Kaizoku no Kokoro von Rajani (Das Herz des Piraten) ================================================================================ Kapitel 15: Kaizoku no kokoro -----------------------------   Es dauerte, bis Chosokabe Katsuragis kühle Hand auf seiner Schulter endlich wahrnahm. Moris Worte und das Knallen der Shoji hallten noch immer in seinen Ohren. Nobuchika ist einer der Mori-Söhne... Motonari... Und alles, was er gesagt oder getan hat, soll gelogen gewesen sein? Das kann ich nicht glauben... „Aniki... Komm. Er wird nicht lange auf sich warten lassen. So weit entfernt sind sie nicht, wie ich erfahren habe... Er wird bald wieder hier sein, wir müssen die Männer bereit machen.“, sagte Katsuragi mit sanftem Druck auf Chosokabes Schulter. „Katsu?“ „Ja?“ „Hattest du jemals das Gefühl, dass Nobuchika uns allen etwas vorgespielt hat?“, fragte Chosokabe. Katsuragi überlegte einen Moment. „Nein... Eigentlich nie... Aber sollte es so gewesen sein, dann hat er es unglaublich gut gemacht...“ Chosokabe stand auf. „Und genau deshalb glaube ich diesen Schwachsinn auch nicht! Er kann das nicht monatelang alles gespielt haben! Nicht so lange, ohne dass es irgendwie auffällt. Er hätte nie Gelegenheit gehabt, irgendwann irgendwo einen Boten zu treffen. Er war nie allein, einer von uns war immer bei ihm und draußen stehen genug Wachen, die ihn gesehen hätten.“ Katsuragi nickte. „Und trotzdem kannst du nicht bestreiten, dass er Mori Motonari sein muss. Für einen Soldaten war er zu... nun ja, zart ist vielleicht die falsche Beschreibung...“ „Das ist vielleicht das einzig Wahre an dieser ganzen Geschichte, die dieser Möchtegern-Fürst uns da aufgetischt hat.“ „Und leider auch das größte Problem.“, fügte Katsuragi hinzu. „Warum?“ Katsuragi bedachte den Fürsten mit einem mitfühlenden Blick. „Naja, das kommt darauf an, was Motonari für eine Version zu hören bekommt oder bekommen hat. Wenn diese hier schon gelogen war – warum sollte dieser Möchtegern-Fürst, wie du ihn nennst, dann ausgerechnet seinem Bruder die Wahrheit sagen?“ „Weil sie Brüder sind?“, meinte Chosokabe und runzelte fragend die Stirn. „Genau deshalb eben nicht. Denk mal drüber nach, es war nicht der alte Mori, sondern sein ältester Sohn, der sich selbst mit dem Fürstentitel angemeldet hat. Das bedeutet, dass der Alte entweder verhindert oder womöglich schon tot ist. Und das wiederum heißt, dass zwischen den Brüdern vermutlich der Kampf um die Clanfolge begonnen hat. Wenn nicht schon all die Geschehnisse der letzten Monate dazu gehört haben...“, erklärte Katsuragi. „Aber wenn er der ältere Sohn ist... und Motonari der Jüngere... Wieso macht er das dann? Er wäre doch sowieso der Nachfolger.“, entgegnete Chosokabe, „Nun ja... Das weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. So gesehen hätte er keinen Grund dazu, aber es muss einen geben. Vielleicht will er seinen Bruder sofort loswerden, ohne darauf zu warten, dass er ihm irgendwann die Clanfolge streitig machen wird. Oder es gibt noch einen anderen Grund. Vielleicht hat der alte Mori bestimmt, dass der jüngere Sohn die Clanfolge übernehmen soll.Was auch immer es ist, es ist Grund genug für ihn, seinen Bruder in diesen schmutzigen Kampf zu ziehen... Und uns gleich mit. Zwei Fliegen mit einer Klappe sozusagen.“, erklärte Katsuragi. Chosokabe war überrascht, dass sein Freund und General nicht nur strategisch ein Meister seines Fachs war, sondern auch eine derartige Weitsichtigkeit hatte. „Vielleicht hast du Recht. Was auch immer er vorhat, es geht uns und Motonari zu Lasten...“ Dann stand er auf und gemeinsam gingen sie, um die verbliebenen Soldaten zu mobilisieren, die noch stehen und eine Waffe halten konnten.   Es war fast Mittag. Die Sonne brach in sanften Strahlen durch das Blätterdach aus Kirschblüten über ihren Köpfen. Chosokabes leicht dezimierte Armee stand auf dem menschenleeren Festplatz, auf dem gestern noch fröhlich das Hanami gefeiert wurde. Heute jedoch zeigte sich das Ausmaß des gestrigen Überfalls. Die Verkaufshütten lagen fast alle in Trümmern. Bunte Leinen, Lampignons und verwelkte Blumen lagen zerfetzt auf einem Teppich schmutziger zertrampelter Kirschblüten, vermischt mit dunklem Sand. Ihre schöne zarte Farbe hatte jetzt die des Schmutzes angenommen: braun und teilweise sogar schwarz von geronnenem Blut. Und dann kamen sie. In dem ganz und gar nicht passenden, von den Blüten rosa schimmernden Sonnenlicht, ritt der Feind heran. An der Spitze die Mori-Söhne. Chosokabe schluckte schwer. Der Anblick des jüngeren, seines Nobuchikas, in dieser waldgrünen Rüstung war wunderschön aber verstörend zugleich. Denn Nobuchika war ab jetzt Mori Motonari und damit sein Feind. Der Gedanke schmerzte, doch eine Wahl hatte er nicht. Nicht als Fürst von Shikoku. Er schluckte den Schmerz hinunter und fixierte stattdessen den Bruder, der sich selbst bereits als Fürst betrachtete. Dessen Gesichtsausdruck zeugte von Überheblichkeit, während Motonari grimmig wirkte. Es war Katsuragi, General in Diensten des Fürsten Chosokabe, der ein paar Schritte nach vorn ritt. Dies hatten sie vereinbart, da Chosokabe nicht Motonari gegenübertreten wollte. Zumindest nicht auf diese Art. Beim Feind war es der selbsternannte Fürst Mori höchstpersönlich, der ihm bis in Hörweite entgegenritt. Choskabe hörte hämische und überhebliche Wort von ihm. Katsuragi hingegen entgegnete ihm ruhig und gelassen und ritt dann zurück. Mori Okimoto tat es ihm mürrisch gleich. Sowohl Chosokabe und Katsuragi, als die Mori-Brüder zogen sich zurück und gaben den Befehl zum Angriff. Wortlos gaben sich Chosokabe und Katsuragi ein Zeichen und jeder ritt auf einen der sich gegenüber liegenden Hügel, sodass sie von zwei Seiten aus das gesamte Geschehen beobachten und den jeweils anderen ebenfalls sehen konnten. Beide spähten hinunter auf die beginnende Schlacht. Chosokabe beobachtete konzentriert, wie die Frontlinien sich innerhalb kürzester Zeit immer wieder vor und zurück schoben – geschuldet der Taktik des Nachrückens. Vielleicht sollte er sich bald etwas neues einfallen lassen. Doch er wäre ja kein Pirat, wenn er nicht mindestens eine Überraschung parat hätte. Als gab er ein Zeichen, dass er mit Katsuragi und zwei weiteren Männern genau abgesprochen hatte. Katsuragi sah es und tat es ihm gleich. Nur Sekunden später stürmten aus den Büschen im angrenzenden Wald Männer hervor und auf die feindlichen Soldaten. Es waren bis an die Zähne bewaffnete Dorfbewohner und sie brachten die Mori-Soldaten völlig aus dem Konzept. Da der Überraschungsangriff den gewünschten Erfolg gebracht hatte, hielt Katsuragi nun Ausschau nach den Brüdern. Doch er konnte sie nirgendwo entdecken. Sein Verstand schrie nach einer Falle, die gerade zuschnappte, doch wo konnten sie sein? Hektisch suchte er die Ränder des Schlachtfeldes ab. Dann endlich sah er Okimoto. Er stand schräg gegenüber und warf einen heimtückischen Blick auf einen Weg, der zwischen den Bäumen entlang zum Hügel führte. Katsuragi erkannte den Weg. Dort ist Aniki mit Nobu-... Motonari vorgestern auf den Hügel gegangen. Einen anderen Weg gibt es nicht, jedenfalls keinen, der nicht zugewachsen ist. Was hat er vor? Sein Blick raste zum Hügel hinauf, wo Chosokabe stand. Doch es war außer ihm niemand zu sehen. Plötzlich hörte er hinter sich ein leises Rascheln. Er zog hastig das Katana und in der selben Bewegung drehte er sich um, zum Angriff bereit. Er sah sich einem alten Mann in einer ebenso alten Rüstung gegenüber, der rasch die Hände abwehrend hob. Katsuragi sah sofort, dass er zum Feind gehörte. „Bitte! Hört mich an, bevor Ihr mich tötet!“, bat er und bemühte sich, leise zu sein. Katsuragi runzelte die Stirn. Was soll das werden? Er ließ zögerlich das Katana etwas sinken, aber nur soweit, dass er jederzeit noch einen Angriff abwehren konnte. „Redet.“ „Ihr solltet auf Euren Fürsten acht geben. Ich konnte es nicht mehr aufhalten.“ „Was aufhalten? Wovon redet ihr?“ „Mein Herr... Meister Okimoto, hat das alles geplant. Alles, was seit dem Kampf auf Oshiba-shima passiert ist, hat ihm im Kampf um die Clanfolge in die Hände gespielt. Seine einzigen Handgriffe waren das Einschleusen des jungen Herrn Motonari in den Kampf und...“, begann der Alte und sah an Katsuragi vorbei. „Und was?“, zischte Katsuragi. „Und sein Intrigieren zwischen seinem Bruder, dem jungen Herrn Motonari, und Eurem Fürsten... Sein einziges Ziel ist es, allein die Clanfolge anzutreten. Idealerweise sollte das Reich Eures Fürsten gleichsam in seine Hände übergehen...“ Erneut zog Katsuragi eine Augenbraue hoch, doch dann schien er langsam zu verstehen. „Ihr versteht mich also...“, meinte der Alte. „Aber er ist der Ältere... Hätte er nicht sowieso das Recht die Clanfolge anzutreten? Wozu dann dieses Schauspiel?“, fragte Katsuragi. Der Alte lachte ein freudloses Lachen. „Nein... eben nicht. Er ist zwar der Sohn des Fürsten Mori und auch älter als der junge Herr Motonari... aber seine Mutter war nicht von Stand. Sie gehörte nicht zum Hof, eine Dirne aus dem Dorf. Der junge Herr hingegen ist der Sohn des Fürsten und seiner Frau. Demzufolge ist es ihm beschieden, die Clanfolge anzutreten und so wurde es auch festgelegt... Natürlich passt das seinem älteren Bruder nicht. Ihr könnt Euch wohl selbst vorstellen, warum der Fürst nicht erschienen ist, sondern sein ältester Sohn.“ Katsuragi antwortete nicht. Sollte ihn das hinhalten? Oder war er einfach so, dass er Informationen nur häppchenweise preisgab? „Er hat ihn vergiftet noch bevor wir an Land gingen. Blei. Und nun setzt er darauf, dass der junge Herr Motonari und Euer Fürst sich gegenseitig umbringen.“ Katsuragis Hand schloss sich fester um das Heft des Katana. Er war erstaunlicherweise wenig überrascht. Er hatte beinahe mit so etwas gerechnet. „Er muss auch ihm Lügen aufgetischt haben... Euer junger Herr glaubt ihm hoffentlich kein Wort!“ „Leider doch...“ Katsuragi wandte sich hastig um und entdeckte auf dem gegenüberliegenden Hügel den jüngeren Mori-Sohn, der bis gestern Abend noch Nobuchika gewesen war. Chosokabe schien ihn bemerkt zu haben und drehte sich ebenfalls zu Mori Motonari um. Katsuragi schluckte schwer. Was ist nun wahr? Hat Motonari uns etwas vorgespielt oder hatte er wirklich sein Gedächtnis verloren? Sagt der Alte die Wahrheit und dieser Okimoto führt hier Regie? Ich muss zu Motochika! Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass Motonari sich nicht von seinem Bruder beeinflussen lässt! Er sah nach unten in das Schlachtgetümmel. Es würde ihn Zeit kosten, aber er musste sich dort durch kämpfen, denn um die Soldaten herum zu laufen würde noch mehr Zeit kosten – und die hatte er nicht mehr...   Motochika beobachtete die sich ständig verschiebende Frontlinie, als er hinter sich das Rascheln von Blättern hörte. Katsuragi konnte es nicht sein, der stand auf der anderen Seite. Also konnte es nur einer der beiden Brüder sein. Er drehte sich hastig um und atmete erschrocken tief ein. Ihm gegenüber stand- „Nobuchika!“, japste er erleichtert. Doch dieser sah ihn ausdruckslos an, bevor er reagierte. „Tu nicht so scheinheilig!“ „Was? Wie bitte?“, fragte Motochika verwirrt. „Du weißt genau, was ich meine!“ „Nein... Das weiß ich nicht. Was ist los mit dir?“ Motonari kam einen Schritt näher, sodass die grüne Rüstung im Sonnenlicht glänzte. „Was mit mir los ist? Ich erinnere mich endlich wieder! Aber scheinbar muss ich dir ja nichts mehr sagen!“ Motochika sah ihn völlig verwirrt an, doch er war nicht in der Lage zu denken. Die Worte des Jüngeren ergaben keinen Sinn. Warum sollte er mir nichts mehr sagen müssen? Ich verstehe gar nichts mehr... „Du wusstest doch alles! Du wusstest doch ganz genau, wer ich bin!“, zischte Motonari wütend. „Nein... Ich wusste das nicht.“, sagte Motochika mit einem verständnislosen Blick. „Lüg mich nicht schon wieder an!“ „Ich lüge dich nicht an. Und was heißt 'schon wieder'?“ „Du hast mich doch die ganze Zeit angelogen! Du hast mir nicht gesagt, wer ich wirklich bin! Und wer du bist, das hast du mir auch die ganze Zeit verschwiegen!! Du hast mir ja nicht einmal ehrlich gesagt, dass ich aus Aki stamme!“ Motochika schüttelte den Kopf. Das lief alles völlig schief. Er wusste, dass Motonaris Bruder ihm eine Lüge aufgetischt haben musste und es umgekehrt genauso gelaufen sein musste. Aber dass Motonari seinem Bruder offenbar glaubte, damit hatte er nicht gerechnet. Zumindest hatte er gehofft, dass das nicht passieren würde. „Weil ich es nicht wusste.“, sagte er. Motonari ließ ein abfälliges, ungläubiges Schnauben hören. „Wir konnten alle nur Vermutungen anstellen. Wie Kisho, der ja von Anfang an behauptet hat, du wärst ein Mori-Soldat! Aber wie hätte ich das bedingungslos glauben sollen? Deine Rüstung war mit Blut und Dreck besudelt und sah fast genauso aus, wie die meiner eigenen Männer! Der einzige Grund, warum du zu Mori hättest gehören sollen, war der, dass dich niemand meiner Leute kannte! Was mich aber trotzdem nicht davon abhielt, dir das Leben zu retten! Ich hätte dich auch ins Meer werfen können, wie Kisho gesagt hat. Der hat dir nämlich fast gar keine Überlebenschancen ausgerechnet!“ „Das ändert nichts an der Tatsache, dass du mir verschwiegen hast, dass ich ein Mori bin und du Fürst Chosokabe!“, fauchte Motonari. „Verdammt, ich wusste nicht, dass du ein Mori bist!“ Motonaris Blick verfinsterte sich. „Hör auf zu lügen...“ Genauso wie Motonari hatte auch Motochika langsam genug. „Wenn ich die ganze Zeit lüge... was ist dann mit dir? Wer sagt mir denn, dass nicht du mich die ganze Zeit belogen hast? Uns allen nur vorgespielt hast, dass du dein Gedächtnis verloren hast? Wer kann mir garantieren, dass du nicht irgendwann unbeobachtet Boten zu deinem Bruder geschickt hast, damit er weiß, wann er hier auftauchen kann? Damit er weiß, wann ich verliebt genug bin, um jede Vorsicht fahren zu lassen? Sag's mir!“ „Fang jetzt nicht an, die Tatsachen zu verdrehen! Du warst es, der mich belogen und benutzt hat! Nicht ich!“, schrie Motonari wütend. „Benutzt?“, hakte Motochika stirnrunzelnd nach. „Was soll es denn sonst gewesen sein?! Kaum außer Lebensgefahr war ich doch das perfekte Druckmittel gegen meinen Vater, das du haben konntest!! Du musstest doch nur noch warten, dass er hier auftaucht! Und damit ich mich in der Zwischenzeit nicht erinnere: Bloß keine Namen nennen!“ Wieder schüttelte Motochika den Kopf. „Was hat dein Bruder dir nur erzählt? Hast du allen Ernstes die Wochen hier mit uns, bevor du dich wieder erinnert hast, völlig vergessen?“ „Ich habe das nicht vergessen... Motochika...“, antwortete Motonari und die Betonung seines Namens klang nicht gerade wohlgesonnen. „Mein Bruder hat mir das alles nur aus einem völlig neuen Blickwinkel gezeigt und mir die Augen geöffnet!“ Motochika trat seufzend einen Schritt vor, doch Motonari ging sofort in Angriffsstellung. „Er hat dir nicht die Augen geöffnet, er hat dir eine Lügengeschichte erzählt!“ „Es reicht! Halt den Mund!“, brüllte Motonari und stürmte, die Vollmond-Klinge voran, auf Motochika zu. Motochika ging in Abwehrhaltung und sein Hand schloss sich fest um den langen Griff seiner Ankerwaffe. Motonaris Waffe geriet jedoch so in einen Sonnenstrahl, dass ihr Schein gleißend hell reflektierte und ihn blendete. Er war gezwungen, kurz die Augen zu schließen und zu blinzeln und somit Motonari für eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Eine Sekunde, die für Motonari ausreichte, um Motochika trotz der Abwehrposition zu treffen. Der Schmerz schoss wie ein glühendes Schwert sofort in seine linke Gesichtshälfte und fast sofort nahm er hintergründig den Ruck der sich entfernenden Klinge wahr. Er sah in Doppelbildern Motonaris Rundklinge vor sich, von der Blut tropfte. Sein Blut. Mit lautem Brüllen sank er auf die Knie. Seine linke Hand presste er heftig atmend auf die Wunde, doch er wusste bereits, dass es nur wenig bringen würde. Die rechte griff ins Gras und die Finger bohrten sich in die trockene feste Erde unter dem Grün, während der Schmerz wie ein Schmiedehammer in seinem Kopf dröhnte. Es betäubte seine Sinne zunehmend. Motonari, der direkt vor ihm stand, begann allmählich zu verschwimmen. Doch er konnte und wollte ihn nicht einfach so gehen lassen – es war noch nicht alles gesagt. „Du hast mich benutzt und obendrein auch meine Ehre in den Dreck gezogen! Dafür wirst du bezahlen!“, hörte er Motonari sagen, während dieser für den Todesstoß wieder ein paar Schritte rückwärts ging. Motochika zwang sich, heftig atmend, aufzustehen. Es kostete ihn alle Anstrengung, dazu auch noch seine Ankerwaffe fest in der Hand zu halten und er taumelte wie benommen. Er nahm verschwommen wahr, dass Motonari seine runde Klinge positionierte und stürmte brüllend vor. Motonari hingegen war so überrascht, dass seine Waffe ins Schlingern geriet. Als Motochika ihn erreicht hatte und Motonari erschrocken nach Luft schnappte, schnappte seine Klinge gleichzeitig durch das Schlingern wie eine Falle zu. Beide waren im Inneren Ring der Waffe eingeschlossen, welche in Motochikas Ankerwaffe auch noch fest verhakt war. Motonari war für eine Sekunde verärgert, doch als er Motochikas überraschend feste Griffe an seinem freien Handgelenk und seinem Nacken spürte, wich der Ärger rasch der Angst. Ein Schauer jagte ihm über den Rücken, als Motochika seinen Kopf so dicht an den eigenen zog, das Motonari die blutverschmierten Haare an seiner Stirn spürte und die schreckliche Wunde sah, die unaufhörlich blutete. Er schluckte schwer und zwang sich, auf Motochikas unverletzte Gesichtshälfte zu schauen. Er begegnete einem glasigen Blick, der ihn jedoch entschlossen fixierte. Motonari versuchte vehement sich zu befreien, oder die Klinge zu bewegen, doch es ging nicht. Dann hörte er Motochikas Stimme nahe an seinem Ohr. „Du vergisst... ein Detail... Hätte ich... von Anfang an gewusst,... wer du bist... dann hätte ich dich... gar nicht erst mitgenommen... Ich hätte dich dort... liegen gelassen... dich einfach sterben lassen...!“ Motonari schluckte. „...hab ich aber nicht... Und ganz egal, was du... denkst, fühlst, tust... oder getan hast...“, ein schmerzverzerrtes Lächeln umspielte seine Lippen. „... dein Herz... gehört trotzdem mir... Und meines... dir... Nur zu,... erlöse mich... Dann ist es endlich vorbei... Aber es ändert nichts daran,... dass ich dich liebe...“ Motonari zögerte eine Sekdunde, bevor er etwas sagte. „...Wenn das so ist,... warum hast du mir nicht gesagt, dass du der Fürst von Shikoku bist?“, knurrte er zittrig. „Weil ich... manchmal... kein Fürst sein will...“, antwortete Motochika leise. Motonari hörte wie Motochikas Atem schwerer ging und sein Druck nachließ und riss sich los. Der Fürst von Shikoku verlor den Halt und seine Ankerwaffe und sank schwer zu Boden. Motonari sah auf ihn herab und tat langsam ein paar Schritte rückwärts, bevor er in den Wald zu seinem Pferd flüchtete und hastig davon ritt. Und dann erst hörte er erneut die schrecklichen Schmerzensschreie Motochikas, doch er ritt weiter. Eine Sache musste er dringend noch klären.   Katsuragi hatte noch ein paar Sekunden innegehalten und die Szene beobachtet. Währenddessen war der Alte wieder verschwunden. Katsuragi hatte den Angriff und wie Chosokabe in die Knie gegangen war beobachtet. Dann ging es plötzlich ganz schnell. Chosokabe war auf Motonari zugestürzt und als wäre die Zeit stehen geblieben, waren sie so einen Moment lang verharrt gewesen, bis Motonari sich lösen konnte und geflüchtet war. Das war der Moment gewesen, in dem sich Katsuragi aus seiner Starre losreißen konnte und in Windeseile auf die Schlacht zurannte. Wie ein Berserker kämpfte er sich durch die Reihen der Soldaten und verschwendete keinen einzigen Gedanken daran, ob er gerade Freund oder Feind getroffen hatte. Die markerschütternden Schreie des Fürsten waren alles, was er hörte und der zielführende Weg alles, was er sah. Seine Beine schmerzten bereits, als er das Getümmel hinter sich ließ und auf den Pfad zulief. Kaum, dass er ihn erreicht hatte, ritt ihm Motonari entgegen. Die Sekunde, in der sie sich ansahen, kam Katsuragi wie eine Minute vor und er konnte dessen Blick nicht deuten. War es Hass, Bedauern, Gleichgültigkeit? Er dachte nicht weiter darüber nach und rannte weiter den Hügel hinauf. Dort sah er Chosokabe auf dem Boden hockend, laut brüllend vor Schmerz und immer wieder auf den Boden einschlagend. „Motochika!“, japste Katsuragi und eilte an seine Seite. „Aniki...“ Motochika krallte sich mit der rechten Hand in den Boden, den er zuvor mit der Faust maltretiert hatte und presste die andere fest auf die blutende Wunde im Gesicht. Katsuragi ahnte Schlimmes und schüttelte flehend den Kopf, als würde dies etwas an der Wahrheit ändern. Nein, nein, nein... „Kisho...“, flüsterte er und wandte sich dem Getümmel unter ihnen zu. „KISHOOOOO!!“, brüllte er mit vor Angst fast versagender Stimme. Doch er konnte keine Bewegung, kein graues Haar ausmachen, was auf Kisho deutete, der zu ihnen kommen würde oder zumindest ein Zeichen gab. Mit zitternden Händen zog er den Fürsten auf die wackligen Beine und mühsam setzten sie sich in Bewegung zur Burg. Katsuragi war sofort klar, wenn Kisho nicht mehr in der Nähe des Schlachtfeldes war, dann konnte er nur innerhalb der Burgmauern sein und die ersten Verletzten betreuen. Es würde ihn Zeit kosten, mit Chosokabe zur Burg zu kommen, denn sie kamen nur langsam voran, aber eine andere Wahl hatte er nicht. Er konnte Chosokabe nur noch auf seinen Rücken hieven und dadurch schneller laufen. Und das machte er dann auch, denn sonst würde der Fürst zu viel Blut verlieren.   Motonari wusste genau, wo sein Bruder auf ihn warten würde und ritt sofort zu der kleinen Lichtung, von wo aus sie ihre Männer im Blick hatten. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte er, dass ihre Soldaten immer weiter zurückgedrängt wurden, doch es war ihm in diesem Augenblick völlig egal. Als er die Lichtung sah, hob er sich aus dem Sattel und schwang das rechte Bein auf die linke Seite. Er saß locker mit beiden Beinen auf der linken Seite und sprang leichtfüßig vom Sattel, als er die Lichtung erreicht hatte. Kaum, dass seine Füße den Boden berührten, stürmte er auf seinen Halbbruder los, der sich gerade lächelnd zu ihm umwandte. Dessen Lächeln gefror jedoch sofort, als er mit der Klinge seines Halbbruders am Hals mit dessen Schwung rückwärts taumelte, bis er gegen einen Baumstamm prallte. Kirschblütenblätter rieselten ihnen auf die Köpfe. Okimoto schluckte schwer und spürte dabei, wie sein Kehlkopf die scharfe Klinge berührte. „Was machst du da?“, fragte er unsicher. „Meinen Platz einnehmen.“, knurrte Motonari. „Wie... soll ich das verstehen?“ „Oh, ich glaube, du verstehst ganz gut! Gib es zu, du hast das ganze Theater hier doch nur geplant, damit du die Clanfolge übernehmen und Fürst von Aki werden kannst! Und dir nebenbei auch gleich noch Shikoku einverleiben kannst!“ Okimotos Blick verfinsterte sich und ein vorsichtiges Lächeln tauchte auf seinen Lippen auf. „Wenn du das so siehst...“ Bevor Motonari etwas antworten konnte, tauchte Sano neben ihnen aus dem Gebüsch auf. Okimoto reagierte sofort. „Sano! Hilf mir! Du kannst doch nicht zulassen, dass er mich umbringt!“, bettelte er. Die Quittung dafür spürte er sofort an seiner Kehle, wo Motonaris Klinge ihn ganz leicht in die Haut ritzte. „Warum sollte er?“, meinte Motonari. Okimoto witterte seine Chance. „Weil ich seine Tochter und ihr Kind habe...“ Aber Motonari reagierte nicht darauf. Schließlich wusste er bereits von diesem hinterhältigen Schachzug seines Halbbruders. Allerdings wusste er nicht, was Sano nun tun würde. Also schaute er zu dem alten Mann und wartete ab, wie er sich entscheiden würde. Motonari oder Okimoto? „Ich kann euch nicht helfen.“, antwortete Sano an Okimoto gewandt. „Wie bitte?“, schnappte Okimoto. „Ich kann es nicht.“, wiederholte Sano und sprach dann weiter. „Meine Aufgabe ist es, dem Fürsten zu dienen... Und das seid Ihr nicht. Euer Vater hat dies nicht gewollt. Allzu verständlich, wie ich finde. Immerhin seid Ihr weder Sohn einer Hauptfrau, noch irgendeiner Frau der Burg Eures Vaters. Im Gegensatz zu Eurem jüngeren Bruder. Euer Vater hat von Anfang an verfügt, dass der junge Herr Motonari die Clanfolge übernehmen wird.“, erklärte Sano und beobachtete dabei die Gesichter der Halbbrüder. Motonari wirkte zwar leicht überrascht, aber kühl. Offenbar wusste er nicht, dass die Mutter Okimotos überhaupt nicht zum Hof gehört hatte. Allerdings schien es ihm auch gänzlich egal zu sein. Okimoto hingegen stieg die Zornesröte ins Gesicht und sein Atem verwandelte sich in ein wütendes Schnauben. Er wollte sich befreien, doch mit der Klinge an der Kehle war dies schwieriger als er gedacht hatte. Mit einem blutenden Schnitt, der aber nicht tief genug war, um tödlich zu sein, gelang es Okimoto sich zu befreien. Er stand jedoch nun mit dem Rücken zu Sano, die eigene Waffe auf den wenig beeindruckten Motonari gerichtet. „Was willst du damit noch erreichen? Mich aufspießen?“, fragte Motonari gelangweilt, ging rückwärts und in Abwehrhaltung. Okimoto knurrte wütend, dann stürmte er vor. „Ich bin der Fürst!“, brüllte er. Ihre Waffen klirrten hell, als sie aufeinander trafen. Motonari parierte mit seiner doppelt so großen Klinge mühelos jeden Angriff. Zumindest, bis Okimoto eine winzige Lücke entdeckte und mit seinem scharfen Katana Motonaris linke Seite erwischte. Der Kampf geriet für eine Augenblick ins Stocken, denn Motonari hatte mindestens genauso schnell reagiert und das kleinere Katana mit seiner Rundklinge verkeilt. Er warf Okimoto einen wütenden Blick zu, als der Schmerz unterschwellig hervordran. In einem Zug löste er ihre verkeilten Klingen und die runde Vollmond-Klinge raste direkt auf Okimoto zu. Sano konnte gar nicht so schnell schauen, wie Okimoto in diesem kurzen Kampf den Tod fand. Und er wusste ganz genau, die entsetzten aufgerissenen Augen in dem Gesicht zu seinen Füßen, würden ihn noch lange verfolgen...   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)