Tigerkralle von Rockstar ================================================================================ Kapitel 1: Von Krankheit und anderen Katastrophen ------------------------------------------------- „Sebbyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyy.“ Nein, dieses eine Mal nicht. Er würde nicht wieder weich werden und nachgeben, wie das sonst immer der Fall war. Er würde stolz, aufrecht und stoisch wie ein Felsen in der englischen Brandung hier bleiben und endlich einmal in Ruhe seine Sonntagszeitung lesen. Schlagzeilen studieren. Politische Reden lesen, deren Wahrheiten man ungefähr für so wahr halten konnte wie die Tatsache, dass England ja nur grundsätzlich nur das Beste für alle wollte und deswegen auch über ziemlich viele brisante Themen den vornehmen Mund hielt. Gott, wie verkommen die Welt doch eigentlich war. „Sebbyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyy.“ Verdammt nochmal, wie hoch konnte er eigentlich noch seinen Namen quäken? Eigentlich hatte Sebastian Moran gehofft, James Moriarty, die meiste Zeit einfach nur Jim gerufen (oder „beschissener Hurensohn“, wenn Sebastian einen schlechten Tag hatte, „Motherfucker“ fiel ihm dann auch schon mal ein) würde einfach im Verlauf des Tages seine Stimme unter dem anhaltenden Gebrüll verlieren, doch scheinbar schlug die Erkältung bei allen zu, nur nicht bei seiner Stimme. Die hatte inzwischen den Grad einer hochfrequenten Penetranz erreicht, dass Sebastian nicht übel Lust verspürte, einfach das Zimmer des Anderen zu stürmen und ihm eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Mit leisen Knirschen der Zähne und dem vernehmlichen Rascheln des Sportteils, gönnte er sich den Moment des Durchatmens, wann immer man Luft holen musste, um zu einem neuen Schrei anzusetzen. Vielleicht sollte er doch mal die Sache mit dem Kissen ausprobieren…oder einen Schalldämpfer benutzen, damit die Nachbarn nicht glotzten. Jim Moriarty war im kranken Zustand noch weniger zu ertragen als sonst und DAS war eine Kunst, die wahrlich nur er beherrschte. „Sebbyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyyy! Du weißt das ich das den ganzen Tag durchhalten kann!“ Die Stimme klang, dafür dass sie zwischendurch beim Husten beinah ihre Lunge aus dem Hals spuckte außerordentlich gut gelaunt, flötete beinah, als lache auf diese ganz eigene, kindliche Art in sich hinein, im vollen Bewusstsein, dass er ihn damit mehr auf die Palme bringen konnte als alles andere. Doch Sebastian zwang sich zur Ruhe, lieber betrachtete er das königliche Hinterteil von Prinz Harry, der scheinbar einmal mehr es latent mit dem Alkohol übertrieben hatte. Schon sprach man von Herzschmerz und einem instabilen, zutiefst verletzten Gemüt – alles Bullshit, wie Sebastian befand. Der stieß sich nur die Hörner ab, solange man die Frauen auch noch mit einem trainierten Körper als mit einem Bauch voller Fett und Falten und ein paar Millionen auf dem Konto als Ausgleich ködern konnte. Schlauer, kleiner Bastard. Er hatte es besser verstanden als sein Bruder. „Und die gaaaaaaaaaaaaaaaaanze Nacht auch, Sebbyyyyyyyyyyyy~hyyyyyyyyyhy~yyyyyyhy~yyyyhy~yyy!“ Oh ja, das wusste er allerdings. Jim war, was bestimmte Dinge anging einfach unersättlich. Die erste Sache war, dass er liebend gerne Leute ärgerte. Egal ob es sich dabei im Scotland Yard handelte, dem er zum Valentinstag Namenskarten mit abgetrennten Fingergliedern mit rosa Schleifchen schickte, oder seine Tante in Oxford, die das letzte Jahr den abgetrennten Kopf ihres eigenen Sohnes als Weihnachtsessen geschickt bekam – Jim hatte eine kindliche Freude am Stänkern und an Sex. Vor allen an Sex. Er hätte es eigentlich schon wissen müssen, als er damals die Handschellen mit Plüschüberzug gesehen hatte, doch leider war er da zu sehr damit beschäftigt gewesen, nicht auf der Stelle in dem warmen, fordernen Mund zu kommen, der sich in seinem Schoss vergraben hatte. „Teach me tiger, how to kiss you~“ Oh NEIN. Er tat es tatsächlich. Er tat es tatsächlich, obwohl er ihn schon unzählige Male darum gebeten hatte, dieses verdammte Lied nie wieder zu spielen – doch einmal mehr hatte man nicht auf ihn gehört und Sebastian spürte, wie seine Schläfenader bedrohlich zu pochen begann. War es denn so schwer, ihm einmal, wenigstens einmal in der Woche, im Monat, im Jahr, einen ruhigen Vormittag zu gönnen? Scheinbar schon, denn selbst durch die geschlossene Tür konnte er das verzerrte quäken des fremden Handys hören, dass man offenbar in einem Akt diabolischen Genies an die Boxen auf dem Nachtschrank angeschlossen hatte und nun April Stevens Stimme in rauchiger, lockernder Art durch den ruhigen Vormittag dröhnen ließ. Dieses. Verdammte. LIED!!! „Show me tiger, how to kiss you - take my lips, they belong to you~“ Tiger. Sebastian hatte viele Spitznamen. Basti. Bastian. Sebby. Seppel. Knackarsch. Doch die meiste Zeit war es „Tiger“, was von jenem Grad an Vertrauen sprach, dass Jim nur zu ihm aufgebaut hatte, auch wenn er nie herausgefunden hatte, wieso. Ein Blick am Flughafen, Augen wie ein Raubtier, das man zurück in den Käfig eines zivilen Lebens sperren wollte, nachdem man seiner überdrüssig geworden war? Oh nein. Stattdessen hatte er stirnrunzelnd auf den sehr viel kleineren und jüngeren Mann hinab geschaut, der ihn mit schalkhaft blitzenden Augen angegrinst hatte. Dunkle Augen waren es gewesen, tief und ein bisschen so, als würden sie keinen Boden besitzen, gefährlich dort hinein zu schauen, immer im Risiko sich zu verlieren, doch er war geblieben. Auch wenn er jetzt lieber weiter Krieg in Afghanistan geführt und sich mit ewig nörgelnden Doktoren herum geschlagen hätte, als schon wieder dieses verdammte Lied zu hören. "But teach me first, teach me what to do~" Das man bereits dabei war, mit krächzender, aber gut gelaunter Stimme dermaßen überzogen laut mitzusingen, dass irgendetwas an Sebastian gefährlich dünn gespannten Geduldsfaden riss und er mit einer ruppigen Bewegung aufsprang und die Zeitung auf den Boden pfefferte. Er brauchte kaum mehr als zwei große Schritte seiner langen Beine, hörte das amüsierte Kichern bereits, als er durch den Raum polterte und stieß die Tür so harsch nach innen auf, dass die Angeln protestierend aufächzten. „Herr Gott nochmal, Jim – WAS IST DENN JETZT SCHON WIEDER?!“ Ein Anblick absoluter Unschuld. Eine rote, wundgeriebene Nase, dunkel unterlaufene, müde Augen, die lächerlich groß und schutzbedürftig aussahen und ein leichter Glanz von Feuchtigkeit auf der hohen Stirn und dem blassen Hals. Doch Sebastian wusste, dass so nur der Teufel in Menschengestalt aussehen konnte. „Ich hab‘ Hunger, Sebby. Mach mir eine Suppe! Mit Sternchennudeln und Hühnerfleisch. Und mit Karotten, aber ganz klein geschnitten. Und lass sie nicht so lange kochen, ich mag’s nicht, wenn die so im Mund herum schlabbern.“ Das war nicht sein Ernst, oder? Er sollte kochen? Er? Sebastian Moran, der zweitgefährlichste Mann von London? Das ging entschieden zu weit. Er war Scharfschütze, ein ehemalig hoch dekorierter Soldat, Kriegsveteran… und kein Gott verdammter Gastronom! „Jim“, versetzte er deshalb nur ungnädig und sah, wie die lächerlich großen, dunklen Augen einmal mit den viel zu langen Wimpern klimperten, ehe man vielsagend die Mundwinkel empor zog. Verdammt. Dieses Lächeln. Dieses Lächeln. Doch nein, er war standhaft. Einmal würde man seinen kindlichen Dickschädel nicht durchsetzen. Allein deswegen baute er sich jetzt in der Tür auf, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte den Anderen streng an, der sich gerade die Wolldecke bis über die Brust zog und ihm erneut entgegen klimperte. „Jim, jetzt hörst du mir mal zu, okay? Du weißt, ich mag dich echt gerne – warum weiß ich auch nicht, vielleicht hast du mir eine Gehirnwäsche verpasst - “ Er sah ihn breiter lächeln, hintergründig beinah, dann den Kopf schief legen und sich aufmerksam entgegen spähen. „- Aber ich lass mich nicht von dir wie dein persönlicher Sklave behandeln! Ich bin heute erst um 3 Uhr morgens wegen diesem beschissenen Auftrag in Westminster zurück gekommen, mit der verfuckten BAHN übrigens, weil hier irgendwer mein Auto geschrotet hat, als er ohne Führerschein damit herum gebrettert ist, ich musste durch diesen bekloppten Taifun LAUFEN der seit Wochen über der Stadt hängt und dann will ich EINMAL – nur EINMAL am Sonntag die Morgenzeitung lesen und alles was DIR einfällt, ist...ist krank zu werden und dieses beknackte Lied schon WIEDER anzumachen?! Weißt du was? Du willst Suppe? Koch sie dir selbst!“ Ein vehementes Schnauben und er nahm den Kopf ein Stück weiter zurück, von dem Jim immer meinte, es erinnere ihn an einen leicht gereizten Tiger. Gut so. Das lief doch wunderbar. Das war doch mal eine richtige Ansage gewesen und im Prinzip eh schon längst überfällig und er fühlte sich als echter Gewinner, fühlte sich tatsächlich wie ein majestätischer Tiger, als man mit großen, dunklen Augen den Kopf ein wenig senkte und ihn dann gegen einen weichem, gestreiften Plüschkopf schmiegte. „Ach Sebby Junior, dein Vater behandelt mich schon wieder so herzlos…ob ich mich scheiden lassen sollte, was meinst du? Er ist so gemein – ich sollte Schuhe aus ihm machen! Nein? Aber warum nicht, Sebby Junior? Was sagst du? Oh…ach so. So ein Mist: Also doch keine Schuhe.“ Theatralisches, zu tiefst niedergeschlagenes Seufzen, dass wirklich etwas seltsam kindliches an sich hatte, als Jim den kleinen, zerknautschten Plüschtiger deutlicher an sich drückte und dann leicht die verstopfte Nase empor zog, ein Ausdruck absoluter Enttäuschung und bitterer Einsamkeit. „Ja, ich weiß ja – ich hab nur ihn auf der Welt, der einzige dem ich vertraue und den ich schätze, aber er behandelt mich so herzlos, obwohl ich krank bin, nur weil er seine dumme Zeitung lesen möchte…dabei lieb‘ ich ihn doch so sehr, Sebby Junior. Ach, ich bin schon eine arme Seele…“ Stöhnend presste Sebastian sich eine Hand auf das vernarbte Gesicht, ehe er sie langsam über seine Lippen in Richtung seines Kinns zog und dann leise ausatmete. Manipulativer, egozentrischer kleiner Bastard. Schon wieder. Er machte es schon wieder und das schlimme war, es zog immer noch. Ein schmollender Blick aus einem beinah kindlichen Gesicht, dass manchmal so seltsam einsam aussah und von dem Sebastian nicht wusste warum; ebenso nicht, wieso ihm der Ausdruck einfach immer wieder unter die Haut ging. Doch er wusste, dass er nur den Ausdruck manchmal ein wenig lindern konnte, genauso wie jenen manischen, der Welt entrückten Blick, wenn immer die dunklen Augen den Namen „Sherlock Holmes“ erspähten. Er brauchte seinen Tiger – und er war treu. Mit einem leisen Fluch, schon wieder darauf reingefallen zu sein, ging er zu Jim ans Bett rüber, schaltete jedoch zunächst nur die Anlage aus, ehe er die Hand ausstreckte, um den Anderen damit in weicher, ruhiger Geste über die Stirn zu wischen. „Schon gut…ich mach‘ dir ja deine dumme Suppe, aber hör auf zu schmollen, okay?“ gab er zurück und hasste sich innerlich selbst dafür, dass er auf den flüchtigen Ausdruck ehrlicher Freude auf dem blassen Gesicht selbst mit einem kleinen Lächeln reagierte. „Mit Sternchennudeln und Hühnerfleisch?“ antwortete man ihn verschnupft, also nickte er und packte die Decke, um sie ihm deutlicher unter das Kinn zu ziehen, wobei er darauf achtete, dass er auch die Schultern zudeckte, damit er nicht noch mehr fror, als ohnehin schon. „Na klar. Und die Karotten nicht zu weich, ich hab’s verstanden, Jim. Wie wär’s wenn du solange ein bisschen schläfst? Es wird eine Weile dauern.“ Und erstaunlich fügsam gemacht, nickte Jim nur noch und kuschelte sich enger an den zerzausten Plüschtiger, dem er ihn vor Monaten unter Androhung, er würde sonst seinen Chevrolet über ganz London verteilt wieder zusammen suchen müssen, hatte gekauft und den er seitdem jede Nacht an sich drückte, war er selbst außer Haus. „...du erinnerst mich eben an einen Tiger. Darf ich dich so nennen? Sich mit Nachnamen anzureden, ist soooooo langweilig.“ Also war er sein Tiger geworden, seine Kugel im Anschlag des Gewehrs und manchmal war er sich nicht sicher, ob es nur Zufall oder kühles Kalkül gewesen war, doch das spielte heute auch keine Rolle mehr. Einen ganzen Moment lang sah Sebastian noch auf das Bett zurück, in dem man sich zusammen gerollt hatte, dann atmete er leise aus und öffnete die Tür. Nun ja. Nachzugeben und sich zu kümmern war ja nun kein Zeichen von Schwäche. Und Jim kümmerte sich ja auch um ihn, wenngleich auf seine Art und Weise. Und vielleicht war es auch gar keine so üble Idee, die Zeitung einfach bei ihm im Zimmer zu lesen, dann wär er auch nicht mehr alleine… Ja, so würde er das machen. Denn irgendwie war es ein gutes Gefühl, ein Tiger zu sein. Und er würde auf ihn aufpassen, so wie er es ihm versprochen hatte. „Touch me tiger when I'm close to you, help me tiger I don't know what to do ~“ ...oder er würde ihn ganz einfach und auf der Stelle die Suppe vergiften. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)