Aufbruch ins Ungewisse von Seven_Seas_Alliance ================================================================================ Kontaktaufnahme 2 ----------------- Manchmal bewunderte Kouen seinen kleinen Bruder, denn egal wie laut die Schüler im Abteil nebenan ihre Kochzutaten auch brüllten, Koumei schlief wie ein Stein. Er konnte das nicht, auch wenn er das laute „Radieschen!“, wirklich gerne ausgeblendet hätte. Seufzend klappte er sein Buch zusammen. Es brachte ihm nichts über die Koboldkriege zu lesen wenn jedes zweite Wort im Text plötzlich „Birne!“ hieß. Leider brachte das ein anderes Problem mit sich. Er musste sich irgendwie beschäftigen und irgendwie bedeutete in diesem Fall ohne Buch und ohne Koumei. Für kurze Zeit starrte er aus dem Fenster, dann begannen die Felder ihn zu langweilen und die Zwischenrufe ihn zu ärgern. Wenn die nebenan Hunger hatten, sollten sie sich gefälligst etwas zu Essen besorgen. Apropos Essen. Er hatte auch Hunger aber natürlich war der ganze Proviant im Koffer seines Bruders. Nicht in Koumeis Koffer, den hätte er ja einfach öffnen können. Nein, in Kouhas und wo Kouha gerade steckte, wussten nur die Götter. Kouen rollte mit den Augen. Wieso hatte er ihn auch gehen lassen? Er hätte darauf bestehen sollen, dass sich die Familie ein Abteil teilte. Das wäre zwar auch laut, aber wenigstens weniger nervig geworden. „Backpflaume!“, schallte es durch die Wand und Schreie der Entrüstung folgten. Da hatte wohl Jemand eine treffende Zutat erwischt. Kouen richtete seinen Blick auf seinen schlafenden Bruder. In einem Zugabteil konnte ihm ja eigentlich nichts passieren. Er würde dasitzen und schlafen und wenn sich Jemand herein verirrte, der ihm etwas tun wollte, würde er schon wach werden. Das hieß, dass er eigentlich schnell mal auf den Gang konnte. Beim Einsteigen hatte er so einen Snackwagen gesehen. Wenn er den fand, konnte er sich eine Backpflaume... äh etwas zu Essen kaufen. Kouen erhob sich, warf einen letzten Blick auf den schlafenden Haufen aus rotem Haar, dann schlich er sich zur Tür. Er hatte kaum den Fuß auf den Gang gesetzt, als er bereits unsanft zurück ins Abteil gedrängt wurde. Die Vorhänge vor der Tür wurden zugezogen, dann atmeten zwei Mädchen synchron auf. „Haben sie uns gesehen?“, fragte die eine und ihre Freundin schüttelte den Kopf. „Glaub nicht“, entgegnete sie und zog sich den Schal weiter vors Gesicht. Kouen hüstelte. „Wie wär's mit 'ner Entschuldigung?“, fragte er und erst jetzt schienen die Mädchen ihn richtig zu bemerken. Sie tauschten einen Blick, dann flüsterte die eine: „Der Überfall tut uns leid, aber es ist besser wenn die uns nicht entdecken.“ Kouen kannte diesen Satz. Er hatte ihn geschätzte drei Millionen mal von seinem kleinen Bruder gehört und vermutlich noch fünf mal häufiger von Judar. „Was habt ihr angestellt?“, fragte er aus der Gewohnheit heraus, aber die Beiden antworteten nicht. Er konnte es ihnen nicht verübeln. Einem Fremden in einem Zug hätte er auch keine Missetat gestanden, allerdings hätte er auch nicht versucht, sich in dem Abteil des Fremden zu verstecken. Kouen starrte die Beiden prüfend an. „Nun?“, erhöhte er den Druck. Erneut wurden Blicke getauscht, dann seufzte die Rothaarige mit dem Schal. „Ich“, begann sie, wurde aber brüsk von ihrer Freundin unterbrochen: „Wir“, verbesserte diese, „haben im letzten Schuljahr unter massivem Druck einer Lehrerin eine illegale AG verraten. Seitdem sind die Anderen sauer auf uns.“ „Auf mich.“ Kouen rieb sich das Kinn. Die Geschichte klang seltsam, aber wahrscheinlich war da etwas dran. Die Mädchen hätten es bestimmt nicht zugegeben, wenn dem nicht so wäre. Zu groß war die Gefahr, dass er sich von dem potentiellen Gruppenverhalten anstecken ließ und sie wieder vor die Tür setzte. Allerdings - Er zupfte an einer der Bartstoppeln, die er sich seit Neuestem stehen ließ - wie Verräter und Mitglieder illegaler Gruppierungen sahen die Zwei nicht aus. Die Kleinere der Beiden hatte asiatische Züge und langes, dunkles Haar, das ihr glatt über die Schultern fiel. Ihre Freundin war rot-blond und ziemlich damit beschäftigt seinem Blick auszuweichen. Dazu kam der Schal, der irgendwie fehl am Platz wirkte, immerhin hatten sie September und sie war nicht Koumei, der in der Regel nicht bemerkte, wenn er etwas Wunderliches trug. Kouen überlegte. Konnte er es sich leisten mit solchen Leuten gesehen zu werden? In Magnostadt hätte er ohne zu zögern „Nein“ gesagt, aber dort hatte er auch eine Chance auf den Titel als Vertrauens- oder Schulsprecher gehabt. Hier würde er ihn nicht bekommen, selbst wenn er sich auf den Kopf stellte. Entsprechend hatte er eigentlich nichts zu verlieren. Zumindest nichts an dem ihm wirklich was gelegen war. „Setzen“, befahl er und beobachtete zufrieden, dass die Mädchen auf ihn hörten. Außerhalb seiner Familie war er mehr Widerstand gewohnt. Wobei, wenn man bedachte, dass er einfach nur die Tür öffnen musste, um den beiden Ärger zu machen … Er schüttelte den Kopf. Scheinbar hatten die Beiden wirklich Probleme. „Rotkohl!“, schrie eine weibliche Stimme im anderen Abteil. Die Anderen lachten und das schien die Mädchen ordentlich aus dem Konzept zu bringen. Zumindest soweit er das beurteilen konnte. „Ignoriert das“, presste er heraus, „Koumei tut's auch.“ „Dein Bruder?“ Kouen nickte. „Lasst ihn einfach schlafen. Er wird immer sehr unleidlich, wenn man ihn grundlos weckt.“ Die Mädchen warfen einen interessierten Blick auf den anderen Sitz, waren aber tatsächlich still. Scheinbar waren sie bedachter auf ihre Umgebung als es den Anschein gehabt hatte. Vorsichtig ließ er sich neben Koumei gleiten. „Ich bin Kouen“, informierte er, „Kouen Ren.“ „Cho“, ergriff das Mädchen mit den dunklen Haaren leise das Wort und bestätigte damit seinen Verdacht, dass sie asiatische Wurzeln hatte. „Und das ist Marietta.“ Kouen blickte nach rechts, sah aber nur rotblonde Locken und ein Stück pastellfarbenen Schal. Merkwürdig. Er wollte etwas dazu sagen, entschied sich dann aber doch dagegen. Seine Schwester Kougyoku mochte es nicht, wenn er über ihre Kleidung sprach, folglich wollten fremde Mädchen das sicher auch nicht hören. Nur was wollten sie dann? Unschlüssig musterte er die Beiden. Er wusste, was er wollte. Aber Pfefferkobolde waren nicht in jedem Fall die Antwort. Manchmal sorgten sie auch für zusätzliche Probleme. Ähnlich wie Säuredrops. Die Mädchen mochten bestimmt keine Säuredrops. Taten die in Magnostadt auch nicht. Aber selbst wenn sie sie mochten, er hatte keine. Er hatte nicht mal einen lausigen Pfefferkobold. Nicht das er den mit den Beiden geteilt hätte. Naja, vielleicht doch, aber nur wenn es sich lohnte. Apropos lohnen... „Erklärt mir das mit der AG noch mal“, forderte er die Beiden auf. Immerhin, wenn er sich auf dieses Duo einlassen wollte, war es klug zu wissen, mit wem es sich im letzten Jahr was verscherzt hatte. Und wieso. Vor allem wieso, denn dann konnte er vielleicht Schadensbegrenzung betreiben. Begrenzung, die die Zwei dringend brauchten und selbst wenn es nicht klappte, es konnte nie schaden zu wissen, was um einen herum geschah oder in diesem Fall schon geschehen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)