Dies Irae von Yamato_ (Tag der Rache) ================================================================================ Kapitel 7: Sextus Ictus Campanae: Aenigma Vis --------------------------------------------- "In Zeiten, da Täuschung und Lüge allgegenwärtig sind, ist das Aussprechen der Wahrheit ein revolutionärer Akt!" -George Orwell, 1984- Sextus Ictus Campanae: Aenigma Vis Sechster Glockenschlag: Das Rätsel der Macht Gebiet Sina Mithras, Hauptquartier der Militärpolizei, Oktober 850, vier Tage nach der 57.Expedition, kleiner Konferenzsaal, morgens “Angeklagter Erwin Smith, dreizehnter Kommandant des Kundschafterkorps. Ihr steht heute hier vor diesem Tribunal, weil Ihr des Hochverrats beschuldigt werdet. Da Ihr dem Militär angehört, wird ein Militärgericht über Eure Schuld oder Unschuld befinden. Habt Ihr diesbezüglich irgendwelche Einwände?“ “Nein, Generalissimus.“ Erwin straffte die Schultern und blickte Zackley entschlossen in die Augen. Ruhig wie ein Fels stand er vor dem obersten Kommandanten und ließ sich seine Anspannung nicht anmerken. Trotz seiner schwierigen Lage empfand Erwin auch Erleichterung. Erleichterung über die Möglichkeit, seinem Vorgesetzten die Beweggründe für sein Handeln erklären zu können. Selbst wenn Zackley ihn anschließend für schuldig befinden und hinrichten lassen würde, so konnte der Generalissimus nun nicht mehr die Augen vor der Wahrheit verschließen. Keiner konnte das! Zu viele Menschen hatten den Kampf der Titanen mitverfolgt. Titanenwandler lebten im Inneren der Mauer und sie verbargen sich mitten unter dem Volk… Anders als bei Eren’s Tribunal hatte sich Zackley diesmal gegen eine öffentliche Verhandlung im großen Gerichtssaal entschieden. Nur eine Handvoll Militärs waren anwesend und saßen mit ernsten Mienen um den wuchtigen Konferenztisch herum. Die beiden Kommandanten Dawk und Pixis repräsentierten die Militärpolizei und die Stadtwache, außerdem waren mehrere Adjutanten als Begleiter zugegen. Und Oberst Djel Sanez vom Zentralkommando. Erwin wusste, wer dieser Offizier war, auch wenn sie bisher noch nicht viel miteinander zu tun gehabt hatten. Üblicherweise hielt sich das Zentralkommando stark im Hintergrund und konzentrierte sich auf seine Hauptaufgabe, den König und den Hochadel zu beschützen. Außerhalb von Mithras ließen sie sich kaum sehen. Auch wenn Erwin sich zuweilen fragte, ob diese undurchsichtigen Gestalten nicht eher Bewacher als Leibwächter darstellten. Die Rolle des Zentralkommandos war und blieb sehr rätselhaft. Sie unterstanden nicht der normalen Militärpolizei, sondern agierten völlig unabhängig von dieser. Außer dem Generalissimus und natürlich dem König selbst gab es niemanden, der ihnen Befehle erteilen konnte. “Kommandant Smith, Ihr werdet nun diesem Gericht Euer Verhalten erläutern, damit wir uns ein genaueres Bild machen können.“ Zackley blickte ebenso entschlossen zu Erwin zurück. Seine Miene wirkte allerdings eher besorgt als anklagend und das galt ebenso für Pixis. Nur Nile wich Erwin’s Blick aus. Vielleicht war es das schlechte Gewissen, weil Nile ihn ums Haar standrechtlich erschossen hatte, vielleicht war es auch einfach nur Unsicherheit. Nile war dieser Situation nicht gewachsen, er war es gewohnt, Befehle auszuführen und klaren Strukturen zu folgen. Und im Augenblick war nichts mehr klar. “Selbstverständlich, Generalissimus.“ Erwin atmete noch einmal tief durch, bevor er sich vom Tisch abwandte und auf die große Schiefertafel zuging, die an der Wand gegenüber hing. Der kleine Konferenzraum wurde hauptsächlich für strategische Besprechungen genutzt, deswegen fand er hier alles vor, was er für seine Ausführungen benötigte. Und glücklicherweise hatte man für die Verhandlung auf Handschellen verzichtet. “Über die Einzelheiten der 57.Expedition hatte ich Euch bereits in meinem Bericht informiert, deswegen fasse ich diese hier nur kurz zusammen.“ Erwin nahm die Kreide und zeichnete die Grundzüge der Formation an die Tafel. “Offiziell war diese Mission eine Übung für die geplante Expedition nach Shiganshina, inoffiziell jedoch war sie eine Finte, um die beiden Titanen einzufangen, die für den Angriff auf Trost letzten August und für den Angriff auf Shiganshina vor fünf Jahren verantwortlich waren.“ Er setzte die Kreide ab und wandte sich um. “Womit wir allerdings nicht gerechnet hatten, war der Angriff des weiblichen Titans, hinter dem sich die Wandlerin Annie Leonhardt verbarg. Jetzt sind wir mehr denn je überzeugt davon, dass es sich auch bei dem Koloss und dem Gepanzerten um Wandler handelt, die ihre Gestalt wechseln können…“ “Das sind haltlose Spekulationen, für die hier kein Platz ist“, unterbrach Nile. “Ihr solltet dem Gericht besser erklären, warum Ihr zugelassen habt, dass Eren Jäger wie ein Berserker durch Stohess getobt ist und dabei die halbe Stadt in Schutt und Asche gelegt hat. Eure Anweisungen waren klar, Ihr solltet Jäger an die Militärpolizei ausliefern. Stattdessen habt Ihr einen direkten Befehl missachtet und diesen... Titanen für Euren lächerlichen Putschversuch benutzt. Ihr habt uns alle hintergangen, Smith. Glaubt nicht, dass wir Euer kleines Spiel nicht durchschauen!“ Nile schlug mit der Faust auf den Tisch, um seine Empörung zu bekräftigen – allerdings einige Augenblicke zu spät. Er war kein guter Schauspieler, Erwin wusste das und Nile selbst wusste es auch. Die Tatsache, dass sich eine Wandlerin unbemerkt unter seinen eigenen Leuten verborgen hatte, machte ihm schwer zu schaffen. Erwin überlegte kurz, ob er dieses Thema ansprechen sollte, entschied sich aber schließlich dagegen. Es wäre ein billiger Sieg gewesen, seiner nicht würdig, und außerdem stand er nicht hier, um alte Streitigkeiten mit Nile aufzuwärmen. “Nachdem wir ihre Identität kannten, war es unser neues Ziel, Annie Leonhardt dingfest zu machen“, fuhr Erwin fort. Weder ging er auf Annie’s Zugehörigkeit zur Militärpolizei ein, noch auf Nile’s unsinnige Behauptung, was diesen angeblichen Putschversuch anging. “Aber ohne Eren Jäger’s Hilfe wäre es nicht möglich gewesen, sich einer Wandlerin zu stellen. Also haben wir uns dafür entschieden, ihn nicht an die Militärpolizei auszuliefern. Stattdessen erteilte ich dem Soldaten Jean Kirschstein den Befehl, als Eren Jäger verkleidet nach Mithras zu reisen.“ “Womit er Zeuge und Mittäter für Euren Verrat wurde.“ Nile’s Augen verengten sich. “Ihr seht, Generalissimus, das Kundschafterkorps ist eine wahre Brutstätte für Pflichtverletzung und Unaufrichtigkeit.“ “Mit Verlaub, Kommandant Dawk, ist es nicht die oberste Pflicht eines Soldaten, dem Befehl seines Vorgesetzten Folge zu leisten?“, fragte Pixis. “Wäre es nicht eher Pflichtverletzung und Unaufrichtigkeit gewesen, Kommandant Smith’ Autorität in Frage zu stellen?“ Nile blickte Pixis finster an, doch Zackley beantwortete die Frage stattdessen. “Wir verhandeln hier zunächst über die Schuldfrage von Kommandant Smith. Ob und wie seine Männer zu bestrafen sind, werden wir an anderer Stelle entscheiden.“ “Dennoch sollten wir nicht vergessen, Generalissimus, dass auch die Auflösung des Kundschafterkorps eine noch ungeklärte Frage ist“, wandte einer der Adjutanten ein. “Schließlich hat der König höchstpersönlich…“ Ein eiskalter Blick von Sanez brachte ihn zu Schweigen und mit hochrotem Gesicht senkte er den Blick. “Dieser Punkt ist nicht vergessen“, entschied Zackley. “Im Falle einer Verurteilung wird uns ohnehin keine andere Wahl bleiben, als das Kundschafterkorps aufzulösen, da wir nicht wissen, wer alles aktiv an diesem möglichen Putschversuch beteiligt war. Fahrt mit Euren Ausführungen fort, Kommandant Smith.“ “Während Jean Kirschstein in der Verkleidung von Eren Jäger nach Mithras unterwegs war, verabredete der echte Eren Jäger gemeinsam mit den Soldaten Mikasa Ackermann und Armin Arlert ein Treffen mit Annie Leonhardt. Unser ursprünglicher Plan war es, Annie in die Unterstadt zu locken, weil sie sich im Untergrund nicht verwandeln kann, doch bedauerlicherweise erkannte sie unsere Absichten und der Plan schlug fehl. Deshalb hatten wir unsere Leute auf den Dächern von Stohess postiert, um die Wandlerin notfalls auch in ihrer Titanenform einfangen zu können.“ Erwin trat wieder zur Tafel, um die Positionen der einzelnen Teams aufzuzeichnen und seine taktischen Pläne ausführlich zu erklären. “Hier… diese drei Teams hatten sich direkt um den Eingang zur Unterstadt postiert. Ihre Aufgaben bestanden darin…“ “Die Kurzfassung bitte.“ Selbst der bedächtige Zackley schien langsam ein wenig ungeduldig zu werden. “Eure taktischen Fähigkeiten in allen Ehren, Smith, doch Ihr steht hier als Angeklagter und nicht als Stratege.“ “Dies ist mir durchaus bewusst, Sir“, gab Erwin zurück. Er spürte, dass der Zeitpunkt gekommen war, seine Trumpfkarte auszuspielen. “Aber da ich im Augenblick der Einzige bin, der diese Kampfstrategie kennt und im Falle einer Verurteilung höchstwahrscheinlich hingerichtet werde, erscheint es mir notwendig, sie vorher mit den anderen Kommandanten zu teilen.“ Erwin sah die Soldaten der Reihe nach an. Schließlich blieb sein Blick an Nile und Pixis hängen. “Falls der Koloss und der Gepanzerte erneut angreifen, stehen die Soldaten im Inneren der Mauer einer nahezu unverwundbaren Kampfmaschine und einem sechzig Meter hohen Riesen gegenüber. Wenn wir unsere Kameraden von der Militärpolizei und der Stadtwache schon nicht im Kampf selbst unterstützen können, möchte ich zumindest den Kommandanten Dawk und Pixis alle verfügbaren Informationen überlassen, damit sie diesen Einsatz leiten und eine sinnvolle Strategie vorbereiten können.“ “Spekulationen… nichts als Spekulationen“, stammelte Nile. Seine Hände zitterten so sehr, dass er beinahe das Tintenfass umgestoßen hätte, welches zwischen ihm und seinem Adjutanten stand, damit dieser sich Notizen machen konnte. “Wollt Ihr…“ “Wollt Ihr nicht lieber schweigen, damit Kommandant Smith seine Ausführungen fortsetzen kann?“, fragte Sanez. Es war das erste Mal, dass jemand vom Zentralkommando das Wort ergriffen hatte und Nile brach sofort ab. Nur sein Blick verriet eine Mischung aus Betretenheit und Überraschung. Er hatte nicht verstanden, wie ihm geschah. Erwin lächelte in sich hinein. Sein Trumpf war nicht seine Unschuld. ~*~ Gebiet Sina, Mithras, Kathedrale der Drei, selber Tag, abends “Vergebt mir, Pater, denn ich habe gesündigt.“ “Bekenne deine Sünden im Namen der Jungfrau, der Mutter und der Gerechten, mein Sohn, sonst wirst du nimmermehr Vergebung erfahren.“ Die Stimme des Priesters hinter dem Vorhang hatte einen monotonen, leiernden Tonfall angenommen. Offenbar war es auch für ihn ein langer Tag gewesen. In den Buntglasfenstern der Kathedrale brachen sich die letzten Sonnenstrahlen des Abends. Das gewaltige Kirchenschiff war nahezu leer, nur einige vereinzelte Gläubige saßen oder knieten noch in den Bänken. Eine alte Frau zündete Kerzen an und faltete die Hände zum Gebet. Wie auch die anderen Besucher der Kirche befand sie sich außer Hörweite des Beichtstuhls, der durch zwei schmucklose Holztüren vor neugierigen Blicken geschützt war. Hier in Dunkelheit und Stille konnten die Sünder ihre Taten bekennen. “Es ist äußerst kompliziert, Pater“, begann der Fremde erneut. “Um Euch das gesamte Ausmaß meiner Sünden darzulegen, muss ich Euch zunächst eine Frage stellen. Die Antwort wird mir dabei helfen, Klarheit in meinen verwirrten Geist zu bringen.“ “Fahre fort, mein Sohn.“ Die Stimme klang nun ein wenig aufmerksamer, eine solch ungewöhnliche Aussage hörte wohl selbst ein Priester nicht jeden Tag. “Stelle deine Frage.“ “Drei Männer geraten in einen fürchterlichen Streit, ein Fürst, ein Priester und ein reicher Händler. In dem Raum, in welchem dieser Streit stattfindet, sitzt aber noch ein vierter Mann, ein einfacher Krieger mit einem Schwert. Daraufhin wendet sich der Fürst an den Mann: “Soldat, du bist mir zum Gehorsam verpflichtet, denn ich vertrete das Gesetz. Ziehe dein Schwert und töte die beiden anderen, sonst wirst du zum Verräter am eigenen Land. Daraufhin spricht der Priester zu dem Mann: “Mein Sohn, du bist mir zum Gehorsam verpflichtet, denn ich stehe für eine höhere Macht, die nicht von dieser Welt ist. Ziehe dein Schwert und töte die beiden anderen, sonst wirst du die ewige Verdammnis erleiden. Als letzter ergreift der Händler das Wort: “Ich stehe für nichts und du bist mir zu nichts verpflichtet. Aber ziehe dein Schwert und töte die beiden anderen und ich zahle dir dreißig Silberstücke aus meinem Beutel.“ Der Erzähler hielt inne: “So sagt mir nun, Pater, wer lebt und wer stirbt?“ “Spricht der Satan aus dir, mein Sohn? Willst du einen getreuen Diener der Drei in Versuchung führen und das an diesem heiligen Ort?“ Die Stimme des Priesters bebte vor Empörung. “Du weißt, dass es nur eine Antwort auf diese Frage geben kann. Der Mann wird den Anspruch des Priesters unterstützen, oder auf ewig in der Hölle schmoren. Nichts steht über der Gerichtsbarkeit der göttlichen Drei.“ “Die Kirche lehrt also, dass ein Mann der dem Glauben dient und um jeden Preis die Interessen der Kirche wahrt, Vergebung erfährt, selbst wenn er dafür die weltlichen Gesetze bricht?“, fragte der Besucher hinter dem Vorhang. “Ist es nicht eine schwere Sünde, wenn beispielsweise ein Soldat einen Befehl missachtet und dazu noch geheime Informationen weitergibt, die er geschworen hat, zu bewahren.“ “Nun“, begann der Priester. “Das käme ganz darauf an, ob die Preisgabe dieser Informationen der heiligen Mutter Kirche von Nutzen wäre.“ “Die Information betrifft den Dämon Eren Jäger“, entgegnete der Mann hinter dem Vorhang. “Und die Pläne, die das Zentralkommando mit ihm hat, sobald sie seiner habhaft geworden sind.“ “Sprich weiter, mein Sohn.“ Der Priester hatte sich jetzt so weit vorgelehnt, dass seine Lippen beinahe den Vorhang berührten.“ “Diese Pläne… sie liegen nicht im Interesse der Kirche, ganz gewiss nicht...“ Die Stimme brach ab. Ein tiefer Atemzug war zu hören, danach wurde die Luft hörbar wieder ausgestoßen. “Das Zentralkommando hat die heilige Mutter Kirche verraten. Anstatt den Dämon zu vernichten, wollen sie seine Macht für sich selbst.“ ~*~ Gebiet Rose, neues Hauptquartier des Kundschafterkorps, zwei Tage später, früher Morgen Captain Levi’s Zimmer ... hat das Gericht entschieden, Kommandant Erwin Smith von allen Vorwürfen freizusprechen. Weiterhin wurde beschlossen, dass der Soldat Eren Jäger auf unbestimmte Zeit Mitglied des Kundschafterkorps bleibt... ..auf unbestimmte Zeit.... Auf unbestimmte Zeit, das hieß dauerhaft. Er war jetzt ein vollständiges Mitglied des Kundschafterkorps. Diese verdammten Militärpolizisten würden ihn nicht in ihre schmierigen Finger kriegen. Diese Schlacht war gewonnen. Aber obwohl Eren sich die Worte wieder und wieder im Kopf vorsagte, fiel es ihm immer noch schwer, sie zu glauben. Zuviel war in den letzten Tagen und Wochen geschehen. Die gescheiterte Mission, der Kampf gegen Annie, der Tod von Levi’s Team, Erwin’s Tribunal und immer wieder sah er sich mit dem Gedanken konfrontiert, dass ihm selbst auch nicht mehr viel Zeit blieb. Und jetzt war alles anders. Jetzt würde er beim Kundschafterkorps bleiben. Dauerhaft. Weil dieses Stück Papier das sagte. “Hör mit der Zappelei auf“, knurrte Levi im Halbschlaf. Der Captain roch nach Seife und nach schwarzem Tee. Und ein bisschen nach Rauch. Gestern Abend hatten sie noch eine Weile vor dem Kamin gesessen und geredet. Nicht so, wie Eren es sich erhofft hatte, denn insgeheim wünschte er sich doch, dass Levi mal ein bisschen mehr von sich selbst preisgab. Mal etwas von seiner Vergangenheit erzählte. Oder auch nur, wie es ihm gerade ging. Aber der Captain war nun mal der Captain und es war sinnlos, über ihn zu grübeln oder ihn ändern zu wollen. ’Nein’, nahm Eren sich fest vor. ’Ich bin zufrieden mit dem, was ich habe. Mehr will ich nicht.’ Durch das Fenster sah er bereits das erste Grau des Morgens heraufziehen. Viel Zeit blieb ihnen nicht mehr. Er musste in die Bude zurückkehren, bevor Armin, Jean, Connie, Reiner und Bertholdt aufwachten und merkten, dass er heute Nacht fort gewesen war. Glück war nie von Dauer, dessen war sich Eren bewusst, als er sich ein letztes Mal an Levi’s warme Brust schmiegte und seinem kräftigen Herzschlag lauschte. Es waren immer nur kurze Momente, gestohlene Augenblicke zwischen all dem Schmerz und dem Tod, den sie tagtäglich vor Augen hatten. Und doch war er für diesen einen Wimpernschlag der glücklichste Mensch der Welt. Draußen schlug ihm die morgendliche Kühle entgegen. Er blickte zum Haupthaus hinüber und sah, dass in seiner Stube bereits Öllampen flackerten. Die anderen waren wach. Also war es schon zu spät, um sich ungesehen zurückzuschleichen. Eren seufzte. In Zukunft würde er wohl noch früher aufstehen müssen. Für heute morgen war kein Sondertraining mit Levi angesetzt, denn Kommandant Erwin bestand darauf, dass der Captain zuerst seinen verletzten Fuß auskurierte. Also blieb noch über eine Stunde Zeit bis zum Frühstück. Warum nicht nach Rebellion sehen? Das wäre zumindest eine plausible Erklärung für seine Abwesenheit. Auf keinen Fall wollte er, dass die anderen Verdacht schöpften. Im Stall schlug ihm der vertraute Geruch von Pferden, Heu und Leder entgegen, während er weiter seinen Gedanken nachhing. Was [style type="italic"]würde[/style] passieren, wenn sie Verdacht schöpften? Armin vertraute er, aber Connie war eine Klatschtante und Jean würde ihn einfach nur gnadenlos aufziehen. Reiner und Bertholdt – gut, die beiden würden sich vermutlich raushalten, schließlich klatschte er auch nicht über das, was die nachts in ihren Betten trieben. Sie waren aber auch schon so lange zusammen, dass es keinen wirklichen Gesprächsstoff mehr bot. Genau wie früher bei Hannah und Franz…. arme Hannah… Waren Jean und Marco eigentlich mehr gewesen als gute Freunde? Eren wusste es nicht. Er selbst hatte so etwas natürlich immer als Letzter mitbekommen, weil er sich für solche Dinge nicht im Geringsten interessiert hatte. Er hatte ja auch keine Ahnung von gar nichts gehabt und sich nie damit beschäftigt und Captain Levi musste ihn wirklich für einen naiven, unerfahrenen Idioten halten. “Guten Morgen, Eren. Willst du mit ausreiten?“ “Klar, warum nicht?“ Das hatte er zwar nicht vorgehabt, aber Zeit war ja noch genug und vielleicht würde ihm etwas frische Luft gut tun und ihm dabei helfen, den Kopf frei zu kriegen. Diese ganze Grüblerei nervte ihn. Er war es nicht gewohnt, sich so viele Gedanken zu machen. Handeln war besser. “In Ordnung. Ich gebe nur schnell Bescheid und melde uns ab.“ Rebellion begrüßte ihn mit einem freudigen Schnauben. ’Hätte er mich vermisst, wenn ich nicht zurückgekommen wäre?’, fragte sich Eren, während er den Hengst aufsattelte. ’Oder hätte er sich an einen neuen Reiter gewöhnt und mich irgendwann vergessen?’ Die Pferde im Korps bekamen oft neue Reiter. Rebellion war einfach noch zu jung, um das zu kennen. Mit einem Mal kam Eren sich unglaublich alt vor. Der Waldboden war feucht von der Nacht, aber noch zeigte sich kein Raureif. Aber lange konnte es nicht mehr dauern bis zum ersten Frost. Damals als sie auf den Feldern mit anpacken mussten, hatten sie den Frost gefürchtet, denn er bedeutete, dass sie noch härter arbeiten mussten als sonst. Und mit dem Frost kamen der Winter, die Kälte und der Schnee. Oft hatten die zerschlissenen Decken und das wenige Feuerholz nicht ausgereicht, um sich warmzuhalten. Armin, Mikasa und er hatten sich gegenseitig gewärmt und sich immer wieder versichert, dass sie aufeinander aufpassen würden. Wie konnten sie sich in nur einem Monat so fremd geworden sein? Lag es daran, dass er zum ersten Mal ein Geheimnis hatte, welches er nicht mit ihnen teilen konnte? Sie spürten wohl, dass auch er sich verändert hatte. Die Zeit mit Captain Levi hatte ihn verändert. Das Training, das Leben in der alten Burg, die Leute, das Gefühl wieder zu einem Team zu gehören... Und diese anderen Gefühle, die noch so fremd und so neu waren. Aber sie waren einfach da, ebenso wie der Titan. Letztendlich konnte er sich nicht dafür oder dagegen entscheiden, sondern nur dafür, ob er sich feige verkriechen oder hocherhobenen Hauptes in die Schlacht ziehen wollte. Ob er selbst die Kontrolle über sein Leben übernahm oder zuließ, dass andere sie ihm…. Schatten… ...................Schmerz… ....................................Schwärze. Tsuzuku... (to be continued) Hosted by Animexx e.V. 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