Kaizoku no Kokoro von Rajani (Das Herz des Piraten) ================================================================================ Kapitel 12: Kogeki ------------------   Als Nobuchika am Morgen darauf erwachte, war Motochika nicht neben ihm. Offenbar hatte er länger geschlafen als die Tage zuvor. Was wohl nicht verwunderlich war, wenn er bedachte, dass er letzte Nacht wieder einmal einen dieser Träume gehabt hatte. Trotzdem konnte er den letzten Traum nicht zuordnen. Ihm wollte einfach nicht einfallen, wer der alte Mann war. Seufzend stand er auf und zog sich an. Gerade als er fertig war, kam Motochika über die Terrasse in das Zimmer. „Du bist schon wach?“ „Gerade eben.“, lächelte Nobuchika. „Gut, dann komm mit in den Garten.“ Nobuchika nickte und folgte ihm. In dem kleinen Garten mit dem Teich am Ende war nichts anders, als sonst. Doch als er sich umdrehte und auf die Terrasse sah, lagen dort zwei Bokuto. „Was hast du denn damit vor?“, fragte Nobuchika. „Das ist die Überraschung. Was hältst du von einem Trainingskampf? Für dich ist es doch schon eine ganze Weile her, nehme ich an.“, sagte Motochika und nahm die Bokuto auf. Eines warf er Nobuchika auf, der es geschickt auffing. „Wenn du den Schwertkampf einmal erlernt hast, vergisst du das nicht einfach. Das solltest du also trotz allem noch können, auch wenn du im Moment nicht weißt, wer du bist.“, sagte Motochika lächelnd und ging in Position. Doch Nobuchika ließ ihn warten. Schließlich wurde kein Trainingskampf einfach aus dem Nichts begonnen. Er hielt das Bokuto waagerecht vor sich und betrachtete es musternd. Mit der rechten Hand hielt er den Griff fest, mit der linken strich er über das Holz. Die hölzerne Schneide war mindestens dreimal so breit aber genauso lang wie ein Katana. Dafür aber umso stumpfer. Was bei einem Katana eine tödlich scharfe Klinge war, war bei einem Bokuto eher rund. Nur die Spitze war tatsächlich etwas gefährlicher, da sie doch etwas scharfkantiger war. Langsam fuhr seine Hand über das sorgsam glatt geschliffene Holz. Es war offensichtlich ganz neu, denn es war absolut kein Span, kein Splitter, keine Delle zu finden. Es war noch nie benutzt worden. Seine Hand fuhr von der Spitze zurück zum Griff. Motochika beobachtete ihn dabei. Es war interessant, wie Nobuchika das Bokuto betrachtete. Wie seine Hand das Holz fühlte, als wäre es seine Haut. Er schluckte, doch bevor seine Gefühle den Trainingskampf vorzeitig beendeten, schaltete sich sein Kopf ein. „Dann lass uns anfangen!“, sagte er und riss fast im selben Moment das Bokuto über seinen Kopf und stürmte los. Nur einen Wimpernschlag später zog Nobuchika sein Bokuto nach rechts in die Höhe. Es ertönte ein heller Klang, als die Hölzer aufeinander trafen und für einen Augenblick vibrierten sie. Als Nobuchika den wachsenden Druck wahrnahm, schob er sein Bokuto mit höherem Druck gegen Motochikas und nach rechts in Richtung des Rasens. Er spürte sofort, dass Motochika seinen nächsten Zug machen wollte und drängte ihn dann mittig wieder nach oben. Die Bokutos rieben scharrend aneinander. Der Klang war nichts im Vergleich zu den Katanas, deren Sirren hell und klar klang. Hätten sie solche Katanas benutzt, wäre Nobuchikas Klinge gefährlich nahe an Motochikas Hand gelangt. Hastig zog Motochika sein Bokuto noch höher, woraufhin Nobuchika einen Schritt rückwärts ging. Ihre Bokuto kreuzten sich nun an der Spitze und beide standen sich in der gleichen Position gegenüber. Motochika zeigte ein Lächeln. „Gut. Sehr gut.“, sagte er anerkennend. Sein Gegenüber ließ ein kaum merkliches Lächeln sehen. Dann sprang er noch einen Satz zurück und die Bokuto lösten sich voneinander. Nobuchika verlagerte sein Gewicht ein wenig nach hinten in einen tieferen Stand, das Bokuto hielt er entschlossen in Motochikas Richtung. Katsuragi trat leise an die Shoji heran und hielt sich zurück. Er wollte sie nicht stören. Er selbst hasste es, wenn man sein Training unterbrach, also schaute er nur stillschweigend zu. Nur Sekunden später setzten sie sich wieder in Bewegung. Es war kaum auszumachen, wer angefangen hatte. Die Bokuto schlugen gegeneinander und es klang wie ein Trommelrhythmus. Katsuragis Blick war so geschärft, dass er selbst die abgerissenen Grashalme wahrnahm, die unter den Füßen der beiden in alle Richtungen wirbelten. Während Nobuchika mit heftigen Schlägen Chosokabe rückwärts drängte, fegte er einige kleine Ahornblätter von ihren Stängeln. Doch er wurde kurz darauf wieder zurückgedrängt. Ihre Hakama bauschten sich auf, wie Segel und fielen wieder in sich zusammen. Katsuragi schluckte. Die beiden waren beinahe gleich stark, wenngleich bei Nobuchika langsam zu bemerken war, dass er aus der Übung war. Was nicht verwunderlich erschien, wenn man die lange Zeit bedachte, in der er nicht trainieren konnte. So war es auch nicht verwunderlich, dass Chosokabe letztlich den Sieg davon trug und die Spitze seines Bokutos auf Nobuchikas Brust zum Stillstand kam, die sich heftig hob und senkte. „Das hast du gut gemacht. Ich bin überrascht, wenn man bedenkt, wie lange du außer Gefecht warst... Ich glaube, unser Zuschauer sieht das genauso.“, sagte Chosokabe und warf Katsuragi einen Blick zu, der halb hinter den Shoji stand. Nobuchika drehte sich um und sah ihm direkt in die Augen. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Und? Siehst du es auch so?“ Katsuragi trat auf die Terrasse und nickte. „Allerdings. Ich habe es ja nun mit angesehen und mit solch einer Leistung hätte ich wirklich nicht gerechnet.“ Nobuchika senkte lächelnd den Blick und murmelte ein Danke. Chosokabe legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Aber ich glaube, bevor wir auf das Fest gehen, ruhst du dich nochmal aus und wir essen vorher etwas. Sonst kriege ich wieder Ärger mit Katsuragi, wenn ich nur Dangos esse.“ Katsuragi grinste und dann mussten alle drei lachen.   Es war früher Nachmittag, als sie erneut gemeinsam zum Dorf gingen. Dort wurde wieder Musik gespielt, an fast jeder Ecke waren Süßigkeiten zu bekommen und in der Mitte des Geschehens versuchten einige Kinder mit Hilfe ihrer Eltern kleine Fische zu fangen. Neben dem Holzbecken standen kleine, sehr eng geflochtene Körbchen. Sie waren mit großen Lotusblättern ausgelegt und mit Wasser gefüllt. Chosokabe vermutete beinahe, dass einige der Fische wohl heute Abend frittiert auf dem Tisch landen würden. Doch statt sich damit zu befassen, ging sein Blick direkt zum besten Dango-Stand des Festes. „Aniki! Willst du schon wieder futtern? Es gab doch gerade erst zu essen.“, lachte Katsuragi. „Katsu... Ich bitte dich, diese Hofnarren können doch gar keine Dangos zubereiten! Die hier sind einfach unschlagbar!“, jammerte Chosokabe. Katsuragi seufzte. Wie konnte er es ihm verbieten? Vor allem, wenn er ihn so nannte und geradezu darum bettelte, sich Dangos zu kaufen und sie genüsslich zu verspeisen. „Gewonnen!“, grinste Chosokabe und kaufte sich gleich zwei Dango-Spieße. Nobuchika sah zwischen beiden hin und her und lachte. Katsuragi fiel mit ein, während Chosokabe genießerisch die Dangos vor ihren Nasen aß. Obwohl sie gestern bereits über den gesamten Festplatz gegangen waren, taten sie es heute noch einmal. Und wieder kaufte Chosokabe nicht nur Dangos sondern auch wieder Kamaboko. Davon aber nur eines, da dieses unscheinbar wirkende Teigfischchen mit einer süßen Bohnenpaste gefüllt war und somit unheimlich schnell sättigte. Trotzdem genoss es Chosokabe. Katsuragi wusste nur zu gut, in was für ein Süßmaul sich der Fürst verwandelte, sobald das Hanami vor der Tür stand. Nach einer Weile nahm Motochika Nobuchika unauffällig an der Hand und führte ihn an den Rand des Geschehens. Katsuragi war schon zuvor bei einem der Schmiede stehen geblieben um sich ein neu geschmiedetes Katana sowie das dazugehörige Wakizashi anzusehen. Motochika konnte ihn noch sehen, denn Katsuragis Schopf ragte ein Stück über die anderen hinaus – so wie auch sein eigener. Mit einem Lächeln wandte er sich Nobuchika zu und gab ihm einen hauchzarten Kuss hinter das Ohr. Nobuchika seufzte tonlos und warf ihm ein Lächeln zu. Motochika wollte gerade mit ihm auf die Anhöhe gehen, wo sie gestern den Abend verbracht hatten, als irgendwo von hinten Lärm zu hören war. Noch war nichts zu sehen, doch ein paar wenige rannten panisch durch die Massen. Die, die nichts sahen, nichts ahnten, standen da und sahen den flüchtenden Menschen verwirrt nach. Sie schrien etwas, doch selbst Motochika verstand sie nicht. Er sah zu Nobuchika, der mindestens genauso verständnislos drein sah. Dann ließ er seinen Blick über all die Menschen gleiten, auf der Suche nach Katsuragi. Er fand ihn, immer noch an dem Stand des Schmieds stehend, das Katana in der Hand wiegend. Doch auch dessen Aufmerksamkeit war auf die panischen Leute gerichtet, die an ihm vorbei rannten. Und als hätte er Motochikas Blick gespürt, wandte sich Katsuragi genau zu ihm um. Sie sahen sich ein paar Sekunden lang in die Augen. Ebenso verwirrt, wie alle anderen. Doch dann schienen sie fast gleichzeitig eine dunkle Ahnung zu befallen. Katsuragi steckte das Katana in seine Scheide und rannte los. Der Schmied rief ihm lauthals etwas nach. Motochika vermutete, dass es um die nicht erfolgte Bezahlung ging, doch sein Blick folgte dem davonjagenden Katsuragi. Der bahnte sich einen Weg durch die Massen. Motochika wusste, wohin er wollte. Seine Soldaten befanden sich in der Burg. Als er Katsuragi aus dem Blick verlor, wandte er sich wieder Nobuchika zu. „Was ist das?“, fragte Nobuchika und deutete auf die andere Seite des Festplatzes. Dort war plötzlich eine riesige Staubwolke zu sehen. Da es die letzten Tage nicht geregnet hatte, war der Boden staubtrocken. Es war nicht zu erkennen, was da auf sie zu kam, aber es war eindeutig nichts Gutes. Auch wenn die zarten rosafarbenen Kirschblütenblätter, die inmitten dieser Staubwolke umhergewirbelt wurden, diese Tatsache Lügen straften. „Ich weiß es nicht...“, antwortete Motochika, doch als er genauer hinsah konnte er die Ohren eines Pferdes und dessen metallene Rüstungsplatten ausmachen. „Katsuragi holt schon die Soldaten. Lass uns gehen, die Leute hier wissen gar nicht, was für eine Gefahr da auf uns zukommt!“, sagte Motochika. Nobuchika sah verwirrt auf die Staubwolke und dann zu Motochika. Dessen Blick war auf die Menschenmenge gerichtet. Langsam setzten sie sich in Bewegung, als sie endlich erkannten, was gerade geschah. Motochika zog Nobuchika mit sich und kam dass sie die Menschen erreicht hatten, erhob er laut seine Stimme. „Zur Burg! Lauft zur Burg!“, rief er. „Nobuchika, geh mit ihnen!“, sagte er, an den Jüngeren neben sich gewandt. „Nein, ich bleibe hier.“ Motochika sah ihn eine Sekunde lang ungläubig an, doch dann musste er grinsen, bei soviel Übermut, den er da in den Augen erkennen konnte. „Gut, aber du bleibst an meiner Seite.“ Nobuchika nickte und half ihm, die Leute in Richtung Burg zu leiten. Doch die Staubwolke kam so schnell näher, dass sie nur wenig ausrichten konnten. Die Leute drängten sich den Weg zur Burg hinauf und viel zu viele waren noch mitten in der Schneise dieser Staubwolke, die sich inzwischen als berittene Soldaten entpuppt hatte. Motochika fluchte leise und brüllte noch lauter, damit sich seine Leute endlich beeilten. Doch es half alles nichts, Katsuragi war noch immer nicht mit den Soldaten zu sehen und Nobuchika ruckte plötzlich mit dem Kopf hinter sich und dann sofort auf die andere Seite. Motochika hatte es auch bemerkt. Von den Seiten her kamen Fußsoldaten auf sie zu. Wieder fluchte Motochika laut, doch er konnte nichts tun. Um sich herum hörte er die Schreie und sah die Pferde jetzt deutlich. Auf dem ersten saß ein Mann in einer beinah waldgrün lackierten Rüstung. Vorn prangte in weiß ein Wappen: drei ausgefüllte Kreise mit einem Balken darüber. Hinter ihm trugen einige Reiter ebenfalls dieses Wappen in grün auf weißen Flaggen. Motochikas Blick verfinsterte sich, während Nobuchika die Stirn kraus zog. Der vorderste Reiter zog seine Kriegermaske hoch und zeigte sein Gesicht, in dem ein Grinsen prangte. Er beugte sich vor und sah genau auf die beiden Männer die zwischen den flüchtenden Menschen hin und her geschubst wurden. Dann erhob er sich wieder und mit seinem Körper auch seine Stimme, die tief und klar zu ihnen herüberdrang, trotz des Lärms um sie herum. „Sieh an, sieh an! Fürst Chosokabe... Ihr habt ihn gefunden.“, sagte der Reiter und gab ein Handzeichen hinter sich. „Wen gefunden?!“, blaffte Motochika gereizt zurück. In dem Moment sah er aus dem Augenwinkel, wie einer der feindlichen Soldaten nach Nobuchika griff. Er wurde weggezerrt und Motochika sah, wie er unsanft gegen die Rüstung des vordersten Pferdes gestoßen wurde. Bevor er beiseite oder zurück taumeln konnte, wurde er von dem anmaßenden Reiter in den Haaren gepackt. „Meinen kleinen Spion!“, zischte der Reiter gerade laut genug, dass Motochika es hören konnte und mit Hilfe der Soldaten zog er Nobuchika vor sich auf das Pferd. Motochikas Augen verengten sich, aber er sagte nichts. Er stand einfach nur in der Menge, wurde immer wieder hin und her geschoben und sah zu, wie Nobuchika einen Schlag in den Nacken bekam und wie ein nasser Sack Reis in den Armen des Reiters zusammensank. Erst jetzt schien er fähig zu reagieren. Er befreite sich aus der Menge und rannte in Richtung der Reiterei. „Nobuchika!!“ Der Mann in der grünen Rüstung gab ein weiteres Handzeichen, wendete sein Tier und ritt mit einer wirbelnden Staubwolke davon. „Nobuchikaaa!“ Hinter sich hörte er seine Leute laut rufen und gegen den Feind ziehen. Doch seine Aufmerksamkeit galt nur dem in der Ferne im Staub verschwindenden Pferd, auf dem Nobuchika gerade vor seinen Augen entführt wurde. Dann spürte er eine Hand auf seiner Schulter. „Aniki.“ Motochika reagierte nicht darauf. „Aniki?“ Katsuragi trat so an seine Seite, dass er das Gesicht seines Fürsten sehen konnte. „Ist etwas passiert?“ Motochika wiederholte erneut den vertraut gewordenen Namen. „Was ist mit ihm? Wo ist er?“ „Er hat ihn mitgenommen...“ „Was?? Wer?“ „Mori.“, antwortete Motochika düster. Katsuragi sah ihn an und dann auf das Getümmel um sie herum. Dann nahm er seinen Fürsten am Arm und zog ihn zur Burg. Er hatte alle Mühe damit, denn Chosokabe starrte weiter wie gebannt auf die Stelle wo er eben noch Nobuchika gesehen hatte und ließ sich nur schwer von der Stelle bewegen. „Ich hätte es wissen müssen!“, fluchte Katsuragi, als sie etwas abseits des Geschehens standen. Mit flinken Blicken verfolgte er, wie die eigenen Soldaten gegen den Feind strömten und einige weiter die Dorfleute in die sichere Burg leiteten. Allerdings gelang es ihnen nur sehr sehr langsam die Oberhand zu gewinnen. Und mit herben Verlusten, wie Katsuragi bereits ahnte. Als die Dämmerung einsetzte gelang es ihnen endlich, die Feinde doch in die Flucht zu schlagen. Widerwillig zogen sie sich zurück. Jeder wusste, dass die Gefahr keineswegs vorüber war. Eilig wurden die Überlebenden und Verletzten in die Burg geschafft. Chosokabe und Katsuragi beobachteten alles, bis es zu dunkel wurde, um Einzelheiten zu erkennen. Katsuragi beorderte Wachposten und Boten an die Mauern der Burg und in einem Umkreis darum und begleitete dann Chosokabe zu seinem Zimmer. Stillschweigend standen sie sich gegenüber. Dann sah Chosokabe im Zimmer umher. Katsuragi bemerkte wie sein Blick auf einer Sakekaraffe ruhte. Wie aus dem Nichts stürmte Chosokabe darauf zu, packte die Karaffe und warf sie wutentbrannt auf die Tatamimatten. „Aniki!“ „Was verdammt!?“, schrie Chosokabe und trat ungeachtet der Scherben ein paar Schritte auf ihn zu. „Was machst du da?“, fragte Katsuragi, obwohl es keineswegs einer Antwort bedurfte. Er ging zu Chosokabe und hielt ihn an den Schultern fest. Chosokabe sah ihn wütend an. „Dieser Kerl hat Nobuchika mitgenommen!“, fluchte Chosokabe laut. „Ja, das hast du mir schon gesagt. Ich hab es aber nicht mitbekommen. Wer hat ihn mitgenommen? Fürst Mori oder einer seiner Söhne?“ „Der Alte war es nicht. Keine Ahnung, wer von beiden es war...“, antwortete Chosokabe und hob dabei einen seiner Füße an. Katsuragi folgte seinem Blick und sah trotz der zunehmenden Dunkelheit die rote Verfärbung der Tabi. Sofort zwang er den Fürsten sich auf einen nicht mit Splittern übersäten Teil der Tatami zu setzen, dann zog er ihm die Tabi aus. An beiden Fußsohlen blutete er aus kleinen Schnitten. Sie waren nicht tief aber beim Laufen würden sie ihn die nächsten Tage bestimmt stören. Katsuragi schüttelte den Kopf und ging, nur um mit Kisho zurück zu kommen. Mindestens genauso verständnislos mit dem Kopf schüttelnd kümmerte er sich um die kleinen Schnitte. Chosokabe hätte gelacht, wenn er nicht so wütend gewesen wäre. „Was machst du nur schon wieder für Dummheiten...“, seufzte Kisho, als er fertig war. „Ach verschwinde...“, knurrte Chosokabe. Kisho warf einen Blick zu Katsuragi, der wiederum nur mit dem Kopf schüttelte und Kisho wieder hinaus brachte. Dann kam er zurück und setzte sich neben Chosokabe. „Da ist noch mehr, oder? Er hat ihn nicht einfach nur mitgenommen...“, sagte Katsuragi. „Nein... Er sagte, ich hätte ihn gefunden... Seinen Spion...“ „Wie bitte?“ Chosokabe sah ihm jetzt doch direkt ins Gesicht. „Du hast richtig gehört...“ Katsuragi sagte nichts dazu, sondern senkte den Blick. „Willst du mir jetzt sagen, dass du den Mist glaubst?“, knurrte Chosokabe. „Nein...“ „Was dann?“ Katsuragi schaute nun doch zu Chosokabe. „Falls du dich an unser Gespräch erinnerst... Ich hatte den Verdacht, dass Nobuchika zu Mori gehört. Auf welche Art auch immer. Lass mich reden! Wenn ich das jetzt höre, dann bestätigt das doch nur diesen Verdacht. Es wäre doch ein Leichtes für ihn gewesen, jederzeit Nachrichten an einen Boten zu geben. Sogar von der Burg aus. Nachdem er wieder gesund war, konnte er sich doch frei bewegen.“, sagte er. „Er ist kein Spion! Ich war fast immer bei ihm und wenn ich es nicht war, dann Kisho oder du! Ich wette darauf, dass es eine Lüge ist!“, entgegnete Chosokabe. „Und wenn es das nicht ist? Was ist, wenn das Ganze alles von Fürst Mori eingefädelt wurde, um dich zu schwächen? Um dein Urteilsvermögen und deine Entscheidungsfähigkeit zu schwächen? So sehr, dass du beim nächsten Aufeinandertreffen Fehler machst, weil du blind vor Wut bist?“ Katsuragi sah ihn an und wartete auf eine Antwort, doch die ließ auf sich warten. Offenbar zog der Fürst diese Möglichkeit nun auch einmal in Betracht. „Nein... Ich glaube das nicht. Mir und auch sonst niemandem ist irgendetwas aufgefallen. Es gab keinen Hinweis, dass er etwas Ungewöhnliches getan hat. Ich glaube das nicht!“, antwortete Chosokabe energisch. „Bist du dir wirklich sicher? Bist du dir sicher, dass er dir nicht alles vorgespielt hat?“ „Er hat mir nichts vorgespielt!“ „Wollen wir es hoffen. Wenn du daran glaubst, dass Nobuchika unschuldig ist, dann glaubt dir auch die Mannschaft... Und du machst keine Fehler...“ Chosokabe nickte grimmig. „Und ich hoffe, du hast wirklich recht...“ ...denn alle Anzeichen stehen dagegen. Hoffentlich endet das nicht in einer Katastrophe... Katsuragi wollte wieder gehen, doch Chosokabe hielt ihn auf, als er gerade die Shoji erreichte. „Katsu?“ Seine Stimme klang belegt, missmutig. Katsuragi drehte sich um und betrachtete sein traurig wirkendes Gesicht im leicht flackernden Schein der kleinen Laterne. Es brach ihm fast das Herz, ihn so zu sehen, aber konnte nicht einfach hingehen und ihn in den Arm nehmen. Der Fürst liebte einen anderen. Vermutlich einen Spion und Verräter, wer wusste das schon genau. Die Aussage stand nun einmal vage im Raum und sie wussten beide, dass der junge Mann ohne Gedächtnis entweder log oder tatsächlich die Wahrheit sagte. „Ja, Aniki?“ „Was ist deine persönliche Meinung? Von allen rangpflichtigen Ansichten einmal abgesehen... Was glaubst du?“, fragte Chosokabe. Dass er lügt... Aber eigentlich hoffe ich das doch nur... „Ich glaube nicht, dass er lügt. Aber Glauben und Wissen sind zwei ungleiche Brüder. Und ich weiß nicht mehr als du, also muss ich glauben, was mein Gefühl mir sagt.“, antwortete Katsuragi. Chosokabe nickte noch einmal. „Bleib hier, bitte.“ Katsuragi stutzte. „Wie...?“ „Bleib einfach da. Bitte. Ich möchte nicht allein sein.“ Wortlos beobachtete Katsuragi wie Chosokabe mühevoll sein Nachtlager ausbreitete und sich unter der Decke verkroch. Dann erst setzte er sich in gebührenden Abstand daneben und lehnte sich gegen die Wand, das unbezahlte Katana fest im Griff und Augen und Ohren nach draußen gerichtet. Ein nächtlicher Überfall schien ihm genau genommen gar nicht so abwegig.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)