Midian von Yumiko_Youku (Kyūketsuki) ================================================================================ Kapitel 32: Zusatzkapitel : Pfad der Finsternis ----------------------------------------------- Ich spürte den Ernst der Situation, noch ehe ich in Sir Hellsings Büro trat. Die blonde Frau hob gehetzt den Kopf, als ich eintrat und legte den Hörer auf. Ich suchte ihren Blick und stellte das Teetablett auf ihrem Schreibtisch ab. „Probleme?“, erkundigte ich mich. Die Stirn der jungen Frau hatte sich in tiefe Falten gelegt und ihr verbliebenes Auge verengte sich zu einem Schlitz. „Allerdings.“, presste sie hervor. Mein Blick fiel auf ihre geballte Faust, welche etwas zitterte. „Was ist passiert?“ Integra erhob sich und wandte sich dem Fenster zu, durch welches die helle Morgensonne strahlte. Sie verschränkte die miteinander ringenden Hände auf ihrem Rücken und es dauerte eine Weile, bis sie antwortete: „Wir haben Meldung darüber erhalten, dass eine Gruppe Vampire Angehörige der Konferenzteilnehmer in ihre Gewalt gebracht haben. Sie hinterließen den Polizeikräften einige kryptische Botschaften, aus welchen wir schließen können, dass sie ihre Geiseln öffentlich hinrichten wollen.“ Das war wirklich ein Problem. Ich sog geräuschvoll Luft zwischen meinen Zähnen hindurch, ehe ich ernst nickte. „Wie gehen wir weiter vor?“ Es klang so, als hätten wir für lange Diskussionen keine Zeit. „Wir werden mit der Polizei von London zusammen arbeiten, die uns in diesem Fall unterstützen.“, erklärte Lady Hellsing. „Wir haben noch 43 Minuten, ehe sie ihre erste Geisel töten.“ Ohne weitere Umschweife griff sie nach ihrem Mantel. „Wir dürfen keine Zeit verlieren. Gehen wir.“ Wie ein Schatten folgte ich Lady Integra in das Polizeipräsidium. Die Beamten waren in höchster Alarmbereitschaft und in dem Gebäude ging es zu, wie in einem Bienenstock, sodass unsere Ankunft zunächst nicht bemerkt wurde. Nachdem sich Sir Hellsing auf ihre autoritäre Weise Verhör und Aufmerksamkeit verschafft hatte, führte uns der Einsatzleiter in einen separaten Raum, um uns auf den aktuellen Stand der Ermittlungen zu bringen. Ich lehnte mich etwas vor und studierte das Gesprächsprotokoll, welches vor Integra auf dem Tisch lag. »Jedes Mal, wenn die Glocken zur vollen Stunde schlagen, wird ein Opfer an einem der Knotenpunkte des Pfades der Dunkelheit gebracht. Zwölf die Fesseln. Die Ketten werden gesprengt. Dreizehn das Blut von seinem Blute. Die Midians werden sich erheben und die Menschen unterwerfen. Die Dunkelheit wird erstarken und den Tag verdunkeln. Lasst uns unsere Fesseln abwerfen und uns der Welt offenbaren, Brüder und Schwestern der Nacht. Lasst uns den Menschen das Fürchten lehren.« Ich blinzelte und sah auf. Jede Stunde. Also würde dieses Ritual um Mitternacht vollzogen sein. Wie symbolisch. Das erste Opfer würde binnen der nächsten Minuten sterben. Verdammt. Ich biss mir auf die Unterlippe und dachte angestrengt nach. Das waren zu wenige Hinweise und zu wenig Zeit, um den richtigen Ort ausfindig machen zu können. Meine Gedanken galten nicht nur den Opfern, den Angehörigen der Konferenzteilnehmern, sondern auch deren Familien. Die Ohnmacht und Machtlosigkeit musste unerträglich sein und deshalb würde ich nicht untätig bleiben und alles in meiner Macht stehende tun, um die Menschen wohlbehalten zurück zu ihren Liebsten zu bringen. Plötzlich öffnete sich die Tür mit einem lauten Knall und Sir Hugh Irons höchstpersönlich trat – unter lautstarkem Protest eines Beamten - ein. Ich beugte höflich das Haupt, als er sich zu den anderen an den Tisch gesellte. Trotz seines hohen Alters dachte er gar nicht an seinen Ruhestand ... und schon gar nicht an seinen Blutdruck. Mit präzisen Fragen und befehlsgewohnten Tonfall erkundigte er sich nach der aktuellen Situation. Ich wusste genau, dass der ältere Herr hinter seinen harschen Worten und dem rauen Ton lediglich seine Sorge zu verbergen versuchte. Sorge um das Wohlergehen der Entführten und besonders um das seines eigenen Enkelsohnes. Lady Integra hatte inzwischen eine Zigarre angezündet und kaute nachdenklich auf dem Glimmstängel herum. Im Augenblick waren wir alle zur Untätigkeit verdammt. Und das schmeckte meiner Wenigkeit ganz und gar nicht. Frustriert ballte ich meine Faust und zermarterte mir das Hirn, in der Hoffnung zu irgendeiner neue Erkenntnis zu gelangen. 12 Uhr Als die Glocken zur Mittagsstunde schlugen, stürmte ein weiterer Beamter in dem Raum und wandte sich hektisch an alle Anwesenden: „Hören Sie sich das an!“ Mit diesen Worten stellte er einen Telefonhörer auf den Tisch. Aus dem Gerät drangen undeutliche, verzerrte Laute. Darunter ein verzweifelter Schrei und ein bestialisches Grunzen, wie mir bald klar wurde. Mein Blick verhärtete sich. Ich kannte diese Geräusche nur allzu gut, ebenso wie Sir Irons und Lady Integra. Es handelte sich um den Todeskampf eines Mannes, welcher bei lebendigem Leibe von Untoten zerfleischt und gefressen wurde. „Woher kommt dieser Anruf?“, verlangte Sir Irons zu wissen. „Whitby. Borough.“, antwortete der Mann. „Wir haben bereits die Kollegen vor Ort informiert.“ Sir Irons schnaubte. Für den Mann kam jede Hilfe zu spät. Abgesehen davon würden die Beamten den Vampiren als zusätzliche Nahrung dienen, weshalb Integra augenblicklich Kraft ihres Amtes befahl, diesen Befehl zurück zu nehmen. Ich mischte mich in das Gespräch nicht ein und blieb während der nach folgenden Diskussion stumm. Integra wies die Beamten währenddessen an, ihren Kollegen zu übermitteln, dass sie das Gebiet, aus welchem der Anruf kam, weiträumig absperren sollten, um weitere Todesopfer zu vermeiden. Sir Irons bellte auch einige hektische Befehle. Ich hielt indes meinen Blick gesenkt und dachte angestrengt nach. Wir hatten noch eine Stunde. Dann würden die Vampire ihr nächstes Opfer fordern. Urplötzlich erstarb der Lärm am anderen Ende der Leitung und eine tiefe, wohlklingende Stimme ergriff das Wort: „Das erste Opfer wurde gebracht. Die Dunkelheit wird Einzug halten. Denn die Toten reiten schnell.“ Mit diesen Worten legte er auf. Ich blinzelte, als erwachte ich aus einer tiefen Trance. Ich wandte mich an den Polizisten, der zuvor in den Raum gestürmt war: „Woher sagten Sie kam der Anruf?“ „Ähm... Aus der Nähe des Hafens von Whitby.“, antwortete er. Integra studierte mein Gesicht. Sie schien zu ahnen, dass mir eine Idee gekommen war. „Woran denkst du?“ Ich hob den Blick und sah sie an. „Whitby. Die Demeter.“ Die blonde Frau verstand worauf ich hinaus wollte und ihr Auge weitete sich flüchtig. „Du glaubst ... ?“ Ich nickte schlicht. Die Leiterin der Hellsing Organisation schien eine Weile darüber nachzudenken. Sir Irons blickte uns verständnislos an. Ungehalten schnitt seine Stimme durch die Stille. „Was hat das zu bedeuten? Besitzt jemand die Freundlichkeit mich aufzuklären?“, fragte er scharf. Integra sah ihn an und hob zu der verlangten Erklärung an: „Brams Stoker´s Dracula. Der Hafen in Whitby ist der Hafen, an welchem Dracula anlegte, als er nach England übersetzte.“ Auch die Augen des alten Mannes verengten sich. „Soll das bedeuten ....?“ „Wir können zumindest davon ausgehen.“, räumte Sir Hellsing ein. Nun ergriff meine Wenigkeit das Wort: „Denn die Toten reiten schnell.“, zitierte ich und wiederholte somit die letzten Worte des Mannes am Telefon. „Ursprünglich ein Auszug aus Burger´s Lenore, welches wiederum in Bram Stoker´s Roman zitiert wird. Einige transsylvanische Bürger beschrieben so die Ankunft Dracula´s in Verkleidung eines Kutschers.“, erklärte ich schließlich. Sir Irons lies sich unsere Worte durch den Kopf gehen, dann nickte er langsam. „Wo werden sie als nächstes zuschlagen?“ Ich griff nachdenklich an mein Kinn und legte den Kopf etwas schief. „Wenn wir davon ausgehen könnten, dass sie Dracula´s Pfade in England rekonstruieren, könnte ihr nächster Tatort London sein. Allerdings ... “ Ich warf einen Blick in die Runde, die an meinen Lippen hing. „Allerdings verweilte Dracula eine ganze Weile in Whitby.“ „Wir sollten Einheiten an sämtliche, potentielle Schauplätzen postieren.“, schlug der Einsatzleiter vor und sah die anwesenden Autoritäten erwartungsvoll an, doch sein Vorschlag wurde zugleich abgeschmettert. „Mit Verlaub ...“, schaltete ich mich ein. „Aber ich befürchte ihre Männer sind den Vampiren nicht gewachsen.“ Integra nickte zustimmend. „Sie wären nur ein gefundenes Fressen für diese Monster.“, warf sie ein. „Zudem müssen wir sicher sein, dass die Situation in Whitby nicht eskaliert.“ Sie sah mich ernst an. „Kannst du dich der Sache annehmen?“ Grübelnd verzog ich den Mund. Es war eine Sache von London nach Whitby zu kommen. Hinzu kam noch die knapp bemessene Zeit und die Tatsache, dass ich Lady Hellsing ungern ohne Personenschutz zurück lies, wenn sich eine solche Krise ankündigte und ausbreitete. Ihre Stimme unterbrach mich in meinen Gedanken: „Ich werde in der Zwischenzeit die Ermittlungen von hier aus leiten. Seras soll das Hauptquartier überwachen. Ich werde veranlassen, dass die Konferenzteilnehmer und ihre Familien dort unterkommen werden, solange die Krise noch andauert.“ Sie stützte ihr Kinn auf ihre gefalteten Hände. Ihre Brillengläser reflektierten das Sonnenlicht. „Du wirst dich unverzüglich auf den Weg nach Whitby machen und sofort nach London zurückkehren, wenn du sicher gestellt hast, dass die Situation dort unter Kontrolle ist.“ Nun war es also zu einem Befehl geworden. Jetzt war es eine offizielle Mission. Ein schiefes Grinsen erhellte meine Züge. „Sehr wohl, Mylady.“, erwiderte ich und neigte mein Haupt. Ein sanftes Lächeln umspielte Integra´s Lippen. „Gut.“ Sie wandte sich an den Einsatzleiter: „Wir setzten auf Ihre Unterstützung.“ „Eh ... ja.“, erwiderte der Mann, etwas verdattert. Ich verbeugte mich ein letztes Mal tief vor den Anwesenden und wandte mich zum Gehen. Integra´s Stimme stoppte mich, ehe ich die Tür erreichen konnte, die nach draußen führte. „Bleib mit uns in Verbindung und beeil dich!“, befahl sie. Ich salutierte flüchtig. „Ryokai.“ Wie ein geölter Blitz pflügte ich durch den blauen Himmel der englischen Hauptstadt. Ich hatte keine Zeit zu verlieren. In meinem Kopf stellte ich Berechnungen an. Nicht einmal mehr eine Stunde blieb mir, ehe die Vampire ihr nächstes Opfer forderten. Bis dahin musste ich die Bedrohung an Hafen eindämmen und versuchen den nächsten Knotenpunkt ausfindig zu machen. Wenn ich mein derzeitiges Tempo aufrecht erhielt, welches ungefähr nahe Schallgeschwindigkeit liegen dürfte, würde ich es binnen fünfzehn Minuten nach Whitby schaffen. Folglich blieben mir anschließend dreißig Minuten für die bevorstehenden Aufgaben. Grimmig nickend beschleunigte ich meinen Flügelschlag. Erschöpft sank ich auf meine Knie, als ich in Sichtweite des Hafens landete. Diese Langstreckenflüge zerrten eine Menge Energie, doch ich hatte keine Zeit um mich auszuruhen. Entschlossen kämpfte ich mich schwer atmend zurück auf meine Beine. Ich atmete einige Male tief durch und blinzelte um die aufkommenden Erschöpfungssyndrome zu vertreiben. Ein lauter Aufschrei verriet mir, wo mein Typ verlangt wurde. Schwer atmend stand ich über dem Leichenberg aus Vampiren. Ich kniete mich neben den leblosen Körper des jungen Mannes auf den Boden und schloss seine starren Augen. Die Vampire hatte keinerlei Gnade gezeigt und ihn bis auf den letzten Blutstropfen ausgesaugt, wie eine Konserve. Ich schloss andächtig meine Augen und hob meine rechte Hand, wobei der Daumen derselbigen in meine Richtung gewandt war. Er hatte seinen Frieden gefunden und würde nicht wieder aufwachen. Die örtliche Polizei hatte den Tatort weiträumig abgesperrt, so wie es Sir Hellsing zuvor befohlen hatte. Ich bat einen Beamten sich des leblosen Körpers des jungen Menschen anzunehmen, auf dass er seine letzte Ruhe in seiner Heimat finden würde. Dann zücke ich mein Handy und wählte Integra´s Nummer. Nach einem knappen Bericht meinerseits, erkundigte ich mich nach dem aktuellen Ermittlungsstand. Die Konferenzteilnehmer hatte man bereits in Sicherheit gebracht und sie hatten noch knappe 25 Minuten, ehe die Vampire zum nächsten Mal zuschlugen. Ich zog meine Stirn in Falten und dachte angestrengt nach. Der Initiator dieser irren Schnitzeljagd hatte die Polizei erneut kontaktiert und einen weiteren Hinweis hinterlassen: »Nach unserem Triumph stoßen wir mit einem Glas Sherry an. Das hätten wir fürs erste. Schachmatt! « (The first gain is ours. Check to the king.) Meine Augen verengten nach nachdenklich. „Kannst du dir einen Reim darauf machen?“, erkundigte sich Integra über das Mobiltelefon. Ich schwieg bedächtig und dachte über die Worte des Vampires nach. „Lucy Westenra.“, murmelte ich schließlich. „Dracula´s erstes Opfer in England. Laut dem Roman lebte und starb sie in einem Anwesen hier in Whitby. Ihre weiblichen Angestellten wurden mit Narkotika, genauer gesagt Laudanum, eine Opiumtinktur, betäubt, welches in einer Karaffe Sherry gemischt worden war, ehe ihr der Graf zum letzten Mal das Blut aussaugte.“ Integra runzelte die Stirn. „Der nächste Knotenpunkt?“ „Likely.“, antwortete ich. „Jetzt gilt es nur noch das Anwesen ausfindig zu machen.“ „Halt dich ran. Du hast noch zwanzig Minuten, ehe diese Monster wieder zuschlagen.“, erinnerte die blonde Frau und ich nickte. „Ich habe verstanden.“ Mit diesen Worten war das Telefonat beendet. Zwanzig Minuten um ein großes Haus in einer Kleinstadt ausfindig zu machen sollte möglich sein. Ich wandte mich erneut an einen der Polizeibeamten: „Entschuldigen Sie, aber können Sie mir sagen, wo ich das Anwesen der Westenras finde?“ Ein weiterer Aura Scan führte zu keinem Ergebnis. Der Mann erwiderte meinen Blick verwirrt. „Wie bitte?“ „Es ist höchst wahrscheinlich, dass das Anwesen den Eigentümer gewechselt hat ... “, fügte ich hinzu. „ Und sich nun im Besitz der Familie Holmwood befindet.“ Der Beamte verzog ahnungslos die Mundwinkel und zuckte mit den Schultern. Ich nickte langsam. „Ich danke Ihnen trotzdem.“ Ich warf einen flüchtigen Blick auf meine Armbanduhr. Mir blieben kaum noch fünfzehn Minuten. Ich bezweifelte, dass der gute Mann dermaßen ortsunkundig war,dass er sich nicht an ein prächtiges Anwesen einer angesehenen Familie erinnern konnte. Ich schloss meine Augen und sammelte alle Informationen in meinem Kopf, die ich über Lucy Westenra und ihr Zuhause hatte und zusammentragen konnte. Hillingham. Ein Haus am Crescent in einem grünen Tal, durch welches der Fluss Esk floss, ehe er in einem breiten Strom ins Meer mündete. Soweit passte die Beschreibung zu dem Bild, dass ich vor Augen hatte. Aber dennoch lies mich das Gefühl nicht los, etwas entscheidendes übersehen zu haben. Hatte ich mich geirrt? Mein Blick blieb auf der St. Mary Church hängen. Dort war Lucy Westenra zum ersten Mal auf Dracula gestoßen, wenn man dem Roman Glauben schenken mochte. Doch deutete das Zitat eindeutig auf ein späteres Event in dem Buch hin. Da traf mich die Erkenntnis urplötzlich wie ein Blitz und ich schwang mich erneut in die Lüfte. Mein Ziel: London. Mir war nämlich ein Artikel eingefallen, den ich vor geraumer Zeit online während einer Recherche, gelesen hatte. Das Pendant zu Hillingham lag gar nicht in Whitby, obgleich sich ein Teil der Geschichte dort tatsächlich zugetragen hatte. Das Gebäude befand sich in der englischen Hauptstadt. Genauer gesagt im Stadtteil Chelsea im Westen Londons. Ich legte einen Zahn zu. Mir war bereits klar und durchaus bewusst, dass, wenn ich am Ziel ankommen würde, meine Energieressourcen nahezu aufgebraucht sein würden. Doch im Augenblick war alles, was zählte, dass ich rechtzeitig eintraf, um das Schlimmste zu verhindern. Ich fiel mehr auf die Straße des Cheyne Walks, als dass ich landete. Schwer atmend kämpfte ich mich zurück auf meine Füße und hob den Blick, um mich umzuschauen. Ich hatte jetzt keine Zeit um zu schwächeln. Ausruhen kannst du dich, wenn du tot bist, lautete ein alter Spruch im Volksmunde und offensichtlich traf dies nicht einmal bei Untoten zu. Ein flüchtiger Blick auf meine Uhr verriet mir, dass mir noch zwei Minuten blieben. Ich schloss meine Augen und tastete nach den Auren der umliegenden Lebewesen. Die Menschenmasse erschwerte die Lokalisation, doch endlich gelang es mir auf einem der naheliegenden Dächer der Reihenhäuser ein halbes dutzend Vampire aufzuspüren. Ich sandte einen Rabenschwarm aus und nutzte die entstandene und gewünschte Verwirrung und die daraus resultierende Ablenkung, um meinerseits auf das Dach zu gelangen. 13 Uhr Ich bahnte mir einen Weg durch die wütenden Vampire und den aufgescheuchten, schwarzen Vögel zu dem jungen Mann, der zitternd auf dem Boden kauerte und sein Haupt mit seinen Händen verzweifelt abzuschirmen versuchte. Schnell zog ich ihn in eine schützende Umarmung, ehe ich mit raschen Schwingenschlägen die umstehenden Vampire eliminierte. „Alles in Ordnung, junger Mann?“, fragte ich sanft, als ich von ihm ablies. Er hob den Kopf, sah mich groß an und nickte schließlich tapfer. Erst jetzt erkannte ich, wer da vor mir stand. Es war Gregory Penwood, Sir Shelby Penwood´s Enkel. „Na komm. Ich bringe dich zu seinem Vater.”, sagte ich ihm, ihn weiterhin vertrauensvoll anlächelnd. Ich war mir nicht sicher, ob er sich an mich erinnerte, denn als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er bedeutend jünger gewesen. Doch schließlich trat Gregory zögerlich vor und ergriff meine ausgestreckte Hand. Vorsichtig hob ich den kleinen Mann hoch und erhob mich wieder in die Luft. Erleichtert schloss Sir Jack Penwood seinen Sohn in seine Arme. Seras schenkte mir ein freudiges Lächeln und ich nickte ihr, nicht minder befreit, zu. Dennoch war dies erst der Anfang. Die Vampire hatten noch zehn weitere Opfer angekündigt und ebenso viele Geiseln in ihrer Gewalt. Und bis zur nächsten vollen Stunde blieben uns noch 45 Minuten. Ich kehrte zum Polizeipräsidium zurück. Zuvor hatte ich über das Telefon bereits einen knappen Bericht abgeliefert. Ohne weitere Umschweife setzte ich mich an den Konferenztisch, um mir anzuhören, was ich seit meinem Aufbruch verpasst hatte. Sir Irons nickte mir flüchtig zu, offensichtlich ein nonverbales, zufriedenes Zeichen seiner Hochachtung. Integra schenkte mir ein Lächeln, ehe alle Anwesenden wieder ernst wurden. Es gab noch keinerlei Grund zu feiern. Es waren immer noch Menschenleben in Gefahr. „Wo könnten sie als nächstes zuschlagen?“, warf Sir Irons die entscheidende Frage in den sonst so stillen Raum. „Haben sie weitere Hinweise hinterlassen?“, erkundigte ich mich. Integra schüttelte verneinend das Haupt. Nachdenklich wiegte ich meinen eigenen Kopf hin und her. So kamen wir definitiv nicht weiter. Natürlich hatte ich einige potentielle Orte im Kopf, doch sie waren über halb England verteilt, sodass es unsinnig wäre alle davon abzusuchen, ohne einen konkreten Hinweis. Aber vielleicht zwangen uns die Umstände dazu. So viele Möglichkeiten und zu wenig Zeit. Da wäre zum einen der Friedhof, auf welchem Lucy ihre letzte Ruhe fand, Draculas Anwesen Carfax, Piccadilly, Sewards Anstalt oder vielleicht doch der Hyde Park. Wenn der Entführer keine weiteren Hinweise hinterließ, tappten wir weiterhin im Dunkeln und ich war vielleicht tatsächlich dazu gezwungen einen Ort nach dem anderem ab zufliegen und zu untersuchen, in der Hoffnung auf eine Spur zu stoßen. Es verstrichen qualvolle, endlos lang erscheinende Minuten, sodass dann einstimmig beschlossen wurde, dass ich mich auf den Weg machen sollte. Immerhin war das besser, als untätig herum zu sitzen. Vorher lies ich mir allerdings ein Funkgerät vom Ermittlungsleiter in die Hand drücken, mit welchem wir in Verbindung bleiben konnten, falls sich etwas Neues ergab. Als erstes machte ich mich auf den Weg zu Hyde Park, doch so sehr ich mich auch fokussierte konnte ich dort keine Vampirauren ausmachen. Mittlerweile war ich bei meiner Ankunft, dank meiner schwarzen Flügeln, mehreren Parkbesuchern, die hier offensichtlich ihren Nachmittag verbrachen, ins Auge gestochen. Nun nahm die Zahl der Schaulustigen stetig zu, obgleich ich meine Flughilfen gleich hatte verschwinden lassen. Also weiter im Text. Gerade, als ich meine Flügel ausfahren und losfliegen wollte, drang ein eigentümliches Knacken aus dem Funkgerät und zum zweiten Mal an diesem Tage klang die tiefe Stimme des Vampires an mein Ohr: „Ich gratuliere Ihnen, Lady Hellsing. Es ist Ihnen also gelungen einen der Knotenpunkte ausfindig zu machen und die Opferzeremonie zu unterbinden. Meinen Glückwunsch.“ Ich glaubte Integra auf schnauben zu hören. „Das bedeutet aber nicht, dass unser Scheitern vorbestimmt ist. Mitnichten.“, fügte der Vampir hinzu. „Das war erst der Anfang. Eine kleine, unbedeutende Irritation auf einem langem Pfad, den meine Brüder und meine Schwestern gemeinsam mit mir beschreiten werden.“ „Lassen Sie den Unsinn!“, ereiferte sich Sir Irons. „Ah.“, machte der Mann am anderen Ende der Leitung und der Unterton seiner Stimme verriet seine Belustigung. „Sie müssen Sir Hugh Irons sein, Mitglied des Round Tables. Guten Tag.“ Er schien spöttisch zu grinsen. „Doch ich muss Sie bedauerlicherweise enttäuschen. Unsere Ziele sind klar, unsere Methoden bewährt. Wir sind entschlossen unser Werk fortzusetzen und schließlich zu vollenden. Wir haben uns lange genug von den Menschen unterdrücken lassen und waren gezwungen uns zu verbergen und zu verstecken.“ Ich verdrehte die Augen. Heul doch. „Diese Zeit ist nun vorbei. Es folgt die Abenddämmerung und der Berserker zeigt seine Zähne und sucht sein Rudel. Die Zeit der Fesseln und Käfige ist vorbei. Der Ruf des einsamen, geknechteten Wolfes hallt durch die Nacht und wird von den anderen Jägern vernommen, von seinesgleichen, den unterdrückten Seelen der Nacht. Den Unwürdigen wird er das Fürchten lehren und sie aus dieser Welt bannen. Zitternd werden die Menschen die Ankunft der Midians erwarten und ihre Augen werden sich in Ehrfurcht weiten und die Verfolger werden machtlos sein.“ „Unterschätzen Sie die Menschen nicht!“, schnarrte Sir Hellsing. „Das tue ich ganz und gar nicht, Lady Hellsing.“, widersprach der Vampir sanft. „Besonders Sie, als seine – Abraham Van Helsings – Nachfahrin sind nicht zu unterschätzen. Doch ich schweife ab. Wenn ich mich nicht irre bleiben Ihnen nur noch fünf Minuten, um der nächsten Zeremonie beizuwohnen. Ich empfehle mich.“ Sir Iron´s Proteste geflissentlich ignorierend, legte der Vampir auf und Schweigen erfüllte den Raum. „Alexandra!“, wandte sich Integra über das Funkgerät an mich. „Sag mir, dass du einen Hinweis hast.“ Ich hatte grübelnd eine Hand an mein Kinn gelegt und dachte nach. „Hast du einen Anhaltspunkt?“, wiederholte die blonde Frau angespannt. Ich blieb eine Weile stumm, ehe ich bedächtig das Wort ergriff. Der Kerl hatte doch tatsächlich etwas Nützliches von sich gegeben. Es war lediglich von Nöten gewesen, seine leeren Worthülsen von dem Sinnvollen zu trennen. „Der einsame Wolf. Das hatte ich nicht bedacht.“, musste ich gestehen. Die menschliche Riege begann ungeduldig zu werden. Verständlicherweise. „Was hast du nicht bedacht?“ Ich hob den Blick und schickte mich an zu antworten: „»Bersicker«, der Berserker. Das war der Name des Wolfes, der von Dracula´s Macht angezogen wurde und indirekt für den Tod von Mrs. Westenra verantwortlich war. Er brach in der Nacht des 18. Septembers aus einem der Käfige des Regents Park aus und folgte Dracula´s Spuren nach Hillingham.“ „Der Regents Park!“, rief Integra aus und ich nickte bestätigend. „Genau.“ Ich fuhr meine Schwingen aus. Der Regents Park. Eine zwei Quadratkilometer große Grünfläche, welche sich im nördlichen Teil des Londoner Stadtzentrums erstreckte. Der Park zählte zu den königlichen Parks der Stadt und schloss sich dem Nobelviertel Primerose Hill an. Umgeben wurde er von dem „Outer Circle“ und in dessen Inneren befand sich eine innere Ringstraße, allgemein als „Inner Circle“ bekannt. Die Grünflächen des Parks waren alleine Fußgängern vorbehalten und seit 1828 lag der zoologische Garten, heute als London Zoo bekannt, im Norden des königlichen Parks. Der Zoo bestand aus verschiedenen Gebäuden und Gehegen, die alle ihrem eigenen Zweck dienten und die verschiedensten Tiere hielten. Zunächst war der zoologische Garten nur den Mitgliedern der Zoologischen Gesellschaft zugänglich gewesen, allerdings wurde er im Jahre 1847 auch der breiten Öffentlichkeit geöffnet. Und wenn ich noch lange mit ausgebreiteten Flügeln auf der Wiese vor dem Zoo herum stand, würde ich selbst bald als Ausstellungsstück in einem der Gehege landen, dachte ich mit einem Anflug von Galgenhumor. Wenn ich mich nicht beeilte, gab es bald ein weiteres Opfer zu betrauern. Die Uhr tickte. Es war nur wenige Minuten vor zwei. Dunkel erinnerte ich mich daran als Kind mit meinen Eltern diesen Park besucht zu haben, doch zu verschwommen waren die Erinnerungen daran, als dass ich mich an die Struktur des Geländes, an die Anordnung der Gehege, oder die Details erinnern konnte. Im Schnellschritt machte ich mich auf den Weg zum Eingang des Zoos und fuhr die eher außergewöhnlichen Anhängsel ein, ehe ich mich an einen Angestellten wandte. „Haben Sie ein Wolfsgehege?“, erkundigte ich mich, etwas gehetzt im Anbetracht des Zeitmangels. Ich sah mich verstohlen um. Noch war keine Massenpanik ausgebrochen und auch ansonsten war es, abgesehen von vereinzelten Tierlauten und Gesprächsfetzen, die von den Zoobesuchern zu mir herüber wehten, ausgesprochen still. Der Mann, sichtlich irritiert über mein ungewöhnliches Auftreten, blinzelte, ehe er den Mund öffnete: „Ähm ... Nein ... Bedauerlicherweise gibt es bereits seit geraumer Zeit keine Wölfe mehr in diesem Zoo.“ „Damn...“, fluchte ich tonlos. Die Masse an Besuchern, angelockt durch das herrliche Wetter an diesem schönen Sommertag, erschwerte eine genaue Lokalisation von bestimmten Auren. Sollte ich mich vielleicht doch geirrt haben? Oder hatte der Kerl uns eine falsche Fährte hinterlegt? „Aber ... “, begann der Mann plötzlich. „Wir halten ein Rudel von afrikanischen Wildhunden, im ehemaligen Wolfsgehege, falls Sie ... “ Ich hob den Blick. „Wo befindet sich dieses Gehege?“, erkundigte ich mich hastig. Mir blieb kaum noch eine Minute. Der Angestellte gab eine zögerliche Wegbeschreibung ab. Ich lächelte ihn an und neigte flüchtig mein Haupt. „Ich danke Ihnen.“ Die Umstände zwangen mich dazu, Etikette und die Einwände des Mannes zu ignorieren, als ich durch den Eingang stürmte. „Verzeihen Sie ... Ich muss ... Könnte ich mal ... Danke ... “ Umständlich drängelte ich mich durch die Masse aus Besuchern. Kuso. Die Zeiger meiner Armbanduhr hielten unaufhaltsam auf die nächste volle Stunde zu. Endlich kam das besagte Gehege in Sicht. Mir fiel sofort das ungewöhnliche Verhalten der Wildhunde auf. Sie drückten sich gegen die Zäune und hatten ihre Ohren angelegt. Es schien, als fürchteten sich die Tiere vor irgendetwas. Etwas, das seinen Ursprung im Inneren des Geheges hatte. Volltreffer. Mit einem Satz sprang ich über den hohen Zaun und hechtete weiter. 14 Uhr Und dann sah ich es. Das Mädchen war an einen Baum gefesselt. Seine Augen waren vor Schreck geweitet. Die Kleine war vor Angst völlig gelähmt, unfähig auch nur einen Schrei auszustoßen. Ihr angsterfüllter Blick war auf die drei Vampire gerichtet, die sich vor ihr aufbauten und ihre gierig geöffneten Münder gaben den Blick auf ihre rasiermesserscharfen Reißzähne frei. Ein grauer Wolf, der plötzlich aus dem Nichts aufzutauchen schien, riss den ersten Vampir um. Der nächste wurde von meiner Faust mitten im Gesicht getroffen, als er herum wirbelte und stürzte täppisch zu Boden. Der dritte öffnete den Mund und im nächsten Augenblick fiel sein Kopf, sauber abgetrennt, von seinen Schultern und landete mit einem dumpfen Laut auf den Boden. Der zweite Vampir rappelte sich wieder auf und sein wütender Blick fiel auf mich. Ich erwiderte diesen gelassen und lies meine Fingerknöchel knacken. Meine Flügel waren gespreizt und zum Angriff bereit. Er verzog den Mund zu einem missmutigen Knurren, dann machte er auf dem Absatz kehrt und rannte davon. Ich machte mir keine Mühe ihm zu folgen und lies ihn gewähren. Ich wandte mich zu dem Mädchen um. „Hab keine Angst.“, sagte ich, sie sanft anlächelnd und zerschnitt mit einem Schwingenhieb ihre Fesseln. „Ich bin hier um dich zurück zu deinem Vater zu bringen.“, erklärte ich ihr. Die Kleine schluchzte und hickste einige Male kläglich, ehe sie zögerlich auf mich zu trat und ihre Arme ungelenk um meinen Rumpf schlang, ihr Gesicht in meinem Oberteil vergraben. Vorsichtig fuhr ich ihr durch ihr blondes Haar und wartete bis die sich beruhigt hatte. Der Vampir lächelte zufrieden. Ach wenn bereits zwei Opferzeremonien unterbrochen worden waren, war er seinem Ziel näher als jemals zuvor. Um Mitternacht würde er die Vampire befreien und er würde sie führen. Er würde das tun, wozu der Graf nicht in der Lage, ja zu feige, gewesen war. Er schnupperte an seinem Weinglas, welches mit frischen Blut gefüllt war und nippte schließlich genießerisch an dem roten Lebenssaft. Integra zeigte sich sehr zufrieden mit der Arbeit meiner Wenigkeit, blieb aber dennoch auf dem Boden der Tatsachen. Immerhin galt es noch neun Knotenpunkte ausfindig zu machen und die restlichen Angehörigen der Round Table Mitglieder zu befreien. Erneut hatte ich einige Plätze vorgeschlagen, die für das nächste Ritual in Frage kommen könnten, doch ohne genauere Hinweise war es beinahe unmöglich zu bestimmen, welcher der nächste Knotenpunkt sein würde. Ich stand auf der Westminster Bridge unterhalb des Big Bens und starrte auf das Wasser der Themse, welches unter mir vorbei zog. Es war ein typischer, warmer Sommertag im August. Das Sonnenlicht tanzte funkelnd auf der Wasseroberfläche und auf den Straßen herrschte ein reges Treiben. Ich fing Gesprächsfetzen in der unterschiedlichsten Sprachen auf, doch ich lies mich nicht davon ablenken. Angestrengt schaute ich auf die schillernden Lichter, die sich in den kleinen Wasserwirbeln des großen Flusses brachen und dachte fieberhaft nach. Plötzlich tippte mir jemand, der hinter mir stand, auf die Schulter. Ich drehte mich um. Vor mir stand ein unbekannter Mann. Ein Vampir. Er lächelte mich breit an und in seiner ausgestreckten Hand lag eine kleine, schwarze Gerätschaft. „Ich soll Ihnen das überreichen.“, verkündete er und wartete geduldig, bis ich meinerseits meine Hand ausstreckte. Meine Augen verengten sich und schließlich griff ich nach dem Gegenstand, den ich im nächsten Augenblick als kleines Kommunikationsgerät erkannte. Der Vampire nickte aufmunternd und ich steckte mir das Gerät ins rechte Ohr. „Ja?“ „Ah, Fräulein Dolneaz. Ich freue mich endlich Ihre Stimme vernehmen zu können.“, wurde ich von einer mittlerweile vertrauten Stimme begrüßt. „Die Freude wäre ganz auf meiner Seite, wenn Sie nicht gerade im Sinn hätten, Unschuldigen zu schaden.“, erwiderte ich seine Begrüßung ausdruckslos. Der Vampir am anderen Ende der Leitung schien zu lächeln. „Den Unschuldigen schaden?“, echote er amüsiert. „Aber nicht doch, junges Fräulein. Ich bin mir sicher, sie haben meine Worte vernommen, aber nicht verstanden. Mein Ziel ist es den Unterdrückten auf die Beine zu helfen. Die Opfer sind ein bedauerliches, jedoch notwendiges Übel, um den Menschen die Augen zu öffnen. Damit sie verstehen, wer wir sind.“ Ich schnaubte spöttisch auf. „Mir scheint eher, Sie streben eine Unterdrückung der Menschen an.“, meinte ich schließlich. „So sehr Sie es auch in schönen Worten verpacken, es bleibt, was es ist.“ Meine Augen funkelten im Sonnenlicht. „Fanatismus. Terror. Und Mord.“ Er war nicht der Erste, der versuchte seine abstrusen Ziele zu rechtfertigen. Nun lachte der Mann schallend. „Sie sind wahrlich einer der Hellsing Ritter.“, sagte er, nachdem er sich beruhigt hatte. „Ich weiss Ihren Einsatz zu schätzen, Fräulein Dolneaz. Das tue ich wirklich. Doch ich bin mir sicher, dass tun die Menschen nicht. Glauben Sie wirklich, dass andere Wesen Ihren Einsatz verdienen?“, fragte er heimtückisch. „Die meisten Menschen halten nichts von Moral, oder Ehrgefühl, wie Sie es tun. Verdienen sie es überhaupt gerettet zu werden? Verdienen sie es zu leben? Treibt ihre Arroganz sie nicht zu weit? Es wird an der Zeit ihnen zu zeigen, wo sie stehen. Welchen Platz sie in dieser Welt haben.“ Was eine flammende Rede, dachte ich. Glaubte der Gute tatsächlich, was er da von sich gab? Never judge a book by its cover. Das galt sowohl für Menschen, als auch für andere Rassen gleichermaßen. Niemand war vollkommen oder perfekt. Jede Spezies hatte ihre schwarzen Schafe, aber auch ihre Helden. Der Vampir fuhr fort. „Es ist wirklich bedauerlich, dass Sie und Ihr Meister nie gewusst haben, auf welche Seite Sie beide gehören.“ „Kch.“ Meine Augen verengten sich erbost und ich ballte meine Hände zu Fäusten. Was fiel ihm ein über Master zu sprechen? Wie konnte er es wagen, über ihn zu urteilen? „Nunja.“, machte der Vampir schließlich. Er schien verdammt zufrieden mit sich und der Welt zu sein. Das verriet mir jedenfalls sein Tonfall. „Aber das tut im Augenblick nichts zur Sache, nicht wahr? Ich habe Ihre kostbare Zeit lange genug in Anspruch genommen. Schließlich haben wir beide, Sie und ich, noch eine ernste Pflicht zu erfüllen. Auf dass sich unsere Pfade bald kreuzen mögen, Fräulein Alexandra Dolneaz.“ Im Augenblick hatte ich auch nicht minder Lust auf dieses Treffen. Besonders wenn meine Faust ganz freundlich auf seiner Nase landete, um sein selbstgefälliges Grinsen, welches ich bereits bildlich vor mir sah, aus seinem Gesicht zu wischen. Nun hüllte sich der Vampir in Schweigen und aus dem Kommunikationsgerät drang kein einziger Ton mehr. Die Verbindung war unterbrochen worden. Ich atmete tief durch und sah auf. Der Vampir, der mir den Ohrknopf überreicht hatte, war mittlerweile verschwunden und scheinbar in der Menge untergetaucht. Auch gut, dachte ich bei mir, drehte mich wieder herum und lehnte mich auf das Brückengeländer, um weiter auf die Wasseroberfläche zu starren. Mein Fokus lag auf den letzten Worten, die der Vampir an mich gerichtet hatte, ehe er sich wortgewandt verabschiedet hatte. »Eine ernste Pflicht.« »Grave duty.« Irgendetwas riefen diese Worte in mir wach und meine Stirn legte in tiefe Falten. Ich musste mich lediglich daran erinnern woran. Plötzlich schien es mir, als hätte ich eine Wand in meinem Kopf eingerissen, gegen die ich eine ganze Weile angerannt war. Erneut traf mich die plötzliche Erkenntnis wie ein Blitz und ich erlaubte mir ein Lächeln. „Alexandra? Hörst du mich?“, drang Integra´s Stimme an mein Bewusstsein und aus dem Funkgerät, welches an meinem Gürtel hing. „Antworte mir.“, rief sie drängend. Ich grinse schief und nahm das Gerät in die Hand, ehe ich einen der Knöpfe drückte, der sich an der rechten Seite des Kommunikationsgeräts befand. Ungeduldig wie immer, das junge Fräulein. „Nur Geduld, Oujou-Sama.“, erwiderte ich gelassen lächelnd. „Ich hatte lediglich ein ... aufschlussreiches Gespräch mit unserem neuen Freund.“ Das lies Sir Hellsing aufhorchen. „Willst du damit sagen, du hast einen Hinweis?“ Ich nickte. „Das möchte ich in der Tat.“ „Wo schlagen diese Kerle als nächstes zu?“, erkundigte sich ein offensichtlich ungeduldig werdender Sir Irons. Erneut betätigte ich den Knopf. „Kurz gesagt: An dem Ort, an welchem Lucy Westenra ihre letzte Ruhe gefunden hat.“ „Wie kommst du zu dieser Annahme?“, fragte Integra. „Der Kerl sprach von einer „ernsten Pflicht“. Diese Worte benutzte Professor Helsing, ehe sich er und seine Gefährten zu Luy Westenra´s Grab aufmachten, um die junge Frau von ihrem Dasein als Untote zu erlösen.“, erklärte ich bereitwillig. „Im Roman findet Fräulein Westenra ihre letzte Ruhe auf dem Kingstead Churchyard. Allerdings ist dieser reine Fiktion. Es wird folglich angenommen, dass es sich in Wirklichkeit um den Highgate Churchyard handelt.“ „Der nächste Knotenpunkt befindet sich also ebenfalls hier in London.“, schloss die blonde Frau daraus. Erneut nickte ich. „Davon ist auszugehen.“ „Gute Arbeit.“, lobte Integra. „Und jetzt mach dich auf den Weg. Dir bleiben nur noch 32 Minuten.“ Ich lächelte. „Sehr wohl.“ Ich fuhr meine Schwingen aus und stieg in die Luft. Der Highgate Churchyard befand sich im Londoner Stadtteil Camden. Er war 1839 eröffnet worden und zählte zu den Magnificant Seven, eine Reihe von prächtigen Friedhöfen, die alle innerhalb von zehn Jahren errichtet worden waren. Er war etwa 15 Hektar groß und beherbergte über 53.000 Gräber. Der Friedhof wurde von Bäumen, Sträuchern und Wildblumen geschmückt, sodass er ein Paradies für die verschiedensten Vögel und andere kleine Tiere, wie zum Beispiel Füchse, darstellte. Der im nördlichen Teil von London liegende Friedhof bestand aus einem älteren, westlichen Teil und dem etwas größeren östlichen Teil. Der westliche Part war irgendwann für die breite Öffentlichkeit geschlossen worden und der Zugang war nur noch Angehörigen der dort Begrabenen gestattet, oder interessierten und kulturbegeisterten Touristen, die den geschichtsträchtigen und prächtigen Teil des Friedhofes unter einem geschulten Führer bestaunten. Zahlreiche Mausoleen und Katakomben bestimmten das Aussehen des westlichen Abteils des Highgate Churchyard. Der östliche Teil des Friedhofes hingegen war ohne Fremdenführer für jedermann frei zugänglich. Dort fand sich eine bunte Mischung aus viktorianischen und modernen Statuen. Zudem waren zwei Kapellen auf dem Gelände errichtet worden. Folglich gab es also eine ansehnliche Fläche, die es bei der Suche abzudecken galt. Bedächtig trat ich durch die große Eingangspforte und schritt die Reihe der Gräber ab. Nichts lag mir ferner, als diesen Grund zu entehren und die Totenruhe zu stören. Manche sagten, den Toten könnte es egal sein, doch ich für meinen Teil erwies den Verstorbenen den gebührenden Respekt, mit derselben Höflichkeit, mit der ich ich auch den Lebenden, die dies verdienten, begegnete. Integra hatte zuvor einige Erkundigungen eingeholt. Das Mausoleum befand sich im westlichen Bereich des Highgate Churchyard. Zu dieser Zeit am Nachmittag war der Friedhof kaum besucht und beinahe menschenleer. Nun ja. Abgesehen von den leblosen Kameraden unter der Erde, welche hier ihre letzte Ruhe gefunden hatten, natürlich. Ich bahnte mir einen Weg durch die Gräber hindurch, bis ich zu dem Eingang zur Egyptian Avenue kam. Für einen Augenblick blieb ich stehen um dieses prachtvolle Meisterwerk der Architektur zu bewundern. Das Portal wurde von vier, zum Teil geriffelten, Lotossäulen flankiert. Der Eingang selbst war ein mehrfach abgestufter Spitzbogen mit zwei Gusseisentoren, welche Vandalisten ausschlossen. Ich für meinen Teil war nicht hierher gekommen um die Gräber mit Graffiti zu schmucken, oder einige Knochen auszugraben und dennoch fühlte ich mich wie ein Eindringling, als ich über das Tor kletterte. Mit einem dumpfen Laut kamen meine Stiefel in Kontakt mit dem Boden. Dieses Geräusch schien mir wie ein gellender, schriller Ton in der Stille dieses heiligen Ortes. Im Geiste entschuldigte ich mich bei den armen Seelen und schloss meine Augen, um mich auf meine anderen Sinne zu konzentrieren. Ich musste meinem Ziel nahe sein. Laut unseren Informationen befand sich die letzte Ruhestätte der Westenras unmittelbar in der Nähe des alten Zedernbaumes, dessen Krone ich bereits aus der Ferne hatte bewundern können. Ein Schrei lies mich aufhorchen. Er war unverkennbar von einem Mädchen ausgestoßen worden, welches Todesqualen litt. Es war ein Schrei, wie ihn ein ängstliches Kind ausstieß. Alarmiert beschleunigte ich meinen Schritt, meinen Blick in die Richtung gewandt, aus welcher der Schrei gedrungen war. Meine Füße führten mich eine steinerne Treppe hinab auf eine Art Straße, die von dicken Steinwällen umgeben war. Dort in die Wände eingelassen waren einige Öffnungen, die Eingänge in das Innere der Katakomben zuliesen. Über mir verdeckten vereinzelte Bäume den Blick auf den wolkenlosen, blauen Himmel. Der Ruf wurde lauter. Dringlicher. Dieser verzweifelte, voller Angst erfüllte Laut, der meine Nackenhaare sträuben lies, trieb mich zur Eile an und ich kam dessen Ursprung immer näher. Ich hielt inne, als ich vor einem der Eingänge zu den Katakomben zum Stehen kam, doch als aus dessen Inneren erneut ein angsterfüllter Schrei drang, setzte ich meinen Weg fort. Die in Stein gemeißelten Stufen waren durch die vielen Jahre ihrer Existenz, der Witterung und des Gebrauchs abgenutzt und glatt worden, sodass ich vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzten musste, um nicht zu stolpern. Ich hatte den halben Weg hinter mich gebracht, da glaubte ich auf dem felsigen Untergrund der Gruft etwas leuchten zu sehen. Meine Augen verengten sich, während ich den Blick auf das helle Objekt richtete. Erneut vernahm ich die Stimme des kleinen Mädchens, doch des Schreis Ursprung machte mich stutzig, denn nun erkannte ich, was für das Leuchten verantwortlich war: Das Display eines Mobiltelefons, aus dessen Lautsprecher die verzweifelten Schreie klangen. „Was zum ... ?“ In diesem Augenblick nahm ich hinter mir eine Bewegung wahr und ein Geräusch lies mich herum fahren, doch noch während ich meinem Körper befahl, angemessen auf die fremde Präsenz zu reagieren, wusste ich, dass es bereits zu spät war. Es knisterte und ein greller Lichtblitz tanzte vor meinen Augen. Ein stechender Schmerz schien jede Faser meines Körpers zu durchdringen. Mein Puls beschleunigte sich rapide, während meine Lungen offensichtlich kurzzeitig ihren Dienst zu quittieren schienen. Meine Muskeln weigerten sich auf meine stummen Befehle zu reagieren, sodass ich täppisch stolpernd, den Kopf voran, die Treppe hinab fiel. Da ich weder Beine, noch Arme, oder Hände rühren konnte, gelang es mir nicht meinen Sturz abzufangen. Ich konnte gerade noch denken: Autsch. Das gibt eine Beule. Dann stürzte ich ungebremst mit der Stirn auf den kalten, harten Stein und beinahe im selben Augenblick wurde alles schwarz. 15 Uhr Ich wusste nicht genau, wie lange mich die undurchdringliche Schwärze umfangen gehalten hatte. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mir wieder meines Körpers bewusst wurde und meine Umgebung begann meine Umgebung wahr zu nehmen. Die Taubheit war aus meinen Gliedern war verschwunden und war stattdessen unerträglichen, stechenden Kopfschmerzen gewichen. Erst jetzt spürte ich die Hand, welche sich auf meine Schulter gelegt hatte und mich sanft wach zu rütteln versuchte Eine undeutliche Stimme drang an mein Bewusstsein und nach einer schieren Ewigkeit gelang es mir endlich meine Augen zu öffnen. „Gottseidank. Sie sind wach.“ Erleichterung machte sich auf dem Gesicht des Mannes breit, der sich über mich gebeugt hatte. Vorsichtig war er mir beim Aufsetzten behilflich und studierte besorgt mein Gesicht. „Geht es Ihnen gut?“, fragte er. Ich nickte langsam und zuckte unmerklich zusammen, als ich mir an den schmerzenden Kopf griff. Ich konnte getrocknetes Blut an meiner Stirn fühlen, mit welcher ich gegen den Stein geschlagen war. Autsch. Zerstreut massierte ich meinen Nacken und sah mich um, ehe ich meinen Blick wieder auf den uniformierten Mann vor mir richtete. „Lady Integra schickt mich.“, erklärte er, als er meinen fragenden Blick bemerkte. Ich nickte langsam, darauf bedacht meinen Kopf nicht zu schnell zu bewegen, um weiteren Kopfschmerzen vorzubeugen. Mein Blick fiel auf meine Armbanduhr. Es war viertel vor vier. „Verdammt!“ Mit Schwung erhob ich mich und wurde von einem erneuten Schwindelanfall erfasst. Hätte mich der gute Mann nicht beherzt bei den Schultern gepackt, wäre ich wohl wieder auf dem Boden gelandet. „Langsam.“, mahnte der Polizist sanft. „Sie sollten hastige Bewegungen vermeiden.“, riet er wohlmeinend. „Möglicherweise haben Sie eine Gehirnerschütterung.“ Vorsichtig schüttelte ich den Kopf. „Dafür habe ich keine Zeit.“, stieß ich aus und griff mir an den Kopf, als eine erneute Welle des Schmerzes durch meinen Schädel rollte. „Harry!“ Eine Gestalt stand im Eingang zu den Katakomben und winkte dem Beamten zu. „Wir haben sie gefunden!“ „Kch.“ Ich biss mir auf die Unterlippe und ballte die Fäuste. Mein Blick war auf den blutleeren, leblosen Körper des Mädchens gerichtet. „Gütiger Himmel ...“, keuchte Harry neben mir auf. Er kniete nieder und schloss die starren Augen der Toten. Auch ich schloss meine Augen und neigte das Haupt. Im Geiste entschuldigte ich mich bei dem Mädchen und seinen Angehörigen. Dann straffte ich meine Schultern und nickte dem Beamten zu, ehe ich die Gruft verlies. Dass ich keinen Gehörsturz erlitt, als ich das Funkgerät wieder anschaltete, grenzte schier an ein Wunder. Ich hielt das Gerät von meinem Ohr weg und lies die Schimpftirade stillschweigend über mich ergehen. Das war eben des jungen Fräuleins eigene Weise ihrer Besorgnis Ausdruck zu verleihen. Als schließlich Stille eintrat und ich zu Wort kam, lächelte ich schief und entschuldigte mich. Dann lieferte ich einen ausführlichen Bericht über die vergangenen 45 Minuten ab. Für eine Weile schwieg die blonde Frau betreten, ehe sie tief durchatmete und sich sammelte. Niemand konnte es sich im Augenblick erlauben, sich der Trauer hinzugeben und das Opfer und dessen Angehörigen zu bedauern. Wir mussten unsere Blicke nach vorne richten und uns darauf konzentrieren die anderen neun zu finden. „Ich werde die Angehörigen des Mädchens unterrichten.“, sagte Sir Hellsing, jetzt wieder ganz professionell. „Und du versuchst währenddessen den nächsten Knotenpunkt ausfindig zu machen.“ Ich nickte und blinzelte in das Sonnenlicht, welches zwischen den grünen Blättern hindurch strahlte. „Haben wir einen neuen Hinweis erhalten?“, erkundigte ich mich. Integra schien den Kopf zu schütteln, ehe sie antwortete: „Nein.“ Also hatte der Vampir keinen Kontakt zum Hauptquartier der Polizei aufgenommen. Dabei war er doch zuvor so redselig gewesen und hatte bereitwillig mit Hinweisen und Andeutungen um sich geworfen. Was hatte sich geändert? Warum hüllte er sich jetzt in Schweigen? Hatte er keine Lust mehr auf dieses Spiel? Nein ... Das war es nicht. Er sah die Polizisten nicht als seine Gesprächspartner und somit gewissermaßen nicht als seine Spielgefährten an. Scheinbar gar er sich nicht einmal mit der Leiterin der Hellsing Organisation zufrieden. Ich blinzelte und betätigte erneut den Knopf des Funkgerätes und bat das junge Fräulein um etwas Geduld. Meine Hand fuhr an mein rechtes Ohr, bis ich schließlich den Knopf an dem kleinen Gerät ertastete und diesen drückte. „Hallo?“ „Ah, Fräulein Dolneaz. Ich war bereits in Sorge.“, erklang augenblicklich die Stimme unseres Gegenspielers in meinem Ohr. „Ich möchte, dass Sie wissen, dass meine Freunde eigenmächtig gehandelt haben und ich den Angriff gegen Sie in keinster Weise initiiert, oder befohlen habe.“ „Beruhigend.“, erwiderte ich pragmatisch. „Und ich dachte schon, Sie hätten etwas gegen mich.“ Der Vampir lachte auf. „Aber nicht doch, Fräulein. Ich hoffe Sie können die Eigenmächtigkeiten meiner Freunde verzeihen. Ich möchte nicht, dass Feindlichkeit zwischen uns steht.“ Ich schenkte dem Baum neben mir ein schiefes Schmunzeln. „Ich verzeihe Ihnen nur allzu bereitwillig den Angriff auf meine Person.“, meinte ich gelassen. „Allerdings bin ich nicht gewillt Ihnen Ihre bisherigen Taten zu verzeihen, eben sowenig wie die zukünftigen. Aber ... “ Ich schloss für einen Augenblick die Augen und atmete tief durch, ehe ich den Horizont fixierte. „Ich befürchte, ich habe derzeit keine andere Wahl, als mich nach Ihren Regeln zu richten und bei Ihrem kleinen Spiel mitzuspielen.“ Ich legte meine Hand wieder an mein Ohr und straffte die Schultern. „Bereit, wenn Sie es sind, Mr. De Ville.“ Der Vampir lachte amüsiert. Er schien ganz angetan von dieser Referenz. Schließlich war De Ville einer von Dracula´s Decknamen gewesen, als er in London weilte. „Wie Sie wünschen.“, erwiderte er nach einer Weile. „In Anbetracht der Umstände und als Wiedergutmachung für alle Unannehmlichkeiten, die meine Freunde Ihnen bereitet haben, erlaube ich mir, Ihnen entgegen zu kommen.“ Wie zuvorkommend, dachte ich, doch ich blieb stumm und lies den Mann gewähren. Solange ich am Ende zu Anhaltspunkten kam, sollte er ruhig seinen Spaß haben. Also wartete ich geduldig, bis der Vampir sich bequemte mit der Sprache heraus zu rücken. „Der Ort, den Sie zu finden wünschen, ist gekennzeichnet von Erkenntnis und Ignoranz zugleich. Die Augen nehmen wahr, was der Verstand weder erfassen kann, noch erfassen will. Sein verjüngtes Aussehen zeugt von Seiner Macht und erregt Angst in den Herzen der Menschen. Doch Sein Blick ist gefesselt von der Schönheit einer tugendhaften, jungen Dame. Der junge Mann nimmt Ihn wahr und erkennt Ihn, doch sein menschlicher Instinkt lässt ihn die drohende Gefahr vergessen.“ Nun trat erwartungsvolles Schweigen ein. Ich bekam langsam das Gefühl in einer Quizshow festzustecken. Nur ging es statt der Millionen um ein Menschenleben. Doch ich musste nicht lange nachdenken, bis ich eine Antwort parat hatte. „Hyde Park Corner.“ De Ville stieß einen leisen, anerkennenden Pfiff aus. „Beeindruckend, Fräulein.“ In meinem Kopf stellte ich hastige Berechnungen an. Zu Fuß bräuchte man knapp 1 ½ Stunden. In meinem aktuellen Zustand würde ich nicht so schnell fliegen können, wie an diesem Tag zuvor. Dennoch sollte es mir möglich sein den Ort innerhalb der Zeitfrist zu erreichen. Mir blieben noch zehn Minuten. Hyde Park Corner war eine Verkehrsinsel im Herzen Londons. Dort trafen sich sechs bedeutende Hauptverkehrstrassen der Stadt: Park Lane, Grosvenor Place, Piccadilly, Knightsbridge und Constitution Hill. Trotz der stark befahrenen Straßen um den Kreisverkehr herum war die Hyde Park Corner für Besucher dank der zahlreichen Fußgängerunterführungen sicher und bequem zu Fuß zu erreichen. Die Hyde Park Corner umfasste einige bedeutende Denk- und Mahnmäler und ganz in der Nähe befand sich ein Hauptknotenpunkt der englischen Tube. Folglich waren die Straßen zu dieser Tageszeit überfüllt und unzählige Menschen tummelten sich auf dem Platz. Einige schlenderten gemächlich und genossen das Wetter, andere liefen mit beschleunigtem Schritt über den Weg, vermutlich um die nächste Bahn zu erreichen. Ein paar Autos starteten ein nettes Hupkonzert und einige Männer stimmten mit ihren Worten und Rufen in den Chor der schrillen Schreie ein. So mischten sich die Schreie und das Gebrüll mit dem durchdringenden Geräusch der Hupen und verkamen zu einer ohrenbetäubenden Symphonie. Ich atmete tief ein und fasste mir an den schmerzenden Kopf. Meine Konzentration war in diesem Augenblick wirklich nicht auf dem Höhepunkt, somit fiel eine Ortung aus. Also doch auf altmodische Weise. Ich lies meinen Blick über die Umgebung wandern. Die unzähligen Autos, Busse und Bahnen machten das Konzentrieren nicht gerade einfacher und jedes Fahrzeug, dass über den Asphalt schepperte, brachte meinen Schädel zum Beben. Mein Blick schweifte nun über die Denk- und Mahnmäler. Sie mussten hier irgendwo sein! Ich beschleunigte meinen Schritt, als ich eine Menschentraube bemerkte, die sich zu den Füßen des Wellington Arch versammelte. Die Schaulustigen deuteten nach oben. Einige rissen erstaunt ihre Augen auf, andere schlugen entsetzt die Hände vor ihre Münder. Meine persönlichen Favoriten waren ja die Menschen, die ihre Smartphones zückten und das Geschehen, was sich über ihren Köpfen abspielte, filmten. Oben auf dem Denkmal thronten drei Gestalten. Zwei vermummte Hünen flankierten eine kleine Erscheinung, die ich nun als junges Mädchen erkannte. Grob zogen die beiden anderen das kleine Mädchen auf seine Beine. Der eine packte es am Schopfe und entblößte seine Kehle der Masse. Die Zähne des Vampires blitzen im Sonnenlicht tückisch auf. 16 Uhr Der Mann wusste gar nicht, wie ihm geschah, als sich jemand mit seinem gesamten Körpergewicht gegen ihn warf. Er strauchelte und stürzte von dem Denkmal. Der andere Vampir, dessen Finger sich immer noch in dem Haar der Kleinen vergruben hatten, zögerte irritiert. Dann verstärkte er seinen Griff und legte einen Arm um den Hals des Mädchens. „Zurück.“, zischte er und seine Augen verengten sich bedrohlich. Langsam hob ich beide Hände über meinen Kopf. Daraufhin lächelte der Hüne siegessicher und entblößte mit einem dreckigen Grinsen seine Fangzähne. Er riss den Kopf des Mädchens herum und schickte sich an, seine Zähne mit Schwung in das Fleisch der Kleinen zu stoßen. Wisst ihr eigentlich, wie man einem tollwütigen Hund daran hindert seine Zähne in den Arm zu schlagen? Genau! Schwungvoll holte ich mit meiner Rechten aus, stürmte los und rammte meine Faust in den Mund des Vampirs. Den Überraschungseffekt ausnutzend lies ich Ring- und Mittelfinger unter die Zunge des Mannes gleiten und platzierte meinen Daumen unter seinem Kinn, ehe ich ohne jede Vorwarnung und unvermittelt zu drückte. Als meine Fingerspitzen das empfindliche Nervenbündel trafen, jaulte der Vampir gepeinigt auf. Sein Griff lockerte sich unwillkürlich, sodass ich ihn am Handgelenk packte, herumwirbelte und ihn vom dem Mädchen weg stieß. Dann bohrte sich meine Hand in seinen Rücken. Als meine Klauen sein Herz erreichten, verdrehte der Vampir die Augen und sackte leblos zu Boden. Das Mädchen war gestolpert und kämpfte sich tapfer auf die Beine, als mein warnender Ruf sie stoppte. „Achtung!“ Die Kleine blieb auf den Knien, als ich an ihr vorbei stürmte und den Vampir, der sich anschickte sich auf sie zu stürzen, an der Kehle packte. „Na na. So nicht.“, machte ich tadelnd. Als der Vampir erwog Gegenwehr zu leisten, verstärkte ich meinen Griff um seine Kehle und drückte zu. Der Mann moserte und spie Gift und Galle. Den Druck gelassen verstärkend, bis er sich ausgekotzt hatte, wartete ich bis Ruhe eintrat. Abgesehen von den unterdrückten Würgelauten des Vampirs natürlich. „Fertig?“, erkundigte ich mich. Der Mann funkelte mich lediglich an. „Gut.“ Ich setzte ihn etwas ab, sodass seine Füße wieder den Boden berührten, ohne jedoch von seiner Kehle abzulassen. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, ich hätte ein paar Fragen.“ „Fick dich!“, stieß der Mann hervor. Ich lächelte. Unhöflich. „Hören Sie, guter Mann. Ich möchte lediglich ein paar Auskünfte und ich bin fest entschlossen an diese Informationen zu gelangen. Ob mit Ihrer wertgeschätzten Hilfe und wohlmeinenden Kooperation, oder ohne.“ Mein Lächeln wurde etwas breiter. „Im ersteren Falle ging es lediglich etwas schneller und es wäre deutlich angenehmer für sie.“ Der Vampir lächelte aufmüpfig. Ich atmete tief durch. „Ist das Ihr letztes Wort?“, erkundigte ich mich. Er setzte zu einer offensichtlich geistreichen Antwort an, die mit einigen Flüchen und bösen Namen gespickt war, doch fluchte es sich scheinbar dezent schwer, wenn einem die Luftröhre etwas zugedrückt wurde. „Na dann.“, meinte ich achselzuckend. Der Unglückselige kam zu einer kurzen Atempause, als ich von seiner Kehle ablies und stattdessen seine Stirn umfasste. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich auf die Erinnerungen des Mannes, um seinen Gedanken zu lauschen. Als ich ihn schließlich losließ, stolperte er wie betäubt zu Boden. Ich zog die Stirn in Falten. Die Menge an Informationen war ernüchternd. Geradezu enttäuschend. Der Vampir zu meinen Füßen war lediglich ein Handlanger, der kaum in die Pläne seines Vorgesetzten eingeweiht war. Seine Befehle hatten lediglich gelautet, an diesem Ort die Hinrichtung durchzuführen. Mehr Informationen hatte man ihm nicht anvertraut. Er verstand weder den großen Kontext des Ganzen, noch hatte er Kenntnis darüber, wo sich die anderen Geiseln, oder die anderen Knotenpunkte befanden. Wieder atmete ich tief durch und öffnete meine Augen. Also blieb es bei der altbekannten Schnitzeljagd und mir blieb keine Wahl, als weiterhin das Spielchen des Vampires mitzuspielen. Alles andere wäre vermutlich auch stinke langweilig. Wir hatten zwei Opfer zu beklagen und drei Menschen gerettet, die mit dem Schrecken davon gekommen waren. Das bedeute im Ausschlussverfahren und frei nach Adam Riese und Eva Zwerg, das die Vampire noch acht Geiseln in ihrer Gewalt haben mussten, die es zu befreien galt. Um Mitternacht würde der Zauber ein Ende haben. Es war nun viertel nach vier. Auch das kleine Mädchen wurde freudig von seinen Angehörigen in Empfang genommen und in die Arme geschlossen. Ich erlaubte mir eine kleine Pause, in welcher ich mir einige Liter Blut einverleibte, ehe ich mich auf den Rückweg zum Hauptquartier der Polizei machte. Dort gab ich Integra, Sir Irons und den leitenden Ermittlern einen ausführlichen Bericht ab, ehe ich auch von den Knopf in meinem Ohr und der offensichtlichen Unlust des Vampires, sich weiterhin mit Menschen abzugeben, berichtete. Sir Hellsing runzelte die Stirn, nickte dann aber schließlich, verlangte aber natürlich, dass ich ihr weiterhin alle Informationen zukommen lies. Nachdem meine Wenigkeit den Bedingungen zugestimmt hatte, knackte das kleine Kommunikationsgerät und die dunkle Stimme des Mannes drang an mein Ohr: „Ich grüße Sie, Fräulein Dolneaz.“ Ich straffte mich und schlug die Beine übereinander, während die Blicke aller Anwesenden auf mir ruhten. „Guten Nachmittag.“, erwiderte ich ausdruckslos. Genau richtig zur Teatime. „Nun ist es also wieder an Ihnen, meinen Worten zu folgen und Ihre Schlüsse daraus zu ziehen.“, sagte der Mann. Der Gedanke schien ihm eine gewisse Genugtuung zu verschaffen. Ich lies mich nicht beirren. Ich nickte pragmatisch und antwortete: „Ganz recht. Bereit, wenn Sie es sind.“ De Ville lachte kurz amüsiert auf, ehe er wieder ernst wurde. „Sehr schön. Dann hören Sie aufmerksam zu.“ Er machte eine bedächtige Pause und lies das Schweigen wirken, ehe er den Mund erneut öffnete: „Der Pfad der Menschlichkeit wurde verlassen. Die Dunkelheit greift um sich und infiziert die Herzen und den Verstand ihrer Opfer. Einschmeichelnd ist ihre Stimme und verlockend sind ihre Worte. Die unschuldigen, reinen Seelen folgen ihrem Ruf. Ungläubige, öffnet eure Augen und verschließt eure Herzen nicht länger vor der Wahrheit! Ich möchte, dass Sie glauben. Glauben Sie an die Dinge, die Sie nicht glauben können. Denn nichts anderes ist der Glaube (faith). Doch im Gegensatz zu dem Glauben, sollen Sie nicht unwahre Begebenheiten als Tatsachen hinnehmen. Sie sollen die Wahrheit erkennen. Nichts als sie reine Wahrheit. Sie können sich der Verzweiflung hingeben, oder Sie können handeln. Die Wahl liegt bei Ihnen, doch das Endergebnis bleibt dasselbe. Die Zeit der kindischen Spiele ist vorbei und Rotkäppchen wird von dem Böse Wolf verschlungen.“ Wieder trat Schweigen ein und das Knistern aus dem Kommunikationsgerät erstarb. Ich nahm es aus dem Ohr und legte es vor mich auf den Tisch, ehe ich aufsah. Die erwartungsvollen Blicke aller Anwesenden ruhten auf mir. Schnell und präzise gab ich wieder, was der Mann gesagt hatte. Sir Hellsing zog die Brauen zusammen, während ich im Geiste die Worte des Mannes wiederholte. Locken. Glauben. Kindische Spiele. Nachdenklich zog ich eine unsichtbare Linie mit meinem Zeigefinger auf der Tischplatte. »Ich möchte, dass Sie glauben.« Red Hiding Hood. Spielen in der Heide. Kinder, die der Verlockungen einer schönen Frau erlagen. Die Bloofer Lady. Lucy Westenra. „Hampstead Heath.“, murmelte ich unvermittelt und öffnete meine Augen. „Wie bitte?“, harkte Sir Irons unverblümt nach. „Hampstead Heath ist der Ort, an welchem Lucy Westenra nach ihrer Verwandlung Kinder in ihren Bann zog und ihren Durst an ihnen stillte.“ Ich schob das Kommunikationsgerät zurück in mein rechtes Ohr und warf einen Blick auf meine Uhr. Es war halb fünf. Mit einem tiefen Seufzer landete ich auf dem Parliament Hill, von welchem aus ich beinahe den gesamten Park und einen großen Teil Londons sehen konnte. Allerdings blieb mir keine Zeit um den herrlichen Anblick zu genießen. Mein Blick schweifte über den Rasen, die Teiche und auch über die zahllosen Besucher, die sich sonnte, spazieren gingen, oder sogar Drachen steigen liesen. Mir fiel die Ironie der Wortgleichheit zwischen dem Spielzeug und der aktuellen Schnitzeljagd auf. Im deutschen bezeichnete man diese Spiel- bzw. Sportgeräte als Drachen. Ebenso war „Sohn des Drachen“ ein Beiname Vlad Draculs, irrtümlicherweise manchmal mit „Sohn des Teufels“ übersetzt. (AdA: Da bin ich total spontan drauf gekommen ^_^) Ein interessanter Zufall, dachte ich mir, ehe ich den Kopf schüttelte und mich von diesen Gedanken fortriss, um mich der aktuellen Aufgabe zu widmen. Der Park hatte eine Gesamtfläche von etwa 3,2 Quadratkilometern, war aber recht übersichtlich, vor allem, wenn man ihn mit den vorherigen Knotenpunkten verglich. Ein Blick auf die Armbanduhr verriet mir, dass mir noch fünfzehn Minuten blieben. Ich schürzte die Lippen. Wie brachte man ein Kind unauffällig in den Park? Bisher hatten die Vampire all ihre Opfer bis zu Exekution am Leben gelassen. Also dürfte es noch am Leben sein, bis die Glocken zur vollen Stunde schlugen. Nachdenklich betrachtete ich einen Lenkdrachen, der am Himmel über mir seine Kreise zog. Plötzlich stach mir ein Junge ins Auge, der direkt unter dem Drachen auf den Hügel zu gelaufen kam. Der Lenker machte hektische Gesten und bedeutete dem Jungen zu verschwinden, als der Drachen von einer Windbö erfasst wurde. Aus verlässlicher Quelle wusste ich, dass die dünnen Nylondrähte in diesem Zustand einem Menschen Gliedmaßen vom Körper trennen konnten. War wohl schon vorgekommen, dass manch Unaufmerksamer auf diese Weise einen Finger eingebüßt hatte. Doch der Junge schien den Mann nicht zu hören. Also sprintete ich kurz entschlossen los. Ich duckte mich unter den scharfen Schnürren hindurch und hielt auf den Jungen zu, ehe ich ihn hochhob und mit mir nahm. „Heh.“ Vorsichtig stellte ich ihn außerhalb der Reichweite des Drachens wieder auf seine Füße. Ich legte ihm beide Hände auf die Schultern und sah ihm in die Augen. Erst jetzt bemerkte ich, dass sein Blick leer und ausdruckslos war und er auf meine Ansprache kaum reagierte. „Heh.“, wiederholte ich sanft. Als der Kleine immer noch nicht reagierte, war die Sache klar. Ich fesselte seinen Blick mit meinem eigenen und arbeitete gegen den fremden, hypnotischen Bann. Ein entschlossenes Schnipsen und der Junge blinzelte, als sei er aus einem tiefen Schlaf erwacht, ehe er sich umsah. „W... Was ... Wo ... ?“ Ich atmete erleichtert aus und lächelte ihn an. „Du bist Sir Henry´s Sohn, nicht wahr?“ Der Kleine nickte, immer noch sichtlich verwirrt. „Ja. Woher ... ?“ „Das erkläre ich dir später.“, versprach ich ihm. „Kannst du mir sagen, wo die Leute sind, die dich hierher gebracht haben?“ „Ich ... “ Er zögerte und blinzelte, ganz so als dachte er angestrengt über etwas nach, oder als versuchte er sich an etwas zu erinnern. Vermutlich beeinträchtigte die Hypnose sein Erinnerungsvermögen. Die Männer mussten aber in der Nähe sein. Doch wo? In diesem Augenblick bewegten sich zwei Männer hinter mir auf die Anhöhe zu. Der Wind trug einige Gesprächsfetzen zu mir, die ich auffing. „ ... Vor der Nachspeise ... Das haben wir uns verdient ... “ „Genau ...“ Ich wandte den Kopf und sah, wie sich der Linke genüsslich die Lippen leckte. Arschloch. Ich wandte mich wieder an den Junge: „Bleib hier.“, bat ich sanft, ehe ich ihn bestimmt bei den Schultern packte und ihn mit rot glühenden Augen fixierte. „Und jetzt schlaf.“ Augenblicklich erschlaffte der Körper des Kleinen, seine Augäpfel verdrehten sich nach innen und er schloss die Lider. Ich fing ihn auf, ehe er zu Boden stürzte konnte und legte ihn vorsichtig auf dem Rasen ab. Er war noch jung. Jünger als die anderen Opfer der Vampire und folglich definitiv zu jung um Zeuge des Blutvergießens zu sein. Bei den anderen wäre es mir echt gewesen, hätte ich ihnen den Anblick ebenfalls ersparen können, aber nun hatte ich die Möglichkeit dazu. „Hey!“, brüllte einer der Vampire hinter mir. „Weg von dem Jungen!“ Ich erhob mich und drehte mich gelassen zu den beiden Männern um. Diese schienen zu erkennen, wer vor ihnen stand, denn sie wichen irritiert einige Schritte zurück, ehe sie sich fassten. Auf ihren Gesichtern machte sich so etwas wie eine grimmige Wut breit. Auf meinen Lippen machte sich hingegen ein amüsiertes Grinsen bemerkbar. Ich öffnete die Arme und sah die Vampire herausfordernd an. „Shall we?“ 17 Uhr Als ich die beiden Vampire erledigt hatte, nahm ich mich des Jungen an. Ich hob ihn hoch und flog mit ihm zum Anwesen. Dort übergab ich ihn seiner erleichterten Familie, mit dem Rat sich zu gedulden, bis er aufwachte. Doch es dauerte nicht lange, da öffnete der Kleine seine Augen und blinzelte verschlafen. Im nächsten Augenblick fiel er seiner Mutter weinend um den Hals. Lächelnd wandte ich mich ab und lies sie glückliche Familie allein um einige Worte mit Seras zu wechseln. Nur wenige Minuten später saß ich wieder zusammen mit Integra, Sir Irons und einigen Beamten am Konferenztisch im Hauptquartier der Polizei. Ungeduldig wartete die menschliche Riege auf einen Anruf. Mit geschlossenen Augen hatte ich mich in meinem Stuhl zurück gelehnt und sammelte meine Gedanken. Es blieben noch sieben Opfer und ebenso viele Stunden, bis der Spuk ein Ende hatte. Doch würden wir uns gedulden müssen, bis De Ville mit weiteren Hinweisen heraus rückte. Stupides Suchen und Raten würde zu keinem Ergebnis führen, zumal die Vampire den Ort der Hinrichtung samt Opfer erst wenige Minuten vor Exekution aufsuchten und vorher folglich nur schwerlich aufzuspüren waren. Das unerbittliche Ticken der Armbanduhr und jedes nervöse Geräusch erinnerte die Versammlung daran, dass die Zeit gegen sie arbeitete. Und im Rückschluss für die Vampire. Dabei kam mir ein Zitat aus Bram Stoker in den Sinn. „My revenge has just begun! I spread it over centuries and time is on my side.“ (eng. : Meine Rache hat gerade erst begonnen. Ich verteile sie über die Jahrzehnte und die Zeit ist auf meiner Seite.), drohte Dracula in dem Roman seinen Häschern. Die heutige Situation war der damaligen gar nicht mal so unähnlich. Professor Van Helsing ergänzte: „You are but mortal woman. Time is now to be dreaded since once he put that mark upon your throat.“ (eng. : Ihr seid nur eine sterbliche Frau. Zeit ist kostbar, seit Er dieses Mal an Ihrem Hals hinterlassen hat.) Dennoch versuchte ich mich nicht von der allgemeinen Nervosität anstecken zu lassen, sondern konzentrierte mich auf das gleichmäßige Plätschern des Regens vor dem Gebäude. Das Knacken des Kommunikationsgerätes in meinem Ohr holte mich aus meiner selbst herbei geführten Trance und zurück in die Realität. Ich setzte mich auf, straffte die Schultern und richtete meine Aufmerksamkeit auf die Stimme des Mannes. „Ich grüße Sie, Fräulein Dolneaz. Sind Sie erneut bereit Ihren Geist meinen Worten zu öffnen?“ „Ich bin ganz Ohr.“, erwiderte ich, während ich mich etwas vor lehnte. „Sehr schön.“, kommentierte De Ville zufrieden. Wieder gönnte er sich eine bedeutende Pause, ehe er erneut das Wort ergriff: „Menschen sind im Herzen Feiglinge und Narren, wie Ratten, die sich ihrem natürlichen Feind zu stellen gezwungen sind. Wenn sie sterben werden ihre Knochen in derselben Erde vergraben. Ihre Skelette sind Schlüssel ihrer Gleichheit. Alles andere ist Schein und Trug. Der Mensch ist von schwacher Natur und getrübt wird das Herz vom Tode. Dennoch sucht er seinen Platz in der Welt. Ein Zuhause. Doch ist der Mensch Gefangener, eingemauert in seinem eigenen Geist und Kerkermeister seiner Gedanken. Nur die Wesen, welche lernen die Dunkelheit und die Schatten zu lieben, werden sich von den Fesseln der Außenwelt befreien können. Alleine mit ihren Gedanken, wenn sie dies wünschen, verharren die Wesen der Schatten bis die Zeit der Jagd gekommen ist.“ Das Rätsel war eine härtere Nuss als die vorherigen, musste ich gestehen und zum Glück hielten sich die Anwesenden mit ihren Kommentaren zurück, nachdem ich das Rätsel im genauen Wortlaut wieder gegeben hatte. Und falls sie es doch taten, bekam ich es nicht mit. Zu sehr konzentrierte ich mich auf die Worte, in der Hoffnung eine Lösung zu finden. Ich erschuf eine Mauer in meinem Kopf. Eine Festung, in welcher ich meine Gedanken umher trieb und von allen Seiten zu betrachten versuchte. Ich suchte einen neuen Blickwinkel, die mir neue Erkenntnisse bescheren würde. Fügte neue Gedanken hinzu, die ein neues Bild ergaben und schließlich fügten sich die Worte in einen Zusammenhang, der sich mir endlich erschloss. Skeleton Keys. (AdA: de. : Dietrich, wortwörtlich Skelett Schlüssel), Ratten, Erde, Schatten, alleine mit seinen Gedanken, im Herzen ein Feigling. All diese Worte verknüpften sich zu einem Faden, der zu einem Ort führte: Carfax, Dracula´s Residenz in England, die er über seinen Anwalt Jonathan Harker erworben hatte. „Alexandra?“ Integra´s Stimme riss mich aus meiner selbst herbeigeführten Trance und meinen Gedanken. Ich blinzelte einige Male, ehe ich den Kopf hob und die Anwesenden anblickte. „Carfax.“, wiederholte ich meinen Gedanken laut und räusperte mich etwas, ehe ich zu einer kurzen Erklärung meiner Schlussfolgerungen ansetzte: „Mit einem Dietrich verschafften sich Professor Van Helsing und seine Freunde Zutritt zu Dracula´s Anwesen Carfax. Dort wurden sie von Ratten angegriffen, doch Lord Godalming hatte in weiser Voraussicht seine Terrier von der Leine gelassen und rief sie zur Hilfe. Carfax wurde, und wird vermutlich immer noch, von einer hohen Mauer umgeben und der Graf schätzte es dort mit seinen Gedanken alleine sein zu können, wenn er es wünschte. Außerdem garantierte ihm die Kapelle, die sich an das Anwesen anschließt, dass seine Gebeine niemals bei den Gewöhnlichen ruhen mussten, so erzählte er es jedenfalls Mr. Harker auf seinem Schloss, als dieser ihm etwas über sein neues Zuhause, dass er für ihn erworben hatte, erzählte.“ An dem selben Abend, als Mr. Harker ihn über die mysteriösen Lichter am St. George Days aufklärte, welche den Legenden nach auf vergrabende Schätze hinwiesen. Er fragte, warum noch niemand die Schätze geborgen hätte, wenn man sie doch finden können. Der Graf antwortete, dass der Mensch, der Bürger, im Herzen ein Feigling und sein Narr sei. Integra nickte schließlich. Ihr schien die Erklärung, welche meine Wenigkeit abgeliefert hatte, einzuleuchten. „Mach dich auf den Weg.“ Das lies ich mir nicht zweimal sagen. Ich erhob mich und deutete eine flüchtige Verbeugung an, ehe sie den Raum verlies. Carfax befand sich in Purfleet, genauer gesagt in Essex, eine Grafschaft, die sich nordöstlich von der englischen Hauptstand befand. Das mittlerweile verlassene und etwas heruntergekommene Gebäude wurde von einer hohen Mauer umgeben, in welche ein großes Tor aus Eichenholz, welches mit Eisen beschlagen war, eingelassen war. Ich landete inmitten der steinernen Mauern und schaute mich um. Ein Blick auf meine Armbanduhr bestätigte mir, dass mir nur noch fünf Minuten zur Verfügung standen. Unwillkürlich hielt ich inne. Dem Gelände wohnte eine eigene Aura inne und ein Schauer fuhr über meinen Rücken. Ob es von der Ehrfurcht über diesen geschichtsträchtigen Ort herrührte, oder ob es daran lag, dass ein kalter Wind aufzog, vermochte ich nicht zu sagen. Ich atmete tief durch und straffte die Schultern, ehe ich auf das große Eingangsportal zusteuerte. Es war eine massive, große Tür, ebenfalls aus Eiche und mit Eisen beschlagen, welches an einige Stellen durch gerostet war. Und zu meinem Erstaunen lies es sich problemlos öffnen, sodass ich eintreten und mich in dem großen Gemäuer umsehen konnte. Wie in Trance lies ich mich von meinen Füßen durch das andächtige Bauwerk tragen. Obwohl sie diesen Ort nur aus Erzählungen kannte, war er mir doch merkwürdig vertraut. Schließlich blieb ich vor einer weiteren Eichentür mit rostigen Verschlägen stehen. Sie war größer und prächtiger als die anderen Türen des Hauses und instinktiv spürte ich, dass ich mich an dem richtigen Ort befand. Andächtig legte ich eine Hand auf die Klinke und drückte diese herunter. Das Holz knarzte protestierend, als ich die Tür aufstieß. Ich war auf alles gefasst und meine Muskeln waren zum Zerreißen gespannt, als sich die Tür öffnete, doch zu meinem Erstaunen schien der Raum leer zu sein. Ich machte einige vorsichtige Schritte in das Innere der Kapelle. Stickige Luft schlug mir entgegen und Staub bedeckte den Boden und sämtliche Oberflächen. Doch es war gerade der Staub, bzw. dessen vereinzeltes Ausbleiben, dass mir verriet, dass vor kurzem einige Personen hier gewesen sein mussten. Aber wo waren die Vampire? Versteckten sie sich etwa in diesen Kisten, die sich überall in der alten Kapelle verstreut befanden? Und wo war das von ihnen vorgesehene Opfer? Sollte ich mich etwa doch geirrt haben? Mein Blick schweifte durch den Raum. 29 Kisten waren es an der Zahl. Sie waren nicht mit Staub bedeckt und folglich noch nicht lange hier. Ich kniete mich bedächtig neben eine der Kisten und öffnete den Deckel. „Alle Götter ... “, murmelte ich, als ich der Sprengstoffe im Inneren der hölzernen Kiste gewahr wurde. Auch die nächsten Kisten, die ich öffnete, wiesen Sprengsätze auf. Die leuchtende Anzeigen, welche an den Sprengkörpern angebracht waren, verrieten mir, dass sie um Punkt 18 Uhr hochgehen würden. So war den Vampiren jedenfalls die mediale Aufmerksamkeit gewiss. Ein gedämpftes Geräusch, so leise, dass ich schon glaubte, ich hätte es mir eingebildet, lies mich herum wirbeln. Da war es schon wieder. Ein Scharren und etwas, das klang wie ein ersticktes Stöhnen. Aufmerksam näherte ich mich der Kiste, welche unterhalb des Altars lag. Als ich den Deckel hob, fand ich darunter keine weiteren Sprengsätze, sondern ein bewusstloses Mädchen, das auch in seiner Ohnmacht gegen seine Fesseln anzukämpfen schien. Bis auf kleinere Schrammen schien das Mädchen unverletzt zu sein. Vermutlich hatte die Vampire es sediert. Vorsichtig hob ich die Kleine aus der Sarg ähnlichen Box und trat einen strategischen Rückzug an. Hier konnte ich ohnehin nichts mehr ausrichten. Oberste Priorität war das Wohlergehen des Mädchens. Im Schnellschritt bahnte ich mir meinen Weg aus dem Gebäude nach draußen. Die Zeiger meiner Uhr hielten unaufhaltsam auf die volle Stunde zu. 18 Uhr Ich schaffte es gerade noch über die Eingangspforte zu springen und somit das Innere der Mauer hinter uns zu lassen, als die Sprengkörper hochgingen. Die Schockwelle lies die Fensterscheiben zerbersten und ich konnte die Erschütterung trotz der Entfernung, die ich zwischen uns und das alte Gemäuer gebracht hatte, unter meinen Füßen spüren. Reflexartig lies ich mich zu Boden fallen. Während des Falls verlagerte ich mein Gewicht so, dass mein eigener Körper die Wucht des Sturzes abbekommen würde, während das Mädchen in meinen Armen unversehrt blieb. Gerade, als ich mich wieder aufrappelte, stöhnte das Mädchen leise und seine Augenlider flatterten, ehe es beide Augen aufschlug. Ich erklärte dem verwirrten Mädchen die Situation, ehe ich es zum Hellsing Anwesen brachte. Dort angekommen, bahnte sich ein älterer Herr seinen Weg durch die besorgten Angehörigen und Round Table Mitglieder. Erleichtert schloss Sir Walsh seine Enkelin in seine Arme, welche sich schluchzend an seine Brust warf. Der ältere Herr nickte mir dankbar zu, ehe er sich wieder dem Mädchen widmete und sein Bestes gab, um sie zu trösten. Keine fünfzehn Minuten später fand ich mich wieder im Polizeipräsidium ein und dieses Mal verkündete De Ville, dass es für die folgenden drei Knotenpunkte nur einen einzigen Hinweis geben würde. Klasse. Das klang vielversprechend und nach großartigen Aussichten. Ich atmete tief durch und bat den Vampir fort zu fahren. Dieser kam meiner Bitte nur allzu bereitwillig nach. „Seine Rache hat erst begonnen. Unaufhaltsam breitet sich sein Spinnennetz über die Stadt aus. Acht Stunden sind bereits vergangen und das neunte Opfer wird folgen. Sechs Glockenschläge markieren den Einbruch des Grauens und nach sechs weiteren Tönen bricht ein neues Zeitalter an. Die Menschen sind gezwungen machtlos dem Lauf der Tageszeiten beizuwohnen und unterwerfen sich Seiner Macht voller Furcht, wie Schafe auf der Schlachtbank. Ihre Gesichter blass und voller Schrecken. Ohnmächtig müssen sie zulassen, dass er ein finsteres Netz weiter spinnt, bis sich alle Wesen in seinem Bann befinden.“ Wieder blieb es lange still. Aus diesen Hinweisen galt es folglich drei Orte herauszulesen, welche die nächsten Opferplätze werden sollten. Erneut ging ich den Wortlaut in meinen Kopf durch. „Meine Rache hat erst begonnen.“, drohte der Graf Jonathan Harker und seinen Gefährten, als diese ihn in seinem Haus in Piccadilly überraschten. Sie hatten zuvor die Kisten, welche mit seiner Heimaterde gefüllt gewesen waren, entweiht und somit für den Vampir unbrauchbar gemacht. Ich blinzelte. Die Kisten gefüllt mit der Heimaterde des Grafen. Ursprünglich 50 an der Zahl, verteilte er sie über ganz England und weitete so sein Handlungsgebiet immer weiter aus. 29 lagerte er in seinem Anwesen Carfax. Dass die Vampire, oder zumindest ihr Strippenzieher, über dieses Wissen verfügten hatten sie bereits eindrucksvoll bewiesen. Grübelnd zog ich meine Stirn in Falten. Wie ein Netzwerk. Ein Spinnennetz. Piccadilly, acht Kisten. Nein, erinnerte ich mich, ursprünglich waren es neun gewesen, ehe der Graf die letzte fortschaffen lies. Acht. Neun. Ich blinzelte erneut. Also befand sich der nächste Knotenpunkt also in Piccadilly. West End war schon seit Jahrzehnten Zentrum der Regierung, der Reichen und des Wohlstandes. Kein Wunder also, dass sich der Graf diesen Stadtteil als Schlupfwinkel ausgewählt hatte. Ohne weitere Zeit zu verschwenden machte ich mich auf den Weg nach Miles End, im Zentrum Londons, denn mir blieben nur noch wenige Minuten, bis die Vampire ihr nächstes Opfer forderten. Ich landete in einer Seitengasse und lies meine Schwingen verschwinden, ehe ich auf die Straße hinaus trat und mich umsah, während ich in Gedanken alle Informationen zu Dracula´s Schlupfwinkel zusammen trug. Das Gebäude befand sich in Piccadilly in der Nähe des Junior Constitutional, ein Club, welcher für wohlhabende Politiker vorgesehen war. Es lag an der Ecke der Down Street und ermöglichte einen Blick auf den Green Park. Mein Blick fiel auf eines der eindrucksvollen Gebäude, welches auf die Beschreibung in Bram Stoker´s Roman passte. Geübt lies ich meinen Blick über die Fassade des Hauses schweifen und suchte nach Anhaltspunkten. Irgendwelche Hinweise auf ungewöhnliche Aktivitäten und sonderbare Gestalten. Meine Lippen verzogen sich zu einen zufriedenen Lächeln, als ich das Aufflackern fremder Vampirauren wahr nahm. Die Guten wurden jedenfalls nicht sonderlich einfallsreicher. Wie bereits am Tage zuvor hatten sie das Dach zu ihrer Bühne auserkoren. Zeugte gewissermaßen von ihrer Gier nach Aufmerksamkeit und von ihrer Überlegenheit, die sie sich einbildeten. 19 Uhr Und ebenso einfallsreich erlöste ich sie von ihrem Dasein und brachte das Mädchen in Sicherheit, ehe ich ins Polizeipräsidium zurück kehrte. Mit übereinander geschlagenen Beinen und vor der Brust verschränkten Armen setzte ich mich, ehe ich die Augen schloss, um nachzudenken. Das Spinnennetz, welches Dracula über die Stadt wob. Die Kisten mit Heimaterde, die er in seinen Schlupfwinkeln verteilte. Sechs Glockenschläge. Sechs Kisten. Das klang zunächst einleuchtend, aber es gab ein Problem: Es gab zwei Orte, auf welche diese Beschreibung zu traf. Bermodsey und Mile End New Town. Und trotz aller vampirischen Fähigkeiten konnte ich keine identischen Doppelgänger erschaffen. Diese Problematik teilte ich zugleich den Anwesenden mit. Es galt also zu gewährleisten, dass um 20.00 Uhr beide potentiellen Schauplätze in irgendeiner Form gesichert waren und überwacht wurden. Natürlich wäre es ein leichtes, eine anonyme Bombendrohung vorzutäuschen, allerdings würde diese sicherlich - besonders nach den Ereignissen in Carfax – zu einer allgemeinen Panik führen. Andererseits durfte man die klare Priorität aus den Augen verlieren, nämlich das Wohlergehen des nächsten Opfers und der Zivilisten. Für die körperliche Unversehrtheit der Vampire hingegen wurde nicht garantiert. Was waren dann also zwei imaginäre Anschläge im Gegensatz zu der wirklichen Bedrohung? Aber wer garantierte, dass die Vampire nicht auf die Umstände reagierten und ihre Pläne änderten? Verständlicherweise zu ihren Gunsten und zum Leidwesen der armen Menschen. Andererseits folgten Serientäter immer bestimmten Mustern und blieben ihren Ritualen stets treu. Vor allem, wenn sich der gute De Ville bisher so strikt an seine Pläne gehalten hatte, auch wenn es ihm an Opfern, die es hinzurichten galt, mangelte. Generell schien ihn das Einmischen meiner Wenigkeit und der Polizei reichlich wenig zu stören. Es machte ihm nichts aus. Zumindest schmiss er großzügig mit Hinweisen um sich, sodass ich mich begann zu fragen, ob es ihm wirklich um die Opferrituale ging. War das alles für ihn nur ein krankes Spiel, oder steckte mehr dahinter? Schließlich sprach Sir Irons ein Machtwort: „Das Wohlergehen der Geiseln hat absolute Priorität.“ In diesem Punkt widersprach ihm niemand. Das Problem war eher auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, um das Wohlergehen der Opfer und deren Angehörigen zu gewährleisten. Integra und ich wechselten schließlich einen kurzen Blick und dem einen war sofort klar, woran der jeweils andere in diesem Augenblick dachte. Die Hellsing Organisation hatte noch eine zweite Agentin zu entbehren. Um den Personenschutz der Konferenzteilnehmer und ihrer Familienangehörigen im Hauptquartier sollten sich in den nächsten zwei Stunden die Beamten kümmern, zumal es keine Hinweise darauf gab, dass die Vampire Interesse an den Round Table Mitgliedern und den Opfern, welche ihnen durch die Finger geschlüpft waren, zeigten. Das blonde Mädchen hatte ihre Schatten mittlerweile so im Griff, dass sie in der Stadt nicht weiter auffallen würde. Zudem dürfte die Dämmerung innerhalb der nächsten Stunden einsetzen. Auch Seras wurde mit einem Funkgerät ausgestattet und nach Bermodsey entsandt. Die Vampire waren in der Nähe der Jamaica Road zu vermuten. Ich hingegen nahm mich des Bezirk Mile End an und plante die Chicksand Street aufzusuchen, welche nördlich des Whitechapel Stadtteiles lag. Ich mischte mich unter die zahlreichen Touristen, welche die diversen Sehenswürdigkeiten, welche dieser Viertel zu bieten hatte, aufsuchten. Mit regem Interesse studierte ich das Jack the Ripper Museum, ehe ich einen erneuten Blick auf meine Armbanduhr warf. Es wurde Zeit. Ich wandte mich ab und bahnte mir meinen Weg durch den Menschenstrom. Als ich die Jamaica Road in Mile End erreicht hatte, blieb mir noch eine Viertelstunde, bis der ganze Zauber losgehen würde. Seras hatte bisher auch keine besonderen Vorkommnisse zu vermelden gehabt, aber noch war die Zeit des Handelns nicht gekommen. 20 Uhr Unwillkürlich zuckte mein Körper angespannt zusammen, als die Glocken zur vollen Stunde schlugen. Das Bild um mich herum hatte sich in den letzten Minuten nicht verändert und ich konnte keine besonderen Vorkommnisse feststellen. Keine panischen Schreie, kein erschrockenes Nach-Luft-Schnappen, kein Blitzgewitter und vor allem keine Vampiraura. Das Funkgerät knackte und Seras´ Stimme klang an mein Ohr. Sie hatte die Vampire erledigt und brachte den Jungen, welchen sie gerettet hatte, nun in Sicherheit. Ich lächelte erleichtert und die Anspannung wich aus meinem Körper. Ich hatte nun eine volle Stunde, um mir die Umgebung einzuprägen und sie unter die Lupe zu nehmen, um den genauen Ort der Hinrichtung auszumachen.Also suchte ich nach einem hochgelegenem Platz, von welchem aus ich alles gut überblicken konnte. 21 Uhr Eine Stunde später befand ich mich mit einem Jungen auf den Arm auf dem Weg zurück ins Anwesen der Hellsing Organisation. Inzwischen hatte die Dämmerung eingesetzt, die Dunkelheit brach herein und hielt unaufhaltsam Einzug. Im Schein des Mondlichts hockte ich auf dem Dach des Anwesens und schlürfte an einer Blutkonserve. Zum ersten Mal an diesem Tag fühlte ich mich beinahe völlig entspannt. Doch ich mahnte mich zur Aufmerksamkeit. Noch war es nicht vorbei. Nach der Mahlzeit kehrte ich ins Hauptquartier der Polizei zurück, um dort auf De Ville´s Anruf zu warten. Pünktlich zur halben Stunde knackte das kleine Kommunikationsgerät in meinem Ohr. „Guten Abend, Fräulein Dolneaz. Ich gratuliere Ihnen zu der geschickten Lösung.“, säuselte er. „Wir werden sehen, ob Ihnen das ein weiteres Mal gelingt. Also passen Sie gut auf.“ Er machte eine bedeutende Pause, um sich meiner Aufmerksamkeit gewiss zu sein, ehe er fortfuhr: „Der Auszug der Dunkelheit und ihrer Kinder steht kurz bevor. Wie eine Lichtsäule zieht Seine Macht die Tag- und Nachtfalter an. Einige lassen sich von den Flammen verzerren. Ihr Leben scheint vergeudet. Ihre Seelen ausgehaucht. Doch Er nährt sich von ihnen und mehr seine Kraft. Ausgestattet mit dieser Macht widersetzt er sich den Regeln der Natur und deren Gesetze und verbreitet das pure Böse.“ Meine Brauen zogen sich nachdenklich zusammen, als ich das Kommunikationsgerät aus meinem Ohr nahm und vor mich auf den Tisch legte, während ich über die Bedeutung der Worte sinnierte. Ich verschränkte die Finger ineinander und bettete mein Kinn darauf. Wie ein Mantra wiederholten sich die Worte in meinen Kopf, bis es schien, als würden einige Worte aus dem Geflecht hervortreten. Auszug. Säule. Feuer. Falter. Seelen. Leben. Gesetze. Die ersten drei Worte verwiesen auf eine Geschichte im Pentateuch. Genauer gesagt verwiesen sie auf eine Erzählung im 2. Buch Mose, dem Exodus, zu gut deutsch: Auszug. Als die Israeliten aus Ägypten flohen, wies Gott seinem Volk in Form einer Säule den Weg. Am Tag erschien der Allmächtige als Wolken- und in der Nacht als Feuersäule. Mina Harker bezog sich auf diese Bibelstelle, als der Graf in Nebelgestalt in ihr Schlafgemach eindrang. Die nachfolgenden vier Worte verwiesen auf Gespräche, welche Dk. John - von seinem alten Freund und Lehrmeister Van Helsing auch Jack genannt - Seward und Mr. Renfield geführt hatten. Der Insasse der Anstalt erklärte seinem werten Gastgeber seine Philosophie, mit der auch meine Wenigkeit vertraut war. Blut ist Leben. Renfield erklärte, dass er nicht hinter den Seelen her gewesen sei, welche im Altertum oftmals als Schmetterlinge dargestellt worden waren, sondern er sei hinter den Leben, die er sich einzuleiben gedachte um stärker zu werden, her gewesen. Doch selbst der Graf trotz seiner überwältigenden Kraft war an gewisse Gesetze gebunden gewesen. Das hatte Prof. Van Helsing angemerkt, als sich seine Gefährten und er auf den Kampf gegen den Vampir vorbereiteten. Diese Besprechung sowie alle vorherigen genannten Ereignisse hatten alle an demselben Ort stattgefunden: Doktor Sewards private Irrenanstalt. Das Asylum lag ganz in der Nähe eines Ortes, den ich bereits an diesem Tag aufgesucht hatte: Dracula´s Anwesen Carfax. Ein Blick auf meine Armbanduhr trieb mich zur Eile an, als ich vor den Pforten des Anwesen landete. Ich fuhr meine Schwingen ein und drückte gegen das Tor, welches sich mühelos öffnen lies. Ohne ein Geräusch zu verursachen, gaben die Flügel den Weg frei, sodass ich in das Innere der Mauern treten konnte. Erneut wurde mein Körper von einem eigentümlichen Schauer ergriffen. Ich schluckte trocken und atmete tief durch, ehe ich meinen Schritt beschleunigte. Ich hatte keine Zeit zu verlieren. Über dem Anwesen schwebte nicht nur eine Respekt einflößende, unheimliche Aura, sondern auch ein eigentümlicher Geruch, mit welchem ich inzwischen vertraut war: C4 Sprengstoff. Die Vampire planten also folglich auch dieses Gebäude in die Luft zu jagen, um sich der medialen Aufmerksamkeit gewiss zu sein. Und dabei würden sie ihr auserkorenes Opfer mit in den Tod reißen. Plötzlich war es, als hätte man mir mitten im Lauf die Füße unter dem Körper weggezogen. Meine Sohlen verloren jeglichen Kontakt zum Boden und mein Körper schien in der Luft zu schweben. Für einen kurzen Augenblick schien sich das Geschehen in Zeitlupe abzuspielen. Wie ein Astronaut hing ich für einen Moment in der Schwerelosigkeit, ehe ich knallhart in die Realität zurück versetzt wurde. Unsanft schlug mein Körper auf dem Rasen auf und der Aufprall presste mir sämtliche Luft aus den Lungen, sodass ich für einen kurzen Moment wie betäubt und nach Luft schnappend auf dem Boden liegen blieb.Verwirrt blinzelnd versuchte ich zu begreifen was geschehen war. Kleine Steine bohrten sich in meine Wange und ich konnte den Geruch von Erde und Gras wahrnehmen. Warum zur Hölle lag ich auf dem Boden? Als ich mich instinktiv aufrichten wollte, bemerkte ich, dass meine Beine offensichtlich aneinander gebunden worden waren. Ein Blick bestätigte die Vermutung. Eine mit zwei Stahlkugeln beschwerte Kordel hatte sich um meine Knöchel und Unterschenkel gewunden und mich so offensichtlich im Lauf zu Fall gebracht. Ich hatte bereits von diesem Jagdwerkzeug gehört. Besonders beliebt waren diese Wurfwaffen bei den argentinischen Gauchos, den Inuit und den sibirischen Ischuktschen, um entlaufenes Vieh einzufangen. Aber die Bolas kamen auch bei der Jagd zum Einsatz. Gerade als ich mich aufsetzte, in der Absicht die lästigen Fesseln zu lösen, fixierte eine weitere Bola beide Arme an meinen Seiten. Son of a goat. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie sich drei schattenhafte Gestalten nährten. Vampire. Ganz offensichtlich Mr. De Ville´s Handlanger. Mit dem, was nun folgte, schienen sie allerdings nicht gerechnet zu haben. Mit einem scharfen Geräusch lies ich die schwarzen Schwingen auf meinem Rücken erscheinen und zerschnitt im selben Zuge die Fesseln, die sich um meinen Rumpf geschlungen hatten. Mit einer beiläufigen Bewegung durch hieb ich auch die Stricke, die um meine Beine gewickelt gewesen waren. Den Vampir, der als erster heran war, fegte ich von den Füßen und trennte ihm mit einer flüssigen Bewegung den Kopf von den Schultern. Seine Kumpanen riss es in der Körpermitte auseinander. Für einen Moment starrte er ungläubig auf die Blutlache vor seinen Füßen und seine Innereien, die aus ihm hervorquollen. Dann brach er leblos zusammen. Schon im nächsten Augenblick war ich hinter dem verbliebenen Vampir, packte seinen Schädel und verdrehte ihn geräuschvoll um 180 Grad. Als ich von ihm ablies fiel auch er, seines Lebensfunken beraubt, tot zu Boden. Angesäuert fuhr ich die Schwingen wieder ein und schüttelte flüchtig meine schmerzenden Glieder. Für so etwas hatte ich nun wirklich keine Zeit. Dann stürmte ich in das Gebäude. Auch hier hatten die Vampire offensichtlich ganze Arbeit geleistet. Unzählige Kilogramm an Sprengstoff waren an den Wänden angebracht worden, welche die Anstalt ohne jeden Zweifel dem Erdboden gleich machen würden. Und wenn ich mich nicht beeilte, kam auch die Geisel in der Explosion um. Während ich durch das Gebäude hetzte, folgte ich einem vagen Gefühl, welches mich schließlich vor eine mit Eisen beschlagende Tür brachte. Ohne Zweifel zeugte sie von den Sicherheitsvorkehrungen, welche in diesem Asylum von Nöten gewesen waren, um die Insassen unter Kontrolle zu bringen. Und als mein Blick auf ein kleines Schild neben der Tür fiel, wusste ich, dass ich hier richtig war. »R. M. Renfield« war da rauf zu lesen. „Weg von der Tür!“, warnte ich, ehe ich mich gegen das Metall warf. Mit meiner Schulter wuchtete ich mich mit meiner gesamten Kraft und meinem Körpergewicht einige Male gegen das Metall. Nach einigen vergeblichen und fruchtlosen Versuchen, gelang es mir schließlich die Tür aufzustoßen. Allerdings blieb mir keine Zeit um höfliche Worte mit dem Jungen, den ich als Sir Irons Enkel erkannte, zu wechseln. Stattdessen nahm ich ihn bei der Hand und rannte mit Höchstgeschwindigkeit durch das Gebäude. Mir war durchaus bewusst, dass wir es nicht rechtzeitig zum Ausgang schaffen würden, also fasste ich einen anderen Plan. Ich hechtete ein Stockwerk weiter nach oben, wo ich das Arbeits- und die Gästezimmer vermutete. Yes! Ich erlaubte mir diesen triumphierenden Gedanken, als ich eine der Türen aufstieß. Im Gegensatz zu den ... Gemächern der Insassen, waren diese Fenster weder vergittert noch zugemauert. Perfekt. Ich wandte mich an den atemlosen Jungen. „Gut festhalten.“ Ich drückte ihn fest an meinen Oberkörper, ehe ich mich wie ein Taucher, der die Wasserfläche durchbrach, mit dem Rücken und mit voller Kraft gegen die Scheibe warf. Mit einem markerschütternden Knacken und Knirschen gab das Glas schließlich nach und zersplitterte in mehrere Teile. Der Junge stieß einen erschrockenen Schrei aus und verstärkte seinen Griff, als wir unaufhaltsam dem Boden zu rauschten. Urplötzlich fuhr ich erneut meine Schwingen aus und unsere Körper vollführten eine Art von bizarrem Salto in der Luft. Dieser brachte mich in die gewünschte Flugposition und die darauffolgenden Flügelschläge katapultierte uns weiter von dem Gebäude fort. 22 Uhr Trotz der Entfernung war das Ausmaß der Explosion enorm. Die Druckwelle war noch in der Luft zu spüren und sorgte für eine weitere, unfreiwillige Drehung in der Luft. Es regnete Schutt, etwas Asche und Gesteinsbrocken. Außerhalb des Wirkungsbereiches der Sprengkörper landete ich und erkundigte mich schließlich nach dem Wohlbefinden des Jungen, doch glücklicherweise war Irons Jr. unverletzt. Er schien, verständlicherweise, noch etwas unter Schock zu stehen, war aber körperlich unversehrt und nickte tapfer. Ich beschloss ihn zunächst zu seinem Großvater zu bringen, ehe ich ihn ins Hauptquartier begleiten würde. Zum ersten Mal an diesem Tag machte sich so etwas ähnliches wie Erleichterung auf Sir Hugh Irons Gesicht bemerkbar. Er lies sich nicht gerade zu einem spontanen Gefühlsausbruch mit Tanzeinlage hinreisen, aber das hatte ich auch nicht wirklich erwartet. Und trotz alledem beschloss der ältere Gentleman, dass er seinen Enkel nicht zum Anwesen der Hellsing Familie begleiten, sondern weiterhin hier seine Pflicht erfüllen würde. Ein standhafter, pflichtbewusster Mann. Nachdem ich mit Lady Integra und Sir Irons einige Worte gewechselt hatte, brachte ich seinen Enkel zurück zum Hellsing Anwesen. Wieder genehmigte ich mir an der frischen Luft eine Blutkonserve. Zufrieden vollführte ich mit meinen Armen eine rotierende Bewegung, als die Wunden, die ich von der spektakulären Flucht aus dem Asylum davon getragen hatte, verheilten. So war ich wieder einsatzbereit. Mit Schwung erhob ich mich vom Boden und lächelte sanft, ehe ich mein Haupt neigte und mich leise flüsternd verabschiedete, um die Totenruhe nicht zu stören. „Bis bald.“ Ich wandte dem Grab meiner Familie den Rücken zu und verlies den Friedhof ebenso ungesehen, wie ich ihn betreten hatte. Gerade, als sich das Tor hinter mir schloss, knackte das kleine Kommunikationsgerät in meinem Ohr. Ich warf einen flüchtigen Blick auf meine Armbanduhr. Der gute Herr war erstaunlich früh dran. „Guten Abend, Fräulein Dolneaz.“ „Guten Abend.“, erwiderte ich. „Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Mr. De Ville?“ Der Vampir schien zu lächeln. „Nun ...“, begann er bedächtig. „Der Fairness halber und als Zeichen meines guten Willens ...“ An dieser Stelle unterdrückte ich ein amüsiertes Prusten. Oh ja. Unschuldige Menschen zu entführen und sie für seine Zwecke zu missbrauchen zeugt bekanntlich immer von Fairness und einem guten Willen. Doch ich unterbrach ihn nicht, sondern lies ihn aussprechen. „ ... Möchte ich Sie wissen lassen, dass Sie die gesamte Zeit über Ihr Augenmerk auf die falschen Personen gerichtet haben.“ Meine Augen verengten sich. „Was wollen Sie damit sagen?“ „Zwölf die Fesseln. Die Ketten werden gesprengt. Dreizehn das Blut von seinem Blute.“, sagte der Mann bedächtig und ich erkannte es als die Worte wieder, die der Vampir an diesem Tag zuvor benutzt hatte. Er lachte kurz auf, ehe er fortfuhr: „ Sie haben das dreizehnte Opfer außer Acht gelassen, Fräulein. Alle nötigen Schritte sind bereits in die Wege geleitet worden.“ Er machte eine bedeutende Pause, ehe er eine weitere Zeile aus Dracula zitierte: „Die, die ihr liebt ist bereits mein.“ Er lachte boshaft. „Ich sagte doch bereits, dass unsere Ziele klar und unsere Methoden bewährt seien und wir fest entschlossen sind unser Werk zu beenden. Ich will doch nicht annehmen, dass ihr tatsächlich geglaubt habt, Van Helsing´s Nachfahrin wäre ein würdiger Gegner für unser gleichen. Für einen Menschen vermag sie über bemerkenswerte Willenskraft zu verfügen, aber einem Midian ist sie trotz alledem unterlegen. Es war ein Leichtes gewesen, sie zu täuschen, sodass sie nun unseren Zwecken dienlich sein kann.“ Ich hatte die Fäuste geballt und bleckte die Zähne. „Was haben Sie mit Lady Integra gemacht?“, knurrte ich. Der Mann lies sich Zeit mit seiner Antwort. „Seien Sie unbesorgt. Man hat ihr kein Haar gekrümmt. Ich hatte meinen Freunden klare Anweisungen gegeben und ich gehe davon aus, dass sie sich an dieselbigen gehalten haben.“ Erneut konnte ich wahrnehmen, wie der Vampir meine Lippen zu einem amüsierten Lächeln verzog. „Alle Vorbereitungen sind nun getroffen. Ich erwarte Ihre Anwesenheit beim großen Finale. Abia aștept. (Rum. : Ich freue mich darauf.)“ Ein Knacken und die Stimme des Mannes hüllte sich in Schweigen. Für einen Augenblick stand ich einfach nur da. Den Blick auf den Boden gerichtet. Die zitternden Fäuste geballt. Die Zähne gebleckt. Diese Bastarde. Ich riss mich aus meiner Erstarrung und griff nach dem Funkgerät an meinem Gürtel. „Lady Integra?“ Keine Antwort. Also versuchte ich es erneut. „Oujou – Sama!“ Immer noch kein Lebenszeichen. Ein kalter Schauer wanderte meinen Rücken hinab und eine eisige Faust griff nach meinem Herzen. Zum ersten Mal seit langer Zeit war ich von Furcht ergriffen. Kalter, nackter Furcht. Ich schloss die Augen und zwang mich dazu Ruhe zu bewahren. Panik war nun unangebracht. Die half jetzt nämlich niemandem weiter. Ich atmete tief durch und fuhr meine Schwingen aus, ehe ich mich in die Lüfte erhob. Mit unmenschlicher Geschwindigkeit flitzte ich über den dunklen Nachthimmel. Mein Ziel: Das Hauptquartier der Londoner Polizei. Vielleicht hatte der Vampir gelogen, oder es fanden sich Hinweise auf den Aufenthaltsort des jungen Fräulein. Als ich dort ankam war alles still und keine einziges Licht brannte. Verdammt. Lautlos landete ich vor dem Gebäude, doch mein rasendes Herz trieb mich zur Eile an. Hastig betrat ich das Polizeihauptquartier. „Oujou - Sama? Sir Irons?“ Niemand antwortete. Das Gebäude schien leer und verwaist zu sein. Plötzlich entdeckte ich zwei Gestalten, welche am Boden des Eingangsbereiches lagen. Sie trugen beide Uniform und rührten sich nicht. Hastig stürzte ich an ihre Seite. Vor den Polizisten nieder kniend, drückte ich einem der Männer Zeige- und Mittelfinger gegen den Hals. Kein Puls. Ich wandte mich herum und verfuhr mit seinem Kollegen ebenso. Doch auch bei ihm konnte ich keinen Puls spüren. Beide Männer waren tot. Als ich ihre Köpfe anhob, um die Todesursache zu untersuchen, stellte ich fest, dass man ihnen offensichtlich das Genick gebrochen hatte. Ein Geräusch lies mich hochfahren und herum wirbeln. Ich war nicht allein. Der Mörder der beiden Männer war noch hier. Und er war nicht allein. Trotz der pechschwarzen Dunkelheit versuchte ich in der undurchdringlichen Schwärze die Angreifer auszumachen. Dank ihrer Präsenzen und den Geräuschen, die sie verursachten, konnte ich ihre groben Standorte ausmachen, doch mir wurde schnell bewusst, dass ich so klar im Nachteil war. Ich musste die Lage zu meinen Gunsten wenden, wenn ich eine Chance haben und in diesem Kampf als Sieger hervor gehen wollte. Gerade, als ich mir im Kopf einen Plan zurecht legte und schmiedete, schnellte einer der Angreifer unvermittelt vor. Ich wirbelte herum, doch zu langsam. Noch während mein Körper eine Drehung vollführte, wurde mir bewusst, dass ich es nicht schaffen würde den Angriff abzuwehren. Mit gewaltiger Kraft ging der Ellenbogen des Angreifers auf meinen Nacken nieder. Ein heißer Blitz durchzuckte meinen Körper vom Kopf bis zu den Füßen. Augenblicklich gaben meine Beine nach und ich fand mich auf dem Boden wieder. Benommen hob ich den Blick, als sich der Kreis enger um mich zog. Doch für einen Gegenangriff fehlte mir die Kraft. Mein Schädel dröhnte und mir war schwindelig. Das Bewusstsein drohte mir zu entgleiten und verschwommen tanzte mein Blickfeld vor meinen Augen. Meine Glieder waren unsäglich schwer und mein Verstand arbeitete nur schleppend. Ich versuchte blinzelnd Atem zu schöpfen und kämpfte verzweifelt gegen die Ohnmacht an, die nach mir griff, doch da sah ich nur noch einen Stiefel auf mein Gesicht zu kommen und im nächsten Augenblick wurde alles schwarz. Der Vampire lächelte zufrieden. Bald würde sein Plan zur Vollendung kommen. Er erteilte den Männern einen Wink und bedeutete ihnen so, ihn allein zu lassen. Diese deuteten eine flüchtige Verbeugung an und liesen ihm mit ihrer neusten Errungenschaft zurück. Lange betrachtete der Mann das dunkelhaarige Mädchen schweigend. Das war also Vlad´s erstes Küken, das sein Blut empfangen und getrunken hatte. Er studierte das Gesicht der jungen Draculina. Trotz der tiefen Ohnmacht, in welcher das Mädchen gefangen war, konnte er aus ihren Gesichtszügen die Willenskraft erkennen, die in ihrem Inneren schlummerten. Die Kleine erinnerte ihn an eine Raubkatze. Auf den ersten Blick zahm und trotz durch Menschen abgestumpfte Zähne und Krallen gefährlich. Eine Verschwendung großen Potentials war es, was er sah. Der Frischling wandelte auf dem falschen Pfad und ihre Loyalität gehörte den falschen Leuten. Bedauerlicherweise. Er beugte sich zu dem Mädchen herab, als dieses begann sich zu regen. Ein leises Stöhnen entkam ihren Lippen. Offenbar kam sie schneller zu sich als gedacht, oder erwünscht. Vorsichtig hob er ihren Kopf an und tastete nach der hohlen Stelle unterhalb der Schädelbasis, ehe er seinen Daumen in den weichen Knorpel trieb, der unter seiner Kraft nachgab. Der Körper der Kleinen erschlaffte augenblicklich. Mit einem Seufzen erhob sich der Vampir und löste seinen Blick von dem Mädchen. Er hatte schließlich noch einige Vorbereitungen zu treffen. 23 Uhr Ich erwachte schmerzerfüllt in völliger Dunkelheit. Mein Schädel pochte dumpf und insbesondere mein Nacken schmerzte höllisch. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Erinnerung an die vergangenen Ereignisse zurück kehrten. Oujou-Sama! Mein Kopf schnellte nach oben, doch der scharfe Schmerz, der augenblicklich durch meinen Körper fuhr, lies mich unwillkürlich zusammen zucken und inne halten. Was zum ... ? „Ich schlage vor, Sie halten still, junges Fräulein, sonst schneiden die Drähte nur tiefer in Ihr Fleisch.“, riet jemand hinter mir. Die Stimme war dunkel und ausdruckslos. Ich erkannte sie als die Stimme des Mannes wieder, mit dem ich an diesem Tag bereits einige Male das Vergnügen gehabt hatte. Erst jetzt stellte ich fest, dass ich an eine Art Kruzifix gefesselt war. Um meine Ober- und Unterarme, Schenkel und um meine Kehle schlang sich ein tückischer, dünner Draht, der meinen Körper an das Kruzifix fixierte und beinahe jede Bewegung unmöglich machte. Sogar an meine schwarzen Schwingen hatte man gedacht. Die kleinste Regung sorgte dafür, dass sich die Drähte tiefer in mein Fleisch gruben. Augenblicklich fühlte ich mich unangenehm an die Waffe meines Onkels erinnert. Aber ich zog es vor den brennenden Schmerz und den Outfitwechsel – von meiner schwarzen Dienstkleidung, zu einem weißen Kleid – zu ignorieren und wandte mich an den Vampir, der sich immer noch außerhalb meines Sichtfeldes befand. „Was haben Sie mit Lady Integra gemacht?“ „Machen Sie sich keine Sorgen um Ihre Dienstherrin.“, erwiderte De Ville gelassen. „Wie ich bereits sagte, hat man ihr kein Leid zugefügt. Noch ist sie unversehrt. Sie befindet sich immer noch im Hauptquartier der Polizei. Ich hatte lediglich eine kleine Evakuierung des Gebäudes veranlasst. Und augenscheinlich sind meine Pläne aufgegangen.“ Nun trat der Mann zum ersten Mal in mein Blickfeld und ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass er mir irgendwie bekannt vor kam. Er hatte ein ebenmäßiger Gesicht, das von markanten Zügen geprägt war. Über seine Augenlider zogen sich grausame Narben, die wohl von Verbrennungen herrührten. Sein langes, schwarzes Haar kräuselte sich in Hüftlänge und seine dunklen Augen wirkten ebenso grausam, wie sie auf Intelligenz und Erfahrung schließen liesen. Sie strahlten eine solche Kälte und Macht aus, die mich unwillkürlich erschaudern liesen. Doch dann wanderte mein Blick zu seinen Lippen herab und meine Augen weiteten sich, als ich des Blutes an seinem Mundwinkel gewahr wurde. Der Vampir schien sich sichtlich über den Ausdruck in meinem Gesicht zu amüsieren und wischte das Blut mit einer beiläufigen Handbewegung weg. „Das zwölfte Oper wurde gebracht.“ Er deutete mit dem Kinn auf eine blasse, leblose Gestalt, die sich beinahe völlig außerhalb meines Sichtfeldes befand. Das Mädchen war bis auf den letzten Blutstropfen ausgesaugt worden. Mit einem Knurren stemmte ich mich gegen die Fesseln. „Sie verfluchter Mistkerl.“, zischte ich. De Ville lächelte lediglich und seine Augen funkelten amüsiert. Kurz wanderte ein Ausdruck über seine Züge, der mir vertraut war. Blutlust keimte in seinem Blick auf, als die Drähte tiefer in mein Fleisch schnitten. Doch dann hob er seinen Blick und sah mich direkt an. „Sagen Sie mir, junges Fräulein, sind Sie auch nur auf den Gedanken gekommen, sich um Ihr eigenes Wohlergehen zu sorgen?“ Meine Lippen verzogen sich zu einem schiefen Grinsten. „Ist nicht so mein Ding.“ Der Vampir nickte bedächtig. „Ihre Uneigennützigkeit ehrt Sie, Fräulein Dolneaz, stellt aber auch Ihren größten Schwachpunkt dar.“ Er machte eine bedeute Handbewegung. „Sanftmut wird schnell zu Nachlässigkeit und Selbstlosigkeit verschießt die Augen für die eigenen Gefahren.“ Er machte eine kleine Pause und lies seine Worte wirken, während er ein Messer aus seiner Mantelinnentasche hervor zog. Es hatte eine ungewöhnliche Form und es dauerte eine Weile, bis ich es anhand der Klingenform als Bowie Messer erkannte. Scheinbar nahm De Ville das Aufflackern der Erinnerungen in meinen Augen wahr und lächelte überlegen. „Ganz recht. Dies ist jene Klinge, die des Grafen Herz durchbohrte. Sie können mir glauben, dass es mich einiges an Mühen gekostet hat, an dieses Stück zu gelangen. Doch das war es wert.“ Er lies die Klinge in der spärlichen Beleuchtung funkeln. Ein verzücktes Lächeln lag auf seinem Gesicht, als er das Messer in seiner Hand betrachtete, und wieder durchzuckte mich der Gedanke, dass er mir auf irgendeine Art vertraut schien. Aber warum ... ? Ich schüttelte das Gefühl von mir und starrte den Mann feindselig an. „Vielleicht möchten Sie mir erklären, was Sie mit diesem Affentheater zu bewerkstelligen wünschen.“ Der Vampir blinzelte, als risse er sich aus einer tiefen Trance, ehe er mich ansah. Erneut verzogen sich seine Lippen zu einem amüsierten Lächeln. „Ich möchte unseresgleichen zu alter Stärke verhelfen. Viel zu lange sind wir gezwungen worden uns verdeckt zu halten. Und das nur, weil wir „anders“ sind. Geächtet aufgrund unseres Wesens und unserer Natur. Jahrhunderte lang waren wir gezwungen gewesen uns zu verstecken. Man hat uns gejagt, unterjocht und gequält. Doch diese Zeiten sind nun vorbei.“ Nun war ich mir sicher: Der Mann handelte tatsächlich aus felsenfester Überzeugung heraus. Er glaubte das, was er sagte und vertraute auf die Auswirkungen seiner Taten. „Aber genug davon...“, unterbrach sich De Vile mit einem Blick auf seine Taschenuhr. „Es wird Zeit.“ Lange sah er mich an, ehe er fragte: „Shall we?“ De Ville fixierte meine Augen mit seinem eigenen kalten Blick. Seine stechenden Augen glühten rot auf. Noch ehe ich so recht begriff, was der Vampir vor hatte, begann dieser seine Kraft freizusetzen. Mit einem Mal wurde mir schwindelig. Es war als drehte sich mein Verstand im Kreis und hüllte sich langsam in einen zähen, undurchdringlichen Nebel. Meine Glieder wurden unsäglich schwer und ein seltsamer Gleichmut überkam mich. Der Vampir trat näher. Die Klinge des Messers, das er in der Rechten hielt, funkelte tückisch. Verzweifelt versuchte ich gegen seinen Bann anzukommen, doch der Mann war zu mächtig. Er erstickte jeglichen Widerstand im Keim und lächelte, als er mit der Klinge über meine Wange strich. „Du aber, ihr aller Liebling, gehörst jetzt mir.“, zitierte er ruhig. „Bist Fleisch von meinem Fleisch. Blut von meinem Blut. Bist von meiner Art.“ Der Daumen seiner freien Hand fuhr über meine Lippen. „Und für eine Weile mein freigebiger Weinkelter.“ Das Messer wanderte tiefer hinab. Mit einer beiläufigen Bewegung zerschnitt er die scharfen Drähte, ehe er die Klinge sinken lies und mich bei den Schultern packte. Noch immer konnte ich keine Kraft aufbringen, mich ihm zu entziehen. De Ville beugte sich vor. Während er mich immer noch mit seiner linken Hand festhielt, legte er mit der Rechten meinen Hals frei. Beinahe sanft fuhren seine Finger über die nackte Haut, ehe er mein Kinn packte und meinen Kopf neigte, sodass mein Hals nun völlig entblößt auf seinen Biss zu warten schien. Seine Lippen verzogen sich zu einem amüsierten Grinsen und er schien ganz sicher gehen zu wollen, dass ich es mitbekam. Spott und Hohn lagen in seinem Blick, als er sich über sein Opfer beugte. Unwillkürlich erschauderte ich, als sein Atem meine Haut streifte. Dennoch gelang es mir nicht mich seinem hypnotischen Bann zu entziehen und mich somit aus seiner Trance zu befreien. Ein scharfer Schmerz fuhr durch meinen Körper, als sich seine Zähne in mein Fleisch bohrten. Mein Geist bäumte sich erneut auf, doch ich konnte die Kontrolle über meinen Körper immer noch nicht zurück gewinnen. Schließlich legte der Vampir seine Lippen auf die frische Wunde, die er mir beigebracht hatte, und begann zu trinken. Wie lange er so verweilte hätte ich später nicht sagen können. In meinem Kopf drehte sich alles, meine Gedanken wirbelten ungeordnet und durcheinander durch meinen Schädel und mit dem Blut wich die verbliebene Kraft aus meinem Körper. Als der Vampir von mit ablies, sorgte zunächst nur sein Griff dafür, dass ich nicht zu Boden sank. Mein Blick schweifte unfokussiert über die Dunkelheit. „Mit seinem Blut hat es begonnen und mit seinem Blut wird auch unsere Revolution beginnen.“, sprach De Ville bedächtig, ehe er sich über seine blutverschmierten Lippen leckte. Dann knöpfte er sein Hemd auf und entblößte so seine Brust. Mit dem Daumennagel seiner linken Hand fuhr er über seine schneeweiße Haut und hinterlies einen roten Striemen. Mit einem weiteren hämischen Grinsen packte er mich nahe des Nackens bei den Haaren und drückte mein Gesicht gegen seine Brust, sodass meine Lippen auf der frischen Wunde lagen, die er sich selbst beigebracht hatte. Nein ... Nein! Es war, als holte mich der Geruch des frischen, fremden Blutes schlagartig in die Realität zurück. Nicht einen einzigen Tropfen davon würde ich trinken. Nicht einen einzigen! Mit einem animalischen Knurren bäumte ich mich auf, stemmte mich gegen seinen Griff und riss den Kopf zurück, um ihn dann vorschnellen zu lassen. Ich grub meine Zähne tief in sein Fleisch und verbiss mich so in seiner rechten Schulter. Der Vampir grunzte vor Schmerz, ehe er laut zu lachen begann. Scheinbar amüsierte ihn meine Gegenwehr. Seine Finger gruben sich tiefer in meinen Nacken, sodass unsere Haltung einem Kind, das eine Katze in eine Milchschale drückte, damit das Tierchen trinkt, ähneln musste. Den Schmerz ignorierend holte ich zum Gegenangriff aus und trieb mein Knie in die Weichteile des Mannes. Augenblicklich trat der gewünschte Effekt ein. Zischend stieß De Ville Luft aus und sein Griff lockerte sich merklich. Diesen Moment der Schwäche nutzend, stieß ich den Vampir von mir, straffte die Schultern und lies meine schwarzen Schwingen verschwinden. Im Augenblick hatte ich nicht die Kraft die Federn zu schärfen, also wären sie nur im Weg und als Waffe kaum zu gebrauchen. De Ville kam schnell wieder auf die Beine und wandte mir sein verkniffenes Gesicht zu. Dennoch schien er nach wie vor belustigt, denn er lächelte. Seine Amusement steigerte sich, als ich in Kampfstellung ging. Er verzog die Lippen zu einem Grinsen, ehe er in die Hände klatschte und laut zu lachen begann. „Feisty one, huh?“, fragte der Vampir, als er sich beruhigt hatte. Erneut durchzuckte mich der Gedanke, dass mir der Mann auf irgendeine Weise vertraut vorkam. Doch man lies mir allerdings keine Zeit genauer darüber nachzudenken. Im nächsten Augenblick stürmte der Vampir auf mich zu. Ich duckte mich unter seinem Messerhieb weg, ehe ich versuchte ihn mit einem Tritt von den Füßen zu wischen. Doch so einfach machte es mir De Ville dann doch nicht. Mit Leichtigkeit, die seine hochgewachsene Gestalt Lügen strafte, entkam er der Attacke mit einem Sprung. Mit unmenschlicher Geschwindigkeit schoss er vor und lies die Klinge direkt auf mein Gesicht zu sausen. Ich entging dem Angriff aus einem reinem Reflex heraus. In der Dunkelheit konnte ich nur vage Schemen ausmachen, doch ich dachte gar nicht daran kampflos aufzugeben. Ich hatte zwar noch unter dem Blutverlust zu leiden, doch ansonsten trat der Mann unter denselben Bedingungen in den Ring wie meine Wenigkeit. Dieses Mal wartete ich den Angriff ab, ehe ich mit dem Handballen gegen seine Hand stieß, welche das Messer hielt. Tatsächlich lies De Ville die Klinge fallen und die Waffe flog im hohen Bogen durch die Luft, ehe sie mit einem klirrenden Geräusch auf dem Boden aufkam. Den Vampir schien der Verlust der Waffe nicht sonderlich zu stören und er setzte seinen Angriff mit unverminderter Härte fort. Sein Tritt schleuderte mich zur Seite und zu Boden. Doch ehe er heran war, erhob ich mich mit Schwung und nahm wieder meine gewohnte Kampfstellung ein. Ich passte seinen Angriff ab und schlug seinen Arm zur Seite, ehe ich ihm mit meiner rechten Faust ins Gesicht schlug. Der Mann zuckte nicht einmal mit der Wimper und packte mein Handgelenk. Er verstärkte seinen schraubstockartigen Griff, bis der Schmerz beinahe unerträglich wurde. Dann trieb er sein Knie in meine Magengegend. Ich keuchte laut auf, als mir sämtliche Luft aus den Lungen gepresst wurde. Dann trat der Vampir mit voller Wucht gegen meine Kniescheibe. Man vernahm ein ungesundes Knacken und ein Schmerzenslaut entkam meinen zusammengepressten Lippen. Der Vampir hatte die ganze Zeit über nicht von mir abgelassen und wirbelte mich nun mit Schwung herum, sodass ich mit dem Rücken zu ihm stand, ehe er mir beide Arme schmerzvoll hinter meinem Rücken verdrehte. Mit meinem unversehrten Bein holte ich aus und versuchte mit dem Fuß sein Schienbein zu erwischen. Doch dies verhinderte der Mann, indem er mir in die Kniekehlen trat und zulies, dass ich zu Boden sank. In aller Ruhe lies De Ville von mir ab, schlenderte zu dem Messer, hob die Waffe auf und kam ebenso gemächlich wieder zurück. Ich rollte mich auf dem Boden herum und versuchte nach ihm zu treten, doch er versetzte mir einen Schlag auf den Oberschenkel, der mein Bein lähmte. Mit einer Seelenruhe, die ihresgleichen suchte, beugte er sich herab, packte mich an der Kehle und schleppte mich zurück zu dem Kruzifix. Mein Hinterkopf machte unsanft Bekanntschaft mit dem kalten, dunklen Stein, sodass ich blinzeln musste, um meinen Fokus zurück zu gewinnen. „Endstation, Frischling.“, säuselte die dunkle Stimme. Meine Augen weiteten sich flüchtig. Hatte der Kerl etwa meine Gedanken gelesen, als er mein Blut gesaugt hatte, oder ... ? Aber dieses Gesicht. Seine Sprachweise. Seine Kraft und diese Charakterzüge. Es war, als lag mir ein Name auf der Zunge, der aber einfach nicht kommen wollte, so sehr ich auch darüber nachdachte. Meine Augen verengten sich und ich suchte seinen Blick. „Wer sind Sie?“ Ein bitteres Lächeln huschte über seine Züge, als er das Bowie Messer in seiner Hand tanzen lies. „Ein scharfsinniges Küken, mh?“, meinte er mit einem amüsierten Unterton. Er schien mit sich zu kämpfen, denn er zögerte. Gerade, als ich dachte, der Vampir würde zustechen, trat er einen Schritt zurück und wandte mir den Rücken zu, sodass mir sein Gesicht verborgen blieb. „Ja ... Wer bin ich nur?“ Er stieß ein kehliges, freudloses Lachen aus. „Die Geschichte ist wirklich ein undankbarer Geselle und grausam zu ihren Opfern. Es sind die Gewinner, welche die Bücher schreiben und prägen. Die Verlierer werden vergessen und verschwinden im ewigen, endlosen Strom der Zeit und die Gegenseite lässt sich als Held feiern. Ruhm ist kurzlebig und einige Heldentaten werden von größeren überschattet. Schreie verklingen ungehört und die Wahrheit wird vergraben. Nur allzu gerne lassen sich die Menschen von schönen Worten und prächtigen Geschichten einlullen und blenden, die ihre eigene Grausamkeit verschleiern. Sie verschließen die Augen vor der Wahrheit und ziehen dieser Lügen vor. Sie nennen uns Monster, doch was ist die Natur des Menschen?“ Bedächtig drehte er sich zu mir um. „Ich habe lange darüber nachgedacht. Oh ja.“ Er lachte freudlos auf. „Ich hatte lange Zeit gehabt, darüber nachzudenken.“ Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als er mich fixierte. „Sag mir, Mädchen, kannst du dir vorstellen, wie es ist, bei lebendigem Leibe vergraben zu werden?“ Er fuhr sich mit den Fingern über seine vernarbten Lider. „Geblendet und geächtet? Die Hoffnungslosigkeit? Die Verzweiflung?“ Meine Augen weiteten sich, als ich allmählich begriff, wen ich vor mir hatte. Die Hinweise waren die ganze Zeit über vorhanden gewesen. Ich hätte sie nur erkennen müssen. Jedes einzelne seiner Worte hatte auf die Wahrheit hingewiesen. „Sie sind ...“ Die Spur eines Lächelns huschte über das Gesicht des Vampirs. „Ganz recht.“ Mircea wandte sich wieder dem dunklen Nachthimmel zu. „Am Anfang habe ich noch gebetet. Unter der Erde schienen Augenblicke wie Äonen. Ich verfluchte meine Feinde und hasste sie aus tiefster Seele. Doch bald schon begann ich mich zu fragen: Wo ist Gott? Warum steht er mir in dieser dunklen Stunde nicht bei? Für wen habe ich all die Jahre gekämpft? Wen habe ich verteidigt? Einen rachsüchtigen, herzlosen Geist. Nichts weiter. Und um einem Dämon zu trotzen, muss man selbst zu einem werden.“ Er lachte leise. „Auch mein kleiner Bruder schien diese Lektion gelernt zu haben, als er unsere Widersacher und Feinde vernichtete. Doch er war nicht stark genug.“ Bedauernd schüttelte der Mann sein Haupt. „Er hat sein Knie gebeugt und sich einem Menschen unterworfen. Ein Zeichen der Schwäche und der Schande. Hellsing. Pah!“ Er spuckte den Namen förmlich aus. „Er hat es zugelassen, dass er zu einem Schoßhund verkam und dies stumpfte seine Reißzähne und Krallen. Er ist schwach geworden und das bringt noch mehr Schwäche hervor.“ Er wirbelte herum und funkelte mich spöttisch an. „Auch Sie, junges Fräulein, haben sich zu einem Untertan machen lassen. Diese Schande fließt in Ihrem Blut und durch Ihre Adern. Sie haben Ihrer Art und Ihrer Natur den Rücken gekehrt. Haben sich in Ketten legen lassen, um sich nun dem Willen Ihrer Meister zu beugen. Besitzen Sie keinen Stolz, Fräulein Dolneaz?“ Ich fand immer noch keine Kraft um auf die Beine zu kommen, dennoch erwiderte ich den stechenden Blick des Vampirs furchtlos. „Es ist keine Schande, wenn die Loyalität den richten Menschen gehört.“, erwiderte ich. „Ich bin stolz darauf, den Menschen behilflich zu sein, die sich meinen Respekt verdient haben. Master war sich bewusst, dass es keine Schande ist, sondern es zeugt von Charakterstärke anzuerkennen, dass gewisse Menschen unsere Hochachtung verdient haben. Niemand ist perfekt. Weder Menschen, noch Monster. Aber jene, welche gewillt sind, andere vor Schaden zu bewahren und ihr Bestes zu geben um die Welt zu einem besseren und sicheren Ort zu machen und dafür ihr Leben einsetzen, steht unsere Loyalität zweifelsfrei zu. Es ist keine Frage der Art, oder der Macht, sondern der Prinzipien.“ Meine Augen funkelten. „Ihr Bruder hat dies erkannt. Es ist weder Schande, noch ein Zeichen von Schwäche, wenn man sich für ein höheres und edles Ziel einer anderen Person unterstellt.“ Ich lächelte schief. „Nehmen Sie sich vor dem Leviathan in acht, denn er ist ein mächtiges und furchteinflössendes Wesen.“ (AdA : Wer mit dem „Leviathan“ nicht vertraut ist, hier eine kurze Erklärung: Das ist ein Lösungsansatz des englischen Mathematikers, Staatstheoretiker und Philosophen Thomas Hobbes um den Frieden auf der Welt zu gewährleisten. Kurzum geben die Menschen (einen Teil) ihre(r) Freiheit auf und ordnen sich einer höheren Macht (in diesem Fall der Staatsmacht) unter.) Mircea brach in schallendes Gelächter aus. „Sie geben also Ihre Freiheiten auf, um den Frieden zu sichern? Interessante Denkweise. Doch was würden Sie sagen, Fräulein Dolneaz? Was ist die Natur des Menschen?“, fragte er. „»Homo homini lupus. Der Mensch ist dem Mensch ein Wolf« Ist es nicht so?“ (AdA : Eine weitere Annahme von Hobbes.) „Ich kann Ihnen in diesem Sinne nur in Maßen widersprechen.“, meinte ich. „Es gibt einige Wölfe in Schafspelzen unter den Menschen, welche versuchen die Herde zu zerfleischen. Aber wenn Sie mich fragen, würde ich sagen, Menschen sind wie Steine auf dem Grund des Stroms des Leben. Geschliffen von Begegnungen und Umständen, entpuppen sich einige als gewöhnliche Kiesel, andere als Diamanten.“ Ich schenkte dem Mann ein schiefes Grinsen. „Und wenn man diesen Edelsteinen dabei helfen kann, zu glänzen, ist alles andere doch eher ein geringer Preis.“ Mircea musterte mich lange schweigend. „Sie stehen wirklich mit Überzeugung hinter Ihrer Herrin, nicht wahr?“ „Das tue ich.“ „Ich nehme an, meinem Bruder erging es ebenso.“, sagte er bedächtig. „Jedenfalls mangelt es euch nicht an Entschlossenheit, oder Treue. Seltene, gute Tugenden, die nur wenige Menschen ihr eigen nennen können. Das ist nicht zu leugnen. Eine wahre Seltenheit auf dieser Welt.“ Der Vampir schüttelte den Kopf. „Doch bedauerlicherweise löscht eine gute Seele nicht das Unrecht einer ganzen Art aus.“ „Aber die schlechten Taten einzelner genügen um ein Urteil zu fällen?“, erkundigte ich mich ruhig. „Das Böse schlummert tief in jeder Seele.“, sagte der Mann. „Es wird Zeit für eine Läuterung. Einen Neuanfang. Aus der Asche erwachsen noch grünere Wälder und auf Ruinen sind ganze Zivilisationen gegründet und Städte errichtet worden. Wie Sie sehen halte ich ebenso an meinen Überzeugungen fest, wie Sie an Ihren, Fräulein Dolneaz.“ „Das ist mir nicht entgangen.“, meinte ich. Mircea lächelte. „Und darum müssen wir beide Abschied nehmen.“, sagte er und wandte das Messer einige Male in seiner Hand. „Aber ich glaube, ich habe zumindest einen kleinen Einblick und eine Ahnung davon bekommen, was mein kleiner Bruder in Ihnen gesehen hat ... Und wenn es nur ein interessanter Zeitvertreib war.“ Sein Lächeln wurde breiter. „Adio (rum. Leben Sie wohl), Fräulein Alexandra Dolneaz.“ 0 Uhr In diesem Moment geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Die Zeiger meiner Armbanduhr deckten sich und die Glocken der Stadt begannen zu läuten. Der Mann stach zu und die Klinge drang in meinen Rumpf ein. Sie durchstieß meine Bauchwand und verlies im nächsten Augenblick auch schon wieder meinen Körper. Blut tropfte von dem Messer und floss aus der frischen Wunde. Ich blinzelte träge, als der Schock allmählich einsetzte. In meinem Kopf war alles völlig verworren und nichts erschien mehr einen Sinn zu geben, als mein Hirn begann im Schneckentempo zu arbeiten. Der Schmerz verkam zu einem dumpfen Pochen und alle anderen Empfindungen und Gefühle rückten in den Hintergrund. Dann wusste ich nur, wie ich mich als nächstes auf dem Boden wieder fand, ohne die geringste Ahnung, wie ich dorthin gekommen war. Und dann wurde plötzlich mein gesamtes Blickfeld von einem grellen, weißen Licht ausgefüllt und undeutliche Geräusche drangen an mein Ohr. Dann wurde alles schwarz. Mir war es, als wanderte ich eine halbe Ewigkeit durch die Dunkelheit. Verschiedene Erinnerungsfetzen fügten sich zu verworrenen Träumen zusammen. Wie durch einen Nebelschleier drangen verschiedene Eindrücke auf mich ein, doch mein Gehirn vermochte diese nicht zu verarbeiten und einzuordnen. Es dauerte eine ganze Weile bis Lichtstrahlen diese ewige Finsternis erreichen. Ein leises Stöhnen entkam meinen Lippen. „Alex!“ Es dauerte noch einige Augenblicke, bis ich erkannte, wer sich da über mich beugte. Das spärliche Licht brannte in meinen Augen und ich musste einige Male blinzeln, bis ich wieder klar ehen konnte. „Seras ...“ Ich richtete mich vorsichtig auf und sah mich um. Ich befand mich wieder in meinem eigenen Zimmer im Hellsing Anwesen, wie ich nun feststellte. Ich versicherte mich, dass die Wunde fast vollständig verheilt war, ehe ich mich in meinem Sarg aufsetzte. „Was ist passiert? Bring mich auf den neusten Stand.“, bat ich die blonde Draculina. Seras schien zu zögern. „Der Oberdrahtzieher des Ganzen konnte entkommen.“, berichtete sie. Damit hatte ich beinahe gerechnet. Ich sah Seras an. „Wie habt ihr uns gefunden?“ „Dieser Kerl hatte seine Männer in die Polizeieinheiten geschleust.“, erklärte Lady Integra, welche nun im Türrahmen stand, eine Zigarre zwischen den Lippen. „Als du ausgerückt bist, haben sie einen Vampirangriff vorgetäuscht und sämtliche Anwesenden in die tiefer gelegenen Räume evakuiert.“ Die junge Frau zuckte mit den Schultern. „Später konnten die Kerle nicht an sich halten und prahlten mit ihrem bevorstehenden Sieg. Doch allerdings haben sie uns dabei unterschätzt.“ Sir Hellsing lächelte. „Nur wenig später besaßen wir alle nötigen Informationen.“ „Wo befand sich der letzte Knotenpunkt?“, erkundigte ich mich. Integra stieß eine kleine Rauchwolke aus. „Kings Cross.“, antwortete sie schließlich. „Die Kerle hatten das Gebiet weiträumig absperren lassen, ohne dass wir etwas davon mitbekommen haben.“ Ich runzelte die Stirn. Kings Cross. Natürlich. Dreh – und Angelpunkt von Dracula´s Plan. Von dort aus hatte er begonnen sein Netz zu spinnen und seine Kisten über die gesamte Stadt verteilt. Ein passender Ort für das große Finale. Integra trat näher. „Wie geht es dir?“, fragte sie. „Gut.“, erwiderte ich, doch eine Sache beschäftigte mich noch. Unwillkürlich fuhren meine Finger über die Überreste der Verletzung, die Mircea mir zugefügt hatte. Diese ganze Aktion beruhte auf jahrelanger Planung und Vorbereitungen. Es hatte gegolten die Behörden zu unterwandern und Informationen zu beschaffen und zu sammeln. Auch die Entführungen mussten von langer Hand geplant gewesen sein. Warum hatte also der Verantwortliche seinen Plan nicht zu Ende geführt? Alles was dafür von Nöten gewesen war, war ein einziger präziser Stich gewesen. Die Klinge hätte mein Herz durchstoßen müssen. Aber er hatte sich offensichtlich doch dazu entschlossen mir das Messer in den Bauch zu rammen. Das passte nicht zu seiner sonstigen methodischen, ja, geradezu rituellen Vorgehensweise. Hatte er mein Leben also bewusst verschont? Und wenn dem so war ... Wieso? Warum? Welchen Grund hatte er dafür gehabt? Seine letzten Worte kamen mir in den Sinn: „Aber ich glaube, ich habe zumindest einen kleinen Einblick und eine Ahnung davon bekommen, was mein kleiner Bruder in Ihnen gesehen hat ... Und wenn es nur ein interessanter Zeitvertreib war.“ War es das? Hatte er sich einen neuen Zeitvertreib ausgesucht? War es eine Art von Spiel für ihn? Eine neue spaßiger Beschäftigung um die unerträgliche Langeweile zu vertreiben? Mein Blick verfinsterte und meine Faust ballte sich unwillkürlich. Dann sollte er seinen Spaß haben und sein Spiel bekommen. Dieses Match war an ihn gegangen, doch die nächste Partie stand noch aus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)