Wir werden Helden von Platan (Bande der Freundschaft) ================================================================================ Kapitel 11: Helden ------------------ Das Mädchen brannte. Das Mädchen brannte lichterloh. Nein ... Das Mädchen war vielmehr selbst zu einem Feuer geworden. Ihre zierliche Gestalt war mit den Flammen verschmolzen und wenn ihr Körper nicht ständig von rot auf schwarz pulsieren würde, könnte man ihre Figur im Feuer nur erahnen. Immer wieder fing sie zum Teil wütend, zum Teil qualvoll an zu schreien. „Nein, nein. Noch nicht. Noch ist der Traum nicht vorbei!“, hörte man es von allen Seiten her misstönend widerhallen. Nolan wollte bereits losstürmen, um dem brennenden Mädchen zu helfen, wurde jedoch von seinem Freund zurückgehalten. Diesen konfus wegen dessen Verhalten anblickend, wollte Nolan wissen, warum er ihn daran hinderte. „Du weißt doch, dass das nur ein Traum ist, No?“ Auch wenn die Blockade in ihren Köpfen zerfallen war und die Wahrheit nicht mehr verstecken konnte, wollte Landis lieber auf Nummer sicher gehen, denn Nolan könnte nämlich trotzdem alles zu ernst nehmen, was er sah. „Ja, weiß ich“, bestätigte er ihm unruhig. „Aber wir können doch nicht einfach zusehen, wie sie vor unseren Augen verbrennt, das wäre nicht richtig!“ Ein Lächeln schlich sich auf Landis’ Lippen. „Gut, dann bin ich beruhigt. Überlass du mir hier die Stellung und geh du zu Ria, Alo und Nel.“ „Hä?“ Offenbar verstand der damit Beauftragte nicht, wieso gerade er abhauen und sich um andere Sachen kümmern sollte, wenn doch hier die Sache so richtig am dampfen war. Landis ließ ihn los und schob ihn ein Stück in eine andere Richtung. „Jemand muss Nel gut zureden und sie überzeugen, so was kannst du besser als ich.“ Erst wusste Nolan nicht so recht wovon er sie überzeugen sollte, aber dann schien ihn die Einsicht wie ein Blitz getroffen zu haben und er grinste breit. „Kein Problem! Du kannst dich auf mich verlassen, Lan!“ „Weiß ich“, nickte er zuversichtlich und schubste ihn leicht. „Deswegen sollst du ja gehen und zwar jetzt, bevor es zu spät ist.“ Ohne weiter Zeit zu verlieren drehte Nolan sich auf der Stelle um und rannte in die von Landis angedeutete Richtung. Kurzerhand war er in den Schatten des Waldes verschwunden. Gewiss würde er seine Aufgabe bestens meistern, deshalb musste Landis sich anstrengen und die Angelegenheit hier ebenfalls in den Griff bekommen. Einen Moment atmete er tief ein und aus, ehe er sich an das Mädchen wandte, die abnorm zu kichern anfing. „Lächerlich! Lächerlich! Einfach lächerlich“, kreischte sie außer sich. „Du glaubst doch nicht wirklich daran, dass dieser einfache Sterbliche etwas ausrichten könnte? Oh nein, noch habt ihr euch nicht aus meinem Traum befreit, nicht einmal du.“ Die Augen schließend, sprach Landis mit ruhiger Stimme, ohne jegliche Unklarheiten in dieser. „Hättest du nicht gemogelt, wären wir schon beim ersten Versuch rausgekommen. Selbst als ich mich befreit habe, hast du mich einfach wieder eingeschlossen.“ Aggressiv schlugen die Flammen höher und ließen die Hitze weiter ansteigen. Selbst für einen Traum fühlte sich diese Hitze besorgniserregend echt an und er konnte nicht sicher abwägen, ob es bloß Einbildung oder womöglich doch real war. Dies war ohne Zweifel weiterhin ein Traum, doch was, wenn es diesem Geist irgendwie gelungen war eine Realität wie dieses Feuer in eben diesem zu schaffen? Wie dem auch sei, er dachte wieder zu viel nach. „Wovor hast du solche Angst, dass du uns absichtlich Steine in den Weg legst?“ Bei der Vorstellung wie wörtlich Nolan diese Aussage wohl genommen hätte, musste er kurz schmunzeln. „Du brauchst keine Angst zu haben. Wir sind Helden in Ausbildung. Was wir angehen ziehen wir durch und zwar richtig. Du kannst uns vertrauen.“ „Lügner!“ Das Feuer türmte sich zu einer gewaltigen Säule auf und schloss das Mädchen gänzlich ein. Schützend legte Landis die Hände vor sein Gesicht. Mit Worten würde er nicht viel ausrichten können, diesen Part sollte so oder so Nolan übernehmen, der darin um einiges besser war als er. Er musste irgendwie versuchen dieses Feuer aufzuhalten, welches von dem Mädchen verursacht wurde und dabei war, den gesamten Wald zu erfassen. „Aber zuerst werde ich sie da rausholen“, flüsterte er sich selbst zu. „Das Feuer mag ihr nichts anhaben, aber es wäre nicht richtig. Stimmt doch, No?“ Als sich Landis daraufhin der Feuersäule näherte, konnte und wollte das Mädchen ihren Augen nicht trauen. War dieser Mensch jetzt vollkommen verrückt geworden? Eigentlich müsste er als scheinbar halber Naturgeist doch längst durchschaut haben, dass ihr die Hitze nichts anhaben konnte. Was wollte er damit beweisen? „Du dummer Junge! Geh! Es könnte kein gutes Ende mit dir nehmen, sollte dein Verstand in diesem Traum Schaden nehmen.“ Auf diese Aussage hin schluckte Landis hart und er musste zugeben ... sonderlich schön klang das nicht. Und sein rasendes Herzklopfen machte ihm nur zu deutlich, wie panisch er im Inneren war, jedoch hinderte es ihn nicht an seinem Vorhaben. Mit einem Lächeln im Gesicht stürzte er sich direkt in die Feuersäule. Waren diese Kinder dumm oder mutig? Waren diese Kinder das, was man als Held bezeichnete? War ein Held das, was ... *** Der Wald brannte. Der Wald brannte lichterloh. Der Rauch sammelte sich immer mehr unter den dichten Baumkronen an und machte das Atmen schwer, genau wie die durchgehend ansteigende Hitze in seinem Rücken, die ihm den Schweiß auf die Stirn trieb. Um Luft zu sparen sprach er kein Wort, zu wem auch? Landis würde das Kind schon schaukeln, da hatte er keine Zweifel. Nur gab es da ein kleines Problem, dessen er sich ziemlich bald bewusst wurde ... Wohin? Wo musste er überhaupt hin? Es wäre vorteilhaft gewesen seinen Freund erst danach zu fragen, ehe er sich mit so viel Elan seiner Aufgabe gewidmet hätte. Tja, jetzt war es zu spät. Aber wie schwer konnte es schon sein herauszufinden, wohin er gehen musste? Er war sich zwar nicht sicher ob dies der richtige Weg war oder er damit mehr als falsch lag, aber ihm fiel nur eine Möglichkeit ein, um mit Xeldrite Kontakt aufnehmen zu können, obwohl er in einem Traum eingesperrt war ... Ihr Grabstein. Dort hatte dieser Traum seinen Anfang gefunden, also könnte er dort doch auch enden. Zumindest musste er ihr irgendwie mitteilen, dass ihr Wald buchstäblich in Flammen aufging und sie sich in Sicherheit bringen musste. Selbst wenn sie nur ein Geist sein mochte, war es seine Pflicht. Immerhin war sie schon quasi eine neue Freundin von ihnen. Und wo war dieser Grabstein? Hier sah alles gleich aus. Seinem Gefühl folgend, lief er gegen den Wind durch den Wald. Je weiter er lief desto stärker schien der Wind zu werden und desto langsamer kam er vorwärts, weil dieser ihn abbremste. Hinter ihm wurde das Knistern lauter und die ersten Bäume brachen entzwei oder fielen mit einem lauten Knall zu Boden. Erschöpfung schlich sich in seine Glieder. Keuchend schleppte er sich weiter tapfer vorwärts. „Für einen Traum fühlt sich das hier so was von echt an“, japste Nolan ausgelaugt. „Und das schlimmste an der Sache ist, dass es uns wieder keiner glauben wird.“ „Wahrscheinlich“, hätte Landis wohl darauf gesagt, wenn er hier gewesen wäre. Hustend machte er an einem Baum halt, an dem er sich festhielt, wischte sich einige Strähnen aus dem Gesicht und bemerkte dabei, dass sein Sichtfeld ziemlich unscharf geworden war. Blinzelnd versuchte er mit den Augen etwas zu suchen, was ihm dabei helfen könnte den richtigen Weg zu finden, doch er konnte kaum noch einen der Bäume richtig erkennen und die waren nicht gerade schmal. „Hm? Das ist doch ...“ Ein fernes Leuchten erregte seine Aufmerksamkeit. War es das Glühwürmchen? Es existierte also doch? Ja, es musste so sein. Ob er dem Licht folgen sollte? Eine andere Wahl hatte er nicht und außerdem schien es so, als wollte es ihm helfen. Wenigstens konnte er es trotz verschwommener Sicht inmitten der Dunkelheit vor ihm, wo das Feuer sich noch nicht ausgebreitet hatte, schemenhaft erkennen. „Warte auf mich, Glühwürmchen! Ich komme!“ Er stieß sich von dem Baum ab und auch das Leuchten setzte sich in Bewegung, als hätte es auf ihn gewartet. Sich gegen den Wind stemmend, bahnte er sich seinen Weg nach vorne. Zu seiner Erleichterung tauchte alsbald hinter dem nächsten Baum dann endlich der von Wurzeln umringte Grabstein auf, nach dem er gesucht hatte und wo der Wind am stärksten wehte. Kam er etwa direkt aus dem Grabstein? Wie auch immer, es war nur noch ein kleines Stückchen zu seinem Ziel, doch er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Der Wind war viel zu stark. „Blöder Wind! Du ruinierst mir nicht nur meine Frisur, du bist auch im Weg! Ich hab’s eilig!“ Nolans Glieder schmerzten und zitterten vor Anstrengung. „Ich muss da hin. Ich muss da hin. Ich MUSS da hin!“ Plötzlich schwebte jenes Leuchten, welches er bisher nur aus der Ferne gesehen hatte, nah an seinem Gesicht vorbei und Nolan staunte nicht schlecht, als es sich dabei wahrhaftig um ein Glühwürmchen handelte. Auf magische Weise ließ der Wind in der Nähe dieses kleinen Wunders nach, so dass man sich problemlos bewegen konnte. Sofort fiel ihm auf, dass es nur ein kleiner kreisförmiger Bereich um das Glühwürmchen herum war, in dem es windstill wurde. Außerhalb dieses Kreises tobte der Wind nach wie vor. Abgesehen davon wie sehr ihn dieses Phänomen begeisterte, Traum hin oder her, war das die Lösung für sein Problem. Er beugte sich leicht dem Glühwürmchen entgegen. „Du kommst mir wie gerufen! Könntest du mich bis zu dem Grabstein da vorne bringen? Bitte?“ Sogleich flog es im Schritttempo in die von ihm gewünschte Richtung und Nolan blieb dicht bei diesem, bis sie da angekommen waren, wo er hinwollte. Dankend nickte er dem Glühwürmchen zu, ehe er sich dem Grabstein widmete. Instinktiv legte er beide Hände gegen diesen und rief ihren Namen. „Nel! Nel! Kannst du mich hören?!“ Ein Ohr an das Gestein pressend, wartete er auf eine mögliche Antwort. Nichts. „Hier brennt es, hörst du?! Der Wald brennt! Du musst hier raus!“ Nichts, es geschah nichts. Ein kurzer Blick über die Schulter verriet ihm, dass das Feuer bereits bedrohlich nah war. Das Glühwürmchen flog aufgeregt hin und her, als wollte es ihn auffordern zu fliehen. Stattdessen schnappte Nolan sich jedoch den nächstbesten großen Stein den er finden konnte, holte aus und schlug mit diesen so fest wie möglich gegen den Grabstein, was er mehrmals wiederholte. In dieser Geschichte hieß es, sie hätten die Kräfte von Neldieo in einer kristallenen Säule gebannt, die von außen als Grabstein getarnt wurde. Vielleicht würde es ja ausreichen, wenn er diese störende Hülle zerstörte und sie ihre Fähigkeiten zurückerlangte, mit denen sie dann entkommen könnte. „Komm schon! Komm schon! Geh kaputt, du blödes Ding!“ Egal, wie sehr er auch auf die Hülle einschlug, nicht einmal ein Kratzer schien es abzubekommen. „Ich gehe hier nicht eher weg, bis ich dich befreit habe und dann werden wir alle zusammen Äpfel essen, Ball spielen und den Sonnenuntergang anschauen, klar?! Wir holen dich da raus, Heldenehrenwort! Wir holen euch alle hier raus.“ *** Es war heiß. Es war unerträglich heiß. Landis war in die Feuersäule gesprungen und spürte die Flammen seinen Körper überfallen. Er konnte nicht mehr atmen. Es war so heiß. Fassungslos sah das Mädchen, ein Fragment von den außer Kontrolle geratenen Kräften welches sich selbst zu zerstören drohte, wie sich der Junge zu ihr durchkämpfte, ohne einmal zu schwanken. Dabei hätten die Schmerzen ihn doch zurückweichen lassen müssen? Nein, statt zurückzuweichen kämpfte er sich bis zu ihr vor und packte sie am Handgelenk. Er hatte es geschafft. Er hatte es bis zu seinem Ziel geschafft. „Warum gebt ihr euch solche Mühe? Nach allem, was ich euch angetan habe ...“ „Was hast du uns denn getan?“, erwiderte er geschwächt, trug dennoch ein Grinsen im Gesicht. „Du hast Rias Sturz abgebremst und unseren auch, als wir bei diesem Grabstein durch den Boden gefallen sind, stimmt doch? Du hast auch unsere Seelen bisher nicht verschlungen. Du wolltest nie jemandem etwas antun. Du bist nicht böse, so wie alle behaupten, sondern du bist einfach nur ...“ „Was ...?“ Ihm fielen die Augen zu. So gern er ihr eine Antwort gegeben hatte, er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Kraftlos kippte er zur Seite und der Griff um ihr Handgelenk löste sich. *** Der Wind hatte das Feuer schneller zu ihm getragen als erwartet. Nachdem der Stein irgendwann an dem harten Hindernis zerbrochen war, schlug Nolan mit bloßen Fäusten weiter auf den Grabstein ein, soweit es seine Reserven zuließen. Die Hitze ließ ihn jedoch bald entkräftet zusammensinken. „Nun ... nicht ganz wie geplant, aber ...“, murmelte er müde, schloss die Augen und lehnte sich an dem Grabstein an. „Ich lasse dich nicht allein, keine Sorge. Du bist es etwas falsch angegangen, aber ich habe dich verstanden ... Wir sind jetzt schließlich Freunde.“ Seine Sinne waren dabei, in einem Meer aus Schwärze zu ertrinken. *** Xeldrite konnte das Energiefeld kaum noch aufrecht halten, ihre Kraftvorräte waren aufgebraucht. Ihretwegen sollten diese Menschenkinder und das Kätzchen jedoch nicht sterben, deshalb musste sie durchhalten, auch wenn es ihren Geist förmlich auseinander riss. „Nel! Nel! Kannst du mich hören?!“ Ein wärmendes Gefühl schoss durch sie hindurch. Diese Stimme ... War das nicht die Stimme des Schwarzhaarigen, den man Nolan nannte? Bedeutete das etwa, sie hatten es geschafft und sich aus ihrem Traum befreit, obwohl sie die Kontrolle verloren hatte? Ihr Blick fiel sogleich erwartungsvoll auf die noch am Boden liegenden Kinder, diese rührten sich aber nicht. „Hier brennt es, hörst du?! Der Wald brennt! Du musst hier raus!“ Der Wald brannte? Nein, das tat er nicht. Nicht in Wirklichkeit, denn das hätte sie gemerkt, sie war schließlich mit den Wurzeln dieses Waldes verbunden. Demnach befanden sie sich doch noch in dem Traum, wie sie befürchtet hatte. Und scheinbar war der Verstand der Sterblichen dabei in diesem Traum Schaden zu nehmen, was bedeutete ... sie würden nie wieder aufwachen. Bei dieser Feststellung wurde ihr Herz seltsam schwer. „Komm schon! Komm schon! Geh kaputt, du blödes Ding!“ Ein dumpfes Klopfgeräusch drang an ihr Ohr. Klang so, als würde jemand gewaltsam von oben gegen ihren Grabstein schlagen. Aber warum sollte er das tun? „Ich gehe hier nicht eher weg, bis ich dich befreit habe und dann werden wir alle zusammen Äpfel essen, Ball spielen und den Sonnenuntergang anschauen, klar?! Wir holen dich da raus, Heldenehrenwort! Wir holen euch alle hier raus.“ Befreien? Dieser Junge wollte sie befreien? Er, als gewöhnlicher Sterblicher? Und dann wollte er Äpfel essen, Ball spielen und den Sonnenuntergang anschauen? Ihr Herz wurde noch schwerer. Die Fürsorge dieser Kinder ihr gegenüber sorgte für Wehmut. Kinder. Ja, es waren doch noch Kinder. Das Beben wollte nicht aufhören. Wie lange noch würde es dauern, bis hier alles einstürzte? „Ich kann nichts tun. Ohne meine Kräfte kann ich nichts tun, ich bin völlig nutzlos.“ „Hör auf rumzujammern!“, ertönte neben ihr eine selbstbewusste Mädchenstimme, deren Hände in ihre Hüfte gestemmt waren. „Wer sagt denn, dass immer übersinnliche Kräfte nötig sind, um etwas ausrichten zu können?“ Erschrocken wandte Xeldrite sich der Stimme zu. Es war das Mädchen, Oriana, samt ihrem Kätzchen, die auf einmal in ihrer Ruhestätte aufgetaucht waren, doch sie schienen nur Traumbilder zu sein, denn ihre richtigen Körper schliefen unverändert friedlich. Wie waren sie hierher gekommen und wieso konnten sie sie sehen? „Ich habe dich weinen hören, so habe ich hierher gefunden“, antwortete Oriana ihr auf diesen Gedanken, den sie nicht laut ausgesprochen hatte. „Ich kann dich von innen heraus weinen hören. Wenn du dich so sehr nach einem Freund sehnst, warum gibst du den beiden nicht eine Chance? Mir haben sie damals auch sehr geholfen, als ich einsam war. Ich sehe dir an, dass du sie magst.“ Anscheinend über sich selbst kichernd, nahm sie Alona auf den Arm, die ihr nickend beipflichtete. „Zugegeben, die beiden stellen oft ganz schön viel Blödsinn an und nerven manchmal sogar ein wenig, aber merkst du nicht, wie viel Mühe unsere Helden sich für dich geben? Obwohl sie, in deinen Augen, bloß Sterbliche ohne übersinnliche Fähigkeiten sind?“ Gerade als sie sich dazu äußern wollte, hallte ein letztes Mal die Stimme von Nolan durch den Grabstein hindurch auf, der die Wirklichkeit mit dem Traum verbunden hielt. Und es klang so, als wäre auch er mit seinen Kräften am Limit angelangt. „Nun ... nicht ganz wie geplant, aber ... Ich lasse dich nicht allein, keine Sorge. Du bist es etwas falsch angegangen, aber ich habe dich verstanden ... Wir sind jetzt schließlich Freunde.“ Etwas tropfte zu Boden. Als Xeldrite zaghaft an ihrer Wange entlang strich, entdeckte sie eine weitere Träne. Sie weinte. Sie weinte vor Glück. Auf ihrem sonst leeren Gesicht waren menschliche Züge erschienen. Zum ersten Mal weinte sie. Sie, als Überwesen. Als ein Wesen, welches eigentlich keine Ahnung von solchen Gefühlen hatte, aber es fühlte sich unbeschreiblich gut an. Lächelnd strich sie die Tränen aus ihrem Gesicht. Diese Kinder sollten angeblich keine übersinnlichen Fähigkeiten besitzen? Nein, das stimmte nicht ... in den letzten Stunden hatte Xeldrite die Willensstärke gesehen, mit denen sie sich durch diesen Traum geschlagen hatten. Mit der sie bewiesen hatten, dass nichts und niemand ihre Freundschaft beenden konnte. Es war ihnen gelungen ihr Herz zu berühren. „Ich will sie retten. Ich werde sie retten ... meine Freunde.“ „So ist’s Recht!“, bestärkte Oriana sie in ihrer Entscheidung. „Ich und Alona, auch wir bleiben bis zum bitteren Ende bei dir, nicht wahr?“ „Miau, miau!“ „... Danke.“ Noch während sie dies sagte, zogen sich unzählige Risse durch das Gestein der Säule und ein greller Blitz hüllte sie sowie den gesamten Wald in ein grelles Licht ein ... *** Alles war schwarz. Unendlich schwarz. Hörte er Stimmen? Landis? Oriana? Alona? ... Xeldrite? War er tot? Anscheinend war er das ... tot. Heldenhaft hatte er sich für den Geist des Waldes geopfert, damit dieser nicht mehr einsam sein musste. Eine bessere Geschichte hätte er sich nie ausmalen können, deswegen war es in Ordnung so. Vollkommen in Ordnung. Denn er war als Held gestorben. „Wach endlich auf, du verdammter Idiot!“, schrie jemand genervt und im nächsten Augenblick grub sich etwas grob in seine Magengegend. „Tu nicht so, als wärst du tot! Du hast uns einen höllischen Schrecken eingejagt!“ „Autsch! Ria, weißt du eigentlich wie weh das tut?!“ Krampfhaft zog Nolan sich zusammen und hätte am liebsten laut losgeflucht. Sich durch die Haare streichend, stieß sie einen gleichgültigen Seufzer aus, der verschleiern sollte, dass sie sich um sein Wohl gesorgt hatte. „Sollte es auch. Selbst Schuld, wenn du uns hier so eine dramatische Szene machst.“ Wie konnte ein Mädchen nur so einen harten Tritt drauf haben? Noch schlimmer ... wie konnte ein Mädchen sich nur so Rüpelhaft verhalten? Nun, er war anscheinend doch nicht tot. Zum Glück. „No! Du lebst!“ Glücklich und mit glasigen Augen war Landis kurz davor diesen zu umarmen, hielt sich jedoch zurück, weil Oriana dabei war. „Ich wusste doch es war eine gute Idee von mir, dich zum Grabstein zu schicken.“ Was war passiert? Hatte nicht alles gebrannt? Nolan richtete sich verwirrt auf und machte sich ein Bild von der Umgebung. Schneeweiß. Wohin er auch blickte, alles war schneeweiß. Ein völliger Gegensatz zu der Dunkelheit des Waldes, an die er sich schon gewöhnt hatte. Weit und breit war nichts anderes ausmachen. Nichts als eine unendliche, schneeweiße Ferne. „Ich bin verwirrt“, gab Nolan zu und schaute nun seine Freunde fragend an. „Haben wir die Welt gerettet?“ Abermals seufzend, rieb Oriana sich die Stirn. Alona, die auf ihrer Schulter hockte, ahmte dies vergnügt nach. „Musst du wieder so übertreiben? Wenn überhaupt, haben wir nur den Wald gerettet. Und wir haben letztendlich nicht viel getan, sondern sie.“ Sie? Oriana deutete nach oben und er legte zeitgleich mit Landis den Kopf in den Nacken, um ihrem Fingerzeig zu folgen. Was er dort erblickte, zauberte ihm ein Lächeln ins Gesicht. „Hey, Nel“, lachte er, zufrieden mit sich. Xeldrite oder wohl eher Neldieo, schwebte über ihnen und erwiderte das Lächeln ebenso zufrieden. „Ich bin froh zu sehen, dass ihr wohlauf seid.“ Es herrschte Erklärungsbedarf, so viel stand fest. Auf die Fragen der Kinder hin gab Neldieo ihnen folgende Antwort: „Die schützende Hülle um den Kristall zersplitterte in der Sekunde, wo ich mir über etwas bewusst wurde. Wo ich meine Zweifel und Misstrauen der Menschen gegenüber nach all den Jahren endlich ablegen und meinen Gefühlen freien Lauf lassen konnte. Dank euch wurde der Bann gebrochen, der mich hier gefangen hielt und ich nutzte meine Kräfte, um dem Traum ein Ende zu setzen, in den ich euch eingesperrt hatte.“ Die Wächter hatten sie also damals eingeschlossen, damit sie irgendwann von ihren Zweifeln und Misstrauen befreit werden und sie erkennen konnte, was die wirklich Menschen ausmachte? Und damit sie ihre Kräfte nicht darauf ausrichten konnte jemandem zu Schaden, bevor sie dieses Wissen noch nicht erlangt hatte, wurden diese zur Sicherheit in die Kristallsäule gebannt? Diese Art ein Problem zu lösen fanden die Kinder einstimmig nicht unbedingt gut, aber Neldieo lachte nur herzlich und meinte, dass es bei ihrem Dickschädel die beste Möglichkeit gewesen war. Sie nahm es den anderen Wächtern nicht mehr übel, sondern war sogar dankbar. Ohne diese Maßnahme hätte sie sonst vermutlich nie gelernt, wie schön es sich anfühlen konnte, Gefühle zuzulassen. Bei Überwesen musste man eben manchmal so hart durchgreifen, da die meisten von ihnen zu stolz und auch stur waren. Sonderlich spannend klang die Geschichte am Ende zwar nicht, jedoch war es den Helden in Ausbildung nicht so wichtig, solange jeder mit diesem Ausgang glücklich war. „Dann können wir ja jetzt alle zusammen Äpfel essen, Ball spielen und den Sonnenuntergang anschauen, wird bestimmt toll!“ „Leider kann ich nicht bleiben“, lehnte Neldieo betrübt ab. „Ich werde vorerst ...“ Neugierig blickten die vier sie an und warteten ihre Begründung ab. Nach einer kurzen Schweigeminute, in der sie darüber nachgedacht zu haben schien, was sie am besten sagen sollte, lächelte sie wieder. „Ich werde vorerst auf Reisen gehen. Ich will auch ein Held werden, so wie ihr.“ „Dann bleib doch bei uns“, meinte Landis einladend. „Wir können das Ziel gemeinsam verfolgen, so macht es viel mehr Spaß.“ „Da hat Lan Recht!“ „Nein, ich muss noch eine Menge lernen, im Gegensatz zu euch. Ich muss meinen eigenen Weg finden und irgendwann ... komme ich euch dann besuchen und wir spielen zusammen.“ Neldieo musste für sich innerlich kichern. Wer wusste ob sie dann überhaupt noch Kinder sein würden, wenn sie das nächste Mal aufeinander trafen? Noch dazu, wo sie sich wahrscheinlich eh nicht erinnern können werden ... Sie hatte all ihre Kräfte dafür eingesetzt, um diese Menschen zu retten, wofür sie die Zeit zurückdrehte, was ihr nicht nur strikt verboten war, sondern ihr in diesem geschwächten Zustand auch das Leben gekostet hatte. Aber sie bereute ihre Tat nicht, keinesfalls. Neldieo bedauerte nur zu wissen, dass es so sein würde, als hätten sie sich nie getroffen, sobald dieser künstliche Raum sich mit ihr auflöste. Doch ihre Hoffnung hatte sie nicht verloren. Die, durch eine simple Wette, gewonnene Hoffnung, nicht vergessen zu werden. Irgendwann würden sie sich wieder begegnen, ganz sicher. „Ich muss nun gehen. Aber wir sind jetzt Freunde, oder? Also werdet ihr mich nicht vergessen?“ Landis und Nolan schielten zu dem jeweils anderen rüber, ballten dann die Hände zu Fäusten und hoben diese in die Luft. „Heldenehrenwort!“ Nur ungern sprang Oriana über ihren Schatten, aber selbst sie musste zugeben, dass sie ein kleines bisschen stolz auf die beiden war. „Miau, miau!“ Ihr letzter Funken Energie verließ sie und der Raum fing an sich in tausende Sterne aufzulösen, die ihre Freunde ein letztes Mal ins Land der Träume schickten, ehe sie wieder in ihren gewohnten Alltag zurückkehrten. Bevor Neldieo in diesem leuchtenden Sternenmeer verschwand, hörte man sie leise flüstern. „Landis. Nolan. Wisst ihr was? Für mich seid ihr beiden bereits wahre Helden.“ Als eine Sternschnuppe vom Himmel fiel, erschien im Austausch dafür irgendwo auf der Erde ein Glühwürmchen ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)