Eine frostige Überraschung
Draußen fielen dicke, weiße Flocken zu Boden, aber Oliver Hector hatte keinen Blick dafür. Eigentlich hatte er für gar nichts einen Blick. Seine Eltern hatten ihn schon kurz nach ihrer Ankunft unter fadenscheinigen Umständen in der Skihütte zurückgelassen und wenn er ganz ehrlich war, war es ihm auch recht so.
Er wollte nicht daneben stehen, wenn sie fröhliche Küsse austauschten und ihn fragten, wieso er zur Zeit so schlechte Laune hatte. Vor allem weil er ihnen nichts erzählen konnte.
Zu peinlich war es ihm, dass er ernsthaft versucht hatte Gwen Frost zu verletzen und das nur, weil er angenommen hatte, dass Kenzie -
Kenzie.
Er seufzte.
Nur an den Namen zu denken, tat schon weh. Dabei war er doch eigentlich in den Urlaub gefahren, um endlich von ihm loszukommen. Und jetzt, jetzt vermisste er ihn ganz schrecklich.
Unglücklich starrte er an die Decke empor und begann ein weiteres Mal die Astlöcher zu zählen.
Was nützte es einem einer der gefährlichsten Krieger der Welt zu sein, wenn man ganz langsam von innen aufgefressen wurde?
Verdammt, er war wirklich sowas von am Arsch!
„Mach, mach, mach, mach!“, ertönte es plötzlich in stetem Singsang vom Fenster herüber und erweckte so Olivers Aufmerksamkeit. Er hatte angenommen der Einzige zu sein, der nicht auf der Piste war, aber scheinbar hatte er sich geirrt.
„Na los“, drängte eine männliche Stimme und noch bevor er wirklich wusste was er tat, war Oliver auch schon auf den Beinen.
Was ging denn da bitte vor seinem Fenster vor?
Leise schlich er sich auf die Quelle des Lärms zu, spähte neugierig durch die Scheibe, doch alles was er sah, war ein nackter Rücken.
Ein gut trainierter, nackter Rücken.
Oliver war verwirrt.
Wieso bei allen Göttern stand ein halbnackter Kerl vor dem Fenster seiner Skihütte, während Weitere fröhlich auf ihn eingröhlten?
Hatte er etwas verpasst?
Er hatte definitiv etwas verpasst.
Vorsichtig langte er nach dem Griff seines Fensters und bemühte sich, es lautlos zu öffnen.
„Meine Hose lass ich aber an“, drang es an seine Ohren, als er neugierig den Kopf hinaus steckte um sich das Durcheinander anzusehen.
„Meinetwegen“, kam es von der anderen Seite der Muskeln, „Achtung!“
Eigentlich hätte Olivers Spartanerinstinkt ihn warnen müssen. Eigentlich hätte er aus Reflex ausweichen können, aber entweder ihm waren die trägen Tage der Trauer nicht bekommen oder der nackte Rücken hatte ihn zu sehr abgelenkt. Jedenfalls merkte er viel zu spät, dass das „Achtung“ für den Körper vor ihm bestimmt war und noch später, dass seine Freunde mehrere Eimer mit Wasser hatten.
Eine wahre Flutwelle prasselte auf den halbnackten Jungen nieder und damit leider auch auf ihn. Wasser schwappte durch das Fenster, durchnässte seine Socken, den Boden, seine Kleidung. Oliver ließ ein unglückliches Winseln ertönen, das so auch von Gwen hätte stammen können.
Scheiße, der ganze Mist war ja auch noch eiskalt!
Seine blonden Haare hingen ihm ins Gesicht, sein Körper zitterte und er musste mehrfach heftig blinzeln um das eiskalte Wasser aus seinen Augen zu bekommen.
„Ist dir was passiert?“
Oliver blinzelte noch einmal, dann erkannte er den nassen Jungen, der neugierig durch das Fenster blickte. Es dauerte bestimmt fünf Sekunden, bis seine Lippen soweit aufgehört hatten zu zittern, dass er ein leises „Kalt“ herauswürgen konnte.
Ein Wort, das den Anderen zum lächeln brachte.
„Kalt muss das sein“, erklärte er mit seinem schweren, ausländischen Akzent, „Du hast gerade an der „Ice Bucket Challenge“ teilgenommen. An meiner wohlgemerkt.“
Oliver strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht und winselte noch einmal, als ein paar eisige Tropfen seinen Nacken hinunter flossen. Der Andere musste in der Lage sein extreme Witterungen wegzustecken, wenn er da so ungerührt am Fenster stehen und ihn ansehen konnte.
Erneut lächelte der Fremde.
„He“, erklärte er, „Es tut mir leid, dass wir dich getroffen haben. Wie wär's? Du ziehst dir was anderes an und ich lad dich auf was Warmes ein? Und vielleicht lassen uns die Jungs dann mal gucken wie unser Video so geworden ist.“
