Therapiestunden von KankuroPuppet (( Psychological Affairs )) ================================================================================ Kapitel 7: Killer (2/2) ----------------------- Siebter Teil Während sein Selbsterhaltungstrieb, panisch und mit Leuchtfeuern bewaffnet, durch seine Gedanken lief und zur Flucht ermahnte, entschieden Laws Muskeln, dass er an Ort und Stelle verharren musste – Hilflos. Rettungslos. Machtlos. Kid sagte etwas, doch die Worte wurden zu einem Rauschen in dem Versuch, all diese Eindrücke in einen rationalen Kontext zu bringen. Doch im Angesicht dieser beiden Psychopathen musste wohl jeder Versuch des Begreifens scheitern. Kids Puzzle war nicht nur unsortiert und unvollständig, alle Teile schienen so mangelhaft gefertigt worden zu sein, dass keines von ihnen ineinandergreifen wollte. Augenblicklich musste Law an seinen Onkel denken und an die Dinge, die er ihm über diesen Patienten erzählt hatte. Nicht einmal eine Anzeige. Für den Studenten bestand kein Zweifel: Der fremde Kerl ihm gegenüber konnte niemand anderes sein, als der beste Freund, dessen Gesicht Kid vor fünf Jahren in Brand gesteckt hatte. Eine Entstellung, die er mit Mütze und Schal versteckte, während er seinem Peiniger das Abendessen überreichte – das Ganze hatte den Beigeschmack eines schlechten Horrorfilms. Und doch – er saß mittendrin, hatte es sich zwischen Doktor Frankenstein und seinem Monster bequem gemacht und fragte sich, welche Rolle er in diesem surrealen Arrangement einnehmen würde. „Na wenigstens labert er nicht“, erklärte eine vom Stoff gedämpfte Stimme und holte Law in die Welt der Straßenbahn zurück. Desorientiert blickt er sich um, achtete auf Kid, welcher ihm grinsend die Mütze vom Kopf stahl und sie sich selbst aufsetzte. „Du hast ihn eingeschüchtert…“, verteidigte er Laws Sprachlosigkeit, hob seine Beine an und legte die Schuhsohlen seiner dunkelbraunen, nur zur Hälfte geschnürten Stiefel auf die Stuhlkante ihm gegenüber. Killer ließ ein zufriedenes Schnauben hören. „Ich bin nicht der Arzt, nur der Neffe“, entfloh es untererwartet dem Mund des Mediziners, während er eine Hand ausstreckte und sein Eigentum zurückforderte. Kid zog sogleich die Mundwinkel nach unten, drückte sich gegen die Wand der Straßenbahn, um Law durch weiteren Abstand besser mustern zu können. „Die Erklärung kommt etwas spät…“, begann er und wandte sich darauf an Killer: „Vielleicht isser auch nur etwas langsam.“ Die beiden lachten kurz über den Witz oder vielmehr über ihn, doch das war Law egal. Sollten die Irren doch gackern wie sie wollten. Zwei Stationen später standen seine Begleiter auf, drängten sich aus dem engen Vierer, wobei Kid im Gehen mit einer Hand Laws Oberarm umklammerte und den Mediziner mit sich zog, als wolle er sichergehen, dass er ihnen auch folgte. Law ließ es mit sich geschehen und hasste sich dafür, dass seine Neugierde und die Sehnsucht nach Antworten größer war, als sein gesunder Menschenverstand – doch was zählte hier schon Verstand? Vielleicht war er im Park durch den Laubhaufen hindurchgefallen, hatte es gar nicht bemerkt und wanderte nun durch sein ganz persönliches Nimmerland. Hörte er da drüben etwa eine Uhr ticken? Zumindest half die kühle Abendluft dabei, den Schleier um seine eigene Wahrnehmung etwas zu lüften. „Law?“ Eine vertraute Stimme rief seinen Namen, doch kam sie nicht von seinen Begleitern. Überrascht drehte er sich um, löste dabei den Griff um seinen Arm, den Kid konsequent festgehalten hatte. Der Student erkannte augenblicklich, wer so verwundert nach ihm fragte. Aber nicht nur er hielt an, auch Kid und dessen Freund Killer verharrten, standen links und rechts neben dem Studenten, den sie alle beide um eine gute Kopflänge überragten. „Gibt’s hier nen Nest?“, nuschelte eine raue Stimme hinter einem Schal hervor. Kid verzog missbilligend den Mund. „Aber mit uns nicht feiern gehen wollen… Ist klar!“, witzelte eine freundliche Stimme, wobei der Sprecher auf die kuriose Dreiergruppe zuging und seinem Studienkollegen eine Hand auf die Schulter legte. Mit einem frechen Grinsen fasste er sich an die schwarz-weiße Cap auf seinem Kopf. Eine zweite Person näherte sich, gluckste entspannt und vergrub mit einem Gähnen die Hände in den Hosentaschen. „Lass gut sein, Peng. Wir sind einfach nicht cool genug für Mister Mein-Vater-ist-Leiter-der-Kardiologie-im-St.-Christopher’s-Hospital Trafalgar fucking Law“, feixte dieser und entschuldigte sich sodann mit einem Zwinkern bei seinem Kommilitonen. Law lächelte verlegen. Wenn er überhaupt davon sprechen konnte, dass der so etwas wie Freunde an der Uni hatte, dann waren es mit Abstand diese beiden Idioten – sie waren hartnäckig geblieben und über die Jahre hatte er sich irgendwie an sie gewöhnt. „Is wohl eher der Club der erschreckend geschmacklosen Hüte“, korrigierte Kid mit neckisch hochgezogenen Augenbrauen aus dem Hintergrund. Die beiden hatten sich in der Zwischenzeit ein Stück von den Studenten entfernt, dennoch konnte man Killers fieses Lachen hören. Shachi, der junge Mann neben Penguin, griff sich beleidigt an die Krempe seiner Ballonmütze und zog sie tiefer ins Gesicht. „Wer sind denn die Affen?“, schmollte er, nahm sich nun aber die Zeit, Laws Begleitung genauer unter die Lupe zu nehmen. Es brauchte nicht lange, bis er entsetzt die Augen aufriss: „Jetzt mal im Ernst. Wer ist das?“ Penguin untermalte die Verwunderung mit irritierter Mimik. Law nahm ein ungutes Gefühl im Bauch wahr und musste sich fragen, ob es daran lag, dass es ihm unangenehm war, von seinen Kommilitonen quasi „erwischt“ worden zu sein – oder ob es eventuell andersherum war. Es brauchte keinen zweiten Blick, um zu erkennen, dass Shachi, Penguin und auch er selbst aus einer ganz anderen Welt stammten, als die beiden jungen Männer hinter ihnen. Hier trafen gute Elternhäuser, eigene Autos und vollfinanzierte Studiengänge auf… ja, auf was? Brandnarben und verweigerte Psychopharmaka, ranzige Kleidung und geklaute Fahrräder. Und trotzdem - Nur eine dieser beiden Welten vermochte an diesem Abend Laws Neugierde zu entfachen, war reizvoll, unbekannt und unvorhersehbar genug, um dieses unglaublich verführerisch, vor Anspannung prickelnde Gefühl auf seiner Haut zu erzeugen. „Ein Patient meines Onkels“, nuschelte der Medizinstudent leise und ärgerte sich umgehend darüber, dass sein Halbsatz wie eine Rechtfertigung klang. „Ahhh…“ Simultan öffneten seine Freunde den Mund, nickten verständnisvoll, wobei sie den Blick nicht von dem eigenartigen Duo nehmen konnten, das sich in den Schatten hinter einer Laterne zurückgezogen hatte. Penguin war der erste, der die Unstimmigkeit bemerkte: „Aber warum bist du jetzt noch mit ihnen unterwegs?“ Shachi unterstütze ihn, indem er sich argwöhnend näher zu Law beugte: „Wirklich seltsam. Was hat er? Und welcher ist es? Der Heruntergekommene oder der Gruselige?“ Die beiden Jungs kicherten. Law verdrehte die Augen, konnte sich ein Grinsen allerdings nicht verkneifen. Die Kluft zwischen den zwei Gruppen, mit denen er gerade hier stand, schien immer weiter auseinanderzuklaffen. „Hey Möchtegern-Doc! Kommste jetzt mit oder bleibste bei den beiden Clowns?“, rief Kids Stimme ungeduldig aus dem Hintergrund. Der Gefragte seufzte, Penguin fuhr sich nachdenklich durchs Gesicht: „Charmant“, murmelte er. Law konnte die Reaktion zwar verstehen, jedoch war er sich nicht sicher, welche Partei gerade am meisten lästerte. Doch kein Wunder, dass Shachi und Penguin die Situation nicht verstanden – wie sollten sie auch? So verabschiedete sich Law mit einem abrupten: „Ich muss dann los“, und hatte sich bereits umgedreht, als die zwei ihm etwas hinterherriefen: „Pass auf!“ „Und meld dich Morgen mal – falls du die Nacht überlebst.“ Der Anhang war leiser gesprochen, doch die Besorgnis war dennoch deutlich herauszuhören. Weder Kid noch dessen unheimlicher Freund stellten Nachfragen über Laws Freunde. Anders als Shachi und Penguin wirkten diese zwei so, als ob ihnen die Leute außerhalb ihrer kleinen abnormalen Welt so egal waren, wie der Dreck an der Wand der verstecken Bar, die sie nun erreichten, nachdem sie von der Hauptstraße in eine Gasse eingebogen waren. Der Türsteher begrüßte sie schon vom Weitem: „Heute zu dritt?“, fragte er perplex. „Mein Leben steckt voller Überraschungen“, antwortete Kid mit einem Kichern und hielt dem breitschultrigen Mann eine Faust hin, wie er es schon bei Killer getan hatte. Der Hüne lachte vielsagend, dann ließ er das Trio passieren. Sie mussten einige Stufen hinab, bis sie einen Keller erreichten, der aus einem Gang bestand, welcher aller Wahrscheinlichkeit nach zu den Toiletten führte und eine große Tür darbot, hinter der laute Gitarrenklänge und Bassrhythmen zu hören waren. Hier blieben sie stehen. Natürlich hätte sich Law an dieser Stelle ein weiteres Mal hinterfragen müssen und dabei zu der Erkenntnis kommen, dass es keine gute Idee war, einem Irren und dessen zwielichtigen Freund in ein dunkles Loch mit nur einem Ausgang zu folgen. Doch steckte er nicht schon viel zu sehr drin, als dass ein Ausstieg noch eine Option darstellte? Er hatte seine Karten auf den Tisch gelegt, war All-in gegangen und aufgestanden, um nun voller Neugierde Kids Blatt sehen zu können. „Was machen wir hier?“, fragte er also neugierig und erntete einen perplexen Blick. Ohne sich die Mühe zu machen, den Mund für eine Antwort zu öffnen, griff Kid in die Seitentasche von Killers Rucksack, holte eine hohe, grüne Flasche heraus, drehte den Deckel ab und hielt die Öffnung mit zufriedenem Grinsen dem Medizinstudenten entgegen. „Spaß haben?“, äußerte er und rüttelte an der Flasche, um Law verständlich zu machen, dass er ihm diese endlich abnehmen sollte. „Wird dir gefallen“, fügte er schelmisch hinzu, wobei Law überlegte, ob er den Spaß oder den irischen Whiskey meinte, von dem er sich im folgenden Augenblick den ersten Schluck gönnte und unter dem brennenden Gefühl im Hals den Mund verzog. Kaum hatte er seine Lippen vom Hals der Flasche gelöst, da schnappte Kid sie sich zurück, um selbst etwas zu trinken: „Cheers!“, säuselte er, amüsiert von Laws Gesichtsausdruck, als mit einem Mal die Musik im Innenraum lauter wurde. Der angehende Arzt beobachtete akribisch, wie der Rotschopf mit einem Mal innehielt, aufhorchte und unmittelbar breit grinste. „Scheiße!“ Auf den Ausruf hin riss Kid die Tür auf, die Musik wurde lauter, warme und zugleich verbrauchte Luft, die eine erschreckende Ähnlichkeit mit dem Geruch in Kids Klamotten aufwies, schlug Law entgegen und ließ ihn zusammenfahren – da war die Tür auch schon wieder geschlossen und hatte Kid in ihrer verborgenen Welt verschwinden lassen. Der Student schüttelte ungläubig den Kopf, hoffte im tiefsten Innern, dass in der Flasche wirklich nur Whiskey gewesen war und verlor sich in wirren Gedanken, als es mit einem Mal eng um seinen Hals wurde. Überrascht von der plötzlichen Attacke war er wacklig auf den Beinen, ließ sich brutal hin und her zerren, bis er letzten Endes mit dem Rücken gegen eine der Wände des düsteren Gangs geschleudert wurde, wobei sein Hinterkopf schmerzlich gegen Beton schlug. Sein Geist war benebelt, er schmeckte Blut auf der Zunge. Dabei dauerte es lange Sekunden, bis sich die Bilder vor seinen Augen wieder zu einem Ganzen zusammenfanden, während es in unregelmäßigen, bitteren Stößen durch seinen Kopf zog und Denken zur Unmöglichkeit werden ließ. Aber er bedurfte in diesem Fall auch keiner weiteren Analyse. Der Täter konnte nur eine Person sein: „Fuck! Was soll der Scheiß?!“, schrie Law wütend hervor, wobei er hoffte, dass der Türsteher seinen Ruf hören konnte. Doch letzten Endes führte sein Gepolter nur dazu, dass der Griff um seinen Hals, der ihn so unliebsam an der Wand fesselte, enger wurde. Killer schaffte es tatsächlich, ihn mir einer einzigen Hand zu fixieren – so sehr Law auch zappelte und fluchte. „Reden wir mal, Herr Doktor“, witzelte der vermummte Kerl mit einer zynischen Leichtigkeit in der rauen Stimme. Aus den Augenwinkeln verfolgte sein Opfer, wie er etwas aus seiner Hosentasche holte, den im künstlichen Licht glitzernden Gegenstand verspielt um seine Finger rotieren ließ, nur um am Ende entschlossen die Klinge des gezückten Butterflymessers gegen den Hals des wehrlosen Studenten zu drücken. Law riss vor Entsetzen die Augen auf, bis es schmerzte. Ein Fehler! Diese ganze Aktion war ein Fehler gewesen. Von vorne bis hinten. Angefangen bei dem Praktikum. Sein Onkel hätte wissen müssen, dass er nicht der Typ war, den man auf Wahnsinnige loslassen sollte. Er hätte es wissen müssen! Nun war es zu spät. Alles war passiert. Klappe zu. Erbärmlich hilflos wie er war, würde er in irgendeiner dreckigen Bar in Downtown vom Schergen eines Soziopathen abgestochen werden. Laws ganzer Körper brannte unter dem unerfüllbaren Wunsch, die Zeit zurückzudrehen. Wann hatte er angefangen, seinen Verstand auszuschalten? Als Law ein letztes Mal versuchte, sich aus dem eisernen Griffs zu befreien, glitt die Klinge des Messers über seine Haut, zog dabei unmittelbar einen tiefroten Streifen hinter sich her, welcher daraufhin in einzelnen Schlieren über Laws Hals auf sein Oberteil lief. Adrenalin pumpte durch seine Adern, ließ seinen Atem in schmerzhaft intensiven, kurzen Zügen seine Lungen füllen. Die Luft presste er anschließend verkrampft genug durch seine aufeinandergepressten Zähne, dass sich Speichel in kleinen Tropfen auf dem Gesicht seines Peinigers verteilte. Er wollte mit einem Bein ausholen, doch bevor er handeln konnte, wurde eine Kniescheibe in seinen Eingeweiden versenkt. Er stöhnte vor Schmerzen auf. Noch einmal drohte die Welt in Dunkelheit zu verschwinden. „Du hast keine Chance, also erspar uns beiden den Stress“, hallte eine Stimme in weiter Ferne durch den dunklen Flur, in welchem der Student nun gefangen gehalten wurde. Laws Glieder zitterten. „Ist der Dreck hier etwa geplant gewesen?“, wollte er schreien, doch erlaubte sein bebender Körper nur schwer verständliches Röcheln. Sein Gegenüber blickte verwundert auf, allerdings verbarg sein Schal alle weitere Mimik. Seine Stimme verriet mehr: „Nein. Nein, ich wusste von nichts und genau das ist mein Problem, Wichser.“ Law überraschte die Erklärung so sehr, dass er für einen Augenblick innehielt, ohne weiter zu versuchen, dem quälenden Griff zu entkommen. „Warum bist du hier?“, wurde er daraufhin gefragt. Die Augen im vernarbten Gesicht hatten ihren gefährlichen Glanz wiedergefunden und ließen Law erstarren wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Das Messer drückte weiterhin mit seiner kalten Klinge gegen die Schlagader an seinem Hals. Für einen Moment wurde es still genug, um wieder die dumpfe Musik aus dem Nebenzimmer wahrzunehmen, dann schluckte Law, hatte seine Worte zuvor vorsichtig gewählt: „Ich dachte, wenn ich mehr über ihn weiß, kann ich ihm vielleicht helfen.“ In seinem tiefsten Innern hegte Law sogar die Hoffnung, dass der Satz nicht vollends frei erfunden war. Killer hielt inne, dachte augenscheinlich über die Aussage nach, dann ergab er sich einem unnatürlichen, angsteinflößenden Lachen, das Law eine Gänsehaut verlieh. Die zitternde Hand des Angreifers drückte dabei das scharfe Messer abermals in die Haut seines Opfers, welches sich erschrocken auf die Unterlippe biss. „Wie niedlich“, spukte der Vermummte schließlich abschätzig hervor. Law kniff verwundert die Augenbrauen zusammen: „Dafür geht er doch in die Therapie, nicht wahr?“, versuchte er zu kontern. Sein Gegenüber legte den Kopf schief. „Damit du ihm helfen kannst? Wohl kaum…“, folgte prompt die Antwort. Der angehende Mediziner versuchte ruhig zu bleiben, umklammerte mit seinen Fingern die Hand, die ihn an der Wand fixierte. Killer ließ sich davon jedoch nicht verunsichern: „Ihr Psychodocs kotzt mich an. Tut, als würdet ihr etwas Gutes machen wollen. Helfen! Dabei seid ihr nicht mehr, als ein blutgeiler Schaulustiger, der in der ersten Reihe stehen will, wenn der Idiot endlich springt und sich sein Körper über dem Asphalt verteilt.“ Das fremde Gesicht kam Law immer näher. Der Griff wurde fester. Laws Füße verließen den Boden, bis zur noch die Spitzen seiner Schuhe über die Oberfläche streiften. Das Atmen wurde zur Unmöglichkeit. Verzweifelt riss er den Mund auf. Schnappte nach dem lebensnotwendigen Sauerstoff; seine Augen vor Schmerz und Angst zusammengekniffen. Vielleicht hätte er geschrien, aber wo keine Luft hineinkam, kam auch keine raus, um einen erbärmlichen Hilferuf zu formen. „Stimmt es nicht, Law…?“, säuselte die raue Stimme neben seinem Gesicht. Nun erwachten Laws Glieder zu neuem Leben, schlugen, traten, kämpften. Kämpften ums Überleben. Noch wenige Sekunden und sein Leben… sein einziges Leben… Seine Gedanken waren durcheinander. Ein Storm aus Hass auf sich selbst, aus Panik und Todesangst. Dann die Erlösung. Er wurde befreit, fiel kraftlos auf den harten Betonboden, hielt sich den Hals und rang keuchend nach Luft. Als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte, blieb er liegen, schaute entsetzt zu seinem Peiniger auf, schloss seine Hände zu Fäusten, bereit sich zu wehren. Doch der Mann über ihm lachte leise. Während er sich hinhockte, griff er an den Rand des Schals, der weite Teile seines Gesichts verdeckte. „Komm mir ja nicht zu nah, Bastard“, prustete Law zwischen seinen Zähnen hervor; verteilte Speichel in der stickigen Luft. Zorn pumpte in schnellen Stößen durch seine Blutbahnen. Wieder ein Lachen. Ein zynisch verspottendes Lachen. Dieses Mal zog die Hand den Schal nach unten, ließ ihn lose über den Oberkörper des jungen Mannes fallen, der viel älter wirkte, als er tatsächlich sein konnte. Zwar hatte Law mit einigem gerechnet, doch der Anblick des vernarbten Gesichts ließ ihn dennoch kurz innehalten. Teile des Halses, des Unterkiefers, der Wangen, Teile der Lippen und der Ohren… alles musste den Flammen damals zum Opfer gefallen sein. Ein Wunder, dass er noch sehen und sprechen konnte. Vom Anblick erstarrt, reagierte Law jedoch zu langsam und fand die Klinge des Butterflymessers unter seinem linken Auge. Er schluckte schwer. „Stimmt es?“, wiederholte die kratzende Stimme und fixierte ihn aus kalten Augen. Law antwortete nicht, war aber qualvoll an das Spiel erinnert, das er noch vor wenigen Stunden mit Kid ausprobiert hatte. Sein Blick wanderte zu der glänzenden Messerspitze. Vor sich konnte Law hören, wie Killer nach Luft zog und daraufhin neben sich auf den Boden spuckte. Er räusperte sich. „Ich will dir damit nur erklären, dass ihr Möchtegern-Helden die Finger von Sachen lassen solltet, die ihr nicht kontrollieren könnt“, raunte es aus den vernarbten Lippen. ‚Kontrolle‘ war ein Wort, das Law nun einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Der Boden unter ihm war feucht und rau, drückte sich gegen seinen Körper und war dennoch nicht annähernd so unangenehm wie die Nähe des Mannes, der neben ihm hockte. Im Hintergrund dröhnte der Bass wie ein schneller, mechanischer Herzschlag, gab den Takt dieser absurden Konversation vor. Irgendwo hinter dieser Mauer war Kid und Law fragte sich, ob er eine Ahnung von dem hatte, was hier draußen passierte. „Ich weiß, was ich tue“, erklärte der Student, richtete sich etwas auf, um größer zu wirken, wobei er in Kauf nahm, dass das Messer in die Haut seiner Wange schnitt. Killer beobachtete es gebannt, dann kicherte er provokant: „Ach ja?“ Es waren die einzigen beiden Worte. Zwei Worte, die nicht einmal als solche benannt werden konnten und dennoch eine neue Erkenntnis erlaubten, die sich aus Laws Unterbewusstsein langsam an die Oberfläche grub. Mit zitternden Augenlidern sah er abermals auf das Messer. Sah auf die Klinge. Schloss resignierend den Mund und verstand. Es war kein Autounfall gewesen. Er hatte völlig falsch gelegen. Für eine Sekunde sah er Kid wieder neben sich, umringt vom bunten Laub. Er sah das hochgerutschte Tuch, das eine tiefe Narbe entblößte, die sich über seine gesamte Stirn, bis zur Wange hinab erstreckte. Law schluckte, zog unsicher die Mundwinkel nach unten. Es war kein Autounfall. Der Kerl, dem du vor fünf Jahren das Gesicht angezündet hast; der Typ, mit dem du dich abends zum Feiern triffst… Er hat dir eine zentimeterbreite, tiefe Narbe mit seinem Messer ins Gesicht geschnitten. Kid. Stimmt es? ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)