Therapiestunden von KankuroPuppet (( Psychological Affairs )) ================================================================================ Kapitel 1: Willkommen in der Psychiatrie ---------------------------------------- Erster Teil Der 15. September. Letzte Sonnenstrahlen warfen sich mit angenehmer Wärme auf die Gesichter der Menschen und ließen diese wie eine flüchtige, verblichene Erinnerung an den vergangenen Sommer erröten. Müde kämpften sie sich durch das lichte Blätterwerk, welches in allen erdenklichen Farben leuchtete, wobei ein Blatt mit dem nächsten um seine Schönheit konkurrierte. Kinder lachten, sprangen durch Pfützen und bewarfen einander mit farbigen Laub, während sich eine dunkle Gestalt wie ein Fremdkörper an ihnen vorbeistahl, das farbenfrohe Schauspiel ignorierte und mit trägen Schritten und schlechter Laune den Eingang der Spezialklinik durchschritt, um eine der Abteilungen in den oberen Stockwerten anzusteuern. Kaum hatte der junge Mann den ersten der halbdunklen Eingangsflure, erfüllt mit der typisch schweren, staubigen Luft, betreten, wurde er daran erinnert, weshalb er sich in einem Fachbereich der Chirurgie mit ihren sterilen OP-Sälen und der beachtlichen Auswahl an Narkotika bewerben wollte. Stattdessen stand er nun in der Abteilung seines Onkels und beobachtete unmittelbar vor sich eine einzelne Person auf einem unbequemen Stuhl. Ihre dünnen Arme hatte sie verkrampft um den eigenen Körper gelegt, während der Torso wie ein Säugling in der Wiege nervös vor und zurück wippte. Die Augen fixierten manisch einen Punkt am Boden. „Es sieht zwar nicht danach aus, aber wir sind auf dem besten Wege“, sprach eine raue Stimme neben ihm, die seine erschreckte Faszination erkannt haben musste. „Schön, dass du hier bist, Law.“ Sein Onkel lächelte ihn liebevoll an und hob eine Hand, um die Mütze vom Kopf seines Neffen zu ziehen. Die Maßnahme war seit Beginn seines Studiums zur Routine in ihrer Begrüßung geworden. Ärzte trugen nichts auf dem Kopf – außer im OP, das hatte sein Onkel ihm immer wieder eingetrichtert. Law machte sich allerdings nicht allzu viel aus seinen Vorschriften. Ohne weitere Worte zu verlieren, machten sie sich auf den Weg. „Ich bin sehr froh, dass du der klinischen Psychiatrie eine Chance gibst. Dein Vater mag dich zwar zu einem Kardiologen heranziehen wollen, aber ich bin der Meinung, du solltest deine eigenen Entscheidungen treffen“, erklärte der Mann, dessen Haaransatz sich langsam grau verfärbte; nur passend zum bereits farblosen Vollbart. Law hatte nicht viel Ähnlichkeit mit seinem Onkel, abgesehen von den fahlen blaugrauen Augen, die jedem in ihrer Familie mit auf den Weg gegeben wurden. Nachdem Law beinahe das Ende seines Studiums erreicht hatte, war es an der Zeit, sich für einen Fachbereich zu entscheiden. Während sein Vater geradezu erwartete, dass sein Junior in die Fußstapfen des Chefarztes der Chirurgie trat, wollte dessen Bruder nicht Ruhe geben, bevor Law sich nicht zumindest für wenige Wochen sein Fachgebiet betrachtet hatte: Psychiatrie. Willkommen im Bereich mit dem niedrigsten Blutpotenzial – langweilig… Doch irgendwann wurde es selbst Law zu mühselig seinem Onkel unentwegt abzusagen und so stimmte er schlussendlich einer Art „vierwöchigen Privat-Praktikum“ zu. „Ich sage dir etwas. Heute habe ich nur alte Stammpatienten. Die meisten sind auf dem besten Wege...“ Eine Aussage, bei der Law nur müde schmunzeln konnte. Irgendwie waren alle Patienten seines Onkels grundsätzlich auf dem besten Wege, Heilung so gut wie ausgeschlossen. „Einfache Patienten, meine ich. Guck sie dir heute an, such dir einen aus und wenn der Patient einverstanden ist, kannst du den Fall vorerst übernehmen. Ich bin schließlich die ganze Zeit dabei. Was sagst du?“ Das Lachen seines Onkels wirkte ansteckend genug, um selbst Laws Spiegelneuronen zu animieren, den Ausdruck weitestgehend zu imitieren. „Gut“, kommentierte er den Vorschlag, mehr oder weniger begeistert. Als sie sein Sprechzimmer erreichten, stand die Tür bereits offen. „Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit“, erklärte sein Onkel und ließ Law eintreten „Ich werde noch schnell einen Kaf-… Ach du heilige…!“, rief der alte Mann mit einem Mal, als er sich zu seinem Arbeitstisch gewandt hatte. Eine dritte Stimme kicherte vergnügt: „In diesem Raum darf man nicht fluchen, Doc…“, mahnte sie. Law drehte sich schweigend um, blickte verwundert auf ihren unerwarteten Gast. Auf dem Leder des teuren Schreibtischstuhls seines Onkels fläzte sich ein Junge, der nicht viel älter als Law selbst sein konnte. Ein Bein hatte er frech über die Unterlagen auf der Tischablage gelegt, das andere ruhte auf der Stuhllehne. Am auffälligsten waren wohl die feuerroten Haare, die mit einem leicht fettigen Ansatz wild vom Kopf abstanden und mit einer Sonnenbrille über der Stirn so gut es ging gebändigt wurden. Von der Stirn herab zog sich seine tiefe Narbe über sein linkes Auge. Sie war bereits verblasst, doch musste sie die Erinnerung an eine schwere Verletzung sein. Die Klamotten waren ausgewaschen und ranzig, ihren Geruch nach altem Rauch konnte Law durch den halben Raum wahrnehmen. Vergnügt hockte der Eindringling nun auf dem Stuhl, in den Händen eine Butterbrotdose, dessen Inhalt er in aller Ruhe verspeiste. Nach dem ersten Schreck ergab sich sein Onkel einem entgeisterten Seufzen. „Wie oft haben wir schon darüber gesprochen, Kid? Auch du darfst das Wartezimmer gerne nutzen, dafür ist es da. Wenn du Hunger hast, können wir gerne in die Cafeteria gehen, aber mein Frühstück ist tabu!“ Erschöpft fuhr er sich durch sein Gesicht und hinterließ einige Fragen bei seinem Neffen. „Wer ist das?“, fragte der seltsame Junge neugierig, deutete auf Law, während er genüsslich an der verbliebenen Möhre knabberte und die leere Dose danach aus seiner Hand auf den Boden fallen ließ. Law kräuselte seine Nase. Wer um alles in der Welt nannte sein Kind ‚Kid‘, das war absurd, und warum sollte sich sein Onkel mit einem Patienten in der Cafeteria treffen? Noch einmal rieb sich sein Onkel mit den Innenflächen seiner Hände über das Gesicht, kratzte seinen weißen Bart und lehnte sich gegen den brauen Ledersessel, der in einem Arrangement mit einem weiteren seiner Art, einem modernen Tisch aus Kunststoff und Glas und einer Couch die Mitte des Raumes einnahm, während die Wände vollgestellt waren mit verschiedensten Bücherregalen. Die einzigen Fremdkörper in dieser privaten Bibliothek waren zwei große Fenster, ein Fernseher und ein Whiteboard, auf das einige Zahlen gekritzelt waren. Alles fügte sich ins Bild des dunklen Parkettbodens – überraschend modern, wunderte sich Law, wie ungewohnt für den Bruder seines Vaters. „Mein Neffe“, erklärte der Psychiater und wartete ab, bis der Junge am Schreibtisch nickte, vom Stuhl aufsprang, ihnen den Rücken zuwandte und an eines der Regale ging. Vorsichtig und konzentriert berührte er jeden Buchrücken, der sich im Fach auf seiner Augenhöhe befand. „Ich wusste nicht, dass Sie einen Neffen haben“, erklärte er schließlich, wagte es jedoch nicht, seinen Blick für eine Sekunde von den Büchern zu nehmen. Law schluckte schwer, während sich zunehmend Unruhe in ihm ausbreitete, die ihren Ursprung ohne Frage in der eigenartigen Aura hatte, die dieser Patient ausstrahlte. Da er von seinem Onkel behandelt wurde, musste eine psychiatrische Erkrankung zugrunde liegen und der Mediziner in Law war bereits auf der Suche nach der Antwort – welche? Diagnose war für ihn ein Spiel, eine Art Puzzle. Man nahm die Teile, ordnete sie und setzte sie zusammen, bis die Lösung zu erkennen war. Doch er brauchte mehr Informationen und da es keine Blutproben zu entnehmen und keine Organe zu untersuchen gab, konnte er nur eines tun – reden. „Was wohl daran liegt, dass der Neffe nicht viel von Psychologie und Psychiatrie hält“, ergänzte er also provokant mit einem Grinsen, als würden die drei ein gleichberechtigtes Gespräch unter alten Freunden führen. Law spürte den erschrockenen Blick seines Onkels neben sich, konnte jedoch nicht zu ihm schauen, da er viel zu gespannt auf die Reaktion des Jungen wartete. Dieser war wie erstarrt, kaum dass Law seine Stimme erhoben hatte. Sein Körper zitterte und wies damit auf die enorme Anspannung seiner Muskeln hin. Ein Moment der Stille und Anspannung zog sich durch den Raum wie ein kalter Windstoß im aufkommenden Herbst. Es dauerte ewige Sekunden, bis der Patient am Bücherregal seinen Kopf über die Schulter drehte; ganz langsam, mit angezogenem Kinn und angespannter Kiefermuskulatur. Die Luft des Raumes schien elektrisch aufgeladen zu sein. Law traf in diesem Moment der hasserfüllteste Blick, dem er jemals ausgesetzt war. Starr fixierten ihn grüne Augen, die im komplementären Kontrast der unnatürlich roten Haare leuchteten. Sie lösten im jungen Mediziner nur eines aus – Faszination. ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)