichen Schmerzensschreie Motochikas, doch er ritt weiter. Eine Sache musste er dringend noch klären.   Katsuragi hatte noch ein paar Sekunden innegehalten und die Szene beobachtet. Währenddessen war der Alte wieder verschwunden. Katsuragi hatte den Angriff und wie Chosokabe in die Knie gegangen war beobachtet. Dann ging es plötzlich ganz schnell. Chosokabe war auf Motonari zugestürzt und als wäre die Zeit stehen geblieben, waren sie so einen Moment lang verharrt gewesen, bis Motonari sich lösen konnte und geflüchtet war. Das war der Moment gewesen, in dem sich Katsuragi aus seiner Starre losreißen konnte und in Windeseile auf die Schlacht zurannte. Wie ein Berserker kämpfte er sich durch die Reihen der Soldaten und verschwendete keinen einzigen Gedanken daran, ob er gerade Freund oder Feind getroffen hatte. Die markerschütternden Schreie des Fürsten waren alles, was er hörte und der zielführende Weg alles, was er sah. Seine Beine schmerzten bereits, als er das Getümmel hinter sich ließ und auf den Pfad zulief. Kaum, dass er ihn erreicht hatte, ritt ihm Motonari entgegen. Die Sekunde, in der sie sich ansahen, kam Katsuragi wie eine Minute vor und er konnte dessen Blick nicht deuten. War es Hass, Bedauern, Gleichgültigkeit? Er dachte nicht weiter darüber nach und rannte weiter den Hügel hinauf. Dort sah er Chosokabe auf dem Boden hockend, laut brüllend vor Schmerz und immer wieder auf den Boden einschlagend. „Motochika!“, japste Katsuragi und eilte an seine Seite. „Aniki...“ Motochika krallte sich mit der rechten Hand in den Boden, den er zuvor mit der Faust maltretiert hatte und presste die andere fest auf die blutende Wunde im Gesicht. Katsuragi ahnte Schlimmes und schüttelte flehend den Kopf, als würde dies etwas an der Wahrheit ändern. Nein, nein, nein... „Kisho...“, flüsterte er und wandte sich dem Getümmel unter ihnen zu. „KISHOOOOO!!“, brüllte er mit vor Angst fast versagender Stimme. Doch er konnte keine Bewegung, kein graues Haar ausmachen, was auf Kisho deutete, der zu ihnen kommen würde oder zumindest ein Zeichen gab. Mit zitternden Händen zog er den Fürsten auf die wackligen Beine und mühsam setzten sie sich in Bewegung zur Burg. Katsuragi war sofort klar, wenn Kisho nicht mehr in der Nähe des Schlachtfeldes war, dann konnte er nur innerhalb der Burgmauern sein und die ersten Verletzten betreuen. Es würde ihn Zeit kosten, mit Chosokabe zur Burg zu kommen, denn sie kamen nur langsam voran, aber eine andere Wahl hatte er nicht. Er konnte Chosokabe nur noch auf seinen Rücken hieven und dadurch schneller laufen. Und das machte er dann auch, denn sonst würde der Fürst zu viel Blut verlieren.   Motonari wusste genau, wo sein Bruder auf ihn warten würde und ritt sofort zu der kleinen Lichtung, von wo aus sie ihre Männer im Blick hatten. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte er, dass ihre Soldaten immer weiter zurückgedrängt wurden, doch es war ihm in diesem Augenblick völlig egal. Als er die Lichtung sah, hob er sich aus dem Sattel und schwang das rechte Bein auf die linke Seite. Er saß locker mit beiden Beinen auf der linken Seite und sprang leichtfüßig vom Sattel, als er die Lichtung erreicht hatte. Kaum, dass seine Füße den Boden berührten, stürmte er auf seinen Halbbruder los, der sich gerade lächelnd zu ihm umwandte. Dessen Lächeln gefror jedoch sofort, als er mit der Klinge seines Halbbruders am Hals mit dessen Schwung rückwärts taumelte, bis er gegen einen Baumstamm prallte. Kirschblütenblätter rieselten ihnen auf die Köpfe. Okimoto schluckte schwer und spürte dabei, wie sein Kehlkopf die scharfe Klinge berührte. „Was machst du da?“, fragte er unsicher. „Meinen Platz einnehmen.“, knurrte Motonari. „Wie... soll ich das verstehen?“ „Oh, ich glaube, du verstehst ganz gut! Gib es zu, du hast das ganze Theater hier doch nur geplant, damit du die Clanfolge übernehmen und Fürst von Aki werden kannst! Und dir nebenbei auch gleich noch Shikoku einverleiben kannst!“ Okimotos Blick verfinsterte sich und ein vorsichtiges Lächeln tauchte auf seinen Lippen auf. „Wenn du das so siehst...“ Bevor Motonari etwas antworten konnte, tauchte Sano neben ihnen aus dem Gebüsch auf. Okimoto reagierte sofort. „Sano! Hilf mir! Du kannst doch nicht zulassen, dass er mich umbringt!“, bettelte er. Die Quittung dafür spürte er sofort an seiner Kehle, wo Motonaris Klinge ihn ganz leicht in die Haut ritzte. „Warum sollte er?“, meinte Motonari. Okimoto witterte seine Chance. „Weil ich seine Tochter und ihr Kind habe...“ Aber Motonari reagierte nicht darauf. Schließlich wusste er bereits von diesem hinterhältigen Schachzug seines Halbbruders. Allerdings wusste er nicht, was Sano nun tun würde. Also schaute er zu dem alten Mann und wartete ab, wie er sich entscheiden würde. Motonari oder Okimoto? „Ich kann euch nicht helfen.“, antwortete Sano an Okimoto gewandt. „Wie bitte?“, schnappte Okimoto. „Ich kann es nicht.“, wiederholte Sano und sprach dann weiter. „Meine Aufgabe ist es, dem Fürsten zu dienen... Und das seid Ihr nicht. Euer Vater hat dies nicht gewollt. Allzu verständlich, wie ich finde. Immerhin seid Ihr weder Sohn einer Hauptfrau, noch irgendeiner Frau der Burg Eures Vaters. Im Gegensatz zu Eurem jüngeren Bruder. Euer Vater hat von Anfang an verfügt, dass der junge Herr Motonari die Clanfolge übernehmen wird.“, erklärte Sano und beobachtete dabei die Gesichter der Halbbrüder. Motonari wirkte zwar leicht überrascht, aber kühl. Offenbar wusste er nicht, dass die Mutter Okimotos überhaupt nicht zum Hof gehört hatte. Allerdings schien es ihm auch gänzlich egal zu sein. Okimoto hingegen stieg die Zornesröte ins Gesicht und sein Atem verwandelte sich in ein wütendes Schnauben. Er wollte sich befreien, doch mit der Klinge an der Kehle war dies schwieriger als er gedacht hatte. Mit einem blutenden Schnitt, der aber nicht tief genug war, um tödlich zu sein, gelang es Okimoto sich zu befreien. Er stand jedoch nun mit dem Rücken zu Sano, die eigene Waffe auf den wenig beeindruckten Motonari gerichtet. „Was willst du damit noch erreichen? Mich aufspießen?“, fragte Motonari gelangweilt, ging rückwärts und in Abwehrhaltung. Okimoto knurrte wütend, dann stürmte er vor. „Ich bin der Fürst!“, brüllte er. Ihre Waffen klirrten hell, als sie aufeinander trafen. Motonari parierte mit seiner doppelt so großen Klinge mühelos jeden Angriff. Zumindest, bis Okimoto eine winzige Lücke entdeckte und mit seinem scharfen Katana Motonaris linke Seite erwischte. Der Kampf geriet für eine Augenblick ins Stocken, denn Motonari hatte mindestens genauso schnell reagiert und das kleinere Katana mit seiner Rundklinge verkeilt. Er warf Okimoto einen wütenden Blick zu, als der Schmerz unterschwellig hervordran. In einem Zug löste er ihre verkeilten Klingen und die runde Vollmond-Klinge raste direkt auf Okimoto zu. Sano konnte gar nicht so schnell schauen, wie Okimoto in diesem kurzen Kampf den Tod fand. Und er wusste ganz genau, die entsetzten aufgerissenen Augen in dem Gesicht zu seinen Füßen, würden ihn noch lange verfolgen...   Kapitel 16: Nani ka iu ----------------------   Die Wochen waren vergangen, doch noch immer herrschte Trübsal auf der Burg des Fürsten von Shikoku. Die Leute im Dorf fingen bereits an sich Sorgen zu machen, da sie Fürst Chosokabe schon so lange nicht mehr gesehen hatten. Katsuragi verstand sie nur allzu gut, doch er wusste um die persönliche Lage des Fürsten. Tagelang, war es kritisch gewesen und seit Wochen stagnierte sein Zustand. Er konnte sich noch sehr genau an diesen schicksalhaften Tag vor zwei Monaten erinnern...   Rückblick... Völlig außer Atem und mit schmerzenden Gliedmaßen erreichte Katsuragi mit Motochika das Burginnere. Als Kisho sie entdeckte, wirkte für eine Sekunde geschockt, zögerte dann jedoch keinen Augenblick und zerrte sie in das Zelt. Katsuragis Harnisch war bereits mit Blut verschmiert und das Haar des Fürsten klebte schon fast an und in der Wunde. Kisho nahm ein Leintuch, dass er hastig in einen Eimer Wasser tauchte, während Katsuragi den Fürsten auf einem aus Heuballen und einem Leinentuch abgedeckten Lager legte. Kisho neigte eilig den Kopf des Fürsten nach links und wusch das Blut aus dem Gesicht. Ein Blick genügte und beiden Männern war klar, dass Kisho nichts mehr tun konnte. „Das Auge ist nicht mehr zu retten. Wir können nur noch versuchen, ihm das Leben zu retten. Er kann von Glück reden, dass er bewusstlos ist.“, sagte Kisho und schnappte sich die Flasche Arrak aus seinem Korb. Ohne lange nachzudenken goss er den scheußlich stark riechenden Alkohol in die Wunde und spülte sie aus. „Was machst du da?“, fragte Katsuragi, dem der Geruch unangenehm in die Nase stieg. „Ich reinige die Wunde.“ „Mit diesem Zeug?“ „Natürlich oder hast du eine bessere Idee?“ Katsuragi schüttelte den Kopf, während Kisho noch einmal einen Schwall Wasser, dann noch einmal Arrak und noch einmal Wasser über die Wunde goss. „Na also. Immerhin hat das auch bei diesem Nobuchika geholfen. Diese Europäer sind gar nicht so dumm, zumindest wenn es um Medizin geht. Sie sagen, dass der Alkohol sämtliche Keime oder so abtötet, die sonst in die Wunde kämen und dafür sorgen, dass man an Wundbrand stirbt. Offenbar funktioniert es.“, erklärte Kisho. Dann wickelte er ein sauberes, trockenes Leintuch zu einem kleinen Knäuel zusammen, dass er mit einem gelben Sud tränkte. „Und was ist das? Noch so ein komisches Zeug?“, fragte Katsuragi. „Das ist Kamillensud. Hab ich auch von den Europäern gelernt. Prinzipiell hat es dieselbe Wirkung, aber der Alkohol ist um Längen besser. Gib mir mal die Leinrolle aus dem Korb und dann halte seinen Kopf hoch.“ Katsuragi gehorchte und sah zu, wie Kisho die gelb verfärbte feuchte Leinkugel in die leere Höhle legte und dann einen Verband darum wickelte. „Lass ihn hier liegen. Wenn das gröbste erledigt ist, dann bringen wir ihn in die Burg und ich schaue mir nochmal die Wunde an. Wir müssen es jetzt ständig beobachten und wechseln.“, sagte Kisho und erhob sich. Katsuragi nickte, den Kopf gesenkt und den Blick auf den Fürsten gerichtet. Diese kleine Bewegung wirkte auf Kisho wenig zuversichtlich. Er legte eine Hand auf Katsuragis Schulter, der ihn ansah, bemüht seine Verzweiflung und die Angst zu verbergen. „Katsu... Er schafft das. Ich lasse unseren Fürsten nicht sterben!“ Der junge General mit dem rabenschwarzen langen Haaren, die sich aus seinem Zopf lösten sah seufzend aber etwas zuversichtlicher auf den bewusstlosen Fürsten herab. „Ich hoffe, du hast Recht...“ Rückblick Ende...   Kisho hatte letztlich Recht behalten, auch wenn es zeitweise kritisch gewesen war, so hatte der Fürst diese Verletzung überlebt. Als die Wunde verheilt gewesen war, hätte er eigentlich anfangen sollen, sich mit der neuen Situation auseinanderzusetzen. Schließlich musste er sich jetzt daran gewöhnen nur auf der rechten Seite zu sehen. Doch seitdem hatte sich Chosokabe zurückgezogen. Er sprach kein Wort, aß wenig und wollte niemanden sehen. Selbst Katsuragi hatte jeden Tag aufs Neue alle Mühe, ihn zum Essen und Trinken zu bewegen. Es gelang ihm zwar, aber es dauerte immer sehr lange. Jeden Tag, wenn er bei ihm war, erzählte Katsuragi ihm von allem, was auf der Burg und im Dorf geschah. Jetzt war das alles bereits zwei Monate her und der Fürst war noch immer so apathisch. Katsuragi verlor immer mehr den Mut und es machte ihn auch traurig. Er wusste, was diese Apathie auslöste. Es war nicht der Verlust des linken Auges sondern der Verlust seines geliebten Nobuchika, dessen wahre Identität Mori Motonari war. Fürst Mori Motonari, wie er jetzt genannt wurde. Denn Okimoto hatte man nach der gewonnenen Schlacht auf einer Lichtung am Waldrand entdeckt. Offenbar hatte es einen so heftigen Streit zwischen den Brüdern gegeben, dass es Okimoto im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf gekostet hatte. Doch dies hatte nicht zur Einsicht des neuen jungen Fürsten von Aki geführt. Im Gegenteil, er hatte die Insel verlassen und seither keinen einzigen Boten geschickt. Weder für Verhandlungen noch um eine Entschuldigung oder sonst irgendwelche Worte an Chosokabe zu überbringen. Katsuragi seufzte. Wenn er, wie die letzten Tage schon, über all das nachdachte, war es an der Zeit, endlich ernsthaft mit Chosokabe zu reden, statt immer nur über das allgemeine Geschehen in und um die Burg. Er klopfte leise an die Shoji und trat dann ein. Daran, dass keine Antwort kam, hatte er sich bereits gewöhnt und klopfte nur noch, damit Chosokabe wusste, dass er kam. Außer ihm und anfänglich noch Kisho kam niemand. Katsuragi hatte dies so angeordnet, denn anfänglich hatte der Fürst nicht einmal ihn sehen wollen und er wollte ihn nicht noch zusätzlich nerven, wenn ständig Diener um ihn herumwuselten. Chosokabe saß an die Shoji zur Terrasse gelehnt, sah jedoch nicht nach draußen. Katsuragi hingegen wagte den Blick auf den Garten. Das Gras wuchs zwischen den hellen Kieselsteinen hindurch, auf dem ungestutzten Rasen lagen bereits verwelkte Blätter und Blüten. Seit fast zwei Monaten wurde der kleine Garten nicht mehr gepflegt. Katsuragi schüttelte den Kopf. Wenn es in ihm genauso aussieht, wie in seinem Garten, dann ist hoffentlich noch nicht alles verloren... Er trat still an seine Seite und ließ sich ihm gegenüber nieder. „Aniki... Wir müssen unbedingt reden, bitte. Es kann so nicht weitergehen...“, sagte Katsuragi nach einer Weile. Doch der Fürst reagierte nicht. Er sah ihn nicht einmal an, stattdessen schaute er nun in den Garten. Katsuragi seufzte enttäuscht und betrachtete ihn dann einen Moment. Dann stand er auf und holte aus einer kleinen Kommode eine Haarbürste. Das Haar des Fürsten war zerzaust und Katsuragi mochte es nicht mehr sehen, wie er sich gehen ließ. Er kniete sich hinter Chosokabe und begann, ohne zu fragen, vorsichtig die hellen Haare zu kämmen. „Du kannst dich nicht so gehen lassen, Aniki...“, sagte er leise. Er entlockte dem Fürsten damit lediglich ein hörbares Ausatmen, was ihn jedoch endlich hoffen ließ, denn bisher hatte er überhaupt keine Reaktion erhalten. „Aniki... Was passiert ist, ist... schlimm genug. Ich weiß genau, wie sehr es dich schmerzt, aber mir tut das auch weh, wenn du dich so gehen lässt. Wenn ich dich jeden Tag dazu zwingen muss, zu essen, zu trinken... zu leben...“ Chosokabe senkte den Kopf. Eine weitere Reaktion, die bisher nicht vorgekommen war. „Auch wenn du dich so hängen lässt und es mir schwer fällt immer weiter zu machen... Ich werde nicht aufhören, jeden Tag zu dir zu kommen und dir alles zu erzählen und dich dazu zu bringen, zu essen und zu trinken. Wir sind schon seit Kindertagen gute Freunde, egal ob du Fürst bist oder nicht... Nie hat einer von uns den anderen hängen lassen.“ Katsuragi ließ die Bürste sinken. Es fiel ihm schwer, über seine Gefühle zu reden, die er die ganzen letzten Wochen mit keinem Wort erwähnt hatte. Er hatte trotz seiner Sorgen immer wieder den Alltag auf der Burg und im Dorf wiedergegeben, ohne den Fürsten mit seinen Gefühlen und Gedanken zu belasten. Doch es war kein Platz mehr für weitere Sorgen. Er musste endlich mit ihm darüber reden, statt es weiter totzuschweigen. Offenbar war es auch für Chosokabe an der Zeit, andere Worte zu hören. Er neigte den Kopf in die Richtung seines Freundes. Katsuragi hingegen war es inzwischen völlig egal, ob das, was er gleich tun würde, angebracht war oder nicht. Er legte die Arme um Chosokabes Schultern herum über dessen Brust und lehnte sich sanft an ihn. „Ich ertrage es nicht länger, dich so leiden zu sehen... Und ich ertrage dein Schweigen nicht länger... Bitte...“ Chosokabe seufzte und es war das erste Mal seit dem Ende der Schlacht, dass Katsuragi seine Stimme wieder hörte. Sie klang ein wenig heiser, aber das war ihm egal. Er schloss seine Arme ein wenig fester um ihn. „Hast du mir wieder den Jasmintee mitgebracht?“, fragte Chosokabe heiser. Katsuragi spürte, wie ihm brennende Tränen in die Augen stiegen. „Nein...“, schluchzte er. „Aber ich kann welchen bringen lassen.“ Chosokabe rührte sich endlich. Seine Hand legte sich kühl auf Katsuragis Arm und brachte ihn dazu, sich neben ihn zu setzen. Dann wischte er ihm die Tränen aus dem Gesicht. „Dann lass mir Papier, Pinsel und Tinte mitbringen.“ Katsuragi nickte, erhob sich und bat einen Diener, all das zu bringen. Dann setzte er sich sofort wieder zu Chosokabe, der ihm erneut die Tränen aus dem Gesicht wischte. „Warum weinst du?“, fragte er. „Weil ich wochenlang darauf gewartet habe... Ich bin wirklich erleichtert, dass du endlich mit mir sprichst...“ Chosokabe warf einen weiteren Blick in den Garten. „Weißt du... Es tut weh. Du bist der einzige der jeden Tag zu mir kommt und ich bin froh, dass du das machst. Und ich bin froh, dass du nicht ständig fragst, wie es mir geht und mit mich mitleidig betrachtest. Ich hatte befürchtet, dass so etwas passiert und das hätte ich absolut nicht ertragen. Aber... vielleicht hast du ja genau deshalb alle anderen von mir abgeschottet. Du hast gewusst, dass sie mich wohl mitleidig ansehen würden.“ Katsuragi brachte ein Lachen zustande. „Ja... so etwas habe ich schon geahnt. Vor allem aber war mir klar, dass du sowieso niemanden sehen wolltest also habe ich dem vorgebeugt. Aber du wirst nicht darum herumkommen, Aniki. Sobald du dich wieder den Leuten zeigst, werden sie dich mitleidig ansehen.“ „Ich will das nicht. Ich leide schon genug, findest du nicht? Da brauch ich nicht noch das Mitleid anderer...“ Katsuragi senkte den Blick, doch Chosokabe hob seinen Kopf am Kinn wieder in Blickhöhe. „Dich meine ich damit nicht. Bei dir war es kein Mitleid mit mir. Du hast doch eben selbst gesagt, du hast unter meinem Schweigen gelitten. Ich verspreche dir, das ist jetzt wieder vorbei...“ „Ich hoffe doch. Weißt du wie schwer es inzwischen geworden ist, immer zu dir zu kommen und jeden Tag mit Gleichgültigkeit gestraft zu werden?“ „Gestraft? Das wollte ich nicht...“ Es klopfte leise und Katsuragi stand auf um den Tee sowie das Schreibzeug entgegen zu nehmen. Beides stellte er zwischen sich und Chosokabe ab. „Ich weiß, dass du es nicht wolltest.“ „Du bist wohl der einzige, der mich versteht... Es wird schwer werden, ihn loszulassen...“ „Das wird es wohl, aber...“ Chosokabe sah ihn fragend an. „Aber? Willst du mir etwas sagen?“ Wie gerne würde ich das... „Ich bezweifle, dass es angebracht ist. Du wolltest etwas schreiben?“, wich Katsuragi aus. „Ja, ich wollte einen Brief schreiben... An Motonari. Ich konnte ihm nicht alles sagen, was ich wollte... Aber du wolltest etwas sagen, oder täusche ich mich?“, sagte Chosokabe. „Es ist nicht angebracht... Du solltest den Brief schreiben und deinen Tee trinken...“ Der Fürst legte eine Hand an Katsuragis Wange. „Katsu... es ist mir egal, ob es angebracht wäre oder nicht... Sag schon, was du sagen wolltest.“ „Bitte... Ich bin froh, dass du wieder mit mir sprichst, aber bitte tu das nicht.“, sagte Katsuragi und schob seine Hand weg. „Verlang das nicht von mir...“, fügte er bittend hinzu, als er den fordernden Blick sah. „Ich möchte es wissen. Sag es mir oder muss ich es dir befehlen?“ „Das kannst du nicht...“ „Oh doch. Sag mir jetzt, was du sagen wolltest. Zwischen uns gibt es nichts, was unangebracht wäre, schließlich kennen wir uns seit wir Kinder sind.“, forderte Chosokabe und seit Wochen war endlich wieder Nachdruck in seiner Stimme zu hören. Katsuragi seufzte ergeben. Aus dieser Nummer würde er nicht mehr herauskommen, also konnte er ihm auch sagen, was er fühlte. „Weißt du... mit Nobuchika... Motonari... ist es mir erst wirklich klar geworden...“, begann er. „Und was?“ „Es war auch schon vorher so, aber... egal wie sehr du ihn noch liebst, wie oft du an ihn denkst und den letzten Monaten nachtrauerst... es... ändert nichts an meinen Gefühlen...“, sagte Katsuragi und wurde immer leiser. „Katsu... Willst du mir gerade sagen, dass...-“ „Ich dich liebe... Ja... So wie du Nobuchika liebst. Ich weiß, dass du es immer noch tust, aber ich will es auch gar nicht ändern. Ich möchte nicht, dass du dich verbiegst, nur weil du es jetzt weißt...“ „Du... sagst mir sowas und es ist dir egal, dass ich einen anderen liebe?“, fragte Chosokabe leicht verwirrt. „Ja, weil ich nicht erwarte, dass es uns zusammen führt. Solange dein Herz an Motonari hängt, wird das nicht passieren und ich verlange das auch gar nicht. Selbst wenn du ihn liebst und trotzdem zu mir kommst...“, sagte Katsuragi und stand auf. „W-Wo willst du denn jetzt hin?“ „Ich brauche frische Luft... Schreib deinen Brief an Motonari und vergiss den Tee nicht... sonst schmeckt er nicht mehr...“, erwiderte Katsuragi und verließ das Zimmer. „Ja aber du kannst doch jetzt nicht einfach gehen...“, widersprach Chosokabe. „Ich muss... Ich hab außerdem Kisho versprochen, ihn zu informieren, wenn sich etwas an deinem Zustand ändert. Er macht sich nämlich auch Sorgen um dich.“, sagte Katsuragi und ging. Chosokabe saß da und starrte auf die geschlossenen Shoji. Er ist wirklich der beste Freund, den ich haben kann... Ich kann es fast nicht glauben, dass es ihm egal wäre, wenn ich zu ihm käme aber niemals ihn sähe, sondern immer nur Motonari...   Katsuragi hastete den Gang hinunter und blieb am Ende des Gangs stehen. Erst jetzt ließ er es zu, dass wieder glühend heiße Tränen über seine Wangen rannen. Er hatte gesagt, dass es ihm egal sei, wenn Chosokabe zwar bei ihm wäre aber nur an Motonari denken würde. Aber wie lange er es aushalten konnte, das wusste er nicht. Wenn es dazu kommen sollte... hoffe ich doch eigentlich nur darauf, dass er irgendwann für sich damit abschließt und sich doch mir zuwendet...   Chosokabe wartete noch einen Augenblick, doch Katsuragi kehrte nicht zurück. Noch verwirrt trank er den Tee und tauchte dann den Pinsel in die Tinte. Es war an der Zeit, dass er Motonari davon überzeugte, dass sie beide von Okimoto belogen wurden und alles, wie es passiert ist, wahr gewesen ist. Kein Schauspiel, weder von ihm noch von Motonari. Und er musste ihm noch einmal sagen, dass sich an seiner Liebe zu ihm, nichts ändern würde. Auch wenn Katsuragi ihm gerade seine Gefühle offenbart hatte, er würde Motonari trotzdem nicht weniger lieben, als vorher...   Epilog: Tegami --------------     Es ist viel passiert. Und ich konnte dir nicht einmal alles sagen. Deine Frage nicht richtig beantworten. Ich konnte dir nur sagen, dass ich manchmal kein Fürst sein möchte. Ich wollte dir auch sagen, dass ich mich in deiner Nähe endlich einmal wie ein normaler Mensch fühlen konnte. Eben weil du nicht gewusst hast, dass ich der Fürst von Shikoku bin. Ich habe mich dank dir frei gefühlt. Und ich habe wirklich nicht gewusst, wer du warst, bis dein Bruder auftauchte. Ich hatte kurz darüber nachgedacht, weil es keine andere Erklärung für das kurze Auftauchen deines Vaters mit nur einem Schiff an unserer Küste gab. Diesen Gedanken verwarf ich wieder, denn ich wusste ja nicht einmal wie du oder dein Bruder aussahen. Und dass ich dich überhaupt mitgenommen, dir das Leben gerettet habe... Ich weiß nicht warum ich das getan habe, vielleicht war es Schicksal und es sollte so sein. Vielleicht sollte ich es sein, der dir das Leben rettet. Vielleicht solltest du es sein, der mir die Liebe zeigt... Trotz dessen, was wegen deines Bruders zwischen uns passiert ist... Ich liebe dich und so wird es bleiben. Auch wenn du mir ein Auge genommen hast, du warst verwirrt wegen deines Bruders und ich verzeihe es dir... Ich gehe davon aus, dass wir uns bald wiedersehen. Chosokabe Motochika Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)