Sonne, Mond und Sterne von Flordelis (Löwenherz Chroniken III-0) ================================================================================ Kapitel 3: Ein neuer Name ------------------------- „Das hier ist also euer neuer Partner, Stellaris.“ Der Direktor klopfte ihm mit einem Lächeln auf die Schulter, während er den anderen beiden gegenüberstand, die ihn kaum unterschiedlicher hätten aufnehmen können. Während Lunaris mit gelangweilt vor der Brust verschränkten Armen, den Kopf ein wenig gesenkt hielt, lächelte Solaris ihm freundlich entgegen. Stellaris ... der Name war perfekt für dieses Trio und dennoch war der Klang für ihn ungewohnt, denn er hatte kaum etwas mit seinem alten Namen gemein. Doch der Direktor hatte ihm bereits eindrücklich klargemacht, dass er von nun an nicht mehr auf diesen, sondern nur noch auf Stellaris hören sollte und da er schon sein ganzes Leben lang tat, was dieser Mann ihm sagte, gab es für ihn diesbezüglich keine Fragen mehr. Glücklicherweise besaß er ja auch keine Freunde, die sich daran stören könnten und sein Bruder schlief immer noch. „Ich hoffe, ihr werdet freundlich zu ihm sein“, sagte der Direktor noch, ehe er sich lächelnd verabschiedete und sie alleinließ. Unangenehmes Schweigen breitete sich im Raum aus, kaum dass er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Stellaris wusste nichts zu sagen, Lunaris wollte offensichtlich nicht und Solaris wartete darauf, dass die anderen ihre Stimmen erhoben. Da dies allerdings nicht geschah, übernahm er schließlich doch das Wort: „Schön, dich bei uns begrüßen zu dürfen, Stellaris.“ Er wollte gerade etwas darauf erwidern, als Lunaris wütend schnaubend den Kopf zurückwarf. „Das ist so sinnlos. Er wird ohnehin nicht lange bei uns bleiben.“ Bei diesen Worten glaubte er, sich erneut an etwas zu erinnern, ein weiterer Erinnerungssplitter, der ihm zeigte, wie Lunaris ihn mit einem leichten Lächeln willkommen hieß. Es war ein erstaunlicher Gegensatz zu seinem jetzigen Verhalten. Er wunderte sich über diese Splitter, aber er wagte nicht, einen Lehrer oder den Direktor danach zu fragen, aus Furcht vor der etwaigen Reaktion. Auch bei diesen beiden wollte er das nicht direkt ansprechen, damit sie ihn nicht von Anfang an als seltsam einstufen würden, es sei denn, er würde mit dem gefassten Solaris in Ruhe reden können. „Es wäre mir übrigens lieber, wenn du mich nicht Lunaris nennen würdest“, brummte dieser, statt zu lächeln. „Ich hasse diesen Namen. Nenn mich gefälligst Lloyd.“ „Klar, wie du willst.“ Es brachte wohl vermutlich ohnehin nichts, zu widersprechen, es war besser, dem einfach zuzustimmen und zu hoffen, dass er dann besser gelaunt sein würde, wenn er ihn mit dem Namen ansprach, der ihm gefiel. Außerdem war Lloyd wirklich eine einschüchternde Persönlichkeit, der er sich gar nicht widersetzen wollte, obwohl er glaubte, sich einmal gut mit ihm verstanden zu haben. Er blickte zu Solaris hinüber. „Und bei dir?“ Besser er stellte gleich sicher, dass er nicht irgendwann in die Situation geraten würde, in der er direkt in ein Fettnäpfchen trat – und wenn das Thema schon einmal auf dem Tisch lag ... „Solaris ist in Ordnung für mich“, antwortete er. „Ich habe ohnehin keinen anderen Namen auf den ich hören könnte.“ Er wirkte nicht im Mindesten bedrückt über diese Tatsache, aber wenn man daran gewöhnt war, konnte Stellaris sich gut vorstellen, dass es nicht störte. Lloyd dagegen schien älter, also hatte er wohl länger unter seinem Namen gelebt. „Hast du sonst noch Fragen?“, wollte Solaris wissen. Lloyd schnaubte leise, sagte etwas, das sich nach „Ich habe keine Zeit für diesen Schwachsinn“ anhörte und verließ das Zimmer eilig. In seinen Erinnerungssplittern wirkte der andere nicht so mürrisch, weswegen er nicht nachvollziehen konnte, weswegen Lloyd sich ihm gegenüber so verhielt. Aber vielleicht konnte er das in einem Gespräch mit dem eher umgänglichen Solaris herausfinden. „Wie lange seid ihr denn schon Partner?“, fragte Stellaris. „Oh.“ Der Gefragte neigte den Kopf und blickte nachdenklich zur Decke. „Schon mindestens drei Jahre. Ich weiß nicht genau. Wenn man zwischen diesem Ort und der Außenwelt umherreist, kommt es einem vor, als vergisst man, wie viel Zeit vergeht.“ Er lächelte entschuldigend, so dass Stellaris an diesem Punkt nicht weiter nachhakte. „Und was macht ihr so, wenn ihr nicht hier seid?“ „Verschiedene Dinge. Je nachdem, was der Auftrag verlangt.“ Mehr als diese ausweichende Antwort wollte Solaris offenbar nicht geben, sein Blick huschte nervös zur Seite. Aber das genügte, um ihm zu sagen, dass es manchmal nicht sonderlich angenehme Dinge waren, die da verlangt wurden. Er würde sich wohl überraschen lassen müssen und hoffen, dass seine Ausbildung gut genug für all das war. Vielleicht würden die Erinnerungen ihm auch weiterhelfen oder er war ein Naturtalent, was natürlich eine sehr schöne Alternative wäre. „Sag mal ...“, begann er schließlich die letzte Frage, die ihm einfiel und die er ohnehin hatte stellen wollen, wenn er mit Solaris allein war, „kann es sein, dass wir uns schon einmal getroffen haben? Ich habe da diese Erinnerungsfetzen ...“ Und er verstand keinen davon, auch wenn sie ihm bei seiner Prüfung eine äußerst praktische Hilfe gewesen waren. Aber was genau waren sie? Solaris schüttelte mit dem Kopf. „Nein. Nicht, dass ich wüsste.“ Dabei wirkte er selbst ein wenig verwirrt und ratlos, vielleicht ging es ihm mit diesem Fetzen ebenso und er wollte es, zumindest im Moment, einfach nicht zugeben. „Nun, ich denke, das war meine letzte Frage. Oder gibt es noch etwas, das ich wissen müsste?“ „Vor morgen werden wir keine neue Aufgabe bekommen. Du solltest dich solange ausruhen – oh und mach dir nichts aus Lloyds abweisendem Verhalten. Es ist absolut nichts Persönliches.“ Damit hatte Stellaris auch nicht wirklich gerechnet, immerhin hatten sie bislang kaum miteinander gesprochen und auch wenn es in diesem Waisenhaus an der Tagesordnung zu sein schien, hätte es ihn doch sehr gewundert, wenn es Unsympathie auf den ersten Blick gewesen wäre. Stellaris nickte, damit sein Gegenüber wusste, dass er ihn verstanden hatte, was dieser sogleich mit einem Lächeln quittierte. „Fein, dann sehen wir uns morgen früh im Büro des Direktors. Ruh dich bis dahin gut aus.“ Er verließ ebenfalls den Raum und ließ den ratlosen Stellaris allein zurück. Was könnte es da für eine Aufgabe geben? So früh sogar ... Während Stellaris über solche Dinge nachdachte, traf Solaris in Lloyds Zimmer ein. Auch wenn dieser Begriff geschmeichelt war, denn es war nur eine Kammer unter dem Dach des Waisenhauses, es war staubig, man konnte sich nicht aufrecht stehend darin aufhalten und das einzige, was entfernt an ein Zimmer erinnerte, war der auf dem Boden liegende Schlafsack. Aber sein eigener Raum, direkt gegenüber, sah auch nicht sonderlich besser aus, daher war er das bereits gewohnt und machte sich schon lange nichts mehr daraus. Einst waren sie als Strafe an diesen Ort verbannt worden, aber es hatte nichts Lloyd saß auf dem Schlafsack, die Beine angezogen, um die Arme locker auf den Knien aufliegen zu lassen und starrte an die leere Wand. Solaris setzte sich ungebeten neben ihn, aber wie üblich störte er sich nicht daran, auch nicht, als er sich dann an ihn lehnte. „Was möchtest du?“, fragte Lloyd brummend. Auch sein abweisendes Verhalten störte Solaris nicht, denn er kannte ihn schon lange genug, um zu wissen, dass er es eigentlich nicht so meinte. „Ich dachte mir, ich sehe mal nach dir.“ „Du weißt, dass Master durchdrehen wird, wenn er das sieht.“ Der Direktor bevorzugte es normalerweise, wenn man ihn Master oder Headmaster nannte, aber kaum jemand hielt sich daran, selbst Lloyd nutzte es nur, wenn er nicht sonderlich ernst über diesen Mann sprechen wollte. Als sie noch Kinder gewesen waren, hatten sie große Furcht allein beim Gedanken an ihn gespürt. Er war ein bedrohlicher, düsterer Herrscher in einem Haus voller Leid und Schmerzen gewesen, der keinerlei Freude, und mochte sie auch noch so klein sein, gestattete. Deswegen lebten sie nun unter dem Dach, in diesen kleinen Kammern, damit sie nie vergaßen, dass es eine furchtbare Idee war, Freundschaft zu schließen oder in diesem Haus glücklich sein zu wollen. Aber das einzige, was er damit erreicht hatte war, dass die beiden noch enger zusammengefunden und gelernt hatten, es nicht mehr öffentlich zu zeigen. „Von mir aus soll er ruhig durchdrehen“, erwiderte Solaris sanft. „Ich habe keine Angst mehr vor ihm. Du bist mir wichtiger.“ Diese Erkenntnis war erst gewachsen, als sie älter geworden und die Furcht kleiner geworden war. Es gab wichtigere Dinge als Angst, das wusste er inzwischen. Außerdem war ihm durch all die Besuche in der Außenwelt klar geworden, dass sie beide allem trotzen könnten, selbst dem Direktor – und dass das Leben zu kurz war, um sich vor Furcht in eine Ecke zu kauern. Lloyd lächelte ein wenig und legte einen Arm um die Schultern des anderen. „Danke.“ Lächelnd schloss Solaris die Augen, um den kurzen Moment zu genießen, in der Hoffnung, dass der Direktor ausnahmsweise nicht auf sie aufmerksam werden würde. Stellaris hatte sich unterdessen wieder einigermaßen gefangen und den Raum aufgesucht, in dem sein Bruder lag. Wie erwartet war er immer noch nicht bei Bewusstsein, er lag blass und leblos da, genau so wie er ihn verlassen hatte, aber das störte ihn nicht weiter. Er zog einen Stuhl heran und setzte sich neben das Bett. „He~“, begann er sanft. „Ich bin wieder da. So lange war ich noch nie weg, was?“ Er lachte leise. „Ich habe jetzt einen neuen Namen bekommen, weil ich den Test des Direktors überstanden habe. Es war eigentlich nicht so schwer ... eher seltsam.“ Wieder erinnerte er sich an die Erinnerungssplitter, die ihm erst den Weg gewiesen und ihm dann das Leben gerettet hatten. Er sah den Zombie und den Toten auf dem Boden vor sich, spürte den Schmerz in seinem Rücken, die Furcht, als er zu fliehen versucht hatte ... und dazwischen fragte er sich wieder, was das für ein Behälter gewesen war, warum er ihn hatte holen müssen. Inzwischen wünschte er sich schon fast, das Haus weiter erkundet zu haben, vielleicht wäre er dann ein wenig schlauer. Oder vielleicht sogar schon tot, zischte sein Verstand ihm zu, der Direktor mochte keine allzu neugierigen Schüler, wie jeder von ihnen wusste – immerhin waren schon oft genug andere Kinder verschwunden und nie wieder gesehen worden und er glaubte nicht, dass sie alle bei irgendwelchen Missionen getötet worden waren. Zwar wurde ihnen erzählt, dass sie einfach nur adoptiert worden waren, aber keiner glaubte das, nicht zuletzt deswegen, weil nie Leute kamen, um sich die Kinder anzusehen. Und wer würde schon vollkommen blind ein Kind aus diesem Haus adoptieren? „Na ja, wie auch immer ...“ Er verwarf die düsteren Gedanken und konzentrierte sich lieber wieder auf das vor ihm liegende. „Ab morgen bin ich vielleicht für längere Zeit weg. Weil ich jetzt mit Lunaris und Solaris zusammenarbeite, werde ich wegen verschiedenen Aufträgen nach draußen geschickt.“ Erstmals spürte er ein aufgeregtes Prickeln in seinem Innerem, das er nicht identifizieren konnte. Es war keine Angst, eher ... Vorfreude auf das Unbekannte. Inzwischen war er überzeugt, dass nichts, was dort draußen war, schlimmer sein konnte als das, was man in diesem Gebäude empfand, nicht einmal diese Untoten, denn die konnte man immerhin töten – die Bosheit, die dem Haus innewohnte dagegen, war unzerstörbar. Davon war er inzwischen, vor allem durch die letzte Nacht, überzeugt und immerhin wäre er nicht allein. Lloyd und Solaris, die schon oft dort draußen gewesen waren, würden bei ihm sein und mindestens einer der beiden wäre sicher bereit, auf ihn aufzupassen. Er fürchtete nicht, zu sterben, hatte keine Angst mehr, wenn er an das Unbekannte dachte. „Und wenn ich wiederkomme, werde ich dir viele Geschichten von draußen, von richtigen Menschen, erzählen können.“ Sicher, die Bewohner des Waisenhauses waren auch richtige Menschen, aber gleichzeitig – davon war Stellaris überzeugt – waren sie auch anders. Man musste einfach anders sein, wenn man an solch einem Ort aufwuchs. Die Möglichkeit, dass überall Bosheit, Hass und Furcht herrschten, zog er nicht einmal in Betracht, irgendwo anders musste es einfach besser sein, es konnte nicht überall so sein wie an diesem Ort. Und inzwischen konnte er es kaum erwarten, wirklich nach draußen zu kommen und so viel mehr zu sehen. „Die Geschichten werden dir bestimmt gefallen, da bin ich mir sicher.“ Auch wenn er nie ein Zeichen von sich gab, Stellaris wusste, dass er ihm zuhörte, wo auch immer er sich gerade befinden mochte. Vielleicht würden diese Geschichten auch helfen, ihn wieder zurückzuholen, eines Tages. Wenn er wusste, was diese Welt alles zu bieten hatte, würde er vielleicht irgendwann die Augen aufschlagen, um alles selbst erleben zu können. „Am besten, ich erzähle dir aber erst mal, wie der Auftrag gelaufen ist. Also ...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)