Die vergessene Kommandantin von Kenja (Memoiren der Akari) ================================================================================ Kapitel 14: Hundert Jahre ohne Dich Teil 5: Sato ------------------------------------------------ Es war nicht einfach, Byakuyas und Yoruichis Fragen auszuweichen, doch am Ende hatte ich sie davon überzeugt, dass es wichtiger war, den Ort aufzusuchen und herauszufinden, ob Mana wirklich dort war, anstatt weiter zu rätseln, woher ich diese Information hatte. Yoruichi war misstrauisch, doch ich beachtete sie nicht weiter. Ich wusste, dass Gins Geheimnis unbedingt bewahrt werden musste, wenn Aizen neben meiner Immunität irgendeine Schwäche hatte, konnte er sie eventuell herausfinden. Der Ort befand sich tatsächlich an einem der äußeren Bezirke von Rukongai, ganz in der Nähe von dem Ort, den Rangiku laut Shins Karte hatte auskundschaften wollen. Es war ein seltsamer Ort, weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Das einzige, was die Landschaft störte, war ein riesiges Fabrikgebäude aus roten Backsteinen. „Ziemlich auffällig unauffällig“, brummte Yoruichi und ich musste ihr Recht geben. Es sah genauso aus, wie man sich das Versteck eines Verbrechers vorstellte. „Es fühlt sich an wie eine Falle“, fügte sie hinzu und ich nickte. Genau das hatte Gin mir auch erzählt. Aizen versuchte vermutlich, mich in eine Falle zu locken, indem er Mana entführte und versteckte. „Ich frage mich, was du getan hast, um seinen Zorn erneut auf dich zu lenken. Vielleicht will er dir nur eine Lektion erteilen, weil du dich wieder eingemischt hast.“ Gins Worte hallte in meinem Kopf nach. Was diesen Plan anging, schien Aizen ihn nicht eingeweiht zu haben. Ob Rangiku nun auch dort sein würde, würden wir herausfinden. Ich hoffte innig, dass Aizen sie nicht mitgenommen hatte, um Gin zu testen. Sollte er an Gins Treue zweifeln, würde es für diesen schwieriger werden, seinen Posten lange zu halten. „Wir schleichen uns rein?“, fragte Yoruichi und ich zuckte mit den Achseln. „Was bleibt uns anderes übrig?“ „Na ja wir könnten auch laut singend durch das Haupttor tanzen.“ „Würde zu gern Aizens Gesicht dabei sehen.“ Ich musste Schmunzeln und auch Yoruichis Mundwinkel zuckten in die Höhe, doch dann atmeten wir tief durch und beeilten uns, auf einen der vielen Fensterbänke zu kommen. Flink hatten wir das Fenster aufgebrochen und quetschten uns hinein. Innen war es düster und die Luft war staubig. Wir befanden uns in einem schmalen Gang, der rechts in einer Sackgasse endete. Wir gingen also links. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, bis wir endlich an eine Biegung kamen. Wir folgten dem Gang weiter, um tiefer ins Gebäudeinnere zu kommen. Nach einer Weile fanden wir uns in einer Art von Saal wieder, aus dem mehrere Treppengänge nach oben und unten führten. „Das Gebäude fühlt sich komplett leer an“, murmelte Yoruichi und ich nickte zustimmend. Es war kein Reiatsu zu spüren. „Eine unaufspürbare Barriere vermutlich.“ Wir folgten einer Treppe nach unten und wurden nicht enttäuscht: Schon nach wenigen Minuten kamen wir an eine große Tür. Sie sah irgendwie wichtig aus. Die Stirn runzelnd beobachtete ich Yoruichi, die das Schloss aufbrach. Das war schon fast zu offensichtlich eine Falle. Es war fast, als wolle Aizen, dass wir die Falle bemerkten, in die wir liefen. Da musste mehr dahinterstecken. Yoruichi öffnete vorsichtig die Tür und wir schlichen in den Raum. Sofort spürte ich ein vertrautes Reiatsu und Yoruichi atmete scharf ein. Vor uns an einer Wand hing Rangiku, Ketten fesselten ihre Arme und Beine, ihr Kopf hing schlaff zur Seite und eine kleine Blutlache hatte sich unter ihren Füßen gebildet. Wir sahen uns um, aber weit und breit war niemand zu sehen. „Ist sie das?“, fragte Yoruichi auf einmal und sah mich kurz an. Ich wollte gerade antworten, als mir Gins Warnung einfiel: „Sei vorsichtig, Aizen plant etwas, wo ich nicht eingeweiht bin. Vielleicht hat es etwas mit Kyoka Suigetsu zu tun.“ Ich starrte Yoruichi weiterhin an, nickte ganz vorsichtig und sie wandte sich von mir ab, rannte dann auf Rangiku zu. „Hallo Mana, ich bin Yoruichi. Eine Freundin von Akari. Keine Sorge, wir holen dich hier raus.“ Rangiku öffnete die Augen, war aber kaum in der Lage zu sprechen. Ich schluckte. War das ein Test? Versuchte Aizen herauszufinden, ob ich gegen seine Hypnose immun war? Ich atmete ruhig durch und folgte Yoruichi. „Mana, ich bin es Akari“, spielte ich also mit. Ich sah, wie Rangiku verwirrt die Stirn kraus zog, aber weiter nichts sagte. „Wir sind gekommen, um dich zu befreien.“ Gemeinsam schickten wir uns an ihren Ketten aufzubrechen, ich hatte ununterbrochen ein seltsames Gefühl, denn ich war mir sicher, dass man uns beobachtete. Wir schafften es, Rangiku zu befreien, die schwach und verwirrt in unseren Armen lag. Dann wurde plötzlich die Tür aufgerissen. Ich zuckte zusammen, abrupt drehte ich mich herum und mein Herz machte einen erleichterten Hüpfer, als ich Mana erkannte. Sie war unverletzt, sah allerdings ebenso verwirrt aus, wie Rangiku. „Akari?“, fragte sie und ich wollte gerade reagieren, als ich merkte, wie Yoruichi ihr Schwert gezogen hatte. „Na warte, damit kommst du uns nicht davon“, ihre Stimme war verzerrt vor Wut und eine kalte Angst packte mich: Offensichtlich sah Yoruichi nicht Mana, sondern einen Feind vor sich. Entsetzen packte mich. Ich realisierte sofort, dass ich nur den Bruchteil einer Sekunde hatte, um eine Entscheidung zu treffen. Ich konnte entweder mein Geheimnis bewahren, meine Immunität vor Kyoka Suigetsu – oder Mana retten. „Warte“, zischt ich und streckte einen Arm vor Yoruichi, die mit zusammengepressten Zähnen knurrend innehielt. Ich trat einen Schritt auf Mana zu und versuchte, wütend auszusehen, was Mana offensichtlich einschüchterte. Ich musste mir etwas einfallen lassen, mein Verstand rotierte, doch die rettende Idee wollte einfach nicht kommen. Ich wollte gerade etwas sagen, als eine riesige Explosion über uns hereinbrach. Ich wollte Mana retten, doch nach einigen Sekunden merkte ich, dass das gar nicht nötig war. Jemand stand über ihr und beschützte sie vor den herabfallenden Felsen: Shin. Ich schnappte nach Luft, hatte allerdings keine weitere Möglichkeit, das Geschehen zu begreifen, schnappte stattdessen Yoruichis Arm und zwang sie, Rangiku mit mir gemeinsam aus dem einstürzenden Gebäude zu bringen. Wir flohen so schnell und so weit wir konnten, niemand stellte sich uns in den Weg. Erst als unsere Beine schon fast müde wurden, schrie Yoruichi auf einmal auf. „Meine Güte Rangiku! Was ist denn jetzt passiert, vor einer Sekunde warst du...“, ich seufzte erleichtert auf und wir setzten uns an einen breiten Baum, um eine kleine Pause einzulegen. „Ich wollte dich vorhin warnen, aber wir sind höchstwahrscheinlich die ganze Zeit von Aizen beobachtet worden“, erklärte ich ihr und sie runzelte die Stirn. „Ja natürlich, ich mein er stand direkt vor uns!“ Ich verzog das Gesicht angewidert. „Nein. Das war Mana.“ Yoruichi Gesicht war eine Maske des Horrors. „Du meinst... ich hätte beinahe...“, begann sie, doch ich drückte ihr behutsam den Arm. „Wenn Shin nicht aufgetaucht wäre, hätte ich keine Ahnung gehabt, wie wir da wieder herausgekommen wären ... du kannst nichts dafür. Aizens Fähigkeiten sind monströs.“ Rangiku schien noch immer benommen, ganz so, als hätte man sie unter Drogen gesetzt. Sie sagte nichts und ihre Augen wirkten leicht benebelt. „Wir sollten sie so schnell wie möglich zu Unohana bringen“, murmelte ich, da tauchte Shin plötzlich vor uns auf. „Wirklich Shin?“, fragte Yoruichi und ich nickte leicht schmunzelnd. „Ja das ist wirklich Shin.“ Er hatte sich Mana über die Schulter geworfen und ließ sie nun, mehr oder weniger elegant wieder zu Boden. Sie stürzte verängstigt auf mich zu und ich schloss sie erleichtert in meine Arme. „Aber wie kann es sein, dass er nicht auf Aizens Hypnose hereinfällt?“ Shin legte den Kopf schief. „Hypnose?“ „Hast du jemals Aizens Shikai gesehen?“, fragte ich und Shin verzog das Gesicht, als würde er angestrengt nachdenken. „Nicht das ich wüsste. Ich weiß, dass er es einmal vorgeführt hat, aber da war ich wohl unterwegs gewesen oder so.“ Es war nun Zeit, auch Shin in die ganze Sache einzuweihen. Auch wenn ich Gin versprochen hatte, dass dieses Wissen niemals Aizen erreichen durfte, konnte ich meine Verbündeten nicht im Unwissen lassen. Denn es gab etwas, dass ich mir überlegt hatte. Ich weihte Shin also in so viel ein, wie er zu wissen brauchte, um unsere Situation zu verstehen. “Er scheint zumindest zu ahnen, dass du seiner Fähigkeit gegenüber immun sein könntest. Ich wüsste nicht, welchen Zweck diese ganze Aktion sonst haben sollte“, schlussfolgerte Shin und kratzte sich an seinem Bart. „Irgendwie muss er auch herausgefunden haben, mit wem ich zusammenlebe. Nur meine Freunde wussten das.“ Etwas in Shins Blick gefiel mir nicht, als er begann Rangiku zu mustern. „Nein“, wehrte ich abrupt ab, doch Shin zuckte mit den Achseln. „Akari, sieh sie dir an. Sie ist nicht ganz sie selbst... scheinbar wurde sie unter Drogen gesetzt und wer weiß, welche Hypnose er bei ihr eingesetzt hat!“ Ich wollte es nicht glauben, aber es ergab Sinn. Rangiku hatte gewusst, wo ich lebte und mit wem. Sie wusste auch, dass Kisuke und die anderen unschuldig waren und obwohl ich mich gehütet hatte, ihr all diese Dinge im Detail zu erklären, war ich mir sicher, dass sie das ein oder andere aufgeschnappt hatte. Wenn Aizen es nun geschafft hatte, dass aus Rangiku herauszuquetschen? „Wir müssen sie zu Unohana bringen“, verlangte ich erneut und strich Rangiku behutsam eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Shin und Yoruichi nickten. „Nein, Yoruichi. Du kehrst in die Welt der Lebenden zurück. Du hast gesehen, wie es hier zugeht. Lass nicht zu, dass Kisuke auch nur einen Fuß in diese Welt sitzt.“ Yoruichi wollte etwas erwidern, aber ich nahm sie bei den Schultern. „Du musst SOFORT zurückkehren. Ansonsten wird Aizen dich entführen, um Kisuke anzulocken, nur um an das Hoygoku zu kommen. Er ist zu allem fähig, geh jetzt bitte!“ Yoruichi gefiel das nicht besonders, doch sie ging. Dabei ließ sie es jedoch nicht nehmen, auch mir noch eine Warnung auszusprechen: „Akari, auch du darfst dich nicht entführen lassen. Denn auch, wenn Kisuke es vielleicht nicht erfahren würde – ich werde es und ich werde kommen, um dich zu retten.“ Ich verzog den Mund. Eine Mischung aus Verärgerung und Dankbarkeit kämpften in meinem Magen gegeneinander an. „Mana, warte bitte hier auf mich. Shin, bring Rangiku in die vierte Kompanie, sag am Besten du hast sie so gefunden und keine Ahnung, was passiert ist. Es gibt wohl kaum eine Möglichkeit, das ganze zu erklären, ohne noch mehr unangenehme Fragen aufzuwerden.“ „Und was hast du vor?“, Shins Blick durchbohrte mich und ich merkte, wie meine Augen auf Rangiku ruhten. „Byakuya Bescheid sagen, dass alles gut ist“, es war nicht komplett gelogen. Ich würde auch Byakuya von der ganzen Sache berichten, doch mein erster Weg führte mich in die dritte Kompanie. Ich fühlte mich nicht wohl dabei, Mana zurückzulassen, doch ich konnte sie schlecht mit nach Seireitei nehmen. Gin saß hellwach auf einem Ast, in einem Baum, ganz in der Nähe des Haupthauses, der dritten Kompanie. Ich landete, so leise, wie ich konnte, neben ihm und spürte seine Anspannung. „Shin bringt sie zu Unohana“, flüsterte ich und sah, wie Gins Hände sich zu Fäusten ballten. „Ihre körperlichen Verletzungen scheinen nicht allzu stark zu sein. Allerdings ... haben sie ihr scheinbar irgendwelche Drogen eingeflößt und höchstwahrscheinlich mithilfe von Hypnose dazu gebracht, Informationen preiszugeben. Du solltest sie bald besuchen.“ „Informationen?“, fragte er und ich berichtete ihm kurz, was geschehen war. „Es wirkte, als wolle er testen, ob ich seiner Hypnose verfalle.“ „Die Frage ist, warum er diesen Test nur halbherzig durchgeführt hat.“ Brummte er. „Was meinst du?“ „Warum hat er nicht weiter nachgebohrt, nachdem Shin auftauchte? Nachdem er so viel auf sich genommen hat, um dich dorthin zu locken, Rangiku unter Drogen gesetzt und Mana entführt hat ... warum so viel Aufwand betreiben und dann einfach aufgeben? Das hört sich nicht nach Aizen an.“ „Was glaubst du, ist passiert?“ „Ich werde versuchen, es herauszufinden.“ „Ich würde ja sagen, lass es mich wissen ... aber das könnte zu riskant sein.“ „Wenn ich eine Möglichkeit sehe, lass ich es dich wissen.“ „Bis bald“, flüsterte ich und war in dem Bruchteil einer Sekunde verschwunden. Byakuya war ebenfalls hellwach und erwartete meinen Bericht. Er hörte aufmerksam zu und schien angestrengt darüber nachzudenken. „Ihr solltet euch auf jeden Fall ein neues zu Hause suchen“, murmelte er. Das hatte ich auch bereits gedacht, wir konnten dort nicht bleiben. Wir mussten irgendwohin, wo Aizen uns nicht wieder so leicht aufspüren konnte. Ich verabschiedete mich von Byakuya und verließ Seireitei. Mana wirkte müde und ausgelaugt, ich nahm sie auf den Rücken, um den Heimweg schnell hinter mich zu bringen. Manas Mutter Miaka erholte sich schnell von ihren Verletzungen, die sie erlitten hatte, als sie die Shinigami davon hatte abhalten wollen, Mana mitzunehmen. Mit ihrer Tochter an ihrer Seite blühte sie schnell wieder auf und bedankte sich zu oft bei mir. „Hör auf damit... wäre ich nicht gewesen, hätten sie Mana erst gar nicht entführt.“ „Sag so etwas nicht. Wir sind eine Familie Akari. Du gehörst jetzt zu uns.“ Es wärmte mir das Herz, das zu hören. Wir machten uns bereit, um abzureisen, doch eine Sache ließ mir keine Ruhe. Gins Worte. Irgendetwas musste Aizen davon abgehalten, seinen Test an mir bis zum Ende durchzuführen. Doch was war es? Nur einen Tag später bekam ich den Hauch einer Ahnung. Wir waren gerade dabei unsere Sachen auf einen alten Kutschbock zu verfrachten, da hörte ich plötzlich, wie Fensterläden zu geknallt wurden. Kinder liefen schreiend in die Arme ihrer Eltern und Männer griffen sich Waffen. Seit Manas Entführung fürchteten die Dorfbewohner jeden, der auch nur annähernd wie ein Shinigami aussah. Ich griff nach meinem Schwert, doch dann erkannte ich das sich nähernde Reiatsu. „Shin!“ Er kratzte sich verlegen am Kopf, als sei es ihm unangenehm, eine solche Reaktion auszulösen. „Keine Sorge, er ist mein Freund, er ist einer von den Guten“, beschwichtigte ich unsere Nachbarin, die ängstlich zurückgewichen war. „Das kann ich bestätigen. Er hat mich vor der herabstürzenden Decke gerettet!“, hörte ich Mana rufen und die Leute um uns herum begannen sich zu entspannen. „Akari, können wir kurz reden?“, fragte er und wirkte ernst, ich schluckte und folgte ihm ein paar Meter, sodass wir unter vier Augen waren. „Was gibt es?“ „Zwei Dinge“, begann er und kramte in seiner Tasche. Er holte ein hölzernes Emblem heraus und mir stockte der Atem. „Wäre das in Ordnung für dich?“, fragte er und ich fiel ihm in die Arme. „Das wäre mehr als in Ordnung!“, rief ich und spürte, wie sich Tränen der Erleichterung in meinen Augen sammelten. Shin hielt das Kommandantenwappen der zehnten Kompanie in der Hand. „Es wäre mir eine Ehre, dich als Nachfolger zu haben“, sagte ich und löste mich von ihm. Shin betrachtete das Emblem. „Du wolltest diesen Job nie, was hat sich nun geändert?“ Er ballte die Hände zu Fäusten, als er meine Frage hörte. „Aizen“, sagte er schlicht. „Was er mit Rangiku gemacht hat, ist unverzeihlich. Ich habe lange darüber nachgedacht und schließlich festgestellt, dass er nicht so leichtes Spiel gehabt hätte, wenn wir einen Kommandanten gehabt hätten. Als Offizier habe ich keine Befugnis, mich ihm in den Weg zu stellen, als Kommandant allerdings, kann ich wenigstens das Schlimmste verhindern.“ „Danke.“ Shin steckte das Wappen mit dem Zeichen des Kommandanten wieder in seine Tasche und sah sich nun kurz um. „Da ist noch etwas...“, murmelte er und beobachtete mich nun sehr genau. „Was denn?“ Er zog einen Brief aus seiner Tasche, auf dem mit einer ordentlichen und leicht verschnörkelten Schrift mein Name geschrieben stand. „Rangiku hat mir den gegeben für dich... Allerdings weiß ich, dass nicht sie ihn geschrieben hat. Ich weiß nicht, von wem er wirklich kommt.“ Ich nahm den Brief vorsichtig in meine Hände und betrachtete die Schrift eindringlich. „Ich weiß, von wem er kommt“, stellte ich fest und Shin zog eine Augenbraue hoch. „Na dann ist ja alles gut“, sagte er, doch es klang ein wenig wie eine Frage. Ich nickte und schob den Brief in meine Innentasche, dann verabschiedete ich mich mit einer festen Umarmung von ihm. „Pass auf die Zehnte auf, Kommandant Shiba“, raunte ich ihm zu und er antwortete mit einem Grinsen. Wir fuhren mit der Kutsche den ganzen Tag durch, erst als die Sonne lange untergegangen war, schlugen wir ein Lager auf. Miaka kochte eine Suppe auf einem Feuer und ich fühlte mich ein wenig wie auf einem Campingausflug. Nach dem Essen schliefen die beiden rasch ein und ich nutzte den Moment, um den Brief aus meiner Tasche zu holen. Ich erkannte diese Schrift, sie hatte sich in den vielen Jahren nicht geändert: Gin. Vorsichtig öffnete ich den Umschlag, es war ein kurzer Text, den ich stirnrunzelnd durchlas. „Er wurde verwundet. Irgendjemand hat ihn dort angegriffen.“ Das war die gesamte Nachricht. Mein Herz klopfte wild in meiner Brust. Wer hatte Aizen angegriffen? War es ein Verbündeter? Ein Gedanke, der so absurd war und mir dennoch den Atem abschnürte, kroch in meine Gedanken. Kisuke. Ich weckte Miaka und sie musterte mich mit einer gerunzelten Stirn. „Ich bin vor dem Morgengrauen zurück“, flüsterte ich und sie packte meinen Arm. „Akari, hör auf, dich in Gefahr zu begeben.“ Ich presste die Lippen aufeinander. Dann jedoch lächelte Miaka traurig. Sie wusste, dass sie es mir nicht ausreden konnte. Ich brauchte mehrere Stunden, um den Ort wiederzufinden, an dem Rangiku und Mana gefangen gehalten worden waren. Das alte Fabrikgebäude stand eingestürzt vor uns. Weit und breit spürte ich keinerlei spirituelle Energie. Doch warum war das Gebäude überhaupt eingestürzt? Wie konnte ich mir jetzt erst diese Frage stellen? Shin hatte berichtet, dass er in das Gebäude eingedrungen war, als es bereits zusammenzubrechen begann. Doch wer hatte es zerstört? Ich suchte das gesamte Gebiet ab und entdeckte schließlich seltsame Spuren in der Erde. Kampfspuren! Gin hatte Recht, Aizen musste gegen irgendjemanden gekämpft haben. Übelkeit stieg in mir hoch und meine Hände begannen zu zittern. Ich suchte jeden Zentimeter des Gebietes ab, konnte jedoch keinerlei Reiatsu-Reste entdecken. Meine Fähigkeiten in den medizinischen Bereichen waren zwar nicht besonders ausgeprägt, doch einen kürzlich verstorbenen Shinigami, der auf dem Niveau eines Kommandanten gekämpft hatte, hätte ich sicher wahrgenommen. Ich erlaubte mir, einen Hauch von Erleichterung. Falls Kisuke aus irgendeinem Grund hier aufgetaucht sein sollte, war er nicht tot. Ich schüttelte den Gedanken ab. Mittlerweile war ich mir sicher, dass er es nicht gewesen sein konnte. Selbst wenn er nach dem Kampf so verletzt zurückgeblieben wäre, dass er es nicht geschafft hätte, sich uns zu zeigen, wäre Yoruichi sein Verschwinden in der Welt der Lebenden aufgefallen. Sie wäre zurückgekehrt und hätte mich darüber informiert. Nein, es war nicht Kisuke, der sich Aizen in den Weg gestellt hatte. Doch wer dann? Wer hatte sich hier eingemischt? Ich zuckte zusammen. Aus meinem Augenwinkel hatte ich eine Bewegung wahrgenommen. Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde hielt ich mein Schwert in der Hand und musterte den Horizont in der Dunkelheit der Nacht. Da war etwas. Mit höchster Konzentration hielt ich darauf zu. Ich musste vorsichtig sein, denn auch dies konnte noch immer zum Teil von Aizens Plan gehören. Ich kam an einem Waldrand an und ließ mein Schwert sinken. Dort auf dem Boden saß ein junger Mann, dessen Körper mit Blut überströmt war. Er lehnte an einem Baum und sein Atem ging rasselnd. Langsam öffnete er seien Augen und ich senkte mein Schwert. In seinem Blick lag keinerlei Feindseligkeit. „Hast du gegen Aizen gekämpft?“, fragte ich, ehe ich wirklich darüber nachgedacht hatte. Der junge Mann verzog das Gesicht zu einem schmerzverzerrten Grinsen. „Der Shinigami mit der Brille?“, fragte er und ich nickte. „Dann ja, das habe ich.“ „Warum?“ „Ich sah, wie er zwei Mädchen entführte, und einsperrte. Offensichtlich wollte er sie als Lockvögel benutzen. Du warst auch dort, nicht wahr?“ Ich starrte ihn entgeistert an. Auch, wenn ich froh war, dass es nicht Kisuke oder jemand anderes war, den ich kannte, spürte ich einen Hauch von Enttäuschung. Ich dachte, ein Verbündeter habe uns gerettet, doch es stellte sich heraus, dass es nur jemand war, der Aizen bei einem seiner Verbrechen erwischt hatte. „Wie kann es sein, dass du noch lebst?“ Ich wusste, dass ich unhöflich war. Dieser arme Kerl hatte ein Verbrechen gesehen und wollte es bekämpfen und ich entgegnete ihm mit Misstrauen. Doch ich konnte nicht anders. Nicht, nach allem, was ich erlebt hatte. Er lachte kurz auf. „Die Fähigkeit meine Zanpakuto hat ihn wohl kalt erwischt. Ich konnte ihn überraschen und mich so vor ihm verstecken.“ „Du konntest dich vor ihm verstecken? Warum zeigst du dich mir jetzt also?“ „Weil ich das Gefühl habe, dass du eine von den Guten bist. Vor allem aber, weil du meine einzige Chance bist, zu überleben. Hier kommt kaum jemals jemand vorbei und so würden meine Verletzungen mich innerhalb der nächsten Tage langsam töten. Wenn du nun meine Feindin bist, sterbe ich lediglich schneller.“ Ich ließ mein Schwert nun vollends sinken. „Meine Heilfähigkeiten sind nicht besonders gut“, gab ich zu, doch er lächelte. „Sie werden reichen. Bring mich bitte nur nicht in diese verfluchte Stadt.“ Ich kniff die Augen zusammen. „In Seireitei gibt es Leute, die könnten deine Wunde innerhalb von Minuten heilen.“ „Lieber sterbe ich, als dorthin zu gehen. Also, Akari, es ist deine Entscheidung. Wenn du mir helfen willst, dann nur du allein. Ansonsten, lass mich sterben.“ „Woher kennst du meinen Namen?“ „Aizen hat ihn benutzt.“ Ich kniete mich zu ihm herunter und sah ihm nun direkt in die Augen. Sie waren voll von Schmerz, doch es war nicht nur der physische Schmerz, der ihn quälte. Ich spürte, dass der Fremde viele Dinge ungesagt ließ, doch ich entschied, ihn danach später zu fragen. „Ich werde dir helfen. Aber vorher musst du mir noch deinen Namen verraten.“ „Ich heiße Sato.“ Ich hielt mein Versprechen Miaka gegenüber und kehrte vor Anbruch des Sonnenaufgangs zurück. Sato trug ich dabei auf meinem Rücken. Ich hatte ihn mehrere Stunden lang mit meinen unausgereiften Heilkräften versucht, wieder auf die Beine zu bringen. Ich musste dringend an diesen Fähigkeiten arbeiten. Immerhin hatte ich es geschafft, Satos Wunden soweit zu verschließen, dass ich ihn transportieren konnte. Miaka und Mana erschraken erst, nahmen sich unserem Gast jedoch sogleich an. Miaka wusch das Blut von seinem Gesicht und Mana bereitete etwas Essen vor. Sato bedankte sich überschwänglich und schon bald lag er auf unserem Kutschbock. Wir setzten unsere Suche nach einem neuen Zuhause fort. Erst drei Tage später fanden wir einen Ort, der uns zusagte. Es war ein kleines Dorf am Rande eines hübschen Sees. Hier würden wir uns ein neues Heim errichten. Es dauerte ein paar Tage, bis das Grundgerüst stand. Sato, der sich langsam von seinen Verletzungen erholte, begann uns zu helfen. Er verstand sich gut mit Mana und sich sah die beiden oft miteinander scherzen. „Er ist ein netter, junger Mann“, bemerkte Miaka, als sie meinen Blick auf die beiden sah. Ich stimmte ihr zu, konnte jedoch nicht anders, als ihm noch immer zu misstrauen. Sato war offensichtlich ein Shinigami – zumindest trug er ein Zanpakuto bei sich. Er trug jedoch keine Uniform und hatte sich so vehement geweigert, Seireitei zu betreten, dass er lieber gestorben wäre. Dies konnte nur wenige Gründe haben. War er ein verstoßener Verbrecher? Und wenn ja – wie konnte ich ihm dabei wirklich misstrauen, wo ich doch auch genau das war? Eine Verbannte? Irgendetwas an Sato ließ mich stets wachsam bleiben. Ich bemerkte die Seitenblicke, die er mir zuwarf und auch die nachdenklichen Gesichtsausdrücke, die er aufsetzte, wenn er allein war. Doch nach und nach legte sich dieses Misstrauen. Ich schalt mich selbst dafür, denn ich wusste, dass ich es aufrecht halten sollte, doch Sato war ein so liebenswerter Kerl, dass es mir schwerfiel. Er half den Dorfbewohnern, wo er nur konnte und arbeitete hart, um unserem Haushalt etwas zurückgeben zu können, nachdem wir ihn aufgenommen hatten. Er besorgte Essen, kochte, griff handwerklich ein, wo immer Hilfe benötigt wurde – vor allem aber brachte er eine Freude in unsere kleine Familie, die ich schon verloren geglaubt hatte. Doch obwohl ich begann, seine Nähe zu genießen, kam ich nicht umhin, die Freude aus seinen Augen schwinden zu sehen, wann immer er allein war. Ich fasste mir ein Herz und sprach Sato an. Mit vielem hatte ich gerechnet, nicht jedoch, dass seine Augen sich mit Tränen füllten. Er schüttelte den Kopf. „Verzeih meinen Gefühlsausbruch.“ Er wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und schenkte mir ein Lächeln. Seine Augen jedoch verrieten mir noch immer seine Trauer. „Wie kann es sein, dass jemand, der so viel erlitten hat wie du, mich fragt, was mich bedrückt?“, brachte er hervor und ich öffnete den Mund, war jedoch zu verwirrt, um zu antworten. Sato zuckte mit den Schultern. „Mana hat mir ein bisschen was über dich erzählt.“ Ich zog die Augenbrauen zusammen. Hoffentlich hatte Mana nicht zu viel erzählt. Sato lächelte. „Ich weiß, dass sie mir nur einen Bruchteil dessen erzählen konnte, was dir wirklich widerfahren ist und doch habe ich eins begriffen ... dein Feind hat dir nach und nach immer mehr genommen. Menschen, die dir wichtig waren, deine Karriere, dein Zuhause ... und doch stehst du hier und wirkst fest entschlossen, ihm weiterhin entgegenzutreten. Das bewundere ich.“ Ich spürte einen Kloß in meinem Hals und Tränen, die sich ihren Weg in meine Augen bahnten. Ich schluckte den Kloß herunter. „Und was ist mit dir, Sato? Wer ist dein Feind? Ich sehe in deinen Augen, dass auch du viel durchgemacht hast.“ Sato lächelte etwas breiter und zog die Schultern hoch. „Mir wurden Chancen genommen. Meine Vergangenheit war nicht wie deine und doch hege ich einen Groll, der deinem nicht unähnlich ist.“ Für den Hauch einer Sekunde hatte ich das Gefühl, den Zorn durch seine warmen braunen Augen blitzen zu sehen. Dann jedoch kehrte die Trauer zurück. Ich beschloss, Sato weiterhin im Auge zu behalten, auch wenn ich mittlerweile sicher war, was seine Gesinnung anging. Ich versuchte, es in die Länge zu ziehen, kam jedoch nicht umhin, eines zu erkennen: Ich musste nach Seireitei zurückkehren. Miaka und Mana baten mich, es nicht zu tun, doch ich wusste, dass ich in meinem Kampf gegen Aizen nicht vorankam, wenn ich mich versteckte. Ich musste dringend herausfinden, wie ich die Armreifen loswerden und so zu meiner alten Kraft zurückfinden konnte. Doch mir war auch klar, dass es Miaka und Mana erneut in Gefahr bringen konnte. Tagelang zermarterte ich mir den Kopf, doch ich kam immer wieder zu der gleichen Erkenntnis. Mein Herz war schwer wie Blei, als ich den beiden meine Entscheidung mitteilen musste. „Ich werde nicht zu euch zurückkehren.“ Mana wollte protestieren, doch Miaka legte ihr eine Hand auf die Schulter und sah mich durchdringend an. „Ich verstehe, dass du uns beschützen willst, Akari. Sei dir jedoch bewusst, dass du bei uns jederzeit willkommen bist. Was immer auch geschieht, wir würden dich niemals für die Untaten deiner Feinde verantwortlich machen.“ Ich konnte die Tränen nicht verhindern, die mir die Sicht verschwimmen ließen. Mit einer kräftigen Umarmung verabschiedete ich mich von Miaka, dann von Mana, die mich noch immer verzweifelt ansah. „Akari, du bist wie eine Schwester für mich geworden. Bitte versprich mir, dass du das überlebst, und dann kommst du uns besuchen und stellst uns endlich Kisuke vor, ja?“ Ich lachte auf, drückte sie erneut an mich und versprach es ihr. Sato stand im Hintergrund, der Blick unergründlich. Ich spürte es, noch bevor er es ausgesprochen hatte. „Ich werde dich begleiten.“ Es schien Miaka und Mana nicht zu überraschen und doch sah ich die Enttäuschung in Manas Gesicht. Sie schien sich sehr an seine Anwesenheit gewöhnt zu haben. „Warum?“, fragte ich und Satos Gesichtsausdruck wechselte von entschlossen zu belustigt. „Weil ich dir etwas schulde. Du hast mich gerettet, wenn dich nun jemand angreift, werde ich dir helfen.“ „Wenn du mir wirklich helfen willst, bleib hier und kümmere dich um die beiden. Damit wären wir quitt.“ „Das kann ich nicht. Ich war schon viel zu lange von zuhause fort und werde bald dorthin zurückkehren müssen. Bis dahin werde ich versuchen, meine Schuld bei dir gutzumachen, Akari.“ Ich gab nach und erlaubte ihm, mich zu begleiten. Dabei würde ich vielleicht auch endlich herausfinden, was es wirklich mit ihm auf sich hatte. Noch vor wenigen Tagen wäre Sato lieber gestorben, als nach Seireitei zu gehen und nun bat er freiwillig an, mich zu begleiten. Gedankenverloren knabberte ich an meiner Unterlippe. Ich spürte es. Sato war nicht rein zufällig in meinem Leben aufgetaucht und schon bald würde ich den Grund dafür erfahren. Bitte sei kein Feind, dachte ich und schalt mich selbst sofort für den Gedanken. Ich kannte diesen Mann erst seit wenigen Tagen und durfte meine Deckung nicht vernachlässigen, nur weil ich ihn gut leiden konnte. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht und wachsamen Augen machten wir uns auf den Weg, zurück nach Seireitei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)