only the distance. von YouLi (Reita and Kai) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Mit einem tauben Gefühl in seinem Inneren starrte er auf die unendliche Tiefe hinab. Von hier oben sah alles so klein aus. So unwichtig. Man hätte hinunterspucken können und es wäre egal gewesen. Seine Spucke würde niemanden interessieren, weil sie sich in der Luft so zersträuben würde, dass noch nichtmal kleinste Tröpfchen davon übrig bleiben würden, wenn sie am Boden ankommen würde. Die Menschen dort unten würden nicht mal im Entferntesten erahnen können, dass jemand gerade auf sie hinab gespuckt hatte. Dieser eigenartige Gedankenzug brachte Reita leise zum Lachen. Wobei die kehligen Geräusche unter seinem dunklen Tuch erstickt wurden. 'Ja, spuck auf sie herunter', feuerte er sich selbst an, schob die Ecke seines Bandanas etwas höher und zog aus den Tiefen seiner Kehle ordentlich Schleim hoch. Einfach nur weil er es konnte. Weil ihm langweilig war. Und weil er provozierte. Für sein Leben gerne. Auch wenn sich dadurch niemand provoziert fühlen würde. Nun ja, wenn sie wussten, dass gerade Speichel auf sie herabregnete, dann ja. Aber sie würden es nicht einmal merken. Leider. Fasziniert blickten die dunklen Augen der klebrigen Masse hinterher, nachdem sie geräuschvoll seinen Mund verlassen hatte. Und ja, der schleimige Faden, der schwer in die Tiefe fiel, trennte sich schon bald und war irgendwann gar nicht mehr sichtbar. Diesmal war er nämlich ziemlich weit oben. Die Höhe ließ ihm leicht schwindelig werden und seine Lippen kräuselten sich etwas, als er an eine bestimmte Person dachte, die leicht bleich werden würde, könnte sie ihn hier oben sehen. Bei dem Bild von dem bestimmten Jemand krampften sich Reitas Finger in die kalte Fassade, auf der er saß und er biss sich kurz wütend auf seine Unterlippe. Wieso musste er jetzt hier sein? Während sein Lover noch in Tokio war? Und seine Brüder. Warum hatte er diesen Parcourwettbewerb bloß nicht abgesagt? Ach ja, weil er schon zwei Jahre darauf hinarbeitete. Und fast jeden Tag darauf hingelebt hatte. Man konnte schon fast meinen, er hatte nur für diesen Wettbewerb gelebt. Ganze zwei Jahre lang. Obwohl er einer war, der sonst immer im Moment lebte, traf das auf die letzte Zeit nicht zu. Manchmal kam es ihm vor, als hätte er fast alles aufgegeben. Aggy hatte öfter mit ihm geschimpft und sich weinerlich beklagt, dass er gar nicht mehr richtig lebte und nicht wirklich da war. Kopfschüttelnd und genervt hatte der Blonde immer abgewunken. Sein Blutsbruder konnte manchmal wirklich anstrengend sein. Doch er hatte Recht gehabt. Vielleicht hatte er einige Dinge vermasselt, die gut hätten sein können. Eine Sache gab es da. Eigentlich ziemlich lästig, wenn er daran dachte. Aber sie war im Endeffekt nicht zu übel gewesen. Sie hatte alles für ihn gegeben. Aber Reita war kalt. Seine Gedanken galten alleine nur seinem Ziel. Irgendwann war sie dann gegangen. Nein, sie hatte ihn betrogen. Und ihn dann alleine gelassen. Bitter war der Geschmack, der sein Leben einige Monate dann begleitet hatte. Im Endeffekt hatte sie ihm jedoch nie etwas bedeutet. Trotzdem tat es weh, wenn man glaubte. Und vertraute. Doch das war alles nicht mehr wichtig. Um ehrlich zu sein hatte er auch schon längst ihren Namen vergessen. Wichtig wurde erst, was danach kam. Wer danach kam. Er. Für den Reita alles vergessen hatte. Und angefangen hatte im Moment zu leben. Weil er es wert war. Weil es sich lohnen würde. Dessen war er sich sicher. Weil dieser spezielle Jemand etwas Besonderes war. Nur bei seinem bloßen Anblick wollte Reita ihn beschützen. Und festhalten. Jetzt fühlte es sich nach einer Ewigkeit an, dass er ihn das letzte Mal gehalten hatte. Obwohl es eigentlich nicht so lange her war. Doch war Reita in den ein paar wenigen Tagen schon so süchtig nach ihm geworden und hatte ganz vergessen, dass er bald weg sein würde. Oder hatte er es einfach nur erfolgreich verdrängt? Auf jeden Fall wusste er jetzt wieder wie es sich anfühlte zu leben. Und jemanden zu mögen. So sehr, dass man ihn vermisste. Und seine eigenen Pläne auf einmal ganz unwichtig und unbedeutend wurden. Wenn er jetzt genau darüber nachdachte, was brachte ihm das hier schon? Von Dach zu Dach zu springen und sich mit den besten Leuten der Welt zu messen? Was brachte es ihm am anderen Ende der Welt zu sein? Wenn der andere noch zu Hause war? Und wartete. Auf das Ungewisse. Seufzend starrte Reita auf sein Handy. Und die Nachrichten, die er alle getippt hatte. Doch keine einzige wurde abgeschickt. Hier konnte er ihn nicht erreichen. Und das für einige Zeit nicht. 'Ich vermisse dich.' 'Wieso hast du mich wenigstens nicht einmal ran gelassen?' 'Zumindest hättest du mir einen blasen können.' Kai. Seine Nachrichten wurden immer drängender und verzweifelter. Denn die Distanz ließ ihn verrückt werden. Er wollte wieder Kais Wärme spüren. Ihn im Arm halten, wenn sie einschliefen. Von ihm gestreichelt werden. Und von ihm bekocht werden. Er hatte hier unglaublichen Hunger. Konnte man sich so sehr an das Essen von jemandem gewöhnen, dass einem nichts anderes mehr schmeckte? Ja, man konnte. Das hatte Reita in den wenigen Stunden schon festgestellt. Kai würde eine Tracht Prügel kassieren, wenn Reita endlich wieder daheim sein würde. Dafür, dass der andere ihn so abhängig gemacht hatte, dass ihm die ihm so wichtigen Dinge keinen Spaß mehr machten. So langsam dämmerte es Reita, was das hier war. Dieses lästige Gefühl, nicht zu Hause zu sein. Es war nicht nur Heimweh nach seinen Brüdern, seiner Gang, von denen er jeden einzelnen vermissen würde. Yuri, mit seiner Sensationsgier für Streitereien. Der schweigende, aber an allem schnüffelnde Sanato. Kazumi mit seiner ruhigeren Art, solange er keinen Grund hat eifersüchtig wegen Aggy zu werden. Ihren Anführer, Leda, der mit seiner kühlen beständigen Art immer für ihren Schutz sorgte. Und nicht zu vergessen Brainy, ihren kleinen Nerd, der immer mit Aggy um Reitas Aufmerksamkeit streitete. Sogar Takeo, den er schon immer bewunderte und ihm nacheiferte, obwohl er so ein Arschloch war, weil er ihre gemeinsame Geschichte nicht vergessen wollte. Und am meisten Aggy. Seinen Blutsbruder, mit dem er damals alles geteilt hatte. Nein, es war diesmal nicht nur Heimweh. Sondern auch Liebeskummer. So fühlte Aggy sich immer, wenn Kazumi ein paar Tage weg war, um bei einigen Händlern illegale Autoteile zu kaufen. Zwar versuchte der Kleinere das immer gut zu kaschieren, indem er sich noch grimmigere Augenbrauen aufmalte als sonst, aber Reita sah es oft seltsam in den schwarzen Augen glitzern, wenn Kazumis Name fiel. Dem Blonden gefiel es überhaupt nicht, dass Kai anscheindend schon so viel Macht über ihn erlangt hatte, dass er sich wegen ihm so fühlen konnte. Oh ja, das würde Prügel geben! Und er wusste schon, wie diese aussehen würde. Eins stand fest- Kai würde nicht begeistert sein. Ganz und gar nicht. Dieses Wissen erhellte seinen Gemütszustand etwas und er holte einmal tief Luft. Ja, er war oben. Und er hatte es geschafft. Alles im Leben hatte seine Zeit. Davon war er überzeugt. Und jetzt war die Zeit gekommen seinen Traum zu leben und seine Liebe kurz warten zu lassen. Für Kai war damals eine Welt zusammengebrochen, als Reita ihn einfach vor die Tatsache gestellt hatte, dass er gehen würde. Angeschwiegen hatte er ihn. Paar Tage. Wie eine kleine wütende Furie, die ihren Mann bestrafen wollte. Doch als Reita gehen wollte, hatte der Brünette wieder einmal Panik bekommen. Wenn er seine Augen schloss, spürte er immer noch Kais leicht muskulösen Arme, die sich um seinen Bauch geschlungen hatten und ihn an sich gedrückt hatten. So standen sie eine Weile. Reitas Rücken an Kais Front gelehnt. Sein Kopf nach hinten auf Kais Schulter gebettet. Und dann hatte Kai sich entschuldigt und ihm gesagt, dass er es tun sollte. Und dass es natürlich nichts ändern würde. Die einzige Bedingung war, dass ihn niemand begleiten durfte, und damit meinte er wohl Takeo. Denn Aggy war nie ein Problem gewesen. Reita hörte noch klar und deutlich Kais tief knurrende Stimme. 'Du wirst alleine gehen. Ohne Takeo. Weil du mir gehörst.' Darauf hatte Reita nur gelächelt. Natürlich gehörte er ihm. Das wussten sie beide. So wie Kai ihm gehörte. Und er würde auf ihn warten. Genauso auch umgekehrt. Deswegen war es egal, dass er gerade hier war. Und Kai noch dort. Denn bald würden sie sich wieder sehen. Und dann würde Reita ihm den Arsch aufreißen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und wie er sich schon darauf freute! Denn mit jedem Tag dürstete sein Körper mehr und mehr nach Kai. Im Flieger musste er immer daran denken, wie sie miteinander schlafen würden. Und die Szenarien gingen von zart und gefühlvoll über leidenschaftlich und wild bis hin zu grob und lieblos. Auch wenn Kai mit jeder Zelle seines Körpers wusste, wem er gehörte und wo sein Platz war, wurde es trotzdem bald an der Zeit, es ihn spüren zu lassen. Mit jedem Stoß. Egal ob tief und fordernd oder hauchzart und neckend. Er würde ihn in den Wahnsinn treiben. Das Wenige, das sie schon miteinander getan hatten, war schon so unglaublich gewesen, dass Kai sich auf einiges gefasst machen durfte. Egal wie viele Partner er schon im Bett gehabt hatte, Reita war besser als sie alle. Das war so was von klar. Und Kai konnte sich das auch denken. Nicht umsonst wurde er immer rot, wenn er Reitas Härte durch seine Hose an seinem Hintern spürte. Er konnte warten. Egal wie, es würde der Wahnsinn werden und er wusste, dass auch Kai wartete. Sehnsüchtig. Auch wenn der kleine Sturkopf das nie freiwillig zugeben würde. Deswegen sollte es Reita eigentlich leicht fallen. Noch ein letzter tiefer Zug an seiner Zigarette, bevor er auch sie in die Tiefe verabschiedete und die kleinen schwarzen Punkte anstarrte, die sich unruhig und durcheinander bewegten. Sie waren so klein und unwichtig. Verstanden nicht mal seine Sprache. Oder seine Art zu denken. Aber das hier war genau das was er wollte. Immer schon. Freiheit- das war es wonach sein Wesen strebte. Das war seine Art zu leben. Seine Art, die Dinge zu sehen. Auch wenn er dafür im Moment auf etwas anderes warten musste. Das irgendwann vielleicht seine Freiheit etwas einschränken würde. Doch den Preis würde er für ihn zahlen. Ohne Probleme. Zeit spielte keine Rolle... wenn es ernst war. Lächelnd schloss Reita seine Augen und setzte sich auf, um seine ganze Kraft in den einen Sprung zu legen, der ihm das ganze Adrenalin durch seine Adern schießen würde. Das hier war sein Leben. Und er liebte es. Alles daran. Die Ungewissheit, das Risiko, die Spannung. Die guten und die etwas schwierigeren Momente. Und jetzt wusste er wieder, wie es sich anfühlte jeden einzelnen zu leben. Dank ihm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)