Trau dich! von Schangia (Challenge) ================================================================================ Kapitel 1: Kasamatsu Yukio -------------------------- »Nein.« »Aber Kasamatsu-se—« »Nein.« Da dies gut und gerne das zehnte ›Nein‹ war, mit dem Kasamatsu versuchte, Kise zum Schweigen zu bringen, trat nun Moriyama vor, das Kinn selbstbewusst hervor gereckt und absolut siegessicher. »Lass mich das machen, Kise.« Er räusperte sich klangvoll. »Kasamatsu, als Captain solltest du mit gutem Beispiel vorange—« »Verdammt, wie oft denn noch? Nein!« »Aber Senpai, ich habe dich nominiert!«, entrüstete Kise sich mit einer Selbstverständlichkeit, als ob diese Nominierung über sämtlichen nationalen und internationalen Gesetzen stünde. Kasamatsu rieb sich die Schläfen. »Weißt du eigentlich, wie egal mir das ist?« Er war diese Diskussion leid. Seit er an diesem Morgen das Haus verlassen hatte, belagerte Kise – der es sonst nicht wagte, Kasamatsu vor ihrem Morgentraining anzusprechen – ihn mit dieser stumpfsinnigen Challenge, die derzeit im Internet kursierte. Sehr zu seinem Leidwesen war dieser Trend nicht unbemerkt an ihm und seinen Schulkameraden vorbeigezogen. Und obwohl es bisher niemand gewagt hatte, ihn zu nominieren, hatte er geahnt, dass es mit seiner Ruhe vorbei war, sobald Kise sich dieser Challenge stellen musste. Mittlerweile waren sie in den letzten Zügen ihres Nachmittagstrainings und Kasamatsu mit seiner Geduld am Ende. Er hatte sich Kises Gejammer den ganzen Tag anhören müssen und konnte jetzt schlichtweg nicht mehr genug Kraft aufbringen, sich wie ein reifer, junger Erwachsener mit dieser Situation auseinanderzusetzen. »Ich hab's auch gemacht«, versuchte Kise es erneut, aber Kasamatsu verdrehte nur die Augen. »Grund genug, es nicht zu tun.« Bevor Kise zu einem weiteren Schwall aus Genörgel und fragwürdigen Argumenten ansetzte, brachte Kasamatsu ihn mit einer barschen Handbewegung vorläufig zum Schweigen. »Mal davon ab, Kise. Wäre es nicht viel besser, sich der Challenge nicht zu stellen und stattdessen direkt zu spenden? Die Zeit, die man mit dem Video verschwendet, kann man auch anders investieren.« Für ihn klang das alles ziemlich logisch, und auch Kobori und Moriyama nickten zustimmend, auch wenn Letzterer nicht leugnen konnte, dass ihn die Vorstellung eines nassen, schlotternden Kasamatsu amüsierte. Nur Kise schien anderer Ansicht zu sein. Empört blies er die Backen auf und funkelte seinen Captain an. »Aber Senpai, der Part mit dem Eiswasser ist doch am wichtigsten!« »Ich dachte, es geht um die Spenden?«, fragte Kasamatsu trocken. »Darum, eine gute Tat zu vollbringen und etwas für seine Mitmenschen zu tun.« Er schwieg einige Augenblicke und überlegte. Dann seufzte er, fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Dieser ganze vorgetäuschte Massenaltruismus ist nichts für mich.« »Altru... was?« »Hör zu, ich mach es nicht, okay?!«, fuhr Kasamatsu ihn an, nun nicht mehr länger darauf bedacht, seine Aggressionen in irgendeiner Form zu unterdrücken. Aber auch Kise sah nicht länger ein, seine Argumente – sofern es sie denn jemals gegeben hatte – stringent zu formulieren und darauf zu achten, dass sie Sinn ergaben. »Wie gemein! Dabei habe ich schon alle Vorbereitungen getroffen!« Mit ausladender Geste zeigte er auf den einsamen Eimer mit Eiswasser, der ein paar Meter von ihnen entfernt mitten auf einem der Spielfelder stand und die anderen Mitglieder beim Training behinderte. »Darum hat dich niemand gebeten, du Schwachkopf!« »Aber ich—« Kises Satz ging in einen Schrei über, als er dem Basketball, den Kasamatsu nach ihm geworfen hatte, nur um Haaresbreite ausweichen konnte. »Genug davon, es reicht!« Damit drehte er sich um und wandte sich zum Gehen. Wer wusste, wie gut er sich im Griff haben würde, wenn das so weiter ging. »Jetzt reiß dich zusammen und trainier gefälligst weiter.« Kise blinzelte ein paar Mal überrascht. So hatte er sich das nicht vorgestellt, ganz und gar nicht. Eigentlich hatte er gedacht, dass sein Captain Feuer und Flamme für seinen Vorschlag sein würde, und dass dem nicht so war, ließ ihn eine äußerst unprofessionelle Schnute ziehen, für die er bei einem seiner Jobs bestimmt Schelte von seiner Managerin bekommen hätte. Aber Kise wäre nicht da, wo er heute stand, wenn er schnell aufgeben würde und nicht jede erdenkliche Möglichkeit nutzen würde, um sein Ziel zu erreichen. Und so tat er das Einzige, das er in diesem Moment als sinnvoll erachtete. Mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen schnappte er sich den Eimer, lief Kasamatsu hinterher und rief erneut seinen Namen. »O-oi, Kise, tu das lieber ni—« Koboris Warnung kam zu spät. Unter lautem Lachen schleuderte Kise den Eimerinhalt genau in dem Moment auf Kasamatsu, als dieser sich umwandte und ihm ein allerletztes Mal klarmachen wollte, dass er bei diesem Vorhaben nicht mitmachen würde. Eiskaltes Wasser traf ihn mitten ins Gesicht, und er zuckte unwillkürlich zurück. Stille legte sich wie ein Decke auf die Geschehnisse in der Halle. Alle Augen waren auf Kasamatsu und Kise gerichtet. Sowie er realisierte, was er da eigentlich gerade getan hatte, wich Kise jegliche Farbe aus dem Gesicht. »S-senpai?«, fragte er vorsichtig, als Kasamatsu sich auch nach fast einer halben Minuten noch immer nicht gerührt oder irgendeine Art von Reaktion gezeigt hatte. Das Herz pochte Kise bis zum Hals, und es schien ihm, als würde es nicht Blut, sondern pure Angst durch seine Adern pumpen. »Ich habe eine Idee für eine neue Challenge«, begann Kasamatsu irgendwann mit leiser Stimme, die seine Wut nur mäßig verbergen konnte. »N-nein, bitte nicht.« Verzweifelt versuchte Kise, Abstand zwischen sich und seinen Captain zu bringen, doch für jeden Schritt, den er rückwärts ging, kam Kasamatsu einen auf ihn zu. Als er aufblickte und ihm in die Augen sah, meinte Kise, ein mordlustiges Funkeln in ihnen erkennen zu können. »Sie heißt ›Wie viele Schläge ins Gesicht braucht es, bis einem die Nase bricht?‹, und ich möchte dir herzlich gratulieren. Du bist der erste und einzige Mensch, den ich dafür nominiere.« »Senpai, nein, ich wollte ni—« Das Geräusch von knackenden Fingerknöcheln ließ ihn mitten im Satz innehalten. »Aber aber, Kise, du kannst dich nicht weigern«, säuselte Kasamatsu lächelnd, und Kise musste schwer schlucken, weil das Lächeln seine Augen nicht erreichte. »Ich habe dich doch nominiert.« Kapitel 2: Kuramochi Youichi ---------------------------- »Was zum Teufel ist das?« Misstrauisch beäugte Kuramochi den Ausdruck eines Wikipediaeintrages, den Miyuki ihn mit einem demonstrativ lauten Auflachen vor die Nase hielt. Die viel zu heiter klingende Antwort seines Gegenübers ließ ihn mit den Augen rollen. »Ein Test, ob du auch lesen kannst. Aber bisher enttäuschst du mich ehrlich gesagt.« Als Kuramochi nicht in sein penetrantes Lachen einstimmte, räusperte er sich kurz und versuchte es auf andere Art und Weise. »Du scheinst mir heute noch weniger zu Scherzen auf deine Kosten aufgelegt zu sein als sonst, also komme ich zum Punkt.« »So viel Takt und Feingefühl hätte ich dir gar nicht zugetraut. Ich bin beeindruckt«, erwiderte Kuramochi tonlos und wandte sich zu der Fensterfront ihres Klassenzimmers um, weil er das Grinsen auf dem Gesicht des anderen nicht mehr ertrug. »Nicht wahr? Ich bin ein Geschenk an die Menschheit.« »›Fluch‹ trifft es wohl eher«, murmelte er, ehe er ergeben seufzte und Miyuki erwartungsvoll ansah. »Also, worum geht's?« »Um die Ice Bucket Challenge.« Kuramochi runzelte die Stirn. »Die was?« »Die Ice Bucket Challenge«, wiederholte Miyuki geduldig. »Der Name ist Programm. Im Prinzip geht es darum, sich einen Eimer mit Eiswasser über den Kopf zu schütten, nachdem man nominiert wurde. Tut man das nicht, muss man für einen guten Zweck Geld spenden.« Er zuckte mit den Schultern und faltete das Papier in seinen Händen ein paar Mal. »Damit wollte man ursprünglich auf die Krankheit ALS aufmerksam machen. Aber dieser Zweck ist mit der Zeit verloren gegangen und jetzt nicht mehr von Bedeutung.« »Ach?«, fragte Kuramochi, vollkommen desinteressiert aber gütig genug, seinen Freund weiter plappern zu lassen. »Eigentlich geht es den meisten Menschen nur darum, Familie, Freunden oder zur Not auch Fremden dabei zuzusehen, wie sie sich eiskaltes Wasser über den Körper schütten.« Darauf mussten sie beide grinsen, auch wenn Kuramochi schon ahnte, worauf das hinauslaufen würde. Und wenn Miyuki einmal etwas beschlossen hatte, brachte alles Geschick der Welt nichts, um ihn davon abzuhalten. Also konnte er genauso gut mit der Tür ins Haus fallen. »Lass mich raten; du willst, dass ich den Schwachsinn mache?« »Primitiv ausgedrückt, ja. Richtig gesagt nominiere ich dich.« »Kann man nicht nur jemanden nominieren, nachdem man die Challenge selbst absolviert hat?« »Richtig. Also?« Erneut rollte Kuramochi mit den Augen und musste sich mit aller Kraft davon abhalten, seinem Freund das provokante Grinsen aus dem Gesicht zu schlagen. »Ich habe gar nicht mitbekommen, wie du die Challenge mitgemacht hast.« Darauf lachte Miyuki nur, laut und schallend und so lange, dass sich ihre Klassenkameraden fast schon ängstlich zu ihnen umsahen. Hätte es keine Zeugen gegeben, hätte Kuramochi wohl wirklich noch zugeschlagen, vor allem nachdem Miyuki ihm auch noch zuzwinkerte. »Willst du mir etwa unterstellen, ich wäre rein zufällig im Internet auf diese Challenge gestoßen, hätte nur vorgetäuscht, sie bereits absolviert zu haben, nur um dich, und zwar nur dich, zu nominieren, weil ich Vergnügen daraus beziehe dabei zuzusehen, wie du dich mit Eiswasser überschüttest und deswegen hoffentlich aufschreist wie ein kleines Mädchen?« Es war das vierte Mal diese Woche, dass Kuramochi sich fragte, warum er noch mit Miyuki befreundet war, dabei war es gerade erst Dienstag. »Ja. Genau das will ich dir unterstellen«, antwortete er monoton, nachdem er für einen Moment die Augen geschlossen und langsam bis zehn gezählt hatte. Die Ursache seiner Aggressionen schüttelte derweil den Kopf. »Du bist paranoid, mein Bester.« »Und du total bescheuert, wenn du glaubst, ich würde das mitmachen.« Mit diesen Worten ließ Kuramochi den anderen stehen und kehrte an seinen Platz zurück. Mittlerweile hatte es zur nächsten Stunde geläutet, und er wollte nicht schon wieder einen Eintrag vom Lehrer erhalten. Für Miyuki war ihr Gespräch allerdings noch lange nicht beendet. »Wenn du kneifst, musst du spenden.« Nicht zum ersten Mal fragte Kuramochi sich, warum er keinen Platz direkt am Fenster genommen und andere Schüler genötigt hatte, sich um ihn herum zu setzen. Dann würde Miyuki jetzt nicht links von ihm sitzen und er könnte die letzten paar Minuten einfach vergessen. »Sagt wer?« Auch ohne hinzusehen konnte Kuramochi sich das hinterhältige Lächeln vorstellen, mit dem Miyuki ihn bedachte. »Sagt das peinliche Geheimnis, das du mir vor nicht allzu langer Zeit anvertraut hast.« In der künstlichen Pause, die Miyuki einlegte, gelang es seinem Freund, mindestens ein halbes dutzend Flüche von sich zu geben. »Mich würde brennend interessieren, was Ryou-san dazu sagen wü—« »Ist ja gut, ich mach's!«, zischte Kuramochi und funkelte den anderen wütend an. Das würde er noch büßen, und zwar nicht nur einmal. »Ich wusste, dass du kein Spielverderber sein würdest.« Offenbar mit seiner Tat zufrieden lehnte er sich zurück und schlug die Beine übereinander. »Außerdem darfst du danach auch gerne Leute nominieren, die sich der Challenge nach dir stellen müssen.« Aber Kuramochi hörte kaum noch zu. Stattdessen fuhr er sich seufzend mit einer Hand übers Gesicht. »Warum musste ich mich ausgerechnet einem Soziopathen anvertrauen...« Kuramochi hatte wirklich überhaupt keine Lust auf diese Challenge. Aber er war ein armer, verknallter Schüler, der nichts weiter wollte, als die ganze Sache hinter sich zu bringen und vielleicht anschließend noch Miyuki zu vermöbeln. Es war ja nicht einmal so, dass sie das Ganze tatsächlich filmten und ins Netz stellten oder auch nur irgendwer ans Spenden dachte. Es ging Miyuki einzig und allein darum, seinen vermeintlich besten Freund leiden zu sehen. Den anderen Spielern schien es wohl auch nur darum zu gehen. Anders konnte Kuramochi sich nicht erklären, warum fast alle aus der Startaufstellung sich nach Trainingsende mit ihm in der Halle versammelt hatte und mit schadenfrohen Gesichtern darauf warteten, dass er endlich anfing. Er meinte sogar, Ryousuke eine Melodie summen zu hören, als dieser mehr Eiswürfel als nötig in den Eimer füllte und ihm anschließend ein Lächeln schenkte, das die Hölle hätte zufrieren lassen können. Kuramochi hoffte darüber hinaus, dass das Eiswasser die nervigen Schmetterlinge in seinem Bauch umbringen würde, die trotz der boshaften Natur von Ryousukes Lächeln anfingen, aufgeregt hin und her zu flattern. Das war auch der Grund dafür, dass er darauf bestanden hatte, sich das Wasser von ihm und nicht von Miyuki über den Körper schütten zu lassen. Obwohl es letzten Endes wohl keinen Unterschied machte, weil beide viel zu viel Spaß daran hatten. Während Miyuki den anderen also eine kurze Einführung zur Challenge gab, brachte Kuramochi sich neben der kleinen Trittleiter in der Mitte der Halle in Position. Ryousuke folgte mit einem Lächeln auf den Lippen, das unschuldiger gewirkt hätte, wenn er nicht noch diesen verdammten Eimer getragen hätte. »Noch kannst du kneifen«, bemerkte er salopp, als er auf die Trittleiter stieg. »Das würdest du mir aber bis zu deinem Abschluss vorhalten, oder nicht?« Kuramochi lachte gequält, aber Ryousuke schüttelte immer noch lächelnd den Kopf. »Als ob ich dich nach meinem Abschluss in Ruhe lasse.« Darauf konnte er sich ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen. Für einen kurzen Moment vergaß er sogar, was ihn gleich erwarten würde. Dafür, dass es tatsächlich nur bei einem kurzen Moment blieb, sorgte Miyuki mit dem allergrößten Vergnügen. »Wir wären dann soweit, Kuramochi. Sag uns doch am besten jetzt schon mal, wen du nominierst. Ich glaube nicht, dass du nach der Dusche noch einen anständigen Satz zustande kriegst.« Der Angesprochene schnalzte mit der Zunge und verkniff sich eine bissige Bemerkung. »Wenn's dich glücklich macht.« Versucht dramatisch ließ er den Blick schweifen und sah jedem seiner Teamkameraden ins Gesicht, obwohl er schon lange wusste, welche drei er mit sich ins Verderben ziehen wollte. »Ich nominiere Miyuki—« »Aber ich hab das doch schon gemacht«, maulte dieser mit einem Grinsen, das seine Worte Lügen strafte. Kuramochi blieb davon unbeeindruckt und fuhr gelassen fort: »Miyuki. Dann Sawamu—« »Oi, das ist unfair!« »Und zuletzt noch Ryou-sa—«, ignorierte er den empörten Einwurf seines Kouhai, stockte jedoch, als er Ryousukes stechenden Blick im Nacken spürte (wie auch immer er das mit geschlossenen Augen schaffte). »...nicht«, korrigierte er hastig und schluckte schwer. »Natürlich nicht. Als ob ich Ryou-san nominieren würde. Niemand sollte das.« Die anderen Spieler vor ihm lachten so hämisch, dass ihn nicht einmal aufheitern konnte, wie Ryousuke ihm die Schulter tätschelte und ein ›Gut gemacht‹ zuraunte. »Bereit, Kuramochi?« Miyuki stand mit dem Rücken zu ihm ein paar Meter vor ihm und drehte sich um, ein Grinsen auf den Lippen. Kuramochi schnitt eine Grimasse und nickte langsam. »Bringen wir es einfach hinter uns.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)